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Gehirn, Encephalon,
und Rückenmark, Medulla spinalis
5.1.1 Allgemeine Einführung und einer Nervenzelle (s. Kap. 2.6.2, S. 92), der
Grundlagen der Neuroanatomie Zellkörper (Soma oder Perikaryon), sowie
ihre meist kürzeren Fortsätze, die Dendriten,
empfangen Signale anderer Nervenzellen über
Lernziele: Zentrales Nervensystem (ZNS),
Synapsen. Der meist längere Fortsatz, das
Peripheres Nervensystem (PNS), Entwicklungs-
Axon, welches sich in seinem Verlauf vielfaltig
vorgänge, Neuronentheorie
aufzweigt, leitet diese Informationen als elektri-
sche Erregung zu nachgeschalteten Nervenzel-
Das Zentrale Nervensystem (ZNS) erlaubt es len oder zu Effektorzellen (wie Muskel- oder
dem Organismus, über die Sinnesorgane Signale Drüsenzellen) weiter. Die Signalweiterleitung
der äußeren Umwelt aufzunehmen, zu verarbei- zwischen Axon und nachgeschalteter Zelle,
ten, zu speichern und auf diese Umweltreize Innervation, wird in der Synapse durch eine
adäquat zu reagieren. Als auffällige Besonder- Umwandlung der elektrischen Informationen in
heit erfolgt im Nervensystem (ζ. B. im Gegen- ein chemisches Signal erreicht.
satz zum endokrinen System) die Signalweiter- • Auf diese Weise bildet sich ein Netzwerk von
leitung entlang von Bahnen, die von Zellfort- Nervenzellen aus, die miteinander im Infor-
sätzen gebildet werden. Deshalb sind sämtliche mationsaustausch stehen. Netzwerke weisen
direkt am Prozess der Informationsverarbeitung typischerweise eine morphologisch spezifische
beteiligten Zellen des ZNS, die Nervenzellen neuronale Verschaltung auf und organisieren
oder Neurone, als Empfanger-Senderstrukturen sich in funktionell hierarchisch übereinander
ausgebildet (Abb. 5.1). angeordneten Einheiten.
Synapse
präsynaptisches postsynaptisches
Neuron Neuron
Erregungs-
übertragung =
afferente Neurotrans- efferente
Erregungsleitung mission Erregungsleitung
(elektrisch) (chemisch) (elektrisch) (Bouton)
Die übergeordneten Steuerzentren beider Sys- Gehirn als Leitungsbahnen, Tractus, und sind
teme liegen im ZNS. nach Herkunft und Ziel gebündelt. Die Tractus
können verschiedene Regionen im Gehirn und
Rückenmark miteinander verbinden (also aus-
schließlich im ZNS verlaufen) oder als efferente
θ
Rücken-
mark
Blutinsel
\
Haftstiel
Amnionepithel \
\ \
\
Amnionhöhle
X / Ektoderm
/
/
/
Mesoderm
Neuraiplatte /
/
y
s- Entoderm
sekundärer Dottersack
Chordaplaue Neuralleiste
(induziert darüberliegendes
Neuroektoderm)
Neuralrinne „ , ... .
t Neuraiwulste
/ /
Amnionhöhle
\
\
\ Gehirnanlage
Amnionepithel
— Ektoderm
Seitenplatten- ^ • Mesoderm
mesoderm (parietales Blatt)
Mesoderm
intermediäres - (viszerales Blatt)
IS \
Mesoderm I \
ι Dottersackepithel
Ursegment
höhle
Dottersack
Abb. 5.3: Querschnitt durch die frühe Keimscheibe (3 schematische Darstellungen). Diese Zeichnungen zeigen
die Entwicklung des Neurairohres: a) Neuraiplatte (ca. am 16. Tag), b) Neurairinne (ca. am 18. Tag) und c) Neu-
ralrohr (ca. am 25. Tag)
Mesoderm
(Ursegment) ""
nephrogener
"Strang
Amnion
~ — dorsale Aorta
/
/
parietales Blatt Coelom /
des Mesoderms /
Chorda dorsalis """ Darmanlage
"" - Dottergang
Im Gefolge kommt es zu einer starken Prolife- nals ohne funktionelle Ausfalle kommt, als auch
ration der neuroektodermalen Zellen, die sich die Spina bifida aperta vor, bei der sich die kau-
zunächst in neuronale, im 3. Trimenon auch in dalen Anteile des Rückenmarkes nicht ausbilden
gliale Zellen (Astrozyten und Oligodendrozy- können. Durch diese schwerwiegenden Struk-
ten) ausdifferenzieren (Abb. 5.4). Die Mikro- turveränderungen sind vielfaltige funktionelle
gliazellen entstammen dem Mesoderm und Störungen bedingt (s. Kap. 3.5.1.2, S. 142, Kap.
wandern im Rahmen der Vaskularisation in das 8.1, S. 629).
ZNS ein. Sie sind die ortsständigen Makropha-
gen des Gehirns. • Neuralleiste. Während des Neuralrohrschlus-
ses trennen sich dorsolateral gelegene Zellen
Klinik: 1. Störung des Neuralrohrschlusses ab, welche die Neuralleiste ausbilden (s. Kap.
führt im rostralen Bereich, also im Bereich 3.5.1.2, S. 142). Aus diesem Zellmaterial ent-
des Neuroporus anterior, zu Gehirnfehlanla- wickeln sich Zellgruppen, die sich später zu
gen, im drastischsten Fall zum Anenzephalus. den sensiblen Spinal- und Hirnnervenganglien
Anenzephale Kinder werden zwar in seltenen formieren. Andere Zellen wandern auf das innen
Fällen geboren, sind aber nicht lebensfähig. 2. gelegene Entoderm zu und entwickeln sich
Verschlussstörungen des Neuroporus posterior dabei zu den vegetativen (autonomen) Gang-
fuhren zum Krankheitsbild der Spina bifida. lien der Eingeweidenerven, den chromaffinen
Hierbei kommen sowohl die gedeckte Form, Zellen des Nebennierenmarks und den Gliazel-
Spina bifida occulta, bei der es nur zu einem len des PNS (den Schwann-Zellen). Auch die
mangelnden Verschluß des späteren Wirbelka- Melanozyten der Haut entwickeln sich aus der
Neuralleiste.
mesenchymale Zelle
pseudounipulare
Spinalganglionzelle
Dendrit
Motoneuron -
Nervus spinalis
(Spinalnerv)
Radix ventralis
(Vorderwurzel)
Eingeweide
— — sensible
Nervenfasern
motorische , „ —
(von Rezeptoren
Nervenfaser
der Haut
quergestreifte bzw. Muskelspindeln
Muskelfasern ausgehend)
auf annähernd gleicher Höhe. Im Verlauf des ventrale und dorsale Spinalnervenwurzeln zum
Körperwachstums bleibt das Rückenmark in Spinalnerven vereinen (s. Kap. 2.6.5.1, S. 94).
seiner Längenentwicklung im Vergleich zur
knöchernen Wirbelsäule zurück und es kommt Klinik: Beim Neugeborenen liegt der Conus
zum Aufsteigen des Rückenmarks im Spinalka- medullaris noch in Höhe des 3., beim Erwachse-
nal, Ascensus medullae spinalis. Am Ende des nen jedoch etwa in Höhe des 1. Lumbaiwirbels.
fünften Monats liegt das Rückenmarkssegment Auf Grund des Aszensus des Rückenmarks kann
S1 etwa 4 Wirbelkörper oberhalb des ersten unterhalb des Conus medullaris (mit einem
Sakralwirbels. Zur Zeit der Geburt entspringen Sicherheitsabstand zwischen den Dornfortsät-
die Fasern, welche die Wirbelsäule zwischen zen des 3. und 4. oder des 4. und 5. Lendenwir-
den Wirbelkörpern S1 und S2 verlassen, etwa bels) der den Liquor cerebrospinalis enthaltende
auf der Höhe des Wirbelkörpers LI aus dem Subarachnoidealraum (s. Kap. 5.3.2) von dorsal
Rückenmark (Abb. 5.7). Beim Erwachsenen punktiert werden. Hierdurch kann eine Ver-
befindet sich das kaudale Ende des Rücken- letzung des Rückenmarks vermieden werden,
marks, der Conus medullaris, etwa auf der wobei die Spinalnervenwurzeln der Cauda
Höhe der Wirbelkörper L1/L2. Auf dieser Höhe equina von der Punktionsnadel allenfalls zur
verjüngt sich der Conus medullaris abrupt zum Seite verdrängt werden (s. Kap. 8.1.4, S. 635).
