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8 Rücken, Dorsum

Jürgen Koebke und Holger Bade

furche. Die Rückenfurche läuft im Sakraldreieck


Der Rücken, Dorsum, umfasst die hintere Partie
bzw. in der Michaelis-Raute aus. Indem die Haut
von Hals und Rumpf. Er reicht kranial von der
an den beiden Spinae iliacae posteriores superiores
Protuberantia occipitalis externa bis kaudal
und der Kreuzbeinspitze unmittelbar befestigt ist,
zur Spitze des Os sacrum. Die Nackenregion,
ergibt sich das Bild eines Dreiecks. Eine zusätzli-
Regio nuchae, die sich vom Hinterhaupt bis
che, besonders bei Kindern und Frauen erkennbare
zum Dornfortsatz des 7. Halswirbels erstreckt,
Hauteinziehung auf Höhe des Dornfortsatzes des 5.
kann vom eigentlichen Rücken abgegliedert
Lendenwirbels erweitert das Dreieck zur Raute.
werden. Seitlich geht der Rücken kontinuierlich
in die vorderen Rumpfpartien und kaudal in die Schulterblatt, Scapula, und mehrere, funktionell
Gesäßregion, Regio glutealis, über. dem Schultergürtel sowie dem Schultergelenk
zugeordnete Muskeln (s. Kap. 9.1.2.2, S. 695)
Oberflächenanatomie des Rückens (Abb. 8.1). prägen die Oberfläche der mittleren Rückenregion.
Sie wird hauptsächlich durch die Dornfortsätze
der Wirbel, durch das paarige Schulterblatt, durch Klinik: 1. Die äußere Inspektion des Rückens
Anteile des knöchernen Beckens sowie durch ist sehr wichtig. Sie kann eine seitliche, patho-
mehrere Muskeln geprägt. Längs der medianen logische Krümmung der Wirbelsäule, Skoliose,
Rückenfurche sind die Spitzen der Dornfortsätze erkennen lassen. 2. Ein Hoch-, Tief- oder
tast- und zum Teil sichtbar. Der 7. Halswirbel, Abstehen der Skapula weist auf Muskelläh-
Vertebra prominens, weist einen besonders vor- mungen hin. 3. Beim bettlägerigen Patienten
springenden Dornfortsatz auf. Von ihm ausgehend, kann die Haut dort, wo sie ohne nennenswerte
ist die palpierende Orientierung nach kranial und Unterpolsterung Knochen (Kreuzbein, Schulter-
kaudal gut möglich. Die beiden Wülste der auto- blatt) bedeckt, durch Druck geschädigt werden
chthonen Rückenmuskeln flankieren die Rücken- (Dekubitalgeschwüre).

8.1 Wirbelsäule

Lernziele: Entwicklung der Wirbelsäule, allge- „Säule" ist irreführend. Es handelt sich nicht
meiner Wirbelaufbau, spezieller Aufbau einzel- um ein in sich festes, starres Gebilde, sondern
ner Wirbel, Kopfgelenke, Anomalien um eine vielgliedrige Knochengelenkkette, die
passiv durch Bänder und aktiv durch Muskeln
stabilisiert wird, aber durch letztere auch bewegt
Die Wirbelsäule, Columna vertebralis, ist das
werden kann.
bezeichnende Merkmal aller Wirbeltiere, Ver-
tebrata, einschließlich des Menschen. Sie hat
zwei auf den ersten Blick sich widersprechende
Entwicklung
Aufgaben zu erfüllen. Zum einen ist sie Stütze
des Rumpfes, zum anderen ermöglicht sie aus- Die Wirbelsäulenelemente entwickeln sich früh-
giebige Bewegungen desselben. Der Begriff embryonal aus dem von den mesodermalen

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630 8 Rücken, D o r s u m

Processus spinosus (C7) \ - Pars descendens m. trapezii


\
\ W W
Rautenförmiges Sehnenfeld N

Pars horizontals m, trapezii ^ \ X B


\ \ R
Spina scapulae v \ \ JF^
\
x
v A \ W
Acromion \

M. deltoideus
ν jm \

\
\
\
V

« M.infraspinatus

• Margo medialis scapulae

' Μ. teres major


- Μ. rhomboideus

Μ. latissimus dorsi
(Oberrand)
/ r
1§·:' ι ' Angulus inferior scapulae

Μ. serratus anterior
unter dem M. latissimus dorsi
/
Caput laterale
m. tricipitis brachii /
/
!
/

1
/ - - M . latissimus dorsi
Caput longum
(Unterrand)
m. tricipitis brachii

- M. erector Spinae
M. obliquus—
externus abdominis
-Crista iliaca
Μ. gluteus m e d i u s ^ ~~ ~~

Fossula lumbalis — —

. _ — — M . gluteus medius
Os sacrum

M. gluteus maximus
Trochanter major

-Sulcus gluteus

Abb. 8.1: O b e r f l ä c h e n a n a t o m i e d e s R ü c k e n s eines 30-jährigen M a n n e s

Somiten sich abgliedernden Skierotomen (Kap. dung unbeteiligt bleiben (sie liefern die bindege-
3.5.1.5, S. 147). Diese bilden, nachdem sie primär webigen Scheiden um die Spinalnervenäste), geht
eine Verschmelzung zeigen, eine axiale und eine aus den kaudalen die Anlage für die Wirbelbögen,
paraxiale Mesenchymzone (Kap. 3.5.1.3, S. 145). deren Wurzeln und Fortsätze sowie die der Rippen
Deren weiteres Schicksal ist different. Das para- hervor. Die axiale Mesenchymzone ist letztlich
xiale Mesenchym liefert, indem es sich spaltet, Bildner der Zwischenwirbelscheibe und des Wir-
kraniale und kaudale Sklerotomiten. Während die belkörpers. Die Zwischenwirbelscheibe nimmt in
kranialen Sklerotomiten an der späteren Wirbelbil- Form ihres inneren Gallertkerns Reste der Chorda
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8.1 Wirbelsäule 631

dorsalis (Kap. 3.5.1.1, S. 140) auf. Durch die Spal-


tung in kraniale und kaudale Sklerotomiten geht
die ursprüngliche Segmentierung (Metamerie)
der Wirbelsäulenanlage verloren, während die der
Muskelanlagen (Myotome) erhalten bleibt. Die
Zwischenwirbelscheiben werden von den segmen-
talen Muskelplatten der Myotome überbrückt, dies
ist Grundvoraussetzung für die aktive Bewegung
zwischen 2 Wirbeln. Die Wirbel verknöchern aus
2 perichondralen Manschetten des Wirbelbogens
und dem enchondralen Knochenkern des Wir- TM

belkörpers. Der Schluss der Wirbelbogenfugen


beginnt im ersten Lebensjahr und die Verschmel-
zung mit dem Wirbelkörper erfolgt zwischen dem
dritten und sechsten Lebensjahr.

Klinik: Der sog. offene Rücken (Spina bifida)


ist eine embryonale Hemmungsfehlbildung, Brustkyphose
die auf einem Nichtverschluss der Wirbelbo-
genfugen beruht. Die Fehlbildung kann auf die
Wirbelbögen beschränkt bleiben, aber auch die
Hüllen des Rückenmarks und das Rückenmark
selber betreffen (Kap. 3.5.1.2, S. 142, Kap.
5.1.2, S. 357).

Systematische Anatomie

Die Wirbelsäule des Menschen besteht norma-


LI Ε iii
lerweise aus 24 freien oder präsakralen Wirbeln
(Vertebrae), die durch 23 Zwischenwirbel-
scheiben (Disci intervertebrales) beweglich
miteinander verbunden sind (Abb. 8.2). Auf
7 Halswirbel (Vertebrae cervicales, C1-C7)
folgen 12 Brustwirbel (Vertebrae thoracales, Lendenlordose

Thl-Thl2) und 5 Lendenwirbel (Vertebrae


lumbales, LI-L5). Das mit dem 5. Lendenwirbel
beweglich verbundene Kreuzbein, Os sacrum,
geht aus der Verwachsung von 5 Wirbelelemen-
ten und 4 Zwischenwirbelscheiben hervor. Die L5
knöcherne Verschmelzung (Synostosierung) der
1
Promontorium
5 Sakralwirbel (Vertebrae sacrales, S1-S5) ist
erst mit dem 17.-20. Lebensjahr beendet. Das Basis ossis sacri
Steißbein, Os coccygis, ist das Rudiment einer
Schwanzwirbelsäule und wird von 3-6 kleinen
Elementen gebildet. Lediglich das erste, krani-
ale zeigt noch typische Wirbelmorphologie.
Die Gesamtzahl der Wirbel wie auch die Grenze
zwischen den einzelnen Abschnitten können Abb. 8.2: Wirbelsäule von links. Der dicke Pfeil zeigt
variieren. zum Dornfortsatz des 7. Halswirbels (Vertebra promi-
nens) hin

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632 8 Rücken, Dorsum

Proc. articularis Proc. spinosus


Proc. articularis superior
superior Proc.transversus
χ\
Fovea costalis superior et inferior
\
Proc. transversus
et Fovea costalis ^

