Sie sind auf Seite 1von 25

Produktsicherheit gewährleisten –

Haftungsrisiken minimieren:
Der Weg zum sicheren Produkt
in der EU

©pitels-fotolia.com
Der Außenhandel ist eine wichtige Trieb- wurde in Deutschland seit 1990
feder der deutschen Wirtschaft. Die kontinuierlich durch den Gesetzgeber
bedeutendsten Absatzmärkte liegen in der angezogen und auch auf europäischer
EU. Fast 50 % des in Deutschland erwirt- Ebene wird über weitere Verschärfungen
schafteten BIP ist für den Vertrieb im Aus- nachgedacht. Gemäß dem Produkthaf-
land bestimmt. Beim Vertrieb von Produk- tungsgesetz (ProdHaftG) haften Unter-
ten im europäischen Binnenmarkt muss in nehmen verschuldensunabhängig für
vielen Fällen die Konformität eines Personen- und Sachschäden, die durch
Produkts mit den geltenden rechtlichen einen Fehler ihres Produktes entstehen.
Bestimmungen der EU nachgewiesen Sowohl bei Geschäften in Deutschland als
werden. Mit der Anbringung der CE-Kenn- auch in anderen EU Märkten ist es daher
zeichnung bestätigt der Hersteller, dass unerlässlich, die Haftungsrisiken des
sein Produkt vor der Markteinführung Produkthaftungsrechts zu kennen und
geprüft wurde und z. B. einem harmoni- effektive Möglichkeiten der Entlastung zu
sierten Sicherheitsstandard entspricht. nutzen. Hierzu gehören neben den ver-
Insbesondere für kleine und mittlere traglichen Möglichkeiten zur Haftungs-
Unternehmen (KMU) ist die Umsetzung beschränkung v. a. ein effektives Risiko-
der europäischen Bestimmungen jedoch management sowie die Nutzung von
oft ein kompliziertes Unterfangen. So stellt Produkthaftungsversicherungen.
sich in der Praxis beispielsweise die
Der vorliegende Leitfaden informiert über
Frage, welche Produkte von der
den korrekten Umgang mit der CE-
Kennzeichnungspflicht betroffen sind, was
Kennzeichnung und technischen Doku-
beim Import eines Produkts von einem
mentationen. Das komplexe Thema der
Hersteller außerhalb der EU zu beachten
Produktsicherheit wird im ersten Teil in
ist oder warum es verschiedene Arten der
fünf aufeinander aufbauenden Schritten
Konformitätsbescheinigungen gibt.
übersichtlich dargestellt, um dem Leser
Neben der Auseinandersetzung mit den einen praktischen Wegweiser zu bieten:
Anforderungen der Kennzeichnungs-
1.1. Rechtliche Grundlagen kennen
pflichten spielt bei Geschäften in
1.2. Anwendung der Rechtsvorschriften
Deutschland und innerhalb der EU für
prüfen
Hersteller, Zulieferer, Händler und Impor-
1.3. Sicherheitsanforderungen erfüllen
teure auch der effektive Umgang mit
1.4. Konformität nachweisen
Produkthaftungsrisiken eine zunehmend
1.5. Produktsicherheit organisieren
wichtige Rolle. Die Haftungsschraube

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

1
Der zweite Teil des Leitfadens (Punkt 2.) Dabei geht es vor allem darum, dass
beschäftigt sich mit Aspekten der Produkte „sicher“ sein sollen. Das heißt
Produkthaftung und zeigt effektive Wege wenn Menschen Produkte verwenden,
zur Minimierung von Produkthaftungs- dann soll ihnen (und auch der Umwelt)
risiken, insbesondere durch geeignete nichts passieren. In diesem Sinne ließen
Produkthaftungsversicherungen, auf. sich alle Rechtsvorschriften des Pro-
duktsicherheitsrechts auch in einem Satz
Dieser Leitfaden wurde mit größter
zusammenfassen: Stellen Sie sichere
Sorgfalt erstellt. Für die Richtigkeit der
Produkte her! Doch so einfach macht es
Informationen übernimmt die EIC Trier
sich der Gesetzgeber nicht …
GmbH keine Gewähr. Für Verbesserungs-
Das Produktsicherheitsrecht umfasst im
vorschläge, sachliche Hinweise und
Wesentlichen folgende Rechtsvorschrif-
Anregungen sind wir jederzeit dankbar.
ten:
Die Informationen in diesem Leitfaden
 das Geräte- u. Produktsicherheits-
ersetzen in keinem Fall eine rechtliche
gesetz (GPSG)
Beratung. Für weitere Informationen wen-
 die Gesetze und Verordnungen, mit
den Sie sich bitte an: EIC Trier GmbH,
denen die sogenannten CE-Richtlinien
Thomas Weinand, Tel: 06 51/ 97 567-14,
umgesetzt werden wie zum Beispiel:
E-Mail: weinand@eic-trier.de.
 1. Verordnung zum GPSG
(Umsetzung der EG-Niederspan-
nungsrichtlinie)
1. Produktsicherheitsrecht (CE-Kenn-
 9. Verordnung zum GPSG
zeichnung)
(Umsetzung der EG-Maschinen-
richtlinie)
1.1. Rechtliche Grundlagen kennen
Unter der CE-Kennzeichnung oder ge-  Medizinproduktegesetz

nauer gesagt dem Produktsicherheits- (Umsetzung der EG-Medizinpro-

recht sollen hier alle zwingend anzuwen- dukterichtlinie u. a.)

denden Rechtsvorschriften (das heißt Ge-  sowie die Spezialgesetze für be-
setze und Verordnungen) verstanden stimmte Produktgattungen wie z.B.:
werden, die an das Inverkehrbringen von  Personenbeförderungsmittel
Produkten bestimmte Mindestsicherheits-
 Lebensmittel, Futtermittel, Kosme-
anforderungen stellen und deren Ein-
tika und Bedarfsgegenstände oder
haltung von Behörden überwacht wird.
 Arzneimittel

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

2
Zudem können sich auch noch aus Nr. EG-Richtlinie Deutsche
Rechtsvorschriften, die eher anderen mit Kennnummer Rechtsvorschrift
01 Allgemeine Produktsicherheit Geräte- und Produktsicher-
Rechtsbereichen wie beispielsweise dem (2001/95/EG) heitsgesetz (GPSG)

Umweltrecht zuzuordnen sind, einzelne 02 Maschinen 9. Verordnung zum GPSG


(2006/42/EG)
sicherheitsrechtliche Anforderungen an 03 Niederspannung 1. Verordnung zum GPSG
(2006/95/EG)
das Inverkehrbringen von Produkten er-
04 Elektromagnetische Gesetz über die elektro-
geben. Beispiele hierfür sind etwas das Verträglichkeit magnetische Verträglichkeit
(2004/108/EG) von Geräten (EMVG)
Elektrogesetz oder die REACH-Verord- 05 Einfache Druckbehälter 6. Verordnung zum GPSG
(87/404/EWG)
nung.
06 Druckgeräte (97/23/EG) 14. Verordnung zum GPSG

07 Persönliche 8. Verordnung zum GPSG


Die folgende Tabelle gibt einen Überblick Schutzausrüstungen
(89/686/EWG)
zu den in der Praxis am häufigsten
08 Nichtselbsttätige Waagen Eichordnung
(90/384/EWG)
anzuwendenden Rechtsvorschriften des
09 Gasverbrauchseinrichtungen 7. Verordnung zum GPSG
Produktsicherheitsrechts. Nicht aufgeführt (90/396/EWG)

sind insbesondere spezielle Rechtsvor- 10 Wirkungsgrade Heizungsanlagenverordnung


Warmwasserheizkesseln (HeizAnlV)
(92/42/EWG)
schriften, etwa für chemische und pharma-
11 Aufzüge (95/16/EG) 12. Verordnung zum GPSG
zeutische Produkte, für öffentliche Perso-
12 Bauprodukte (89/106/EWG) Bauproduktegesetz (BPG)
nenbeförderungsmittel sowie für Nah- 13 Medizinprodukte Medizinproduktegesetz (MPG)
(93/42/EWG)
rungsmittel. Da die meisten Rechtsvor-
14 Aktive implantierbare Medizinproduktegesetz (MPG)
schriften des Produktsicherheitsrechts medizinische Geräte
(90/385/EWG)
mittlerweile aus der Umsetzung von EG- 15 In-vitro-Diagnostika Medizinproduktegesetz (MPG)
(98/79/EG)
Richtlinien hervorgehen, enthält die
16 Geräte und Schutzsysteme 11. Verordnung zum GPSG
Tabelle auch die dazugehörenden EG- in
explosionsgefährdeten
Bereichen (94/9/EG)
Richtlinien. Beide Rechtsvorschriften
17 Explosivstoffe für zivile Sprengstoffgesetz (SprengG)
bilden gewissermaßen eine Texteinheit, Zwecke (93/15/EWG)

