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Proclus Arabus
Proclus <Diadochus>
Beirut, 1973
urn:nbn:de:gbv:3:5-90211
BEIRUTER TEXTE UND STUDIEN . BAND 10
PROCLUS ARABUS
IN ARABISCHER ÜBERSETZUNG
VON
GERHARD ENDRESS
BEIRUT 1973
HERAUSGEGEBEN VOM
ORIENT-INSTITUT
1. Michel Jiha : Der arabische Dialekt von Bismizzin. Volkstümliche Texte aus
einem libanesischen Dorf mit Grundzügen der Laut- und Formenlehre. 1964.
2. Bernhard Lewin : Arabische Texte im Dialekt von Hama, mit Einleitung und
bis zum Jahre 1952. Ein Beitrag zur Geistes- und Sozialgeschichte des islamischen
Orients. {In Vorbereitung.)
Hrsg. u. eingel. von Heribert Busse. 1971. 10 S. dt. Text, *34*, 133 S. arab. Text.
DM 16,—
5. Baber Johansen : Muhammad Husain Haikai. Europa und der Orient im Weltbild
6. Heribert Busse : Chalif und Großkönig. Die Buyiden im Iraq (945-1055). 1969.
XII, 610 S., 6 Tafeln, 2 Karten, DM 64,—
7. Josef van Ess: Traditionistische Polemik gegen cAmr b. °Ubaid. Zu einer Schrift
des CA1I b. c Umar ad-Däraqutnl. 1967. 74 S. dt. Text, 14 S. arab. Text, 2 Tafeln,
DM 12,—
10. Gerhard Endress : Proclus Arabus. Zwanzig Abschnitte aus der Institutio Theo-
11. Josef van Ess: Frühe mu°tazilitische Häresiographie. Zwei Werke des Näsi D
al-Akbar (gest. 293 H.). 1971. XII, 185 S. dt. Text, 134 S. arab. Text. DM 34,—
12. Dorothea Duda : Innenarchitektur syrischer Stadthäuser des 16.-18. Jh. Die
Sammlung Henri Pharaon in Beirut. 1971. VI, 176 S., 88 Taf., 6 Farbtaf.,
DM 70,—
Hellmut Ritter : Türöyo. Die Volkssprache der syrischen Christen des Tür
tabdin. A: Texte, Band I. 1967. *43*, 609 S. DM 68— Band II. 1969. *23*,
697 S. DM 68,— Band III. 1971. *26*, 704 S. DM 68,—
PROCLUS ARABUS
BEIRUTER TEXTE UND STUDIEN
HERAUSGEGEBEN VOM
ORIENT-INSTITUT
DER DEUTSCHEN MORGENLÄNDISCHEN GESELLSCHAFT
BAND 10
PROGLUS ARABUS
IN ARABISCHER ÜBERSETZUNG
VON
GERHARD ENDRESS
BEIRUT 1973
IN KOMMISSION BEI FRANZ STEINER VERLAG • WIESBADEN
Orient-Institut
der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft
Beirut / Libanon, B.P. 2988
setzung identifizierte er die Vorlagen der Proklostexte und wies auf die
weiteren Probleme hin, die sich mit diesem Fund ergaben, dies vor allem
im Hinblick auf die andere arabische Proklosquelle, den sog. Liber de
* Wie mir Herr Professor Pines brieflich mitteilt, hat er auch vor dem 25. Inter¬
nationalen Orientalistenkongress (Moskau 1960) über diese Texte referiert; leider
wurde sein Vortrag in den Kongressakten nicht abgedruckt.
8 VORWORT
Causis. Eine Edition aller Texte stand aber bislang noch aus, ebenso
eine eingehende Untersuchung ihrer sprachlichen Form und der durch
sie vermittelten Interpretation der proklischen Philosophie.
Die hiermit vorgelegte Textedition beruht auf allen bekannten
Handschriften, welche mir erreichbar waren. Vorangestellt sind
eine kurze Beschreibung und Recensio der Textzeugen und eine Über¬
sicht über die Angaben der Tradition zu Autor und Übersetzer der Texte.
Eine deutsche Wiedergabe und die sie begleitenden Anmerkungen
sollen die Version auch dem Nichtarabisten zugänglich machen und
ihr Verhältnis zur griechischen Vorlage erläutern.
Von den weiteren Teilen meiner Arbeit ist der umfangreichste der
Sprache der Übersetzung gewidmet. Ihre Terminologie und ihr Stil
hatten zuerst mein Interesse geweckt: Bei dem Versuch, den Übersetzer
einer arabischen Version von Aristoteles' De Caelo zu bestimmen, war ich
auf eine Gruppe verwandter Übersetzungen gestossen, die im Bagdad der
ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts entstanden sind; dazu gehörten
auch die Proklostexte. Wiederum sollen nun die Terminologie und
einige Eigentümlichkeiten des Stils und der Übersetzungstechnik, die für
diese Texte charakteristisch sind, mit Parallelen aus anderen Überset¬
zungen in einen grösseren Zusammenhang gestellt werden; nicht nur, um
die Frage nach dem Übersetzer zu klären, sondern auch, um die
Bedeutung einer Gruppe früher Übersetzer für die Schaffung einer
philosophischen Terminologie des Arabischen aufzuzeigen. Darüber
hinaus wird das Wortmaterial in zwei Glossaren erschlossen; besonders
ausführlich gehalten ist das arabisch-griechische Glossar, das daher
nicht nur als Lexikon, sondern auch als analytischer Sachindex der
Proklostexte dienen kann. Ein weiterer Abschnitt der Untersuchung
behandelt diejenigen Partien der Version, die keine oder eine stark
abweichende Vorlage im griechischen Proklostext haben. Diese Addi-
tamente und Interpretamente erläutern die Doktrin des Autors
nicht nur in dessen Sinne, sondern deuten und modifizieren sie z.T. in
einer bestimmten Tendenz. Soweit sich diese Tendenzen in anderen
griechischen und arabischen Quellen verfolgen lassen, erlauben sie einige
Rückschlüsse auf die Herkunft und Stellung der arabisch übersetzten
Texte. Ausserdem kann es für eine gerechte Beurteilung des arabischen
Neuplatonismus nicht gleichgültig sein, dass die Araber Proklos'
VORWORT 9
* * *
A Die Textüberlieferung 33
1. Die Textzeugen 33
1.1 Die Handschriften 33
arabischen Überlieferung 51
•2.11 Autor und Titel in der handschriftlichen Überlie¬
ferung 51
graphen 52
schriftlichen Überlieferung 58
griechisch-arabischen Übersetzungsliteratur 62
0.1 Vorbemerkung 62
1. Zur Terminologie 76
Aus dem ersten Buch von Johannes Philoponos' Contra Proclum (s.u. Nr. 1.11, S. 15)
will ein Glossator des Fihrist wissen, dass Proklos in der Zeit Diokletians (reg. 284-305)
„des Ägypters" ( al-Qubti ) lebte ( Fihrist 252.13 [= al-Qiftl 89.5-6], noch am Rande
in Ms. §ehit Ali Pa§a 1934: vgl. Dodge, The Fihrist, 2.607 Anm. 142). Er (oder ein
anderer) präzisiert dann: bal c alä ra°s talätimVa min mulkihi, hädä sahih {Fihrist 252.\2>,
nicht bei al-Qiftl); aber in Wahrheit lebte Proklos 412-485, also unter Theodosius II.
und dessen Nachfolgern. Philoponos hatte in dem hier herangezogenen Passus
(griechisch nicht erhalten) Proklos' Lebenszeit nach der diokletianischen Ära (der
koptischen „Ära der Märtyrer") 3 datiert; doch nur der Name des Kaisers ist in der
arabischen Überlieferung bewahrt. —• Zu den Glossen und Korruptelen im Fihrist- Text
vgl. auch R. Sellheim: Die Gelehrtenbiographiendes Abü °Ubaidalläh al-Marzubärii I
(1964), S. 21f.; zum Todesjahr des Autors s. dens.: Das Todesdatum des Ibn an-Nadim,
in: Israel Oriental Studies. 2 [= Gedenkschrift f. S. M. Stern], Tel Aviv 1972.)
Es folgt eine kurze Übersicht über die Schriften des Proklos, die den
Arabern bekannt geworden sind. 4 Die griechischen Originaltitel sind
zitiert nach Rudolf Beutler: Proklos, in: RE 23.1 (1957), coli. 186-
247. — Ms = Handschrift, Ed = Edition, T = Testimonium.
1.11 'OxT<üxai §Exa ETU^eipYjfxaTa Ttepi äi'Sior /jTot; toü xoctjaou xkto twv
Xpicmavwv {De Aet. mundi). Beutler Nr. 24 col. 200.
Griechisch erhalten nur in der Widerlegung des Johannes Philoponos:
Kax« tcov ripoxAou rcspl ki S lot^to ? xocr(i,ou £7U^s(,p7)[xa.TOjv ( De Aet. mundi
contra Proclum ), ed. H. Rabe (1899). Anfang und Schluss der Handschrift
(Marcianus gr. 236, Vorlage auch der übrigen) sind defekt; das erste
Argument des Proklos ist daher im Original verloren.
Bemerkung: „Diese neun Argumente sind von Ishäq ibn Hunain über¬
setzt. Es gibt (insgesamt) achtzehn Argumente des Proklos für die
Ewigkeit (der Welt), welche ein anderer als Ishäq in einer schlechten
Übersetzung wiedergegeben hat. In der Übersetzung Ishäqs liegen nur
diese neun vor". (42 pu.-ult. ed. Badawi). Daraus geht nicht ganz
eindeutig hervor, ob Ishäq nur diese neun Abschnitte übersetzt hat oder
ob eine von ihm angefertigte vollständige Übersetzung nur zum Teil
erhalten ist. Die hier erwähnte zweite Übersetzung ist aber gleichfalls
erhalten:
Proclus - 2
18 einleitung
ibid. 293 G [s. u. S. 37], Nr. 63: foll. 190a-192a; Maglis-i Süräy-i Milll 5283 [s.u. S.
38], Nr. 84: foll. 230b-234b); vgl. Muhsin MahdI: Atfarabi against Philoponus (1967)
mit englischer Übersetzung,
7 Vgl. Averroes' Tahafut al-Taha/ut, transl. by S. van den Bergh , vol. I p. XVII ff.,
vol. II, Index s. nn. Proclus, John Philoponus; E. Behler: Die Ewigkeit der Welt.
1 (1965), S. 128-137.
PRO CLUS ARABUS 19
bald unter dem Namen Piatons, bald als Auszug des Färäbi aus Piaton
einhergeht. Mss: Istanbul, Üniversite 1458, foll. 105a-106b; Princeton,
Garrett ELS 308, Nr. 5: foll. 70b-71a (dat. 677/1278-79; s. J. Kritzeck,
Une majmu c a philosophique 376); Rämpör, State Libr. II 220 (Gat. p. 841)
(s. GAU- 1.236, S 1.958); London, India Office 3832, foll. 24b-25b. Vgl.
F. Rosenthal, As-Sayh al-Yünäni [1.] 471. Ed: Mubahat Türker,
Färäbi'ye atfedilen kügük bir eser (1965). Die Auszüge aus dem Liber de
Causis beginnen mit den Worten qäla l-hakim (S. 58 ed. Türker); „der
Weise" ist in der Regel Aristoteles. Die übrigen Texte der Sammlung
haben gleichfalls neuplatonischen Charakter, darunter zwei Auszüge
aus dem ps.-platonischen K. an-Nawämis. — Zur Epitome des c Abdallatif
al-Bagdad! s.u. unter den Testimonien [2].
T: [1.] Ibn an-Nadim, Fihrist 252.19 unter den Werken des Proklos:
K. al-Xair al-auwal. (So zu lesen mit Flügels Ms. H, der Wiener Abschrift
von Ms. Köprülü 1134. Die Lesart al-haiyiz — nach Flügel , Anm. 6 z.St.
„unstreitig das technische al-haiyiz der scholastischen Theologie oder,
wenn man will, der Philosophie" — gibt in einer Werkliste des Proklos
keinen rechten Sinn.) Die Erste Ursache heisst al-xair al-auwal im Liber
de Causis, bäb 19:95.7,10 ed. Bardenhewer [al-xair al-mahd dagegen nur bäb
8:76.2). — [2.] c Abdallatif ibn Yüsuf al-Bagdädi (gest. 557/1162, s.u.
S. 40) gibt im zwanzigsten fast seiner Metaphysik ( K.fi c ilm Mä ba c d at-
tabi c a) eine Epitome des Buches Idäh al-Xair , ed. Badawi, al-Aflätüniya
al-muhdata 248-255. Er nennt bereits Aristoteles als den Autor ( al-hakim
248.6, Aristü 255.8). Zum Verhältnis seines Auszuges gegenüber dem
Grundwerk s. G.C. Anawati, Prole'gomenes 85; 94-103. — [3.] Ibn Abi
Usaibi c a (gest. 668/1270), c Uijün I 69.19, nennt unter den Werken des
Aristoteles, die er über den antiken Pinax des Ptolemaios hinaus aus
eigener Kenntnis zusammenstellt, ein Kitäb Idäh. al-Xair al-mahd. —
[4.] Der spanisch-arabische Philosoph Ibn Sab c in (gest. 669/1270,
GAL S 1.844) erwähnt das Kitäb al-Xair al-mahd, wiederum als Werk
20 einleitung
Stand der Forschung zum ,Liber de Causis' als einer Quelle der Metaphysik des
Das Kitäb al-Xair al-mahd ist eine teils sehr freie, teils enger an den
griechischen Text anschliessende Bearbeitung von Teilen der Institutio
theologica (vgl. Bardenhewer S. 15-37 und Anawati, Prolegomenes 87-89
zu den Entsprechungen, s.a. unten S. 240). Noch immer umstritten
ist die Frage der Entstehungszeit. In der arabischen Literatur xst die
Schrift vor dem 12. Jahrhundert nur bei Ibn an-Nadlm bezeugt, überdies
in einer nicht völlig eindeutigen Form (s.o. Testimonium [1]). Auf der
anderen Seite scheinen einige Vertreter der lateinischen Überlieferung —
mag diese auch im allgemeinen unter Aristoteles' Namen gehen —
präzisere Angaben über den Bearbeiter zu bieten: Albertus Magnus,
der die Schrift im zweiten Teil seines De causis et processu universitatis (verf.
um 1264) behandelt, führt sie auf „einen Juden David" ( David Judaeus
quidam ) zurück, der die Thesen des Liber aus einer Abhandlung des
Aristoteles De principio universi exzerpiert und mit Auszügen aus Aristo¬
teles, Ibn Sinä, al-Gazzäli und al-Färäbl sowie eigenen Erläuterungen
pro clus arabus 21
versehen haben soll (vgl. die Stellen bei Bardenhewer S. 125 ff., Pattin,
Over de schrijver 513 ff, Saffrey, Der gegenwärtige Stand der Forschung 471
Anm. 39). M. Steinschneider identifizierte diesen David mit dem jü¬
dischen Philosophen Abraham Ibn Däwüd (Avendauth, gest. 1166). 8
Auch die älteste Handschrift der lateinischen Version (Oxford, Bodl.
Seiden sup. 24, s. 13 in.) nennt das Werk Metaphisica Avendauth, ebenso
Richard Rufus von Cornwall (um 1250; vgl. Pattin, Le Liber de causis 5).
Einige Forscher haben daher geglaubt, in Ibn Däwüd den Verfasser des
arabischen De Causis sehen zu müssen; so noch A. Pattin , der letzte
Herausgeber der lateinischen Version. Unbestreibar ist, dass wir auf
Grund jener Zeugnisse Ibn Däwüd eine gewisse Bedeutung für die
arabisch-lateinische Überlieferung des Werkes zumessen können; so
hat er auch mit Dominicus Gundissalinus (Gundisalvi) an der Über¬
setzung von Avicennas De Anima zusammengearbeitet 9 , demselben,
der als Übersetzer des Liber de Causis genannt wird (neben Gerhard von
Cremona, dessen Übersetzung Gundisalvi vielleicht revidiert hat). 10
8 Cat. libr. hebr. in Bibl. Bodleiana, col. 743; Hebr. Übers. § 140, S. 260 f.
9 Vgl. M.-Th. d'Alverny: Avendauth? (1954); dies., Avicenna Latinus I (1961),
S. 284 f. u. Anm. 2.
10 S. A. Pattin, Over de schrijver en de vertaler 526.
11 M. Alonso Alonso: Las fuentes literarias del 'Liber de Causis'' (1954), S. 377.
Alonso widerlegte die gleichfalls an Albertus Magnus anknüpfende Vermutung, al-
Färäbl sei der Autor des arabischen De Causis (F. Pelster 1933, H. Bedoret 1938,
vgl. Anawati, Prolegomenes 80 f.), aber nur, um wieder auf Ibn Däwüd zurückzugreifen.
12 § 4:16.1 c aql = lat. achili, bes. § 8:78.9, 79.2 hilya (s.u. B 1.14, S. 136) = yliathim
u.ä.
22 einleitung
Schrift De principio universi wird zwar von Avicenna und Averroes zitiert,
ist aber ein Traktat des Alexander von Aphrodisias und in arabischer
Version erhalten. 13 Wie, auf der anderen Seite, kam c Abdallatif al-
Bagdädi (s.o. S. 19), sei es in Ägypten, sei es anderswo im Orient, in
den Besitz eines arabischen Werkes unter dem Namen des Aristoteles,
das nur zwei oder drei Generationen früher in Spanien entstanden war?
Woher, schliesslich, kennt ein Zweig der arabischen Textüberlieferung
den wahren Autor des Grundschrift (s.o. Mss Nr. 2, S. 18), während
Proklos' Name in der lateinischen Tradition nirgendwo genannt wird? 14
13 S. H.-D. Saffrey, Der gegenwärtige Stand der Forschung 472 nach M. Alonso und
S. Pines ; zum Text vgl. A. Dietrich, Differentia S. 93 f. Nr. 1 ( Maqälafi MabädP al-
kull).
14 Erst Thomas von Aquin, der Proklos' Institutio in der griechisch-lateinischen
Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke (voll. 1268) liest, erkennt in ihr die Quelle
des Liber de Causis (s. Bardenhewer S. 12, 15 ff.).
15 Vgl. R. M. Frank, The origin of the Arabic philosophical term i,j| 186 A. 1;
Anawati, Prolegomenes 105, 108.
proclus arabus 23
sprachliche und inhaltliche Analyse des De Causis wird sich auf eine
kritische Edition des Werkes nach allen Textzeugen zu stützen haben. 16
c) Ustüxüsis as-sugrä
Ms (Auszug): Oxford, Bodleiana Marsh 539, foll. 8b-9a. Titel:
Kaläm li-Ubruqlus min kitäbiki nsks[?] as-sugrä.
Ed: c Abdarrahmän Badaw I , al-Aflätüniya al-muhdata 257 f.
T: Ibn an-Nadim, Fihrist 252.21 = al-Qifti, Tcfrix al-hukamä 3
89.12 unter den Werken des Proklos: Kitäb Buruqlusal-Aflätünl al-mausüm
bi-Ustüxüsis as-sugrä.
Der Titel „Kleinere Stoicheiosis" deutet zunächst auf die Institutio
physica als die kürzere neben der Institutio theologica hin und ist früher so
aufgefasst worden (s. Flügel , Anm. 8 zu Fihrist 252.21). Indessen scheint
die Institutio physica den Arabern unter einem anderen Titel bekannt
geworden zu sein (s.u. 2.11). Das vorliegende Fragment hat diese An¬
nahme vollends als hinfällig erwiesen: Als Quelle des Textes unter den
Werken des Proklos kann nur die Institutio theologica angesehen werden.
Freilich besteht — soweit sich das auf Grund des kurzen Auszuges sagen
lässt—nur eine sehr lockere Abhängigkeit von einigen Thesen des Werkes;
F. Rosenthal , der den Text zuerst bekannt machte, verweist aufpropp.
12 und 13, und in der Tat entspricht der Eingangssatz der These von
prop. 12. 17 Viel weiter geht aber die Parallele auch nicht; das übrige
ist „theistische" Interpretation und Zugabe, und zwar — das kann hier
nur angedeutet, nicht näher belegt werden — in der Tendenz und im
Stil der arabischen Plotinparaphrase. Eine Reihe wörtlicher Anklänge
findet sich zum Beipiel in der Risäla fl l- c Ilm al-ilähi (dazu s.u. S. 70),
die im Anschluss an Enn. V 4-5 die Transzendenz des Schöpfers mit
ähnlichen Worten beschreibt; vgl. etwa zum Anfang Ris. § 224:183.2-3
ed. BadawI (1Enn. V 5:13.11) und zu 257.11 Ris. §§ 199-200:181.6-7.
Der Text gehört also in die Gruppe ähnlich paraphrasierter und glos¬
sierter Plotiniana und Procliana, die auf Grund griechisch-arabischer
1.13 Eiq tov Ti^ociov ÜXcctcovo? (In Tim.). Beutler Nr. 1 col. 191. Eine
vollständige arabische Übersetzung des Timaioskommentars ist nicht
bezeugt. Es finden sich jedoch einige Auszüge:
T: Hunain ibn Ishäq, Risäla fi Dikr m& turgima min kutub öälinüs
26.12-15, Nr. 35 ed. Bergsträsser (deutsche Übers. S. 21): ,,An diese
Schrift [sc. Galens Ilspi eOwv, ar. K. fi l- c Ädät\ schliesst sich an die Er¬
klärung der Zeugnisse aus den Worten Piatos, die Galen in ihr beige¬
bracht hat, durch den Kommentar des Proklos [sie leg., s. Bergsträsser,
Neue Materialien 19.1] hierzu, und die Worte des Hippokrates, die er
aufgeführt hat, durch den Kommentar des Galen dazu. Hubais hat
sie ins Arabische übersetzt für Ahmad ibn Mösä." — Ausführlicher
äussert sich Hunain in seinem Widmungsschreiben an Salmawaih ibn
Bunan, dem er seine syrische Übersetzung der Galenschrift und die
angehängten Kommentare überreichte; Hunains Schüler Hubais hat
seiner arabischen Übersetzung des Galentextes und der Anhänge eine
Übersetzung des gleichfalls syrisch verfassten Briefes vorangestellt.
Darin heisst es (deutsch von Pfaff , Galeni De consuetudine S. XLII):
„Ich glaube, ich muss zu den beiden Stellen, die in dieser Abhandlung
auf dem Wege der Logik und der Analogie angeführt sind, eine Erklä¬
rung ihres Sinnes beigegeben, damit derjenige, welcher mit seinem Geist
in eines von den Büchern, aus denen Galen diese Stellen zitiert, nicht
eindringt, schnell und leicht ihre Gedanken erfasst. Ich bin der Meinung,
dass man als ersten für die Erklärung der Worte des Hippokrates Galen,
den Genossen seiner Gedanken und den Künder der Wahrheit, wählen
muss, und dass das meiste Recht, den Sinn der Worte des Piaton zu
erklären, Proklos hat, der berühmte unter den Gelehrten."
PROCLUS ARABUS 25
Proklos' In Timaeum ist griechisch nur bis zur Erklärung von Tim.
44d erhalten. Die arabische Partie ist also auch als Fragment des ver¬
lorenen Teiles von Wert.
42.11-16 ed. Sachau bezieht sich auf Plato, Tim. 90a, wo der Mensch
als cpuxov oüpaviov beschrieben wird. Wir finden die zitierte Proklosstelle
in dem oben (a) genannten, zusammen mit der arabischen Version von
Galens De consuetudine erhaltenen Auszug: Vgl. die Stellen S. 58.3-19
und 57.31-34 (in der Übersetzung von F. Pfaff ), die al-Birüni, etwas
gekürzt und in dieser Reihenfolge, ziemlich wörtlich wiedergibt.
[ot Xoyoi] T/j 5 ata0Y)C7sco<; eto tcc svuXa. xaOsXxoucT)? t J)v tjju^Yjv. Aber auch
der Kommentar zur Respublica kommt als Quelle in Frage (s.u. Nr. 2.15).
Ob al-Birüni aus einem sonst nicht erhaltenen Text zitiert oder ob
er die Anschaung des Proklos nach sekundärer doxographischer Überlie¬
ferung resümiert, lässt sich aber nicht entscheiden. Sachau vermutet als
Quelle einen Timaeus-K.ommenta.r, der verschieden war von dem uns
erhaltenen 18 , aber weder das erste Zitat — das wir ja nachweisen
konnten — noch auch das zweite berechtigt zu einer solchen Annahme.
c)
Ein Zitat des Abü 1-Hasan al- cÄmiri ( as-Sa zäda wal-is cäd 58.8-10) aus Proklos,
demzufolge er das" Theorem von der voepä bzv. Yvtixrrodj xlvrjotq mit Aristoteles in
Verbindung gebracht habe, geht vielleicht auf In Tim. II 310.23 fF. zurück.
für seine Tochter angefertigt. Täbit [ibn Qurra] hatte davon drei Blatt
(ins Arabische) übersetzt, dann starb er, ohne ihn vollendet zu haben."
Vgl. al-Qifti, Tar'nx al-hukamä° 89.10; HäggJXalifa, Kasf a^-zunün 2012 b.
Ein Kommentar zu den Dicta aurea ist auch unter dem Namen des
Jamblichos überliefert: Ms Princeton, Garrett ELS 308, Nr. 22: foll.
303b-308b (unvollst.); s. J. K ritzeck, Une majmifa philosophique380.
Dat. 677/1278-79. Titel: Sarh Magmü c min kitäb lyämblixus [Ms.: °y°mylhs\
li-Wasäyä Fütägüras al-failasüf. — Prof. F uat S ezgin macht mich auf eine
1072/1661-62 datierte Handschrift des Kitäbxäna-i Mar c asl in Qom
(Iran) aufmerksam, welche, mit der Princetoner Handschrift inhalts-
gleich, offenbar auf dieselbe Vorlage zurückgeht; sie enthält den Kom¬
mentar zu Ps.-Pythagoras — dessen Titel und Autor sie in gleicher
Schreibweise nennt — auf pp. 616-624.
Ein Vergleich der noch unveröffentlichten Handschriften müsste
zeigen, ob die beiden unter dem Namen des Proklos (in Auszügen des
Abü l-Farag c Al. b. at-Taiyib) und des Jamblichos überlieferten arabischen
Kommentartexte identisch sind oder auf dieselbe griechische Quelle
zurückgehen könen. Sollte dies zutreffen, hätte die Zuschreibung an
Jamblichos, den Verfasser einer Vita Pythagorica, prima facie nicht
weniger Wahrscheinlichkeit für sich 19 ; aber nur die Texte selbst können
hier weiteren Aufschluss bringen.
2.12 IIspi tmv Ssxoc 7tpo<; T7)v 7tp6voiav ä7Top7)[xaTa)v (De decem dubitatio-
nibus). B eutler Nr. 21. Lat. von Wilhelm v. Moerbeke; gr. Auszug
im gleichnamigen Werk des Isaak Sebastokrator (ed. H. Boese 1960). 19a
19 Vgl. aber J. Kritzecks Beschreibung der Princetoner Handschrift: „Ce n'est pas
le commentaire du Protrepticus, III, ni celui de Hidrocles."
2.15 EL; tk ? IloA lts[ac ÜXaTwvoc; u7to [jLv/](xa ( InRemp .). B eutler Nr. 4
col. 193 f.
7i:spi .TSL%i,CTdc(j.£va(, Sscspiov • xal yap rj sx tt \c, ysvsasw? Xt )07) S sivy ) xal to vscpo c,
T: al-Färäbl: Sarh lätäb Aristütälis fi l- c Ibära 133.1 ff. ed. Kutsch &
Marrow: wal-mufassirün yaz c amün anna Buruqlus al-Aflätüni a c tä hina mä
fassara hädä l-maudi c [sc. 20a20-23] min kaläm Aristütälis qänünan fi l-
mutaläzimät al-ma c dülät wal-bascPit. fa-qäla ...; cf. 134.4, 13, 22, 139.18, 19.
20 as-Siyar für die platonische IloXi-rsia auch al-Qiftl, Tcfrix al-hukamä 3 23.5.
30 einleitung
Vgl. C. Prantl, Geschichte der Logik I 641 m. Anm. 99: „Die Erläu¬
terungen des Proclus zu dem Buche D. interpr., welche offenbar ganz im
Sinne des Porphyrius gehalten waren, verarbeitete Ammonius"; direkt
oder indirekt von dem alexandrinischen Aristoteleskommentator 21 bezog
auch al-Färäbl seine Kenntnis der proklischen xav6vs<;. Zur Stelle vgl.
Ammonius, In de Int. 181.30 ff. ed. Busse: Ebenfalls zum Lemma 20a20-23
führt der Verfasser die von Färäbi erwähnten Regeln an.
21 Die arabische Überlieferung kennt Ammonios als Proklos' Schüler und als
Lehrer des Johannes Philoponos: s. Ibn Abi Usaibi ca, c Uyün I 104.11 f. (nach Abü
Sulaimän as-Sigistäni). Seinen Kategorienkommentar nennt Ibn an-Nad!m, Fihrist
248.21.
ZWANZIG ABSCHNITTE AUS DER
INSTITUTIO THEOLOGICA
IN ARABISCHER ÜBERSETZUNG
A
DIE TEXTÜBERLIEFERUNG
1. Die Textzeugen
Proclus - 3
34 a: die textüberlieferung
Inc.: Fi Itbät as-suwar ar-rühäniya allatl lä liayülä lahä min kaläm Aris-
tütälis.
Nr. 15-24; vgl. Gätje S. 258 ff. — Die ersten vier Zeilen von fol. 101a
sind durch Einwirkung von Wasser z.T. unleserlich geworden.
Textbestand'.Propp. 15-17.
Es folgen weitere Abhandlungen Alexanders (Stückzählung des
Katalogs; die Foliierung des Katalogs wurde — nach der mir vorlie¬
genden Kopie des Proklostextes — um 2 reduziert):
14: 67b-68a Maqälafi l-Hayülä wa-annahä maf c üla. (Dietrich S. 99
Nr. 23.)
15: 68a-b M.fi anna l-Qüwa al-wähida yumkin an takün qäbila lil-addäd
c alä ra°y Aristü. (Dietrich S. 95 Nr. 6.)
21: 90a-91a M. fi anna l-Hayülä gair al-gins wa-fi-mä yastarikän wa-
yaftariqän. (Dietrich S. 99 Nr. 24.)
22: 91a-92a M. fi r-Radd c alä man yaqül anna l-ibsär yakün bis-su cä c ät
al-xäriga min al-basar. (Dietrich S. 96 Nr. 13.)
23: 92a-93a M. fi l-Mädda wal- c adam wal-kaun. (Dietrich S. 98
Nr. 20.)
38 a: die textüberlieferung
M Tehrän, Kitäbxäna-i Maglis-i Süräy-i Milli 5283, Nr. 20: fol. 46b.
Fihrist-i Kitäbxäna-i Maglis-i Süräy-i Müll. ZIr-i nazar-i Trag Afsär [etc.]. Gild 16.
Tahrir wa cäp wa fihrist tawassut-i Ahmad MunzawI . Tehrän 1348, S. 186. — Die
Handschrift trägt mehrere Datierungen, die — dem Fortschritt des Kopisten folgend —
von 1078/1668 (fol. 9b) über das Jahr 1079 (fol. 46b, nach dem Proklostext) bis 1102/
1690 (fol. 229b) reichen. 231 foll. Zügiges ta cliq.
1 Noch in Mss. Maglis, Imäml 4, Nr. 2: p. 151 (dat. 1296-97 H., s. Fihrist-i Kx-i
Maglis 7.265, 369); Maglis 5077, Nr. 11: foll. 55b-65a (dat. 1299 H., Fihrist 15.40).
2 Noch in Mss. Maglis, Imäml 4, Nr. 3: pp. 152-53 (dat. 1296-97 H., s. Fihrist-i
Kx-i Maglis 7.265, 368); Maglis 5077, Nr. 12: foll. 56b-59b (dat. 1297-99 H., Fihrist
15.41).
3 Noch in Ms. Maglis 1976, Nr. 1: foll. lb-6b (dat. 931 H., Fihrist 5. 474).
40 a: die textüberlieferung
Je ein weiteres Exemplar von propp. 1-3 und propp. 15-17 ist— nach freundlichen
Mitteilungen von Prof. Muhsin Mahd ! (Harvard University) und Prof. Fuat Sezgin
(Frankfurt a. M.), die mir während der Drucklegung zugingen — in der Handschrift
Nr. 2912, foll. 161a und 207a, des Tehraner Kitäbaxäna-i Madrasa-i Sipähsälär ent¬
halten (Incipit beider Texte wie in Ms. L).
4 GAL 2 1.632, S 1.880; EP 1.74 s.n. (S. M. Stern ). Zu den biographischen und
autobiographischen Quellen für sein Leben und Wirken, insbesondere zu seiner
philosophischen Bildung, s. A. Dietrich, Dijferentia 100-113. — Auf die Neo-
platonica in seiner Metaphysik wies zuerst P. Kraus, Plotin chez les Arabes III hin.
1. die textzeugen 41
Abschliessend sei in einer Tabelle eine Übersicht über die Überlieferung der
Procliana gegeben, daran anschliessend ein Verzeichnis der Alexandertraktate (nach
den Nummern des Inventars bei Dietrich und van Ess ), die in den genannten Hand¬
schriften enthalten sind. In der ersten Spalte ist vermerkt, welche Traktate bei den
Bibliographen Ibn an-Nadlm ( Fihrist 252 f.) = F, al-Qifti ( Ta'rtx al-hukamä° 54 f.)