nervenzellfreien Filum terminale, das am kau- Die Untersuchungstechnik der Lumbalpunktion
dalen Ende des Spinalkanals befestigt ist und ist für die Diagnose einer Vielzahl von Erkran-
so eine „Schleifspur" des Ascensus medullae kungen des ZNS (ζ. B. der Multiplen Sklerose)
spinalis darstellt. Daneben ziehen die Wurzelfa- entscheidend.
sern wie ein Pferdeschwanz als Cauda equina
zu ihren Foramina intervertebralia, wo sich
Wirbelkörper Rückenmark
\ /
\
Spinalganglion der
Verlängerung der
Cauda equina = verlängerte
Radix dorsalis ans
Wurzel des Fila radicularia der Spinalnerven
1. Sakralnerven
1. Sakralnerven kaudal des Rückenmarks
a b c
Abb. 5.7: Längenwachstumsvergleich von Rückenmark und Wirbelsäule („Rückenmarksaszensus") sowie Bil-
dung der Cauda equina: a) Entwicklungsstadium ungefähr im 3. Schwangerschaftsmonat, b) am Ende des
5. Monats und c) beim Neugeborenen (nach L. Heimer, 1995)
5.1.4 Entwicklung des Gehirns und = Gehirn; en- = innen, drin, kephale = Kopf)· Der
der Ventrikelräume mediale Abschnitt des Prosenzephalonbläschens
bleibt dazwischen relativ klein und bildet das Zwi-
schenhimbläschen des späteren Dienzephalons.
Lernziele: Hirnbläschen, Myelencephalon,
Metencephalon, Mesencephalon, Diencephalon, Das Mittelhirnbläschen zeigt nur ein geringes
Telencephalon. Scheitelbeuge, Nackenbeuge Wachstum. Hieraus entstehen später die Haube,
Tegmentum, und das Dach, Tectum.
Hirnbläschen. Noch vor dem Schluss des Das Rhombenzephalonbläschen teilt sich später
Neuroporus anterior bilden sich in der dritten weiter in das Myelenzephalonbläschen, die spätere
Embryonalwoche die 3 primären Hirnbläschen Medulla oblongata, sowie das Metenzephalonbläs-
aus. Von kaudal nach rostral entwickeln sich chen, aus dem das Kleinhirn, Cerebellum, und die
dabei auf die Rückenmarksanlage folgend Brücke, der Pons, hervorgehen.
(Abb. 5.8 und 5.9): das Rautenhirnbläschen, das
Das Telencephalon nimmt in der Folge so stark
spätere Rhombencephalon, danach das Mittel-
an Größe zu, dass es sich mit dem Diencephalon
hirnbläschen, das spätere Mesencephalon, und
verbindet und auch das Mesencephalon über-
schließlich das Vorderhirnbläschen, das spätere
wölbt. Aus den Endhirnbläschen entwickeln sich
Prosencephalon.
später die Großhirnhemisphären und -Kerne. Das
Rhombencephalon und Mesencephalon bilden den
In diesen 3 Bläschen hat sich der Hohlraum des
späteren Hirnstamm, Truncus encephali (cere-
ehemaligen Neurairohrs stark erweitert und die
bri). Somit entstehen aus den 3 primären später
Wandabschnitte zeigen ein unterschiedlich aus-
5 sekundäre Hirnbläschen (ohne Berücksichtigung
geprägtes Wachstum. Am größten wird schließlich
der Paarigkeit).
das Vorderhirnbläschen: Es buchtet sich beiderseits
lateral aus und ergibt so die (paarigen) Endhimbläs-
chen des späteren Telenzephalons (gr. encephalön
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364 5 Zentrales N e r v e n s y s t e m , G e h i r n u n d R ü c k e n m a r k
Wand Hohlraumsystem
Großhirn- Seitenventrikel
hemisphären (I.+ 11.)
^ Telencephalon
Vorderhirn Thalamus
(Prosencephalon) Diencephalon III. Ventrikel
Hypothalamus
•Pons
• Metencephalon — oberer
Rautenhirn Cerebellum Teil _
(Rhombencephalon)
IV. Ventrikel
Myelencephalon
Medulla unterer
oblongata Teil
Rückenmark
Isthmus Kleinhirnplatte
Kleinhirnplatte Scheitelbeuge. Metencephalon
Metencephalon"
Scheitelbeuge ^ Myelencephalon
— Myelencephalon Mesencephalon
Mesencephalon-
Nackenbeuge Corpus pineale
Nackenbeuge
Diencephalon - Diencephalon -
-Medulla spinalis Hemisphärenblase — - Sulcus limitans
Telencephalon - Telencephalon •^gs*-, \ % -Medulla spinalis
Abb. 5.10: Krümmung der Gehirnanlage bei der Entwicklung vom 3-Bläschen- zum 5-Bläschenstadium unter
Ausbildung der Scheitel-, Brücken- und Nackenbeuge. Modell des Gehirns eines menschlichen Embryos von
7,8 mm Scheitel-Steiß-Länge (Lateral- und Medianansicht nach F. Hochstetter)
Thalamus
- Isthmus
Telencephalon
" Cerebellum
Hypothalamus
dUnne Decke des
Foramen Rhombencephalon
interventriculare
Nucleus caudatus
Myelencephalon
Kommissurenplatte
/ \
Rhinencephalon / \ \ Medulla spinalis
Lamina terminalis Chiasmaplatte Infundibulum Metencephalon
Abb. 5.11: Modell des Gehirns eines Embryos von 19,4 mm Scheitel-
Steiß-Länge (Mediansagittalschnitt nach F. Hochstetter)
entstehenden somato- und viszeromotorischen Hemisphäre als auch im Vermis ein stark gefalteter
Kerngebiete, welche im Rückenmark ventral Cortex cerebelli mit darunterliegenden subkorti-
liegen, finden sich im Myelencephalon demge- kalen Kerngruppen. Am rostrobasalen Rand des
mäß am weitesten medial. Dieses Prinzip hilft Metenzephalons entsteht der Pons, in dem sich
auch beim Einprägen der topographischen Lage die Brückenkerne, Nucll. pontis, befinden. Dort
der Hirnnervenkeme. werden später Fasern aus dem Cortex cerebri in
das Cerebellum umgeschaltet. Diese Axone aus
2. Metencephalon. Aus dem Metencephalon dem Pons bilden dann beiderseits den Brückenarm,
entsteht dorsal die Kleinhirnanlage, die aufgrund Pedunculus cerebellaris medius, aus. Im Boden
der Brückenbeuge ihre besondere Form ausbildet. des IV. Ventrikels entwickelt sich die Brücken-
Zunächst entwickelt sich das Kleinhirn, Cerebel- haube, Tegmentum pontis. Dieser Bereich grauer
lum, beidseitig aus den Flügelplatten. Die Zellen Substanz gliedert sich später in Kerngebiete der
wachsen einerseits in Richtung des späteren vierten Hirnnerven und in die Formatio reticularis.
Ventrikels, andererseits mit der größten Massen-
3. Mesencephalon. Aus dem Mesencephalon ent-
zunahme nach dorsal. Die beiden zerebellären
wickeln sich Tectum und Tegmentum.
