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Zur Geschichte des deutschen Romans

THEORIE UND PRAXIS DER


DEUTSCHEN EPIK
Einführende Überlegungen
1.Teil
Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln
Spürest du kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde ruhest du auch.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 22.11.2023


J.W. Goethe: Wanderers Nachtlied
Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.
Doz. Dr. Delia Cotarlea 22.11.2023
Es ist sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich gehe zum
Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr vergleiche, sehe ich, daß
es schon viel später ist, als ich geglaubt habe, ich muss mich beeilen,
der Schrecken über diese Entdeckung lässt mich im Weg unsicher
werden, ich kenne mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus,
glücklicherweise ist ein Schutzmann in der Nähe, ich laufe zu ihm und
frage ihn nach dem Weg. Er lächelt und sagt: „Von mir willst du den
Weg erfahren?“ „Ja“, sage ich, „da ich ihn selbst nicht finden kann.“
„Gib‘s auf, gib‘s auf!“, sagt er und wendet sich mit einem großen
Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 22.11.2023


Gib‘s auf!
Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich
ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr
verglich, sah ich, daß es schon viel später war, als ich
geglaubt hatte, ich mußte mich beeilen, der Schrecken über
diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich
kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus,
glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu
ihm und fragte ihn nach dem Weg. Er lächelte und sagte:
„Von mir willst du den Weg erfahren?“ „Ja“, sagte ich, „da
ich ihn selbst nicht finden kann.“ „Gib‘s auf, gib‘s auf!“, sagte
er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie
Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.

(Franz Kafka) 1922 geschrieben, 1936 veröffentlicht

Doz. Dr. Delia Cotarlea 22.11.2023


Die literarischen Gattungen (genuri
literare)

● Wir brauchen den Begriff der Gattung, um Texte zu


klassifizieren. So wichtig der Begriff der Gattung ist, so
schwierig ist er auch zu definieren.
● Der Begriff der Gattung ist genauso wichtig wie der Begriff
der Literatur selbst.
● Die Gattung ist eine konstitutive Form der literarischen
Texte, sie ist eine Grundvoraussetzung (premisa de baza)
in der Auseinandersetzung (discutarea) mit Texten.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 22.11.2023


Aristoteles und die Gattungen
● Aristoteles beschäftigt sich in seiner „Poetik“ mit den
literarischen Gattungen mit Bezug auf ihre Fähigkeit
(capacitate), die Realität nachzuahmen (a imita) oder
eine befreiende Wirkung (efect eliberator) zu
erzeugen/produzieren.
● Von Platon und Aristoteles stammen (provin) die
Begriffe der „Mimesis“ und „Katharsis“. Mimesis als
Nachahmung von Natur bestimmt nicht nur die
Dichtung, sondern auch Musik und Tanz.

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Die literarischen Gattungen
● Katharsis – in der Tragödie, im Drama
● Aristoteles hat das sogenannte Realitätsprinzip der
Dichtung formuliert, die Dichtung sollte auf
Wahrscheinlichkeit und Stimmigkeit orientiert sein,
dabei aber nicht wie Realität wie der Historiker
betrachten.
● Bis ins 18. Jahrhundert hinein betrachtete man Dichtung
und Dramatik als die zwei grundlegenden literarischen
Gattungen. Erst mit Goethe wurden die drei Gattungen
deutlich ausdifferenziert.

Doz. Dr. Delia Cotarlea 22.11.2023


Aspekte der Epik als literarische Gattung
 Lyrik – vermittelte Darstellung von Zuständen (stari)
 Epik - vermittelte Darstellung von Handlung/Aktion
 formal gebundene Rede (Gedicht/Verszeilen) vs. ungebundene
Rede (Prosa)
 Dramatik – unvermittelte Darstellung von Handlung, von
Zustäden
 Lyrik = emotional-subjektive Gattung (lyrisches Ich)
 Epik = distanziert-objektive Gattung (Erzähler)
 Der Lyrik fehlt Handlung, sie ist an Gefühl und Stimmung
gebunden vs. Epik ist an Handlung und Figur in einem Raum-
und-Zeit-Kontinuum gebunden.
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Narrativität als Qualität des epischen
Textes
 Was versteht man aber in der Literaturwissenschaft
unter einem narrativen Text?

 Es ist ein Text, der eine Geschichte erzählt.


 Es gibt inzwischen epische Texte, die keine eigentliche
Geschichte erzählen.