= Q, und Ibn Abi Usaibi c a ( c Uyün I 70 f.) = U bezeugt sind. — cAbdallatIf resü-
42 a: die textüberlieferung
miert nur die auch in Ms. C enthaltenen Texte, ist daher nicht eigens berücksichtigt.
Zu den griechischen Originalen der Alexandertraktate, soweit solche erhalten sind,
s.u. S. 64-66, 75.
Prop.1-3 u* G L Tk T
5 C
15 u* R Z C G LH Tk M D
16 u* Z G G LH Tk M D
17 u* R Z C G LH Tk M D
21 R C
54 R C
62,72-74 C
76,78,79 C
80,86,91 G
167, 167A C
1 F,U Z c G L M
2/3 z L H M
4 U z
5 z LH Tk M
6 U z G LH Tk M
z c**
z
t--
co
9 z
10 U z
11 F,Q_,U G
12 F,Q_,U G
13 F,d G H Tk M
14 U G
15 c G
16 F,QJJ c** G
17 F,d,U G
18 F,Q_,U c G
19 G L
* Ibn Abi Usaibi c a, c Uyün I 71.2, nennt propp. 15-17 als Einzeltitel; daneben
I 70 ult. den Titel der ganzen Kollektion ähnlich dem in Mss. G und LTkT gege¬
benen (vgl. unten S. 53).
** Als Teil der die Proklostexte enthaltenden Kollektion, eingeschoben zwischen
propp. 54 und 76.
1. DIE TEXTZEUGEN 43
20 U G LH Tk M
21 U c G LH Tk M
22 U G LH Tk M
23 U G LH M
24 F,Q_,U G LH Tk M
25 U G L Tk
26 U C
28 U C Tk[?]
29 U C
30 c
31 u L Tk
32 Q**
33 u Q**
34 u Q**
36 . F,Q_,U Tk
37 L H Tk M
1.3 Recensio
Zeugen ausser T) auf der anderen Seite, ferner für prop. 21 und 54
(mit G und R sowie c Abdallatif). Da alle Handschriften ausser T die
propp. 15-17 enthalten, lässt sich daraus aber für die Mehrzahl der
Textzeugen ein detailliertes Stemma ableiten. Diejenigen Handschriften,
welche propp. 15-17 (z.T. auch propp. 1-3) als selbständige Abhand¬
lung Alexanders bieten, stellen darin sowohl nach dem Textbestand
als auch nach der Textgestalt einen besonderen Zweig dar.
20propp. 0'
L Tk T L H M Tk
1058H 1075H 1086H
1068H 1069H 1079H 1075H
©
D
1266H
Vgl. Ibn Ab! Usaibi c a, c Uyün I 70 ult., unter den Werken des
Alexander von Aphrodisias:
oUÄ^ L>-jJy 4-~y J) ij i_jkS" \ji SJlÄ»
. ^JjÜ 4>ll (_3
(J V || ü J t ^ 1V || o J 4 j[ Jl« : ^ c öl \ 1
. Ü J i e-LiVI dlb ,y '- (7^ <■*■ig* ^ W*-* ^ || ^ J ' — •
und so fort, vgl. den krit. Apparat zu propp. 1-3. — L und T eigen¬
tümlich sind auch zwei in den Text eingedrungene Glossen:
. Cj Je iäJLLI + Op~yi ^Y || o J i 4jii ^Äj + <cjJI l 2
. cj l — : (J 1 ja £—f 2
. üi—: J ^ i <ut ^ || Cj c — ; J ^ i-b-lj || lüj tl_jil + : J ^ t 1 3
Die Schlussformel hinter prop. 3 ist gegenüber L erweitert:
. cj i <ül! ojxj [V] ^ : <J c jji" + ^ Y 3
. ^ j» J 4 »tgii ,/lT : j ^ ^ * 17
[12] Sonderfehler G x CRZLHM:
• £_' — : £TJ II t, ' • (f ö ' ^ 15
48 AI DIE TEXTÜBERLIEFERUNG
Die gemeinsame Vorlage von L und HM hatte eine Reihe von Les¬
arten in margine (durch das Siglum £ = zähir als Konjektur kennt¬
lich gemacht), die in L und M gleichfalls am Rande erscheinen, in H
jedoch z.T. für den Text der Vorlage substituiert worden sind:
t jJj $ Ji ^ (öi^.) ^ II (J j* J • f A ^ ^
. a c ^iuUI (j j» J ' ^ J c jJ : ^
. t L0L1 : (J ^ c bL' : A c (j tJ ^ ^
[15] Ms. D bietet alle unter [7], [9], [11], [13] angeführten Lesarten
der Gruppe LHM wie auch die unter [14] gegebenen Besonderheiten
von L. Darüber hinaus hat D eine Reihe von Sonderfehlern, vor allem
zahlreiche, z.T. umfangreiche Lücken durch Homoioteleuton:
. J c _ : ... j£j ^ ._A 15
. J i —: ... «jAJ£ SV || <■— : ... JÄÜI V—O 16
,Ji-: ts>^u ... Ujj 17
Die Marginalglossen des Exemplars von LHM (vgl. oben [13]) sind
in D mit dem Grundtext kontaminiert worden:
• 0* J- '• ü^. ^ II * '-3^" • jb 3 W || i : ^V 16
Ms. D ist daher als Kopie von L anzusehen und kann für die Her¬
stellung des Textes eliminiert werden.
Proclus - 4
50 A: DIE TEXTÜBERLIEFERUNG
J ^^ t(öl) jl \V || a c(^V—^ ^V 16
.A 4
älteren Subarchetyps (z .B. M gegen LG, G gegen ZR) bzw. des Arche¬
typs (z.B. Z gegen RC, G gegen ZC) als wertlos eliminiert werden
können. Solche Lesarten sind im apparatus criticus nicht aufgeführt worden. —
Ebensowenig wurden orthographische Eigentümlichkeiten berücksich¬
tigt.
So die übliche Vernachlässigung der hamza : Ms. C hat durchweg sai, muläyim,
liyan (für li-an\), aber bad' (fol. 63al8 = prop. 21 f) gegen badw der Handschrift R. —
Die Tehraner Handschriften verwenden drei Abbreviaturen: kk = ka-dälika, lä
mh.h = lä mahälata, h=hlna :'idin.
5 Prop. 167A — ohne Vorlage bei Proklos, aber mit prop. 167 eng zusammen¬
gehörig — wird hier nicht als besonderes Stück gezählt (s.u. S. 293).
52 A: DIE TEXTÜBERLIEFERUNG
a) Ibn an-Nadim (377 H.) führt unter den Werken des Proklos eine
Theologia auf:
Fihrist 252.16: Kitäb at-Tä(°u)lügiyä 6 wa-hiya r-rubübiya (danach
al-Qifti, Ta°rix al-hukamä 3 89.9).
Wir können dieser Notiz nicht entnehmen, ob ihm ein arabisches Buch
dieses Titels vorlag, oder ob er nur eine ältere Werkliste auswertete.
Letzteres ist gut möglich, zumal er keinerlei Angaben über eine syrische
oder arabische Übersetzung macht. Da Proklos zwei „Theologien"
verfasst hat — neben der Elementatio theologica die grosse Theologia
platonica —, können wir nicht einmal mit Gewissheit sagen, welches
Buch gemeint ist.
Auffällig ist indessen, dass bei al-Q^ifti auch unter den Werken des
Alexander von Aphrodisias eine „Theologie" genannt wird:
6 Dies die ältere Form der ar. Transkription, von gr. OeoXoyta; vgl. syr. te'ölögiyä
(Brockelmann, Lex. Syr. 813a). Vernachlässigung der hamza führt zu tälügiyä,
Metathese (in Anlehnung an die ar. Nominalform uf cüla?) zu utülügiyä (> tülügiyä).
2. AUTOR UND ÜBERSETZER NACH DER ÜBERLIEFERUNG 53
Der älteste Zeuge für diesen Titel ist aber der andalusische Philosoph
Ibn Bägga (gest. 533/1138, GAU- 1.601), der ihn in seinem Ittisäl al-
c aql bil-insän (S. 18 ed. M. Asln Palacios = S. 166 ed. M. Faxri) zitiert:
54 ai die textüberlieferung
fa-ammä l- c aql alladi ma c qüluhü huwa bi- c ainihi ... wa-käna 1-muh.arrik
flhi huwa l-mutaharrik bi- c ainihi wa-käna — c alä mä yaqüluhü
l-Iskandar fi kitäbihifi s-Suwar ar-rühäniya— rägi c an c alä nafsihi.
Aus dem Inhalt dieser Worte ergibt sich eindeutig, dass unser Text
(prop. 17) gemeint ist.
Nur die Mitteilung des Übersetzernamens überrascht; weder Ibn an-Nadlm noch
al-Qifti nennen ihn in Verbindung mit der Proklos oder Alexander beigelegten „Theo¬
logie". Dagegen wird Abü c Utmän ad-Dimasqi in einem Zweig der handschriftlichen
Überlieferung als Übersetzer genannt (s.u. § 2.1). Ist Häggl Xallfas Angabe also mehr
als eine Kontamination aus älteren Bibliographien (wie S. P ines, Une version arabe 201 f.
vermutet)? Keineswegs; vielmehr lässt sich der Zusatz schon in seiner Quelle nach¬
weisen. Wir wissen, dass ein bedeutender Zweig der handschriftlichen Überlieferung
von al-Qiftls TaPrix al-hukamä D bzw. vom Auszuge des Zauzanl (die Mehrzahl der
von M üller und L ippert für ihre Edition benutzten Handschriften) auf ein Exemplar
zurückgeht, in dem einige Blätter an falscher Seile eingebunden waren: Die Partie
37.1 1-41.4 ed. Müller/Lippert aus dem Aristoteles-Kapitel schloss daher an das Alexan¬
der-Kapitel (nach 55.2) an (s. L ippert in Ibn al-Qifti's Ta°rih al-hukamä :', Einl. S. 15;
vgl. schon S teinschneider, Ar. Übers. §48-49, S. 45f.). Die Worte wa-qad targama hädä
l-kitäb Abü z Utmän ad-Dimasqi (37.11-12) — mit denen der Artikel über die Topica
aufhört — folgten daher auf den letzten Titel der Werkliste Alexanders (55.2), eben
Kitäb at-Tä^ulügiyä, maqäla. Der so kombinierte Text steht wörtlich bei Häggl Xalifa,
der offenbar eine Qiftl-Handschrift derselben Familie benutzte. (Der gleiche Fehler
findet sich aus dem gleichen Grunde auch bei J. G. W enrich, De auct. graec. versionibus
278). Wir können also aus seiner Angabe keine weiteren Schlüsse ziehen.
2. autor und übersetzer nach der überlieferung 55
8 Ed. Badawi, Aristü 253-277; auch Ms. Carullah 1279, foll. 54a-58b ( Dietrich,
Differentia Nr. 1 S. 93f.).
9 R. fi r-Radd zalä öälinüs fi-mä ta cana bihi calä Aristü fi anna kull mä yataharrak fa-
innamä yataharrak c an mutaharrik, edd. N. Rescher & M. Marmura: The refutation by
Alexander of Aphrodisias of Galen's treatise on the theory of motion (1965) nach Mss. Carullah
1279, foll. 66b-69a (ohne den Schluss) und Esc. 2 798, 60a-69a (an: M.fi r-Radd calä
qaul öälinüs fi l-mumkin [fol. 59a-b], ohne den Anfang, zu ergänzen bei Dietrich,
Differentia S. 99 Nr. 28).
58 a: die textüberlieferong
10 Vgl. die Hinweise bei J. van Ess, Neue Fragmente 166, Jüngere Orientalist.
Lit. 345 o. Griechisch erhalten ist ein neuplatonischer Kommentar zu Aristoteles'
c) Die Evidenz der Überlieferung reicht also nicht aus, den Über¬
setzer der Proklostexte mit Sicherheit zu bestimmen, ebensowenig aber,
die Urheberschaft Abü c Utmäns von vornherein abzuweisen. Wir
müssen daher versuchen, die Frage nach dem Übersetzer auf Grund
von Sprache und Übersetzungstechnik der Texte zu klären. Wir
werden im folgenden Kapitel zu untersuchen haben, ob die Proklostexte
und die gemeinsam mit ihnen überlieferten Alexandertraktate auf Grund
innerer Evidenz vom gleichen Übersetzer stammen können wie der Abü
c Utmän zugeschriebene Kaläm al-Iskandar ; und wir werden andererseits
12 Im explicit S. 308 ergänze wa-faraga minhu vor dem Datum der Abschrift (Ms.
fol. 119a). Zur M.fl l-Fusül s.a. unten S. 76.
2. autor und übersetzer nach der überlieferung 61
Ausser den in Ms. Z enthaltenen werden Abu c Utmän noch folgende Versionen von
Schriften Alexanders zugeschrieben:
[1.] Ms. Esc. 2 798 (= G): M.fl l-Laun. (S.u. S. 64 Nr. la.)
[2.] Ibid.: M.fl anna n-Nusü? wan-namä* yakiinän fi s-süralä fil-hayülä. (Foll. 101b-
102a. Dietrich Nr. 19; auch Ms. L, s.o. S. 37.)
[3.] Ms. Carullah 1279 (= G): R.fi l-Istitä°a. (Foll. 50a-51a. Dietrich Nr. 25.)
[4.] Ibid.: R. fi r-Radd calä öälinüs ilx. (Foll. 66b-69a. Dietrich Nr. 28; edd. N.
Rescher & M. Marmura 1965 [s. o. Anm. 9]). Die Angabe über den Übersetzer lautet
(fol. 66b22): naql Abi c Utmän ad-Dimasgi. Die Herausgeber lesen ilä statt abi (was trotz
Anm. 1 S. 23 keinen Sinn ergibt) und nennen daher den Übersetzer irrtümlich c Utmän
ad-Dimasql (S. 15).
[5.] Eine zweite Übersetzung der M. fi Mabädi D al-kull ; s.o. Anm. 11.
[6.] Ms. Taskent 2385 (= Tk): M.fl rfikäs al-muqaddamät. (Kat. Nr. 1963,
foll. 403b-409a. Van Ess Nr. 36, S. 153.)
B
DIE SPRACHE DER PROKLOSVERSION
UND IHRE STELLUNG IN DER
GRIECHISCH-ARABISCHEN ÜBERSETZUNGSLITERATUR
0.1 Vorbemerkung
Die Übersetzer dieser Werke sind zum Teil bekannt. Die Ermittlung
zahlreicher Parallelen wird es uns daher ermöglichen, die Proklos¬
version chronologisch in die Gruppe der älteren Bagdader Ubersetzungs¬
literatur (d.h. in die erste Hälfte des 3./9. Jahrhunderts) einzuordnen.
Bekannt ist auch die Rolle, die der Philosoph al-Kindi als Anreger und
Bearbeiter dieser Übersetzungen spielte; dass auch die Terminologie
seiner eigenen Schriften diese Verbindungen widerspiegelt, werde ich an
einigen Beispielen zeigen (s. S. 84 f., lOlflf.). — Obwohl allein die enge
sprachliche Zusammengehörigkeit der Proklostexte mit dieser Gruppe
die Zuschreibung der Version an Abü c Utmän ad-Dimasqi in Frage
stellt, schien es angebracht, auch die Gegenprobe zu machen. Es wurden
darum aus vier weiteren Texten, die nach gut bezeugter Überlieferung
von Abü c Utmän übersetzt sind, soweit möglich die den charakteristischen
Termini unserer Texte entsprechenden Ausdrücke zusammengestellt.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung für die absolute und relative
Chronologie der betrachteten Versionen, die zur Orientierung bereits
hier angedeutet wurden, sind am Ende des Kapitels dargestellt. Über
diesen engeren Skopos hinaus hat aber die ausführliche Behandlung der
Terminologie einen weiteren Zweck. Die Geschichte der griechisch¬
arabischen Übersetzungsliteratur ist zugleich die Geschichte der Heraus¬
bildung einer philosophischen Terminologie im Arabischen, d.h. der
Sprache der arabischen Philosophie. Fragen wir nach den problemge¬
schichtlichen Etyma dieser Philosophie, so werden uns ihre Begriffe, und
das heisst: der sprachliche Ausdruck, an dem die Begriffe hängen, stets
erster Wegweiser sein. Auch in ihren weiteren Ausformungen werden die
antiken Quellen der arabischen Philosophen zutage treten, wenn wir
ihre sprachlichen Zeichen, aufgehoben in den Werken der Übersetzer,
zu erkennen wissen. Die folgenden Untersuchungen, ebenso wie die
detaillierten Glossare, sollen daher nicht nur die Überlieferungsge¬
schichte der behandelten Texte erhellen, sondern zugleich als Vorarbeiten
für eine Problemgeschichte der arabischen Philosophie dienen.
werden die mit der Proklosübersetzung verwandten Texte mit dem Zeichen 1} para¬
phiert, die Übersetzungen des Abü c Utmän ad-Dimasqi mit dem Zeichen A.
64 B: DIE SPRACHE DER PROKLOSVERSION
Abk. : I 8 — Süra.
c) Quaest. 112 ~&c, olov ts ocfxa tov «utov rßeaQai xai Autcsocj Oou si svavTta
raÜTa (24.23-25.17 ed. Bruns)
h) Quaest. II 15 71:0? Xsyofxev vr)v ocÜ ty)v Suvajjuv afxa twv evävticov elvai
(59.25-60.31 ed. Bruns)
= M.fi anna l-Qüwa al-wähida yumkin an taküna qäbila lil-addäd gamic an
c alä ra°y Aristütälis (Dietrich Nr. 6 S. 95, van Ess S. 150).
Proclus - 5
66 b: die sprache der proklosversion
j) Risälafi l-Fasl xässatan wa-mä huwa (Dietrich passim, vgl. van Ess
S. 154-159). — Zur Frage des Übersetzers s.a. S. M. Stern: A collection
of treatises by c Abd al-Latif al-Baghdädi (1962), S. 68; Ar Üb De Caelo 124 f.
Vgl. unten S. 76 zur Version des Abü c Utmän ad-Dimasqi (A 3b).
Text: Ed A. Dietrich: Die arabische Version einer unbekannten Schrift
des Alexander von Aphrodisias über die Differentia specifica (1964), S. 122-128.
Abk.: Fasl. Zitate nach Zeilen der Edition.
k) M.filbtäl qaul man qäla innahü läyakün saP illä min sai° wa-itbät anna
kull sai 3 innamäyakün min lä sai° (Dietrich Nr. 16 S. 97, van Ess S. 151).
Text: Ms Carullah 1279, foll. 64b21-65a27 (s.o. S. 34).
Abk.: Ibtäl.
in Buch A) verbot es sich aber, nach diesem Text zu zitieren. Ich habe
mich daher damit begnügt, die Stellen des griechischen Textes nach
B ekker anzugeben; auch die arabischen Entsprechungen werden
sich danach in einer künftigen (von mir vorbereiteten) Edition leicht
auffinden lassen. Die Zitate beruhen auf einer Herstellung des arabischen
Textes nach allen bekannten Handschriften.
f 3. P lotiniana arabiga
Teile von Plotins Enneades IV-VI sind in einer z.T. stark erweiterten
und kommentierten Paraphrase ins Arabische übertragen worden,
überliefert in drei verschieden grossen, aber nach Sprache und Inter¬
pretation homogenen Texten bzw. Textgruppen: Der sog. Theologia
Aristotelis (Utülügiyä ) in zehn Büchern; einer kleineren, dem Färäbi
beigelegten Risäla fi l- c Ilm al-ilähi ; schliesslich einer Anzahl kürzerer
Fragmente, die als dicta des „griechischen Lehrers" ( as-Saix al-Yünäni)
bezeichnet werden.
a) Theologia Aristotelis
Die arabischen Handschriften tragen folgenden Titel: Kitäb Aristä-
tälis al-musammä Utülügiyä wa-huwa qaul c alä r-rubübiya, fassarahü Furfüriyüs
as-Süri „Buch des Aristoteles mit Namen Theologia, d.i. Rede über die
Gottheit, kommentiert von Porphyrios aus Tyros."
Die Nennung Porphyrs, des Herausgebers der Enneaden, als „Kommentator" der
Paraphrase, hat Veranlassung gegeben, nach Beziehungen zwischen seinen Schriften
und den Interpretamenten der Theologia Aristotelis zu suchen. V. Rose , DLZ 4 (1883)
843-46 hatte die Vorrede Porphyrios zugesprochen; W. Kutsch: Ein arabisches
Bruchstück aus Porphyrios < ?> IIspl und die Frage des Verfassers der „ Theologie des
Aristoteles" (1954), S. 277 ff. stützte diese Ansicht mit weiteren Gründen und verwies
auf die Bezeichnung Porphyrs als 7rpeaßuTY)i; oder yspcov Tupio«; bei späten Neuplato-
nikern: vielleicht ist er und nicht Plotin selbst der -Saix al-Yünäni. P. Kraus: Plotin chez
les Arabes (1941), S. 267 Anm. 3 identifizierte die dem ersten Buch vorangestellten
argumenta als die Kephalaia Porphyrs zu Enn. IV 4:1-34; und jüngst wies wieder
P. Thillet: Une page de Plotin et son commentaire dans la Pseudo-Theologie d'Aristote (1968)
auf inhaltliche Parallelen zwischen Theol. Arist. 2 §§73-99 und Schriften Porphyrs hin. 1
1 Zwei neue Beiträge zu diesem Problemkreis wurden mir erst während der
Drucklegung durch die freundliche Mitteilung von Herrn Professor Pines bekannt:
S. Pines: Les textes arabes ditsplotiniens et le courant «Porphyrien» dans le neoplatonismegrec,
in: Le Neoplatonisme(Colloques internationaux du Centre National de la Recherche
Scientifique. Sciences humaines. Royaumont 9-13 juin 1969). Paris 1971, S. 303-317;
P. Thillet: Indicesporphyriens dans la Theologie d'Aristote, ibid. S. 293-302.
0.2 zum vergleich herangezogene texte 69
Trotzdem bleiben Bedenken dagegen bestehen, in Porphyrios geradezu den Autor der
griechischen Vorlage der Theologia (einer ©soXoyla xax' 'ApioTOTeX^v?) zu vermuten;
wahrscheinlich steht diese späte Paraphrase erst am Ende einer Schultradition, die in
Porphyrios ihren Archexegeten anerkannte(s. a. unten S. 241). Das braucht uns nichtzu
hindern, vor der syrischen Vorlage des arabischen Textes (s.u.) ein griechisches Substrat
anzunehmen, welches nicht den „kanonischen" Enneadentext voraussetzt, sondern an
ältere Überlieferung anknüpft (vgl. schon P. Henry: Vers la reconstitution de l'enseignement
oral de Plotin. 1937). R. Walzer ( EI 2 s.n. Furfüriyiis) sieht „every likelihood that it must
ultimately somehow be connected with Porphyry's explanations of the Enneads (Ü7ro[j.vr)-
[xaTc. and xeqxxXcaa) whichhe mentions in §26 (1.29ff.) ofhis biography of Plotinus." Eine
eingehende Analyse des Inhalts, die hier mehr Klarheit schaffen könnte, steht jedoch
noch aus. 2 — Zur weiteren Bibliographie s. R. M. Frank: The origin of the Arabic philo -
sophical term (1956), S. 185 A. 3; J. van Ess: Jüngere orientalistische Literatur zur
neuplatonischen Überlieferung im Bereich des Islam (1965), S. 334-339; P. Henry&H .-R.
Schwyzer: Plotini opera II (1959), S. XXVI-XXXVI. — Zu einer längeren Fassung
mit Zusätzen ismä c Ilitischer Prägung s. S. Pines: La longue recension de la Theologie
d'Aristote dans ses rapports avec la doctrine ismaelienne (1954); S. M. Stern: Ibn Hasdäy's
Neoplatonist (1960-61).
2 Dass neuplatonische
.Lehre der Art, wie sie in Theol. Arist. erscheint, bereits bei
einem islamischen Theologen der ersten Hälfte des achten Jahrhunderts wirksam war,
zeigt in einer bedeutsamen Studie R. M. Frank: The Neoplatonism of Gahm ibn Safwän
(1965).
70 b: die sprache der proklosversion
(1958). — Eine englische Übersetzung, die auf einer neuen (noch unveröffentlichten)
Herstellung des Textes beruht, gibt G. L. Lewis in: Plotini opera, edd. P. Henry et
H.-R. Schwyzer . T. II (1959) gegenüber den entsprechenden Seiten des Griechischen.
Daselbst S. XXVIIIf. eine Übersicht der wichtigsten Handschriften. Weiteres Hand¬
schriftenmaterial ist aus den neueren Katalogen Tehraner Bibliotheken bekannt
geworden.
117 hikma, pp. 2-15, und Istanbul, Carullah 1279, foll. 136a-140a) dem
P. Kraus: Plotin chez les Arabes (1941) gab eine erste Teiledition mit kommentierter
Übersetzung. F. Rosenthal : From Arabic books and manuscripts.V (1955), S. 19a, wies
auf die Hs. Carullah hin.
c) as-Saix al-Yünänl
Stellenangaben aus der Inst, theol., wie auch sonst, nach propositio: Seite,
Zeile (ed. Dodds ), aus dem Liber de Causis [LdQausis ] entsprechend nach
bäb: Seite, Zeile.
3 S. jetzt aber Helmut Gätje : Studien zur Überlieferung der aristotelischen Psychologie
im Islam (Saarbrücken 1971), S. 45-53 ; leider konnte ich seine Überlegungen zur
Frage nach dem Autor bzw. Übersetzer des Kompendiums nicht mehr berücksich¬
tigen.
72 b: die sprache der proklosversion
Vgl. R. Walzer: New light on the Arabic translations of Aristotle (1953), S. 125 f. zur
Terminologie; M. S. H asan: Notes on the Edition of the Kitäb al-Nafs ascribed to Ishäq ibn
Ifunain (1956) zu einer persischen Version des 13. Jahrhunderts.
Die Handschrift nennt Ishäq ibn Hunain als den Übersetzer der
Epitome (die persische Version macht keine Angabe). R. Walzer hat
0.2 zum vergleich herangezogene texte 73
4 R. M. F rank hat nachgewiesen, dass diese, von B adaw ! als Version des Ishäq
bezeichnete, Übersetzung gleichfalls älter sein muss. Die echte Version des Ishäq ibn
Hunain ist bislang nur fragmentarisch in den Lemmata der tcfliqät Avicennas erhalten
(B adawi, Aristü 75-116); s. F rank: Some fragments of Ishäq's translation of the De Anima
(1958-59). Dazu jetzt auch H. G ätje, Studien (s. o. Anm. 3), S. 28-44. — Vgl. unten
S. 106.
5 Wenn der GAL S 1.363 f. genannte Übersetzer der Geoponica (des Ps.-Apollonios:
S ezgin, GAS 4.315) derselbe Eustathios ist, lebte er bereits um 800.
74 b: die sprache der proklosversion
Ausführliche Angaben zur Überlieferung in der Notice zur Edition von M. Bouyges.
Vgl. auch R. Walzer: On the Arabic versions of books A, a, and A of Aristotle's Meta-
physics (1958). Zur Annahme einer griechischen Vorlage s. Bouyges, Notice CLXXVI;
R. M. Frank: The origin of the Arabic philosophical terra (1956), S. 188 Anm. 4.
Tf 7. al-Kind!
0.22 Belege für die Terminologie des Abü c Utmän ad-Dimasqi habe
ich seinen folgenden Übersetzungen entnommen:
Ibn an-Nadim, Fihrist 253.16: K. al-Madxal ... naql Abi c Utmän ad-
Dimasqi ; vgl. Badawi, Mantiq Aristü, Tasdir 23 und das Kolophon der
Pariser Handschrift ebenda S. 1068. Der in der Pariser Handschrift
verlorene Anfang (entspr. p. 1.1-19 ed. Busse) ist im Kommentar des
Abü 1 -Farag ibn at-Taiyib erhalten; s. S. M. Stern: Ibn al-Tayyib's
Commentary on the 'Isagoge ' (1957).
Text: Ed Badawi, Mantiq Aristü 1021-1068.
Stellenangaben des griechischen Textes nach der Edition von A. Busse.
Comm. in Arist. graeca 4.1 (1887).
Der zweite Teil des von Dimasqi (nach dem Zeugnis der Handschrift
Zähiriya 4871) übersetzten Textes geht auf dieselbe Abhandlung
Alexanders zurück wie die zur ersten Gruppe gehörige R.fi l-Fasl (oben
S. 66 [j]). Sie ist jedoch gegenüber der dort erhaltenen Fassung stark
erweitert (dazu mit Marginalnoten des Abü Bisr Mattä, des bekannten
Logikers des 10. Jahrhunderts, überliefert). Die kürzere Fassung — deren
Textbestand sich ziemlich lückenlos, nur eben in anderer Übersetzung,
aus der M. fi l-Fusül zusammenstellen lässt (s. Dietrich S. 136-143,
van Ess 155) —stellt wahrscheinlich nicht eine Epitome der längeren dar,
sondern wurde vom Autor in dieser Form abgefasst. Die Zusätze der
M. fi l-Fusül sind zum Teil kommentierende Anmerkungen, die auch
vom Autor der Marginalglossen, Abü Bisr Mattä, stammen können.
Text : Ed Badawi, Aristü 295-308.
Abk.: Fusül.
1. Zur Terminologie
Behandelt sind Termini, die für die Proklostexte und die ihnen
nahestehenden Übersetzungen als charakteristisch gelten können; also
Termini, die in anderen Übersetzungen nicht oder in abweichender
Bedeutung gebraucht werden. Eine Reihe weiterer, z.T. recht häufiger
Ausdrücke, wie z.B. fi c l alvepysia.», qüwa «Suvafi,!.?», infi c äl und atar amy.OoQ»
(s. aber§2.11a, S. 157), saxs ««to[aov» (s . S. 277, Anm. 3), die sowohl hier
als auch in zahlreichen anderen Texten in einhelligem Gebrauch sind,
wird daher nicht mit aufgeführt; für ihre Verwendung im Kontext
der Proklosübersetzung gibt das Glossar hinreichende Auskunft. (Vgl.
auch S. 268, Anm. 11 zu hadd ~ Xoyo?, S. 275, Anm. 1 zu kulliya ~ oXov.)
1. ZUR TERMINOLOGIE 1.01 (ü|) 77
Die Wörter sind nach der alphabetischen Folge der arabischen Wurzeln angeordnet.
Eine Reihe von sinnverwandten Ausdrücken ist zu Gruppen zusammengefasst; von
dem in der alphabetischen Folge angeführten Wort wird dann auf die Wurzel verwiesen,
unter der es behandelt ist. Zur Erleichterung von Querverweisungen sind die einzelnen
Paragraphen, innerhalb der Paragraphen wieder die einzelnen Beispiele durchgezählt.
— Die in der Proklosübersetzung vorkommenden Termini und deren griechische
Entsprechungen werden nur in knappster Form gegeben; tritt ein Wort bzw. eine gr.-
arab. Entsprechung in einer propositio mehr als einmal auf, zeigt die eingeklammerte
Zahl die Frequenz an. Ausführliche Angaben bringt das Glossar. — Eckige und runde
Klammern sind wie im Glossar verwandt worden, um ergänzten bzw. erläuternden
Kontext in den zitierten Stellen anzuzeigen (s. die Vorbemerkung zum Glossar).
1.01 a) am (i>T)
add.: 167 A
bi-annahü
\ rt 7' if C
TO SV Y)£V J
To TcXvjöoi; f) 7tXt)0oc 5
xa0ö cöfita 80
annixja
T6 EI voci. 76
— 76
(aUToev) 2
add.: 21 (3)
b) huwiya
öv 73 (9), 74 (4), 86
add.: 21
add.: 73 (2)
TO OVTCÜ? 'OV
c) wugida
UTOXpXSl 21
ucptaraciOai 5
78 b: die sprache der proklosversion
d) aisaxlaisa
e) £«wrc, takwin
f) gauhar
g) ^
sauTo? passim
Literatur : a) Tj. de Boer: Anniyya, in: S/ 1 Erg. 26 (1938). A.-M. Goichon: Lexique
(1938), S. 9 no. 27; La Philosophie d'Avicenne (1944), S. 78; Ibn Sind, Livre des directives et
remarques (1951), S. 304-307. P. Kraus: Plotin chez les Arabes (1941), S. 291. Abü Rida:
Rasä^il al-Kindi (1950), I 97 Anm. 1. R. M. Frank: The origin oj the Arabic philosophical
termz.i\ (1950). M. Alonso: La al-Anniya de Avicenna (1958). A. Altmann & S. M. Stern:
Isaac Israeli (1958), S. 13 ff. M.-Th. d'Alverny: Anniya — Anitas (1959). S. van den
Bergh: Anniya, in: EI 2 1.513 (1960). S. Afnan: Philosophical terminology (1964), S. 94-97;
Philosophical lexicon (1969), S. 12. — D'Alverny und Frank geben Übersichten über
die bisherige Diskussion des Terminus mit weiteren Literaturangaben.
b) A.-M. Goichon: Lexique (1938), S. 411 no. 735; Huwiyya, in: EP3.644 f. (1968).
P. Kraus: Plotin chez les Arabes (1941), S. 291. R. M. Frank: The origin (1956), S.
188 Anm. 4. A. Altmann & S. M. Stern: Issac Israeli (1958), S. 13 ff. S. Afnan:
Philosophical terminology (1964), S. 122 f.; Philosophical lexicon (1969), S. 324.