Anlagen vereinigen sich dorsal in der Mittellinie
und bilden den späteren Wurm, Vermis. Die lateral Aus der Flügelplatte entsteht das Tectum mit den
gelegenen Hemisphären zeigen zunehmend tiefe rostrokranial gelegenen Colliculi superiores und
Einkerbungen, Fissurae, zwischen denen sich den kaudodorsal gelegenen Colliculi inferiores.
die für das Kleinhirn typischen Foliae erheben Die Colliculi superiores stellen später wichtige
(Abb. 5.12). Somit entwickelt sich sowohl in der Zentren für visuelle Reflexe und die Colliculi inferi-
Ni Lobus caudatus
Lobus flocculo
nodularis
(Archicerebelltim)
Palaeocerebellum
Nodulus
Fissura secunda
Fissura posterolateralis
ores Umschaltstationen für das auditorische System mus. Dort befinden sich später Kerngebiete des
dar. Ebenso entstehen Neurone um den Aquaeduc- autonomen Nervensystems. Aus der Flügelplatte
tus mesencephali, die das zentrale Höhlengrau geht als größter Anteil des Dienzephalons der Tha-
bilden, aus der Flügelplatte. lamus (dorsalis) hervor. Er entwickelt sich in der
Wand des III. Ventrikels zeitgleich mit der Ausrei-
Aus der Grundplatte entsteht das Tegmentum mes-
fung des Cortex cerebri. In der zweiten Schwanger-
encephali als rostrale Fortsetzung des Tegmentum
schaftshälfte lassen sich im Thalamus Kerngruppen
pontis, das die Kerngebiete der oberen motorischen
abgrenzen, die sich parallel mit der Reifung spe-
Hirnnervenkerne (Nucl. n. oculomotorii und Nucl.
zifischer kortikaler Funktionen entwickeln. Am
n. trochlearis) enthält. Aus dem Tegmentum glie-
lateralen Rand der Deckplatte entsteht eine dritte
dern sich der Nucl. ruber und die Substantia nigra
nach rostral ab. Die noch weiter rostral liegen- Zwischenhirndach mit Ependym
den Hirnstiele, Pedunculi cerebri, wachsen mit [ - Tela choroidea)
Wachstumszone, aus der sich später der Epithala- Bodenplatte des Dienzephalons, dem Hypothala-
mus bildet. Hier entstehen der Nucl. habenularis mus, wachsen im weiteren Verlauf der Entwicklung
und die Epiphyse. Sie liegt als unpaares Organ in auch das Infundibulum und die Neurohypophyse
der Mediansagittalebene. sowie die Corpora mamillaria aus.
5. Telencephalon, Cortex. Im Bereich des Telen-
Etwa in der dritten Embryonalwoche wächst aus
zephalons kommt es in den lateralen Abschnitten
dem dorsobasalen Thalamusbereich (dem späte-
zur stärksten Massenzunahme des ZNS, wobei im
ren Pulvinar) das Augenbläschen zur Linsen-
erwachsenen Gehirn die Hirnrinde, Cortex cere-
grube des Gesichts heran und bildet den Augen-
bri, den größten Teil der anderen Hirnteile über-
stiel aus. Der Augenstiel stülpt sich dort zum
deckt. Hierbei lassen sich 3 Wachstumsrichtungen
Augenbecher ein, dessen inneres Blatt durch die
unterscheiden: nach rostral, lateral und dorsal. Die
Zellen der späteren Netzhaut, Retina, gebildet
bei weitem größte Zunahme an kortikalen Zellen
wird. Der Augenstiel verlängert sich und wird
fuhrt in rostraler Wachstumsrichtung zur Ausbil-
zur Leitstruktur fur die Fasern des N. opticus
dung des späteren Frontallappens. Besonders
(vom Auge bis zum Chiasma) bzw. des Tractus
beim Menschen imponiert die Umschließung der
opticus (vom Chiasma bis zum Thalamus).
späteren Insel und die Wachstumsausrichtung nach
rostrobasal. Hierdurch trifft sich der untere Fron-
Durch das nach lateral gerichtete Wachstum thala- tallappenanteil später mit dem rostralen Pol des
mischer und hypothalamischer Areale des Rand- Temporallappens. In dorsaler Richtung entwickelt
bereichs ensteht die spaltförmige Öffnung des III. sich der Okzipitallappen (Abb. 5.14).
Ventrikels. Nach kranial ist er nur von einer dünnen
Ependymschicht und von mesodermalen Zellen
Der laterozentrale Anteil der Hemisphäre bleibt
bedeckt, die sich als Plexus choroideus in den
im Wachstum zurück und bildet später die Insel,
dritten Ventrikel einstülpen. Der rostrale Abschluss
Insula. Sie wird von rostralen, kranialen und
des dritten Ventrikels ist die Lamina terminalis,
dorsalen Anteilen der sich entwickelnden Hemi-
eine dünne Schicht prosenzephalen Gewebes an der
sphäre überwachsen: Operkularisation.
Stelle des vormaligen Neuroporus anterior. Aus der
Lobus insularis
γ --""" _ Praecuneus
- S u l c u s parietooccipitalis
G y r u s frontalis
Cuneus
superior
- S u l c u s calcarinus
• IV. Ventrikel
G y r u s rectus
; temporal
Abb. 5.15: Mediansagittalschnitt des Gehirns. Die einzelnen Hirnteile sind farbig gekennzeich-
net: Telencephalon = gelb; Diencephalon = blau; Mesencephalon = punktiert; Metencephalon
= grün; Myelencephalon = gestrichelt
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370 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
gehend ventral = vorn, dorsal = hinten und kaudal 5.2.2 Die äußere Gestalt
= unten verwendet. des Großhirns
kram.il
Das Gehirn in situ. Das Gehirn liegt mit seinen
Hirnhäuten (s. Kap. 5.3.2, S. 433) der Schädel-
basis auf, so dass zahlreiche Windungen auf der
Innenseite der Basis cranii als Eindrücke, Impres-
siones gyrorum, sichtbar werden. Den Hirnfurchen
entsprechen einzelne Knochenerhebungen, Juga
cerebralia. Diese finden sich nur am Dach der
Augenhöhle, Orhita, und dem vorderen Abschnitt
der mittleren Schädelgrube. Die Schädelkalotte
ist innen, bis auf die Sulci arteriosi, glattwandig.
Somit passt sich die Schädelform der Gehirnform
an.
Abb. 5.16: Richtungsbezeichnungen im Gehirn: End- 1. die Ansicht von oben und seitlich, Facies
hirnachse = Forel-Achse (Fo) und Hirnstammachse superolateralis hemispherii cerebri (die Konve-
= Meynert-Achse (Me) xität)
Polus frontalis
— Subduralraum
- Gyrus praecentralis
- Sulcus centralis
Gyrus postcentralis
Brückenvene
Fissura longitudinalis
cerebri
Polus occipitalis
Abb. 5.17: Facies superolateral hemispherii cerebri. Ansicht des Gehirns von kranial nach Entfernung der Schä-
delkalotte und Abheben der Dura mater. Blick auf die Arachnoidea mater
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5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS 371
2. die Ansicht von medial, Facies medialis hemi- pitalis). Median wird das Telencephalon durch die
spherii cerebri, Fissura longitudinalis cerebri in die beiden Hemi-
3. die Ansicht von basal, Facies inferior hemi- sphären geteilt (Abb. 5.17).
spherii cerebri (die Hirnbasis).
Der Hemisphärenspalt wird durch eine Dura-
duplikatur, die Hirnsichel, Falx cerebri,
5.2.2.1 Ansicht von oben und seitlich eingenommen. Diese Falx stellt eine wichtige
(Facies superolateral hemispherii Struktur bei der Kammerung der Schädelhöhle
cerebri) dar (Abb. 5.18).
Corpus callosum
Abb. 5.18: Strukturen der Mediansagittalebene (in s/foPräparat) nach Entfernung der linken Hemisphäre
Faix cerebri
Genu corporus callosi — _ (eröffnet!
Fornix
Septufn pellucidum
Epiphysis
Area subcallosa
Chiasma optlcum
\
infundibulum / Corpus
\
Recessus mamillare | Aquaeductus
infundibularis Tegmentum mesencephali
Mittellinienverlagerung Substantia.
ausgeprägter •belassener
nigra
Tentorium raumfordernder Tentoriumrand
cerebelli Prozess
- Schnittkante
Einklemmung in den hämorrhagische
Tentoriumschlitz Nucleus ruber N. Nekrosen im kontra-
(Mittelhirneinklemmung) lateralen Hirnschenkel
Gyrus (Kernohans-Syndrom)
Tentorium mit y
abgeknickten Gefäßen
a b
Abb. 5.21: Einklemmungen bei Hirndruck; a) schematisierter Frontalschnitt und b) Darstellung nach einem patho-
logisch-anatomischen Präparat, Ansicht von kaudal, links wurde ein Teil des Tentoriums belassen; Einklemmung
des Mesenzephalons in den Tentoriumschlitz (nach P. Duus, 1990)
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374 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Mantelkante. Der Übergang von der Facies Zentralwindung, Gyrus praecentralis, und dorsal
superolateral is zur Facies medialis wird als Man- von der hinteren Zentralwindung, Gyrus postcen-
telkante (lat. Pallium = Mantel) bezeichnet, wobei tralis, eingefasst.
der Begriff „Hirnmantel" ein älterer Name für den
Cortex cerebri ist. Zieht man die Hemisphären Die Zentralfurche, Sulcus centralis, trennt die
auseinander, sieht man in der Tiefe des mittleren motorische Rinde des Gyrus praecentralis von
Abschnittes eine weiße Struktur, den Hirnbalken, der somatosensiblen Rinde des Gyrus postcen-
das Corpus callosum. Er verbindet die beiden tralis.