\
Proc. articularis
inferior
Fovea costalis

""" Fovea costalis inferior


Ν Proc. spinosus

Fovea costalis superior

^ Corpus
Abb. 8.3: Brustwirbel von kranial und von rechts

8.1.1 Grundform des Wirbels lia. Form und Größe der Zwischenwirbellöcher
und ihre Lage zu den Zwischenwirbelscheiben
Im folgenden wird am Beispiel eines Brustwirbels sind in den einzelnen Abschnitten der Wirbelsäule
(Abb. 8.3) der generelle Aufbau eines Wirbels dar- unterschiedlich. Die Größe der Löcher nimmt von
gestellt. Auf die morphologische Spezialisierung kranial nach kaudal zu.
(d. h. das Abweichen) einzelner Wirbel von der
Grundform wird an entsprechender Stelle einge- Klinik: Ausgehend von einer mechanisch
gangen. Ein Wirbel besteht aus Körper (Corpus) bedingten, degenerativen Höhenminderung
und Bogen {Arcus). Der ventrale Wirbelkörper eines Discus intervertebralis kann es zur Ver-
0Corpus vertebrae) ist mechanisch fest und belast- engung des Foramen intervertebral kommen.
bar. Er hat eine dünne, kompakte Außenschicht und Dies fuhrt zum Druck auf die durchtretenden
eine dichte innere Spongiosa. An der kranialen und Spinalnerven und zu Störungen in deren Inner-
kaudalen Endfläche des Körpers ist der zentrale vationsgebiet. Häufig betroffen sind die Hais-
Teil porös, nur der Rand {Randleiste) besteht aus und Lendenwirbelsäule.
festerem Knochen. An 2 sich zugewandten Endflä-
chen erfahrt jeweils eine Zwischenwirbelscheibe Die Gelenkfortsätze, Processus articulares supe-
ihre Verankerung. Der Wirbelbogen {Arcus ver- riores und inferiores, tragen überknorpelte Artiku-
tebrae) entspringt mit 2 Wurzelanteilen {Pediculi lationsflächen und bilden mit den entsprechenden
arcus vertebrae) der Dorsalfläche des Körpers. Der Processus des benachbarten kranialen und kaudalen
Bogen trägt 2 seitliche Querfortsätze {Processus Wirbels die Wirbelbogengelenke (Abb. 8.2). Neben
transversi), 2 obere und 2 untere Gelenkfortsätze den Zwischenwirbelscheiben sind es die Wirbel-
{Processus articulares superiores und inferiores) bogengelenke, Articulationes zygapophyseales,
sowie einen unpaaren, nach dorsal gerichteten die Bewegungen der Wirbelsäule ermöglichen.
Dornfortsatz {Processus spinosus). Durch unterschiedliche räumliche Position der
Artikulationsflächen ergeben sich für die einzelnen
Wirbelbogen und Körperrückfläche umrahmen
Abschnitte der Wirbelsäule bevorzugte Bewe-
das Wirbelloch {Foramen vertebrale), welches
gungsmöglichkeiten.
das Rückenmark mit seinen Hüllen aufnimmt.
Die Fortsätze des Wirbelbogens dienen einer-
seits zur Befestigung von Bändern und Muskeln, 8.1.2 Halswirbel, Vertebrae cervicales
andererseits als gelenkbildende Elemente. Der
Wirbelbogen ist dort, wo er dem Körper entspringt, Die Halswirbelsäule (HWS) gliedert sich in
am oberen Rand seicht, am unteren Rand tief einge- 2 Abschnitte, wobei die obere HWS die Elemente
kerbt {Incisura vertebral is superior und inferior). C1 und C2 und die untere HWS C3 bis C7 umfasst.
Diese Inzisuren ergänzen sich mit den zugekehrten Diese Gliederung ist morphologisch und funktio-
des nächst oberen und unteren Wirbels zu den nell vorgegeben.
Zwischenwirbellöchern, Foramina intervertebra-
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8.1 Wirbelsäule 633

Tuberculum posterius
Arcus posterior atlantis
t I
Facies articulares Sulcus arteriae vertebralis
superiores (Var.) 7
Fovea articularis superior
\
\ / Foramen transversarium
/

Processus transversus

Fovea dentis Fovea articularis


Arcus anterior atlantis
inferior Fovea dentis
Tuberculum anterius Tuberculum anterius

Abb. 8.4: Atlas von kranial und von kaudai


Facies articularis
anterior
• — Apex dentis
Facies articularis posterior /
Dens axis /
— Facies articularis anterior

Processus
"acies articularis superior spinosus x

Processus transversus

Processus articularis inferior

Corpus Processus articularis Foramen


inferior transversarium
Abb. 8.5: Axis von ventral und von rechts

Atlas. Der erste Halswirbel, Atlas, besitzt keinen lis auf, die sich dann nach hinten und medial zum
Körper. Vorderer Bogen, Arcus anterior, und hin- Hinterhauptsloch wendet. Sie erzeugt dabei auf
terer Bogen, Arcus posterior, formen einen Ring dem hinteren Atlasbogen eine Rinne, Sulcus arte-
(Abb. 8.4). Die beiden Bögen vereinigen sich in riae vertebralis, die gelegentlich zu einem Kanal,
den dicken Seitenteilen, den Massae laterales, die Canalis a. vertebralis, geschlossen sein kann.
sich in die seitlich stark ausladenden Processus
Axis. Der zweite Halswirbel (Abb. 8.5) trägt auf
transversi fortsetzen. Die Querfortsätze weisen ein
seinem Körper den Axiszahn, Dens axis. Der Dens
Foramen transversarium auf. Der Dornfortsatz ist
axis besitzt eine vordere und eine hintere über-
zu einem kleinen Höcker, Tuberculum posterius,
knorpelte Gelenkfläche. Die vordere Gelenkfläche,
reduziert. Eigentliche Gelenkfortsätze fehlen. Die
Facies articularis anterior, artikuliert mit der
Massae laterales tragen lediglich obere, ovale oder
Fovea dentis des vorderen Atlasbogens, die hintere,
schuhsohlenförmige, sagittal konkave und leicht
Facies articularis posterior, mit dem Ligamentum
nach medial geneigte Gelenkflächen, Facies arti-
transversum atlantis (Abb. 8.15). Rundliche, nach
culares superiores. Nicht selten sind die oberen
außen, dorsal und ventral abfallende obere Gelenk-
Gelenkflächen (ein- oder beidseitig) geteilt.
flächen erlauben eine Drehung von Atlas und Kopf
Die Facies articulares inferiores sind mehr plan um 40° zu jeder Seite, was die Hälfte der gesamten
und rund. Das Foramen vertebrate ist groß. Das HWS-Rotation ausmacht. Der kräftige Dornfort-
fehlende Corpus atlantis wird durch den kranial satz ist mehr oder minder deutlich gegabelt, die
gerichteten Zahn des 2. Halswirbels, Dens axis, Querfortsätze sind klein.
repräsentiert. Der Dens axis artikuliert mit der
Fovea dentis, die an der Innenseite des Arcus ante- Untere HWS. Die Elemente der unteren HWS,
rior gelegen ist. Der Axiszahn ist die eigentliche C3-C7, haben einen relativ niedrigen Körper, der
Anlage des Atlaskörpers. Das Foramen transversa- dorsal höher als ventral ist (Abb. 8.6). Die Endflä-
rium des Atlas nimmt die aufsteigende A. vertebra- chen sind sattelförmig gekrümmt, wobei die obere
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634 8 Rücken, Dorsum

Processus spinosus
Λ
/ \

Foramen vertebrate Arcus r . , .


/ Facies articularis superior
/ '

Processus articularis inferior

Sulcus nervi spinalis


- Tubercuium posterius
Processus transversi
Foramen transversarium — Tubercuium anterius

Corpus

Processus articularis superior

Facies articularis superior

Processus spinosus
Arcus _ φχ • — Foramen transversarium

— Sulcus nervi spinalis

Corpus
/
/ /
/ Incisure vertebralis inferior
/
Processus articularis inferior Abb. 8.6: Halswirbel von kranial und von rechts

seitlich in einem hakenförmigen Fortsatz, Uncus dass die oberen und unteren Brustwirbelkörper
corporis, endet. Der grazile Bogen läuft im deutlich einen größeren Durchmesser aufweisen, während
gegabelten Dornfortsatz aus. Das von Körper und die mittleren mehr kartenherzförmig sind. Ventral
Bogen begrenzte Foramen vertebrale ist dreieckig ist der Wirbelkörper niedriger als dorsal. Die Brust-
und groß (zur Aufnahme der Halsanschwellung wirbel (Abb. 8.3) stehen mit voll ausgebildeten
des Rückenmarks, Intumescentia cervicalis). Die Rippen in Verbindung. Die Brustwirbelkörper II-
Querforsätze tragen ein Foramen transversarium IX haben seitlich am Ober- und Unterrand je eine
und sind rinnenförmig gestaltet (Sulcus η. spina- Fovea costalis. Die Foveae costales benachbarter
lis). Die vordere, in einem Tubercuium anterius Wirbel bilden zusammen mit der eingefassten Zwi-
auslaufende Rinnenbegrenzung stellt ein Rippen- schenwirbelscheibe die Gelenkfläche für einen Rip-
rudiment dar, während die hintere Spange mit dem penkopf. Der 1. Brustwirbelkörper hat eine ganze
Tubercuium posterius der eigentliche Querfortsatz obere Gelenkgrube fur die 1. Rippe und eine halbe
ist. Das Tubercuium anterius des 6. Halswirbels, untere für die obere Hälfte des Kopfes der 2. Rippe.
Tubercuium caroticum, ist besonders kräftig. Die Der 10. Wirbelkörper hat nur eine halbe, obere
Gelenkfortsätze tragen fast plane Artikulationsflä- Gelenkfläche; 11. und 12. Wirbelkörper schließlich
chen, die leicht nach kaudal zunehmend - schräg besitzen je eine ganze Fovea costalis für die 11. und
nach hinten abfallen. 12. Rippe.

Das Foramen vertebrale ist rund und klein. Die


Klinik: Bei Blutungen aus Ästen der Hals-
Dornfortsätze sind lang und nach abwärts gerichtet.
schlagader, A. carotis communis (s. Kap. 4.9,
Sie überlagern sich dachziegelartig. Beim Abtasten
S. 244), kann man zwecks temporärer Blutstil-
ist darauf zu achten: Die Spitze eines Dornfortsat-
lung das Gefäß gegen das Tubercuium caroti-
zes liegt mit dem zugehörigen Wirbelkörper nicht
cum pressen.
auf gleicher Höhe, sondern um fast ein Element
tiefer. Die Querfortsätze weisen bei den oberen
Wirbeln nach lateral, bei den mittleren und unteren
8.1.3 Brustwirbel, mehr nach lateral und hinten. Bei den 10 kranialen
Vertebrae thoracicae Brustwirbeln tragen die Querfortsätze eine Fovea
costalis transversalis zur Verbindung mit dem Rip-
Gemäß der anwachsenden mechanischen Belastung
penhöckerchen, Tubercuium costae.
werden die 12 Brustwirbel kaudalwärts größer und
massiger (Abb. 8.2). In der Aufsicht erkennt man,
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8.1 Wirbelsäule 635

Processus articularis
Processus spinosus — Processus articularis superior \
inferior Incisura vertebral is superior
Processus mammillaris Processus articularis
\ superior Processus
Processus accessorius / costalis N.
χ

\
Foramen vertebrate
\
Processus costalis
/
/
Processus spinosus Incisura vertebralis inferior