1. zur terminologie 1.01 ( ol ) 79
Die beiden unter (f) und (g) genannten Termini, gauhar «oücna» und dät in der
Bedeutung «eauTo?» (dies vor allem in der Verbindung bi-dälihi «y.a0' aü-ro») sind in
der gesamten gr.-ar. Übersetzungsliteratur eingebürgert. Ich habe daher im folgen¬
den auf weitere Parallelen und Belege weitgehend verzichtet. — Zu prop. 5 x i min
gihat ad-dätxmin gihat al- c illa s. S. 213 f. u. S. 258, Anm. 10.
An zwei Stellen der Proklosübersetzung finden wir sai D „etwas (Seiendes)" als
Entsprechung von gr. ov (s. Glossar s.v.), dies auch in Theol. Arist. und Met. häufiger
Sprachgebrauch, doch ohne den Stellenwert eines spezifischen Terminus. Vgl. R. M.
F rank: The Neoplatonism of öahm ibn Safwän (1965), S. 398 ff. mit Anm. 14.
Seit Ishäq ibn Hunain hat die gr.-ar. Übersetzungsliteratur und nach
ihr die arabische Philosophie vornehmlich drei Wortstämme für die
Begriffe des Seins, des Wesens und des Werdens herangezogen: wugida
„vorfindlich sein" in al-wugüd &tö slvou», al-maugüd «tö ov»; mä „was" in
mä huwa « (to) zl lern», al-mähiya «tö ti lern», « tö ri fjv slvai»; schliesslich
käna „zum Sein gelangen" in kaun «ysvecti,?)), kä°in «yiyvofxevot;)).
(Vgl. die Glossare zu den ar. Versionen von Aristoteles, Cat. ed.
Georr, De Int. ed. Pollak, Met. a! ed. Bouyges.) Diese Wörter sind schon
bei den älteren Übersetzern in Gebrauch, hier jedoch noch nicht als
Terminus durchgesetzt. Dort, wo das Sein, das Wesen und das Werden
zum Gegenstand philosophischer Betrachtung erhoben sind, finden wir
dagegen bei ihnen eine Reihe eigentümlicher Termini, die zwar
nachmals nicht gänzlich ausser Gebrauch kamen, doch einerseits als
Instrumente der Übersetzer seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts
an Bedeutung verloren und andererseits, soweit sie im Sprachgebrauch
der arabischen Philosophie verblieben, neue Konnotationen annahmen.
Diese Termini — vor allem anniya, huwiya und aisa ( X laisa ) — sind für
die Proklostexte und alle weiteren Vertreter der von uns betrachteten
Gruppe charakteristisch; zugleich enthält diese Gruppe die wichtigsten
Repräsentanten dieser Terminologie. 6
6 Zu weiteren Belegen für anniya in einigen anderen Texten der älteren Uberset¬
zungsliteratur s. u. S. 105 ff. — Aber auch ausserhalb der Übersetzungsliteratur ist
der Terminus schon früh bezeugt. Auf die Mu c tazila der zweiten Hälfte des 8. Jahr¬
hunderts um Dirär ibn cAmr u. a. führt ein Testimonium bei Naswän ibn Sa c id
al-Himyari, al-H.ür al- Qin (ed. Kamäl Mustafa, K. 1948), S. 148.5-8 : wa-qäla Abu.
Ifanlfa wa-Dirär ibn QAmr wa-man qäla bi-qaulihimä...: lan yaküna sai° maugüd ill&wa-
lahü anniya wa-mä°iya [sie leg. pro m^nyli], wa- c ilmuka bil-annlya gair c ilmika bil-mä^lya;
wa-dälika an tasma^ as-saui fa-ta c lam anna lahü masauwitan wa-taghal mä huwa, fa- c ilmuka
bi-mä huwa gair c ilmika bi-anna lahü musauwitan. (Vgl. J. van Ess in Der Islam 43.278
[1967].) Als von ,,Dass" (anna) und „Was" (mä) abgeleitete Abstrakta vertreten
anniya und mä'iya hier in klarer Trennung die beiden Aspekte von „sein", „Dasein"
und „Sosein" (vgl. unten S. 84).
80 b: die sprache der proklosversion
Ihr Gebrauch ist nicht für alle Texte einheitlich und auch innerhalb
der Texte nicht völlig konsistent. Trotzdem möchte ich versuchen, an¬
hand einiger oppositioneller Paare die Grundbedeutungen wie folgt zu
gliedern:
a) t 6slvat : tö ov ~ al-annlya : al-huwiya
b) zivc/.i (obcXöc;) : s lvm ts ti ~ annlya : mä huwa, mählya
c) (to ti ^v ) elvai : utrap^i? ~ (mä huwa bil-) annlya: wugüd
d) slvat, : fxvj sivai ~ aisa : laisa
e) U7t«pxsi.v : yiyveaOca ~ wugida : käna, kuwwina,
takauwana
Die Wörter der beiden letztgenannten Paare sind in recht konse¬
quentem und übereinstimmendem Gebrauch. Der Neologismus aisa,
der wie sein Gegenstück laisa gern substantiviert wird (prop. 3 v,
vgl. unten Nr. 5, 127 f.), ist wohl Analogiebildung zu syr. it X lait. 7 —
Käna steht dort, wo es auf eine genaue Differenzierung zwischen „Sein"
und „Werden" nicht ankommt, auch für die Kopula; demgegenüber
präzisiert des Passiv der II. Form (zuweilen auch die reflexive V. Form)
die Bedeutung „werden" (yJyvEaOat,) . Für die Partizipien finden wir nur
part. pass. II (mukauwan~ yevyjTo?) und part. V (mutakauwin~yt.Yv6y.svoc;,
yevo(xsvot;); später wird sich auch kä°in ~ Y(.yv6[xevoi;, ysv/jTot; einbürgern,
da die Opposition kä°in X mukauwan mit zunehmendem Gebrauch von
yügad, maugüd abundant wird.
Eine Reihe von Problemen werfen dagegen Ableitung, Form und
Bedeutung der Neologismen annlya 8 und huwlya auf. Beide weisen sich
prima facie als Abstraktbildungen aus: annlya von der Konjunktion anna
„dass, otl", huwlya vom Pronomen huwa „er, es, ccuto (?)" gebildet. Nun
finden wir zwar in der Tat annlya in der Bedeutung „Dassheit, Existenz"
neben al-ann « to öti » (Nr. 90) und huwlya in der Bedeutung „Identität",
«TauTOTT]?» (Nr. 63 aus Theol. Arist., vgl. aber huwa huwa der Metaphysica
7 aisa soll eine Prägung des frühen Philologen al-Xalil ibn Ahmad (gest. um 175/
791) sein; s. I. Madkour in: Ibn Slnä, as-Sifä 3 [3.] al-Ilähiyät (1960), Intr. S. 18 o.
(nach al-Firüzäbädl: al-Qämüs al-muhit. Büläq 1344, 2.150). Ausserhalb der philoso¬
phischen Sprache kommt es nur in einigen formelhaften Wendungen vor und stellt
jedenfalls eine Rückbildung aus laisa dar, die auch nach der Weise ähnlicher semi¬
tischer Reimwortbildungen entstanden sein kann; s. F. Rundgren: Über Bildungen
mit s/s- und n-t-Demonstrativen im Semitischen (Uppsala 1955), S. 121.
8 Zur Vokalisierung anniya s. u. S. 85 ff.
1. ZUR TERMINOLOGIE1.01 (ö\) 81
Nr. 124 ff.). Doch ergibt unsere Belegsammlung, dass weder der Bedeu¬
tungsumfang noch — im Falle von havuiya — die Standardbedeutung der
Termini, so wie sie sich nach der griechischen Vorlage und nach dem
arabischen Kontext in den von uns herangezogenen Schriften ergeben,
aus diesen Etyma ableitbar sind: al-huwlya steht in der Regel für gr.
To ov, nicht nur für die kollektive Totalität der seienden Dinge (prop.
74 o, v, vgl. unten Nr. 57, 114 ff.), sondern auch für das je-einzelne
Seiende (ov ti prop. 73 vgl. Nr. 60, 85 ff, pl. huwiyät Nr. 113),
und es kann überdies häufig für to elvai eintreten; al-annlya hat die glei¬
che Bedeutungsbreite wie gr. to eZvai — absolutes und relationales
Sein —, wird aber wiederum auch im gleichen Sinn und Kontext wie
al-huwlya «to ov » gebraucht (evident im Plural anniyät «övtoc »), das heisst,
es umfasst das ganze semantische Feld der ersten drei Begriffspaare (a-c)
unserer Tabelle. Vor allem in den neuplatonischen Texten (Theol.
Arist. und LdCausis) werden anniya und kuwiya fast synonym gebraucht,
mit der Einschränkung, dass huwiya seltener i.S.v. slvat, anniya häufiger
i.S.v. ov verwandt wird. (Zu Inst, theol. ar. prop. 21 Y"\ , wo die Erste Ursache
anniya, gegen 21 r r 73 i a 74 ^ r wo sie huwiya genannt wird, s.S.208.) Auch
al-ann, in der Verbindung bi-annihifa-qat «ocutco tw slvat» vom Übersetzer
derPlotintexte i.S.v.,,Sein schlechthin"gebraucht (s. Nr. 27 ff), bezeichnet
daneben „das Seiende" in Aussagen über das höchste Wesen (s. Nr. 24-26).
Am regelmässigsten ist der Gebrauch von anniya, huwiya bei Ustät; aber
auch in dessen Version der Metaphysica wird huwiya zuweilen zur Wieder¬
gabe von gr. to slvat. herangezogen (s. Nr. 119-121), also von anniya nicht
streng unterschieden. Wollen wir „Grundbedeutungen" erschliessen,
die mehr als statistischen Wert haben, so anhand der Stellen, wo die
Termini nebeneinander gebraucht und voneinander durch den Kontext
differenziert werden: Es ergeben sich dann die oben genannten opposi¬
tionellen Paare.
Zwei Fragen bleiben also ungeklärt: 1. Während der Bedeutungs¬
zusammenhang zwischen anna «öti » und al-annlya «to stvai» einsichtig ist,
bleibt unklar, warum zur Bezeichnung des Seienden, selbst des individu¬
ellen Seienden, to ov , das Abstraktum huwiya gewählt wurde. — 2. In den
griechischen Texten, den aristotelischen wie auch vielfach in den
neuplatonischen, sind to slvai und to ov meist so klar differenzierte Begriffe,
dass wir noch hinter den Äquivokationen der Übersetzer (auch dort,
wo in Additamenten und Paraphrasen die unmittelbare Vorlage nicht
Proclus - 6
82 b; die sprache der proklosversion
Richard M. Frank hat beide Fragen durch Hinweis auf die Termi¬
nologie der griechisch-.n/meA® Übersetzungen sehr einleuchtend beant¬
wortet: 1. huwiya lässt sich als Transliteration von syr. häwyä „seiend"
erklären; dasy des ar. „Abstraktformans" wäre also das stammhaftey des
syr. Verbums hwä „sein". ( Frank, The origin 198 Anm. 4; vgl. S.
193 Bsp. A, S. 194 Bsp. G für häwyä aro ov» in der syr. Version von Ps-.
Dionysios, Dio. nom .) — 2. Die syrische Version von Ps.-Dionysios
Areopagita, De divinis nominibus (Ms. Br. Mus. Add. 12151), die beiden
Übersetzungen der aristotelischen Categoriae von Georg dem Araberbi¬
schof (ed. R.J.H. Gottheil 1892-93, G. Furlani 1933) und Jacobus
von Edessa (ed. Kh. Georr 1948) und die der Hermeneutica (ed. J.G.E.
Hoffmann 1873, G. Furlani 1933) zeigen bei der Wiedergabe von gr.
to ov und to slvai folgendes Bild (s. die Zusammenstellung bei Frank,
The origin 198): to slvca heisst (neben häy d-nehwe) häy d-itau 9 oder häy
d-iteh „(die Tatsache) dass etwas ist" mit dem neutrischen Pronomen
der 3 .sg.f. ( Nöldeke, Syr. Gr. 201), eine Abstraktbildung, als deren
Äquivalent sich ar. annlya gut auffassen lässt. to ov heisst nun sowohl
hau d-itau „das, was ist" mit dem maskulinen als auch häy d-itau, häy
9 Vgl. jetzt auch H. Drossaart Lulofs, Nicolaus Damascenus on the philosophy of
Aristotle 79.19 (B. III, Fr. 23 §2): zelltä d-häy d-itau ~ Arist., Met. 1017bl4 ai/nov toü
slvoa; 60.11-12 (B. I, Fr. 2 §3): resä d-häy d-itau meddem <«xpxr) toü elvca ( tivo?)».
1. zur terminologie 1.01 (o|) 83
viel exakter, und zum anderen ist al-ann (al-auwal ) im Gebrauch der ar.
Plotiniana Bezeichnung des Schöpfers, also 6 wv als Gottesname. Dagegen
steht bi-annihi synonym neben bi-anniyatihi (s. Nr. 27, 28, 31); auch der
Liber de Causis gibt tco slvai stets durch bi-anniyatihl wieder (s. Nr. 73 ff.).
Als syrische Entsprechung steht hier nur fem. ( b-)häy d-itau zur Verfügung;
da aber bi-annihl stets von der evspysia des Schöpfers prädiziert wird,
können wir annehmen, dass der Übersetzer diese Form erst im Anschluss
an al-ann bildete: Die Äquivokation al-anniya ~ to Öv I tö slvai, die wir im
Sprachgebrauch des Übersetzers voraussetzen können, wird analog mit
al-ann ~ 6 wv | (aü-rö) to slvai wiederholt.
Neben absolutem bi-annihi stehen Ausdrücke wie al-wähid bi-annahü wähid «tö £v
ev» (prop. 5 vr)> aber in deutlichem Kontrast: s. R. al- zIlm al-ilähi 105:174.17-18
(unten Nr. 31) al- c agl... läyaf cal bi-anniyatihi läkinnahiiyaf cal bi-annahü z aql, 107:174.20
al-fä c il al-auwal ... yaf°al bi-annihi fa-qat. —Den absoluten Ausdruck ebenso bi-annahü
zu lesen (wie F rank 201 vorschlägt), ist auch aus grammatikalischen Gründen bedenk¬
lich: bi-annahü «fj, xa0'» ö erfordert ein (mit dem Subjekt identisches) Prädikat. B adaw I
vokalisiert bi-unnihi, da er unn als Transliteration von öv auffasst; aber öv gibt in dieser
Verbindung keinen erkennbaren Sinn.
Das aristotelische tö tl •fjv slvai wird in der arabischen Metaphysica-
Version wörtlich durch mä huvoa bil-anniya (und ähnliche Ausdrücke, vgl.
Nr. 102-110) wiedergegeben: anniya vertritt hier elvai (zuweilen auch totl
9jv slvoci im ganzen). Daneben ist das hiervon und von mähuwa <m soti » (vgl.
Stelle gibt hierfür, wie mir scheint, keinen sicheren Anhaltspunkt; al-
Färäbi leitet den Terminus her von inna und anna als von Partikeln, die
auf das Seiende, to ov im genannten Sinne, weisen; das Abstraktum bedeu¬
tet daher das Sein des also („vollkommen") Seienden. Eine eindeutige
Stellungnahme, ob dies nun inna oder von anna abzuleiten sei, fehlt. Die
Gleichung mit persisch kl, ke „dass" (61.10) begünstigt eher die Lesung
anniya. — In einer anderen Schrift, dem K. al-Alfäz al-mustac mala fi
l-mantiq exemplifiziert al-Färäbl die Bedeutung des Wortes anhand von
Wesensbestimmungen der Form inna Alläha wähidun, inna l-c älama
mutanähin und nennt hier als Simplex nur inna als Partikel, „welche
bezeichnet, dass etwas in seiner Existenz feststeht und in seiner Gültigkeit
gesichert ist" (täbit al-wugüd wa-mautüq bi-sihhatihi, S. 45.5 in der Edition
von M uhsin M ahd I , der Z. 7 ff. wieder innlya vokalisiert). Er grenzt also
auch hier den Terminus auf das beständige, bestimmte Sein der Substanz
ein ( badal qaulinä gauhar as-sai 3 , Alfäz 45.9). Nun ist die Frage nach der
Substanz die Frage nach dem „Was"— to tl i]v slvou, ar. mä huwa(bil-anniya);
s. Hurüf 176. 16-177.11: Mä käna rnahrnülan c aläsai°in mä bi-tarlq mähuwa
wa- c alä sai 2 äxar lä bi-tarlq mä huwa yuqäl innahn gauhar li-dälika s-sai°
(vgl. An.post. A 22: 83a24-28). Da die resultierenden Wesensbestimmungen
in der Form einer affirmativen Aussage auftreten, die im Arabischen mit
inna eingeführt wird — so in den genannten Beispielsätzen (vgl. auch
Hurüf 175.16) — ist es möglich, für al-Färäbi die Form inniya i.S.v.
„Wesenheit" zu postulieren: inniyatuhü wa-huwa bi- c ainihi mähiyatuhü
{Hurüf 61.14), wa-tusammä dät as-saP inniyatahü wa-ka-dälika aidan gauhar
as-saP (Alfäz 45.7 f.). Volle Sicherheit lässt sich aber nicht gewinnen,
da al-Färäbi es unterlägst, zwischen den Partikeln inna und anna — Hurüf
61.9 nebeneinander genannt — zu differenzieren.
Was den Sprachgebrauch der Übersetzer anlangt, so scheint nicht nur
die Ableitung — sei es aus gr. to öti , sei es syr. häy d-ltau — eher auf die
Form anniya zu führen (vgl. auch F rank, The origin 199), sondern auch
die Bedeutung: anna vertritt den Inhalt (das grammatische Objekt) von
Aussagen 11 , die nicht nur wesenhaftes Sein ( otteo eari, x'i -5jv etvou), sondern
11 Dass anna den ihm folgenden Nominalsatz vertritt, entspricht der Auffassung
arabischer Grammatiker: Sibawaih bezeichnet anna als quasi-Nomen, die ihm unter¬
geordnete Bestimmung als sila, d.h. als asyndetische Qualifikation, inna dagegen als
quasi-Verbum ( Kitäb I 461.12-20).
1. zur terminologie — 1.01 ( ol ) 87
auch—dies zunächst und vor allem—absolutes Sein (sÜ scmv) zum Gegen¬
stand haben 12 ; al-anniya ~ to elvai abstrahiert vom individuellen Ob¬
jekt einer solchen Aussage das Prädikat „Sein" (das Arabische hat ja an sich
keine dem gr. s<m oder dem syr. it entsprechende Kopula). Al-Färäbi
abstrahiert dagegen von der Form einer Aussage als Wesensbestimmung,
die durch die einleitende Partikel inna apodiktischen Charakter erhält.
Zwar ist in der aristotelischen Metaphysik, der al-Färäbl seinen
Substanzbegriff entnimmt, das Allgemeine nur in Bezug auf das Indivi¬
duum, und die erste Realität, die outna, ist (und ist erkennbar) nur auf
Grund des Wesens ( to tl siveu) des konkreten Subjekts 13 ; aber die
begriffliche Differenz von Sein und Wesen, von esse simpliciter und relativem
(sei es wesenhaftem, sei es akzidentellem) Sein wird damit nicht hinfällig.
Das hypostasierte Sein der Platoniker gar ist (entgegen Met. A 9:991bl
usf.) abgetrennte, intelligible Realität (ar. al-ann [al-auwal], al-anniya),
an dem jegliches Seiende teilhat; es ist wohl epistemologisch aus Wesens¬
bestimmungen wie den von al-Färäbi genannten abzuleiten, aber ontolo-
gisch deren Voraussetzung. Das von der Deixis inna („ecce, siehe") gebil¬
dete Abstraktum al-inniya würde aber nicht das Sein an sich, sondern die
darauf hinweisende Wesensbestimmung bedeuten. Da nicht al-Färäbi
den Terminus geprägt hat, und da sich eine Konkurrenz beider Formen
schwerlich annehmen lässt, müssen wir aber auf die Bedeutung des Wor¬
tes in den Quellen — d. h. vor allen in den Übersetzungen der hier
betrachteten Gruppe — zurückgehen. Wir finden, dass al-annlya (dort,
wo es nicht mit al-kuwiya «to ov » zusammenfällt) zunächst nichts weiter
als to slvc/.i, esse simpliciter, bedeutet; „etwas sein" (elvao ts ti ) nur in ent¬
sprechenden Verbindungen (s. Nr. 98ff) —so auchin der Formal mä huwa
bil-annlya und ähnlichen, mit mä <m» zusammengesetzten Ausdrücken zur
Übersetzung von „Wesen, Essenz" ( to t'l ijv elvai). Zwar tritt es im Kon¬
text aristotelischer Philosophie zuweilen für diese Ausdrücke allein auf,
aber dieser prägnante Gebrauch ist eine sekundäre Entwicklung (s. o.);
erst sie ermöglicht es al-Färäbi, anniya mit mähiya (x wugüd !) gleichzu¬
setzen.
12 Zur Differenzierung des Seinsbegriffs bei Aristoteles vgl. J. Moreau, Sein und
Wesen (1955), S. 222 ff. —Auch das oben S. 79, Anm. 6 angeführte frühe Zeugnis
definiert anniya (x mähiya) eindeutig als „Existenz" aus einer mit anna gebildeten
Aussage.
13 J. Moreau, Sein und Wesen 224 f.
88 b: die sprache der proklosversion
a) al-anniya und
gebraucht:
Vgl. auch die Wendung hudüt anniyat as-saP, /?u£. theol. ar. pr. 76 ^.
e) kaun
7
ysvecRi; I 16:29.2 Addäd 95bl6 öjS'
K 2. Aristoteles: De Caelo
312a33
283b 19 passim
e) yiyvsoOca wird neben einfachem käna (das auch für elvai stehen
kann, wie 280al5, b 18, 281a30 etc.) dort, wo es auf die Differenzierung
18 ytyvsc>0ai 297bl4, 17
f) gauhar
23 ouata 268a3
Während in den Proklostexten einmal <po au; durch gauhar „Substanz"
wiedergegeben wird (prop. 62:58.30-31 od OTüfjÄTixocl (puaeic;), steht
hier umgekehrt tabi c a „Natur" für oüo'ia; wie nahe sich die beiden
Begriffe auch bei Aristoteles kommen können, zeigt Bonitz, Ind. Arist.
838b60ff. (s.z.B. Met. 1014b36, 1053b9). Zu Proklos vgl. prop. 20 :22 .1-2
Y) oua£a... v) voepa yuaiq.
U 3. Plotiniana Arabica
10.88:147.14-15
cT° J
10.175:160.11-12 J*JI
R. fi l- c Ilm al-ilähi
31 (add. ad V 3:11) •Uy ... <Us ijvj Oy.
... aJI? V
düij i J_$! JPIÜI I il jA>
«uN c SjIj} <d*s oiö V JjMI
105 -107:174.17 -20 o"t J*i UJI
»Li'ill ^ Iii
I 27-28:187.8-10 £j
R. fi l- c Ilm al-ilähi
Sfi e ~ tr \ s r ja /*
o vou?... orav Ta S7rexet.va söeAt)
... JzÄs jä JÜ1 J,UJ! ^Ip ilj! Iii jjj*!!
vosiv ... copfXTjcrs [ilv Itc' aÜTO Jip 4-jlj 4J0 4~lp Ajlil
11.1-2, 4-5
al-annlya « to eZvca »:
Theol. Arist.
P ...
10.150:156.8-10 Jb-!,
10.181:161.7
as-Saix al-Yünäni
41 (ixelvoc, [sc. to ev] (jivjSev töv j^pI • aJs>-j (Jj^/I £JÜ.I jl
Tkeol. Arist.
7:13.19
43 Exacnrov Ss aÜTÖv voü<; xai ov JWI u-U-i <j ^ «•LA'ill j.« JS}
V* •*fc **•" " c
Ioti xai to cruprav 7ta<; voü? xai 4_J[j ^ lP^ '
1.48:26.9-10 u *£\
Theol. Arist.
1.51:27.2-3
as-Saix al-Yünäni
R. fi l- c Ilm al-ilähi
59 yew ^sTpta ... aocpia. ixvwtätw ^iy-» J, iJU- <wf>o- ... l^k^LI
7tspt to ov oöcra V 9:11.24-25 39:170.10-11 OlJÜI
60 Ta sTOxsivK V 3:11.1 99:174.10 ^ ^il ÜJ!
Vgl. bes. Inst, theol. ar. prop. 73 ^A, 74 K (s.a.u. C 2.23, S. 215 f.).
1. zur terminologie 1.01 (ol) 95
1 4. Liber de Causis
a) Neben dem Abstraktum anniya finden wir die adjektivische Form
anni in adverbialem Gebrauch (nicht aber einfaches ann):
Inst, theol. LdCausis
yricp 76:72.14
add. 2:2.24 ^
— 5 VV, 21 (24.25,28) n, rr, 74 v, 91 -v
öU>- 4J (_güll
1 1. Alexander : I 2 -Laun 20, 49, 63, 80 Jjjl
I 2 -Laun \ s. Gätje, Farbe 354; For/ 20, 21, 44, 52.
1f 2. Aristoteles, 1.
De Caelo: s. ArÜb De Caelo 71. 4 Jjit
1f 4. Liber de Causis 6:72.9 (add. ad Inst, theol. 171: 150.7),
20:98.8 (xat 127:112.31).
3. Ergebnisse
3.2 Die Übersetzungen, welche sich zum Vergleich mit der Proklos¬
version anbieten, zeigen nicht alle den gleichen „Verwandtschaftsgrad".
Die Version der aristotelischen Metaphysica, die Eustathios im Auftrage
des Kindi anfertigte, weist einige — bei weitem nicht alle — wichtige
186 B: DIE SPRACHE DER PROKLOSVERSION
18 Hierher gehört z.B. auch die Wiedergabe griechischer Adverbien auf -S>q durch
ar. bi-nau' + adj., häufig auch bei Ustät und Ibn Nä c ima — daher noch bei al-Kindl
(aber nicht in unseren Proklostexten); s. ArÜb De Caelo 114, 121, 133.
19 So der letzte Herausgeber des lateinischen De Causis, A. Pattin; s. Le Liber de
Causis (1966), S. 5 u.: "IbnDaoud... aurait bien pu lire ce livre dans une traduction
arabe ou un r6sum6 arabe de cet ouvrage passant sous le nom d'Aristote!" Pattin
verweist gleichfalls auf die sprachlichen Parallelen zu den Plotiniana, will aber nur
einen Einfluss dieser Texte auf den späten Autor des LdCausis zugeben. (Vgl. Pattin,
Over de schrijver 504 ff.)
20 S. Pines, Une Version arabe de trois propp. 200; J. van Ess, Neue Fragmente 167.
188 B: DIE SPRACHE DER PROKLOSVERSION
Da die Theologia Aristotelis aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Syrischen über¬
setzt wurde, ist hier allerdings die Frage zu stellen, ob die beobachteten, gemeinsamen
Eigentümlichkeiten nicht etwa, statt auf die Bearbeiter der arabischen Versionen,
bereits auf syrische Vorlagen ihrer Übersetzungen zurückgehen. Einige Besonderheiten
in der Terminologie könnten diese Annahme stützen; weniger die Termini selbst
— auch wenn syrische Substrate für ihre Bildung bestimmend waren, konnten sich
Übersetzer griechischer Vorlagen ihrer weiterhin bedienen — als Unregelmässigkeiten
im Gebrauch, verursacht von spezifisch syrischen Äquivokationen (vgl. oben S. 82 zu
annlya | huwlya). Wir kennen jedoch bislang keine griechisch-syrische Übersetzung,
die eine ähnliche Phraseologie aufweist. Zudem ergeben sich aus der Proklosüberset¬
zung selbst keine konkreten Anhaltspunkte für die Existenz eines syrischen Substrats.
Die ihr nahestehende De-Caelo -Version fusst zwar auf einer älteren, syrisch-arabischen
Übersetzung; aber der Bearbeiter, der die z.T. dort vorgegebene Phraseologie breiter
und konsequenter ausgearbeitet und die für ihn und die übrigen Texte der Vergleichs¬
gruppe charakteristische Terminologie erst eingeführt hat, bediente sich zur Revision
der älteren Version anscheinend des griechischen Originals (s. ArÜb De Caelo 39). Ich
glaube daher, dabei bleiben zu können, dass die oben zusammengestellten Charak¬
teristiken auf die Zusammenarbeit einer Gruppe arabischer Übersetzer hindeuten.
Für. die Bestimmung des einzelnen Übersetzers sind freilich die individuellen Unter¬
schiede massgeblich. Indessen bedarf die Wirkung syrischer Substrate auf arabische
Übersetzungen weiterer Untersuchung.
3.6 Wer war nun der Übersetzer der Proklostexte ? Wir sind von dieser
Frage ausgegangen und haben zunächst ein negatives Ergebnis gefunden:
Nicht der um 900 lebende Abü c Utmän ad-Dimasql, sondern ein älterer
Autor muss die Übersetzung besorgt haben. Wir können ergänzen, dass
derselbe Übersetzer auch für die Versionen einer Reihe von Trak¬
taten des Alexander von Aphrodisias verantwortlich ist; nicht nur das
äussere Nebeneinander in den Handschriften, sondern auch zahlreiche
Parallelen in der Terminologie und die Kongruenz des Stils erlauben
diesen Schluss. Er war es vielleicht auch, der zuerst den Namen Alexan¬
ders mit den Proklostexten in Verbindung brachte. Den Namen dieses
Übersetzers erfahren wir freilich nicht.
Bekannt sind dagegen die Übersetzer von drei anderen Texten der
Gruppe: Ustät, Ibn Nä c ima und Ibn al-Bitriq. Eustathios, der Über¬
setzer von Aristoteles' Metaphysica, kommt aus den oben genannten
Gründen für die Proklosversion nicht in Betracht; weit eher Ibn Nä c ima,
der Übersetzer eines wichtigen neuplatonischen Werkes. Wie die von ihm
übertragene Plotinparaphrase wird auch der Proklosauszug als „Theo¬
logie des Aristoteles" überschrieben (und hier wie dort wird Theologia
durch ar. rubübiya erklärt). Leichte sprachliche Divergenzen brauchten
23 Eine Parallele zur Theol. Arist. ist der t.t.ßkr wa-rawiya, z.B. 170.22 ~ r) ßouXsu-
t ixrj 434a7; vgl. Theol. Arist. 1.24:22.9-10 habattu min al- zaql ilä l-fikr war-rawxya ~ Enn.
IV 8:1.8 et? "Aofiay.bv iv. voö xaxaßixi; etc. passim für ~Koyics\j.oq (s.o. § 1.01 Nr. 27, 28;
1.15 Nr. 8; 1.18 Nr. 8; 2.11 Nr. 45).
3. ergebnisse 191
uns nicht daran zu hindern, ihm die Übersetzung der Proklostexte zu¬
zusprechen; wie ein Autor, so ändert und entwickelt auch ein Über¬
setzer Wortschatz und Stil im Laufe der Zeit. Aber gerade der Umstand,
dass sich Ibn Nä c ima gleichsam als Fachmann für die Übersetzung neu-
platonischer Werke ausweist, macht es schwer zu glauben, dass er der
Proklosübersetzer ist; Missverständnisse und Fehlübersetzungen gibt es
zwar auch in der Theol. Arist., aber nicht jene Unsicherheit, ja Inkom¬
petenz in der Wiedergabe gerade neuplatonischer Termini (wie bes.
;zi0e£i<; und voü<;), die uns in der Proklosversion begegnet.
Es bleibt Ibn al-Bitriq, und es gibt wenig, was gegen seine Autor¬
schaft an der Übersetzung der Proklos-und Alexandertraktate sprechen
könnte. Zwar sind in seiner De-Caelo-Übersetzung aus naheliegenden
Gründen nicht alle Termini der Procliana vertreten, aber doch viele
der spezifischen Besonderheiten, überdies alle Formeln der typischen
Phraseologie. Dass er, der ausser Piatons Timaeus vor allem Werke des
Aristoteles und seiner Kommentatoren übersetzt hat — man kann ihn
wohl als den fruchtbarsten der frühen Aristotelesübersetzer bezeichnen 24 —
bei der Übertragung eines schwierigen neuplatonischen Textes weniger
Geschick zeigte, ist einleuchtend; auch dass er ihn für ein Werk des
Alexander von Aphrodisias hielt, wenn er ihn gemeinsam mit anderen
Alexanderschriften vorfand. Hinzu kommt, dass wir in der De-Anima-
Epitome einen weiteren Text der Übersetzungsliteratur haben, der
einerseits sich mit Ibn al-Bitriq in Verbindung bringen lässt (nach
Fihrist 251.15) und andererseits sprachlich zu unserer Gruppe gehört.
Auch zu zwei Interpolationen in der Proklosversion, die vom Übersetzer
herrühren können, finden wir Parallelen — vielleicht die Vorlagen — in
21 Vgl. D. M. D unlop: The translations of al-Bitriq and Yahyä (Yühanna) ibn al-Bitriq
(1959); ArÜb De Caelo 95. Zu weiteren Übersetzungen unter seinem Namen s. auch
ArÜb De Caelo 109 ff. — Die dem Ibn al-Bitriq von Hunain ibn Ishäq beigelegte
Übersetzung einer medizinischen Schrift hat jetzt L. R ichter- B ernburg herausge¬
geben und untersucht: Eine arabische Version der pseudogalenischen Schrift De Theriaca ad
Pisonem (1969). Das etwas unbestimmte Testimonium Hunains (R. fi Dikr mä turgima
ilx. 39.1-2) erfährt aber keine Bestätigung: Der Vergleich mit anderen, Ibn al-Bitriq
zugeschriebenen Übersetzungen erweist, dass das K. at-Tiryäq wohl kaum von ihm
übersetzt wurde (s. R ichter- B ernburg S. 34).