18 Sportboote (94/25/EWG) 10. Verordnung zum GPSG


denn die Texte der nationalen Rechts-
19 Spielzeug (88/378/EWG) 2. Verordnung zum GPSG
vorschriften verweisen häufig auf Text-
20 Funkanlagen und Gesetz über Funkanlagen und
stellen in den EG-Richtlinien. Weiterhin ist Telekommunikationsendeinri
chtungen (1999/5/EG)
Telekommunikationsendeinrich
tungen (FTEG)
die nachfolgende Tabelle nach der 21 Seilbahnen für den 16 Einzelgesetze der
Personenverkehr Bundesländer, z. B. Bayrisches
Anwendungshäufigkeit sortiert – und nennt (2000/9/EG) Eisenbahn- und
Bergbaugesetz
dabei zuerst die EG-Richtlinien, da deren 22 Energieeffizienz elektrischer Energieverbrauchshöchstwerte
Haushaltskühl- und verordnung (EnVHV)
Titel meistens aussagekräftiger im Hinblick Haushaltsgefriergeräte
(96/57/EG)
auf die Anwendung in der Praxis sind.
23 Vorschaltgeräte für Energieverbrauchshöchstwerte
Leuchtstofflampen verordnung (EnVHV)
Liste oft anzuwendender Rechtsvorschriften (2000/55/EG)

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

3
Liste oft anzuwendender Rechtsvorschriften oder gar verschenkt wird. Letztlich
definiert aber jede Rechtsvorschrift des
Nr. EG-Richtlinie Deutsche
mit Kennnummer Rechtsvorschrift Produktsicherheitsrechts für ihren Anwen-
24 Lärmschutz für Geräte und 32. dungsbereich selbst, was dort unter
Maschinen (2000/14/EG) Bundesimmissionsschutzveror
dnung (32. BImSchV)
Inverkehrbringen genau zu verstehen ist.
25 Messgeräte (2004/22/EG) Eichgesetz, Eichordnung
So kann das Inverkehrbringen:
26 Ökodesign (2004/22/EG) Entwurf zum Gesetz über
energiebetriebene Produkte
 nur das erstmalige Überlassen an
27 Aerosolpackungen 13. Verordnung zum GPSG
(75/324/EWG)
einen anderen betreffen, wie dies bei
Abbildung 1: Krey, Volker: CE-Praxisleitfaden
den CE-Richtlinien der Fall ist

1.1.1. Was ist ein Produkt?  über das erstmalige Überlassen


Ein Produkt im Sinne des Produkt- hinausgehen und auch jedes weitere
sicherheitsrechts kann zunächst einmal Überlassen mit einschließen, wie es
jede hergestellte fertige oder auch unferti- das GPSG vorsieht, das damit auch
ge Sache sein, die Menschen in irgend- gebrauchte Produkte erfasst
einer Art und Weise verwenden, seien es  auf eine wirtschaftliche Unterneh-
Gegenstände für den privaten Gebrauch, mung, also auf ein kommerzielles
technische Arbeitsmittel, Stoffe und Überlassen begrenzt sein
sonstige Materialien, Nahrungsmittel für
 das Ausstellen eines Produktes auf
Menschen und Tiere oder Software-
Messen ausschließen
programme usw. Weiterhin kann aus
rechtlicher Sicht ein quasi neues Produkt  die Einfuhr in den Wirtschaftsraum der

entstehen, wenn man verschiedene fertige EU mit einbeziehen oder

und/oder unfertige Produkte zu einer  auch den Eigengebrauch und die


neuen Gesamtheit zusammenfügt oder ein Eigenfertigung in einem Unternehmen
bestehendes Produkt wesentlich verändert mit einschließen, wie dies etwa bei der
oder umbaut. Maschinenrichtlinie und der Aufzugs-
richtlinie der Fall ist.
1.1.2. „Inverkehrbringen“ eines Pro-
duktes 1.1.3. Verantwortlichkeiten
Im Allgemeinen kann man unter dem Für die Einhaltung des Produktsicher-
Inverkehrbringen eines Produktes jedes heitsrechts ist jede natürliche oder
faktische Überlassen an einen anderen juristische Person verantwortlich, die ein
verstehen, unabhängig davon, ob das Produkt in den Verkehr bringt. Dies kann
Produkt verkauft, vermietet, verpachtet zunächst einmal der Hersteller sein, der

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

4
Produkte entwirft und herstellt (sowie Das Produktsicherheitsrecht wird in der
diese wesentlich verändert oder zu einer folgenden Grafik im Kontext des EU-Har-
neuen Gesamtheit zusammenfügt) und / monisierungskonzeptes betrachtet. Das
oder seinen Namen/Label auf einem Schema verdeutlicht, wie das EU-
fremden Produkt anbringt (sog. Quasi- Harmonisierungskonzept bis in die Praxis
Hersteller). Betroffen ist auch der Händler, hinein wirkt:
der Produkte in der Absatzkette weiter-
reicht, der Importeur, der Produkte in den
Wirtschaftsraum der EU einführt und der
„Inbetriebnehmer“, wenn er die Sicher-
heitseigenschaften des Produktes beein-
flusst.

1.1.4. Das Produktsicherheitsrecht im


EU-Harmonisierungskonzept
Die Zielsetzung des europäischen Binnen-
marktes besteht darin, den freien Verkehr
von Waren und Dienstleistungen gemäß
den Römischen Verträgen und ohne natio-
le Handelshemmnisse zu ermöglichen. Mit
dem Entschluß des Europäischen Rates
von 1985 wurde eine Harmonisierung der
technischen Vorschriften in der Europäi-
schen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)
angestrebt. Mit diesem Vorgehen sollten
technische Handelshemmnisse z. B. durch
unterschiedliche, nationale Zulassungsan-
forderungen im europäischen Binnenmarkt
abgebaut und zugleich ein einheitliches
Niveau für die Sicherheit von Produkten
(unter hohen Ansprüchen für den
Gesundheits- bzw. Verbraucherschutz)
gewährleistet werden. Abbildung 2: Krey, Volker: CE-Praxisleitfaden
Das Zusammenwirken von EG-Richtlinien
und harmonisierten Normen wird durch

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

5
vier Grundprinzipien geregelt. So nennen häufig pauschal gebrauchte „Reisepass-
EG-Richtlinien nur noch grundlegende Aussage“ zur CE-Kennzeichnung kon-
Anforderungen. Dabei handelt es sich in kretisiert – es muss heißen: Die CE-Kenn-
den meisten Fällen um Sicherheitsan- zeichnung auf einem Produkt ist nur im
forderungen. Harmonisierte Normen kon- Geltungsbereich der angewendeten CE-
kretisieren im Auftrag der EU die grund- Richtlinien der "Reisepass des Produktes
legenden Anforderungen der EG-Richt- innerhalb Europas".
linien, wobei die Anwendung der harmo-
nisierten Normen freiwillig ist. Diese haben 1.1.5. Produktsicherheitsrecht und
also keinerlei obligatorischen Charakter. Haftung
Die Anwendung harmonisierter Normen Die Einhaltung der produktsicherheits-
führt zu einer sogenannten Vermutungs- rechtlichen Vorschriften wird in Deutsch-
wirkung. Das heißt, für die Bereiche, die land durch die nationalen Marktaufsichts-
diese Normen abdecken, wird die Überein- behörden (Gewerbeaufsichtsämter und
stimmung mit den EG-Richtlinien bezie- ähnlichen Behörden) überwacht. Bei Miss-
hungsweise den damit verbundenen achtung dieser gesetzlichen Vorschriften
Rechtsvorschriften vermutet. können die zuständigen Behörden
sozusagen als unmittelbare rechtliche
1.1.4.1. Ist CE-Konform auch schon Konsequenz behördliche Anordnungen
rechtskonform? verfügen. Dazu zählen:
Ein CE-konformes Produkt ist nicht
 Untersagung des Inverkehrbringens
automatisch in allen sicherheitsrelevanten
bzw. des weiteren Vertriebs in der
Belangen auch ein rechtskonformes
Absatzkette
Produkt, denn Rechtskonformität im Sinne
 Sicherheitsprüfung und Nachbes-
des Produktsicherheitsrechts geht in
serung sowie
vielen Fällen über die CE-Konformität
hinaus. So kann ein Produkt zwar den  Rückruf vom Markt
Anforderungen der CE-Richtlinien ent-
Zudem können Bußgelder bis zu 30.000
sprechen und zu Recht ein CE-Kenn-
Euro verhängt werden, wobei dies auch
zeichen tragen, gleichzeitig aber etwa
die Nichteinhaltung formeller Anforde-
gegen Bestimmungen des Elektroge-
rungen betreffen kann, wie zum Beispiel:
setzes oder Teile des GPSG verstoßen
 falsche CE-Kennzeichnung eines
und damit nicht rechtskonform sein. In
Produktes
diesem Zusammenhang sei auch die
 kein Bereitstellen der technischen