 Das Drama ist andererseits narrativ, es bietet also eine


Geschichte, wenn auch nicht aus einer vermittelten
Perspektive. Auch Gedichte sind narrativ, zum Beispiel die
Ballade.
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Merkmale der Epik
 Grundbedingung ist die Handlung, wenn wir von epischen Texten
sprechen, man kann nicht von etwas erzählen, wenn absolut nichts
passiert.
 Epik schafft / konstruiert eine eigene Realität /Welt (Diegese), indem sie
etwas erzählt.
 Es ist aber nicht real, es kann mimetisch sein, es ist eine Welt der
Erzählung, die entsteht.
 Das Wirkliche in der Epik ist das Erzählen selbst (Erzählakt).
 Das Erzählen konstituiert Realität im epischen Text aus der
Perspektive eines Erzählers/einer Erzählinstanz. Daraus erkennt man
die vermittelte Perspektive.

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Merkmale der Epik
 Das Merkmal der Epik ist die Erzählfunktion.
 Aber so besonders ist das auch nicht. Denn Erzählen ist
eine Kommunikationsform jedes Menschen.
 Man kommuniziert viel durch Erzählungen, meist durch
kurze, kleine Erzählungen:
 Was einem passiert ist, wie wird das mitgeteilt/kommuniziert.
 Erzählen – eine Art mündlicher oder schriftlicher Rede
 Alltagserzählen vs. literarisches Erzählen
 Was? - Sujet
 Wie? - Erzählweise, Darstellung

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Elemente der Handlung
 Was?
 Ereignis (incident) – elementare Einheit der
Narration
 Geschehen (intamplare, cumul de incidente) –
Ereignisse in ihrer chronologischen Abfolge
 Geschichte (povestea, istoria) – die Ereignisfolge
 Handlungschema - Struktur der narrativen Texte

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Elemente der Darstellung
 Erzählung – die erzählten Ereignisse in der Reihenfolge
im Text, ist nicht die Handlung (chronologisch
rekonstruiert)
 Erzähltempo, Rückblende, Vorausdeutung
 Erzählen – die Präsentation der Geschichte, die Art und
Weise dieser Präsentation in bestimmten Medien
(sprachlich, audio-visuell) und Darstellungsweise
(Erzählsituation oder Sprachstil)

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Die Zustandsveränderung konstituiert
Narrativität
 Minimalbedingung/Minimalkondition der Narrativität
= mindestens eine Veränderung eines Zustands
(stare) in einem gegebenen zeitlichen Moment mit
einer deutlichen/klaren Wirkung (efect).
 eine temporale Struktur mit mindestens zwei
Zuständen, einem Ausgangs- und einem
Endzustand, dazwischen liegt eine Handlung.

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Narrativität als Qualität des
epischen Textes
 Die strukturalistische Konzeption von Narrativität
bedeutet Darstellung von Zustandsveränderungen
(representation of changes of state), innere und
äußere Zustände.
 Narrative Texte stellen eine Geschichte (story, histoire,
istorie) dar, indem eine Veränderungen innerhalb
eines Zeitabstandes eintritt.
 TzvetanTodorow bezeichnet mit histoire das Was?
und den discours mit Wie?
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Narrativität als Qualität des
epischen Textes
 Boris Tomaševski - Theorie der Literatur (1925),
definiert die fabula als die Summe der Ereignisse,
während er mit sjuzet ihre sprachliche
Verknüpfung im Text bezeichnete.
 E.M. Forster (1927) verwendete die Begriffe story
(Erzählung von Ereignissen in ihrer zeitlichen
Reihenfolge) und plot (Erzählung von Ereignissen,
die den Akzent auf die Kausalität legt) einander
gegenüber.
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Fiktionalität
● Was verstehen wir unter fiktional? Es ist die Qualität
jedes literarischen Textes.
●Fiktiv = das im fiktionalen/ literarischen Text Dargestellte.

●lat. fingere (u. a. ‚bilden‘, ‚formen‘, ‚gestalten‘,

‚künstlerisch darstellen‘, ‚sich vorstellen‘, ‚ersinnen‘


‚erdichten‘, ‚fälschlich vorgeben‘)
●Unter Fiktion versteht man die literarische/

künstlerische Darstellung einer autonomen


Wirklichkeit, die nicht mit der Wirklichkeit, die wir
erleben, gleichzusetzen ist.
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Fiktion ist
die künstlerische Konstruktion einer
möglichen Wirklichkeit (Aristoteles’ Begriff der
mimesis).
Diese Konstruktion, also fiktive Welt, hat den
Charakter eines Denkmodells. Alle thematischen
Elemente der erzählten Welt sind ihrerseits fiktiv:
Personen,Räume, Zeiten, Handlungen, Reden,
Gedanken, Konflikte usw.