192 b: die sprache der proklosversion
der De-Anima-Version (s.u. C 1.2, S. 199-201). Die Annahme, dass Ibn al-
Bitriq auch die Proklostexte übersetzte, hat daher von den Möglichkeiten,
die uns zur Wahl stehen, am meisten Wahrscheinlichkeit für sich.
Mit Sicherheit können wir die Frage nach dem Übersetzer gleichwohl
nicht beantworten. Ich habe in meiner Arbeit über die De-Caelo-Ve rsio-
nen gezeigt, dass wir gerade im Falle von Ibn al-Bitriq mit einer Wand¬
lung und Entwicklung der sprachlichen Mittel im Laufe seiner Tätigkeit
rechnen müssen, wollen wir nur zwei beliebige der unter seinem Namen
überlieferten Übersetzungen ihm zuerkennen ( ArÜb De Qaelo 109 ff.).
Für andere Übersetzer wird sich Ähnliches zeigen lassen. Das spricht
natürlich nicht gegen seine Autorschaft an der Proklosversion, aber
es zeigt, dass die oben zusammengestellten Termini und Stilmerkmale
weniger durch die Tätigkeit eines einzelnen als durch die Zusammenar¬
beit einer Gruppe von Übersetzern zu einer bestimmten Zeit geprägt
wurden. Eine klare Trennung der Werke des einen von denen eines anderen
wird daher dort, wo verlässliche Angaben fehlen, nicht immer möglich
sein.
3.7 Spiritus rector dieser Gruppe war allem Anschein nach nicht
ein Übersetzer, sondern der Philosoph al-Kindl, der die Metaphysica-
Übersetzung anregte, die Tkeologia Aristotelis bearbeitete, die De-Caelo-
Version jedenfalls benutzte, der ferner — wie ich im Exkurs S. 242 ff.
zeigen möchte — einige der Proklostexte las und ausschrieb. Für die
Sprache und das Denken dieses Philosophen, und damit für die Anfänge
der arabischen Philosophie überhaupt, war die Arbeit jener Übersetzer
von nicht geringer Bedeutung. (Einige Anhaltspunkte bezüglich seiner
Terminologie habe ich oben §1.01 gegeben.) Dies durch eine Analyse
seiner Schriften im einzelnen zu verfolgen, muss ein Gegenstand weiterer
Untersuchungen sein. 25
3.8 Ein jüngerer Zeitgenosse jener Übersetzer und des Kind! ist der
Nestorianer Hunain ibn Ishäq (f 260/873) 26 ; seine und seiner Schüler
25 Die Übersetzungen Hunains scheint er dagegen nicht benutzt zu haben. Vgl.
R. Walzer: Uiveil de la Philosophie islamique (1970), S. 31-35.
26 S. GAL? 1.224, S 1.366; Graf, GCAL 2.122; EP s.n.; R. Walzer, Greek into
Arabic 67 u. Index; G. Bergsträsser, Hunain ibn Ishäk und seine Schule (1913).
3. ERGEBNISSE 193
Proclus - 13
1. ERGÄNZENDE UND ERKLÄRENDE ZUSÄTZE 195
Die These wird hier durch ihre Umkehrung mit Nachdruck verdeut¬
licht; sie ist aber selbst nicht ganz exakt übersetzt (vgl. S. 272 Anm.
9 zur Stelle).
1.14 Die ar. Schlussabschnitte von prop. 78 und 80 i a -Y \
bringen lediglich eine Zusammenfassung des Arguments; dies im Gegen¬
satz zur Mehrzahl der übersetzten Abschnitte, wo ein angehängtes
Korollarium die These in einen systematischen Zusammenhang stellt
(meist zur Ersten Ursache, s.u. § 2.21 ff.).
1.2 An zwei Stellen finden wir erläuternde Interpolationen , in denen
die These durch Beispiele illustriert wird. Beide haben keine Parallele
bei Proklos, stammen vielmehr aus einem weiteren Diskussionszusam¬
menhang.
1.21 Prop. 16 w-U Ist die Ivepysioc ohne Körper möglich, bedarf
auch die ouctioc keines Körpers. Die körperliche Substanz wirkt und empfängt
Wirkung nur durch körperliche Berührung. „ Wir finden aber doch auch eine
andere Substanz, welche ihre Tätigkeit ohne Berührung des Gegenstandes, auf den
sie wirkt, ausübt und ohne dass sie ihn wegstösst oder von ihm gestossen wird.
Somit wirkt ihre Tätigkeit auf den entfernten Gegenstand. Wenn dem so ist und
die Tätigkeit des Dinges vom Körper geschieden ist, dann muss auch die Substanz,
welche diese Tätigkeit ausübt, vom Körper geschieden sein " (Add. ad 18.16).
Proklos sucht in prop. 16 zu zeigen, dass alles, was „zu sich selbst
zurückkehren kann" (vräv tö ~po? eau -rö s7UOTpsTc-ux6v) , eine von allem
Körperlichen trennbare Existenz habe; denn nur Unkörperliches sei zu
solcher emaxpocp-}] imstande (prop. 15), und ebenso wie seine evspyeta
bedürfe auch seine oü<n<x keines Körpers. Dies zunächst hypothetische
1. ERGÄNZENDE UND ERKLÄRENDE ZUSÄTZE 197
An. B 1: 412a27, gilt auch bei Alexander von Aphrodisias die Seele als
elSo? bzw. evTEXe/Eia des Körpers. Sie bewegt ihn aber nach Alexanders
Anschauung (De An. 16.8, 22.2-6) als dessen §üva [i.i(; und sc; 14 — «XX' oaa
(J.EV {X7T0XeXu[JLEVCC XOCt XE^CüpLC|i.EVC. TWV XtVOU[J.EVWV X)Tz' «UTOJV TT) OLCpfj XXI
GCüUKTix&t; auroc xivst, TauTa «vayxrj xivoüfieva xai. aÜTa xivetv. tk ts yap
öiOouvTa tl xai toc sXxovTa xai t<x SivoüvTa xai t«. o^oüvtc. aü tcc xivoüfisva
o Ötöc; xai toi ? utt ' auT«v xivoujjivoi? al 'Tia xivyjctsoü? vivetc.i [De An. 21.26-
22.2). Die Seele wirkt also nicht durch Kontakt, Stoss oder Zug; das
stimmt zu unserem Text, doch die Grundanschauung ist natürlich ent¬
gegengesetzt: Nach Alexander ist die Seele vom Körper, als dessen
elSo?, untrennbar und vergeht mit ihm. Gegen eine solche Anschauung
richtet sich auch Proklos (insbesondere freilich gegen den Materialismus
der Stoa, vgl. Dodds, Comm. 202 f.), aber mit seinem Argument hat der
vorliegende ar. Zusatz nur die Konklusion gemeinsam. Nach Proklos
ist die Seele qua ~obc, socutö otigtps—tixov essentiell selbstbewegend
(prop. 17) und daher ausserkörperlich nach Aktivität (prop. 15) und
Existenz (prop. 16, vgl. prop. 186). Die arabische Fassung geht aber nicht
von der smcTpocp-/) als Realisation einer körperlosen Ivsp^sia aus, sondern
198 c: additamente und interpretamente
postuliert für die %6)picr-r/] oucria (ouatx hier i.S.v. „Substanz", ar. gauhar)
eine „pneumatische" Fernwirkung, um darauf erst die kmovpocpy] ledig¬
lich als deren Korrelat zu bestimmen (Z. \\-\ > , vgl. S. 264 Anm. 9).
Es liegt nahe, den Ausgangspunkt dieses Gedankens in den oben
skizzierten Argumenten der peripatetischen Psychologie zu suchen.
In der Tat finden wir enge Parallelen in deren neuplatonischer und
christlicher Kritik bzw. Interpretation:
i liUäj^ J\ jJ l^aüäplß
1 Jetzt zusammen mit einer längeren ar. Textrezension neu herausgegeben und
untersucht von H. Gätje, Studien zur Überlieferung der aristotelischen Psychologie (s.o. S. 71,
Anm. 3), S. 54-62,95-102 .Vgl. auch F urlani, The Syriac Version (1915); dort äacifxoctoi;
~ d-lä gsöm.
1. ergänzende und erklärende zusätze 199
j^copLcrTY), au[xßY )ct £Tat To amaT&v tou amou xpsitTov slw.i xt X . (die An¬
wendung auf die Seele 16.2-4).
Im K. an-Nafs erhält nun De An. 413a6-9 folgende Interpretation
(141.11-15 ed. Ahwäni): „Der Beweis dafür, dass (die Vernunftseele)
nicht vergeht nach ihrer Trennung vom Körper, ist ihre Tätigkeit
(fi c l ~ evspyeioc); sie wirkt nämlich an dem von ihrem Körper entfernten
Gegenstand, denkt und reflektiert über ihn und erkennt den Gegenstand,
ohne dass ihr Körper ihm zugegen wäre. Wenn aber ihre Tätigkeit über
ihren Körper hinausgeht ( ya c tadi badanahä), muss ihre Substanz nach
ihrer Trennung vom Körper erhalten bleiben; wenn nicht, so wäre
ihre Tätigkeit edler als ihre Substanz, und das ist nichtig. Denn es ist
unmöglich, dass die Tätigkeit der Substanzen edler sei als die Substanzen
(selbst), da die Tätigkeit von der Substanz ausgeht, nicht die Substanz
von der Tätigkeit." (Vgl. auch 164.13-14 zu De An. 429b5.).
Die Wirkung der -/wpicnra ei'Sv] auf räumlich entfernte Objekte
200 C: ADDITAMENTE UND INTERPRETAMENTE
tsAsik yevvjTai.)
ysypdcqsoai. xal olov e 7uxtt)tco<; xal £tspcü0sv ■ otto yap tt )? ouck ÄS ou ? svspyetat;
TeTsXsicdTai(In de An. 236.20-22, 26-28). Das Theorem vom aktiven und
passiven Vermögen Hess sich also auf den üXr/.öc; voü? der Seele an¬
wenden, dem eine ebensolche a.te Xt]? §üva(ju<;, ein blosses Bereitsein,
geistige Formen aufzunehmen, eigen ist (sTUTTjSeioTT)?)und der erst
durch den „aktiven" Intellekt (vou? toiyjtixo *;) seine Entelechie (Simpl.:
ts Xslmctl ?) erhält. Der Glossator unseres Textes übernimmt lediglich
das Bild —• ohne natürlich den ursprünglichen Bezug zu explizieren —,
anders gewendet und nicht durchaus stimmig angeschlossen: das tertium
comparationis wäre ja in dem Vermögen {v.Tzkqr §üva[xi<;) der leeren
„Schreibtafel" zu sehen, Schrift zu empfangen. — Vgl. auch Plotin,
Em. V 3: 4.20-22.
2. Systematische Interpretamente
welche nur Formen sind und keine Materie haben." (Add. in fine.)
Die ar. Korollarien definieren die vom Autor in diesen drei Abschnit¬
ten behandelten Prinzipien als suwar rühäniya, „spirituelle", reine Formen,
deren Nachweis (itbät) in der gemeinsamen Überschrift als Thema ange¬
geben wird. Hierunter fallen also das 7tpö<; sau-ro IraoTpsTmxov, das nach
prop. 15 unkörperlich und dessen Sein nach prop. 16 von allem Kör¬
perlichen trennbar ist, und das au-roxCv7 ]Tov ( to sau-rö xlvoüv 7tpa>TC0<;),
das in prop. 17 mit jenem S7«crrps7mx6v identifiziert wird. Die Schluss¬
formeln setzen jedoch die bei Proklos zunächst nur hypothetische Exi¬
stenz dieser Wesenheiten voraus und leiten daraus die Existenz
geistiger Formen mit den besagten Prädikaten ab; weitere Modifi¬
kationen zu diesem Ende zeigt prop. 16 (s. dort Anm. 4-6 und oben
§ 1.21, S. 196).
Der Ausdruck suwar rühäniya (vgl. o. B 1.11, S. 127) mit dem erläu¬
ternden Zusatz allati lä hayülä lahä interpretiert die dcrw(iaTa des Griechi¬
schen (15:16.30) als aüXa s'iIS t]. Das ist insofern im Sinne des Autors, als
nicht alles Unkörperliche Tcpo? sau-rö s7ucrTp£7mx6v ist, sondern nur das
au0u~6cTTaTov (propp. 42, 43) im Gegensatz zu den CSa und svuAa s I'S t)
(vgl. D odds, Comm. 244 zu 82:76.22). Dazu zählt die Seele, das xa0' sau-ro
ca>TOXW7)Tov von prop. 17 (cf. 20:22.8 ttjv <xÜtoxw 7) tov oüawcv
Xa^ouaT)? ; D odds, Comm. 202), unvergänglich als unkörperliches etu -
crTp£7mxov izpbq sau to (propp. 186-187) ; dazu zählen vor allem die vospa
el'Svj, die platonischen Ideen (176:154.7-8 fa vospa sl S'/j ... äuXco? scm
TcavTa xal ä <rcofjt.GtTCö<;).
Trotzdem ist zweifelhaft, ob der Bearbeiter den Begriff „spirituelle
Formen", so wie er ihn hier und im Anschluss an prop. 21 gebraucht, in
unmittelbarer Anlehnung an Proklos' vospa sl S y) anwendet. Prop. 21 r»
zeigt, dass in den suwar rühäniya der gesamte Bereich immaterieller Formen
2.1 die hierarchie des seienden 203
zwischen der Ersten Ursache und den evuXa eÜ&v) begriffen ist (s.u. § 2.13;
vgl. auch prop. 54 w, wo den ewig-geistigen die zeitlich-körperlichen
Dinge gegenübergestellt werden, dazu § 2.12). Nicht mit Proklos' dif¬
ferenzierter Formenhierarchie (cf. propp. 176-178, dazu Dodds, Comm.
292 f.) haben wir es zu tun, sondern mit der fundamentalen Dichotomie
zwischen platonischen iSeai und aristotelischen sl'Sv). Sie geht zurück
auf die Autoren des „mittleren" Piatonismus, welche zwischen der
platonischen Ideenlehre und ihrer aristotelischen Interpretation zu ver¬
mitteln suchten; so auf Albinos, der in den separaten Ideen auf der
einen und den svuXa eiSv) auf der anderen Seite zwei Klassen von voY )-ra
unterscheidet: töv voy]tc5v tgc [J.sv 7rpcÖTa vmxpyei, &>t; ad iSeai, tk 8 s Ssiixspa,
gx; toc el'Sv) t<x kl -rf] u Xt] äycopigm ovxa tt )<; Gkqq ( Didask. 4: 155.34-35, cf.
10: 166.3-4 ed. Hermann). 2 Sein Schüler Galen trägt diese Trennung
in seine Interpretation von Piatons Timaeus hinein. 3 Und nachdem Al¬
binos den zwei Arten von intelligibilia zwei Arten der Erkenntnis zu¬
geordnet hatte (155.36 x od votjoi.? ecttou S itty), vj [xev t£>v trpcotwv, rj Se twv
Seu-repcov), legt Alexander von Aphrodisias die Differenz zwischen aüXa
eiöv) — hier: transzendenten Universalia — und evuXa sl'Sv) — immanen¬
ten Formen der sinnlichen Welt — seiner Neuinterpretation der aristote¬
lischen Noetik zugrunde: Die aüXa e I'S t)—u Xt)<; ts xat \j7toxeijxsvoo
tivo ? (De An. 87.26) — sind die eigentlichen Gegenstände des voü?
7toi7)tix6 daher vov )ta xcct' ev spyeiotv, die evuXa sl S y) dagegen nur Suvocfist
voyjtoc . Der eminente Einfluss Alexanders auf die Nüs-Theorien der
Folgezeit im allgemeinen und auf die arabische Psychologie im beson¬
deren bedarf hier keiner Erörterung 4 ; genug, dass die Überlieferung
unserer Proklostexte selbst unter dem Namen Alexanders und im Verein
mit echten Schriften Alexanders geht (s.o. S. 51). Peripatetische Begriffe
und Philosophemata werden uns in weiteren Interpretamenten unseres
Textes begegnen (s.u. § 2.4); weitere Belege auch dafür, dass der
2.13 21 r»-ri „Es gibt Dinge, die nicht materiell sind, sondern nur
Form; und es gibt ein anderes, das weder Materie noch Form hat, vielmehr
bloss Seiendes (öv) ist — es ist das wahrhaft Eine, über dem nichts anderes ist, die
Ursache der Ursachen.... Die Dinge zerfallen (also) in drei Klassen: Entweder
ist ein Ding Materie mit Form, sein Wesen formal und materiell; oder es ist
nur Form, sein Wesen formal und nicht materiell; oder es ist blosses Wesen
(slvoci) — sein Wesen ist weder materiell noch formal: Dies ist die Erste Ursache,
über der keine andere Ursache ist, wie wir zuvor gesagt und erläutert haben."
(Add. in fine.)
Die Zusätze am Schluss der propp. 15-17 subsumierten das ocüto-
xwyjtov = £7uarps7mx6v nahe sauto = ^wpiotov toxvt ö<; crw^octo? unter die
2.1 die hierarchie des seienden 205
Klasse der suwar rühäniya, der (bereits im ar. Titel thematisierten) „spi¬
vos? der prop. 21 (Proklos' '/woLcrrÖk jj.sTo^ojj.sva, prop. 81), nicht aber
die Monaden <piicn<;, 'buyjq, voö?: Proklos' «niOsxxa (vgl. prop. 23 und
dazu D odds, Comm. 211) fallen aus diesem Schema heraus; denn einer¬
seits sind in den bei propp. 15-17 als deren Gegenstand bezeichneten
oben § 2.11), also auch die unteren Strata der geistigen Formen; an¬
dererseits aber stellt der Autor des Additaments unmittelbar hierüber
nicht eine Klasse von Hypostasen, sondern als drittes und höchstes
Prinzip bereits die Erste Ursache, 7) -pcoTTj c/.Ww. — to ev. Es liegt daher
weit älteren Dichotomie ccüXot — svuXoc e I'S t) zu suchen, so wie wir sie bei
Albinos zuerst belegt fanden (s.o. S. 203). Nicht nur sie, sondern auch
die Triade Gott (Erste Ursache) — Ideen (ocüXa eld-q) — Materie (Substrat
der evuXa el S '/j ) lässt sich zum Piatonismus des 2. Jahrhunderts zurück¬
verfolgen. Sie erscheint, wieder bei Albinos, als Hierarchie der äp/at:
163.9] s-u xal aXXac; apyjtq 7tapaXa[i.ß<xv £i. [sc. o IlXaTwv], tyjv ts TtapaSet .yjj .(x-
ttxt)v, toutecm t7)v tcov tsswv, /x v/)v tou
V.C 7iatpo? XO.L ocl"uou ttovtcüv ©sou
Diels, s. auch unten S. 208) und ferner in der ihr folgenden Tradition. 5
Das Schema enthält also die aristotelischen Klassen der causa materialis
und causa efficiens (Met. A 2, cf. De An. Y 5); hinzu kommt die paradig¬
matische Ursache als Korrelat der transzendenten Formen. Über der
Materie und den Formen steht als höchstes Prinzip Gott, die Erste Ursache
6 Vgl. auch Galen, Cotnpendium Timaei 5 [ar.]; dazu (mit weiteren Parallelen und
Varianten des Drei-Prinzipien-Schemas): R. Walzer, ibid. 8 u., 39 n. 21; F estugiere,
Le 'Compendium Timaei' 105 ff.
206 c: additamente und interpretamente
— als ttoitittic , als causa efRciens gerade auch in unseren Texten bezeichnet
(s.u. §§ 2.41, 2.43).
Das Eine, die Erste Ursache, identifiziert der Bearbeiter unserer
Texte an dieser und an anderen Stellen mit Proklos' zweiter Hypostase,
dem övtco c, ov (vgl. unten§2.23, S. 215 ff.). Er folgt Proklos insoweit, als er
die Erste Ursache gair hayüläniya wa-gair süriya nennt. Indessen bezeichnet
er sie nicht nur als ev ( al-wähid. al-haqq Z. r r), sondern auch mit Nachdruck
und wiederholt als reines öv bzw. sivai ( huwiya ~ ov [für die prima causa
so auch prop. 73 74 \ r], anniya ~ eivai, vgl. B 1.01). Zwar steht auch
für Proklos das Seiende vor den e'tSv] (prop. 74:70.23-24 & z-kzvjx to
xod Tcpö twv et&cov ücpetrc-ava!. to öv etc.); auch führt er prop. 22.26.16 ein
Eines und Seiendes ein ( to tcocotw? ov ev sa-ri (xovov), dies jedoch als ein
eigenes Prinzip neben den anderen Monaden (vgl. Dodds, Comm. 210).
Dagegen ist die Erste Ursache, to äyaSov = to ev (prop. 12-13), vor
und über dem Seienden, ÜKspouatov (prop. 115:100.36): Ohne ein
transzendentes ev kann es kein ev Öv geben (so schon Plato, Parm. 141e-
142d). Einheit und Existenz sind unterschieden, und wollte man Exi¬
stenz als Prädikat des ersten Prinzips zulassen, so wäre es nicht mehr
nur „eines"; vgl. Plotin, Enn. VI 7:38.1 sgti &e [sc. to ev] ouSe to ueariv»,
denn alles Sein ist ein bestimmtes und begrenztes to S s ti (Enn. V 5:6 .1-
11; s. auch VI2:9, VI 8:8.14usf.). Für Proklos ist das Eine geradezu to
[xv] ov w? xpe Tttov to S ovto <; jcal ev (s. In Tim. I 305.6-11); das gilt entspre¬
chend für die 0eot, Urheber des Seienden (s. prop. 115 mit Dodds, Comm.
261). Der Bearbeiter unseres Textes folgt diesem konsequenten Monismus
nicht; zugleich übergeht er die von Proklos eingeführte, weitere
Differenzierung der zweiten Hypostase Plotins. Hinter seinen Modifika¬
tionen und Zusätzen zeigt sich die Tendenz, dieses System im Sinne
einer monotheistischen Theologie umzudeuten und zu vereinfachen: Gott,
die Ursache der Ursachen ( c illat al- c ilal), ist weder Materie noch Form,
aber Gott ist reines Sein. Eine von ihm getrennte Seinshypostase lässt
diese Deutung ebensowenig zu wie eine Mehrzahl von Qslc/.i Ivoc8e<; über
dem Sein (vgl. § 2.14, S. 212 f. zu 62 \ r).
Diese Tendenz lässt zunächst an christlichen Einfluss denken —
freilich fehlt jede Andeutung einer spezifisch christlichen Lehre oder
Diktion. Auch ist daran • zu erinnern, dass die früheren christlichen
Neuplatoniker an der absoluten Transzendenz Gottes als des Einen
2.1 die hierarchie des seienden 207
6 Sehen wir von Marius Victorinus ab, der dem Schöpfergott, obzwar rcpoov, ein
essekonzediert — er steht zu weit ausserhalb der für unseren Text in Frage kommen¬
den Traditionswege, ist aber abhängig von Porphyrios (vgl. unten S. 208). Vgl. R. A.
Markus in Cambr. Hist. Later Greek Philosophy 333-336; G. H uber, Das Sein und das
Absolute 112-116; P. H adot, Porphyre et Victorinus 1.278-97 u. passim.
7 Zum Seinsbegriff des Ps.-Areopagiten im Verhältnis zu Proklos s. K. K remer,
Die neuplatonische Seinsphilosophie286 ff., 353 ff. Thomas von Aquin wendet diesen
Seinsbegriff, das ipsum esse (aÜTOsivai oder aü -roov) des Proklos auf Gott an: s. ebenda
356 ff. —• Vgl auch D odds, Comm. 253 zur öv - £,orq - voüt; - Triade bei Ps.-Dionys
und Eriugena.
8 Vgl. unten S. 21 lf.
9 G. R ichter, Die Dialektik des Johannes von Damaskos 266.
208 c: additamente und interpretamente
ist ein solcher Einfluss auch für die Grundtendenz des Bearbeiters
nicht von der Hand zu weisen.
Ähnliche Formulierungen finden wir aber in nichtchristlichen
Zeugnissen des mittleren und späten Piatonismus. Schon die triadische
Seinsordnung unseres Textes konnten wir auf die Piatoninterpretation
des Aetios (bzw. auf die hier — wie auch bei Albinos —bezeugte Schul¬
tradition) zurückverfolgen; auch die Auffassung des platonischen tcoctyjp
(Tim. 28c3) als das göttliche Eine, zugleich wahrhaft Seiende, ist in seiner
Doxographie belegt: Doxographi graeci 304a2-8 ÜXgctcov to sv, tö [xovocpus?,
to (xovaSixov, to ovtcö ? ov, Tayaöov [tpv^crl tov 0 sov] • -rcavta §s tocütoc töv
ovo[xätot)v siq tov voüv CTTOÜSsl • vou? oÖv 0 0SO?, ^coptlttov sTSo?, TOUTSCTTt to
äfityss Tzv.TfiC üXrji; xcd (XTjSevi ~a07jT« au(X7TS7T:Xsy(j,svov. — Nach Plotin ist
es bereits Porphyrios, der sich in seiner Deutung der plotinischen Hypo¬
stasen der einfacheren Theologie der älteren Platoniker annähert. In
seinem Kommentar zu Piatons Parmenides 10 sucht Porphyr im Anschluss
an 142b zu zeigen, wie das „zweite Eine", das sv ov, durch seine Teil¬
habe am absoluten Einen Seiendes, o üa'ia., wird. Das Prädikat ist (sv
ei eemv 142b3) setzt die Präexistenz eines absoluten Seins voraus: Er
postuliert daher die Identität des ersten Einen mit dem reinen Sein.
Selbst nicht Seiendes, nicht Substanz (In Parm. xii. 23-24 to sv to stoxsivcc
ovaictq xcd Övto q, ii. 11 ttocvtwv UTTspouGio? twv St' « utcov Övtcov ) , ist es doch
das absolute Sein, gleichsam die Idee des Seienden (xii. 26-27 ocütö to
slvai to TTpö tou övto ?, 32-33 tou slvai to ä7ioXuTov xcd cotntsp tSsa toü övto?).
Unter dem reinen svspystv (xii. 25-26) der Ersten Ursache (des plotini¬
schen Einen) empfängt das zweite Eine (sv ov) das Sein und wird so
bestimmtes Seiendes, wird ouaia.. — Noch Damaskios folgt der inneren
Struktur dieser Lehre, etabliert freilich aufs neue die absolute Trans¬
zendenz der Ersten Ursache. 11 Umgekehrt konnte nun aber die Diffe¬
renz zwischen dem absoluten Sein des Einen und dem substantiellen
Seienden wieder aufgehoben werden — so in unserem Text (das Eine
ist anniya und huwiija ): Wohl nicht in direktem Rückgriff auf vorploti-
nische Lehre, sondern eher durch die Tradition Porphyrs vermittelt.
10 Die anonymen Fragmente des Turiner Palimpsestes (ed. W. Kroll 1892) wurden
von P. Hadot als Werk Porphyrs identifiziert und in Porphyre et Victorinus Bd 2, S.
63-120 neu herausgegeben. Mein Exposä folgt Hadots Analyse, ibid. Bd 1, S. 124,
129-32, 413 ff.
egcutcü toc TroXXa xoctcc jjuocv evcocriv, toxvtgc ov 7tpo ttocvtcüv , aiTia at-riwv Ü7tap-
70 v, xai äp'/'/) r/p'/wv, xai 0s6<; 0söv (... 13 xai yvoiaiv i-/_si ävayxY) tyjv äxpo-
tgctyjv ), 377.7 tou toxvto ? aLTiou, ÜTisp toxvt ra ovto ? toc ovxa. 12 (Dem ab¬
soluten Sein Gottes entspricht sein absoluter Intellekt: vgl. unten
§ 2.332.)
Die gleiche, charakteristische Adaptation findet sich andererseits
in der arabischen Plotinquelle: Vergleichen wir etwa Enn. V 1:7.18-21
mit as-Saix al-Yünäni I 10-11: 185.5-7 Bdw = A 4:478. 2-4 Rth:
oücrtv av vjv.
12 K. Praechter ( Simplicius , in: RE 3A 1, col. 206) sah in dem ev 7rav-ra izpb ndvrov
des Comm. in Enchirid. Epict. das Philosophem eines spezifisch alexandrinischen Neu¬
platonismus beim frühen Simplikios. Bedenken gegen diese Auffassung äussert A. C.
Lloyd in Cambr. Hist. Later Greek Philosophy 316, und neuerdings zeigt Ilsetraut Hadot,
Le Systeme theologique de Simplicius dans son commentaire sur le Manuel d'Epictete (in: Le
Neoplatonisme [s.o. S. 68 Anm. 1], S. 265-79) Simplikios' enge Abhängigkeit von der
„negativen Theologie" des athenischen Neuplatonismus, von Proklos und von seinem
Lehrer Damaskios. Mme Hadot räumt indessen ein, "que Proclus est beaucoup plus
r&erv6 et beaucoup plus nuancd que Simplicius dans l'utilisation des attributs qui se
rapportent ä l'Un", und erklärt diese Differenz mit der Tatsache, dass "Simplicius
doit simplifier la Präsentation du Systeme theologique, dans son commentaire, pour
des raisons pedagogiques" (S. 272, vgl. S. 278 f. betr. das Verhältnis zu Damaskios).
13 Ibdä c „creatio ex nihilo" ist ein wichtiger Begriff der Plotintexte und des Liter de
Causis. Vgl. unten § 2.43a, S. 231.
Proclus - 14
210 C: ADDITAMENTE UND INTERPRETAMENTE
(vgl. 1.51:27.2, 52:27.5, s.o. B 1.01 Nr. 48, 49); ähnlich das Sein des
Auch die Risälafi l- c Ilm al-ilähi — der dritte der arabischen Plotin-
Plotins nicht nur als transzendente Erste Ursache, sondern auch als
aÜToov :
Ein ähnliches dreistufiges Schema wie unser Text, jedoch für den
Enn. V 4:1): 4_JULül *L£Vl ol etil ij i T_ib>- (_jj.ll <jy^/l : ä.'ü'ö oNjjULl
4-jlj IA <Cip jbj <U5 öl V jAj C ^dÄftj öl ^1 (Jhi; 4-aI^J-I^
est erdateur et ddmiurge, a ete radicalement ecarte" ( Plotin chez les Arabes
2.1 die hierarchie des seienden 211
293). Dies geschieht eben, indem der plotinische voü?, in welchem Denken
und Sein identisch sind, mit der Ersten Ursache in eins gesetzt wird.
(Zu den weiteren Parallelen dieser Plotininterpretation gegenüber
unserem Text s.u. §§ 2 .31, 2.332, 2.43). Kraus führt diese Tendenz auf
die „preoccupations dogmatiques du paraphraste chretien" zurück, ohne
freilich über ihre Herkunft Genaueres auszumachen.
Schliesslich gehört auch die Doxographie des Ps.-Ammonios in diese
Gruppe von Texten (vgl. oben S. 71); sie legt z.B. dem Xenophanes das
Wort in den Mund: inna l-mubdi c al-auwal kuwa anniya azaliya (as-Sahra-
stäni, Milal 903.3, englisch von S. M. Stern nach Ms. Ayasofya 2450 in
Altmann & Stern, Isaac Israeli 71).
Der Idäh fi l-Xair al-mahd (Liber de Causis), die andere arabische
Proklosquelle, bewahrt — bei freierer Bearbeitung des Stoicheiosis- Textes
— weit genauer als unsere Version die Hypostasenhierarchie des Autors
(vgl. besonders die abwäb 1-5). Doch führen auch hier „monotheistische"
Modifikationen und die Interpretation der upooSo? als Schöpfungsakt
{ibdä c , ein Terminus, der den Liber de Causis mit der Theol. Arist. verbin¬
det — s.u. § 2.43) zu analogen Vereinfachungen. Obgleich das Sein
{al-annlya) als erstes der erschaffenen Dinge gilt (4:65.4 auwal al-asyä 0
al-mubtada c a) u , steht über dem „erschaffenen Sein" das „reine Sein",
nämlich das „Wahre Eine" (4:65.8 al-annlya al-mahda al-wähid al-haqq),
ist die Erste Ursache ein „Sein vor der Ewigkeit" (2:62.1-2 al-annlya
allatl qabl ad-dahr fa-hiya l- c illa al-ülä li-annahä c illa lahü) im Unterschied
zum „Sein mit der Ewigkeit", dem voü<; (62.2-3). Für die Mehrzahl gött¬
licher Henaden [Inst, theol. propp. 113 ff.) substituiert der Liber de Causis
die Erste Ursache ( al- c illa al-ülä 19:95.5, vgl. prop. 122:108.5), das Erste
Gute, das so auch deren Prädikate erhält. Stellen wir eine (im übrigen
recht genau übertragene) Passage ihrer Vorlage gegenüber:
Inst, theol. 122:108.10-11, 14-15 LdCausis 19:95.10-96.1
Övts <; yap ouSbj aXXo ?j äyaÖo-
TfjTsq [sc. oE Osoi], aütw tö eIvou Uli Zfi JU
t olq noiaiv äcp0ovco<; TricyaOa ^opY]-
yoCaiv... tw yap sTvai o sim toxvtoc
dcya0uvoucriv.