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

6
Unterlagen und 1.1.7. Produkthaftung
Unter dem Begriff "Produkthaftung"
 fehlende Kooperation mit den
versteht man die gesetzliche Haftung des
Marktaufsichtsbehörden
Herstellers für Schäden, die durch sein
Diese rechtlichen Konsequenzen können
fehlerhaftes Produkt hervorgerufen
auch eintreten, ohne dass es zuvor zu
wurden, unabhängig von der konkreten
einem Schaden oder Unfall kommen
rechtlichen Anspruchsgrundlage. Es geht
muss!
hierbei in der Regel um sogenannte
Folgeschäden, die durch ein aus
1.1.6. Sachmängelhaftung
sicherheitstechnischer Sicht fehlerhaftes
Die Sachmängelhaftung regelt die An-
Produkt hervorgerufen werden.
sprüche des Käufers einer Sache, sofern
die Kaufsache nicht frei von Mängeln ist –
Die Verbindung zwischen Produkthaftung
wobei ein Mangel jede Abweichung von
und Produktsicherheitsrecht ergibt sich
der sogenannten „Sollbeschaffenheit“ des
dadurch, dass die Produkthaftung unter
Kaufgegenstandes darstellt. Rechte aus
einem „fehlerhaften Produkt“ im Wesent-
der Mängelhaftung hat der geschädigte
lichen ein Produkt mit einem Sicherheits-
Käufer allerdings nur gegenüber seinem
mangel versteht. Dabei ist aber zu
Vertragspartner, bei dem er die Sache
beachten: Das Produktsicherheitsrecht
erworben hat. Bezogen auf das Produkt-
schreibt lediglich präventiv Mindestsicher-
sicherheitsrecht gilt bezüglich der Sach-
heitsanforderungen für das Inverkehr-
mängelhaftung: Ein Produkt, das die
bringen vor. Die Produkthaftung dagegen
Rechtsvorschriften des Produktsicher-
regelt die Haftung des Herstellers im
heitsrechts nicht einhält, kann damit auto-
Schadensfall und verlangt gegebenenfalls
matisch auch mangelhaft im Sinne der
einen höheren Sicherheitsstandard, der
Mängelhaftung sein und entsprechende
sich am Erwartungshorizont der Allge-
Ansprüche gegenüber dem Käufer
meinheit orientiert und immer auf den
begründen. Somit kann die
konkreten Einzelfall bezogen bleibt.
Nichteinhaltung der produktsicherheits-
Daraus folgt, dass die vorgeschriebenen
rechtlichen Vorschriften auch Ansprüche
Mindestanforderungen des Produktsicher-
aus der Sachmängelhaftung beim Käufer
heitsrechts im Allgemeinen noch keinen
des Produktes auslösen, wie beispiels-
ausreichenden Schutz vor Produkt-
weise Nachbesserung, Minderung, Rück-
haftungsansprüchen bieten. Hingegen
tritt vom Vertrag sowie Schadensersatz.
sind mit der vollständigen Umsetzung des
Produktsicherheitsrechts alle wesentlichen

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

7
Maßnahmen für ein „sicheres“ Produkt auf lässt sich feststellen: Je mehr die Sicher-
den Weg gebracht. Da ein „sicheres“ heitsanforderungen des Produktsicher-
Produkt letztlich der beste Schutz vor heitsrechts unterschritten werden, umso
Produkthaftungsansprüchen ist, gilt es, wahrscheinlicher ist es, dass es bei einem
diesen Weg gemäß der gewünschten Produktunfall mit Körperschäden zur
Rechtssicherheit weiter auszubauen. strafrechtlichen Verfolgung von Personen
(Weitere Informationen zur Produkt- kommt – und sicherlich gilt auch der
haftung unter Punkt 2.). Umkehrschluss.

1.1.8. Strafrechtliche Verfolgung 1.1.9. Kenntnis der rechtlichen Grund-


Zunächst ist anzumerken, dass sich das lagen wird immer wichtiger
deutsche Strafrecht immer nur an Hersteller, Importeure und Händler von
natürliche Personen richtet – eine Straf- Produkten jeglicher Art sehen sich heute
barkeit von Unternehmen gibt es nicht. einer zunehmenden Anzahl haftungs-
Wenn sich nun durch ein fehlerhaftes trächtiger Rechtsvorschriften ausgesetzt.
Produkt ein Unfall ereignet und dadurch Dies beginnt mit dem Produktsicherheits-
ein Mensch verletzt oder gar getötet wird, recht, das die Sicherheitsanforderungen
so kann dies zunächst einmal einen für das legale Inverkehrbringen eines
Straftatbestand darstellen. Das strafrecht- Produktes nennt, und setzt sich mit den
lich relevante Verhalten von Personen haftungsrechtlichen Ansprüchen im Falle
kann nun darin bestehen, dass sie das eines „Produkt-Unfalls“ fort bis hin zum
fehlerhafte Produkt in den Verkehr Strafrecht. Zudem zeigt sich im Verlauf der
gebracht haben bzw. dafür mit verant- letzten Jahre in Europa ein deutlicher
wortlich waren (aktive Handlung) oder Anstieg von Produkthaftungsklagen.
aber eine erforderliche Gefahrenabwen- Davon betroffen sind immer mehr
dungsmaßnahme nicht durchgeführt Produktbereiche, während eine Begren-
haben bzw. dafür mit verantwortlich waren zung auf einzelne Industriezweige immer
(unterlassene Handlung). Dabei erstreckt weniger stattfindet. Daher sollten sich
sich die strafrechtliche Verantwortung Unternehmen über die rechtliche Situation
keineswegs nur auf Vorstände, Geschäfts- und den damit einhergehenden Auflagen
führer oder leitende Angestellte, sondern vertraut machen.
auch die Mitarbeiter eines Unternehmens Nach dem vorab dargestellten Einstieg in
können strafrechtlich verfolgt werden. In die Rechtsgrundlagen bieten die folgen-
Bezug auf das Produktsicherheitsrecht

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

8
den vier Kapitel eine Arbeitshilfe in vier II. Vorauswahl möglicher Rechtsvor-
aufeinander aufbauenden Schritten: schriften festlegen
III. Anwendungsbereich und Aus-
 Anwendung der Rechtsvorschriften
schlussbereich in jeder voraus-
prüfen
gewählten Rechtsvorschrift genau
 Sicherheitsanforderungen erfüllen
(!) prüfen – dabei auch den gegen-
 Konformität nachweisen seitigen Ausschluss beachten