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Thematische Einheiten
 Die thematischen Einheiten gehen als Elemente in
die fiktive Welt ein. Sie sind:
 1) aus der realen Welt bekannt.
 2) in unterschiedlichen Diskursen der jeweiligen
Kultur zu Hause.
 3) entstammen älteren oder fremden Kulturen.
 4) existieren nur in der Imagination.
 Unabhängig von ihrer Herkunft werden alle
thematischen Einheiten im fiktionalen Werk zu
fiktiven Elementen.
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 Erzählen – fiktiv vs. real, dichterisch vs. nichtdichterisch
 Man spricht oft in der Fachliteratur über fiktionales vs.
faktuales Erzählen.
 Faktuale Texte sind Texte, die potenziell nachprüfbare,
verifizierbare Tatsachen behaupten.
 Fiktionale Texte können nicht an dem Wahrheitsanspruch
(pretentia la adevar) faktualer Texte gemessen werden.
 In einem erzählten Universums werden die Aussagen eines
Erzählers so verstanden und bewertet, als ob sie faktuale
Aussagen, Aussagen über Tatsachen wären, die in diesem
Universum wahr sind.
 Fakt vs. Fiktion – unzuverlässiges Erzählen, vermischen von
Fakten und Fiktion, wo Aussagen (enunturi) als faktisch und
wahr rezipiert werden, aber falsch sind.
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Strukturmodell des Erzählaktes
nach Wolf Schmid
Im Erzählwerk wird nicht einfach erzählt, sondern es wird ein
Erzählakt dargestellt:

Autorkommunikation
Autor Darstellung
Adressat
dargestellte Welt

Erzählkommunikation
Erzähler Erzählung/Erzählen
Adressat
erzählte Welt
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Erzählen als Kommunikation
realer Autor realer Leser
textexterne Ebene
(empirisch,historisch)

abstrakter Autor impliziter/abstrakter Leser


textinterne Ebene I
(abstrakte Instanz, theoretisches Konstrukt, eine Vorstellung vom Autor)

fiktiver Erzähler fiktiver Leser (Korrelat des Erzählers)


textinterne Ebene II
(Figuren im Text, manchmal als Partner des Erzählers)
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Modell von Wolf Schmid: Elemente der Narratologie,
II. Die Instanzen des Erzählwerks, 1. Modell der
Kommunikationsebenen.

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Der abstrakte Autor

 Der Begriff bezieht sich auf das Bild, das beim Leser
durch die Lektüre entsteht. Er ist eine vermittelnde
Instanz zwischen dem tatsächlichen Autor und dem
Erzähler.
 „Abstrakt“ und „fiktiv“. Der abstrakte Autor ist keine
dargestellte Instanz, keine intendierte Schöpfung des
konkreten, realen Autors.
 Insofern der abstrakte Autor keine dargestellte Instanz
ist, kann man ihm kein einziges Wort im Erzähltext
zuschreiben.
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Der abstrakte Autor
▪ Er ist nicht identisch mit dem Erzähler,
sondern repräsentiert das Prinzip des
Fingierens eines Erzählers und der gesamten
dargestellten Welt.
▪ Er hat keine eigene Stimme.
▪ Der abstrakte Autor repräsentiert die
personifizierte Werkintention des realen
Autors.

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Der abstrakte Autor
▪ Der abstrakte Autor existiert im Werk
daher nur virtuell.
▪ Der abstrakte Autor ist die Verkörperung
des Konstruktionsprinzips, das das Werk
prägt.
▪ Er ist daher auch die Spur des konkreten
Autors im Werk, sein werkimmanenter
Repräsentant.
▪ Letztendlich handelt es sich um ein
Konstrukt, das auf einem Konsensus
beruht.

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Der abstrakte/implizite Leser
 Abstrakter Leser = das Bild vom Empfänger, das
der Autor beim Schreiben vor sich hat[te] oder
die Vorstellung des Autors vom Empfänger, die im
Text durch bestimmte indiziale Zeichen fixiert
ist (der geneigte Leser, ein guter Freund,
jemand, der aus räumlicher und zeitlicher
Distanz den Text rezipieren könnte).