Proklos eine weitere Differenzierung: Zwischen das Eine und den Nüs
lässt er als erste intelligible Hypostase das Sein, tö npcorcoq ov, treten
(prop. 101-102); das Sein, bei Plotin dem Denken noch koordiniert, ist
als das allgemeinere ontologisch früher und daher übergeordnet (s.
Dodds, Comm. 252 f.). Der Bearbeiter definiert aber die Erste Ursache
selbst als erstes, reines Sein und gewinnt so das dreistufige System, welches
imAnschluss an prop. 21 formuliert wird (s. §2.13, vgl. § 2.23 zu propp.
73, 74). Die voec,— ebenso wie die — subsumiert er dort unter
2.2 die erste ursache ist absolutes eines 213
2.2 Die Erste Ursache ist absolutes Eines, reines Sein, höchste Potenz.
2.21 a) Prop. 1 \\, 2 \ x, 3 i «, 5 11 Die Erste Ursache ist das absolute
Eine. (Add. in fine.)
sich wegen der von ihm verursachten (Vielfalt)." (6.7-9 ei 8s xai. to ev jj.et-
EJSl 7tAy)0OU<; ... 7t£7lA7)0Ua (i.EVOV E0TOCL TO EV.)
214 c: additamente und interpretamente
Die Version interpretiert 6.7 ff. — eine Position, die Proklos wider¬
legt—-als gültige Anschauung (s. S. 257Anm. 8 z. St.). Der Glosse voraus
geht eine Modifikation des Textes: Das Eine wäre, sagt der Autor,
xoc-rix tt ]v [zsOs^tv o'r/_ sv (6.8) — wenn es, wie das Viele an ihm, so auch
selbst am Vielen teilhätte. Für xara ttjv [izdeEiv finden wir ar. fi l-inbität
„in der Emanation" (vgl, S. 257 Anm. 9 z. St. und oben B 1.02): Im
Hinblick auf die 7rpoo§o<; des Vielen aus dem Einen lasse sich das Eine
als das Viele bezeichnen. Die Glosse expliziert: Das Eine ist xa0' uroxp^iv
allein eines, doch xar' a'mav —■ insofern es Vielfalt verursacht — vieles.
Dies schliesst zwar, auch in der Terminologie, an proklisches Denken
an; der Autor sagt prop. 18: raxv to tm slvou yoprpfovv aXXoi? auxö 7up «t<o<;
s<m toüto, ö S (j.sTaS[SwffL to iq /opr lyo\i[ibjoi.c, (20.2-3) und bezeichnet prop.
65 diese Präexistenz der niederen in der ihr vorangehenden höheren
Ordnung als Sein xgct ' amav der höheren Ordnung (zugleich Sein xa-ra
(jti0ei;iv des Verursachten in seinem Seinsgrund). Er insistiert jedoch auf
der vollkommenen Transzendenz des absoluten Einen: Das Eine ist zwar
die Ursache des Vielen, „but the One is not hereby infected by any element
of plurality. Proclus rejects not only immanentism of the Stoic type, but
the opinion of those Neoplatonists who regarded the One as containing
the Many in a seminal mode" ( Dodds, Comm. 191 u.). Die weitere Ar¬
gumentation von prop. 5 soll dies zeigen. (Der Anschluss des Folgenden
führt daher in der Übersetzung zu Unstimmigkeiten, s. S. 258 Anm. 10).
Die Modifikation fügt sich jedoch zu den weiteren Interpretamenten
der arabisch übersetzten Bearbeitung, die die Erste Ursache als Seiendes
schlechthin und als reines Sein bezeichnen (s. §§ 2.13, 2.23); danach fällt
in der Tat auch die prima causa unter den Begriff des tü slvoct, X°P'1Y°^ V
aXkoiq. Besonders deutlich wird diese Implikation aus den Parallelen in
den arabischen Plotintexten: Der Schöpfer wirkt bi-annihi (bi-anniyatihi)
fa-qat « tü slvou », ebenso im Liber de Causis (s. die Beispiele oben S. 210 ff.);
ähnlich deutet 167A n -1 a (s.u . § 2-32) die Koinzidenz des Denk- und
Schöpfungsaktes in der Ersten Ursache an. Der Bearbeiter verlegt die
beiden Eins-nächsten Hypostasen—sv ov, vou;—in die Erste Ursache selbst;
das Eine ist zugleich Demiurg ( al-fä c il al-auwal, s.u. § 2.4-1), der die
eI'St ) in sich enthält. Er umgeht damit die Immanenz-Transzendenz-
Antinomie, eine der fundamentalen Aporien des Neuplatonismus. 15
vafiiv [j.6vif)v) auf die Erste Ursache, und in einer Interpolation in prop. 2
wird das absolut Eine (also die Erste Ursache nach 2 \ \) erklärt als
reines Sein. Diese Gleichsetzung des ev, des \j7tspoüaiov der Neu-
platoniker, mit dem ov, der ersten Hypostase, die — nach Proklos —
Leben und Denken erst begründet, impliziert jene Reduktion des prok-
lischen Systems, wie wir sie in knapper Form im Anschluss an prop. 21
ausgeführt fanden: Über den reinen eiSv) steht das absolute Eine, zu¬
gleich absolutes Sein (s.o. § 2.13).
Weitere Änderungen und Kürzungen in prop. 86 zeigen die gleiche
Tendenz: Proklos nennt das ovtco <; öv 78.26-27 svostSecTaTov, kts eyyu-
TccTto Tou evö? TSTayjj .evov, y.al tö svl cTUYyevscrTaTov. Die Ubersetzung hat
hier bloss wähidfa-qat: Es ist „nur eines"; denn für den Bearbeiter ist ja
dies absolute Seiende die Erste Ursache, also nicht eine dem Einen
zwar nächste, doch nachgeordnete Hypostase, sondern das Eine selbst.
Entsprechend modifiziert oder gestrichen sind die weiteren Aussagen,
welche den Bereich des Övtok; öv abzustufen und zu relativieren
scheinen: 78.29-30 xocl öcr« Stj fxaAXov ev xal fi.ocXXov ä (j.spsc, toctoutw xal
ÄTtsipov u.aAAov fehlt ganz, und die relativen Charakteristiken der mehr
oder weniger Eins-fernen Potenzen sind zu absoluten umgeformt (vgl.
Anm. 8-10 zu 78.29-80.1 ). Es fehlt schliesslich die zweite Hälfte der
propositio, in der die „ersten", unendlichen Potenzen behandelt werden
(80.2 ff., vgl. S. 287 Anm. 11z. St.): Eine Pluralität von höchsten Potenzen
nächst der Ersten Ursache erschien dem Bearbeiter anstössig. Analog
wurde in prop. 62, wo das hier wieder herangezogene Theorem der
Korrelation zwischen Einsnähe, Potenz und — reziprok — Vielfalt
begründet ist, für die Stufe der Osiai svaSe? (58.32) die Erste Ursache
substituiert (s.o. §2.14).
Die apophatischen Prädikate lä yuxälitukä saP min al-kaifiyät (73 \ v)
bzw. min as-sifät (74 \ r- >ir) (vgl. 2 ^ y vom Einen: läyasübuhü saP äxar)~
gr. « öbroiov », « aji-iysc », auch « aveCSeov » (im Anschluss an prop. 74,
vgl. Anm. 11 zu prop. 73) gelten natürlich auch nach strenger neupla¬
tonischer Anschauung, ebenso wie vom 8vto><; ov , vom Einen in emi¬
nenter Weise (vgl. Plotin, Enn. V 1:7.19-20). Proklos bezeichnet
andererseits auch den Demiurgen des platonischen Timaeus, den er
wie Plotin als voü? interpretiert, aber der energetischen Schicht des
Seienden (dem voö? vo 7)to <;) ontologisch unterordnet, als dcvsiSeov (In
Tim. I 385.15) und a7toiov (I 387.11); denn er enthält xax' al-uav die
voepa sl'Sr), die erst in der Schöpfung differenziert werden. Nun ist die
Erste Ursache der arabischen Interpretamente als Erstes Sein zugleich
erstes energetisches Prinzip (s.u. § 2.4) und erster Nüs (s. § 2.3), nimmt
also als Schöpfergott auch die Bestimmungen des Demiurgen an. — Die
Qualitätslosigkeit der Ersten Ursache als des reinen Seienden betonen
auch die Plotiniana und der Liber de Causis; vgl. die Parallelen in den
oben S. 209 f. und S. 212 gegebenen Zitaten.
2.24 Prop. 91 a-A Die Erste Kraft ist wahrhaft unendlich, Ursache aller
Unendlichkeit. Alle weitere unendliche Potenz wird nicht und vergeht nicht in der
Zeit, ist aber zeitliche Unendlichkeit.(82.21-22 aE 8s twv äsi ovtcüv [Suva-
fXE!,?] ÖOTSipOl, [X7]Ss7i :OT£ T7)V SaUTCOV ä7ToX£l7TOUCT0C[. ÜTOXp^lV. 82.19 7) 8s dcTOl"
po<; ; sx tt)? Ttpam)? <x7i:sipta<;.)
8 Üvkjj,k
yivsTai, äXX' oux law). Die unendliche Kraft als solche -— und von ihr ist
in prop. 91 die Rede — ist nicht nur dem Werden entrückt, sondern hat
vor dem Sein überhaupt Priorität (prop. 92).
Auch Proklos lässt alles unendliche Sein von der absoluten dorsipia
als erster Kraft ausgehen; neben 82.19v gl. prop. 92:82.28-31: rj Se upcoTT)
Suvaji.t<; aTrsiptoc ecttlv , oct yap ccTOtpoi. Suv«[xei<; Siä fxsToucrtav dcTOipia? aTiEipoi'
rj oöv oa)Toa~£LpLoc Tipo toxctcüv sc?Tai Suva[j.scüv, Si' tjv xal to ov äirsipoSuva-
(xov xal —avTa [astsc / ev ä~£t,pia^. Aber : outs yap to TrpcüTOv rj xmipix
— jjLETpov yap 7tavT£ov sxstlvo, TayaOöv u~ap^ov xal ev — oute to ov
(82.31-33). Die im arabischen Titel implizierte Gleichsetzung der
Ersten Kraft mit dem Ersten Prinzip übergeht die Hierarchie vermit¬
telnder Hypostasen — eine für unsere Texte charakteristische Reduktion.
2.31 Prop. 167 r = Die erste Intelligenz ist Subjekt und Objekt
ihrer Erkenntnis zugleich, „denn über ihr ist kein anderes Intelligibles, nach
dessen Erkenntnis sie streben könnte." (Add. ad 144.22-23 o tcpwticttoq [vou?]
eauTov jjlovov [vosi], xal sv xa0' apt6(x6v ev toutm vou ? xal voyjtov, 146.9-10
voü? vot)t 6? ... sauTOV siS<ßq xal to votjtov olSe, votjtoi; mv, o sctiv auTO?.)
Proklos sagt einmal, dass über der höchsten Intelligenz kein intelli¬
gibles Objekt sei (In Parm. 900.26; vgl. Dodds, Comm. 285 u.): Ihm voraus
ist das ovtcü ? ov, vo u? und voy)tov nur xaT' aWw.v. Nun ist die sehr weit¬
gehende Differenzierung der intelligiblen und intellektiven Hypostasen
Proklos eigentümlich; Plotin setzt noch den Nüs so an, dass er „einer¬
seits bei dem Guten, dem Ersten ist und auf Es hinblickt, andererseits
aber bei sich selbst ist und sich selbst denkt" (Em. VI 9:2.41-43, deutsch
von R. Härder ). Gänzlich fremd ist aber jene subtile Hierarchie dem
218 C: ADDITAMENTE UND INTERPRETAMENTE
Vgl. auch Risälafi l-c Ilm al-ilähi 166-168:179.1-5 (s.o. S. 210), ferner:
Enn. V 3:12.44-48 Ris. 118-119:175.13-15
(oÜSe yap (X7^0T£T[X7]TCCl TO a7u' Jjjäj <3> . JpUil
aikoö [sc. toü CTexsiva!] ouS' aü ^ ^JJij 1JI Jjij Jjij JiJ!
TaUTOV r1
aUTCO OUTE TOLOUTOV olov LIT) *, p ' .Jl - l :ti . Jfcj c <ub
-Ii 1-jlJül -r ixjj
l
>/ y 3 5.5 ~ r *\ \ Sr Sr \ "
OUCfLOC SiVOCl OUÖ au olov tucdäov . - . w
t „ , , > jr Oj* >)l JA dJlal. t ob
sivai,) aAA opcov xai yi.vcooxov \ \ „ c wc
t \ \ « *« \ ^\ . dj ^
eauTO xca rrparniv ywcoaxov. to ös \
GdCTTCp STCXSIW. VOU, OUTWq Xai £71S-
xetva yvcoascdi;.
Das Verhältnis des zuletzt zitierten Textes zu seiner griechischen
Vorlage beleuchtet die Tendenz der vorliegenden Stelle unserer Proklos¬
version: Während Plotin dem Nüs, der zweiten Hypostase nach dem
aÜToC 8e oux o a uto <;. S. auch S. 289 ff. Anm. 3 u. 13 ff. zu den Diver¬
genzen zwischen gr. Text und Übersetzung.)
Der Übersetzer bezieht den zweiten Teil der Disjunktion 146.13-14
auf die niedere Intelligenz qua votjtov ; d.h. eine Intelligenz, deren Objekt
nicht — wie auf der höchsten Stufe des Nüs — mit dem Subjekt der
Intellektion koinzidiert, ist selbst intelligibles Objekt einer anderen,
nämlich der nächstniederen Intelligenz (als deren Ursache), und sie hat
wiederum ihr Objekt nicht in sich selbst, sondern Tipo kutoü . Diese Version
eliminiert den Punkt, auf den es vor allem ankommt: Der Geist erkennt
in der intuitiven Selbsterkenntnis zugleich die ihn konstituierende
Ursache. Da die Übersetzung schon oben 144.25 (Z. \) ähnlich wie hier
vom gr. Text abgeht — die in beiden Fällen dargebotene Formulierung
wird auch in der folgenden Rekapitulation zweimal (Z. y 1, V Y ) wieder¬
holt— müssen wir mit einer absichtlichen Änderung rechnen: Absicht
einer Theologie, die der absoluten Selbstschau des göttlichen Geistes
(„über dem nichts anderes ist", s.o. § 2.31 zu Z. r, \\) das nach diesem
höheren gerichtete Erkennen der niederen voec; gegenüberstellt, insofern
220 c: additamente und interpretamente
als diese nach der Erkenntnis Gottes als ihrer Ursache streben (146.1-8).
Weiter erläutert wird diese — stark vereinfachende —- Interpretation
der proklischen v 6 t) cju; im supplementären Text 167A (s. das Folgende).
Parallelen zu Anschauung und Formulierung finden sich auch in
den arabischen Plotiniana; vgl. R. fi l- c Ilm al-ilähi 166-168: 179.1-5
(add. ad Enn. V 4:1, s. o. S. 210).
Proklos schied prop. 167 zwischen dem höchsten voü? und den
niederen vos<; nach der Identität von Subjekt und Objekt der voyjcik;:
Der voü? voy]toc; (der «[jls O exto? vo üc, von propp. 166, 170), Prinzip und
Ursache der Schöpfung, ist selbst das ausschliessliche Objekt seiner
w-qaiq ; die Reihe der folgenden Intelligenzen hingegen hat ihre Ur¬
sache als ein ontologisch Früheres über sich, enthält und erkennt also
ihr Objekt nur xcctcc fiiOe^iv. Dagegen sind nachfolgende vos? und voepa
sl'Sv) in dem jeweils höheren voü? enthalten xar' at-uav (vgl. prop. 173:150.
22-26). Nach dieser Seite elaboriert nun der vorliegende Text die Hierar¬
chie der vos;: Obgleich alle intellectualia an dem einen Nüs teilhaben (s.
das Folgende, § 2.332), umfasst die höhere Intelligenz — Proklos würde
sagen: xoct ' al-nav — den gesamten Erkenntnisinhalt der ihr nachfolgenden
intellektualen Ordnung. Proklos sagt aber nicht, dass einer Intelligenz
die Erkenntnis der höheren Ordnung in einem gewissen Masse teils zu¬
gänglich, teils schlechtin „unbekannt" oder (Z. i, v, \ i, \ \) „verborgen"
sei. Eine solche Formulierung widerspräche Grundprinzipien seiner
Metaphysik (vgl. die bekannte These prop. 103:92.13 — ähnlich schon
Plotin, jEnn. V 8:4 — toxvtgc sv uäaiv, obcsi«? Ss sv sxoccjTcp). Die nie¬
dere Intelligenz steht der höheren nicht in der Quantität des Wissens,
sondern in der Qualität, der Bezugsweise ihres Erkennens nach: Prop.
170: 148.4 toxi; voü? toxvtoc ccjaoc vosi • äXX' o fxsv cmsosxtot; arckSic, tcocvta,
tcöv Ss [ist' sxsivov sxaoTo? xccö' sv travra (s. dazu D odds, Comm. 288 ;
vgl. prop. 177:156.1-4); In Tim. II 296. 11-14 xai. twv yvwcttixojv al fxsv
zlai twv tcpcotwv, od Ss t6jv (j.scroiv, c/X S s twv layatwv • xai yap skuttjv r\
^ u x7) ylyvwaxst xai xa npb aütvj? xai. ta [ist ' aüxvjv • sixwv [isv yap scttl
twv Trpo autvj?, TrapaSsiyjia Ss twv [ist ' aoTYjv. Als xpücpiov und ayvcoarov
bezeichnet er nur die göttlichen Henaden (prop. 162:140.28 nöcv to
2.3 die erste ursache ist erster nüs 221
v.<y.i(/.7A\]~ov to ovtm ? ov 7rÄr; 0o^ twv sväScov, 142.1 ttav to O siov ), doch
wiederum: xpicpiov xal votjtov scfti * xpiitpiov [iiv u>q tco svl auv/)[j.jiivov,
voiQTov Se ü7ro toü Övto ? [xsTe ^ofxevov (140.29-30). Wir haben es also
tonischen Noologie zu tun; sie ergibt sich letztlich daraus, dass der
konstituiert das, was die höhere Ordnung xaTacpa-uxw? erkennt, den Erkennt¬
nisinhalt der niederen.
Zur 'Hierarchie der voepal aeipat bei Proklos vgl. prop. 111:98.18
rax crrji; tt )? vospä? asipa? ol fxsv ziai Osioi. vos<; \JTLo8e£ä[i.svoi Gscov [i.s0s£st,<;, ol
Tim. I 243.5-7 (ad Tim. 28A): e—l (xsv toü äst ovto? to xaTatpaTixov fxovov
zur Deutung unseres Textes trägt aber der unter dem Namen des
e7CißX7)Ti,xw(; olSsv x«pl? toü xaxoü • toüto yap oüx oISsv, iva ja ?) tzoirjarj auto.
o yap yivcoaxst,, toüto xal tohsI • utcoctc.ti.x -/) yap scmv v; yvco gic , auTOÜ. Sio
etpujTai' s Ins xal sysvsTo'. Während der echte Kommentar des Philoponos
zum III. Buche De Anima nur lateinisch erhalten ist, bietet der an dessen
version auch insofern nahesteht, als hier wie dort Erste Ursache und
Er wird heute dem Stephanos von Alexandrien, Schüler des Philoponos und
17
letztem Abkommen der alexandrinischen Schule aus der Zeit ihres Bestehens, zuge¬
schrieben (s. W. Kroll in RE IX 2 .1777 f.). Dieser lehrte zuerst in Alexandria und
wurde beim Regierungsantritt des Heraldios im Jahre 610 als Leiter der Kaiserlichen
Akademie nach Byzanz berufen. "He must have been one of the principal links
between the Alexandrian School and the Aristotelian Renaissance of Byzantium which
was already beginning to emerge" (I.P. Sheldon-Williams in The Cambridge History
of Later Greek and Early Medieval Philosophy, S. 483). Den Arabern war er als Alchimist
bekannt: s. F. Sezgin, GAS 4. 107-110. Zu In de An. III s. bes. R. Vancourt: Les
derniers commentateurs alexandrins d'Aristote (1941), S. 43-59.
222 C: ADDITAMENTE UND INTERPRETAMENTE
Erste Intelligenz als ein und dasselbe behandelt werden: Einerseits ge¬
braucht der Autor 7] äpc'ir/) ama, to Ttpcoxov a'mov synonym mit tö Oetov
(p. 535 ff.), und andererseits setzt er dies ösiov in eins mit dem höchsten
vou? : 547.21-22 yivcdtrxei aÜTÖ xal «<; vooüv xal w? vooüjxevov • svSov yap
eyov to 0Etov -rö yvcocmxöv xal ekuto voei (entsprechend Proklos' voö? wqroq
prop. 167). Während es nun für die niederen voe c, Gegenstände gibt, deren
Erkenntnis nur xoct ' d7t6<paai,v möglich ist — eiSv), die nicht vorgestellt,
sondern nur auf dem Wege der Negation erfasst werden können —,
setzt der göttliche Geist durch den Akt des Denkens sein Objekt als
wird durch diese selbst konstituiert (u7to(7tgctix7) yvwai?), kann also nur
Inhalt einer positiven Aussage, xaTacpocct?, sein. Das gleiche gilt natür¬
lich von Proklos' Nüs: nac, voü? tw raHstv ucpioTTjca to [aet' ocutov , xal rj
das Niedere xcct '' xlriocv, indem er es denkt, sein Denkakt ein Schöp¬
ligenz, als das Geschöpf jener xaTa<pacri<;, deren Inhalt in sich selbst;
darüber hinaus aber — das wird hier nicht ausgesprochen, ist aber
„Ihre Erkenntnis der Dinge unterliegt keiner Qualifikation wie die der übrigen
intellectualia; vielmehr kennt sie die Dinge durch ihr blosses Sein (aü-rö tu
slvai)." 18
0sio? voö<; voei jxsv voü? mit LdCausis 22: 100.5 kull c aql ilähi fa-innahü
ya c lam al-asyä° bi-annahü c aql. — Bi-gair sifa min as-sifät entspricht aajizac,
ajiaiq 7rpoa0£CTi? Icm toü e Zvai. Die Koinzidenz von vot ^gic , und noL'qau;
Was nach Proklos allen voe? zukommt, gilt aber dem Autor unseres
Textes nur von dem einen transzendenten voö<;, den er mit der causa
prima gleichsetzt (s. das Folgende).
2.332 167A o Die Intelligenz (6 vou?) ist in allen intellektualen Formen
(vospa el'§7]) gemeinsame Ursache.
167A i a Die erste, vollkommene Intelligenz ist die Ursache aller Erkenntnis.
Obwohl die Erkenntnisgrade verschieden sind, wirkt doch auf jeder
Stufe der eine Nüs: Vgl. prop. 193:168.26-27 roxcra yap yv&crt«; dato
voü -jtoccxv scrav, oIc, ecmv. Eine auffällige Parallele zur Formulierung
bietet wieder Theol. Arist. 8.98:108.5 (add. ad Enn. V 1:3):
. (ji JS* (J SLwäi jä ... SL^üll ^Ül JviUil JA olT LL JjVl LSjUI
Nach Einführung der Ersten Intelligenz wird diese nun als Ursache aller
voy)(ji <; (bzw. yvüxru;, die Terminologie ist nicht eindeutig) bezeichnet.
Auch für Proklos ist der voü«; Prinzip aller voepdc el'Sv) und Ursache
aller yvwcjii; (vgl. oben §2.321); prop. 102:92.3-4 ~ Liber de Causis
17:92.3-4:
TO&vra 8s toc yv<acrn,xa yvcooscoi;
[LZlk'/Zl S(,a TOV VOÜV TOV TCpMTOV.
224 c: additamente und interpretamente
19 Nicht dagegen der Liber de Causis; vgl. 2:62.2-3: Das „zweite Sein" ( al-anniya
at-täniya), der Nüs, ist unter dem Ersten Sein, d.h. der Ersten Ursache. Vgl. oben S. 211.
2.3 DIE ERSTE URSACHE IST ERSTER NÜS 225
seiner Identifikation der Ersten Ursache mit dem reinen Sein und
Seienden (s.o. S. 204 ff., 215 f.); sie lässt sich auch wie jene bis auf den
mittleren Piatonismus zurückverfolgen und an die scholastische Fort¬
bildung älterer Ansätze anschliessen. Den Ausgangspunkt dieser Ent¬
wicklung finden wir wiederum bei Aetios dargestellt ( Doxogr. gr. 304-a5
voü<; otiv o 6so<;, s.o. S. 208). Auch Albinos nennt in seinem Abriss der
Proclus - IS
226 c: additamente und interpretamente
Einen gegen Porphyr aufs neue bekräftigen 23 , scheint aber der neupla¬
tonische Aristoteles-Kommentator Simplikios schliesslich wieder die
Nüs-Theologie der Älteren retabliert zu haben (vgl. oben S. 209):
Comm. in Epicteti Enchiridion cap. 38 p. 375.11-15 tj §e tcov äpx«v apx"/)
(= Oso? Oewv 375.3) ... xal yvcoaiv s/siv avayxv) tyjv axpoT<xvy)v ■ oü yap av
ti tcov utt' goitou 7iapay0|j.£vcüv ayvo ^asis. Hier ist daran zu erinnern, dass
Aristoteles seinen Unbewegten Beweger als sich selbst denkenden Nüs
bezeichnet {Met. A 7:1072 b 19-21) und dass Alexander von Aphrodisias
den erkennenden Intellekt — den voö<; von De An. T 5 — als den voö?
7toi7]T(,xo<; mit dem voü? von Met. A 7 gleichgesetzt hatte (Alex., De An.
88.19-91.6). Die Harmonisierungsversuche zwischen platonischer und
peripatetischer Metaphysik bei den alexandrinischen Kommentatoren
setzen hier an; und als unbewegter Beweger erscheint die prima causa
auch in unseren Texten (s. § 2.44).
Der Christ Johannes Philoponos (der Lehrer des genannten
Stephanos) prädiziert wiederum den Schöpfergott als Schöpfergeist, der
mit allem, was ist, auch den erkennenden Geist (den voü<; ttoitjtixoi;)
hervorbringt. Albinos hatte den göttlichen Nüs mit der Sonne verglichen,
welche das Sehen — die Erkenntnis— ermöglicht ( Didask. 10:164.21 f.
[s.o.], 165.18-22); so auch Philoponos: sicut enim sol producit lumen et
condit sibi 'esse, sie et conditor intellectus actu intellectum producit, a quo potentia
intelligibilia fiunt actu intelligibilia, ut a lumine potentia visibilia actu visibilia.
(In de An. III 57 ed. Verbeke ad De An. 430al5-17). Er ist wie die
Sonne, die das Licht erzeugt, der tätige Intellekt dagegen wie das Licht,
da er das Erkennbare zur Erkenntnis bringt (cf. Alex. Aphr., De An.
89.1-6!) 24 . Gott ist selbst höchster Nüs, zugleich aber, mit den Worten
unseres Textes, sabab fi gaml c suwar dawi l- c ilm (167A«) und c illat kull
c ilm (167A
2.41 Prop. 72 t-\ Der Erste Träger [to —owtov üiioxsifievov] trägt
alle Dinge; der Erste Agens [o tcocoto ;; wirkt alle Dinge. Der
Erste Agens bringt den Ersten Träger hervor: die Materie, ein intelligibles
Substrat, das alle Dinge aufnimmt. (68.24 7) uAt), sx toü tvoq ■ünoarKua....
76 (unten § 2.43).
Gegenstand von prop. 72 ist das Verhältnis von Ursache und Substrat
in der gesamten Hierarchie der <x.Wuu. Der Bearbeiter lässt die These
Ursachen, Gott und Materie: Mit der Lehre von der Immanenz der
—oioüv die Materie als das nier/ov gegenüberstellte (cf. Diog. Laert.
(cf. 78 a al-qüwa al-fä c ila li-gami c al-asyä D), an (Piaton, Tim. 28 c nennt
ihn 7üoi7)T7]^ xod 7iktt)p toüSs toü 7ravToc) : Erstes Sein und Erster Nüs
treten in ihm zusammen (vgl. o. S. 224). Causa efficietis auf der einen
Seite, erhält die Erste Ursache in unseren Texten auf der anderen Seite
c) Die Bezeichnung dieses ersten Substrats als intelligibile (ma c qül) führt
auf den Begriff der ö Xtj votjty). Bereits bei Piaton gibt es auch im Bereich
der Ideen als zweites Prinzip eine „intelligible Materie" (s. H. H app,
Hyle 148 ff). Auch bei Aristoteles begegnet der Begriff, jedoch einge¬
schränkt auf das begriffliche Resultat eines Abstraktionsvorganges, so in
der Logik (für das generische Element in einer Art) und in der Mathe¬
matik (für die Extension geometrischer Figuren); s. Met. Z 10:1036a9-10,
H 6:1045a34-36 (mit Ross, Comm. 2.199, 238 zu diesen Stellen; vgl.
H. H app, Hyle 639-49). Zur Ersten Materie als intelligiblem Substrat
ist Plotins Abhandlung ITepi tcov Süo u X gjv (Enn. II 4) zu vergleichen:
Sie ist hier Korrelat des x 6<j[ao<; vovjt öc, (cap. 5), das Gateipov schlechthin
(cap. 15). Auch Proklos nimmt eine „Materie" im Intelligiblen an:
Alle Emanationen höherer Prinzipien dienen im jeweils niederen Stra¬
tum als u7toxsl [xsvov der spezifischen Formen (prop. 71). Im Gegensatz
zu Plotin jedoch bestimmt er die erste, intelligible Materie als unendlich-
aktive Potenz (die bis zur bloss passiven Potentialität der körperlichen
Materie hinabsteigt) und lässt sie — so im vorliegenden Text — un¬
mittelbar aus dem Einen hervorgehen (s. D odds, Comm. 238 f., vgl. 230 f.
zu prop. 57, 246 f. zu prop. 89-92, ferner C. B aeumker, Problem der
Materie 291 ff, 409 ff, 421 f.). Freilich deutet die prop. 76 n -YV
eingeführte Unterscheidung zwischen „erster" und „zweiter" Materie
(s.u. § 2.43b) darauf hin, dass der Bearbeiter nicht diese „Materie des
Intelligiblen" im Auge hat, sondern vom sinnlich wahrnehmbaren Stoff
der natürlichen Substanzen die prima materia als zugrundeliegendes,
intelligibles Prinzip abhebt. Vgl. Alex. Aphr. quaest. I 1:4.9-10 rj yap
ö Xy], ou S ev oScra twv ovtwv svspyeia, xa -r' avaXoytav Icrav voyjtyj (wohl im
Anschluss an Arist., Phys. A 7:191a8).
od axsp'qGeu; ovra [iev iväq stctv, el'Sv) Se oux siai, St« ttjv sviciotv tou övtoc,
Süva (at.v xai auTal toü slvai. xaTaSs^a[xsva[ Ttvix äfiuSpav e'fxcpacriv.)
Die Version substituiert für 70.26 eine andere Begründung: Das Erste
Seiende wird wieder, wie auch sonst, mit der Ersten Ursache identifiziert
(s.o. §§ 2.13, 2.23). Seine zeugende Kraft ( taqwä c aläihdät c adamsürat as-sai 0 ,
gegen 70.26 evtata Suvaji.i,<;!) gebietet über die Aktuierung der Form wie
2.4 erste und zweite ursache erste und zweite materie 229
über deren Privation, bringt beides zum „Sein". Auch diesen Gedanken
finden wir aber bei Proklos, prop. 57:56.15-16: „Auch die Privation der
Form ist von dorther (d.h. von der Ersten Ursache), denn alles entspringt
von dort" ( kkl yap od aie^qaeii; tcdv s'tSwv exsiOev, 7ravra yap sxeüßev),
ebenso wie die Materie, das ungeformte Substrat (so nach der — gleich¬
falls übersetzten-—propositio 72; vgl. D odds, Comm. 231).
Die Übersetzung gibt hier (Z. \ .) die proklische Bestimmung von
CTspTjcnc; (crrspr]ai<; toü ziBouq; vgl. auch B onitz, Index Arist. 700a 16 ff.),
weiter oben (Z. <\) aber eine aristotelische (a-vip-qaiq 1% tpiiasco; evspyeia?);
vgl. Arist., Met. P 2:1004al5 und Anm. 10 u. 12 (unten S. 278) zu diesen
Stellen.
2.43 a) Prop. 76r-i „Alles Werdende, welches von der Ersten Ursache
ausgeht, entsteht nicht durch Wandlung eines anderen vor ihm, vielmehr wird es aus
nichts; und alles Werdende, das von der Zweiten Ursache, d.h. von der Natur,
ausgeht, entsteht nicht aus nichts, sondern wird nur aus der Wandlung eines andern
nikilo, die Wirkung der letzteren als [leTaßoXY], Entstehung einer Sub¬
stanz aus einer anderen.