Processus articularis inferior

Abb. 8.7: Lendenwirbel von kranial und von rechts

8.1.4 Lendenwirbel, S. 439) vorgedrungen wird, nutzt man die anato-


Vertebrae lumbales mischen Gegebenheiten. Die gestreckten, plum-
pen Dornfortsätze lassen zwischen sich viel
Die 5 kräftigen Lendenwirbel (Abb. 8.7) haben Raum frei (durch Vorbeugen des meist sitzenden
einen querovalen, großen Körper, ein dreieckiges, Patienten wird dieser noch weiter), so dass die
relativ großes Foramen vertebrale und hohe, hori- Punktionsnadel ohne knöchernes Hindernis zwi-
zontal nach hinten gerichtete, seitlich abgeplattete schen 4. und 5. Processus spinosus eingebracht
Dornfortsätze. Wie an den Halswirbeln gibt es auch werden kann (s. Kap. 5.4.2.2, S. 456).
an den Lendenwirbeln Rippenrudimente. Diese als
Processus costales bezeichneten Fortsätze („Late-
8.1.5 Kreuzbein, Os sacrum
ralfortsätze") werden fälschlich oft als Querfortsätze
angesprochen. Die eigentlichen Querfortsätze sind
unauffällig als Processus accessorii dem vorderen
Das aus 5 Einzelwirbel und 4 Zwischenwirbel-
Wurzelbereich des Rippenfortsatzes aufgesetzt.
scheiben entstandene Kreuzbein, Os sacrum, hat
Die medialwärts gerichteten Gelenkflächen der
die Form eines Keiles (Abb. 8.8, 9). Die Spitze des
kranialen Gelenkfortsätze stehen annähernd senk-
Keiles ist als Apex ossis sacri nach kaudal orientiert
recht mit einer geringen (LI) bis deutlichen (L5)
und steht mit dem Steißbein in Verbindung. Die
dorsalen Neigung (Abb. 8.7) und sind von ventral
glatte, vordere Fläche, Facies pelvina, ist konkav
nach dorsal konkav. Die kaudalen Gelenkfortsätze
(Abb. 8.8). Sie weist 4 quere Lineae transversae
stehen näher beieinander. Ihre Artikulationsflächen
als ursprüngliche Grenzen der Wirbelkörper auf.
weisen nach lateral und sind konvex. Es umfassen
Die rechten und linken 4 Foramina sacralia fuhren
so die kranialen Gelenkfortsätze die kaudalen des
zum dorsal gelegenen sakralen Wirbelkanal.
nächst höheren Wirbels, wobei die dorsale Neigung
der Artikulationsflächen zum einen die Aufnahme Die konvexe, rauhe Rückfläche des Kreuzbeins,
von sagittalen Schubkräften erlaubt. Zum anderen Facies dorsalis ossis sacri (Abb. 8.9), weist eine
schränkt die grundsätzlich sagittale Orientierung median gelegene unpaare Leiste, Crista sacralis
eine Drehung und Seiteneigung ein, während Beu- mediana (verschmolzene Reste der Dornfortsätze),
gung und Streckung gut möglich sind. 2 Cristae sacrales intermediae (Reste der Gelenk-
fortsätze) und 2 äußere Cristae sacrales laterales
Klinik: Bei der Lumbalpunktion, bei der mittels (Reste der Querfortsätze) auf. Zwischen der medi-
einer entsprechend langen Kanüle bis in den das anen und den beiden intermediären Leisten liegen
Rückenmark schützend umgebenden Flüssig- die Foramina sacralia dorsalia.
keitsraum (Subarachnoidalraum, Kap. 5.3.2.2,

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636 Rücken, Dorsum

Processus articularis superior


I
Basis ' --

I! J f i ^
ι
Pars lateralis — p f -

Η
Foramina sacralia
pelvina

rS
\

\ imjÜN''
Lineae transversae

/ / V r «
w, rrs, ' ! I ( j

Abb. 8.8: Os sacrum, Facies pelvina

Processus articularis
Canalis sacralis

_ - Tuberositas sacralis

Facies auricularis

Crista sacralis medial

Crista sacralis lateralis

Crista sacralis intermedia

Foramen sacrale dorsale

Cornu sacrale

Hiatus sacralis

Abb. 8.9: Os sacrum, Facies dorsalis

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8.1 Wirbelsäule 637

Die Cristae intermediae laufen kranial in die 8.1.7 Variationen der knöchernen
Processus articulares superiores, nach kaudal in Wirbelsäule
die Cornua sacralia aus (Abb. 8.9). Die schräg
dorso-medial gerichteten oberen Gelenkfortsätze Es kann sowohl die Zahl der Wirbel verändert als
artikulieren mit dem letzten Lendenwirbel. Der auch die Grenze zwischen benachbarten Wirbelsäu-
Sakralkanal, Canalis sacralis, läuft im Hiatus lenabschnitten verschoben sein.
sacral is aus.
• Atlasassimilation. Der erste Halswirbel kann
partiell oder vollständig mit dem Hinterhaupt
Klinik: 1. Der sehr variabel ausgebildete Hiatus
knöchern verschmolzen sein. Während der
sacralis dient als Zugang bei der sog. Sakral-
Bewegungsverlust zwischen Hinterhaupt und
anästhesie. Ein Anästhetikum wird epidural,
Atlas von der HWS kompensiert wird, kann eine
d. h. zwischen meningealem und periostalem
assimilationsbedingte Verengung des Hinter-
Durablatt, gespritzt und erreicht so Spinalner-
hauptsloches (Foramen magnum) neurologische
venwurzeln, die im Canalis sacralis durch die
Störungen bedingen. Die Atlasassimilation ist
harte Rückenmarkshaut austreten. 2. Das kindli-
selten.
che Kreuzbein zeigt im Röntgenbild dort, wo die
• Proatlas. Die knöcherne Begrenzung des Hin-
noch nicht verknöcherten Zwischenwirbelschei-
terhauptsloches zeigt deutliche Wirbelgestalt.
ben liegen, radiologische Lücken.
Es manifestiert sich ein Okzipitalwirbel. Sehr
selten.
Das Kreuzbein ist straff-gelenkig mit den beiden
• Blockwirbel. Die HWS zeigt eine angeborene
Darmbeinen über die seitlich gelegene Facies auri-
Verschmelzung von 2 oder mehr benachbarten
cularis (Abb. 8.9) verbunden. Starke Bandmassen
Wirbeln. Liegt eine Blockwirbelbildung vor,
sichern das Sakroiliakalgelenk. An der oberflächen-
betrifft sie meist C2-C3. Erkrankungsbedingte,
rauhen Tuberositas sacralis sind solche Bänder
sekundäre Blockbildungen sind häufiger.
befestigt. Das männliche Kreuzbein ist lang, schmal
• Halsrippe. Das Rippenrudiment von C7 (selten
und stärker gekrümmt; das weibliche Os sacrum ist
von C6 oder C5) kann zur Rippe auswachsen,
kürzer, breiter und schwächer gekrümmt.
die entweder stummelförmig frei endet, oder
aber die (eigentliche) erste Rippe oder das
8.1.6 Steißbein, Os coccygis, coccyx Brustbein erreicht. Durch Druck auf Gefäße
und Nerven kann eine Halsrippe zu Ausfallen
Als Rudiment einer Schwanzwirbelsäule besteht im Bereich von Schulter und Arm führen. Sie
das Os coccygis aus Elementen, wobei nur muss dann operativ entfernt werden (s. Kap.
noch das erste Wirbelcharakter hat (Abb. 8.10). 10.2.2.1.2, S. 796).
Wirbelkörper, Querfortsätze und kleine kraniale • Lendenrippe. Das Rippenrudiment von LI,
Gelenkfortsätze, Cornua coccygea, sind erkennbar. Processus costalis, kann auswachsen und die
Die übrigen, untereinander gelenkig, knorpelig Gestalt einer unteren, thorakalen Rippe anneh-
oder knöchern verbundenen, stellen nur noch kleine men.
Knochenstücke dar. • Lumbalisation. Der erste Sakralwirbel geht
nicht mit in die Bildung des Kreuzbeins ein,
Cornu coccygeum
sondern liegt faktisch als ein 6. Lendenwirbel
vor.
• Sakralisation. Der 5. Lendenwirbel kann voll-
ständig (dann meist symmetrisch) oder partiell
(einseitig und dann asymmetrisch) mit dem
Kreuzbein verschmolzen sein. Eine asymmet-
rische Sakralisation von L5 kann eine Skoliose
«•IM* induzieren und durch Verengung des betreffen-
Abb. 8.10: Os coccygis von ventral und von dorsal
den Zwischenwirbellochs neurologische Störun-
gen bedingen. Auch der erste Steißbeinwirbel
kann knöchern mit dem kaudalen Ende des
Kreuzbeins verschmolzen sein.
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638 8 Rücken, Dorsum

8.2 Bänder und Gelenke der Wirbelsäule

len ist gekreuzt. Die Verankerung der Fasern erfolgt


Lernziele: Bewegungssegment, Bänder, Band-
unmittelbar an den Randleisten der Wirbelendplat-
scheibe, Bandscheibenschaden. Zwischenwir-
ten und mittelbar über eine dünne, zentrale Hyalin-
belgelenke, Kopfgelenke, Bewegungsmuster
knorpelschicht (Synchondrose).
Nucleus pulposus. Er enthält Glykosaminogly-
8.2.1 Zwischenwirbelscheiben, Band- kane, die wasserbindend sind. Der Gallertkern
scheiben, Disci intervertebrales steht unter permantem Quellungsdruck, der von
den zugfesten Kollagenlamellen des äußeren Rings
aufgefangen wird (Wasserkissenprinzip).Unter der
Die Zwischenwirbelscheiben beteiligen sich
täglichen Belastung gibt der Gallertkern Wasser ab,
zum einen sehr wesentlich am Gestaltbau der
was eine Höhenminderung der Wirbelsäule bis zu
Wirbelsäule. So tragen sie zu einem Viertel an
3 cm zur Folge haben kann, die aufgrund adäquater
der Gesamtlänge der präsakralen Wirbelsäule
Entlastungsphasen (liegen) reversibel ist.
bei. Indem sie in sagittaler Richtung keilför-
mig sind, konsolidieren sie die natürlichen
Zwei über eine Zwischenwirbelscheibe mit-
Krümmungen der Wirbelsäule. Eine lumbale
einander verbundene Wirbel gehören zu einem
Zwischenwirbelscheibe (insbesondere die zwi-
sog. Bewegungssegment. Die Definition des
schen L5 und S l ) ist beispielsweise vorn höher
Bewegungssegments (zu diesem gehören des
als hinten.
weiteren die Gelenke und sämtliche zuzuord-
nende Weichteile zweier benachbarter Wirbel
Zum anderen tragen die Disci intervertebrales
einschließlich der Muskeln) hat wesentlich zum
passiv zur Mobilität der Wirbelsäule bei. funktionellen Verständnis der Wirbelsäule und
Der Discus intervertebralis besteht pathologischen Erscheinungen beigetragen.

• aus einem äußeren Faserring, Anulus fibrosus


• und einem zentralen Gallertkern, Nucleus pulpo-
sus (Abb. 8.11).
8.2.2 Bänder
Anulus fibrosus. Er ist fest und besteht aus 10 Ligamentum longitudinale anterius und poste-
bisl 5 konzentrisch angeordneten Lagen kollagener rius. Die durch die Zwischenwirbelscheiben gege-
Faserbündel (Kollagen Typ I und II). In geringer bene Festigkeit der Wirbelsäule wird durch Bänder
Menge (10 %) kommen elastische Fasern vor. Die erhöht, die ventral und dorsal über Wirbelkörper
Faserrichtung zweier aufeinanderfolgender Lamel- und Zwischenwirbelscheiben hinwegziehen (Abb.