 Produktsicherheit organisieren IV. Anwendungsprüfung dokumentie-


ren

1.2. Anwendung der Rechtsvorschrif-


1.3. Sicherheitsanforderungen erfüllen
ten prüfen
Die Sicherheitsanforderungen des Pro-
Wer ein Produkt in den Verkehr bringt, hat
duktsicherheitsrechts verlangen lediglich
in eigener Verantwortung zu prüfen,
einen Mindestsicherheitsstandard. Sicher-
welche Rechtsvorschriften anzuwenden
heitsanforderungen sind zu erfüllen, wenn
sind. Die Rechtsvorschriften definieren im
auch eine entsprechende Gefahr von dem
Allgemeinen einen Anwendungsbereich
Produkt ausgeht. Es gilt das Prinzip der
und einen Ausschlussbereich. Die Defini-
„inhärenten Sicherheit“. Das heißt, Pro-
tionen der Anwendungs- und Ausschluss-
dukte sollen so weit wie möglich „aus sich
bereiche beziehen sich auf unterschied-
selbst heraus“ sicher sein. Sicherheits-
liche Produktaspekte wie z. B. die Art, die
anforderungen kann man einteilen in
Eigenschaft oder die Verwendungsbe-
„technische“ Sicherheitsanforderungen
dingungen eines Produktes. Dies kann zur
und „schriftliche“ Sicherheitsanforde-
Anwendung mehrerer Rechtsvorschriften
rungen wie zum Beispiel die Risikobe-
führen. Eine Rechtsvorschrift muss ange-
urteilung und die Benutzerinformation.
wendet werden, wenn ein Produkt in den
Anwendungsbereich fällt und nicht vom
1.3.1. Was ist zu tun?
Ausschlussbereich wieder ausgeschlos-
Die konkreten Arbeitsschritte hierbei sind:
sen wird.
I. Normen und technische Spezifika-
tionen recherchieren
II. Risikobeurteilung durchführen:
1.2.1. Was ist zu tun?
a) Produktangaben definieren
Die konkreten Arbeitsschritte hierbei sind:
b) Gefahren ermitteln
I. Produktangaben definieren
c) Risiko einschätzen und bewerten
d) Sicherheitsziel definieren

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

9
e) Sicherheitsmaßnahmen festlegen 1.4.1. Was ist zu tun?
f) Kontrollen festlegen Die konkreten Arbeitsschritte hierbei sind:
III. Technische Sicherheitsmaßnah-
I. Produktklasse ermitteln
men realisieren
II. Bewertungsverfahren festlegen
IV. Benutzerinformation erstellen:
III. Bewertungsverfahren durchführen
a) Redaktionelle Grundlagen kennen
IV. EG-Konformitätserklärung
b) Informationen recherchieren
ausstellen
c) Dokumente konzipieren
V. CE-Kennzeichnung anbringen
d) Dokumente ausarbeiten
VI. Konformitätsnachweis
V. Technische Dokumentation zusam-
dokumentieren
menstellen

1.5. Produktsicherheit organisieren


1.4. Konformität nachweisen
Die Rechtsvorschriften der CE-
Derjenige, der ein Produkt in den Verkehr
Kennzeichnung nennen in erster Linie
bringt, hat in eigener Verantwortung nach-
„abstrakte“ Sicherheitsziele – das heißt, es
zuweisen, dass sein Produkt mit den
gibt hierbei keine konkreten To-Do-Listen.
anzuwendenden Rechtsvorschriften kon-
Die Maßnahmen zum Erreichen der
form ist. Insbesondere die Rechtsvor-
Sicherheitsziele sind selbst zu entwickeln
schriften der CE-Richtlinien geben
und zu gestalten. Weiterhin sind die
konkrete Bewertungsverfahren für den
notwendigen CE-Maßnahmen recht um-
Konformitätsnachweis vor. Dabei gilt: Je
fangreich. Sie sind auf mehrere Unter-
höher das Risikopotenzial eines Pro-
nehmensbereiche und auf größere Zeit-
duktes, umso mehr erstreckt sich das
räume verteilt sowie aktuellen Entwick-
Bewertungsverfahren über den gesamten
lungen anzupassen. Vor allem gilt: Sichere
Herstellungsprozess. Zudem müssen bei
Produkte können nur entstehen, wenn die
den meisten Bewertungsverfahren auch
betrieblichen Prozesse ent-sprechend
benannte Prüfstellen eingeschaltet
abgestimmt sind.
werden. Letztlich hat der Inverkehrbringer
die EG-Konformitätserklärung auszustel-
1.5.1. Was ist zu tun?
len und die CE-Kennzeichnung anzu-
Die konkreten Arbeitsschritte hierbei sind:
bringen.
I. Kontext der CE-Kennzeichnung
festlegen

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

10
II. Bisherige CE-Maßnahmen betrach- Dies bedeutet eine Zunahme der
ten Warnmeldungen um 26 % im Vergleich
III. Zukünftige CE-Maßnahmen ent- zum Jahr 2011! Gleichzeitig nimmt die
wickeln (strategisch) Zahl der Produkthaftungsklagen seit
IV. Zukünftige CE-Maßnahmen gestal- Jahren zu, in der sich eine wandelnde
ten (operativ) „Klagekultur“ bei den Verbrauchern und
Mit der dargestellten Organisations- die technischen Möglichkeiten des
strategie lässt sich auf der Grundlage Internets, sich als „Produktopfer“ in Inter-
dieses Praxisleitfadens auch ein zertifizie- netforen und Blogs erkennen zu geben,
rungsfähiges CE-Managementsystem auf- deutlich niederschlagen. Zudem hat die
bauen. Rechtsprechung neue Akzente gesetzt
und zur Haftungsverschärfung beige-
tragen. Last but not least steigen die
regulatorischen Sicherheitsanforderungen
2. Produkthaftung
an Produkte. Aus all diesen genannten
Produkt-Rückrufaktionen, insbesondere
Aspekten folgt, dass die Messlatte für
aus der Automobilindustrie oder dem
sichere Produkte immer höher zu liegen
Nahrungsmittelsektor, verdeutlichen die
kommt und nur solche Produkte in Verkehr
Bedeutung des Produkthaftungsrechts,
gebracht werden dürfen, die bei
sind aber nur die spektakuläre Spitze des
bestimmungsgemäßer Verwendung oder
Eisbergs und machen letztlich vor keiner
vorhersehbarer Fehlanwendung Gesund-
Branche halt. Die Produzenten von
heit oder Sicherheit der Verwender oder
Verbraucherprodukten aller Art müssen
Dritter nicht gefährdet. Die Haftungsrisiken
sich immer häufiger mit solchen Rückrufen
werden also größer, das Risikomanage-
auseinandersetzen. Diese Ent-wicklung
ment komplexer und der Zeitrahmen für
bestätigt der im Mai 2013 von der
Unternehmen auf Produktkrisen zu
Generaldirektion Gesundheit und
reagieren immer kürzer. Um kostspielige
Verbraucher der Europäischen Kommis-
Fehler zu vermeiden, sollten Hersteller,
sion präsentierte "RAPEX-Jahresbericht
Importeure und Händler den Pflichten-
2012": Insgesamt 2.278 Mal haben die
katalog, der sich aus dem Produkt-
Mitgliedstaaten Maßnahmen im Zusam-
haftungsrecht ergibt, genau kennen. Dabei
menhang mit gefährlichen Produkten
sollte der Begriff der „Produkt-haftung“
ergriffen und über RAPEX („Rapid
immer unter dem Oberbegriff
Exchange“, ein Schnellwarnsystem der EU
„Verbraucherschutz“ gesehen und nicht
für den Verbraucherschutz) gemeldet.
als „unternehmerfeindliche Haltung“ der

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

11
Rechtsprechung und des Gesetzgebers lastumkehr wird dem Produzenten die
verstanden werden. Gelegenheit gegeben nachzuweisen, dass
er alles Erforderliche getan hat, um Fehler
2.1. Produkthaftungsrecht ist Delikts- im Produkt zu verhindern. Wenn ihm diese
recht Entlastung gelingt, haftet er nicht. Die
Als die ersten Schadensersatzansprüche Rechtsprechung hat bestimmte Fall-
von Bürgern gegen Unternehmen zur gruppen entwickelt, bei denen der Produ-
Produkthaftung vor Gericht kamen stellte zent sich entlasten muss:
man fest, dass es im Bürgerlichen  Organisationspflichten
Gesetzbuch (BGB) keine direkte
 Konstruktionspflichten
Anspruchsgrundlage, also keinen direkten
Paragraphen für die Entscheidung solcher  Fabrikationspflichten
Fälle gab. Die Richter mussten also das  Instruktionspflichten
Recht durch Richterrecht weiterentwickeln
 Darbietungspflichten
und haben dabei zur Lösung der Fälle auf
den § 823 BGB im Deliktsrecht zurückge-  Produktbeobachtungspflichten

griffen: Produkthaftungsrecht ist Delikts- aktiv/passiv.