Hemisphären und stellt die größte Kommissur
dar. Rostrai und dorsal liegen die Hemisphären Die Scheitelhinterhauptsfurche, Sulcus parie-
vollständig isoliert voneinander vor. Die gräuli- tooccipitalis (s. Abb. 5.22), liegt nahe dem Hin-
che Oberfläche des Gehirns lässt die zahlreichen terhauptspol. Sie grenzt den Hinterhauptslappen,
Windungen, Gyri cerebri, erkennen, welche durch Lobus occipitalis, vom Scheitellappen ab und
Furchen, Sulci cerebri, begrenzt werden. zieht an der Medianfläche der Hemisphäre zur
Vogelspornspalte, dem Sulcus calcarinus, hinab
Hauptfurchen (Abb. 5.22). Nur wenige Furchen
(s. Abb. 5.15). Die funktionelle Bedeutung dieser
und Windungen weisen eine konstante Lage auf.
beiden Sulci liegt darin, dass der überwiegende Teil
Es besteht nicht einmal eine Symmetrie zwischen
der Sehrinde von ihnen eingegrenzt wird. Der Rest
den beiden Hemisphären eines Individuums. Aus
des visuellen Cortex befindet sich in den beiden
Übersichtsgründen ist es jedoch wichtig, einige
benachbarten Windungen (s. Kap. 5.4.2).
Hauptfurchen zu kennen. So sind aus der Vielzahl
der Oberflächenstrukturen 2 besonders tiefe und Die Zentralfurche, der Sulcus centralis, läuft von
charakteristische Furchen hervorhebenswert. Die okzipitodorsal nach rostrobasal. Nach basal wird
Zentralfurche, Sulcus centralis (.Rolandü), teilt er durch die seitliche Furche, den Sulcus lateralis
eine Hemisphäre in ihre rostrale und ihre dorsale (Sylvii), begrenzt, der den Temporal- vom Frontal-
Hälfte und grenzt den Stirn-, Lobus frontalis, vom und Parietal läppen abtrennt. Er weist einen langen,
Scheitellappen, Lobus parietalis, ab (s. Abb. 5.15). nach dorsal ziehenden Ast, Ramus posterior, einen
Die Zentralfurche wird rostral von der vorderen aufsteigenden Ramus ascendens sowie einen nach
Sulcus intraparietalis
Sulcus frontalis inferior
Ramus ascendens ~
Sulcus
Ramus a n t e r i o r '
lateralis
Ramus posterior -»Sulci occipitalcs
Polus occipitalis
rostral weisenden Ramus anterior auf. Der Sulcus etale und das Operculum temporale unterschieden
lateralis erweitert sich nach medial zur Fossa late- werden.
ralis.
Klinik: Auf der Innenseite des Operculum
Spreizt man den Sulcus lateralis, so findet man temporale liegen von außen unsichtbar die
in der Tiefe die Inselregion, Insula (Reili) oder Heschl-Querwindungen, die einen großen
Lobus insularis. Anteil der Hörrinde ausmachen. Die Funktion
des Insellappens ist bisher kaum verstanden.
Insula (Abb. 5.23). Die Insel (s. auch Abb. 5.16, Elektrophysiologische Untersuchungen legen
29 und 47) hat ungefähr die Form eines Dreiecks jedoch nahe, dass es sich hier um einen Teil des
und wird auf allen Seiten vom Sulcus circularis viszerosensiblen Cortex handelt. Bei neurochi-
insulae begrenzt, der lediglich am Limen insulae rurgischen Eingriffen am Temporal läppen (etwa
fehlt. Über diesen Sulcus circularis insulae geht zur Therapie der Ammonshornsklerose) muss
der Inselkortex in die Rinde der Opercula über. beachtet werden, dass in der Tiefe der Fossa
Der durch die Insel hindurchziehende Sulcus lateralis cerebri zwischen Insel und Opercula
centralis insulae trennt einen rostralen von einem die mittlere Hirnarterie, A. cerebri media, ver-
basalen Abschnitt ab. Am Limen insulae geht die läuft. Ihre Äste treten im Sulcus lateralis an die
Inselregion ins Riechhirn, Rhinencephalon, über. Oberfläche und strahlen von dort über die Facies
Während der Ontogenese wurde die Inselregion superolateralis aus (s. Abb. 5.74, 75).
von Stirn-, Scheitel- und Schläfenlappen überlagert
und ist zum Zeitpunkt der Geburt bereits in der Durch den Sulcus lateralis wird der Stirnlappen
Tiefe verschwunden. Die frühen vergleichenden vom Schläfenlappen abgegrenzt. Der Ramus pos-
Anatomen sahen hier eine Analogie zum Kiemen- terior wird vom Gyrus supramarginalis umfasst
deckel der Fische (Operculum), so dass nun das (s. Abb. 5.20).
Operculum frontale (rostrale), das Operculum pari-
Operculum parietale
{teilweise abpräpariert)
Gyri breves
laris
Gyrus longus
- Polus frontalis
Operculum frontale
(teilweise abpräpariert)
Limen insulae
Lobus temporalis
Lohns temporalis weist 2 parallele Furchen, die tenventrikels (s. Abb. 5.25 und Kap. 5.3.3, S.
Sulci temporales sup. et inf., und 3 Windungen 441). Im Hinterhauptslappen liegt der visuelle
auf: die Gyri temporales superior, medius et Cortex mit den Areae 17, 18 und 19 nach Brod-
inferior. Der an den Sulcus lateralis und an die mann (s. Kap. 5.4.2.4). Basal befinden sich die
in der Tiefe liegende Insel angrenzende Gyrus Gyri occipitotemporales lateralis et medialis.
temporalis superior weist auf seiner den Stim- Sie werden je zur Hälfte dem Schläfenlappen
und Scheitellappen zugewandten Fläche meist und dem Hinterhauptslappen zugerechnet.
3 konstante, auf die Insel schräg zulaufende
Querwindungen auf, die Gyri temporales
transversi (Heschl). Diese werden erst bei 5.2.2.3 Ansicht von medial (Facies medialis
Spreizung des Sulcus lateralis sichtbar und stel- hemispherii cerebri)
len zusammen mit der Außenfläche des Gyrus
temporalis superior das primäre Hörzentrum Balken, Corpus callosum. Auf der Medianansicht
dar (s. Abb. 5.23). des Gehirns (s. Abb. 5.24) erkennt man zentral,
unter der Großhirnhemisphäre gelegen, eine
Klinik: Eine pathologische Destruktion des große, von rostral nach dorsal verlaufende weiß-
primären Hörzentrums führt zur seltenen kor- liche Struktur, den Hirnhaiken oder das Corpus
tikalen Taubheit. Sogar ihr einseitiger Ausfall callosum. Der Balken verbindet beide Großhirn-
macht sich in Hörstörungen auf beiden Ohren hemisphären über kommissurale Fasern und wird
bemerkbar, da sich die Hörbahn von einem durch den Mediansagittalschnitt durchtrennt. Der
Ohr ausgehend zur Rinde beider Hemisphären Balken beginnt mit dem schiffsbugartigen „Schna-
erstreckt. Die kortikale Taubheit ist oft die Folge bel", Rostrum, geht über das Knie, Genu, in den
eines zweiten Schlaganfalles in der anderen Stamm, Truncus, über, um dorsal mit einem Wulst,
Hemisphäre. Sie kann aber auch bei einer Enze- Splenium, zu enden. Das Rostrum setzt sich in die
phalitis oder einem schweren Schädel-Hirn- Lamina terminalis fort, welche die dünne rostrale
Trauma auftreten. Wand des ehemaligen Prosenzephalonbläschens
darstellt. Im adulten Hirn bildet sie die Vorderwand
An der basalen Mantelkante liegt der Gyrus des III. Ventrikels und trägt das Organum vasculo-
temporalis inferior, der von der Sulci temporalis sum, das zu den zirkumventrikulären Organen
inferior et occipitotemporal is abgegrenzt wird. Es (s. Kap. 5.4.11.3, S. 548, Abb. 5.138) gezählt wird.
besteht eine Nachbarschaftsbeziehung zum Gyrus Die Sehnervenkreuzung, Chiasma opticum, ist
occipitotemporalis lateralis. Im Polus temporalis, mit ihr verwachsen.