{ Lig. interspinale
Corpus vertebrae

HS ΧΚίβί ».'KWSkiie'i Processus spinosus


Nucleus pulposus V&Z- — γΙ Ii ν * *'*·"»νν.····«?·4· Lig. supraspinale
Anulus fibrosus ·,, , - •
ipi s ifi
" - r r - — —
ÖfelS^
Liq. flavum
Lig. longitudinale anterius
Lig. longitudinale posterius — — Jiji, Jj* TT Foramen intervertebrals
i t. •^^•Ävi-I h

Abb. 8.11: Medianschnitt durch die Lendenwirbelsäule. Wirbelkörper, Dornfortsätze


und Bandapparat
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8.2 Bänder und Gelenke der Wirbelsäule 639

8.11). Das breitere, anteriore Band ist hauptsäch- Ligamentum supraspinale nach kranial bis an das
lich an den Wirbelkörpern, das schmalere poste- Hinterhaupt fortsetzt. Es besitzt noch elastische
riore an den Zwischenwirbelscheiben verankert. Bauelemente, was auf die Tragfunktion bei Vier-
Der von den Zwischenwirbelscheiben ausgehende füßlern hinweist. Beim Menschen ist es ein Mus-
Druck spannt beide Bänder, die somit ihrerseits zur kelseptum (Septum nuchae).
Aufrechterhaltung der Eigenform der Wirbelsäule
beitragen. Klinik: 1. Degenerativ bedingte Schwächung
des äußeren Faserrings einer Zwischenwirbel-
Ligamenta flava. Die gelben, vorwiegend aus
scheibe und belastungsbedingte, starke Druck-
elastischen Fasern bestehenden Bänder verknüpfen
erhöhung können zur Verlagerung von Nukleu-
die Bögen benachbarter Wirbel. Schon in der Ruhe-
santeilen führen (Abb. 8.13). Zu unterscheiden
oder Eigenform der Wirbelsäule sind sie gespannt.
ist beim vom Laien als Bandscheibenvorfall
Ihre weitere Dehnung bei Ventralflexion lässt sie
bezeichneten Krankheitsbild, ob (meistens nach
Energie speichern, die bei der Rückführung in die
dorso- lateral) weggedrängte Nukleusanteile den
Ausgangslage eingesetzt wird. Sie unterstützen
Faserring und das Lig. longitudinale posterius
passiv die Rückenmuskulatur.
durchbrechen (Nukleusprolaps mit Sequesterbil-
Ligamenta intertransversaria. Es handelt dung) oder diese buckelig vorwölben (Nukleus-
sich um rundliche Bänder (Abb. 8.12) zwischen protrusion). Erfolgt die Raumforderung nach
benachbarten Querfortsätzen. An der HWS können laterodorsal, kann durch Kompression des
sie fehlen. Ganglion spinale im Foramen intervertebrale
eine entsprechende neurologische Symptomatik
Processus articulares ausgelöst werden (s. Kap. 5.2.7.3, S. 425). 2. Bei
superiores
der Scheuermann-Erkrankung brechen Teile des
Processus transversus Gallertkerns kranial oder kaudal in den Wirbel-
Ligg. costotransversaria
körper ein, die im Röntgenbild als „Schmorl-
superiora Knoten" mit Knochenmetastasen verwechselt
werden können.
Lig. flavum

Lig. interspinale
/
Lig. supraspinale''

Lig. costotransversarium Canalis


laterale vertebralis

Lig. intertransversarium

Proc. spinosus

L4
Abb. 8.12: Bänder der Brustwirbelsäule von dorsal und Protrusion der
rechts Bandscheibe
Lig. longitudinale
Ligamenta interspinalia. Sie verbinden benach- posterius
barte Dornfortsätze. Ihr schräger, nach hinten-
L5
oben gerichteter Verlauf sichert den jeweiligen
kranialen Wirbel gegen eine Dorsalverschiebung
(Abb. 8.11).
Ligamentum supraspinale. Es ist an den Spitzen
der Dornfortsätze verankert und erstreckt sich vom
7. Halswirbel bis zum Kreuzbein (Abb. 8.11). Abb. 8.13: Magnetresonanztonnogramm der lumbosa-
kralen Wirbelsäule eines Erwachsenen mit Protrusion
Ligamentum nuchae. Das sog. Nackenband (Abb. der Bandscheiben zwischen L3 und L4 sowie zwi-
8.19) ist ein dünne Bindegewebsplatte, die in der schen L4 und L5. Abgehobenes, aber intaktes Lig. lon-
Mittellinie die Ligamenta interspinalia und das gitudinale posterius (Prof. Dr. N. Hosten, Greifswald)

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640 8 Rücken, Dorsum

8.2.3 Zwischenwirbelgelenke, Wirbel- 8.2.4 Kopfgelenke


bogengelenke,
Articulationes zygapophysiales Die beiden Kopfgelenke bestimmen Morphologie
und Funktion der oberen HWS.
Die Gelenkfortsätze benachbarter Wirbel bilden
Oberes Kopfgelenk, Articulatio atlantooccipitalis
diese Gelenke. Die Orientierung des Gelenkspal-
(Abb. 8.15-17.). In ihm artikulieren die beiden
tes sowie die Gelenkkapsel bestimmen Art und
Hinterhauptskondylen, Condyli occipitales, mit
Ausmaß der Bewegungen in den Gelenken der
den konkaven, oberen Gelenkflächen des Atlas.
einzelnen Wirbelsäulenabschnitte.
Die beiden Teilgelenke, jeweils von einer schlaffen
An der HWS sind die Gelenkflächen plan, zwi- Kapsel umgeben, bilden zusammen funktionell ein
schen 30-50 Grad gegen die Horizontale von Eigelenk, Articulatio ellipsoidea (Kap. 2.2.2.2.2,
vorn- oben nach hinten-unten geneigt und von S. 35). Bänder, die sich zwischen der Umrandung
einer schlaffen Kapsel eingehüllt. Vor- und Rück- des Hinterhauptsloches sowie vorderem und hin-
wärtsbeugen, Seiteneigung und Drehung sind gut terem Atlasbogen als Membrana atlantooccipitalis
möglich, so dass die HWS der beweglichste Teil anterior und posterior (Abb. 8.14) ausspannen,
der Wirbelsäule ist. Im Bereich der BWS stehen sichern das Gelenk. Die vordere Membran stellt
die Artikulationsflächen mehr frontal, die Kapseln die kraniale Fortsetzung des vorderen Längsbandes
sind straffer. Drehung und Seiteneigung sind gut, dar und liegt vor dem Lig. apicis dentis. Sie wird
Vor- und Rückbeugung nur wenig ausfuhrbar. Die aus oberflächlichen und tiefen Fasern gebildet und
Gelenkflächen der Wirbelbogengelenke der LWS bremst die Reklination im oberen Kopfgelenk. Die
sind nahezu sagittal eingestellt, so dass praktisch Membrana atlantooccipitalis posterior entspricht
keine Rotation und Seitenneigung, wohl aber Vor- dem Lig. flavum und wird von der A. vertebralis
und Rückbeugung möglich sind. Die vorderen, nebst Begleitvenen und dem N. suboccipitalis
kleineren Gelenkflächenanteile (Abb. 8.7) zeigen durchbrochen.
frontale Ausrichtung; sie sind somit in der Lage,
sagittale Schubkräfte aufzunehmen. Hauptbewegung im oberen Kopfgelenk ist das
Nicken um eine quere Achse, gelegen hinter dem

abducens

N. facialis, N. intermedius, N. vestibulocochlearis

Sinus sphenoidalis ~t~d§

Osoccipitale ~ ~
« N. glossopharyngeus, N. vagus, Ν. accessorius

N. hypoglossus
Membrana atlantooccipitalis '
anterior """ A
• Α. vertebralis, Ν. cervicaüs I
Lig. apicis dentis — __ Jf|
Membrana atlantooccipitalis
Lig. cruciforme .^ . C A ^ ·_ j g
posterior
,.,„ Jjg'Mmm
Atlas Lig. denticulatum
f <1
Articulatio atlantoaxialis mediana N. cervicaüs II

Membrana tectona
Lig. transversum atlantis

N. cervicaüs III

Lig. longitudinale anterius _ M p B ü Lig. denticulatum

rau a Ν. cervicaüs IV
Lig longitudinale posterius
I M f e '
HP — =» Dura mater spinalis

Abb. 8.14: Medianschnitt durch das Hinterhauptsbein und die obere Halswirbelsäule von links
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8.2 Bänder und Gelenke der Wirbelsäule 641

Tuberculum antsrius atlantis


äußeren Gehörgang. Um insgesamt etwa 9-15 Grad
\
kann der Kopf nach vorne und hinten (Inklination \ vorderes Gelenk Articulatio atlanto-
\ /
und Reklination) bewegt werden. Darüber hinaus \ / hinteres Gelenk axialis mediana
Dens axis
ist eine geringe Seiteneigung von je 4 Grad um eine
sagittate Achse und eine Rotation von insgesamt lig. transversum atlantis

4 Grad möglich. Isolierte Bewegungen im oberen


Kopfgelenk werden normalerweise nicht ausge-
führt, sondern zusammen mit solchen der gesamten
HWS.

Klinik: 1. Die genaue Erfassung der isolierten


atlantookzipitalen Bewegungen ist schwierig,
aber ζ. B. bei Verdacht auf Luxationstendenz
von C1 erforderlich. 2. Subokzipitalpunktion.
Abb. 8.15: Atlas und Axis von kranial, Teilgelenke und
Für die Gewinnung von Liquor cerebrospi-
Ligamentum transversum atlantis
nalis wird eine Kanüle zwischen Hinterhaupt
und hinterem Atlasbogen mittig eingestochen,
wobei die Membrana atlantooccipitalis posterior
sichert die Lage des Dens und limitiert die Bewe-
einen Widerstand spüren lässt (Abb. 8.14). Die
gungsausschläge. Die Ligg. alaria, vom Zahn zum
Punktion muss in der Mittellinie durchgeführt
seitlichen Rahmen des Hinterhauptsloches anstei-
werden, da sonst die A. vertebralis gefährdet
gend (Abb. 8.16, 17), hemmen zu starke Drehung
ist (s. Kap. 5.3.4.1, S. 443, Kap. 10.7.2.1.2,
und Seiteneigung. Das Lig. transversum atlantis
S. 881).
(Abb. 8.14, 15) wird durch einen oberen und unte-
ren Schenkel zum Lig. cruciforme ergänzt (Abb.
Unteres Kopfgelenk. Articulatio atlantoaxial is. Es
8.16, 17) und sichert zusammen mit der kräftigen
besteht aus 4 Teilgelenken: Der Dens axis artiku-
Membrana tectoria (Abb. 8.14, 16, 17) die Lage des
liert vorn mit der Fovea dentis, hinten mit dem Lig.
Zahnes. Das dünne Lig. apicis dentis (Abb. 8.17)
transversum atlantis (Abb. 8.14, 15). Hinzu kommt
hat keine mechanische Bedeutung.
die paarige Articulatio atlantoaxialis lateralis. Die
recht weiten Gelenkkapseln erlauben ausgiebige Neben der dominierenden Drehung im unteren
Bewegung, vor allem die Drehung von Kopf und Kopfgelenk ist, besonders bei Kindern und Jugend-
Atlas um den Dens axis (bis 40 Grad zu jeder lichen, eine Inklination und Reklination möglich.
Seite). Der Dens axis ist das mechanische Zentrum So kann der vordere Atlasbogen bei der Reklina-
des unteren Kopfgelenkes, durch ihn verläuft die tion bis zur Spitze des Dens axis hochgleiten.
Drehachse. Ein starker, komplexer Bandapparat

Membrana tectoria

Abb. 8.16: Bänder zwischen Os occipitale, Atlas und Axis von dorsal
durch Eröffnung des Wirbelkanals freigelegt. Rückenmark mit Hüllen
und Membrana tectoria sind entfernt

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642 8 Rücken, Dorsum

Membrana tectoria (abgeschnitten)


/ Klinik: 1. Zervikogener Kopfschmerz. Das
Lig.apicisdentis j ί Μ , / ü
9 cruciforme(obererSchenkel
vordere Densgelenk ist mechanisch stark bean-
\ . '.., / / abgeschnitten) sprucht. Im Alter ist es wesentlich häufiger als
angenommen arthrotisch verändert und kann
Schmerzen verursachen. 2. Bei einer Fraktur
Lig. alare
des Dens luxiert dieser gewöhnlich nicht, da
* - Atlas
er durch die Bänder (Lig. transversum, Ligg.
alaria) gehalten wird. Deren Riss ist äußerst
selten.