Wir begegnen hier zunächst wieder jener Reduktion des Systems, die
TtpcoTox; ov, vouc) fallen in der Ersten Ursache zusammen; ferner werden
Ursache, die so mit der Ersten Ursache identifiziert wird (vgl. u. S. 233
die als Werk der Ersten Ursache bestimmt wird, lässt wiederum die
Tendenz des Bearbeiters erkennen, die Erste Ursache als Seinsgrund, als
Dem kreativen Akt der Ersten Ursache gegenüber stellt der Bearbeiter
als den Effekt der bewegten „Zweiten Ursache" das Werden durch Ver¬
[ASTaßoXv) fällt unter den Begriff der Bewegung); hier ist wohl vor allem an
cpuGixa. CTcojxa-ra zu denken. Als deren Prinzip wird nun die Natur, diese als
Auffassung von cpiScnq zugrunde (vgl. Plotin, Enn. III 8:2-4!), sondern
deren aristotelische Definition als dcp jj] xivyjo-sük ;; das wird noch deutlicher
der „vollkommenen Kraft" (xeXsia Suva^i?) die Natur als „Zweite Kraft"
unterscheidet, die nur durch Bewegung wirke (s. u. § 2.44, S. 233 f. mit
(In Tim. I 10.25 ff), aber nicht erst sie, sondern bereits die Seele ist
nichts und dem Schöpfungsvorgang der Natur, die aus bereits Bestehen¬
dem durch Umwandlung etwas anderes entstehen lässt, finden wir aber,
(341.13-21) 26 : s't oüv, öirsp stjtov, äauyxpitox; U7tsp e ^siv Sei tt )<; <pücrsM<; tov
0e6v, 7] §s cpiou; ex tov ovtwv to Ö7toxEifxsvov xal tt]v üatjV Xaßoüaa [i ova t«
eI'St) e'u; to Eivat S7)[j.ioupyy]cracra Tcapayst,, ävayxT) ttäffa, sÜTOp tl xal o 0sö<; ex
tou [at) Övto<; siq to stvat 7rapayst, [xyj fiovov ta sl'Sr) tov §7){xt.oupyoufj [iva >v äXXa
xal kuto Tiapaystv to utcoxeijaevov oüx ov 7tp6TEpov v) oüSsv e ^ ei 7iXsov t 9)<; cpuasooi;.
Gottes Schöpferkraft übertrifft die der Natur: Die Natur schafft neu nur
die Formen bestehender Substrate, Gott aber lässt auch die zugrunde lie¬
Die creatio ex nihilo ist, repräsentiert durch den Terminus ibdä c , einer
fung von Seiendem aus Nicht-Seiendem — und der Kausalität der nie¬
deren Hypostasen (£< oy ), vou?) bi-nau c süra , welche dem erschaffenen Substrat
nurmehr Form verleiht (vgl. Philoponos: fi.ova toc e'l S y] Ttapayei in der oben
nahesteht, s.o. S. 105,211) zwischen Gottes Schöpfung aus nichts und dem
Schaffen der Natur aus bereits Bestehendem (s. S.M. S tern, Isaac
Israeli 70-72). R. W alzer , der zuerst auf Johannes Philoponos als Quelle
26 Zitiert auch von Simplikios, In Phijs. 1145; vgl. R. Walzer, New studies on al-
Kindl (1957), S. 192.
27 A. Pattin erkennt hier die scholastische Unterscheidung zwischen esse causam
per modum creationis und esse causam per modum informationis bzw. specißcationis, für die sich
Thomas von Aquin an einer Stelle ausdrücklich auf den Liber de Causis beruft ( Le Liber
de Causis 9 f.). Der Schluss aber, den Pattin daraus zieht —- dass der Liber de Causis
nicht vor dem 12. Jahrhundert geschrieben sein könne —verkehrt die Sachlage: Grie¬
chische und arabische Parallelen zeigen, wie gut sich des Werk an die spätantiken
Quellen der frühen griechisch-arabischen Übersetzungsliteratur anschliessen lässt.
28 R. Walzer. New studies on al-Kindl 190-196; S. M. Stern, Isaac Israeli 68 ff.,
171 ff. Vgl. auch F. Rosenthal, Sarahsi 4-2 zu dem auf al-Kindl zurückgehenden
Bericht des Ahmad ibn at-Taiyib as-Saraxsi über die Anschauungen der SäbPa
(vgl. auch unten S. 239), ibid. S. 56 Nr. IIal4 zu einer eigenen Schrift des Saraxsl
über den ibdä c .
232 C: ADDITAMENTE UND INTERPRETAMENTE
mag aber in beiden Fällen, eher als das Werk des Philoponos selbst
(obwohl auch dies in arabischer Übersetzung zugänglich wurde), eine
der neuplatonischen Schriften gewesen sein, deren Bearbeiter sich vom
Schöpfungsbegriff des Philoponos leiten liessen: Neben dem Ps.-Am-
monios also auch unsere Proklosübersetzung. (Vgl. auch S. 242 ff.)
b) Die Materie wird prop. 72 va (68.24, 26-27, s.o. § 2.41) als Produkt
der Ersten Ursache ( al-fä c il al-auwal ) eingeführt und wie hier als upcoTov
Ü7Toxst[xsvov definiert. Die arabischen Überschriften beider Texte nehmen
daher auf die Materie als „erstes Verursachtes" ( al-ma c lül al-auwal ~ tö
TTpcorov ocE-woctov ) Bezug. Als Substrat aller Veränderung ist die Hyle das
schlechthin Beharrende: So schon Aristoteles, Met. A 2:1069b7 ff—die
prima materia als das „unterste" Substrat aller Veränderung (weiteres s.
bei H. H app, Hijle 298-309) — und Met. Z 3:1029a20-21: die erste
Materie als unbestimmte Möglichkeit.
Auch die hier vorgenommene Unterscheidung in „erste" und
„zweite" Materie ist nicht neuplatonisch, sondern geht auf Aristoteles
zurück: 8Xv) ist Substrat beider Arten des Werdens (Phys. A7), einerseits
des substantialen Werdens und Vergehens, andererseits der akzidentalen
Veränderung (vgl. B aeumker, Problem der Materie 226 f.; H app, Hyle 282-
284). Die „erste" Materie ist selbst ungeworden, doch letzte Grundlage
alles Seins und Werdens (npoWf) öXvj, vgl. aber zur Terminologie B aeumker
241 Anm. 1, H app 307 f. m. Anm. 129, 130); als das Unterschiedslose
und Unbestimmte bereit zur Aufnahme jeder Form, ist sie ein umfas¬
sendes Seinsprinzip ( H app 662-664 zu Met. Z 3:1029a20-26). Es ist diese
Materie, welche Proklos als reine, passive Potentialität aus der Ersten
Ursache hervorgehen lässt (prop. 72, vgl. D odds, Comm. 231, 247), also
aus der schlechthin unbewegten Ursache. — Von der prima materia
unterscheidet Aristoteles die von der substantialen Form bereits aktua¬
lisierte Materie, das Material der bestimmten Einzeldinge ( H app 284):
die „letzte" Materie [Met. 0 7:1049a36 usf., aber 7) tcpcoty) Ixacrrcp tmoxei-
fievt] üXv) Phys. A 9:192a31, 193a29, vgl. wieder B aeumker 241, H app 308
Anm. 129). Diese ist das Substrat qualitativer, quantitativer und lokaler
Veränderung, „Bewegung" also in der Phys. E 1:225b7 u.ö. erläuterten
dreifachen Bedeutung. Diese aristotelische „letzte" Hyle ist es, die der
Autor des vorliegenden Zusatzes als „zweite Hyle" der „ersten" ge¬
genüberstellt, denn sie ist es, die der —- in aristotelischer Definition
2.4 ERSTE UND ZWEITE URSACHE ERSTE UND ZWEITE MATERIE 233
Prinzip der Bewegung — unterworfen ist: vgl. Phys. 193a29-30 (v) cpuctt;
AeYETOU) 7) 7tpCOT7) [ !] SXfXCnrCÜ Ü7TOXSlfXEV7] uAv) TÖV E^OVTCÜV SV OCUTOl? äpX^V X.(,V7)-
hervorbringt (76 y Y-YY1, s.o . § 2.43) und der Bewegung und Veränderung
unterwirft. Hier ist wieder vor allem auf Aristoteles' cpum?-Begriff hinzu¬
weisen, so auf die bekannte Definition Phys. 200b 12 u.ö. 7) aüair v.p-/j] xtvvj-
aecoi; (vgl. De Caelo 268bl6), ähnlich Phys. 192b21 v.pyj] toü xiveict Oc« xal
tjoeixelv ; im vorliegenden Zusammenhang auch auf Met. 1048bl8-36 (mit
Ross, Comm. zu 1048b8); Phys. 201b31: „Unvollkommen" (unvollendet)
ist die Bewegung, weil die Möglichkeit, deren Verwirklichung sie ist, etwas
Unvollständiges darstellt ( v.-zzkzc, tö S uvoctov , oö sutiv svepysia). — Das Eine
dagegen wirkt ohne Bewegung — so nach Proklos, prop. 26:30.12-13:
TO £V ... aXlVYJTfü? U<p«ro]<7l TOt [ZST' aÜTO.
Bewegers: Met. A 7:1072a25 xivoü[Z£vov xivsi, ätStov xou oucia xal evspyeta
oüctk , b8 xivoov ocutö äxEvvjTOv ov, svspysta öv.
33 Vgl. R. W alzer, Greek into Arabic 13, 187 ff., Ueveil de la Philosophie islamique,
216 f., 221 zu den Quellen des Kindi (s.a. unten S. 242 IT.); Greek into Arabic2l, 206 ff.,
L'eveil 226 ff. zu den Vorläufern des Färäbi.
34 Vgl. auch G. G. S alinger: Neoplatonicpassages in the «Nabataean Agriculture»,
work of the tenth Century ascribed to B. Wahshiya (1967).
240 C: ADDITAMENTE UND INTERPRETAMENTE
Übersetzung:
[•••]
Ergänzung einer Textlücke, die durch Beschädigung der
Handschrift entstanden ist
<•••> Konjekturale Ergänzung
(...) Ergänzung zum besseren Verständnis der deutschen
Wiedergabe
I 2 } Lücke gegenüber dem griechischen Text (mit Anmer-
■kungsziffer)
Kommentar:
Ar Die arabische Übersetzung
AR Die griechische Vorlage der arabischen Übersetzung
entspricht, entsprechend (zwischen gr. und ar. Wörtern
und Zitaten)
2.12 Seite und Zeile des gr. Textes in den Stellenangaben
der jeweils behandelten propositio sind in kursiven
Ziffern gesetzt.
253
Wenn dem so ist, darf die Erste Ursache nur eine sein; sie ist vor den vielen
Dingen und in ihr ist nichts von Vielfalt: sie ist die Ursache aller Vielfalt. 3
3 Cf. prop. 5:6.20-21 toxv 7iX7)0o? ä~ö toü co>toevö<; ; prop. 11:12.8 toxvtoc t&
ovTa 7rpO£i(ji.v dato [xta? aixioct;, ty)? jtpci>T7)<; ; 11:12.32-34 oti. yap (xtav etvai Set ttjv
äpxh v > SeSeixTca, Sloti. toxv 7tXt)0oi; Ssiixepov ü(psaT7)XE toü evo?. — Zu den Additamenten
der ar. Version insgesamt s.o. C 1-2, S. 194 ff.
254
2.15 Jedes Ding, in welchem das Eine vorhanden ist, ist eines und
nicht-eines.
2.16 Ist es nicht-eines 1 und ist (doch) das Eine in ihm vorhanden, so
muss es von dem Einen verschieden sein. Wenn dem so ist, dann nimmt
2.18 es passiv das Eine auf, es empfängt das Eine und wird dabei eines. Wenn
es aber etwas gibt 2 , das nichts als nur eines ist, so ist dies unbedingt
eines, absolut eines — eines nicht daher, weil es das Eine empfangen
hätte, sondern allein eines, denn in ihm ist nichts ausser seinem Sein. 3 Gibt
2.20 es nun 4 etwas anderes ausser dem absolut Einen { s }, so ist dies eines —
nicht aus sich selbst 6 , sondern weil es das Eine empfangen hat. { 7} Darum
2.23 ist es nicht an sich eines; und so ist dieses Ding (zugleich) eines
und nicht-eines. { 8 } Eines ist es nämlich nur insofern, als es das Eine
empfängt und von ihm affiziert wird.
2.25 Nun ist klar geworden, dass alle Dinge 9 eines und nicht-eines
sind im genannten Sinne und dass die Erste Ursache das allein Eine ist —
nichts anderes ist ihm vermischt — und alle Vielfalt von ihr verursacht. 10
1 2.16 \rq aÜTolv: «o£>x ev » Ar, präzisiert durch [aetsxsi (yap) toü svo; der
folgenden Parenthese, die der Ubersetzer nicht als solche erkennt und auflöst: Mit
aXAo tt 6v 7iapcc to ev beginnt er bereits eine tautologische Apodosis.
2 2.18 stra : « egti tt » Ar.
3 2.19 aüiro£v : Das Eine, die prima causa, ist reines Sein; ein charakteristisches
5 2.20-21 o jj.7) egtiv äv [ tö f*ete^ov toü kvbt; xai ov% ev soti xai ev] : om. AR.
Das Fehlende koinzidiert nur zum Teil mit Dodds ' Athetese.
6 min agli dätihi « xaxä ttjv uttap ^tv »; vgl. Glossar s.v. dü.
7 2.21-22 toüt&) öcpa oüx ev ecrav, oüS' 07rep ev • sv 8k ov ajj.a vsjx u.s-zeyyj toü evo?:
om. AR (per homoeoteleuton?).
8 2.23-24 -apa tö Sv aXXo ti ov * qj [xev eTcXeovaaev, oüy_ ev: om. AR (per homoeo¬
teleuton).
Alles, was eins wird, wird eins nur, weil es das Eine empfängt. I 1} 4.1
Falls nämlich diejenigen Dinge, die nicht an sich eines sind, 4.3
eines werden, so nur dann, wenn sie sich versammeln und einander
verbinden und also die Einsheit annehmen. Somit ist das Eine in ihnen 4.5
ein Affekt und eine Wirkung unter anderen . 2 Wenn dem so ist, dann ist
das Eine in den Dingen als ein Affekt und eine Wirkung 3 , und derge¬
stalt befindet sich das Eine in (allen) Dingen. Ein Ding aber, welches
an sich wahrhaft eines ist, ist nicht eines durch einen Werdevorgang; 4.7
denn dem Werden ist nicht das Sein, sondern das Nichtsein eines Dinges
unterworfen. Ist das eine dem Werden unterworfen, wird es also
eines aus nicht-einem, 4 denn es wird eines von seiten des Einen; es 4.8
wird eines, weil es das Eine empfängt.
Also ist nun klar und erwiesen, das die Erste Ursache nur Eines ist,
allein von den übrigen Dingen, und dass die übrigen Dinge nur insofern eines
sind, als sie das Eine empfangen — nicht aus sich selbst, denn an sich sind sie
vieles. 6
1 4.2-3 aütö (aev yap otj/ sv laxi, xa0ö 8 e ttettov S s tyjv (j.etoj(Y)V toü svo?, ev ectiv:
om. AR.
2 4.5 oü>t ovtoc otrsp ev : om. AR? Oder dient der Vorgriff auf den folgenden
Satz (4.5-6), der doppelt übersetzt erscheint, zur freien Explikation des Fehlenden?
3 atar « tox0o<;»; fi°l « evspyeia » als Aktiv zu infi c äl, das ebenfalls traöoq bedeutet
(vgl. Glossar s.v. und B 2.11, S. 157).
4 Ar beginnt mit 4.7 ix toü y.7) Ivo? den Nachsatz. Die Periode wird in meh¬
rere, einander explizierende Einzelschlüsse aufgegliedert.
6 Vgl. etwa prop. 4:4.9 rcäv to r)vcofi.£vov s-repov eaxi toü aütoe v6?. Im übrigen
bezieht der Bearbeiter wieder die Qualität des ev y.aO' oo>t 6 auf die prima causa
(s.o. C 2.21, S. 213).
256
dem gemeinten (.Bezug ). 2 Nun behaupten wir, das Eine existiere nicht,
bevor die Vielfalt sei, da die Vielfalt vor dem Einen wäre. Dies ist
4.25 (jedoch) absurd und unmöglich, ich meine, dass ein Ding vieles ist und
das Eine durchaus nicht in ihm sei. Wenn das unmöglich ist, dann ist
also die Vielfalt nicht vor dem Einen.
4.27 Wenn nun einer behauptet, das Eine und die Vielfalt seien
4.30 zugleich uranfänglich 3 { 4} und keines sei vor dem andern oder nach
ihm — dann könnte das Eine sich vervielfachen 5 und auch jedes seiner
4.32 Teile nicht-eines werden, und so fort ins unendliche. Das ist (aber)
6.1 unmöglich. Wenn das unmöglich ist, muss in der Natur der Vielfalt
das Eine vorhanden sein, und wir sind nicht imstande, ein Teil von ihr
zu nehmen ausser es sei eines — denn ist es nicht eines, dann ist das
1 4.20-21 ei yap eciti 7rX7)0oi; tidö toü evo?, to (j.ev ev [isos^ei. tou TrXrjQou?. Der ar.
Text ist unsicher; Ms.: „Wenn es eine Vielfalt nach dem Einen gibt, ist das Eine
in der Vielfalt, nicht (aber) in der Vielfalt, welche vor dem Einen ist". Damit
würde zunächst die Eingangsthese wiederholt (jedoch als Hypothese!), und erst mit
4.21 tö 8e to 7rpö toü evö ? ... würde die gegenteilige Annahme formuliert.
Die Emendation folgt cAbdallatIf 200.15-16.
2 D.h. xa0' ötrap ^tv nicht-eines, xcora (xe Ge ^ w eines; vgl. prop. 2.
3 qadlm „präexistent", s. o. B 1.20, S. 148 f.
4 4.27-29 aüaToi^a ... eitiep : om. Ar. — 28 xP° vtP ••• cpiiasi mag bereits in der
Vorlage durch Homoioteleuton ausgefallen sein.
5 4.30-31 tö oöv liWrßöQ y.aQ' aüto oü/ sv Sarai : ta.taka.ttar al-wähid entspricht
vielmehr 6.8-9 7ie7i;x^0ucr(isvovecjtccl tö ev . Schon in der Vorlage AR dürfte eine,
vielleicht dorthin gehörige, Glosse hier an falscher Stelle substituiert worden sein.
Auch das folgende Satzglied 4.31 xai exocotov t&v ev oaitcji oü/ ev wird nun auf tö
ev bezogen, einwandfrei im syntaktischen Anschluss, doch sinnwidrig. ( cAbdallatIf
[201.17] übergeht den ganzen Abschnitt 4.27-32.)
PROF. 5 deutsche Übersetzung 257
Proclus - 17
258 DEUTSCHE ÜBERSETZUNG PROP. 5
6.9 {Vielfalt). Ebenso ist auch die Vielfalt an sich lediglich Vielfalt, wegen
ihrer einen Ursache aber eines. 10 — Wenn dem so ist, wie wir gesagt
6.10 haben, so muss wohl das Eine am Vielen teilhaben und das Viele am
Einen. Ferner nun: Wenn die Teilhabe und die Vereinigung in den
einander teilhaftigen und sich vereinigenden Dingen — nämlich dem
Einen und der Vielfalt — von einem anderen, von ihnen verschiedenen
6.12 ausgeht, so ist dies, welches die beiden einigt, vor ihnen und an erster
Stelle. Wenn sie aber von selbst einander teilhaftig werden und sich
vereinigen, so sind sie nicht entgegengesetzt; denn die Gegensätze
streben nicht zur Teilhabe aneinander und vereinigen sich gar
6.14 nicht. Wenn dem so ist — wenn also das Eine und die Vielfalt entge¬
gengesetzt sind, wenn die Vielfalt als Vielfalt nicht-eines ist und das
Eine als eines nicht Vielfalt, und keines von beiden im andern —,
dann sind sie zugleich eins und zwei; und das [ist unmöglich. Wenn
6.17 nun aber vor ihnen ein anderes ist, welches beide vereinigt, so] muss
dies entweder eines oder nicht-eines sein. [Ist es nicht-eines, so ist es
vieles oder] 11 nichts. Wir meinen aber: Es ist nicht möglich, dass das
6.19 vereinigende Moment nichts sei, denn nichts vereinigt nichts. { 12 } Ist
dies unmöglich, dann ist es das Eine, welches die vielen Dinge verei¬
nigt; denn es ist vor ihnen und an erster Stelle, und es ist die Ursache der
Vielfalt — nichts anderes ist über ihm. 13
Also ist nun klar und erwiesen durch unsere gültigen und überzeugenden
10 Die logischen Implikationen der Hypothese, die 6.7-8 entwickelt sind, werden
als Interpretation einer gültigen Anschauung wiedergegeben: Das Eine ist y.aO'
Ö7rap^iv allein eines, doch aMav vieles, d.h. insofern als es Vielfalt erzeugt. Die
vorliegende, vom Übersetzer oder seiner Vorlage in den Text einbezogene Glosse
expliziert diese Deutung, welche schon in der Wiedergabe von xa-ra r?)v (jti0eäjiv
durch Jt l-inbität (bzw. einer von unserem gr. Text abweichenden Vorlage) enthalten
war. Vgl. dazu oben C 2.22, S. 213. — Die Version reiht daher 6.8-9 7ts7i;XY)0ucj}Z£Vov
scroti tö ev, cödTtep t 6 tA t JOoi; 7)VfO(/,evov Sia tö cv — eigentlich der folgernde Nach¬
satz, der auf die Widerlegung hinführt — in erweiterter Paraphrase als Erläuterung
der These an. Die logische Beziehung zum folgenden Abschnitt (Z. y V ff.), der wie
im Gr. als Resultat dieser Darlegung anschliesst ( 6.10 öcpa), aber ebenso wie dort als
Resultat einer falschen Annahme ad absurdum geführt wird, ist daher unstimmig.
Schlüsse, dass das Eine vor den vielen Dingen ist, und dass es die Erste
Ursache ist und in ihm keinerlei Vielfalt, und dass alle Dinge von ihm
verursacht werden und aus ihm emanieren, wie wir erklärt und erläutert haben. 14
14 Vgl. die entsprechenden Corollaria der propp. 1-3 (s. o. G 2.21, S. 213).
260
16.30 Alles, was zu sich selbst zurückkehrt, ist geistig und unkörperlich,
und 2 nichts von den körperlichen Dingen kann zu sich selbst zurück¬
kehren.
16.32 Denn wenn alles, was zu sich selbst 3 zurückkehrt, eine Verbindung
18.1 Unterschied. Dies aber kann nicht geschehen bei den Körpern noch
bei irgend einem teilbaren Ding, und es verbindet sich nicht deren
18.3 Ganzes mit dem Ganzen wegen der Trennung der Teile und des Un¬
terschiedes der Orte; jedes Teil hat nämlich einen anderen Ort als
ein je-anderes Teil. Wenn dem so ist, dann ist nicht möglich, dass
18.5 irgend ein Körper zu sich selbst zurückkehre als Ganzes zum Ganzen.
Damit kommen wir (zur These) zurück und stellen fest, dass alles, was
zu sich selbst zurückkehren kann, geistig, nicht körperlich ist und keine
1 Die Überschrift schliesst propp. 15-17 zusammen; sie wird zu Beginn von prop.
16 u. 17 mit den Worten Fl itbät dälika aidan jeweils wiederaufgenommen. Ein ähn¬
licher Titel auch in Mss. BCDM des Gr.: —spi äacofia-cou oüata?, xat -ö i'Stov aü-rijc;. —
Vgl. Anm. 4.
Propp. 15-17 wurden anhand von Badawis Edition der Damaszener Handschrift
(s. o. S. 35) bereits von B. Lewin, Notes sur un texte de Proclus (1955) und S. Pines,
Une Version arabe de trois propositions ( 1955) identifiziert und erörtert. Lewin gab auch
eine französische Übersetzung des ar. Textes.
2 16.31 yötp : S£ AR.
parenthetische Explikation an. Der Schluss vom Allgemeinen (rö eTnaxpeipov 7rpo<; ti)
auf das Besondere (tö emoTperpov 7tp 6q eauro) kommt daher nicht mehr klar zum
Ausdruck.
PROP. 15 DEUTSCHE ÜBERSETZUNG 261
Damit ist nun klar und erwiesen, dass es geistige Dinge gibt, welche nur
Formen sind und keinerlei Materie haben. 4
18.7 Alles, was zu sich selbst zurückkehrt, hat eine Substanz 1 , welche
trennbar ist von jeglichem Körper.
18.9 Wenn dem nicht so ist, wenn es (also) nicht trennbar ist von den
Körpern 2 , so hat es auch keinerlei Tätigkeit, welche trennbar wäre von
dem Körper, in dem sie geschieht. Denn es ist nicht möglich — da ja die
18.11 Substanz des Dinges vom Körper untrennbar sein (soll) —, dass seine 3
Tätigkeit von diesem Körper trennbar wäre. Wenn aber doch, so wäre
18.13 die Tätigkeit edler als die Substanz, da (in diesem Falle) die Substanz
der Körper bedürfte, die Tätigkeit aber sich selbst genügte und der
Körper nicht bedürfte. Wenn dem so ist, (können) wir (auf unsere Behaup¬
tung) zurückkommen und feststellen: Ist ein Ding in seiner Substanz un-
18.15 trennbar von den Körpern, so ist auch seine Tätigkeit untrennbar von
den Körpern — vielmehr haftet sie noch enger an ihnen. Wenn dem so
ist, kann dies Ding keinesfalls zu sich selbst zurückkehren. So kommen wir
wiederum (auf die These) zurück und sagen: Wenn wir eine beliebige Tätigkeit
von den Körpern trennbar finden, so muss die Substanz, welche diese Tätigkeit
18.17 ausübt, umso eher von den Körpern trennbar sein { 4}; (denn eben) darum 5 hat
1 18.7 u.ö. oüoia, hier i.S.v. „Seinsheit, Existenz" gebraucht: gauhar Ar. Das
ar. Wort bedeutet „Substanz" im engeren (aristotelischen) Sinne. Zwar ist gauhar
das übliche Äquivalent von obaia, doch liegt nicht nur mechanischer Gebrauch der
eingebürgerten Entsprechung vor: Die Übersetzung erhebt durch eine Reihe von
Änderungen und Zusätzen den Existenznachweis der oütiia yupuj-ri] tocvt bq aö)[iaxoq
als einer spirituellen Substanz zum Thema der propositio.
2 18.9 oÜTivoooüv : om. Ar.
3 T7)V dbr& TT)? oücria? evspysiav : t/] V aijTOÜ Ivepysiav Ar.
4 Der Untersatz der propositio — wie die ev^pyeicc, so ist auch die otjata von
den Körpern trennbar — wird im Gr. nur apagogisch bewiesen. Ar bringt nun eine
affirmative Wiederholung der 18.9-10 negativ formulierten Prämisse und schliesst
18.17 evepyeiav £xet X u P t ^°lj-^v"'lv acdfmToi; xt A. als apodeiktische Fortsetzung des
Beweisganges an: fa-li-dätika käna lahü fi c l mufäriq lil-agräm. Die Anwendung auf
den terminus minor — 18.16-17 -ro yap Ttpi? sauxi emcrTpeipov, a XKo ov crcö|i.aToi; —
fehlt (vgl. aber Anm. 9), vielmehr ist bis gegen Ende der prop. von der oiaia
XcoptaT*) cro)[j.a-ro? und ihrer evspyeta allgemein die Rede: Die Prämisse wird zur
Hauptthese.
5 Da das Prädikat der zweiten Prämisse ( 18.17 [tö Ttpöq eau -ro EjucTpstpov] svep-
PROP. 16 DEUTSCHE ÜBERSETZUNG 263
sie eine von den Körpern trennbare Tätigkeit, d.h. sie übt ihre Tätig¬
keit weder durch einen Körper noch mit einem Körper (zusammen)
aus, weil die Tätigkeit und der Ausgangspunkt 6 der Tätigkeit keines 18.19
Körpers bedürfen.
Weiter bemerken wir {hierzu), dass die körperliche Substanz nur durch
Berührung des Gegenstandes, an dem sie wirkt, ihre Tätigkeit ausüben kann
— sei es, dass sie ihn wegstösst, oder sei es, dass sie von ihm gestossen wird.
Daher ist es unmöglich, dass diese Substanz und ihre Tätigkeit ohne Körper
seien. Wir finden aber doch auch eine Substanz anderer {Art), welche ihre
Tätigkeit ohne Berührung des Gegenstandes, an dem sie wirkt, ausübt und ohne
dass sie ihn wegstösst oder von ihm gestossen wird. Somit wirkt sie ihre Tätig¬
keit auf den entfernten GegenstandJ Wenn dem so ist und wenn die Tätigkeit
eines Dinges vom Körper geschieden ist, dann muss also auch die Substanz,
welche diese Tätigkeit ausübt, vom Körper geschieden sein 8 und also zu 18.20
yeiav e/ei xa)pt^o[iEV7)v <jcb(xa-ro(; y.xX.) nur zur erneuten Demonstration ( fa-li-dälika...)
der neuformulierten ersten benutzt wird — es wird lediglich noch einmal der Primat
der oüata, hier der -/oipiar/] oüata bekräftigt — ergibt sich eine Wiederholung, die
nichts Neues bringt. Ausfall der fehlenden Wörter 18.16-17 durch Homoioteleuton
im Ar. wäre denkbar; dagegen spricht jedoch nicht nur der Konsensus der Uber¬
lieferung (mit cAbdallatIf 204.14), sondern auch die Tatsache, dass Ar Z. \ i einen
weiteren Beweis der allgemeinen Prämisse folgen lässt (Anm. 7). Der überlieferte
Text erleichtert den Anschluss dieses Additaments.
6 18.18 tö Tipcx; 8 7) evEpysia : «-ro ä<p' o fj IvspyEia » Ar (AR?), d.i. rj oücrta
(s. 18.11). Sachlich anfechtbar — dass die oicrta keines Körpers bedarf, wird ja
gerade erst bewiesen —, stimmt doch auch diese Änderung zu den vorigen Modifi¬
kationen: Ar insistiert auf dem Nachweis der /coptc-ri) oücta als eines substantiellen
Prinzips.
7 Das Tcpö(5 Eau-rf) EjucnrpE7tTt.>i6v der propp. 15-17 ist, wie prop. 20 ausgeführt
wird, die Seele, das aüfo>av7)Tov (prop. 17, vgl. prop. 186). Auch die vorliegende
Interpolation steht im historischen Kontext der Diskussion über die Frage, ob die
Seele eine oicria xcopta-a) ttkvto ? cc&fxatoi; habe; weiteres hierzu s.o. C 1.21, S. 196.
Abweichend vom Proklostext stellt also der Bearbeiter weiterhin den Nachweis
körperloser Substanzen in den Vordergrund.
8 Proklos leitet die körperfreie Existenz (oücia) der ETuaTpETt-uxoc von der stu-
cTpofpy) 7tpö? eau-ro als körperfreier EvspyEia ab; Ar demonstriert dagegen auf anderem
Wege die Existenz einer körperfreien Substanz (Z. ^ \ <\) und hängt nun die
ETucrrpocpr) nicht als Beweis, sondern als weitere Folgerung an. — Vielleicht steht
ba'in min al-agräm für 18.16 aXko ov <jcöfxa-:o<;, das an seiner Stelle fehlt (xcopiaxoi;
heisst sonst ar. mufäriq).
264 DEUTSCHE ÜBERSETZUNG PROP. 16
Also ist nun klar und erwiesen, dass es geistige Dinge gibt, welche nur
Formen sind und keinerlei Materie haben. 10
9 ~ 15:18.5 tb? oXov srreaTpatpOat. izpbc, oXov. Die Konklusion entspricht nicht der
Eingangsthese, sondern deren Umkehrung. Vielleicht las AR für 18.20 r6 : xai, eher
aber dürfte die Verlagerung des Arguments im ganzen zu dieser Änderung geführt
haben: Während eine ä.y&pi.axoq ouaia nicht auf sich selbst zurückkehren kann (18.15-
16), kann es doch die ^topicrfj otWa, deren Nachweis Ar in den Vordergrund rückt,
Alles, was ursprünglich sich selbst bewegt, muss zu sich selbst 18.21
zurückkehren können.
Denn wenn es sich selbst bewegt und seine Tätigkeit selbstbewegend 18.22
ist, 1 müssen Beweger und Bewegtes eins sein. Ferner: Das Selbstbewe¬
gende ist entweder teils bewegend, teils bewegt; oder ganz bewegend 18.24
und ganz bewegt; oder ganz bewegend und teilweise bewegt; oder
teilweise bewegend und ganz bewegt. 2 Wenn es nun teils bewegt und 18.26
teils bewegt wird, ist es nicht selbstbewegend, weil es aus Dingen besteht,
die nicht selbstbewegt sind —- es scheint selbstbewegend zu sein, ist aber 18.28
in seiner Substanz nicht also. Ist es ganz bewegend und teilweise bewegt,
oder teilweise bewegend und ganz bewegt, 2 so ist (zwar) in ihm 3 etwas,
ist nicht dieserart. 4 Gibt es aber ein Ding, das bewegt und zugleich 18.31
bewegt. Wohin nun seine Tätigkeit (gelichtet) ist, dorthin geht auch 20.1
seine Rückkehr. Wenn dem so ist, kommen wir (auf die These) zurück
1 Ar koordiniert 18.22 xal rj xivrjTtid) EVEpysia aütoij izpbz sau-ro Ecm mit der
Protasis ei yap xivet eccuto und konstruiert analog (xivTjTOcrj prädikativ), verstellt
daher den logischen Zusammenhang mit der These 18.21: Die Prägnanz von 18.22
7rpö? eauT 6 „auf sich selbst gerichtet" wird im ar. li-dätihl (direktes Objekt beim Par¬
tizip muharrik ) nicht erreicht (besser unten Z. 1 \ )•
2 18.25, 29 v) S|xroxXtv : Ar expliziert.