an der Spitze des Unterhorns des Seitenventrikels,
Gewölbe, Fornix. Basal des Corpus callosum
befindet sich auch der Mandelkern, das Corpus
verläuft ein noch stärker gekrümmter Bogen, das
amygdaloideum. Weiter basal liegt die Hippokam-
Gewölbe, der Fornix. Er erscheint makroskopisch
pus-Formation als Vörwölbung im Unterhorn des
ebenfalls als weiße Substanz und wölbt sich über
Seitenventrikels. Beide Strukturen gehören zum
den III. Ventrikel (Abb. 5.24). Er beginnt im Tem-
Limbischen System (s. Kap. 5.4.10.1, S. 521).
porallappen als Fimbria hippocampi und endet
• Hinterhauptslappen, Lobus occipitalis. Der an einem weißlichen Höcker der Basalfläche des
Lobus occipitalis (s. Abb. 5.22) ist der kleinste Gehirns, dem Corpus mamillare der jeweiligen
der Hirnlappen. Gegen Scheitel- und Schläfen- Hirnhälfte. Von dort verläuft er als Säule, Columna
lappen wird er auf der Medianfläche durch die fornicis, nach oben, um sich bogenförmig nach
Fissura parietooccipitalis und auf der Facies dorsal zu wenden. Schließlich legt er sich als
superolateralis durch deren Verlängerung nach Corpus fornicis an die Unterfläche des Balkens
basal abgegrenzt. Aufgrund ihrer starken Varia- an (Abb. 5.24). Der Schenkel des Gewölbes, Crus
bilität werden die lateralen Windungen als Gyri fornicis, ist auf der Medianansicht nicht erkennbar,
occipitales laterales zusammengefaßt. Der da er nach laterobasal in die Tiefe des Temporallap-
auf der Medianfläche tiefe Sulcus calcarinus pens verläuft, um zum Unterhorn des Seitenvent-
(s.Abb. 5.15, 24) greift in einzelnen Fällen als rikels zu gelangen. Insgesamt ist der basale Anteil
Varietät um den Okzipitalpol herum. Er buchtet der Columna fornicis von der grauen Substanz des
sich als Calcar avis in das Hinterhom des Sei- Hypothalamus überdeckt und wird deshalb auch als
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378 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Sulcus centralis
- Sulcus calcarinus
Cingulum
Corpus fomicis
Splenium corporis
callosi
Genu corporis
callosi
~ Thalamus/Adhaesio
interthalamica
Sulcus hypothalamicu
Lamina terminalis
Chiasma opticum
Corpus mamillare
Pons
Abb. 5.24: Medianansicht mit langen Assoziationsfasern (Cingulum) nach Entfernung des Gyrus cinguli
Pars tecta columnae fornicis bezeichnet. Demge- Gyri und Sulci. Oberhalb des Balkens verläuft
genüber ist die Pars libera columnae fornicis auf parallel von rostral nach dorsal der Sulcus cinguli
der Medianansicht gut zu erkennen. (Pars subfrontalis). Die Rinde von der Mantelkante
bis zum Sulcus cinguli gehört dem Gyrus frontalis
„Durchscheinende Scheidewand", Septum
superior (Abb. 5.22) an. Der Lobulus paracen-
pellucidum. Zwischen Corpus callosum und
t r a l umfasst das die Mantelkante einkerbende
Fornix spannt sich rostral eine dreieckige, dünne,
Ende des Sulcus centralis und gehört zu den Gyri
weißliche Platte, das Septum pellucidum, aus. Es
prae- et postcentrales. Letzterer ist schon Teil des
bildet die mediale Wand beider Seitenventrikel und
Lobus parietalis, der auf der Facies medialis dorsal
besteht oft aus 2 Lamellen, die eine schlitzartige
vom Gyrus cinguli parietalis ein großes Gebiet, den
Höhle, das Cavum septi pellucidi einschließen
Praecuneus, ausbildet. Der Sulcus cinguli begrenzt
(Abb. 5.25).
von kranial den Gyrus cinguli (Abb. 5.15, 24, 41),
der basal durch den Sulcus corporis callosi vom
Basal des Septum pellucidum, welches keine Balken getrennt ist.
Neurone enthält, liegen die Septumkerngebiete
des basalen Telencephalons. Sie stellen Schalt- Gyrus cinguli. Die bogenförmige Windung
stellen des Limbischen Systems dar (s. Kap. erstreckt sich im Frontal- und Parietallappen paral-
5.4.10.1, S. 521). lel oberhalb des Corpus callosum. Im Temporallap-
pen geht er in den Gyrus parahippocampalis über.
III. Ventrikel, Ventriculus tertius. Er reicht ros- Diese beiden Gyri bilden mit dem Hippocampus
tral bis zum Chiasma opticum und dorsal bis zum den limbischen Cortex aus (s. Kap. 5.4.10.1). Im
Aquaeductus mesencephali. Der III. Ventrikel Marklager des Gyrus cinguli verläuft eine lange
gehört zum Diencephalon und trennt die rechte Assoziationsbahn, das Cingulum (lat. Gürtel, zur
und die linke Zwischenhirnhälfte (s. Kap. 5.3.3, Funktion s. Kap. 5.2.5, S. 395, sowie Abb. 5.24
S. 441). und 5.43). Unterhalb des Balkenknies besteht
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5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS 379
- Vena choroidea
—
Lobus insulans
- Crus fornicis
Lobus temporalis
Glomus
Pars centralis „
choroideum
ventriculi lateralis
— - Sulcus calcarinus
Tela choroidea
ventriculi tertii Cornu posterius
ventriculi lateralis
Calcar avis
Venae cerebri mternae ^
Lobus occipitalis
Abb. 5.25: Die Seitenventrikel sind mit einem Horizontalschnitt durch die Hemisphäre eröffnet; das Septum pellu-
cidum und der Fornix sind nach Wegnahme des Balkens freipräpariert
eine Verbindung des Gyrus cinguli mit der Area Indusium griseum. Zur balkennahen Region
subcallosa (Abb. 5.18), die rostral unmittelbar an der Hirnoberfläche zählt auch eine dünne Schicht
den Gyrus paraterminalis grenzt. Im Anschluss an grauer Substanz, die als grauer Schleier, Indusium
das dorsale Balkenende (Splenium corporis callosi) griseum, bezeichnet wird. Das Indusium griseum
verdünnt sich der Gyrus cinguli zum Isthmus gyri stellt ein Relikt des (phylogenetisch alten) Archi-
cinguli und verschmilzt mit dem Gyrus lingualis cortex dar und liegt dem Balken dorsal auf. Medial
zum Gyrus parahippocampalis (s. Abb. 5.42 und lateral wird das Indusium durch zwei feine
und 5.118). Der Gyrus parahippocampalis schlägt Längswülste verdickt, die Striae longitudinales
rostral in einen konvexen Bogen um, welcher als medialis et lateralis (Lancisii).
Uncus bezeichnet wird (s. Abb. 5.77). Hier lassen
Balkenferne Strukturen. Die balkenfern gelege-
sich kleine Vorwölbungen erkennen, nämlich der
nen Hirnwindungen gehören zum (phylogenetisch
Gyrus uncinatus, der Gyrus intralimbicus und
neuen) Neopallium (s. Kap. 5.1.4). Hierzu zählt
das Uncusbändchen (Limbus Giacomini).
der Gyrus frontalis superior, der durch die Man-
telkante und die Gürtelfurche, Sulcus cinguli,
begrenzt wird. Seine dorsale Begrenzung wird
durch den senkrecht nach basal verlängerten Sulcus
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380 5 Zentrales Nervensystem, G e h i r n u n d R ü c k e n m a r k
centralis gebildet. Der Gyrus paracentralis läuft ralis dem Hinterhauptslappen an. Sie liegen in situ
um den Sulcus centralis herum bzw. stellt in einer dem Tentorium cerebelli auf.
hakenartigen Form die Verbindung zwischen den
Gyri prae- et postcentrales her. Zum Scheitellap-
pen wird das rostral des Sulcus parietooccipitalis 5.2.2.4 Ansicht von basal
gelegene, annähernd viereckige Feld gerechnet, das (Facies inferior hemispherii cerebri)
als Praecuneus bezeichnet wird. Die Fortsetzung
der ursprünglichen Verlaufsrichtung des Sulcus Den 3 Schädelgruben der Basis cranii interna
cinguli nach dorsobasal wird Sulcus subparieta- entsprechen 3 Erhebungen, welche sich auf der
lis genannt. Dorsal des Sulcus parietooccipitalis Hirnbasis ausmachen lassen: der Stirnlappen,
beginnt der Okzipitallappen. der Schläfenlappen und die Kleinhirnhemi-
sphären.