Abb. 8.17: Bänder zwischen Os occipitale, Atlas und


Axis. Lig. cruciforme teilweise entfernt

8.3 Wirbelsäule als Ganzes

Lernziele: Eigenform der Wirbelsäule, Alte- Wirbel und der Zwischenwirbelscheiben sowie
rungsprozesse, Lordose, Kyphose, Skoliose durch die Eigenspannung der Wirbelsäulenbän-
der aufrecht erhalten. Die mit Bändern isolierte
Die Ausprägung der Lordosen und Kyphosen ist Wirbelsäule behält ihre natürlichen Krümmungen
eng an die motorische Entwicklung des Menschen (Eigenform der Wirbelsäule).
geknüpft.
Alterungsprozesse führen zu Formveränderungen
Neugeborenes. Die Krümmungen sind nur ange- der Wirbelsäule. So verlieren die Zwischenwirbel-
deutet. Ein erster funktioneller Reiz für die Aus- scheiben an Höhe, die gesamte präsakrale Wirbel-
bildung der Halslordose ist beim Säugling das säule wird kürzer. Nachlassen der Bänderspannung
Anheben des Kopfes in Bauchlage. und des Muskeltonus verstärkt die Krümmungen
(Alterskyphose).
Kleinkind. Beim Sitzen lordosiert die HWS, wäh-
rend BWS und LWS erst durch das Stehen und
Klinik: 1. Die HWS ist besonders mobil, so
Gehen formenden mechanischen Reizen ausgesetzt
dass der Kopf ausgiebig beweglich wird. Das
werden (das Hüftgelenk wird gestreckt).
Blickfeld ist groß. Die HWS ist leicht verletzlich
Jugendlicher. Die Konsolidierung der normalen (sog. Schleuder- oder Beschleunigungstrauma)
Wirbelsäulenkrümmungen ist erst beim pubertären und unterliegt häufig (berufsspezifischen) Ver-
Jugendlichen erreicht. schleißprozessen. 2. Die LWS ist einerseits
mechanisch stark druckbelastet; andererseits
Erwachsener. Die Wirbelsäule zeigt in sagittaler
wirken auf sie, bedingt durch die ihr durch die
Ebene typische Krümmungen (Abb. 8.2). HWS
Bipedie „aufgezwungene" starke Lordosierung,
und LWS sind nach vorn konvex (Lordose), BWS
beachtliche Schwerkräfte, die insbesondere die
und SWS nach hinten konvex {Kyphose). Durch
Gelenkfortsätze und die Zwischenwirbelschei-
die Doppel- S- Form bekommt die Wirbelsäule
ben belasten. Es kann (häufig L4 oder L5) zum
elastische Eigenschaften. Sie federt Stöße beim
Wirbelgleiten (Spondylolisthese) kommen.
Gehen, Laufen, Springen ab. Insbesonders die Len-
denlordose lässt das Schwerpunktslot des Körpers
Krümmungen. Eine geringgradige Krümmung der
nahe an die Wirbelsäule herantreten, eine wichtige
Wirbelsäule in der Frontalen (Brust- und Lenden-
Voraussetzung für die aufrechte Haltung und Fort-
wirbelsäule) ist normal. Sie etabliert sich im frü-
bewegungsweise des Menschen.
heren Schulalter und kann im Zusammenhang mit
Beim Erwachsenen werden die Krümmungen der kleinen Beinlängendifferenzen gesehen werden.
Wirbelsäule noch zusätzlich durch die Form der Allerdings entwickelt sich gehäuft während der
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8.4 Bewegungen der Wirbelsäule 643

Adoleszenz auch die Skoliose, worauf geachtet mung und Rotationsfehlstellung. Es wird zwischen
werden muss. Haltungsschwächen und Fehlbelas- funktionellen und statischen Skoliosen unterschie-
tungen bei Jugendlichen müssen deshalb erkannt den. So fuhrt eine Beinlängendifferenz von mehr
und behandelt werden (sog. Rückenschule). Der als 2 cm zu einer funktionellen Skoliose, die durch
Begriff Skoliose beschreibt immer das pathologi- Schuherhöhung ausgeglichen werden kann. Eine
sche Bild einer Wirbelsäule mit seitlicher Verkrüm- halbseitige Anlage eines Wirbels (Keilwirbel) bei-
spielsweise fuhrt zur statischen Skoliose.

8.4 Bewegungen der Wirbelsäule

xion, Inklination und Reklination) erfolgen haupt-


Lernziele: Beugung, Seitneigung, Drehung der
sächlich in der HWS und LWS, wobei im lumbalen
Wirbelsäule, Bewegungsumfang
Abschnitt die ventrale Flexion deutlich geringer
als die dorsale ist. Bei der Vorbeugung werden die
Die Wirbelsäule hat statische und dynami- lordotischen Krümmungen aufgehoben, bei Rück-
sche Funktionen. Ihre Aufgabe als tragendes beugung verstärkt. Im Brustgebiet ist die Beugung
und stabilisierendes Achsenorgan erfüllt sie größer als die Streckung, da letztere durch die dach-
unter Einsatz ihrer Knochenelemente und ihrer ziegelartig gelagerten Dornfortsätze gehemmt wird.
Bänder. Sehr wichtig ist allerdings auch der Im unteren HWS- Bereich, zwischen 11. Brust- und
unterstützende Einsatz der Rückenmuskulatur. 2. Lendenwirbel und im lumbosakralen Übergang
Denn Muskelkräfte sind es, die im Zusammen- ist die Reklination besonders ausgiebig möglich.
spiel mit zu tragenden Körperteilgewichten ein Belastungsbedingte Verletzungen kommen in
Gleichgewicht in den Gelenken der Wirbelsäule diesen drei Bereichen besonders häufig vor.
herstellen. Darüber hinaus verspannen und stabi-
Seiteneigung (30-40 Grad) (Lateralflexion) der
lisieren Muskelzüge die sagittalen Krümmungen
Wirbelsäule findet in der HWS und in der LWS
der Wirbelsäule nach dem sog. Bogen-Sehnen-
ausgiebig statt. Die Brustwirbelsäule kann dabei
Prinzip. Häufig werden an der Wirbelsäule ein
gestreckt bleiben. Biegt sie sich mit, entsteht ein
vorderer und ein hinterer Pfeiler angesprochen.
vollständiger harmonischer Bogen. Limitiert wird
Der vordere Pfeiler wird von den Wirbelkörpern
die thorakale Seiteneigung durch die gleichseitigen
und den Zwischenwirbelscheiben gebildet.
Rippen, die zusammengedrängt werden.
Während dieser vornehmlich statische Funktion
hat, kommt dem hinteren Pfeiler, aufgebaut von Drehung (90 Grad) (Längsrotation) der Wirbel-
den Gelenkfortsätzen, dynamische Funktion zu. säule um eine longitudinale Achse ist im Halsgebiet
am ausgiebigsten, nimmt nach kaudal allmählich
Jede Bewegung zwischen 2 benachbarten Wirbeln ab und ist in der LWS wegen der sagittal gestellten
(mit Ausnahme von C1 und C2) ist gering. Die Gelenkflächen minimal. Im Stand wird bei stärke-
Summe der Teilbewegungen der aus 24 Gliedern rer Rumpfdrehung das Becken mit genommen.
bestehenden Kette aber ist groß. Die folgenden
Bewegungsumfang der Wirbelsäule. Er ist von
Hauptbewegungen der Wirbelsäule können frei
Mensch zu Mensch verschieden und vom Alter,
miteinander kombiniert werden, was die Vielge-
vom Geschlecht, vom Konstitutionstyp sowie
staltigkeit der mobilen Wirbelsäule verständlich
von den Lebensgewohnheiten (Beruf) abhängig.
macht.
Sportliche Aktivität fuhrt nicht unbedingt zu einer
Vor- und Rückbeugung (110 bzw. 30-35 Grad) Steigerung der Wirbelsäulenbeweglichkeit.
{Beugung und Streckung, Ventral- und Dorsalfle-

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644 8 Rücken, Dorsum

8.5 Rückenmuskulatur

Lernziele: Muskelsysteme, Ursprang, Ansatz, 8.5.1 Schultergürtel-


Verlauf der Muskeln, Gefäß- und Nervenver- und Schultermuskeln
sorgung
1. M. trapezius (Abb. 8.18, linke Seite). 3 Anteile
nach der Faserrichtung:
Herkunft. Die in der Nacken-Rückenregion (ζ. T.
in mehreren Schichten) gelegenen Muskeln haben • Pars descendens (absteigende Fasern vom
unterschiedliche entwicklungsgeschichtliche Her- Ursprung zum Ansatz).
kunft und verschiedene Funktion. Der Ursprung
0 . : Hinterhaupt bis Dornfortsatz des 6. Hals-
eines Muskels lässt sich immer eindeutig von seiner
wirbels, Lig. nuchae
Innervation her ableiten.
1.: Laterales Drittel der Clavicula
Der Aufzweigung eines Spinalnerven in einen F.: Zur Mittellinie hin gerichtetes Anheben des
Ramus ventralis und einen Ramus dorsalis sind Schultergürtels.
entsprechende ventrale und dorsale Myotom-
• Pars transversa (starker Mittelteil)
abschnitte (Kap. 3.5.1.5, S.147) zugeordnet. Die
aus diesen Myotomanteilen hervorgehende dorsale O.: Sehnenspiegel 7. Halswirbel- bis 3. Brust-
(iepaxonische) Muskulatur lässt sich bei ursprüng- wirbeldornfortsatz
licheren Wirbeltieren, ζ. B. beim Fisch, noch deut- /.: Acromion
lich von der ventralen (hypaxonischen) Muskulatur F.: Schulterblatt wird zur Mittellinie gezogen.
abgrenzen.
• Pars ascendens
Die beiden Extremitätenpaare als Anhangsgebilde
0.: 4. bis 11. (12.) Brustwirbeldornfortsatz
der ventralen Körperregion erfahren eine Muskel-
1.: Sehnig an der Spina scapulae
ausstattung ventraler (hypaxonischer) Herkunft.
F.: Ziehen der Scapula nach kaudal- medial
Die obere Extremität des Menschen, durch seine
bipede Fortbewegungsweise von der Aufgabe des Der Muskel insgesamt zieht das Schulterblatt nach
Körperlasttragens befreit, wird zum frei und aus- medial. Oberer und unterer Muskelteil drehen die
giebig beweglichen Greif- und Handlungsorgan. Scapula so, dass die Schultergelenkspfanne nach
Muskeln des Schultergürtels und der Schulter/des oben- außen gerichtet ist: Voraussetzung für die
Schultergelenks (ventrale Herkunft) breiten sich hohe Armerhebung (Elevation über 90 Grad). Bei
auf der dorsalen und ventralen Seite des Rumpfes feststehendem Schultergürtel wird der Kopf nach
aus und überdecken die ursprüngliche Muskulatur dorsal gebracht (beidseitige Kontraktion), einsei-
teilweise. tige Kontraktion bewirkt Drehung zur Gegenseite.