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Der abstrakte Leser
Es sind zwei Funktionen des abstrakten
Lesers zu nennen:
▪ 1. postulierter Adressat, an den das Werk
gerichtet ist. Dieser besitzt sprachliche
Kodes, ideologische Normen und
ästhetische Vorstellungen, um das Werk zu
verstehen.
▪ 2. idealer Rezipient, der das Werk optimal
versteht.
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Fiktiver Erzähler und fiktiver Leser

 Jede Erzählung hat einen Erzähler – dieser in fiktiv


 explizit – „Ich“
 implizit, unsichtbar,
 Den Erzähler erkennt man an der Erzählperspektive.
 Dem fiktiven Erzähler entspricht ein fiktiver Leser:
Lieber Leser! Wie habe ich mich gefreut, als ich…..

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Erzählsituation oder -perspektive/ point
of view
 Perspektive = das an einen Standpunkt
gebundene Erzählen
 äußere wie innere Faktoren bedingen den
Standpunkt des Erzählens.
 Frage der Glaubwürdigkeit eines narrativen
Textes ist von der ES abhängig.
 Abhängigkeit von der Figur des Erzählers und
seiner Positionierung dem Erzählten gegenüber.

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Der auktoriale Erzähler

 Weiß alles, wird oft „allwissender Erzähler"


genannt,
 kennt alle Details - Vergangenheit und Zukunft,
Rückblicke und Vorausdeutungen, Gedanken und
Gefühle,
 Ist keine Person in der Geschichte,
 kann sich in die Handlung einmischen,
kommentieren, abschweifen und bewerten.
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Der personale Erzähler

 erzählt aus der Sicht einer Person in der


Geschichte
 erzählt in der dritten Person Singular (Er/Sie)
 kennt nur die Gedanken und Gefühle dieser
Person
 kann kommentieren, abschweifen und
bewerten
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Der neutrale Erzähler

 Schaut als stiller Beobachter zu,


 gibt nur das wieder, was man von außen
sehen kann, keine Gedanken und
Gefühle der Personen,
 ist keine Person in der Geschichte,
 keine Bewertung, sondern neutral.
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Der Ich-Erzähler

 Erzählt aus der Sicht einer Person in der Geschichte,


 erzählt in der ersten Person Singular (Ich),
 kennt nur die Gedanken und Gefühle dieser Person,
 kann kommentieren, abschweifen und bewerten,
 ist nicht automatisch der Autor;
 erlebendes Ich: Figur, die gerade etwas erlebt;
 erzählendes Ich: Figur, die auf die Ereignisse
zurückblickt.
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Mittelbarkeit – Franz Stanzel: Theorie des
Erzählens (1982)
 Mittelbarkeit des Erzählens: „Wo eine Nachricht übermittelt, wo berichtet oder
erzählt wird, begegnen wir einem Mittler, wird die Stimme eines Erzählers hörbar.“
(Stanzel 1982, S. 15)
 Gestaltete Mittelbarkeit erhöht die Literarizität eines Textes
 Mittelbarkeit – ist Erzählleistung, im Trivialroman weniger vorhanden.
 Entfamiliarisierung der Erzählung durch Erzählleistung;
 Ungewöhnliche Mittelbarkeit erhöht die Komplexität des Gefüges.
 Kombination der Idealtypen des Erzählens
 Point of View – keine richtige Entsprechung im Deutschen – Erzählsituation
 Kontinuierliche Übergänge – die Dynamisierung der typischen Erzählsituationen
 Nivellierungen der ES, wie sie im Trivialroman vorkommen.
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Das Modell von Frank K. Stanzel
▪ Das Modell von Frank K. Stanzel – Typische Formen des Romans (1964), Theorie des
Erzählens (1978)
▪ Wer erzählt? – Erzähler – repräsentiert das eigentliche Narrative
 erzählen vs. darstellen (szenische, berichtende, erzählerlose Darstellung)
 szenische Erzählen: dramatisierte Szene (Dialog) und unkommentierte Spiegelung der Wirklichkeit
im Bewusstsein einer Romangestalt
▪ Auktoriale Erzählsituation: einen persönlichen, sich einmischenden, zumeist alles wissenden
Erzähler.
▪ Gebrauch des Präteritums, Distanz in der Zeit, Neutralität, Ironie, manchmal szenische
Darstellung mit Inquit-Formeln („sagte er“, „sie schluchzte“). Es handelt sich um
Scheinobjektivität.
▪ Personale ES: Erzähler tritt hinter die Figuren und hinter eine einzelne Figur und erzählt aus
deren Sicht
▪ Vorhandensein eines Reflektors. Partielles Allwissen, unsichtbar
Ich-ES: Der Erzähler gehört der Welt der Figuren, der erzählten Welt
▪ stark eingeschränktes Wissen über die Erzählung, trotz Zeugenschaft.
22.11.2023
+Subjektiv
Typenkreis – organologisches Modell
 Jede ES – hat ein Kennzeichen, gegenüberliegend befindet sich ein
Gegensatz
 Mittelbarkeit des Erzählens – Grundlage für die drei typischen ES
 Modus – gebildet durch den Erzähler und Reflektor
 „Modus ist die Summe der möglichen Abwandlungen der Erzählweisen
zwischen den beiden Polen Erzähler und Reflektor zu verstehen:
Erzählen im eigentlichen Sinne der Mittelbarkeit, d. h. der Leser hat
die Vorstellung, daß er einem persönlichen Erzähler gegenübersteht,
und Darstellen, d. h. Spiegelung der fiktionalen Wirklichkeit im
Bewußtsein einer Romangestalt, wobei im Leser die Illusion der
Unmittelbarkeit seiner Wahrnehmung der fiktionalen Welt entsteht.“
(Stanzel 1982, S. 71)