recht. Deliktshaftung greift immer dann, Das bedeutet, dass für alle diese Gebiete
wenn eine Partei eine andere schädigt und der Produkthaftung entsprechende Nach-
zwischen beiden kein Vertragsverhältnis weise beim Produzenten geführt werden
besteht (wie im Regelfall zwischen müssen, um sich entlasten zu können. Ist
Hersteller und Verbraucher). Schuldhaft das Unternehmen dazu nicht in der Lage,
handelt beispielsweise jemand der haftet es im Wege der Produkthaftung für
billigend in Kauf nimmt, dass durch Fehler den Schaden, der durch das in Verkehr
am Produkt ein bestimmter Schaden gebrachte fehlerhafte Produkt an anderen
eintritt. Da der Verbraucher diesen Objekten erzeugt wurde. Es gilt eine 30-
Zusammenhang oftmals nicht oder nur jährige Verjährungsfrist.
sehr schwer beweisen kann, würde er mit
seinen Ansprüchen aus dem Deliktsrecht 2.2. Abgrenzung des Produkthaftungs-
gegen den Produzenten meist scheitern.
rechts vom Gewährleistungsrecht
Hier greift die so genannte Beweis-
Das Produkthaftungsrecht regelt den
lastumkehr, um dem geschädigten Ver-
Ausgleich der Folgeschäden, die sich
braucher einen Anspruch gegen den
durch fehlerhafte Ware einstellen. Die
Produzenten zu geben. Bei der Beweis-
Produkthaftung regelt hingegen nicht die

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

12
Behebung von Mängeln an dem Produkt Urteil oder Holzschutzmittel-Urteil. Zumeist
selbst, weil dieses beispielsweise nicht geht man hier gegen die Führungskräfte
funktionstüchtig oder vertragsgemäß ist. des Unternehmens strafrechtlich wegen
Der Umgang mit Mängeln an dem Produkt Körperverletzung durch aktives Tun
selbst wird über die Vorschriften des (Herstellung eines gefährlichen Produktes)
Gewährleistungsrechtes beziehungsweise oder auch bei Nichthandeln vor (ein mit
aufgrund weitergehender vertraglicher Fehlern behaftetes Produkt wurde nicht
Vereinbarungen geregelt. Auch wenn im vom Markt genommen - hier greift § 13
Vertrag nicht explizit aufgeführt, bestehen Strafgesetzbuch (StGB) und stellt das
gesetzliche Gewährleistungsansprüche: Nichthandeln dem Handeln gleich).
Die §§ 434, 435 BGB bestimmen für den
Kaufvertrag, was ein Mangel (Sach- oder 2.4. Das Produkthaftungsgesetz
Rechtsmangel) ist. Ein Mangel liegt Im Wege der europäischen Produkt-
beispielsweise vor, wenn eine Sache nicht haftungsrichtlinie musste in Deutschland
die vereinbarte Beschaffenheit hat oder das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG)
eine zu geringe Menge geliefert wurde. zusätzlich zum Produkthaftungsrecht nach
Der Verkäufer haftet im Rahmen des Deliktsrechtsgrundsätzen in Kraft gesetzt
Gewährleistungsrechts grundsätzlich für werden. Beim Produkthaftungsgesetz gilt
alle Mängel, die zum Zeitpunkt des eine Gefährdungshaftung, das heißt
Verkaufs bestanden haben (einschließlich alleine dadurch, dass man ein mit einem
versteckter Mängel, die bereits vorhanden Fehler behaftetes Produkt in Verkehr
waren, jedoch erst später entdeckt bringt, haftet man. Kommt das ProdHaftG
wurden). Es gilt eine 2-jährige Verjäh- zur Anwendung, haftet der Hersteller auch
rungsfrist (abweichende Regelungen be- ohne Verschulden. Es besteht eine 10-
stehen beim Verkauf von Gebraucht- jährige Verjährungsfrist. Da die Haftung
waren und reinen Privatverkäufen). nach dem ProdHaftG auf Personen-
schäden und auf Sachschäden im privaten
Bereich beschränkt ist (d.h. keine Haftung
2.3. Produkthaftung und Strafrecht für Vermögensschäden oder immaterielle
Der Vollständigkeit halber sei darauf Schäden wie Schmerzensgeld) hat das
hingewiesen, dass die Produkthaftung ProdHaftG in erster Linie Bedeutung für
natürlich auch im Strafrecht stattfindet. Ansprüche von geschädigten Dritten.
Bekannte Beispiele sind die spektaku- Ansprüche geschädigter Dritter (Dritt-
lären Fälle Contergan-Urteil, Lederspray- schäden) sind vertraglich nicht begrenz-

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

13
bar. Der Hersteller kann sich also nicht - Gutachten) sowie Arzneimittel (Aus-
wie bei der im ersten Abschnitt nahmen können Arzneimittel sein, die sich
beschriebenen deliktsrechtlich begründe- noch in der klinischen Erprobungsphase
ten Produkthaftung - von der Haftung befinden).
entlasten, indem er nachweist, alle zumut- Ein Schwerpunkt des Produkthaftungs-
baren Sicherungsmaßnahmen von der gesetzes liegt in der Definition des
Wareneingangskontrolle über die Bearbei- Produktfehlers (§3 ProdHaftG). Das
tung bis hin zur Endkontrolle zur Verhin- Gesetz stellt also nicht auf mangelnde
derung von Produktfehlern durchgeführt Gebrauchsfähigkeit (wie im Kaufrecht)
zu haben. Er haftet somit auch für sondern allein auf die fehlende Sicherheit
Fabrikationsfehler an Einzelstücken einer eines Produkts ab. Das heißt auch ein
Serie („Ausreißer“). Ebenso werden ihm qualitativ hochwertiges Produkt kann
Fehler angelastet, die beim Vorlieferanten fehlerhaft sein, wenn es nicht die
/ Zulieferer entstanden sind. Der Hersteller Sicherheit bietet, die unter Berück-
haftet jedoch nicht, wenn das Produkt zum sichtigung aller Umstände berechtigter-
Zeitpunkt des Inverkehrbringens fehlerfrei weise erwartet werden kann. Im Umkehr-
war und Fehler erst später durch Nutzung schluss ist schlechte Ware nicht unbedingt
oder normalen Verschleiß auftraten. auch gefährlich.

In diesem Zusammenhang ist auch die


2.4.1. Wofür wird gehaftet?
Zielgruppe für das jeweilige Produkt von
Gehaftet wird für Fehler an jeder
Bedeutung. Instruktionsfehler liegen vor,
beweglichen Sache (§2 ProdHaftG), auch
wenn die Verbraucher nicht oder nur
wenn sie als Teilprodukt in einer anderen
unzureichend über die Art und Weise der
beweglichen Sache verwendet oder in
Verwendung und/oder die hiermit
eine unbewegliche Sache eingebaut wird.
verbundenen Gefahren aufgeklärt werden.
Neben industriell gefertigten Produkten
Dabei müssen beispielsweise Hersteller
wie Geräte, Fahrzeuge, chemischen
von Bohrmaschinen damit rechnen, dass
Erzeugnisse, Nahrungsmittel u.a., werden
neben Fachleuten auch Amateure diese
auch handwerklich und kunstgewerblich
Geräte benutzen und im Hinblick darauf
hergestellte Gegenstände erfasst. Nicht
sowohl geeignete Gebrauchsanweisungen
vom Produkthaftungsgesetz erfasst
formulieren als auch notwendige Schutz-
werden unbewegliche Sachen (Gebäude,
vorrichtungen einrichten. Ebenso muss
Grundstücke etc.), Dienstleistungen und
berücksichtigt werden, dass sich die
geistige Produkte (wie beispielsweise
Sicherheitserwartung der Kunden nicht nur