Unterscheidung. Am Rücken gilt es, eingewan- L. (alle Teile): Ramus externus des N. accessorius
derte, durch ventrale Spinalnervenäste innervierte, und Äste aus C2-C4 (Plexus cervicalis). Können
sog. zonale Muskeln und ortsständige, autochthone getrennt in den Muskel eintreten oder sich vorher
(durch dorsale Spinalnervenäste versorgte) Mus- vereinigen (Plexus accessoriocervicalis). Die Pars
kulatur zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ascendens wird nur durch den N. accessorius, die
berücksichtigt genetische (differente Innervation) Pars transversa durch die Halsnerven und die Pars
und funktionelle Merkmale. Die eingewanderten descendens von beiden versorgt. A. transversa
Muskeln liegen oberflächlich. colli, A. cervicalis superficialis und entsprechende
Venen.
Wir unterteilen
Varianten. Die Pars ascendens reicht mit Ursprung
• Schultergürtel- und Schultermuskeln
(meist rechts) einen Wirbeldorn tiefer. Teilweises
• Spinokostale Muskeln
Zusammenfließen mit M. sternocleidomastoideus
(ein Blastem, gleiche Innervation).

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8.5 Rückenmuskulatur 645

jj· . y •-•'Λ -'·'.


i ·:#;· M. semispinaiis capitis
Ν. occipitalis major— __ __
(R. cutaneus posterior Oil)
Μ splenius capitis

Ligamentum (Septum) nuchae — _ _ _


ζ M. sternocleidomastoideus
/
Ν. occipitalis m i n o r — — / , M. levator scapulae
(Plexus cervicalis) / /
/ t M. supraspinatus
/ /
/ / ^ t r a p e z i u s (Schnittrand)
/ 1
i t
/ / , Fascia m. intraspinal
{ / / /
/ M. deltoideus

M. serratus posterior inferior

M. obliquus extemus abdominis

M. latissimus dorsi

N. itiohypogastricus — __ ___

Nn. clumum superiores-


Trigonum lumbale

Fascia thoracolumbalis
ν

Μ gluteus medius

• — M. gluteus maximus

Abb. 8.18: Oberflächliche Rückenmuskulatur. Links: Rr. dorsales der Spinalnerven. Rechts: Μ. trapezius,
Μ. latissimus dorsi gefenstert

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646 8 Rücken, Dorsum

/.: Angulus superior scapulae, angrenzender


Klinik: Lähmung des Muskels infolge Läsion
Margo medialis scapulae
des relativ oberflächlich laufenden N. accesso-
L.: N. dorsalis scapulae (C3-5), direkte Äste aus
rius im Bereich des lateralen Halsdreiecks bei
Rr. profundus und superficialis der A.
operativen Eingriffen. Scapula steht tiefer und
transversa colli, entsprechende Venen
(medial) ab, Scapula alata. Schulter-Halskon-
F.: Zieht den oberen Schulterblattwinkel nach oben
tur wird eckig (Atrophie der Pars descendens),
vorn und medial; hilft bei Drehung der Scapula
hohe Armerhebung ist nicht mehr möglich.
Einseitiger Ausfall = Muskelungleichgewicht, 4. Μ. rhomboideus (Abb. 8.18, rechts)
Skoliosegefahr.
0 . : Procc. spinosi der unteren 2 Hals- und 4 oberen
Brustwirbel; Muskel besteht meist aus zwei
2. M. latissimus dorsi (Abb. 8.18)
Anteilen: M. rhomboideus minor (kleinere kra-
0 . : Mit breiter Sehne, Fascia (Aponeurosis) thora- niale Portion) und major
columbalis von den Dornfortsätzen der unteren /.: Margo medialis scapulae
6 Brustwirbel, sämtlicher 5 Lendenwirbel, der L.: N. dorsalis scapulae, R. profundus der A. trans-
Facies dorsalis des Os sacrum, dem Labium versa colli, entsprechende Venen
externum der Crista iliaca und den 3^1 unteren F.: Bringt die Scapula nach medial-kranial; dreht
Rippen. Ein weiterer Ursprung an der Spitze die Scapula.
des Angulus inferior der Scapula ist nicht kon-
stant.
1.: konvergierend an der Crista tuberculi minoris 8.5.2 Spinokostale Muskeln
des Humerus
Sie werden wie die Schultergürtel- und Schulter-
L.: N. thoracodorsalis (C6-8), A. und V. thoraco-
muskeln von ventralen Spinalnervenästen versorgt;
dorsalis, bilden mit dem Nerven ein Bündel,
sie haben ihren Ursprung an den Dornfortsätzen
unterhalb der Achselhöhle in den Muskel ein-
und ihren Ansatz an den Rippen.
tretend.
F.: Adduktion und Innenrotation im Schulterge- 1. IM. serratus posterior superior (Abb. 8.19),
lenk. Bei festgestelltem Schultergelenk Anhe- bildet unter den Mm. trapezius und rhomboideus
ber des Rumpfes (Hang an der Reckstange). eine dritte Muskelschicht.
Rippenursprung kann Inspiration unterstützen.
O.: Dornfortsätze der 2 unteren Halswirbel und
Varianten. Untere Fasern des Muskels können 2 oberen Brustwirbel
über die Gefäße und Nerven der Achselhöhle zum /.: Mit 4 Zacken an der 2.-5. Rippe
Rand des M. pectoralis major oder an den langen L.: Ventrale Spinalnervenäste C6-C8; Äste der
Kopf des M. triceps brachii ziehen (muskulärer obersten Interkostalnerven, R. superficialis der
Achselbogen) und dabei die Leitungsbahnen kom- A. transversa colli, entsprechende Venen
primieren.
2. M. serratus posterior inferior (Abb. 8.18)
Klinik: 1. Muskelfunktion wird durch den sog. O.: Fascia thoracolumbalis in Höhe der 2 unteren
Schürzengriff geprüft: Treffen der Hände auf Brust- und 2 oberen Lendenwirbeldornfort-
dem Rücken. Der Muskel ist für den Quer- sätze.
schnittsgelähmten wichtig: mit ihm kann er sich /.: Mit 4 Zacken an den 4 untersten Rippen
aus dem Rollstuhl heben. 2. Für den plastischen L.: Ventrale Spinalnervenäste LI und L2, Äste aus
Chirurgen ist der Muskel das „Arbeitspferd": 11.-12. Interkostalnerven, Rr. spinales der Aa.
Bei vielen Rekonstruktionen wird er gestielt oder lumbales, entsprechende Venen
frei verpflanzt (ζ. B. Mammarekonstruktion). F: Beide Muskeln leisten einen (relativ geringen)
Beitrag zur Inspiration: der obere zieht die
3. M. levator scapulae (Abb. 8.18-20). Rippen direkt nach oben; der untere wirkt einer
Verengung der unteren Thoraxapertur durch
Ο.: Tubercula posteriora der Querfortsätze der
das sich kontrahierende Zwerchfell entgegen
oberen 4 Halswirbel
und unterstützt somit indirekt die Einatmung.

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8.5 Rückenmuskulatur 647

Μ. semispinalis capitis

Μ. sternocteidomastoideus
M. splenius capitis

Μ. splenius capitis
Lig. (Septum) nuchae

M. levator scapulae

/ Μ . scalenus medius et posterior


/
/
Μ. supraspinatus

Μ. trapezius (Schnittrand)

Μ. serratus anterior

Fascia infraspinata

Margo medialis scapulae


Μ serratus posterior
superior M. deltoideus

Μ. iliocostalis —

Μ. longissimus j
Angulus inferior
scapulae

Μ mtercostalis
externus

Abb. 8.19: Spinokostale Muskeln und Muskeln der autochthonen Rückenmuskulatur. Der Schultergürtel ist
nach lateral gezogen

Varianten. In ihrer Ausbildimg sind die beiden


Muskeln, die ursprünglich eine Muskelplatte dar-
stellen, sehr variabel. Der obere kann zu einer Seh-
nenplatte reduziert sein, bei beiden kann die Zahl
der Zacken größer oder kleiner als 4 sein.