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 Person – Relation zwischen dem Erzähler und den Romanfiguren
 „Wiederum läßt sich die Vielfalt der Möglichkeiten durch zwei
polare Positionen verdeutlichen: die Seinsbereiche, in denen
Erzähler und Charaktere beheimatet sind, können identisch oder
getrennt, also verschieden, nicht-identisch sein. Lebt der
Erzähler in derselben Welt wie die Charaktere, dann ist er nach
der herkömmlichen Terminologie ein Ich-Erzähler. Steht der
Erzähler existentiell außerhalb der Welt der Charaktere, dann
handelt es sich nach der herkömmlichen Terminologie um eine
Er-Erzählung.“ (Stanzel 1982, S. 71)
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 Perspektive – Wahrnehmung durch den Leser
 „Die Art und Weise dieser Wahrnehmung hängt wesentlich davon
ab, ob sich der Standpunkt, von dem aus das Erzählte präsentiert
wird, innerhalb der Geschichte befindet, d. h. in der Hauptfigur
oder im Zentrum des Geschehens, oder außerhalb des
Geschehens liegt, in einem Erzähler, der nicht selbst Träger der
Handlung ist, sondern als Zeitgenosse der Hauptfigur und des
Geschehens, als Beobachter oder unbeteiligter Chronist die
Geschichte berichtet. Dementsprechend ist zwischen einer
Innenperspektive und einer Außenperspektive zu unterscheiden.“
(Stanzel 1982, S. 72)
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Vgl. Stanzel 1982, S. 81.

Erzähler

Identität der Seinsbereiche Außenperspektive

Erzähler=Figur

Erzähler ≠ Figur
Innenperspektive

Figur mit Reflektor


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(sichtbar) (Erzähler ist weniger sichtbar)

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Relation zwischen dem
Erzähler und den Roman-
figuren

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Das Modell von H. J. Petersen

 Kritisch mit dem ER-Erzähler, Erzählinstanz?


 Erzählform, da man beim Autor und Erzähler von
unterschiedlichen Instanzen spricht: Ich-Form, Er-
Form
 Er-Form – eindimensional – berichtet immer nur vom
Dritten, tritt nicht in das Bewusstsein des Lesers.
 Ich-Form – zweidimensional und bipolar, Ich-Erzähler
ist sowohl Erzähler/erzählendes Medium als auch
handelnde Figur
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Standort und Perspektive nach Petersen

 Räumlicher Standort: Position, Entfernung, Winkel


 Position – Vogelperspektive, Froschperspektive
 Entfernung – große Nähe oder weite Ferne
 Winkel – begrenzter Winkel, olympischer Winkel
 Perspektive der Figuren :
 Innensicht – Der Erzähler kann in die Figuren
hineinblicken, er kennt ihre Gedanken, Gefühle.
 Außensicht – keinen Einblick in das Bewusstsein der
handelnden Figuren, er ist ein Beobachter.
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Verhalten der Erzählinstanz
 Verhalten der Erzählerinstanz: auktorial, personal, neutral
 Auktorial – bringt sich selber ins Spiel, kommentiert, wertet
(Ich- und Er-Form)
 Neutral – Distanz (Ich- und Er-Form) ?
 Personal – Erzählinstanz tritt hinter die Figur, Innensicht
 Innerer Monolog, Bewusstseinsstrom – Ich-Form
 erlebte Rede - ER-Form