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

14
auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch, Der Zulieferer haftet neben dem Endher-
sondern auch auf den vorhersehbaren steller wie dieser auf Ersatz des gesamten
oder üblichen Fehlge-brauch beziehen Schadens. Voraussetzung ist jedoch, dass
muss (Beispiel: Kinder spielen nicht nur das Teilprodukt, für sich alleine genom-
mit Spielzeug sondern nehmen es auch in men, fehlerhaft war. In die Kategorie des
den Mund – das Spielzeug muss mit Zulieferers gehört auch der Hersteller von
ungiftiger Farbe ge-strichen sein). Grundstoffen, also von Rohstoffen und
Materialien wie Rohöl, Chemikalien, Stahl
2.4.2. Wer haftet? etc.
Folgende Personen gelten als Hersteller
Der „Quasihersteller“
oder werden diesen gleichgestellt:
Der „Quasihersteller“ stellt das Produkt
Der Hersteller des Endprodukts nicht selbst her, sondern bringt seinen
Der Hersteller kann eine natürliche oder Namen (oder Warenzeichen bzw. ein
eine juristische Person sein. Voraus- anderes unterscheidungskräftiges Erken-
setzung ist eine eigenverantwortliche und nungszeichen) auf einem Produkt an,
selbständige gewerbliche Herstellung. Der welches von einem anderen Unternehmen
Endhersteller haftet auch dann, wenn der hergestellt wurde. Er haftet nur dann nicht,
Fehler in einem Zulieferteil liegt und der wenn es sich bei der Anbringung der
Fehler trotz korrekter Wareneingangs- Kennzeichnung um eine ersichtliche
kontrolle nicht gefunden wurde. Als Her- Kennzeichnung seiner Eigenschaft als
steller gilt auch der „Assembler“, der ohne Händler handelt und zusätzlich der
eigene Fertigung von anderen Herstellern tatsächliche Hersteller für den Verbrau-
fabrizierte und gelieferte Teile zu einem cher erkennbar ist.
neuen Produkt zusammenfügt und
Der Importeuer
vertreibt. Wer aufgrund einer Lizenz fertigt,
Als haftender Importeur wird nur der
ist ebenfalls Endhersteller; der
Importeuer angesehen, der das fehler-
Lizenzgeber hingegen haftet nur dann,
hafte Produkt aus einem Drittstaat in die
wenn der Lizenznehmer als tatsächlicher
EU bzw. in den Europäischen Wirtschafts-
Hersteller nicht erkennbar in Erscheinung
raum einführt oder verbringt.
tritt, also der Eindruck erweckt wird, als sei
der Lizenzgeber der Hersteller.
Der Händler
Der Händler (Verkäufer, Lieferant) eines
Der Hersteller des Teilprodukts
fehlerhaften Produkts haftet nur dann,
wenn er den Vorlieferanten oder den

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

15
Hersteller des fehlerhaften Produkts nicht Der Hersteller hat das Produkt nicht in
angeben kann, oder wenn dieser nicht Verkehr gebracht
identifizierbar ist. Das Interesse des Ein Produkt ist in Verkehr gebracht, wenn
Händlers wird daher zu seinem eigenen der Hersteller (ebenso der Importeur oder
Schutz darauf gerichtet sein, Ware, deren Zulieferer) das Produkt aufgrund seines
Hersteller nicht identifizierbar ist, nicht zu Willensentschlusses einer anderen Person
vertreiben oder sich durch entsprechende außerhalb seiner Herstellersphäre über-
Dokumentation in der Vertriebskette zu geben hat. Für ein unterschlagenes,
schützen. Der Händler bleibt jedoch in der gestohlenes oder auf andere Weise der
Haftung, wenn er das fehlerhafte Produkt Verfügungsmacht des Herstellers entzo-
direkt von einem Importeur bezogen hat, genes und danach in den Verkehr
der aus einem Drittland importiert hat und gebrachte Gut entfällt die Haftung des
dessen Name sich nicht mehr feststellen Herstellers.
lässt.
Der den Schaden verursachende Fehler
Sämtliche haftenden Personen haften ist erst nach Inverkehrbringen des Pro-
gesamtschuldnerisch, soweit sie sich nicht dukts entstanden
entlasten können (§5 ProdHaftG). Der Gemeint sind Fälle, in denen der Fehler
Geschädigte kann also jeden einzelnen in durch unsachgemäße Behandlung nach
der Hersteller- und Verteilerkette für den Inverkehrbringen durch einen Abnehmer
gesamten Schaden haftbar machen und innerhalb der Vertriebskette oder durch
sich dabei denjenigen heraussuchen, der den Geschädigten selbst verursacht wird.
aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage am Um einen entsprechenden Nachweis
ehesten und schnellsten fähig ist, Ersatz erbringen zu können, spielen Qualitäts-,
zu leisten. Eingangs- und Ausgangskontrollen und
deren Dokumentation eine wichtige Rolle.

2.4.3. Wann ist Entlastung möglich? Das Produkt ist für den Eigenbedarf

Der Hersteller trägt die Beweislast. Er bestimmt

muss nachweisen, dass die unter §1 Abs. Die Haftung entfällt, wenn das schaden-

2 ProdHaftG und in §6 ProdHaftG verursachende Produkt weder einen

aufgeführten Tatbestände einer Haftungs- wirtschaftlichen Zweck erfüllt, noch im

befreiung / -minderung vorliegen: Rahmen einer beruflichen Tätigkeit


hergestellt oder vertrieben wird. Da diese
Haftungsentlastenden Elemente kumulativ

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

16
vorliegen müssen, haben sie in der Praxis Der Stand von Wissenschaft und Tech-
kaum praktische Bedeutung. In diesem nik wurde beachtet
Zusammenhang sei erwähnt, dass auch Von der Haftung für sogenannte
die Weitergabe von Werbegeschenken Entwicklungsrisiken ist der Hersteller
unter das Produkthaftungsgesetzt fällt. Die befreit. Darunter werden solche Fehler
Unentgeldlichkeit des Vertriebs der gefasst, die nach dem Stand der Technik
Geschenke spielt keine Rolle, da sie vor zu dem Zeitpunkt, zu dem der Hersteller
dem Hintergrund einer „beruflichen bzw. das fehlerhafte Produkt in den Verkehr
gewerblichen“ Tätigkeit vertrieben werden. brachte, nicht erkannt werden konnten.
Unter dem Stand der Technik ist die
Der Hersteller produziert nach Rechts-
Sachkunde zu verstehen, die im wissen-
vorschrift
schaftlichen und technischen Bereich
Die Haftung entfällt, wenn der Hersteller
allgemein anerkannt ist und zur Verfügung
das fehlerhafte und schadensverur-
steht. Das heißt der Hersteller muss sich
sachende Produkt aufgrund einer ihn dazu
auch über Ländergrenzen hinweg über
zwingenden Rechtsvorschrift produziert
den Stand von Wissenschaft und Technik
hat. In diesem Fall fällt der verursachte
informieren indem er die gängigen (auch
Schaden in den Verantwortungsbereich
fremdsprachigen) Fachzeitschriften kon-
des Gesetz- oder Verordnungsgebers.
sultiert, Fachkongresse besucht und die
Voraussetzung ist jedoch, dass die
Produktion entsprechend danach ausrich-
Rechtsvorschrift „dazu zwingt“, das Pro-
tet, will er sich später auf diesen
dukt nur so oder gar nicht herzustellen,
Haftungsausschluss berufen. Allerdings
also im Sinne einer verbindlichen Detail-
kann vom Hersteller auch erwartet
regelung. Bleibt es dem Produzenten
werden, dass er während der Dauer der
überlassen, abweichende Lösungen mit
Fertigung sowohl die Erprobung des
jeweils gleichem oder höherem Standard
Produkts im praktischen Gebrauch, als
zu ergreifen, ist eine zwingende Rechts-
auch eine für das Produkt relevante
vorschrift im Sinne dieser Regelung nicht
Weiterentwicklung der Wissenschaft und
gegeben. DIN-, VDE-Normen und andere
Technik, beobachtet und entsprechend
überbetriebliche Regelwerke zählen nicht
aktiv wird.
zu den „zwingenden Rechtsvorschriften“,
da sie nicht diese Rechtsqualitäten Der Zulieferer arbeitet nach Anleitung
besitzen. des Herstellers