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648 8 Rücken, Dorsum

8.6 Autochthone Rückenmuskeln

Lernziele: Muskelsysteme, Ursprung, Ansatz 2. Medialer Trakt


der Muskeln, Gefäß- und Nervenversorgung,
• Spinales System
funktionelle Aspekte
• Transversospinales System
Die ursprüngliche, primäre oder autochthone 3. Nackenmuskeln (tiefe Nackenmuskulatur)
Rückenmuskulatur wird von dorsalen Spinal-
nervenästen versorgt. Sie hat eine unmittelbare • Spinales System
• Intertransversales System
Funktionsbeziehung zur Wirbelsäule. Von daher
• Spinotransversales System
wird auch die (eher globale) Sammelbezeichnung
M. erector Spinae verständlich. Die autochthone
Rückenmuskulatur erstreckt sich in Form eines 1. Lateraler Trakt
paarigen, vom Hinterhaupt bis zum Os sacrum
Sakrospinales System - M. sacrospinalis
reichenden Muskelwulstes rechts und links der
Mittellinie. Jeder Muskelwulst setzt sich aus einer • M. iliocostalis (Hals-, Brust-, Lendenteil, M. ilio-
Vielzahl von einzelnen Muskeln zusammen, die costalis cervicis (colli), M. iliocostalis lumbo-
- unmittelbar an der Wirbelsäule gelegen - noch rum mit Pars thoracica und Pars lumborum)
kurz und ursprünglich sind und nur von einem zum
nächsten Wirbel ziehen. Oberflächlich und mehr 0 . : Darmbeinkamm, Os sacrum, 12.-3. Rippe
seitlich gelegene längere Muskelzüge sind aus der 1.: Alle Rippen, Tuberculum posterius Querfort-
Verschmelzung vieler kleiner Muskelelemente her- satz 6.-3. Halswirbel
vorgegangen. Die beiden Muskelwülste werden in F: Einseitige Kontraktion: Seiteneigung; beidsei-
einer osteofibrösen Loge geführt, die zum einen von tige Kontraktion: Streckung der WS
den Dorn- und Querfortsätzen (HWS), zusätzlich • M. longissimus (Kopf-, Hals-, Brustteil, M. lon-
den Rippen (BWS) oder Rippenfortsätzen (LWS) gissimus capitis, M. longissimus cervicis (colli),
gebildet wird. Zum anderen treten Faszienhüllen M. longissimus thoracis, Pars lumbalis)
hinzu (s. Kap. 8.7, S. 652, und Abb. 8.23).
0 . : Os sacrum, Procc. costales obere Lendenwirbel,
Eine Systematisierung der primären Rückenmus- Querfortsätze Brustwirbel, untere und mittlere
kulatur sollte nach folgenden Gesichtspunkten Halswirbel
erfolgen: 1.: Procc. costales und accessorii der Lendenwir-
bel; Rippen und Querfortsätze der Brustwirbel,
• Innervation der einzelnen Muskeln: Die Rami
Querfortsätze mittlere und obere Halswirbel,
dorsales der Spinalnerven verzweigen sich in
Proc. mastoideus
einen lateralen und einen medialen Ast für
F: Einseitige Kontraktion: Seiteneigung; beidsei-
die Muskulatur: Lateraler und Medialer Trakt.
tige Kontraktion: Streckung. Zusammen mit
Gefäßversorgung aus der Aa. intercostales pos-
dem M. iliocostalis bildet er für die Lenden-
teriores und lumbales sowie den entsprechenden
lordose die Sehne der sog. Bogen-Sehnenkon-
Venen
struktion.
• Funktion der einzelnen Muskeln: Gerader oder
schräger Verlauf (System) zur Wirbelsäule Spinotransversales System
- Streckung oder Drehung. Unmittelbare Lage
• M. splenius (Kopf- und Halsteil)
an der Wirbelsäule oder seitlich verlagert - Stre-
ckung, Drehung - Seiteneigung. O.: Dornfortsätze 3. Hals- bis 6. Brustwirbel
Demnach unterscheiden wir (Abb. 8.19 bis 22) /.: Querfortsätze der 3 oberen Halswirbel; laterale
Linea nuchae superior, Proc. mastoideus
1. Lateraler Trakt
F.: Einseitige Kontraktion: Drehung von Kopf und
• Sakrospinales System HWS zur gleichen Seite; beidseitige Kontrak-
• Spinotransversales System tion: Dorsalflexion von Kopf und Hals
• Intertransversales System
• Mm. levatores costarum
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8.6 A u t o c h t h o n e R ü c k e n m u s k e l n 649

Μ. rectus capitis posterior minor


Μ. semispinalis capitis

M. rectus capitis posterior major

Μ. longissimus capitis
M. obliquus capitis superior

Atlas Lig. fSeptum] nuchae

M. obliquus capitis inferior

Μ. semispinalis capitis
M. multifidus

Μ. (ongisssimus cervicis

Μ intercostaiis externus

—— Μ iliocostalis thoracis

Μ. spinalis

Μ. longissimus thoracis

M. levator costae brevis

Mm. levatores costarum longi

M. multifidus

M. obiiquus abdominis externus


Μ iliocostalis lumborum
oberflächliches Blatt.
Schnittkante
Fascia
thoracolumbalis
tiefes Blatt M. longissimus

M. intertransversarius
M. gluteus medius

M. gluteus maximus

Abb. 8.20: A u t o c h t h o n e Rückenmuskulatur. Rechts: L o n g i t u d i n a l s y s t e m (Μ. spinalis, Μ. longissimus, Μ. iliocos-


talis) u n d Μ. semispinalis capitis. Links: M. multifidus, Mm. levatores c o s t a r u m , kurze tiefe N a c k e n m u s k e l n
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650 8 Rücken, Dorsum

M. rectus capitis lateralis

M. longissimus capitis M. transversooccipitalis

Mm. intertransversarii
M. longissimus cervicis

M. interspinalis
M. iliocostalis cervicis

M. levator costae brevis

M. iliocostalis thoracis

M. levator costae longus

M. longissimus dorsi —
Transversospinales System
(Schema für Semispinalis,
Multifidus und Rotatores)
M. spinalis —

M. iliocostalis lumborum —

Mm. intertransversari i

Abb. 8.21: Autochthone Rückenmuskulatur (Schema). Links: Longitudinalsystem. Rechts: Transverso-


spinalsystem und kurze Muskeln

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8.6 Autochthone Rückenmuskeln 651

Intertransversales System - F.: Einseitig: geringe Seiteneigung; beidseitig:


Mm. intertransversarii Streckung
• Mm. intertransversarii mediales lumborum • Mm. interspinales (Hals-,Brust-,Lendenbereich)
• Mm. intertransversarii thoracis
O.: und /..· Sie spannen sich zwischen benachbarten
• Mm. intertransversarii posteriores cervicis
Dornfortsätzen aus (HWS doppelt!)
O.: und I.: Verbinden benachbarte Querfortsätze in F.: wie M. spinalis
den genannten Bereichen.
Transversospinales System (Abb. 8.22)
F.: Neigen bei einseitiger Kontraktion seitwärts.
• Mm. rotatores breves et longi (Hals-, Brust-,

Processus spmosus Lendenbereich)
O.: Querfortsatz
— Lig. supraspinale /..· nächst oder übernächst höherer Dornfortsatz
F.: Einseitig: Drehung; beidseitig: Streckung
— M . rotator longus
• M. multifidus (Hals-, Brust-, Lendenbereich)
0 . : Dorsale Sakrumfläche, Querfortsätze
— M. rotator brevis
1.: Kraniale Dornfortsätze, 2 bis 5 Wirbel über-
springend
— Μ levator
costae brevis F.: wie Mm. rotatores

— M. intercostal is
• M. semispinalis (Kopf-, Hals-, Brustteil)
externus
O.: 11.-7. Brustwirbel- und 7.-3. Halswirbelquer-
Abb. 8.22: Autochthone Rückenmuskulatur, tiefe Schicht fortsätze
(Mm. rotatores) und Mm. levatores costarum breves /.: Dornfortsätze der oberen Brust- und unteren
Halswirbel; unterhalb Linea nuchae superior,
Mm. levatores costarum (Abb. 8.22) 4-6 Wirbel überspringend.
F.: Seiteneigung, Drehung, Streckung
• Mm. levatores longi
• Mm. levatores breves
3. Tiefe Nackenmuskulatur
Ο.: Querfortsätze 7. Hals- und l . - l 1. Brustwirbel
/..· Medial des Angulus costae an der Außenfläche Die autochthone Rückenmuskulatur ist besonders
der nächsten (kurze Mm.) oder übernächsten stark im Bereich der Hals- und Lendenlordose aus-
(lange Mm.) Rippe gebildet. Während die Muskeln im Lendenbereich
F.: Trotz ihrer Bezeichnung weniger Rippenhe- wesentlich für die Gleichgewichtsregulierung im
bung; mehr Seiteneigung und Drehung. Stand und beim Gehen sind, ist die Hauptfunktion
der Nackenmuskeln die Ausführung und Kontrolle
Die Muskeln weisen eine Doppelinnervation
der weiträumigen Hals- und Kopfbewegungen.
(sowohl dorsale als auch ventrale Spinalnervenäste)
auf. Ob es ursprünglich rein epaxonische oder hyp- Für die beiden Kopfgelenke sind spezifische autoch-
axonische Muskeln sind, ist nicht geklärt. thone Muskelindividuen ausgebildet, die sog.
tiefen Nackenmuskeln, Mm. suboccipitals (Abb.
8.20). Diese gehören dem spinalen, intertransver-
2. Medialer Trakt
salen und dem spinotransversalen System an und
Spinales System werden vom ersten dorsalen Spinalnervenast, N.
• M. spinalis suboccipitalis, versorgt.
Ο.: Domfortsätze 2., 3. Lendenwirbel und 11., 12. Spinales System
Brustwirbel.
• M. rectus capitis posterior major
/..· Dornfortsätze 3.-9. Brustwirbel
Inkonstant kann im Hals- und im Hals-Kopfbe- 0 . : Dornfortsatz C2
reich ein M. spinalis ausgebildet sein. 1.: Linea nuchae inferior, lateral
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652 8 Rücken, Dorsum

F.: Einseitig: Drehung, Neigung des Kopfes zur gungsausschläge, die von den tief gelegenen,
selben Seite. Beidseitig: Streckung kleinen Muskeln hervorgerufen werden, sind
gering, addieren sich aber über einen größeren
• M. rectus capitis posterior minor
Wirbelsäulenabschnitt. Die Muskulatur streckt
0 . : Tuberculum posterius C1 und dreht nicht nur die Wirbelsäule, sondern
1.: Linea nuchae inferior, medial startet auch eine Seiteneigung durch ipsilaterale
F.: Einseitig: Neigung; beidseitig: Streckung Kontraktion insbesondere des lateralen Traktes.
Gleichzeitig erfolgt eine Kontrolle der Seitenei-
Intertransversales System
gung durch die kontralateralen Muskeln, die erst
• M. obliquus capitis superior durch Dehnung nachgeben und sich dann zuneh-
mend kontrahieren. Dies gilt auch für die Vent-
Ο.: Proc. transversus C1 ralbeugung: Die Rückenmuskeln verhindern ein
7.: Linea nuchae inferior „auf die Nase-Fallen".
F.: Einseitig: Neigung; beidseitig: Streckung
Einige wenige der Wirbelsäule zugeordnete Mus-
Spinotransversales System keln werden von ventralen Spinalnervenästen
• M. obliquus capitis inferior versorgt: Mm. intertransversales anteriores finden
sich zwischen den Rippenrudimenten (HWS und
0 . : Dornfortsatz C2
LWS) als Reste der Zwischenrippenmuskeln. Zu
1.: Querfortsatz C1
ihnen gehört auch der M. rectus capitis lateralis
F.: Einseitig: Drehen zur gleichen Seite; beidseitig:
(Abb. 8.21).
geringe Extension im unteren Kopfgelenk, Sta-
bilisierung des Gelenks
Klinik: Eine umgrenzte Schädigung der Musku-
latur (ζ. B. bei operativem Eingriff an Rücken-
Funktionelle Gesichtspunkte mark oder Wirbelsäule) wird kompensiert.
der autochthonen Muskulatur Ein einseitiger langstreckiger Ausfall bedeutet
muskuläres Ungleichgewicht, es entwickeln
• Die tiefen Nackenmuskeln sind Feinregulato-
sich Skoliosen. Beidseitige Lähmung führt zur
ren der Kopfbewegung. Sie weisen eine hohe
Verstärkung der sagittalen Krümmungen. Der
Dichte an Muskelspindeln auf.
Patient kann nur aufrecht stehen, indem er mit
• Die ortsständige Muskulatur des Rückens
verstärkter Lendenlordose den Rumpf nach
ist gleichermaßen für die Haltung und die
dorsal verlagert, d. h. das Schwerpunktslot des
Bewegung der Wirbelsäule wichtig. Die in der
zu tragenden Körpers nach hinten bringt.
Sagittalen gelegenen Krümmungen werden
ständig unterstützt und kontrolliert. Die Bewe-

8.7 Faszien des Rückens

Fascia thoracolumbalis (Abb. 8.18, 20, 23, 24).