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Erzähler

Auktoriales Verhalten
 Ein auktorialer Erzähler ist allwissend, er
betrachtet das Geschehen wie von außen, er
ist nicht Teil der Erzählung.
 Er deckt Zusammenhänge auf, kennt Details
über innere Zustände anderer Personen.
 Ist von dem Geschehen distanziert.
 Seine Perspektive kann als auch als göttlich
bzw. olympisch beschrieben werden.
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Personales Erzählverhalten
 Ein personaler Erzähler erzählt aus der Sicht einer
oder mehrerer Figuren.
 Es kann passieren, dass zwischen den Perspektiven
verschiedener Figuren gewechselt wird. Das
bezeichnet man als Multiperspektive.
 Der personale Erzähler muss nicht immer in die Figur
schlüpfen wie im Falle der Ich-Form.
 Ein personaler Erzähler ist auf die Figur beschränkt,
aus dessen Sicht die Geschichte erzählt wird.
 Er kann nicht wissen, was andere Figuren denken
oder fühlen. Es ist (s)eine/personale Perspektive.
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Gib‘s auf!
 Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich
ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr
verglich, sah ich, daß es schon viel später war, als ich
geglaubt hatte, ich mußte mich beeilen, der Schrecken über
diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich
kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus,
glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu
ihm und fragte ihn nach dem Weg. Er lächelte und sagte:
„Von mir willst du den Weg erfahren?“ „Ja“, sagte ich, „da
ich ihn selbst nicht finden kann.“ „Gib‘s auf, gib‘s auf!“,
sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so
wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.
(Franz Kafka)
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Einige Romananfänge

 „Lieber Leser, weißt du, was das Wort Greenhorn bedeutet? eine höchst
ärgerliche und respektierliche Bezeichnung für denjenigen, auf welchen sie
angewendet wird.‟(Karl May: Winnetou)
 „So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es
stürbe sich hier. Ich bin ausgewesen. Ich habe gesehen: Hospitäler. Ich habe
einen Menschen gesehen, welcher schwankte und umsank. Die Leute
versammelten sich um ihn, das ersparte mir den Rest. Ich habe eine
schwangere Frau gesehen. Sie schob sich schwer an einer hohen, warmen
Mauer entlang, nach der sie manchmal tastete, wie um sich zu überzeugen, ob
sie noch da sei. Ja, sie war noch da. Dahinter? Ich suchte auf meinem Plan:
Maison d'Accouchement. Gut. Man wird sie entbinden - man kann das. Weiter,
rue Saint-Jacques, ein großes Gebäude mit einer Kuppel.‟(Rainer Maria Rilke:
Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge)
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 Jemand musste Josef K. verleumdet haben,
denn ohne daß er etwas Böses getan hätte,
wurde er eines Morgens verhaftet. Die Köchin
der Frau Grubach, seiner Zimmervermieterin,
die ihm jeden Tag gegen acht Uhr früh das
Frühstück brachte, kam diesmal nicht. Das
war noch niemals geschehen.‟ (Franz Kafka:
Der Prozess)

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 K. wartete noch ein Weilchen, sah von seinem
Kopfkissen aus die alte Frau, die ihm gegenüberwohnte
und die ihn mit einer an ihr ganz ungewöhnlichen
Neugierde beobachtete, dann aber, gleichzeitig
befremdet und hungrig, läutete er. Sofort klopfte es
und ein Mann, den er in dieser Wohnung noch niemals
gesehen hatte, trat ein. Er war schlank und doch fest
gebaut, er trug ein anliegendes schwarzes Kleid […]
(Franz Kafka – Der Prozess)
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Typologie des Erzählers
Typen des Erzählers
 Weise der Darstellung explizit — implizit
 Markierung stark — schwach markiert
 Persönlichkeit persönlicher - unpersönlicher

Erzähler
 Antropomorphie Mensch — nicht Mensch
 Homogenität einheitlich — diffus
 Wertung objektiv — subjektiv
 Wissen allwissend — begrenzt
 räumliche Kompetenz allgegenwärtig — räumlich
begrezt
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 Introspektion
◼ mit Introspektion - ohne Introspektion
 Professionalität
◼ professionell - laienhaft
 Zuverlässigkeit
◼ unzuverlässig (unreliable) - zuverlässig
(reliable)
 Primärer, sekundärer, tertiärer Erzähler
 Erzählendes + erlebendes Ich

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