3 18.29-30 ev äfitpo-repoic; : « ev aÖTtj) » Ar.
4 18.30 xal toüt 6 lern to tcpo'jtmc ca>Toxiv7)Tov. Die ar. Negation befremdet, er¬
gibt aber doch einen erträglichen Sinn: Dem Tipö? sauxö £7ttaTp£ji:Ti.xöv «wc SXov eto:-
oxpa<p0ai 7tpic oXov» (15: 18.5) entspricht ein aÜToxiv/)-rov, in demmcAinur ein Teil
(f/ipot; ti ) sich selbst bewegt; toüto 18.30 ist im Gr. auf das genannte, selbstbewegte
Teil zu beziehen, während Ar das Ganze meint. Dazu passt, dass Ar in den Kon¬
klusionen von propp. 16 und 17 zu to 7ipo? ecojtö ImcTpstpov (18.20) bzw. etu-
aTpETCTixöv (20.2) ergänzt: ka-rugü c al-kull ilä l-kull ~ 18.5 i>c, oXov e-EaTpixqjOaL 7rp{x:
oXov (s. 16 Y •, 17 \i). Vielleicht hat eine Variante der gr. Vorlage diese Auffas¬
sung begünstigt. — 18.31 7tpd>tco? : om. AR.
5 käna li-dätihi ~ 18.32 s^ei.
266 DEUTSCHE ÜBERSETZUNG PROP. 17
und stellen fest: Alles, was sich selbst bewegt 6, kann auch zu sich selbst
zurückkehren als Ganzes zum Ganzen. 1
Also ist nun klar und erwiesen, dass es geistige Dinge gibt, die nur
Formen sind und keinerlei Materie haben. 8
Jede Ordnung und Stufung beginnt mit Einem und kommt zu einer 24.1
Vielfalt, welche diesem Einen entspricht; und jede Ordnung und Stu¬
fung, die eine Vielfalt umfasst, 2 steigt empor und erhebt sich zu Einem.
Ferner: Das Eine ist Anfang 3 und Ursprung für die ihm entspre- 24.4
chende Vielfalt. Daher erhält die Vielfalt ein System und eine Ord¬
nung 4 { 5}; wenn aber das Eine nichts hervorbringt, gibt es keinerlei
Vielfalt 6 noch Ordnung.
Die Vielfalt dagegen steigt auf zu einer einzigen Ursache, welche 24.8
den einander gleichartigen 7 Dingen gemeinsam ist. { 8 } Ein Ding aber,
das aus einem Einzelteil der Vielfalt hervorgeht, ist nicht der Vielfalt 24.11
gemein, sondern nur diesem Einzelnen eigentümlich. Wenn dem so
ist, wenn es also in jeder Ordnung und Stufung eine Teilhabe, Überein¬
stimmung und Verbindung gibt, derentwegen es heisst, dass die einen
Dinge einander gleichartig 7 sind und die anderen einander ungleichar- 24.14
tig •— dann ist klar und evident, dass die Übereinstimmung in jede
Ordnung und Stufung von einem einzigen Ausgangspunkt 9 kommt.
1 Der Titel stellt die in den arabischen propp. 15-17 thematisierten „spirituellen
Formen", as-suwar ar-rühäniya, unter die Erste Ursache der im ar. Schlussabschnitt
der propositio explizierten Seinsordnung; s. Anm. 25 u. oben G 2.13, S. 204-212.
2 24.2 irätr/ji; to 7tXv)0o<; : Ar ungenau, denn nicht die Ordnung als ganze
„steigt auf" (auch die Monade gehört ihr an), sondern die Vielfalt als deren unteres
Stratum.
3 24.4 äpyyiQ sj(ouaa Xoyov : Die spezifische Bedeutung von X6yo? ist nicht erfasst.
Vgl. auch Anm. 11.
4 24.5 [).ia astpä y.al fua tcc E ic : In Ar als Prädikativ zu ~Xr(0oc aufgefasst —
fälschlich, denn auch die Monade gehört der Ta&<; an (vgl. Anm. 2).
5 24.5-6 •/} 0X7) rcapa tv)? fxovaSo? ej( £t T*lv tWjöos {rnoßaciv : om. AR.
6 24.6-7 oü yap ext oüSs aeipä : « oü yap eti TrXvjGoi; oöSe rekelt;» Ar.
7 24.8 (vgl. 13, 20) tcov öjxoTaytöv : ar. mutagänis ~ öfioyev/jc; (vgl. Anm. 15),
doch ist schwerlich an Varianten der Vorlage zu denken; das bekanntere Wort
erschien als Hilfssynonym hinreichend.
8 24.9-10 to yap sv tocvti tü 7r>.v)0ei TaijTov ou y. äcp' svö c, tö Sv ev tqj tt>.r]0eL tijv
7rp6oSov : om.. AR per homoeoareton.
9 24.14 <x7ra (xta? '■ ar - häsiya ~ « y.y.pu-rr\c, xopuipvj » (s.o. B 1.03b, S. 112). -s-
268 deutsche übersetzung prop. 21
24.16 Und wenn dem so ist, muss in jeder Ordnung und Stufung vor der
Vielfalt ein Eines sein, das allem, was unter ihm ist, 10 eine Bestim¬
mung 11 gibt: so erhält die Vielfalt unter ihm eine Ordnung ihrer Teile
zueinander und in Bezug auf das Ganze, 12 welches das Eine ist. 13 Ich
(will) sagen: Jedes einzelne Glied eines Systems ist die Ursache dessen,
24.19 was unter ihm ist, bis hinauf zu dem Einen, welches die Ursache aller
Glieder dieses gesamten Systems ist 14 und somit notwendig vor den
(einzelnen) Dingen, die in diesem System sind: Sie alle gehen aus ihm
hervor, und daher werden alle, die in diesem System sind, gleichar¬
tig 15 — ein Genus ist ihnen gemeinsam und es ordnet sie eine Ordnung. 16
Zum Gebrauch von dbtpoT7]<; bei Proklos s. den Index der Inst, theol. ed. Dodds s.v.,
z.B. prop. 146:128.27 at oXat Ta^Eti;, obre vT)? scamov äxpÖT7]T0(; itposXOoücai.; zu
xopixpvj ~ dcxpoT/ji; s. Proklos, In Tim. I 231.6-7 tö aÜTOÖv, 8 7rp<öTco<; ecmv öv, xoputpy)
tc öv övtcov ecjtiv cctoxvtcov ; Damaskios, Dub. et sol. I 102.10-11 Set 8s —po toutcov
slvat ty)V y.oivrjv cbravTCOv äxpOT7 )Ta (j.tav cbrXcÖ!; ofiaav töv ttocvtcov xopuep-qv; ibid. I
127.24; Damaskios [?], In Phileb. 44.1 ott jxoväSa? xaXst xal evaSa? m? tcöv stScöv
x opucpit;; ibid., Index s.v. Vgl. auch axpov bei Plotin, Enn. V 3:12.41 u.ö.
10 24.16-17 Tot? ev au-rfi TETayjxsvot? : toi ? ü<p' aüttjv Ar. Statt auf tcc 5t? 24.16,
wurde au-r?) auf das Subjekt fxova? jxta 24.15 bezogen, die Bestimmung sinngemäss
modifiziert (opp. 24.15-16 irpö toü -Xr,0ou?) ; vgl. aber auch den Gebrauch von üno
in 24.18 twv u7to t Jjv aörf )v aetpav.
11 24.16-17 töv sva Xöyov : ar. hadd « opo?, optajxö? ». Vgl. Proklos, In Tim. II
117.1-2 -f] yap tcöv ÖEtoT^pcov tisös^t? Evtoatv sTrayet xal opov xat rä^tv toi? [iETE^ouaiv ;
Inst, theol., prop. 117:102.30-31 mxvTa [ls v yap Ta tiX^ O/), Tfj sauräv <puast äoptaTa
ovTa, Stä t 6 ev öpt^etai. • tö S e svtatov ... ßoüXsTat... TTEptccyetv et? opov tö (jly) toioütov.
— Zu Xöyo? i.S.v. optano? s. B onitz, Ind. Arist. 434b ; zu hadd vgl. auch Met.
1006 b 1 mit der Übersetzung des Ustät (355.2 ed. Bouyges), Top. 121a 12 mit der
Übersetzung des Abü c Utmän ad-Dimasqi (B adaw J , Mantiq Aristü 554.7, lies hadd
musärikihi).
12 24.17-18 7rp6i; te aAArjXa xat ~po? tö oXov wurde statt auf 24.16 Xoyov auf
24.17 TETay^vo? bezogen.
13 Vgl. etwa Plotin, Enn. VI 5:9.37; Damaskios, Dub. et sol. I 203 ff. (205.13-14
tö yap oXov aü|x<puaE? semv tcöv xaTa (xep?) äxpoTT)Tcov st? ev, tö oXov, auyxtpvcofAsvcov) ;
ibid. II 58.8.
14 24.19 tö 8s <o? [Atä? t?j? crEtpä? a 'tTtov äväyxv) 7tpö tcöv 7tävTcov slvat : gr. cö?
bereitet Schwierigkeiten; <b? [i.tä? r/j? aeipaq wird daher vereinfachend wie « 7rävT<av
tcöv üttö ty] v auTYjv astpeev » wiedergegeben.
15 S. Anm. 7 ( mutagänis ~ 6[j.oysvr]?), zur vorliegenden Stelle (24.20) vgl. aber
auch Plotin, Enn. III 8:5.24 6 (ioysvs? yap äst S ei tö ysvvckfisvov slvat.
16 24.20-21 [x7j d>? t6 S e Tt IxaaTov (äXX' cb?) bleibt ohne Entsprechung; ya c um-
PROF. 21 DEUTSCHE ÜBERSETZUNG 269
Daraus ist nun klar und evident geworden, dass das Eine und die 24.22
Vielfalt in der Natur des Körpers vorhanden sind: dass in der einen
Natur die vielen Naturen aufgehängt sind und die vielen Naturen aus
der einen Natur des Ganzen herrühren. Ferner ist klar geworden, dass 24.25
das Eine und die Vielfalt in der Substanz der Seele vorhanden sind — dass
nämlich die Seelen 17 aus der einen, ersten Seele herrühren { 18 } und die
vielen Seelen aufsteigen zu der einen Seele. Klar ist auch geworden, 24.27
dass das Eine und die Vielfalt in der intellektualen Substanz vorhanden sind 19
— dass nämlich die Substanz der Intelligenz eine ist 20 und die vielen
Intelligenzen aus einer Intelligenz emaniert 21 sind und zu ihr wieder
zurückkehren. Ferner ist klar geworden, dass das Eine, welches vor
allen körperlichen und seelischen und intellektualen 22 Dingen ist, vor den singu-
lären Dingen (svaSsc) ist und dass die singulären Dinge zu dem ersten 24.30
Einen zurückkehren, über dem nichts anderes ist. 22 So ist nun klar und
erwiesen, dass die Singularia (evdcSsi;) nach dem wahrhaft Einen 23 sind;
dass die Intellectualia nach der ersten Intelligenz sind; dass die Seelen
nach der ersten Seele sind und und die vielen Naturen nach der Natur 24.32
des Ganzen 24 .
Wenn dem so ist, wie wir gesagt haben, dann gilt: Es gibt Dinge, die
muhä gins wähid ist (unter Bezugnahme auf 24.8) analytisch aus mutagänis ~ 6(j.oyEV^e
abgeleitet.
17 « xai rvj oüata ir\c, üraxpxe:. to te ev xai t ö TtXTjßot; » add. Ar, analog zu
24.22-23, vgl. auch 24.27 -c?) voepä oücriqc. — 24.25 T75 t<x!;ei. t&v (jm^öv : « -zaXq i]a>-
Xat? » Ar.
18 24.26 xai cic; TcAvjOoi; ürcoßcavEiv : om. AR.
18 « y.al Tfi voepcf oüa'ia. {mäp/st to te ev xai, tö TtXvjOot; » add. Ar; vgl. Anm. 17.
20 24.27 xfl voepä oücta : -rfjv vospav oüaiav AR (als acc. c. inf., abhängig von
ipaVEpöv).
21 24.28 7rpoeX0ov : ar. tanbatt enthält gegenüber yanbcfit Z. 11 neben dem Be¬
griff der —pooSo? auch den der Siaxpiai?, s. prop. 5 Anm. 8 u. oben B 1.02, S. 109.
— Vgl. wieder prop. 35:38.13 a[ia yap Siaxploei. 7tpöoSo? ; Damaskios, Dub. et sol.,
II 14 f., zur Stelle auch ibid., I 220 f., 229.
22 Vgl. prop. 20, zu Z. yv bes. 20:22.30 xai oijxst!. toü zvbq aXlo ETtexeiva; s.a.
G. 1.11, S. 195.
23 24.30-31 To ev ... tö TipcÖTOv : etwa « to anXcoi; ev » Ar, vgl. in ähnlichem Zu¬
sammenhangPlotin, Enn. V 2:1.3 Ii- ootAoü evo? [toskotth], Damaskios, Dub. et sol.
I 284.3-4 aÜTOü <*7iXS>q evö? xai 7ip<oTou tcöv rcavTtov amou ; I 282.25-26, 283.19.
24 24.32 [itcTa ty )v SXyjv 9uctv : jxetä r ))v toü öXou 9üaiv Ar (vgl. 24.24 !).
270 DEUTSCHE ÜBERSETZUNG PROP. 21
nicht materiell sind, sondern nur Form; und es gibt ein anderes, das weder
Materie noch Form hat, vielmehr bloss Seiendes (öv) ist — es ist das wahrhaft
Eine, über dem nichts anderes ist, die Ursache der Ursachen. Ferner ist durch
unsere Worte klar geworden, dass die Dinge in drei Klassen zerfallen: Entweder
ist ein Ding Materie mit Form, sein Wesen formal und materiell; oder es ist nur
Form, sein Wesen formal und nicht materiell; oder es ist blosses Wesen (sTvou)
— sein Wesen ist weder materiell noch formal: Dies ist die Erste Ursache,
über der keine andere Ursache ist, wie wir zuvor gesagt und erläutert haben. 2ä
25 Die Zusätze am Schluss der propp. 15-17 subsumierten das aü-roxivrjvov = im-
aTps7mxöv 7rpö<; eauTo = /copiGTÖv icavTo? ccSjxairoi; unter die Klasse der suwar riihä-
niya, der (bereits im arabischen Titel thematisierten) „spirituellen", nicht-materiellen
Formen. Diese werden nun im vorliegenden Corollarium als intermediäres Stratum
in eine dreistufige Hierarchie des Seienden eingeordnet. S. dazu oben C 2.13,
S. 204-212.
271
Die Ewigkeit 1 ist das Mass 2 der ewigen 3 Dinge, und die Zeit 1 ist das 52.8
Mass der zeitlichen Dinge; und nur diese beiden messen die Dinge,
d.h. das Leben und die Bewegung.
Jedes Messende misst (ja) entweder ein Teil nach dem andern oder 52.11
das Ganze insgesamt. 4 Und wenn dem so ist, so (können) wir sagen:
Dasjenige, welches das Ganze misst, ist die Ewigkeit; und dasjenige,
welches die Teile eines nach dem andern misst, ist die Zeit. Also ist 52.13
nun klar und erwiesen, dass es nur zweierlei Mass gibt: Das eine
misst die ewigen, spirituellen Dinge — dies ist die Ewigkeit; das andere 52.14
misst die körperlichen, der Zeit unterworfenen Dinge 5 — dies ist die Zeit. 6
1 52.8 7xäq ccEwv ... 7t £ c, ypovo? : 6 a'uov ... 6 XP° V°S Ar. Vgl. Dodds, Comm. 229 zu
52.8.
2 52.8 (AETpov: c adad „ Zahl". Vgl. Aristoteles, Phys. 219b 1-2 toöto yäp ectiv o
XpovoiocpiOjAÖi; javrjaewi; xara tö 7rpÖTspov xat ücrrspov, dazu Plotin, Enn. III 7:9.1.
3 52.8 Ttov txkovuov: Ar gebraucht keine adjektivische Ableitung von dahr «atcov »,
dafür dä'im « öllSwq », vermittelt also nicht die strenge Scheidung zwischen aEtov und
aiSiörr)? (vgl. prop. 55). Freilich reichte prop. 54 allein nicht aus, den Unterschied
zwischen alcäv als hypostasierter Ewigkeit und aCStö-nj? als zeitlichem Immerwähren
zu verdeutlichen. Das gleiche Schwanken in der Terminologie zeigt aber auch
der Liier de Causis (s. o. B 1.08, S. 125).
4 52.11-12 oXov a[xa £<pap[ioo0EV tw (iETpoufxevo) : oXov ajxa Ar.
5 Zur Verbindung des ala>v mit den votjtoc, darüber hinaus mit der durch ar.
rühänl (s. B 1.11, S. 128) bezeichneten Transzendenz der Gottheit s. o. C 2.12, S. 204.
6 Ms. R: + „und sie ist das Mass der Bewegungen der Sphäre".
272
58.22 Jede Vielfalt, so sie nah 1 ist bei dem Einen, ist geringer an Quantität
als die Vielfalt, welche fern 1 ist von dem Einen und < grösser an Kraft.
58.24 Was ihm nahesteht, hat nämlich) 2 grössere Ähnlichkeit zu ihm
als das, was ihm fernsteht. Wenn dem so ist und das Eine die Ursache
(aller) Dinge ist und ihrer Vervielfältigung, 3 ohne selbst vieles zu werden, 4
so muss dasjenige, was ihm nahesteht 5 , Ursache für das Werden vieler
58.27 Dinge sein — mehrerer als dasjenige, welches ihm fern ist. 6 { 7} Es ist also
dasjenige, welches nahe beim Einen ist, an sich 8 geringer an Vielfalt
wegen seiner Nähe zu dem Einen, ist (aber) Ursache vieler Dinge wegen
der Grösse seiner Kraft und wegen seiner Nähe zu dem Einen. 9 Das dem
Einen Ferne (dagegen) ist an sich vieles und ist Ursache weniger Dinge wegen
der Kleinheit seiner Kraft und wegen seiner Ferne von dem Einen.
So ist nun klar und erwiesen durch das Gesagte, dass die körperli- 58.30
chen Substanzen 10 zahlreicher sind als die seelischen Substanzen —
-— und nach den seelischen sind allein die intellektualen 11 — und dass die
— und nach den intellektualen ist allein das Erste, d.h. die Erste Ursache,
10 58.30 ai ccofxaTixai <püffet<;: « od ccojxaTixal oüaioa » Ar. Vgl. S. 90, Nr. 23.
11 Vgl. prop. 20:22.13-23.
12 58.31-32 oE 8s voe? tt Xeiou? tg Sv 0stcov eväScov : Der Bearbeiter substituiert für
Proklos' Henaden-Gottheiten das Eine selbst und stellt dies unmittelbar über den
Bereich der vozq. S. dazu oben C 2.14, S. 212.
13 58.32 y.cd srcl 7tävTO)v o ahrbt; Xöyoi; : om. AR.
Proclus - 18
274
Dinge trägt und dass er ein intelligibles Substrat 8 ist, sowie dass der erste
1 Die propositio ist stark gekürzt. Übersetzt sind nur die Passagen, welche aus
der Hierarchie der Substrate und Ursachen die Beziehung der Ersten Ursache zur
Ersten Materie ableiten.
2 68.17 Trdvra tcc ev toi; [xete^ouctiv üttoxeijxevcov e/ovra Xoyov : « Tcavxa ira 7rXst<5-
vcov Ü7roxst|jt£va » Ar, analog zu 68.19 -ra TtXstovcov ai/ria vereinfacht.
3 68.18 ex TEXsto-repcov ... xal öXixo-rspcov ai-utov : Zur Behandlung der gr. Kom¬
parative s.o. B 2.21, S. 169; vgl. prop. 62 Anm. 1.
4 68.20 toü evö ; : Ar substituiert „die äusserste (erste) Ursache", um durch ter¬
minologische Symmetrie das Argument zu verdeutlichen.
5 68.20-26 -ra 8 e ... !cmv : om. AR. Nur die in der Wendung 68.24 7) fisv üXv], ex
toö evös 67rocttäga enthaltene Implikation hat eine Entsprechung in der ar. Version
(Z. i). S. Anm. 6.
8 68.26-27 Tj [jlev yap ü Xy), üttoxei^evov oöaa ttixvtcov , ex roü travteov alrtou jrpo7 )X0s.
Dies ist der einzige Satz aus dem zweiten Teil der propositio, den die Übersetzung
enthält. Die von Proklos 68.24-29 begründete Unterscheidung zwischen uXv] und
ccöfxix fällt also fort. Zur Bezeichnung der Ersten Ursache als al-fä c il al-auwal, der Hyle
als al-fiämil al-auwal s.o. G 2.41, S. 227 (zu hämil ~ uttoxei^evov auch B 1.06, S. 118).
— 'Y7toxEt[i.£vov Trav-rcov ist Z. £-o mit yaqwä c alä haml gaml c al-asyä D genauer
wiedergegeben; zum hier gebrauchten Ausdruck ( al-hayülä) al-qäbila li-gami c al-asyä 0
«TzävTtx. (67ro) Sexo (xevy ) » s. prop. 71:68.2-3 ai |iiv öctto t 5 v ävtoTepcov eXXcäcpLi^etq ürro-
Ssjcovtc« Ta; ex -rtov SsuTepcov TtpooSoui;; vgl. Plotin, Enn. II 4:11.2, bnoSoxr) als Auf¬
gabe der Materie ibid. 1.1, 6.2 usf. — S. auch die Interpolation prop. 76 a -<\ (dazu
C 2.43a, S. 232). In beiden propp. weist der ar. Titel auf die Hyle als TtpcÖTOV aLxia-röv.
7 68.27-29 To 8 e crcö[xa xt X. : om. AR.
8 Zum Begriff ü Xt) vo rj-rrj bei Aristoteles und im Neuplatonismus s.o. C 2.41, S. 228.
275.
Alles Ganze 1 ist auch Seiendes { 2}, doch nicht alles Seiende ist 68.30
ein Ganzes.
Denn entweder sind das Seiende und das Ganze ein und dasselbe, 68.32
oder eins von ihnen ist vor dem andern. Wir wollen das prüfen und
stellen fest: Das Teil { 3} ist ein Seiendes { 4}, aber es ist an sich kein
Ganzes. Also sind das Seiende und das Ganze nicht ein und dasselbe; 70.1
denn wenn sie dasselbe sind, ist das Teil kein Seiendes, da das Ganze
allein Seiendes wäre. 5 Wenn aber das Teil kein Seiendes ist, so ist auch
1 68.30 etc. oXov: kulllya « öXottji; » (vgl. prop. 73 \ o ~ 70.10-11 ) sowie kulll (Z. <
~ 68.34 usf.) stehen hier für das konkrete Ganze, daneben aber auch kull (Z. J ~
70.1 usf.). Zu kulllya ~ öXov vgl. Arist., De Caelo 294 b 32, 296 b 7 ~ ar. 286.13, 295.8
ed. Badawl. — Die formale Kongruenz mit huwlya ~ ov mag in der vorliegenden
prop. die Verwendung des Abstraktums mitbestimmt haben (vgl. auch oben S. 82).
Auf der anderen Seite steht in den arab. Versionen aristotelischer Texte regelmässig
kulll für xa06Xou, (al-)kulliya für ( tö ) xaÖoXou ; so bei Ustät: Arist., Met. I l:1052a35
tö öXov xal to xa06Xou ~ ar. 1237.3-4 ed. Bouyges: al-kull wal-kulll, Z 13: 1038 b 3
tö xa06Xou ~ 959.10 al-kulli, A 1:1069 a 26 tcc xa0oXou ~ 1416 v 2 al-kulllyät, usf.
(cf. Indices C/a, c, D/a ed. Bouyges); Abü Bisr Mattä: Met. A l:1069a26 t & xa0oXou
~ 1416.10 al-kulliya; Ishäq: De Int. 17 a 38 ff. xa06Xou ~ ar. 10.1 ff. ed. Pollak : al-
kulli (cf. Cat. ar. ed. Georr, Lexique s.v.); Abü c Utmän ad-Dimasql: Alex. Aphr.,
Quaest. I 11 a [s. o. S. 75], 21.15, 22.2 to £qjov tö xa06Xou ~ ar. 279.17, 280.5 ed.
Badawl: al-hayawän al-kulli. Auch kulllya ~ xaßöXou lässt sich — wenn diese Bedeu¬
tung intendiert ist — im Kontext der prop. rechtfertigen: Nicht nur das konkrete
Ganze, das aus Teilen besteht, sondern auch das Allgemeine, welches das Besondere
umfasst, ist (in platonischer Auffassung) ov. Diese terminologische Implikation
könnte auch erklären, warum in prop. 74 ( 70.15 etc.) SXov durchweg mit kull über¬
setzt wird: Hier würde die Subsumtion von kulllya ~ xa06Xou unter das öcto^ov
(70.17) einen Widersinn ergeben.
2 68.30 xal (xete)(ei, toü övto ? : om. AR? Aber auch Ausfall durch Homoioteleuton
(... al-huwiya) in unserem ar. Text ist denkbar.
3 68.33 fi (xspoi; bleibt unübersetzt, wie auch 74:70.17 fj &iop.o v, 80:74.31 fj awjici;
doch werden entsprechende Ausdrücke an anderen Stellen adäquat wiedergegeben
(fj ~ bi-annahü, s. B 1.01a, S. 77,84).
4 68.33-34 ex yöcp ^epcov ovtcov ecti tö öXov : om. AR. Vielleicht eine alte Inter¬
polation unseres gr. Textes, die in der Vorlage AR noch fehlte, ebenso wie die Paren¬
these unten 70.11-12 (Anm. 9).
5 ad 70.1 ei |j.6vov tö oXov ect Im Öv mss. PQ, secl. Dodds: habet AR.
276 deutsche übersetzung prop. 73
das Ganze kein Seiendes; denn alles Ganze heisst Ganzes auf Grund der
70.3 Teile, 6 sei es auch einmal vor, einmal in den Teilen. Ist aber kein Teil,
so ist auch kein Ganzes.
70.5 Wenn nun das Ganze vor dem Seienden ist, dann ist alles Seiende
zugleich auch Ganzes. Wenn dem so ist, ist (also) das Teil kein Seien-
70.7 des 7 , und das ist absurd und unmöglich; denn wenn das Ganze nur
durch die Teile 8 ein Ganzes ist, so ist auch das Teil (nur) bezüglich
des Ganzen Teil. Wenn sich das so verhält, wie wir dargelegt haben,
muss alles Ganze auch Seiendes sein, doch nicht alles Seiende Ganzes,
wie wir oben gesagt haben.
70.10 Also ist nun klar geworden aus dem Gesagten und erwiesen, dass
das Erste Seiende höher und allgemeiner ist als das Ganze, weil ja (der
Begriff des) Seienden mehr Dingen zukommt { 9} und (der des) Ganzen
70.13 weniger Dingen; und die Ursache, welche vielen Dingen gemeinsam ist,
ist edler und allgemeiner als die Ursache, welche wenigen Dingen
gemeinsam ist. 10 Und wenn dem so ist, ist zweifellos die Erste Ursache bloss
Seiendes, und keinerlei Qualität ist ihr vermischt. u
6 70.2-3 toxv yap öXov |j.eptöv ecmv oXov. Zur Wiedergabe allgemeiner Urteile
als Aussagen über den Sprachgebrauch vgl. ArÜb De Caelo 74.
7 70.6 [Aepoi; (2.): fort. om. AR.
8 70.7 [xepoui;: «fXEpcöv» Ar.; vgl. 70.2 (dagegen Dodds, Comm. 240 .5).
9 70.11-12 xod yap toi ? fispsaw, f) ^spv), fö slvca ümxpxei : om. AR. Vgl. Anm. 4.
10 70.13-14 cbc SeSsty.tai: om. Ar. Verwiesen wird auf prop. 60, die arabisch nicht
vorliegt.
11 Fast gleichlautend mit 74 \ Aus den beiden propp. 73 u. 74 ergibt sich,
dass das Seiende über den Formen steht: das Ganze über den Formen, das Seiende
über dem Ganzen, 70.23-24 <i> stotcii tö xc.i rrpö tcov EtSwv ücpecrravai to ov . ,,Unver¬
mischt" nennt Plotin das Erste Sein Enn. II 6:1.55 T7]v yap oüaitxv (pv)GO[XEv ixeT,
xupicb-rspov xod (xjjllyscrtspov s/ouaav to ov, elvcu oüatav ovtco ?, Proklos das OsZov prop.
122:108.2-3 afxixToi; xat svicüa ÜTTEpoxv). —■ Die Bezeichnung der Ersten Ursache, des
Einen, als Erstes Seiendes ist jedoch der vorliegenden Bearbeitung des Proklostextes
eigentümlich; s. dazu C 2.23, S. 215 f.
277
Jede Form 1 ist auch ein Ganzes { 2}, aber nicht jedes Ganze ist 70.15
Form. Denn das Individuum 3 ist ein Ganzes { 4}, doch es ist nicht
Form. { 5} (Vielmehr) ist die Form das in viele Individua Zerteilte. 70.19
Wenn dem so ist, dann ist das Ganze verschieden von der Form, und
es umfasst jenes viele Dinge, dieses weniger Dinge. { G}
Nun ist klar nach unseren Worten und erwiesen, dass das Ganze 70.22:
in der Mitte steht zwischen dem Seiendem und der Form. Wenn dem
so ist { 7}, ist jede Form auch Seiendes, nicht aber alles Seiende Form.
Jede Form ist nämlich Form in Bezug auf ein Seiendes, doch nicht jedes Seiende
ist seiend in Bezug auf eine Form. 6 — Daher tritt auch { 9 } die Privation 70.25
(<7T£p7)cn<;) unter (den Begriff) des Seienden, d.h. die Privation der Tätigkeit
1 70.15 etc. sISo? : süra. Der Übersetzer differenziert nicht zwischen forma und
species (andere trennen süra X nau c , s. o. B 1.14, S. 135,137), doch die Übertragung
von 70.18-19 (Z. y ) scheint richtiges Verständnis vorauszusetzen.
2 70.15-16 ex yäp tt Aeiövcov ucpectttjxev , tov exaaxov cu[i7rX7)poi tö e IS o ?: om. AR.
3 70.17 tö xai ixto^ov : as-saxs „Person, einzelner", t.t. für das ato[/.ov der
ai-istotelischen Logik. (Z. B. Ta ocrofia ~ al-asxäs : Cat. 3 a 35 ~ ar. 325 [fol. 163a3]
ed. Georr, Top. 109bl6 ~ ar. 505.6 ed. Badawl, Met. 999al2 ~ ar. 228.5 ed. Bouyges;
Ta xa0' Exacrra ~ al-asxäs: De Int. 17b28 ~ ar. 12.2 ed. Pollak u.ö.)
4 70.17 fj aTojxov : unübersetzt, wie schon 73:68.33 yj fjipoi; (s. dort Anm. 3).
5 70.18 toxv y&p o\ov satt tö ex |j.epcöv üipsato? : om. AR. Die Auslassung (durch
Homoioteleuton nicht erklärlich) ist auffällig, weil es sich um den ersten Schritt einer
zweiteiligen Begründung handelt, die wiederum mit den beiden Teilen des vorigen
Satzes kongruiert (oXov x e IS o ?) . Der logische Zusammenhang bleibt jedoch
gewahrt.
6 70.21 üirep tcc ei&t) äpa tüv ovtcov eot I tö oXov : om. AR. Vielleicht eine alte
Interpolation, die in der frühen Überlieferung noch fehlte. (Vgl. oben prop. 73 Anm.
4 u. 9.)
7 70.23 e7cetai) t6 xat npb tcöv e EScöv utpsatavai tö öv (xai) : om. AR. Zwar
ist der Satz sinngemäss in den Corollaria 74 und (fast gleichlautend) 73 \a
enthalten, aber diese stehen im Zusammenhang mit weiteren Interpretamenten der
ar. Prokloversion (s.o. G 2.23, S. 215).
8 Der Zusatz berührt sich formal mit 73:70.7-8, wenn auch dort eine kon-
vertible, hier eine nicht konvertible Aussage vorliegt.
9 70.25 ev toi? (x7totexea|jt.aotv : om. Ar.
278 DEUTSCHE ÜBERSETZUNG PROP. 74
der Natur ist auch ein Seiendes, 10 ohne doch Form zu sein: Die Privation
tritt unter (den Begriff) des Seienden auf Grund der Kraft des Ersten
Seienden, 11 denn dies vermag die Privation der Form eines Dinges zu
verursachen. 12
Damit ist nun klar und erwiesen, dass die Erste Ursache bloss Seiendes
ist, und keine Qualität ihr vermischt, wie wir erklärt und erläutert haben. 13
Vgl. die aristotelische Definition von CTspr;aic als Privation des y.ara tpuatv Beste¬
10
henden, Möglichen oder Zukommenden Met. © 1:1046a 31-33 u. bes. F 2: 1004al5f.
Iv 8s Tyj axspTjGsi xccl ÜTrojceifievr) tit; tpücii; y^yveTai xa6' % XeysTat y) arep'rjaiq. In¬
dessen ist diese Interpretation von a-cip-qciQ. auch äusserlich als Glosse formuliert
(aqiil ...), hier nicht recht am Platze; sie dürfte mit den Interpolationen in propp. 76
und 78 zusammengehören, welche die (puat? als „Zweite Ursache" unter das Eine
stellen (s.o. C 2.43-44, S. 229 ff.). Wie verschieden Aristoteles und Proklos den
Begriff auffassen, zeigt Phys. 193b 19-20 v.a.1 yap r) CTspyjcii; eISo? 7tc!x; sanv gegen¬
über prop. 74. Vgl. Anm. 12.