Lernziele: Faszienapparat, Aufbau, Funktion
Diese Faszie besteht aus einem oberflächlichen und
einem tiefen Blatt. Beide Blätter beteiligen sich an
Fascia nuchae, ein kräftiges Bindegewebsblatt,
der Bildung des osteofibrösen Führungskanals für
das unter den Mm. trapezius und rhomboideus
die beiden Wülste der ortständigen Rückenmus-
die Nackenmuskeln einhüllt. Kranial endet sie an
kulatur.
der Linea nuchae superior, in der Mittelinie ist sie
mit dem Lig. nuchae (Abb. 8.18) verbunden. Am • Das oberflächliche Blatt, Lamina superficialis,
Vorderrand des M. trapezius geht sie in die Lamina die nach kaudal sehnigen (aponeurotischen)
superficialis der Fascia colli (oberflächliche Hals- Charakter annimmt, entspringt von den lumba-
faszie) über. Nach kaudal findet sie ihre Fortsetzung len und den unteren Brustwirbeldornfortsätzen,
in der dem Kreuzbein und der Crista iliaca. In ihrem
unteren Abschnitt dient sie dem M. latissimus
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8.7 Faszien des Rückens 653

Fascia thoracolumbalis,
Processus spinosus
Processus costalis Lamina superficialis M. erector Spinae
\
I
Fascia thoracolumbalis. Lamina profunda

Μ latissimus dorsi

M. quadratus lumborum

- Fascia lumbalis

— Ren et Capsula adiposa

— M. obfiquus externus abdominis

— Μ. obliquus internus abdominis

Μ. transversus abdominis

~~""" Colon descendens

Fascia transversalis

Peritoneum

Abb. 8.23: Schematischer Querschnitt durch den Rücken in der Lendengegend. Faszien
und Muskellogen

M. erector Spinae M. erector Spinae

Fascia thoracolumbalis,
M. serratus posterior inferior
Fascia thoracolumbalis,
Schnittkante
Costa XII
Fascia thoracolumbalis,
tiefes Blatt thoracolumbalis,
M. obliquus tiefes Blatt; Schnittkante
externus abdominis Fascia renalis
Μ. obliquus
Capsula adiposa
internus abdominis
Ren

Μ. transversus abdominis M. quadratus lumborum

M. intertransversarius

Μ. gluteus medius
M. multifidus
Μ. gluteus maximus

Abb. 8.24: Tiefe Lendengegend. Fascia thoracolumbalis und die autochthone Rückenmuskulatur zum
größten Teil entfernt. Links ist das tiefe Blatt der Fascia thoracolumbalis (Lamina profunda) dargestellt,
rechts der M. quadratus lumborum (nach medial gezogen) und die Nieren mit ihren Hüllen

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654 8 Rücken, Dorsum

dorsi und dem M. serratus posterior inferior als


Klinik: Über die Fascia thoracolumbalis und die
Ursprung.
eingehüllte Muskulatur erreicht man die Niere,
• Das tiefe Blatt, Lamina profunda, ist an der 12.
wobei das tiefe Blatt eine wichtige Orientierung
Rippe, den lumbalen Rippenfortsätzen und am
darstellt (Abb. 8.24). Bei dieser Form des
Darmbeinkamm befestigt und zieht bis zum
Zugangs bleibt die Bauchhöhle geschlossen.
lateralen Rand des Muskelwulstes, wo es mit
dem oberflächlichen Blatt verschmilzt (Abb.
8.23). Hier entspringen Teile des M. transversus
abdominis und des M. obliquus internus abdo-
minis.

8.8 Gefäß- und Nervenversorgung des Rückens

2. Nerven
Lernziele: Nerven, Arterien, Venen, Anord-
nung Die motorische Innervation der autochthonen
Muskeln und die sensible (und vegetative) Haut-
1. Gefäße versorgung des Rückens übernehmen die Rami
dorsales der Spinalnerven (s. Kap. 2.6.5.1, S. 94).
Segmentale Arterien, Aa. intercostales posterio-
Ein Ramus dorsalis teilt sich in einen lateralen und
res. Sie geben einen Ramus dorsalis zum Rücken
medialen Ast, um mit diesen den lateralen und
ab, der zwischen Wirbelkörper und Lig. costo-
medialen Muskeltrakt zu versorgen und als Ramus
transversarium post, dorsalwärts verläuft, einen
cutaneus lateralis und medialis zu enden.
R. spinalis in den Wirbelkanal schickt und mit Rr.
mediales et laterales die Muskeln und Haut des I> Die Hautäste des 1.-3. Lumbalnerven versorgen
Rückens versorgt. als Nn. clunium superiores die kraniolaterale
Gesäßregion.
Venöser Rückfluss. Er erfolgt über Rami dorsales
t> Die Hautäste des 1.-3. Sakralnerven, Nn. clu-
der Vv. intercostales posteriores, V. subcostalis
nium medii, innervieren die Haut der medialen
und Vv. lumbales in die V. lumbalis ascendens, V.
Gesäßregion.
azygos, V. hemiazygos und V. hemiazygos acces-
\> Nn. clunium inferiores als ventrale Spinalner-
soria. venäste vervollständigen die Hautversorgung
der Regio glutealis.

8.9 Nackenregion, Regio nuchae

Die Topographie der Nerven- und Gefäßbahnen in • Lateral: Linie zwischen Proc. mastoideus und
der Regio nuchae (Abb. 8.25) ist komplexer als im Acromion
eigentlichen Rückenbereich. Bedingt ist dies zum • Kaudal: Linie zwischen Dornfortsatz C7 und
einen durch die generelle Vermittlerfunktion des Acromion
Halses (Nacken = dorsaler Hals) zwischen Kopf
Arterien
und Rumpf. Zum anderen weist der Kopf-Nacken-
übergang Spezialisierungen des passiven und akti- t> A. occipitalis, Ast der A. carotis externa, liegt
ven Bewegungsapparates auf (Kopfgelenke). medial der Incisura mastoidea im Sulcus a.
occipitalis, tritt seitlich in die Nackenregion und
Begrenzungen der Nackenregion
geht hier wechselnd starke Verbindungen mit der
• Kranial: Linea nuchae superior, Protuberantia A. vertebralis ein. Sie gibt Äste an die Nacken-
occipitalis externa muskulatur ab, verläuft unter dem M. splenius
capitis und auf dem M. semispinalis und erreicht
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8.9 Nackenregion, Regio nuchae 655

Venter occipitalis m. occipitofrontalis N. occipitalis major A. occipitalis Μ. trapezius Ν. occipitalis major

occipitalis

Μ. auricularis M. splenius capitis

N. occipitalis minor

Μ. auricularis
posterior M. semispinals
capitis
Ν. occipitalis
minor M. obliquus capitis
superior
Μ. semispinalis
N. suboccipitals
capitis
A. vertebralis
Arcus posterior
atlantis
s p i f — M. rectus capitis
f posterior minor
Ν auricularis magnus—
M. rectus capitis
M. splenius capitis — posterior major

N. occipitalis tertius— M. obliquus capitis


interior

occipitalis major
M. sternocleidomastoideus . multifidus
Μ trapezius occipitalis tertius

. semispinalis capitis

Rr. cutanei mediates cervical is IV

. splenius capitis

. semispinalis cervicis

cervicalis profunda

Abb. 8.25: Regio nuchae. Links oberflächliche, rechts tiefe Schicht(en) mit Muskeln, Arterien und Nerven

nach Durchtritt durch den M. trapezius das Hin- hauptsursprung des M. trapezius auf —» Nil. cervi-
terhaupt. cales profundi (s. Kap. 4.11, S. 253).
> A. vertebralis, Ast der A. subclavia, wird im
Nerven
Subokzipitaldreieck (gebildet von den Mm.
rectus capitis posterior major, obliquus capitis Ο Rr. cutanei mediales, treten paramedian durch
superior und obliquus capitis inferior) sichtbar, den M. trapezius (Pars descendens und Sehnen-
dem Arcus posterior atlantis aufliegend. spiegel des Muskels).
[> A. cervicalis profunda, Ast des Truncus costo- D> N. suboccipitalis (R. dorsalis Cl), tritt zwischen
cervicalis, verläuft zwischen den Mm. splenius Hinterhaupt und Arcus posterior in die tiefe
und semispinalis. Nackenregion ein und innerviert die Mm. capi-
tis (tiefe, kleine Nackenmuskeln). Er hat meist
Venen. Gleichnamige Venen begleiten die Arte-
keine sensiblen Anteile, beteiligt sich demnach
rien, welche mit zahlreichen Verästelungen einen
auch nicht an der Hautinnervation.
im Subokzipitaldreieck liegenden Plexus venosus
\> N. occipitalis major (R. dorsalis C2), sensib-
suboccipitalis bilden.
ler Hautast, verläuft zwischen Atlas und Axis,
Lymphknoten, Nil. occipitales (1-3), welche erscheint unter dem M. obliquus capitis inferior,
die Lymphe aus dem Hinterhauptsgebiet und der durchbohrt die Mm. semispinalis capitis und tra-
Nackenregion aufnehmen, liegen dem Hinter- pezius. Er versorgt die Haut am Hinterkopf bis
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656 8 Rücken, Dorsum

auf Scheitelhöhe. Meist geht er mit dem N. occi-


figer ihre Ursache in einer Degeneration des
pitalis minor (aus dem Plexus cervicalis) Verbin-
Knochens und des Knorpels der Kopfgelenke
dungen ein. Es besteht ein Faseraustausch (Abb.
(Osteochondrose). 2. Der Kapselbandapparat
8.25, rechts) mit dem N. suboccipitalis und dem
der Kopfgelenke wird von Ästen des N. occipi-
> N. occipitalis tertius (R. dorsalis CS). Dieser
talis major versorgt. 3. Der im Subokzipitaldrei-
kann als Hautnerv das Hinterhaupt erreichen.
eck liegende Abschnitt der A. vertebralis (Pars
Nur dann sollte er als N. occipitalis tertius
atlantica) ist relativ ungeschützt. Bei Verletzung
bezeichnet werden, andernfalls als Nn. cervica-
muss die A. vertebralis doppelt unterbunden
lis III.
werden, weil rechte und linke Arterie anasto-
motisch verbunden sind (A. basilaris, Circulus
Klinik: 1. Der N. occipitalis major kann bei arteriosus cerebri; s. Kap. 5.3, S. 433). 4. Subok-
seinem Durchtritt durch den derben aponeuro- zipitalpunktion s. Kap. 8.2.3, S. 640. 5. Die Nil.
tischen Trapeziusursprung mechanisch gereizt occipitales schwellen bei Furunkulose im Hin-
werden (Okzipitalneuralgie). Eine Schmer- terhaupt-Nackenbereich, bei schwerer Infektion
zausstrahlung in sein Versorgungsgebiet (evtl. der Rachenmandel und bei Röteln an.
auch in Trigeminusgebiete) hat allerdings häu-

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