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

17
Der Hersteller eines Teilprodukts (Zulie- Benutzer vereinbaren. Ebenso nicht
ferer) oder eines Grundstoffes haftet nicht möglich ist eine Haftungsbeschränkung
wenn er beweisen kann, dass der Fehler der Höhe nach, etwa auf die Höhe der
 durch die Konstruktion des Versicherungssumme oder auf ein Viel-
Endprodukts, in welches sein faches des Kaufpreises. Die Vertragsfrei-
fehlerfreies Teilprodukt eingebaut heit ist hier im Interesse und zum Schutz
wurde oder des Verbrauchers eingeschränkt. Aus-
 durch die Anleitung des Herstellers nahmen von diesem Grundsatz bestehen
des Endprodukts in folgenden Fällen:
verursacht worden ist (§1 Abs.3
Hersteller, Zulieferer, Importeure und
ProdHaftG).
Händler können untereinander nach wie
Ein Mitverschulden des Geschädigten vor einen Haftungsausschluss oder eine
ist nachweisbar Haftungsbeschränkung vereinbaren. Bei
Mitverschulden des Geschädigten kann der Verwendung von Allgemeinen Ge-
die Haftung des Herstellers mildern oder schäftsbedingungen müssen sie allerdings
ganz ausschließen (§6 ProdHaftG). Dies die entsprechenden Klauselverbote des
ist ein allgemeiner Grundsatz des BGB (z.B. §§ 310 Abs. 1, 307 Abs. 1 und
Haftungsrechts in allen EU-Mitglieds- 2 und 309 Nr. 7 BGB) beachten. Ist der
staaten. Unter Mitverschulden versteht Hersteller oder Zulieferer Benutzer oder
man vorsätzliche oder fahrlässige Mitver- Verbraucher, kann die Haftung für
ursachung des Schadens. Schuldlose Körperschäden nach dem Produkt-
Mitverursachung alleine genügt nicht. haftungsgesetz nicht ausgeschlossen
werden.
2.4.4. Kann die Ersatzpflicht des
Das Verbot der Vereinbarung eines
Herstellers ausgeschlossen oder be-
Haftungsausschlusses oder einer
schränkt werden?
Haftungsbeschränkung gilt nur für solche
Die Ersatzpflicht des Herstellers darf im
Vereinbarungen, die im Voraus oder bei
Voraus weder ausgeschlossen noch
Vertragsabschluss zu Lasten des
beschränkt werden (§ 14 ProdHaftG).
Benutzers oder Verbrauchers getroffen
Hersteller, Zulieferer, Importeure und
werden. Möglich bleiben deshalb Verein-
Händler können daher weder in Einzel-
barungen solcher Art nach Eintritt des
verträgen noch in den Allgemeinen
Schadensfalls, etwa im Wege des
Geschäftsbedingungen einen Haftungs-
ausschluss mit dem Verbraucher oder

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

18
Abfindungsvergleichs, durch den ein Produktsicherheit“ bereit (siehe Literatur-
konkreter Schadensfall reguliert wird. hinweis).

2.5. Verringerung des Haftungsrisikos 2.5.2. Prävention durch geeignete


durch präventive Maßnahmen Versicherungen
Dem Endhersteller und Zulieferer hilft bei Wegen der immer komplexer werdenden
der Produkthaftung nur Vorbeugung, d.h. Produktion und Vermarktung und in Folge
es darf kein mit einem Fehler behaftetes der wachsenden Begehrlichkeiten der
Produkt in den Verkehr gelangen. Geschädigten muss jeder Hersteller und
Vermarkter damit rechnen, sich auf
2.5.1. Prävention durch Qualitätsmana- rechtlicher Ebene in Produkthaftungs-
gementsysteme fragen auseinandersetzen zu müssen.
Prävention beginnt mit Qualitätsmanage- Daher empfiehlt es sich, von Anfang an
mentsystemen. Dabei sollte beachtet einen Versicherer und/oder qualifizierten
werden, dass die Forderung der Recht- Makler als Partner in die Risiko-
sprechung weit über die Forderung von bewältigung einzubeziehen. Die Wahl des
QM-Systemen und Normen wie DIN EN richtigen Versicherers und Beraters sollte
ISO 9000 ff. hinausgehen. In einer recht- also nicht erst dann aktuell werden, wenn
lichen Auseinandersetzung helfen Quali- das gerichtliche Verfahren bereits eröffnet
tätsmanagementsysteme folglich nur ist. Auch wenn ein Unternehmen zu klein
bedingt. Zudem ist ein zur Steuerung und ist um ein umfassendes Risk Management
Dokumentation des gesamten Produkt- zu betreiben, können Makler und Ver-
lebenszykluses geeignetes Management- sicherer geeignete Dienste offerieren.
system sehr komplex und reicht von der
Organisation der Produktion über die Deckung des Produkthaftpflichtrisikos
Produktentwicklung/-konstruktion/-fabrika- im Rahmen einer konventionellen
tion/-darbietung/-instruktion über aktive Betriebshaftpflichtversicherung
und passive Produktbeobachtung bis hin Grundlage jeder Haftpflichtversicherung
zu Produktrückruf und –entsorgung. sind die sogenannten Allgemeinen
Andere Aspekte haben der Importeur, den Versicherungsbedingen für die Haftpflicht-
Quasihersteller und der Händler zu be- versicherung (AHB). § 1 der AHB stellt
achten. Eine Checkliste über Maßnahmen klar, dass die gesetzliche Haftpflicht des
zur Minderung des Haftungsrisikos hält Versicherungsnehmers aus den im Ver-
der DIHK-Leifaden „Produkthaftung und sicherungsschein und seinen Nachträgen

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

19
angegebenen „Eigenschaften, Rechtsver- pflichtversicherung zählt, ist der Per-
hältnissen und Tätigkeiten“ versichert sind. sonenschaden nach Auslieferung der
Diese ergeben sich wiederum aus der im Erzeugnisse, Ausführung der Leistung
Versicherungsschein bzw. oder nach Abschluss der Arbeiten
Haftpflichtantrag enthaltenen Betriebs- versichert.
beschreibung. Im Versicherungsfall prüft
Sachschäden
der Versicherer genau, ob ihm sämtliche
Für Produkthaftpflichtschäden, die sich als
Tätigkeiten des Unternehmens bekannt
Sachschäden darstellen, muss unter-
sind. Sollte dies nicht der Fall sein, hat er
schieden werden, ob Ansprüche wegen
die Möglichkeit, einen Schadensfall
Schäden und Mängeln an den vom
abzulehnen. Die Betriebsbeschreibung
Vertragsnehmer (VN) oder in seinem Auf-
sollte daher so weit wie möglich gefasst
trag von Dritten hergestellten oder ge-
sein und mindestens folgende Bereiche
lieferten Sachen eingetreten sind. Diese
umfassen: Herstellung, Vertrieb, Montage,
sind in der Regel nicht Gegenstand einer
Wartung, Reparatur, Planung und
Produkthaftpflichtversicherung. Schäden
Vergabe von Lizenzen der vom
an anderen Sachen, die durch die
Versicherungsnehmer hergestellten Pro-
Mangelhaftigkeit der vom VN her-
dukte. Wenn die Betriebsbeschreibung
gestellten oder gelieferten Sachen
richtig gewählt wurde ist dies der erste
entstehen, sind versichert, wobei jedoch
Schritt, das Produkthaftpflichtrisiko in der
die Ausschlussklauseln der AHB zur
Betriebshaftpflichtversicherung eines Pro-
Anwendung gelangen können.
duktionsbetriebes richtig zu versichern. Es
können jedoch nicht alle Haftungsrisiken
Vermögensschäden
aus der Herstellung und Lieferung von
Für die oft anzutreffenden versicherten
Produkten durch eine normale Standard-
Vermögensschäden sehen die Haftpflicht-
police gedeckt werden. Oft wird durch den
bedingungen in der Regel den Ausschluss
Begriff der Produkthaftpflichtversicherung
vor, dass Schäden durch mangelhafte
der Eindruck erweckt, sämtliche Probleme
Erzeugnisse oder Leistungen vom
seien hierdurch für das Produkthaft-
Versicherungsschutz nicht erfasst werden.
pflichtrisiko aus dem Weg geräumt, was
Es besteht somit kein ausreichender
nicht der Fall ist. Versichert sind:
Versicherungsschutz für Produkt-
Vermögensschäden im Rahmen der
Personenschäden
konventionellen Betriebshaftpflichtversi-
Da das Produkthaftpflichtrisiko zum
cherung. Derartige Schadensfälle können
versicherten Risiko einer Betriebshaft-