Sulcus calcarinus. Die schnabelförmige Furche
zieht vom Okzipitalpol nach rostral und trifft dort
Frontallappen, Lobus frontalis. In der vorderen
im spitzen Winkel auf den Sulcus parietooccipita-
Schädelgrube liegen die Stirnlappen getrennt durch
lis. Das von beiden eingeschlossene, keilförmige
die Fissura longitudinal is cerebri. Der basale Fron-
Rindengebiet wird als Cuneus bezeichnet. Auf der
tallappen ist in seiner medialen Hälfte regelmäßiger
Facies inferior hemispherii cerebri gehören noch
strukturiert als in seiner lateralen (Abb. 5.26). Der
die Anteile des Gyrus occipitalis medialis et late-
- -Tractus olfactorius
Fissura longitudi-
nalis cerebri - Nervus opticus
Gyrus rectus —
- Trigonum olfactorium
Sulci et gyri
orbitales - - Substantia perforata
1
Chiasma opticum ,
V ' - Ljt ~~
' ~~r
t
. ίΑ--^-—γ" " Ί Η - - Tractus opticus
V y \
Infundibulum - Tuber cinereum
Pons
N.abducens
» - Η ; - ^ X j ^ ' i
m < & J t j r - r ) Μ
- E m i n e n t i a mediana
~~ Corpus mamillart;
Pyramis • v i Μ ΐ ^ - _- k
Nervus trigeminus
Flocculus cerebelli
~ "Nervi facialis et
Sulcus lateralis
~ vestibulocochlearis
anterior
" Radices nervi hypo-
Oliva glossi
Nervi vagus et
glossopharyngeus
Cerebellum
Nervus accessorius
Gyrus rectus wird entlang der Mantelkante von zusammengefasst. Die Gyri und Sulci der orbito-
der Fissura longitudinal is cerebri und lateral vom frontalen Hirnrinde modellieren das Orbitadach
Sulcus olfactorius begrenzt, in dem der Bulbus durch Ausbildung der Impressiones gvrorum und
olfactorius liegt. der Juga cerebralia.
Bulbus und Tractus olfactorius. Im Bulbus Schläfenlappen, Lobus temporalis. Er liegt in der
olfactorius enden die Fila olfactoria, welche als mittleren Schädelgrube dem großen Keilbeinflügel
Afferenzen von der Riechschleimhaut der Nase und der Felsenbeinpyramide auf, wodurch über das
einmünden und in ihrer Gesamtheit als erster Hirn- Tegmen tympani eine enge Nachbarschaftsbezie-
nerv, N. olfactorius, bezeichnet werden (s. Kap. hung zur Paukenhöhle besteht.
5.4.4). Nach dorsal verbreitert sich der Tractus
olfactorius zu einem dreieckigen Feld: Trigonum Klinik: 1. Durch die engen Nachbarschaftsbe-
olfactorium. Es wird lateral von zwei weißen ziehungen des Schläfenlappens zum Mittelohr
Streifen eingefaßt, der Stria olfactoria medialis können entzündliche Prozesse von dort aus auf
und lateralis, wobei die Stria olfactoria medialis das Gehirn übertreten (ζ. B. kann ein bakteriel-
in den Gyrus paraterminalis und die Stria olfacto- ler Abszess im Mittelohr zur Meningoencephali-
ria lateralis über das Limen insulae in den Uncus tis fuhren). 2. Durch Stürze kommt es oft zu Fel-
ausläuft. Die Striae olfactoriae umgreifen die Sub- senbeinfrakturen, die posttraumatische Meningi-
stantia perforata anterior (Abb. 5.97), durch die tiden hervorrufen können. Das gilt insbesondere
Blutgefäße in die Hirnbasis eintreten. Die lateral bei gleichzeitigem Liquor-/Blutaustritt aus dem
an den Sulcus olfactorius grenzenden Windungen Ohr (Otoliquorrhoe), der auf eine Fistel von der
und Furchen werden als Gyri und Sulci orbitales Cavitas cranii zur Außenwelt hinweist.
_ -Bulbus olfactorius
— Tractus olfactorius
Infundibulum .
— -Nervus opticus
Hypophysis — _
Corpus geniculatum ^ — Nervus oculomotorius
laterale (CGU
Uncus - - _
- Sulcus basilaris
Pons —
Nervus facialis
Nervus trigeminus —
—Nervus vestibulocochlear
Pedunculus cerebellaris __,
medius • - Oliva
Pyramis . Medulla oblongata
(Bulbus)
Pedunculus cerebellaris _ -
inferior — Sulcus anterolateral
Nervus hypoglossus-"
— Oecussatio pyramidum
Fissura mediana
anterior • —Medulla spinalis
Das viereckige Mittelfeld. Es wird rostral von den • Großhirn. Im Allgemeinen werden hierunter
Frontallappen, lateral von den Schläfenlappen und die beiden Hemisphären inklusive Cortex und
dorsal vom Pons begrenzt und stellt den basalen Telenzephalonkerne verstanden.
Teil des Zwischen- und Mittelhirns dar (Abb. 5.27). • Basalganglien. Hierzu zählen die (meisten)
Es liegt dem Clivus im mittleren Anteil der Fossa subkortikalen Telenzephalonkerne, es werden
cranii media auf. Hier verlaufen die in rostrokrani- aber auch einige Zwischenhirnkerne hinzuge-
aler Richtung auseinander weichenden Hirnschen- nommen.
kel, Pedunculi cerebri, welche eine tiefe Grube • Hirnstamm. Hierzu gehören Mesencephalon,
begrenzen: die Fossa interpeduncularis. In den Pons sowie Medulla oblongata.
Boden dieser Grube, die vom Tegmentum gebildet • Stammhirn. Dem Stammhirn werden Dience-
wird, treten viele kleine Gefäße ein, so dass sie als phalon, Mesencephalon und Rhombencephalon
Substantia perforata posterior bezeichnet wird. hinzugerechnet.
Rostrai liegen die weißlichen Corpora mamilla-
ria. Ihnen sind die graue Vorwölbung, das Tuber
cinereum, und der Trichter, das Infundibulum, 5.2.4 Zerebrale Computertomographie
vorgelagert, der die Verbindung zur Hirnanhang- und Magnetresonanz-
drüse, Hypophyse, darstellt (s. Kap. 5.4.11). Die tomographie
Hirnanhangdrüse liegt eingebettet in der Fossa
hypophysialis sellae turcicae. Lernziele: intravitale und postmortale Neuro-
anatomie; ZNS-Topographie in cCT- und MRT-
Bei präparatorischer Entnahme des Gehirns aus der
Schichtaufnahmen horizontaler, frontaler und
Cavitas cranii reißt die Hypophyse meistens ab.
sagittaler Orientierung
Zur kontinuierlichen Darstellung ihrer Nachbar-
schaftsbeziehungen muss die Sella turcica zuvor
Neuroanatomie in der Klinik. Das ZNS kann
eröffnet werden.
wegen der Strahlenabsorption der Schädelkalotte
mit konventionellen Röntgenmethoden nicht dar-
5.2.3 Systematische Gliederung gestellt werden. Mit der Einfuhrung der zerebralen
des ZNS Computertomographie (cCT) und der Magnet-
resonanztomographie (MRT) als neue bildgebende
Aus dem oben Besprochenen ergibt sich die in Verfahren ist es möglich geworden, detailreiche
Tabelle 5.1 zusammengefasste Gliederung der Schnittbilder des ZNS und der Schädelstrukturen
Abkömmlinge des Neurairohrs. zu erzeugen, was der Medizin völlig neue Dimen-
sionen eröffnet hat. Für die Diagnostik verschie-
Weitere, zur systematischen Gliederung benutzte dener Erkrankungen des ZNS (einschließlich der
Begriffe sind die des Großhirns, der Basalganglien,
häufigsten wie Schlaganfall, Multiple Sklerose oder
des Hirnstamms und des Stammhirns, welche leider
Bandscheibenvorfall) gehört heute die Arbeit mit
nicht immer einheitlich benutzt werden:
diesen Schnittbildern zum klinischen Alltag.