11 70.26 Sia T7)V EViaZav toü ovto; Suvajxtv : Siä ttjv toü TtpcoTtoi; övrot; Suvajj,!.v Ar.
Vgl. 73:70.10. Der Fortfall von ivicuav und der letzten Worte des Schlußsatzes (s.u.)
ergeben zusammen mit der Identifikation von TtpcoTtoi; ov und Erster Ursache (Z. ^ y)
eine andere Begründung für die Seinshaftigkeit der erspiel? ; s. dazu oben C 2.42,
S. 228.
12 70.26 xal aÜT od. toü elvoa xaTaSs^a^evai tivoc äjxuSpav £(j.(paci.v : om. Ar. Die
Version substituiert eine andere Begründung (vgl. Anm. 11). Die hier gegebene
Bestimmung von aTsprjaii; als cTEp7)ai<; toü eiSou? ist im Sinne des Autors (vgl. prop.
57:56.15); vgl. dagegen Z. \ (Anm. 10).
13 Das Corollarium ist nahezu gleichlautend mit 73 \V-1A (s.o. C 2.23, S. 216).
279
Alles, was von einer unbewegten Ursache herrührt, das ist un- 72.5
wandelbar und unveränderlich; und alles, was von einer bewegten
Ursache herrührt, das ist wandelbar und veränderlich. Ich (will)
sagen: Alles Werdende, welches von der Ersten Ursache ausgeht, ensteht nicht
durch Wandlung eines anderen vor ihm, vielmehr wird es aus nichts; und alles
Werdende, das von der Zweiten Ursache, d.h. von der Natur, ausgeht, entsteht
nicht aus nichts, sondern wird nur aus der Wandlung eines anderen vor ihm. 1
Wenn dem so ist, kehren wir (zur Ausgangsthese) zurück und stellen fest: 72.7
Wenn die Ursache ruhend und unbeweglich ist {2 }, so ist das aus ihr
Entstandene unwandelbar und unveränderlich, wie der Erste Träger, d.h. die
Materie .3 Ist aber die Ursache beweglich, so ist auch das aus ihr 72.13
Entstandene wandelbar und veränderlich {4}. Wenn nämlich das
Sein eines Dinges durch Bewegung und Wandlung hervorgebracht
wird, ist auch { 5} dies Sein selbst wandelbar und veränderlich und
beharrt nicht in einem Zustand. Denn wenn es sich nicht wandelt
noch verändert, sondern bei einem Zustand bleibt, so ist dies Ding edler 72.16
und vornehmer als seine bewegte Ursache, und das wäre absurd und
unmöglich. Wenn dem so ist, wie wir dargelegt haben, kehren wir (zur
1 Proklos begründet seine These im zweiten, ihr folgenden Abschnitt der pro-
positio (72.7-12). Dieser Abschnitt fehlt in der ar. Version (s. Anm. 2). An seine
Stelle setzt der Bearbeiter eine Interpretation — keine Begründung — der These,
welche ebenfalls den Werdevorgang erläutert, dabei aber der zuvor gegebenen
Dichotomie folgt. — Zur Natur als „Zweiter Ursache" vgl. prop. 78 VM > weiteres
hierzu und zum Theorem der creatio ex nihilo s.o. G 2.43, S. 229 ff.
2 72.7-12 ei yap ... äet : Ar gibt nur die Protasis 72.7 et (yo :p) dcx'.v7]?ov zart, toxvty]
to ttoioOv des zweiten Abschnitts; für das übrige ist die oben Anm. 1 besprochene
Interpolation eingetreten. Der vorliegende Satz, der lediglich die These wiederholt,
soll ein Korrelat zum zweiten Teil der Disjunktion ( 72.13 ff.) herstellen, das sonst
fehlen würde.
3 Vgl. prop. 72 VA (68.24, 26-27) ; s. dazu oben C 2.43b, S. 232.
4 72.14 >tax' oicrtav : om. Ar (s. Anm. 7).
6 72.14-15 to O javoujiivou jxeTaßaXXovTo? : om. Ar, wohl weil die Beziehung des
gen. abs. auf t b a'raov (72.13) nicht erkannt wurde.
280 deutsche übersetzung prop . 76
obigen Behauptung) zurück und sagen: Das Verursachte, das von einer ruhen¬
den Ursache herrührt, entsteht ohne Wandlung aus einem andern Ding vor ihm,
beharrt vielmehr in ein und demselben, dauernden Zustand gleich der Ursache, von der
es herrührt. Das Verursachte aber, das von einer bewegten Ursache herrührt,
entsteht aus der Wandlung eines andern Dinges vor ihm , 6 und es ist ebenfalls
72.18 bewegt und wandelbar und beharrt nicht in einem Zustand {'}, gleich
der Ursache, von der es herrührt.
Damit ist nun klar erwiesen, dass die Ursachen von zweierlei Art sind: die
ruhende und die bewegte Ursache. Was von der ruhenden Ursache herrührt,
ist ebenfalls ruhend, unbewegt und unbeweglich, wie die Erste Materie. Was
aber von der bewegten Ursache herrührt, ist auch bewegt, wandelbar und
beweglich, wie die Zweite Materie: nämlich die Substanzen, welche dem Werden
und Vergehen unterworfen sind. 8
Die vollkommene Kraft entspricht der tätigen Kraft 1, denn sie 74.9
bewirkt vollkommene Dinge { 2}; und wenn sie dies bewirkt, so ist sie
vermag ausser durch ein anderes, das vor ihr ist in actu { 3} : sie bedarf 74.12
bringt 4, wird also vollkommen und vollendet in actu wie das Schriftwerk
(können) wir zurückkehren und sagen: Die vollkommene Kraft ist 74.15
diejenige Kraft {'}, welche alle Dinge bewirkt und keines anderen bedarf
das in actu wirkte, um sie zur Tätigkeit und zum Handeln zu bringen: Dies ist
die Erste Ursache . 8 Die unvollkommene Kraft ist diejenige {'}, welche 74.16
nicht zur Tätigkeit imstande ist ausser durch ein anderes Agens,
welches in actu wirkt und ihre Tätigkeit hervorbrigt: Dies ist die
6 74.14 xct0' aü-e7]v apa dcTeXr]? ectov yj toioojtt ] Süva |xii;: om. Ar. (dem Sinne nach
im Vorhergehenden enthalten).
7 74.15-16 -i) toü Y.o.-z' Ivspyetav — yj toü Suvä |j.ei bleibt ohne Entsprechung; Ar
rekurriert auf Z. 11-14.
Zweite Kraft, d.h. die Natur. Sie wirkt alles ausschliesslich durch Bewegung,
Damit gilt nun, dass es zweierlei Kräfte gibt: Die eine ist die tätige
bedarf; und die zweite Kraft diejenige, welche zur Hervorbringung ihrer
9 Vgl. 76 i ; wie dort als Zweite Ursache, wird die Natur hier als Zweite Kraft
der prima causa gegenübergestellt. S. dazu oben C 2.44, S. 233-235.
283
hervorgehen; und zwar ist deren eine vollkommen, die andere unvoll¬
kommen, und die unvollkommene ist (nur) bereit zur Tätigkeit. 2 Denn
wenn das Agens keine Kraft hat, mit der es wirkt, kann es nichts
anderes wirken; und wenn das Werdende kein Bereitschaftsvermögen 74.24
hat, die Wirkung in sich aufzunehmen, kann es nicht werden. Das Agens
wirkt nämlich nur auf dasjenige, in dem das Vermögen zur Annahme 74.25
der Wirkung 5 ist — nicht auf alle Dinge; nicht auf ein Ding, das
seine Wirkung nicht annimmt.
1 74.18 rzäv tö yi.v6|j.£vov : kull mukauwan. Das part. pass. hat hier nicht resultati-
ven Sinn, sondern soll den „passiven" Charakter des Werdevorgangs hervorheben:
„Alles, was einem Werdevorgang unterworfen ist".
2 74.19 y.aX Süvctfziv äreX?] £Xetv ! 27 8uw.fj.iv TrpoEiXyjcpEVGa TsXeiav fehlen zunächst,
werden aber in der erneuten Disjunktion Z. o -1 (74.22-23 e'i -rs ... e'its ...) nach¬
getragen.
3 74.20 8 toüto 8uvä|j .ei. ea -riv bleibt ohne Entsprechung; Ar verabsolutiert die
evspyeia der aktiven Kraft, die nicht als eine je-einzelne, sondern als übergeordnete
Hypostase angesehen wird (prop. 78 <\ als causa prima!). Ähnlich 74.22 (Anm. 4).
4 74.22 {ix. Suvajjieco?) tt)? evoüg 7)<; : « ty )s 7TOL7]TiX7j£» Ar (vgl. prop. 78 Anm. 1).
Die von Proklos genannte „innewohnende" Suvafiii; ist vielmehr, je nachdem, die
aktive oder die passive.
5 74.26 7räcjxeiv : al-infi c äl entspricht gr. mxGot;, Ttäc/eiv, gehört aber sprachlich
als Passiv-Reflexiv zu fi c l „Tätigkeit, Wirkung, Evspyeia ".
284
erwidern wir: Jedes Agens hat eine Kraft, durch die es wirkt 6 . Wenn sich
nun ein aktiver Körper findet, 7 so wirkt er nicht insofern, als er Körper
ist, sondern durch die ihm innewohnende Kraft. Denn 8 jeder Körper,
insofern er Körper ist, ist ohne Qualität und ohne Kraft; die Kraft ist
in ihm nur insofern, als er sie erworben hat, und wenn er wirkt, so nur durch 76.8
die Kraft, die er erworben hat. Entsprechend verhält es sich mit den
unkörperlichen Dingen, d.h. sie erwerben (das Vermögen), Wirkung
zu erfahren, von der Natur der Körper, in welchen sie sind, und emp- 76.9
fangen also Teilung, obgleich sie in ihrer Substanz unteilbar sind und
weder Wirkung noch Affekte 9 empfangen.
Damit gilt nun, dass die Körper nichts wirken ausser durch die Kraft, die
von den Unkörperlichen her ihnen innewohnt, während sie (sonst) nur Wirkung
und Affekte erfahren; und dass die unkörperlichen Dinge Wirkung und Teilung
empfangen nur wegen der Körper, in. denen sie sind, während ihnen (sonst) nur
dierten Umstellung. Die durch diese Anordnung bedingte Härte des logischen
Anschlusses wird im Arabischen durch den hier ergänzten Vordersatz fa-in ulfiya girm
fä c il ausgeglichen.
1 78.19 t 6 övt 6ov : al-haqq, vgl. unten Z. v zu 78.25 al-huwiya al-haqq. Die
Identifikation von Seiendem und Wahrem finden wir schon bei Piaton ( Resp. 508
d5) und Aristoteles {Met. 0 10:1051b 1); t & äX7)0si; für das Eine hingegen bei
Plotin, Enn. VI 7:34.28. Vgl. auch S. van den Bergh, Die Epitome der Metaphysik
des Averroes, S. 218, Anm. 81 3 ; Goichon, Lexique, S. 82, Nr. 170.2; EI 2 s.v. hakk.
2 78.22 to 8' övt63? Öv dcTtEipov : to 8' öoteipov dtsl öv AR. Vgl. tö 8s äei öv der
Mss. MW des Gr.
3 78.23 uTrap^tv : s. Glossar s.v. dü zu dät ~ limxp^ic; (prop. 5 f.), bi-dätihi
~ xa0' auTo (vgl. S. 258 Anm. 10).
4 78.25 aü0u7roaT<xT<oqov ' rcäv yap aö0u7toordT<o? ov : om. AR, vielleicht durch
Homoioteleuton (nach övtco ? öv). Die prop. ist jedoch im ganzen stark gekürzt.
5 78.26 svosiSscrTaTov yäp : « ev yap [xövov» AR. Für den Bearbeiter unseres
Textes ist, wie wiederum aus dem Schlußsatz Z. \ y hervorgeht, das hier behan¬
delte ovtcoi; ov der prima causa synonym: Es ist nicht nur evosiSecrTaTov, sondern es ist
das Eine (s.o. C 2.23, S. 215). Entsprechend fehlt das Folgende:
6 78.27 otte eyyutatco to C evö? tetay ^evov, xal tö evi csuyyevectatov : om. AR.
Wohl im Einklang mit der vorangehenden Änderung, um die Trennung zwischen
ovto ic, ov und dem Einen als der Ersten Ursache aufzuheben (vgl. Anm. 8 u. 12).
7 78.28 tot« tyjv Suvajj.iv : Die Handschrift hat bil-huwiya, lapsus calami wegen
des voraufgehenden al-huwXya al-liaqq.
8 78.29-30 y,al oa<x> §•}) jj.5XXov ev xal (jtäwiov afieps^, tocoutco xal aTtsipov (iäXXov :
om. AR. Nehmen wir eine Umstellung ... xal (j.äXXov arcsipov an, wird Ausfall durch
Homoioteleuton denkbar. Aber wie die vorige omissio (Anm. 6) lässt sich auch
diese als bewusste Streichung begründen: Der fehlende Satz wurde als Aussage über
das ovto)? öv aufgefasst, dies als die Erste Ursache. Eine zwischen dem Einen und
prop. 86 deutsche übersetzung 287
und begrenzt, und daher sind die teilbaren Kräfte (überhaupt) auch
endlich. 9 Somit sind die Dinge, welche dem Einen fern sind, 10 endlich 9 80.1
auf Grund ihrer Teilbarkeit. { n }
Damit ist klar und erwiesen, dass die Erste Ursache eine ist, nicht
Vielfalt, und unendlich an Kraft, nicht an Grösse und Menge, wie (80.13)
wir erklärt und erläutert haben. 12
der Vielfalt vermittelnde Relativierung des ovtco? ov durch Abstufung in ein „mehr
oder weniger Eines" war damit nicht vereinbar. Zu den weiteren Parallelen s. o.
C 2.13-14, S. 206 ff. u. G 2.23, S. 215 f.
D 78.31, 32, 80.1 7id\iT7], -av-coc ohne Entsprechung; die relativen Aussagen über
das mehr oder weniger Einsnahe bzw. Einsferne werden damit in absolute über das
Eine und — an dieser Stelle — das Viele transformiert.
10 78.32-80.1 cd yap xai TtoppcoTctTco toü ivoq : « a'i te Ttoppco toü kvoq »
Ar. Wiederum eine absolute Charakteristik des Einsfernen; das vermittelnde Gegen¬
stück fehlt sinngemäss:
11 80.2-14 cd 8 e Trpürat. Sta rrjv äfispsiav cmsipoi x-rX. : om. AR. Eine Mehrzahl
von 7rpöSTai evocS e ? lässt die Anschauung des Bearbeiters nicht zu. (Vgl. G 2.14,
S. 212 zu prop. 62 \ \.) — Di e Übersetzung bricht hier ab (die zweite Hälfte der
propositio, 80.2-14, fehlt ganz), und die Konklusion stellt den fispt^o^evoa und
7üE7Tepaa(ji.evai. Suvajxsi^ nurmehr die erste und eine Ursache gegenüber.
12 Die Konklusion lässt sich als Redaktion des gr. Schlußsatzes 80.12 ty.Xktx jr/jv
äTtEipoSuvajxov ecmv • oux äpa aiteipov [sc. to ev] xarcc 7tXT)0ö? eotiv 'r\ ver¬
stehen, eher aber als quod. erat demonstrandum: ein Corollarium, das wie in den meisten
Abschnitten der ar. Version die These wiederholt und auf die Erste Ursache um¬
münzt. So wird hier Proklos' Aussage über das ovtoj? öv auf die Erste Ursache bezogen:
Allein die prima causa ist wahrhaft seiend (so nach den oben angezeigten Änderungen
gegenüber dem gr. Text), sie allein also <x7teipoSuva(xov.S. oben C 2. 23, S. 216.
288
82.17 Jede Kraft ist entweder endlich, oder sie ist unendlich. Indessen
geht die endliche Kraft erst aus der unendlichen Kraft hervor, die
unendliche Kraft dagegen aus dem absoluten, ersten Unendlichen.
82.20 Denn die zeitliche Kraft, d.h. die in der Zeit gewordene 1 , ist
endlich, die Unendlichkeit ist ihr verloren. Die Kraft aber, welche nicht
in einer Zeit entstanden ist, ist unendlich; doch die Unendlichkeit in ihr ist
zeitlich, d.h. sie endet nicht in der Zeit. 2 Die Erste Kraft schliesslich ist wahr¬
haft unendlich; aus ihr entspringt die Unendlichkeit in den unendlichen Dingen,
denn sie ist die Ursache aller Unendlichkeit.3
zeitlicher Dimension die transzendente der causa prima. (Zur Behandlung von lä
nihäya als Kompositum vgl. B 2.12, S. 163.) Vgl. dazu G 2.24, S. 216 f.
3 Vgl. prop. 92:82.28-31 (s.o. C 2.24, S. 217).
289
Jede Intelligenz ( c älim) 1 erkennt sich selbst. <Die Erste Intelli- 144.22
genz indessen erkennt nur sich selbst) und ist dabei nur eins an
Zahl, d.h. [sie ist Subjekt und] Objekt der Erkenntnis ( c älim wa-
ma c lüm), nicht als ein je anderes, sondern eines, Subjekt und Objekt der
Erkenntnis zugleich. Denn über ihr ist kein anderes Intelligibles (ma c lüm), nach
dessen Erkenntnis sie streben könnte 2; somit ist sie selbsterkennend, das Objekt
und das Subjekt der Erkenntnis zugleich. Von den übrigen Dingen hingegen, 144.24
welche Erkenntnis haben (dawät al- c ilm), erkennt ein jedes sich selbst
sowie was über ihm ist, wird aber auch erkannt; es erkennt nämlich,
was über ihm ist, und wird erkannt von dem, was unter ihm ist. 3
Wenn dem so ist, kommen wir (zum Ausgangspunkt) zurück und 144.26
stellen fest: Jede Intelligenz erkennt sich selbst oder was über ihr
ist oder was unter ihr ist. Erkennt sie, was unter ihr ist, so kehrt sie 144.28
zurück zu einem Niederen; denn dann erkennt sie einen Gegenstand sinn¬
licher Wahrnehmung, nicht ein Intellektuales (sai 3 c aqli) gleich ihm. { 4} Ich
1 Die ar. Terminologie der Proklostexte für das semantische Feld voüc / voetv -
YväGte; / Yivcocxeiv ist uneinheitlich und weicht von den ziemlich einhelligen Normen
der übrigen Übersetzungsliteratur ab: c alima steht für vosiv wie für ywcdcrxetv, c ilm,
c älim neben dem üblichen c aql für vout;; s.o. B 1.15, S. 138. Eine sinnvolle deutsche
Proclus - ig
290 deutsche übersetzung prop. 167
behaupte <(aber) : Sie erkennt nur ihre Ursachen, und die Ursachen sind intellektual
( c aqliya), nicht sinnlich; also ist auch ihre Erkenntnis der Ursachen intellektuale
Erkenntnis ( c ilm c aqli). 5 Denn der Intellekt (al- c aql) erkennt nur, was ihm
sie auch sich selbst. { 8} Erkennt sie nämlich, was über ihr ist, so erkennt
146.4 sie, dass dies eine Ursache ist, und weiss auch, Ursache welcher Dinge
dies ist; denn wenn sie die verursachten Dinge nicht kennt, erkennt
sie auch deren Ursache 9 nicht. Wer aber die Ursache der verursachten
Dinge 10 kennt, und selbst zu diesen Dingen gehört, kennt (nicht nur) die
146.7 Ursache, welche über ihm ist, (sondern) weiss auch, dass er von ihr
im wesentlichen nur 144.28-29 äXX' st fiiv tö j^e O' ecojtov, -pö? tö %sipov s7n.gtpetjjet.
voü? oiv expliziert (vgl. aber Anm. 5).
5 Zur Gegenüberstellung von vou? und ata07)ai; vgl. Piaton, Tim. 28 a xoivöv
8s xarä -äs?)? votjgscoi; ocütö toüto tö ev S ov s/siv tö yvcoaTÖv • toutco yap Sqnov xal
Stäupet vSrjoit; aEcsG/jasco?. Im Lichte dieser Definition erhält das ar. Interpretament
seine Beziehung zu der Passage 144.29-31, an deren Stelle es tritt: Proklos sagt nur,
dass der Ntis nicht tö. e£co aü-roö erkennt. Vgl. auch Proklos, In Tim. I 251.7-9 (ad
28 a) cöc7rsp o Xoyoi; f7j vov)aei auva<p0si<; aipsi rb vo 7]töv, oötw xal rj 8oE,a -rfi aEaOvjast
auvtax0etcra yivwaxel tö ysvvjTov, 26-27 ä;o> yäp aü-r/ji; ectti xal oüx ev S ov to yvcoGTÖv,
cocjttsp exeivou tö voy]t 6v . Der voü; erkennt die (intellektualen) atrial, die atcrO^atc
ist zu solcher Erkenntnis unfähig: Dazu In Tim. I 248.11-17. —Zu Z. ( c ilm c aqli
~ « vospä yvwait;») vgl. prop. 173:150.30-31 vospw? apa sv tö 5 vcö Ta Tcpö auToü.
6 144.31 o yap e^ei, oTSe . (Der Rest des Satzes 31-32 xal o ... ttettov Oev bleibt, wie¬
der ohne Entsprechung.) Vgl. auch S. 151 Nr. 10 u. Plotin, Enn. I 6:9.30, II 4:10.3.
7 146.1 e E [zev 8iä ty)<; eautoü yvcicEcot; : om. AR.
8 146.2 ei 8s exeivo faovov, sauröv ayvorjaEt voüi; cSv : om. AR.
9 146.5 tö tco slvai 7rapotyov : to a'mov aÜTcov, om. tco slvai Ar. — Die folgen¬
den, von D odds athetierten Wörter a -apäysi, xai sind ohne Entsprechung, ebenso
aber das (tautologische, für den Sinnzusammenhang entbehrliche) Schlusskolon
146.5-6 a 7rapays!. jat) yivwaxcov.
10 146.6 &\> cutiov : tö ai/riov AR. o wurde anscheinend als Subjekt des Relativ¬
satzes aufgefasst.
11 146.7 eccutöv ... ÜTCOGTavTa wurde vom Übersetzer als acc. c. part. bei yvtiasTca
verstanden. Das ergibt einen erträglichen Sinn, wenn auch nicht den geforderten:
Die Intelligenz erkennt in der Ursache sich selbst, weil sie von ihr herrührt {part.
coniunctuml).
prop. 167 deutsche übersetzung 291
Wenn {sich das so verhält, ist) die (Intelligenz), welche allein 146.9
sich selbst erkennt, zugleich Subjekt und Objekt der Erkenntnis ( c älim
wa-ma c lüm) ; denn es ist über ihr nichts anderes, das zu erkennen sie streben
könnte, und somit ist sie Subjekt und Objekt der Erkenntnis , 12 Was hingegen
die anderen Dinge anlangt, so erkennt ein jedes von ihnen das Intelli- 146.11
gible in sich und erkennt, was über ihm ist; es ist also nicht Subjekt und
Objekt der Erkenntnis {zugleich) , 13 wie wir von der Ersten Intelligenz gesagt
haben. Wenn dem so ist, ist also in der Intelligenz ( c ilm) ein Intelligibles
(ma lüm), und im Intelligiblen ist Intelligenz. Indessen ist im einen
c
Falle 14 die Intelligenz durch sich selbst erkannt, denn sie erkennt sich selbst,
und Subjekt und Objekt der Erkenntnis sind in ihr als ein und dasselbe —
im andern Falle 14 dagegen nicht, d.h. das Intelligible ist nicht (beides in) 146.13
einem; denn es selbst erkennt, was über ihm ist, und es wird erkannt von dem,
was unter ihm ist, und somit sind Subjekt und Objekt der Erkenntnis
nicht eins. 15 Allerdings 16 ist das absolute Intelligible verschieden von
12 146.9-10 s'i o5v ... atrröc;: Ar gibt eine Wiederholung von Z. y-V (vgl. Anm. 2).
In der Tat ist der hier bezeichnete voü? votjtoi; der izpüniaxoq V0O5 von 144.22, aber
während Proklos die oben aufgestellte These hier erläutert, wiederholt Ar diese selbst
als eine Folgerung aus den vorherigen Ausführungen.
13 Nach Proklos ist auch die niedere Intelligenz Objekt ihrer selbst, wenngleich
nicht das ausschliessliche. Die arabische Version betont dagegen (Z. yo), dass die
dem höchsten Nüs folgenden Intelligenzen als Subjekt die jeweils höhere zum Objekt
haben, hingegen selbst Objekt der jeweils niederen seien, dass insofern also keine
Koinzidenz von Subjekt und Objekt, voü<; und vovjtöv bestehe (s. Anm. 15).
11 146.12-13 6 (J.EV..., 6 8e ... : Ar verfehlt die Beziehung der Disjunktion. Der
Autor meint die höchste Intelligenz auf der einen, die niedere auf der anderen Seite;
der Übersetzer knüpft an die beiden Glieder des vorangehenden Satzes an: 6 (jlev
sc. 6 vouc, £v &> to v07]tov (sc. 6 7rpa >tlctt05 voü?) 6 §s sc. 6 voö? o £v voy]tcö
(vgl. das Folgende).
16 146.13-14 6 8e ttö jxev sv atjttö o aütö?, tcö ;tpä aü -roO Ss oüx 6 aüto c, : Ar
bezieht den zweiten Teil der Disjunktion auf die niedere Intelligenz qua vo 7)t 6 v ; d.h.
eine Intelligenz, deren Objekt nicht — wie auf der höchsten Stufe — mit dem
Subjekt der Intellektion koinzidiert, ist selbst intelligibles Objekt einer anderen,
nämlich der nächstniederen Intelligenz (als deren Ursache), und sie hat wiederum
ihr Objekt nicht in sich selbst, sondern rrpö aü-roö. Diese Version eliminiert den
Punkt, auf den es vor allem ankommt: Der Geist erkennt in der intuitiven Selbster¬
kenntnis zugleich die ihn konstituierende Ursache. — Vgl. oben C 2.311, S. 219
zur möglichen Tendenz dieser Modifikation (die indessen weitgehend auf mangeln¬
dem Textverständnis beruhen dürfte; s. aber Anm. 3 zur Parallele Z. o -l).
16 Da Z. y £ - y o der niedere vou? als votjtov der nachfolgenden Intelligenzen be-
292 deutsche übersetzung prop. 167
146.15 dem Intelligiblen, welches in der Intelligenz ist — ich meine: Die erste,
absolute Intelligenz ist auch intelligibel, doch hier ist das Intelligible nicht
verschieden von der Intelligenz, denn es ist absolut singulär, kein anderes Intelli-
gibles über ihm. Die Intelligenzen aber, welche nach ihm sind, erkennen und
werden erkannt: Sie erkennen, was über ihnen ist, und werden erkannt von dem,
was unter ihnen ist, wobei Subjekt und Objekt der Erkenntnis in ihnen nicht ein
Damit gilt nun, dass es Intelligenz gibt, welche sich selbst erkennt und erkennt,
was über ihr ist — Subjekt und Objekt der Erkenntnis sind nicht in ihr als ein
und dasselbe, denn sie erkennt, was über ihr ist, und wird erkannt von dem,
was unter ihr ist; und dass es eine andere Intelligenz gibt, welche nur sich selbst
erkennt, also Subjekt und Objekt der Erkenntnis zugleich ist als ein und dasselbe
zeichnet wird, setzt der Schlußsatz adversativ ein: Auch der höchste Nüs ist ein
Intelligibles, doch sich selbst identisch.
17 al- c ilm al-auwal al-mursat : Zum Begriff des cbrXüi; vovjtov ( 146.14) stellt Ar den
des (xrcAcot; voüi;, d.i. 6 voö?; das absolute Intelligible ist dessen, mit ihm
koinzidentes, Objekt. — Die Zusammenfassung am Schluss bringt im übrigen nur
eine umständliche Wiederholung des letzten Abschnitts.
293
Alles, was bei einem Intellektualen 2 unbekannt ist, (ist auch bei
dem jeweils niederen unbekannt, und alles, was bei einem Intellektua¬
len bekannt ist,) ist auch bei dem jeweils höheren bekannt; doch ist
nicht alles, was bei einem Intellektualen bekannt ist, auch bei dem
jeweils niederen bekannt. 3
Denn obwohl die Intelligenz in allen intellektualen Formen
(gemeinsame) Ursache ist, 4 bleibt doch manches Wissen einigen
verborgen, während es anderen bekannt ist — und wieder andere haben
ein Wissen, das einigen entzogen ist. Wenn dem so ist, (können)
wir (zu unserer Behauptung) zurückkehren: Alles, was bei einem Intel-
lektualen bekannt ist, ist auch bei dem (jeweils höheren bekannt; nicht
aber ist alles, was bei einem Intellektualen bekannt ist, auch bei dem)
nächstniederen bekannt.
Was immer nun eine jegliche intellektuale Ordnung 5 kennt, das
ist bei einer anderen, höheren Ordnung xocTa<p<mxw<; bekannt; und was
bei einer intellektualen Ordnung xaxaqxmxcös bekannt ist, wird unter¬
halb dieser Ordnung bekannt sein. 6 So sind in unaufhörlicher (Folge)
die Dinge bekannt bei einigen Intellektualen, verborgen vor anderen, bis
hinauf zur Ersten, höchsten Intelligenz — bei ihr sind alle Dinge
bekannt und bewusst, nichts ist ihr verborgen. Ihre Erkenntnis der
Dinge unterliegt keinerlei Qualifikation wie (die Erkenntnis) der
übrigen Intellektualen; vielmehr erkennt sie die Dinge durch ihr
blosses Sein 7 — sie ist die Erste, vollkommene Intelligenz, die Ursache
aller Intelligenz. 8
So ist nun erwiesen, dass manche Dinge bei einigen Intellektualen
bekannt, vor anderen verborgen sind, und so fort, bekannt und verbor¬
gen, bis hin zur Ersten Intelligenz, bei der sie alle bekannt und bewusst
sind: da wird die Verborgenheit nichtig und hinfällig.
5 S. C 2.322, S. 221.
6 Zur Transkription von xam<{> olgic, (bil-qätäfasis „durch y.cnxcpciGig") s. B 1.19
S. 148. — Zur Bedeutung s. C 2.322, S. 221.
7 Zum Ausdruck bi-annihifa-qat « ooitcö tm elvca» s.o. B 1.01, S. 83 f., 90-92. Eine'
besonders enge Parallele zur Formulierung bietet Theol. Arist. 5.40: 71.14-15 (s.
S. 91, Nr. 29). — Weiteres zur Stelle s. G 2.331, S. 222.
8 S. C 2.332, S. 223.
LITERATURVERZEICHNIS
des Ishäh: ibn Honain. Hrsg. und mit einem Glossar der philosophischen
Termini versehen von Isidor Pollak . Leipzig 1913. (Abhandlungen
f. d. Kunde des Morgenlandes. 13, 1.)
— Met. = Aristotle's Metaphysics. A revised text with introduction and
commentary by W[illiam] D[avid ] Ross. Vol. 1. 2. Oxford 1924,
repr. 1958. [Darin: Commentary = Ross, Comm.]
— Met. [ar.]: s. IbnfRusd, Tafsir Mä ba c d at-tabi c a.
—• Aristütälis. Fi n-Nafs [De An., ar. usw.]. Räga c ahä wa-haqqaqahä
wa-qaddama lahä c Abdarrahmän BadawI . Al-Qähira 1954. (Diräsät
Islämiya. 16.)
— Aristütälis. Fi s-Samä 3 wal-Ätär al- c ulwiya [De Caelo, Meteor., ar.].
LITERATURVERZEICHNIS 297
Caelo.]
Ess, Josef van: Jüngere orientalistische Literatur zur neuplatonischen Überlie¬
ferung im Bereich des Islam. In: Parusia. Festgabe für J. Hirschberger
(Frankfurt a. M. 1965), S. 333-350.
—- Über einige neue Fragmente des Alexander von Aphrodisias und des Proklos
Finnegan, J.: Texte arabe du IIspl voü d'Alexandre d'Aphrodise. In: Me-
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[1957] 203-232.
Wenrich, Johann Georg: De auctorum graecorum versionibus et commen-
tariis sijriacis arabicis armeniacis persicisque commentatio quam scripsit
may conclude that both originated in the same period and milieu. The
striking analogy in the wording of the titles suggests moreover that the
Proclus texts were believed to be excerpts from this very 'Theology' of
Aristotle ( Kitab Aristu\a]talis al-musamma [U]Tulugiya wa-ma c nahu l-kalam
[iwa-huwa qaul\ fi r-rububiya).
translated by the same author. Like propp. 15-17, some of these are
version and the other texts brought into comparison and to determine
other techniques of the translator have been listed along with testimo¬
nies for each item from the related texts, as far as available. On the
other side, the usage of Abu c Utman (who in his terminology followed
the school of Hunain ibn Ishaq) has been illustrated by some counter¬
proving the point under discussion — the place of the Proclus version
logy. The philosopher al-Kindi, who assigned some of these texts to the
translators, and who drew from their works in his own writings and
sics, may have been, in a way, the spiritus rector of the group. His utiliza¬
against the original Proclus texts. While some of these are merely explan¬
physical system. (Also into this category falls the additional paragraph
following prop. 167, which agrees with the doctrine of the shorter addi¬
tions.)
***