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

20
teilweise im Rahmen des sogenannten Deckungslücken für Vermögensschäden
erweiterten Produkthaftpflichtmodells ver- in der Betriebshaftpflichtversicherung kön-
sichert werden (siehe nächstes Kapitel). nen sich insbesondere bei möglichen
Entsprechendes gilt für eine Mitver- hohen Schadenssummen wie z.B. im
sicherung vertraglicher Zusagen (Ziff. 7.3 Maschinen- und Anlagenbau (wenn etwa
AHB). mangelhafte Maschinen schadhafte
Produkte herstellen, die vernichtet oder
Zusammengefasst bedeutet dies: Eine alle
nachbearbeitet werden müssen) als fatal
Schadensfälle umfassende Betriebs- und
erweisen. Eine erweiterte Produkthaft-
Produkthaftpflichtversicherung gibt es
pflichtversicherung wird allerdings von den
nicht. Zu den Ausschlüssen, die auch nicht
Versicherern immer nur zusammen mit
durch Verhandlung mit dem Versicherer
dem sogenannten allgemeinen Betriebs-
(VR) wieder abdingbar sind, zählen nicht
haftpflichtrisiko angeboten. Versichert
abdingbare Ausschlüsse wie Erfüllungs-
sind:
und Gewährleistungsan- sprüche (d.h.
die eigentliche Vertragser-füllung ist nie  Weiterver- oder bearbeitungs-
Gegenstand einer Haft- schäden (Mangelhafte Erzeugnisse
pflichtversicherung!), Schäden am gelie- des Versicherungsnehmers wer-
ferten Produkt und Vorsatz (wenn z.B. den weiterverarbeitet oder weiter-
wissentlich ein mangelhaftes Erzeugnis bearbeitet ohne dass es zu einer
ausgeliefert wurde). untrennbaren Verbindung, Vermi-
Die Allgemeinen Haftpflichtbedingungen schung oder Verarbeitung mit
AHB sehen weitere Ausschlusstat- anderen Produkten kommt)
bestände vor, die durch Verhandlung mit  Verbindungs-, Vermischungs-, Ver-
dem Versicherer in den Versiche- arbeitungsschäden (mangelhafte
rungsschutz mit einbezogen werden Erzeugnisse des Versicherungs-
können wie Qualitätssicherungsverein- nehmers werden mit Produkte des
barungen, Tätigkeits- und Bearbeitungs- Abnehmers untrennbar verbunden)
schäden, Mietsachschäden und Aus-  Aus- und Einbaukosten
landsschäden.  Schäden durch mangelhafte Ma-
schinen
Deckung des Produkthaftpflichtrisikos  Prüf- und Sortierkosten
im Rahmen eines erweiterten Produkt-
haftpflicht-Modells

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

21
Beachtet werden sollten jedoch die bringen. Gleichzeitig werden Behörden
wesentlichen Begrenzungen der erweiter- ermächtigt, den Rückruf unsicherer
ten Produktdeckung: Produkte anzuordnen bzw. selbst durch-
zuführen, um eine Gefährdung der
 Ansprüche - soweit diese nicht
Gesundheit und Sicherheit von
ausdrücklich mitversichert sind -
Verbrauchern auszuschließen. Das Rück-
auf Erfüllung, Nacherfüllung, etc.
rufrisiko betrifft somit in erster Linie
 Ansprüche - soweit nicht aus- Unternehmen, die gewerbs- oder ge-
drücklich mitversichert - aus Ga- schäftsmäßig Produkte für die private
rantien oder auf Grund sonstiger Nutzung in den Verkehr bringen. Hierbei
vertraglicher Haftungserweiterun- geht es um die Gesundheit und Sicherheit
gen der Verbraucher; Sachschäden bleiben
 Ansprüche aus Sach- und Ver- von diesem Gesetz unberührt.
mögensschäden durch nicht aus-
reichend erprobte Erzeugnisse Der Versicherungsschutz der generellen

 Bewusstes Abweichen von Haftpflicht-Rückrufkostenversicherung -

gesetzlichen oder behördlichen davon gesondert ist das Kfz-Rückruf-

Vorschriften sowie von schriftlichen kostenmodell zu betrachten, das Versiche-

Anweisungen oder Bedingungen rungsschutz für Schadenersatzansprüche

des Auftraggebers von Kfz-Teileherstellern bietet - wird nicht

 Ansprüche im Rahmen der Aus- über die Betriebshaftpflichtpolice geboten,

und Einbaukosten, die sich auf die nur für ein eingetretenes Schadens-

Teile, Zubehör oder Einrichtungen ereignis gilt, das einen Personen-, Sach-

beziehen, die ersichtlich für den oder mitversicherten Vermögensschaden

Bau oder Einbau in Kraft-, zur Folge hat. Solche Schäden müssen

schienen- oder Wasserfahrzeuge die Auswirkung des Schadensereignisses

bestimmt waren ein. Nicht davon erfasst wird der


vorbeugende Schadensbereich!

Generelle Haftpflicht – Rückrufkosten- Der Versicherungsfall ist der während der

versicherung Wirksamkeit der Versicherung erfolgte

Das am 1. August 1997 in Kraft getretene Rückruf. Rückruf im Versicherungssinn ist

Produktsicherheitsgesetz (Prod.SG) ver- die auf gesetzlicher Verpflichtung

pflichtet alle Hersteller von Gebrauchs- beruhende Aufforderung des Versiche-

und Verbrauchsgütern, ausschließlich rungsnehmers, zuständiger Behörden

sichere Produkte in den Verkehr zu oder sonstiger Dritter an Endverbraucher,

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

22
Endverbraucher beliefernde Händler,
Beachtet werden sollten jedoch die
Vertrags- oder sonstige Werkstätten, die
wesentlichen Begrenzungen der Rückruf-
Erzeugnisse von autorisierter Stelle auf
kostenversicherung:
die angegebenen Mängel prüfen und die
 Nicht ausreichend erprobte
ggf. festgestellten Mängel beheben oder
Erzeugnisse (Entwicklungsrisiko)
andere namentlich benannte Maßnahmen
durchführen zu lassen. Als Rückruf gilt  Erzeugnisse, die vor In-Kraft-

auch die Warnung vor nicht sicheren Treten des Vertrages ausgeliefert

Erzeugnissen, soweit auf Grund wurden (Vorumsätze)

gesetzlicher Verpflichtungen zur Vermei-  Vertragliche Vereinbarungen (z.B.

dung von Personenschäden eine Warnung Gewährleistungsvereinbarungen)

ausreichend ist.  Erzeugnisse, die zum Zeitpunkt

Die versicherungstechnische Rückruf- des Rückrufes noch nicht an den

definition ist nicht deckungsgleich mit dem Endverbraucher ausgeliefert

Verständnis dieses Begriffs in der Öffent- wurden (solche Vorfeldschäden

lichkeit: Die ganz überwiegende Zahl der sind im Rahmen der Kfz-Rückruf-

Versicherungsfälle in diesem Bereich sind kostendeckung fakultativ versicher-

„stille Rückrufe“. Dieser Begriff existiert bar).

zwar nicht in den Klauseln, ist aber  Aus- und Einbaukosten außerhalb
versichert. Der Deckungsumfang der der Gefahrenabwehr (Schnittstel-
Rückrufkostenversicherungen beinhaltet: lenproblem mit der Betriebshaft-

 Benachrichtigungskosten pflicht - Rückrufnullstellung)

 Kosten für das Vorsortieren (bei


Fazit: Haftpflicht-Rückrufkostenversicher-
Kfz-Rückruf)
rungen sind teuer, jedoch immer in
 Überführungskosten
Relation mit Kosten für etwaige Rückrufe
 Überprüfungskosten
zu bewerten. Vor diesem Hintergrund
 Kosten der Zwischenlagerung
sollten eine hohe Deckungssumme und
 Austauschkosten eine gerade noch erträglicher Selbstbehalt
 Reparatur sowie Ersatz- bzw. gewählt werden.
Nachrüstmaßnahmen
 Innere Transportkosten
 Beseitigungs- und Vernichtungs- Literatur:
kosten „Produkthaftung und Produktsicherheit.
 Ablaufs-/Erfolgskontrolle Ein Leitfaden für Hersteller, Zulieferer,

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

23
Importeure und Händler“. Dr. Christian
Groß und Stefan Lenze. DIHK –
Deutscher Industrie- und Handels-
kammertag e.V., Berlin.

Produktsicherheit gewährleisten – Haftungsrisiken minimieren: Der Weg zum sicheren Produkt in der EU
Herausgegeben von der EIC Trier GmbH
Autor: Thomas Weinand

24

Das könnte Ihnen auch gefallen