Anlage
Wichtige Anteile
Foramen interventriculars
(Monroi)
Cornu ant. t Ventriculus lateralis,
ventriculi lat. * Pars centralis
acusticus
externus
Columna fornicis
Putamen
Lobus insularis
Claustrum
Globus pallidus
Thalamus mit
Adhaesio interthalamica
Ventriculus tertius
Ventriculus lateralis
mit Plexus choroideus
Splenum corporis
callosi
— — Sulcus calcarinus
-- Gyri occipitales
4. Horizontalschicht (MRT), Schnittebene durch den basalen Lobus frontalis und die Basalgartglien.
(Die MRT-Schnittbilder dieser Atlasserie stammen sämtlich aus der Radiologischen Gem. Praxis in Coburg, ~~ - Sinus sagittalis superior
Dr. med. J . Romahn, und sind hinsichtlich der Größenverhältnisse digital nachbearbeitet worden).
Abb. 5.29
Gyrus frontalis superior
Septum pellucidum
Capsula extrema
Capsula interna,
crus anterius
Putamen
Linsen-
kern
Globus pallidus
Capsula interna,
crus posterius
Thalamus
Splenium corporis
4. Horizontalschicht (Frischpräparat), Schnittebene durch den callosi
und die Basalganglien
Abb. 5.30
-- Sinus s p h e n o i d a l
- B a s i s lobi t e m p o r a l i s
— M e a t u s acusticus internus
~ - Tonsille c e r e b e l l i
H e m i s p h e r i u m cerebelli
I Horizontalschicht. S c h n i t t e b e n e vom Unterrand der Orbita zur
F o s s a cranialis posterior dicht oberhalb d e s Foramen occipitale
Dorsum sellae
__ __ — A r t e r i a basilaris _ _ _ _ _ _
_ — — - Pons _ _
_ Formatio reticularis
~ V e r m i s cerebelli — — —
~ — - B a s i s lobi frontalis — ~
B a s i s lobi frontalis
(Gyri recti)
- S u l c u s lateralis
Ventricuius tertius _
— - Crus cerebri
— S u b s t a n t i a nigra — -
amina tecti m e s e n c e p h a l i -
- S i n u s sagittalis sup.
^ Columna formcis -- _
. Putamen — _
Thalamus
4. Horizontalschicht, Schnittebene durch den basalen Teil des Lobus frontalis und die Basalganglien
Ventriculus lateralis, _
cornu anterius
Septum pellucidum
Thalamus
~ ~ — - Fornix — —
callosi
__ — — Sulcus cmguli — __
^ Gyrus praeceritralis ^
— — Sulcus centralis
Gyrus p o s t c e n t r a l s "
- V e n t r i c u l u s lateralis, — —
pars centralis
Splenium corporis --
callosi
6. Horizontalschicht die Schnittebene durchläuft die Basalganglien, das Corpus callosum und
den oberen Rand der beiden Seitenventrikel
den dem synoptischen Vergleich vorangestellt. Sie und den Meatus acusticus internus. Die hintere
sollen die wichtigsten Strukturen benennen, die in Schädelgrube ist dicht oberhalb des Foramen
den entsprechenden Ebenendarstellungen zu sehen occipitale magnum getroffen. Das Metencephalon
sind, ohne dass hier schon MRT-Schichtaufnahmen (Brücke und Kleinhirn mit Tonsillen) ist ange-
und Frischpräparat parallelisiert worden sind. schnitten.
Kanthomeatalebene
ι
Abb. 5.33: Kanthomeatalebene und senkrecht lie-
gende, frontale Schichtungsebenen als Orientierung
für die folgenden Abbildungen
Ventriculus lateralis,
Cornu anterius
Septum pellucidum
Capsula interna,
crus anterius
Sulcus lateralis
Lobus insularis
Putamen
Chiasma opticum
Gyrus parahippocampalis
2. Frontalschicht (MRT), Schichtebene durch das ventrale Corpuscallosum und das Chiasma opticum
Sinus sphenoidalis
Corpus callosum,
Truncus
Ventriculus lateralis,
Cornu anterius
Septum pellucidum
Lobus insularis
Capsula interna,
crus anterius
Putamen
A. cerebri ant.
Gyrus parahippocampalis
2. Frontalschicht (Frischpräparat). Schnittebene durch das ventrale Corpus callosum Gyrus rectus
Abb. 5.35
_ — Gyrus cinguIi — __
„ - - Gyri orbitales — __ __
— — • Gyrus rectus
- Retroorbitaler Fettkörper
^ Ventriculus lateralis, v.
^ cornu anterius x
Putamen
Gyrus rectus — _
- Gyrus parahippocampalis
~· — Polus temporalis
2. Frontalschicht, Schnittebene durch die Gyri recti (Hypophyse und Chiasma sind im
Frischpräparat nicht dargestellt)
-Truncus corporis*
callosi
- Fornix — __
^ Lobus insularis
Corpus amygdaloideum
— Ventriculus lateralis, —
cornu inferius
Abb. 5.36
- Thalamus _
__ — Hypothalamus ___
- - Ventriculus tertius —
Substantia nigra - —
• Cisterna interpeduncularis —
Hippocampus
Gyrus cinguli — —
-- VentricuSus lateralis,—
pars centralis
— Pulvinar thalami
— Lamina tecti mesencephali — —
— Ventriculus quartus — — _
Cerebellum
_ Ventriculus lateralis. — _
cornu posterius
Sulcus calcarinus —
— Hemispherium cerebelli — —
6. Frontalschicht. Schnittebene durch Fossa cranii posterior, Lobus occipitalis und Cerebellum
Abb. 5.37
semiovale) der Hemisphären sowie die zentralen 5.2.4.4 Sagittale Schichten durch den Kopf
Teile der Seitenventrikel. Das Corpus callosum ist
nur im mittleren Bereich getroffen, der am weites- Sagittale Schnitte. Die Schichten verlaufen parallel
ten nach kranial reicht. zur Fissura longitudinalis (Abb. 5.38) und erlauben
insbesondere im Mediansagittalschnitt eine gute
Beurteilung auch der äußeren Ventrikelräume
5.2.4.3 Frontale Schichten (Abb. 5.39, 40).
durch den Kopf
1 2 3 4 5 6
Frontale Schnitte. Sie fuhren senkrecht durch die
Kanthomeatalebene (Abb. 5.33) und erlauben eine
detailreiche Darstellung insbesondere des Telenze-
phalons (Abb. 5.34, 35).
5. Schicht (Abb. 5.37). Schnittebene in Höhe des 1. Schicht (Abb. 5.41). Die Schädelhöhle wurde
Mesenzephalons und des Pons: Die Commissura in der Ebene der Crista galli und der Protuberan-
posterior ist sichtbar. Seitenventrikel mit Unterhorn tia occipitalis interna geschnitten, das Foramen
sowie der Anfangsteil des Aquaeductus mesence- magnum ist zu erkennen. Die Medianfläche des
phali sind zu erkennen. Gehirns sowie Furchen und Windungen des Telen-
zephalons sind sichtbar. Der III. Ventrikel, der
6. Schicht (Abb. 5.37). Sie stellt eine Schnittebene
Aquaeductus mesencephali, der IV. Ventrikel sowie
durch die Fossa cranii posterior dar. Die Schnitt-
die Mittellinienstrukturen des Dienzephalons und
ebene fuhrt durch den Cortex und das Marklager
des Hirnstamms sind deutlich zu erkennen.
des Lobus occipitalis, in dem die Hinterhörner der
Seitenventrikel zu sehen sind, sowie das Cerebel- 2. Schicht (Abb. 5.41). Der ca. 1 cm lateral von der
lum. Das Tentorium cerebelli trennt vollständig den Mediansagittalebene vorgenommene Schnitt liegt
supra- vom infratentoriellen Raum ab. lateral der Fossa hypophysialis und stellt den Sinus
cavernosus und das Foramen magnum dar. Ros-
traler und medialer Teil des Seitenventrikels sind
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392 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Sulcus centralis
Corpus callosum
Lipom
(pathologischer Befund)
Fornix
Thalamus
Commissura anterior
Commissure posterior
Lamina tecti,
Aquaed. cerebri
Cisterna interpeduncularis
Hypophysis
Arteria basilaris
Ventriculus quartus
Medulla oblongata
Cisterna cerebello-
medullaris (magna)
1. Sagittalschicht (MRT) in der Mediansagittalebene (Liquorräume weiß, deshalb sind die Erweiterungen des Subarach-
noidalraums. Zisternen, deutlich erkennbar)
Abb. 5.39
Sulcus centralis
Corpus callosum
Fornix
Adhaesio interthalamica
Commissura anterior
Mesencephalon
Corpus mamillare
Chiasma opticum
Ventriculus quartus
Regio praepiriformis
Pons
Tractus olfactorius
1. Sagittalschnitt {Frischpräparat) in der Mediansagittalebene
Abb. 5.40
^ , Septum pellucidum s
_ _ — - Fornix - __
- Aquaeductus mesencephaii -
— Hypophysis et infundibulum
~ Pons — — "*"
- - Lobulus paracentralis—
Gyrus cinguli —
Sulcus calcarinus —
Sulcus parietooccipitalis ^
/ Nucleus caudatus
- Thalamus —
— — Pons
~ — ~ Cerebellum
Abb. 5.41
Gyrus praecentralis
Gyrus postcentralis
Ventrioulus lateralis — ~~
retrobulbärer Fettkörper
4. Sagittalschicht, die Schnittebene liegt medial der Mittelebene des Bulbus ocuü
__ Lobus insularis
Ventriculus lateralis,
cornu inferius
Gyrus praecentralis —
Gyrus postcentralis — •
__ _ — - Sulcus lateralis — —
Lobus insularis
Kleinhirnhemisphäre -
Os temporale. Übergang
insCavumtympani
6. Sagittalschnitt, die Schnittebene liegt lateral der Orbita
Abb. 5.42
Reaktionen und es traten eine gesteigerte Peristal- oberfläche im Bereich der Substantia perforata
tik des Magen-Darm-Trakts sowie sympathotone anterior, also zwischen dem Ende des Tractus
Reaktionen hinsichtlich Atemfrequenz, Salivation olfactorius rostral, dem Tractus opticus medial
und Pupillomotorik auf. und dem Uncus des Temporallappens lateral
(s. Abb. 5.26, 51, 97). Kranial und rostral dieser
• Regio periamygdalaris. Basal des Mandel-
Kerngebiete liegen das Vorderhorn des Sei-
kerns liegen auf der medialen Oberfläche des
tenventrikels, das medial vor der Commissura
Temporallappens 2 Windungen, Gyrus ambi-
anterior bis zum Septum herunterreicht, und
ens und Gyrus semilunaris, die allerdings nur
die vordersten Anteile von Nucleus caudatus
am fetalen Gehirn und bei Tieren mit ausgepräg-
und Putamen. Letztere verschmelzen hier zum
tem Geruchssinn (Makrosmatiker) regelmäßig
Nucleus accumbens, der unterhalb der Spitze
klar abgegrenzt werden können. Der Gyrus
des Seitenventrikels topographische Beziehung
semilunaris entspricht der Außenfläche des
zu den lateralen Septumkernen gewinnt, wes-
Nucl. corticalis des Corpus amygdaloideum
halb er Nucleus accumbens septi genannt wurde
(s. unten). Im Gyrus ambiens schließt sich
(lat. accumbere: anlagern). Direkt oberhalb der
dorsal an den Cortex praepiriformis der Cortex
Commissura anterior liegen hier auch rostrale
periamygdaloideus an, ein Kortexareal, das
Anteile des Globus pallidus und der Capsula
von Teilen des Mandelkerns vorgewölbt wird.
interna. Dorsomedial schließen sich an das
Einige Autoren verwenden den Begriff Cortex
basale Vorderhirn die hypothalamischen Kern-
periamygdaloideus allerdings auch synonym mit
gebiete an, während basolateral am Übergang
Nucl. corticalis. Die rein deskriptive Bezeich-
in den Temporallappen Beziehungen zum Man-
nung Lobus piriformis für den vorderen Teil des
delkern (s. u.) bestehen. Den zentralen Bereich
Gyrus parahippocampalis sollte nicht mit dem
des basalen Vörderhirns nimmt die nur vage
Cortex praepiriformis gleichgesetzt werden. Sie
definierte Substantia innominata (Reichert)
bezieht im Allgemeinen zusätzlich den Cortex
ein, die aus mehreren Lamellen grauer Substanz
periamygdaloideus und die Area entorhinalis
besteht. Das auffalligste Kerngebiet innerhalb
(s. unten) mit ein.
dieser Region stellt der Nucleus basalis Mey-
• Septum pellucidum. Die mediale Wand der nert dar. Dieser Kern besteht aus mehreren
Vorderhörner beider Seitenventrikel wird vom Gruppen großer cholinerger Neurone und ist
Septum pellucidum gebildet, das vorwiegend beim Menschen besonders voluminös (s. Abb.
aus Gliazellen besteht. Dieses verbreitert sich in 5.121). Außerdem liegen hier in die Stria diago-
Richtung Hirnbasis und geht unterhalb des Ros- nalis eingebettete Zellgruppen.
trum corporis callosi, noch vor der Commissura
• Der Mandelkernkomplex, Corpus amygdalo-
anterior, beiderseits in die Septumkerngebiete
ideum, kurz: Amygdala. Das Corpus amygda-
über, die auf der Medianfläche der Hemisphäre
loideum liegt nahe dem Polus temporalis an der
den Gyrus paraterminalis vorwölben. Diese
Spitze des Unterhorns des Seitenventrikels und
Kerngebiete, Area septalis oder einfach Septum
an der medialen Fläche des Lobus temporalis
genannt, werden in eine mediale, eine laterale
und damit unterhalb von Putamen und Globus
und eine basale Kerngruppe unterteilt. Zur
pallidus. Es besteht aus einer medialen Rinden-
medialen Kerngruppe zählt der Nucleus striae
region im Bereich des Gyrus semilunaris (Nucl.
diagonalis, der eingebettet ist in die Stria dia-
corticalis) und einem lateralen Kernanteil, der
gonalis, das Broca-Diagonalband, das von
an der Oberfläche den Cortex periamygdaloi-
der Unter- auf die Medianfläche des Gehirns
deus vorwölbt.
umbiegt. Die basale Kerngruppe wird zur
Subnuclei der Amygdala. Der Mandelkern-
Pars basalis telencephali, dem basalen Vor-
komplex wird in mehrere Unterkerne gegliedert,
derhirn, gerechnet, das zwar nicht vollständig
in den oberflächlich gelegenen Nucl. corticalis,
zum Paleocortex gehört, hier aber wegen der
den Nucl. centralis, den Nucl. basalis sowie in
Topographie beschrieben wird.
den Nucl. lateralis. Aus entwicklungsgeschicht-
• Basales Vorderhirn. Die Kerngebiete der Pars
lichen Gründen kann man diese Unterkerne
basalis telencephali liegen beiderseits unter
in 2 Kategorien fassen, in die phylogenetisch
den Fasern der Commissura anterior (s. Abb.
ältere kortikomediale Gruppe {Nucl. cortica-
5.69). Basal grenzen sie an die Hemisphären-
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5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS 397
Iis, Nucl. centralis) und in die phylogenetisch Sulcus cinguli und basal durch den Sulcus collate-
jüngere basolaterale Gruppe (Nucl. basalis, ralis markiert.
Nucl. lateralis). Dabei empfangt die kortiko-
1. Archicortex
mediale Gruppe afferente olfaktorische Fasern
des Bulbus olfactorius und stellt außerdem das • Hippocampus (retrocommissuralis). Der
Ursprungsgebiet der Stria termina/is dar. Die Hippocampus besteht aus Cornu ammonis,
basolaterale Gruppe besitzt Faserverbindungen Gyrus dentatus (auch Fascia dentata genannt)
zum präpiriformen und entorhinalen Cortex und und Subiculum. Er stellt beim Menschen
damit zum Limbischen System (s. Abb. 5.115 eine ausgeprägte Vorwölbung des medialen
und 5.120). Kürzlich wurden auch Verbindun- Bodens des Cornu inferius ventriculi lateralis
gen zur Sehbahn postuliert. dar (s. Kap. 5.3, S. 433). Die Rinde des Gyrus
parahippocampalis geht in die des Subiculum
über, und diese wiederum in die Zellschichten
Archicortex und Periarchicortex des Cornu ammonis, welche sich einrollen und
in den Ventrikel vorwölben. Aus ihnen geht die
Die Rinden- und Kerngebiete des Archi- Fimbria hippocampi hervor, die den Beginn
und Periarchicortex bestehen aus folgenden des Fornix darstellt. Der Gyrus dentatus (so
Abschnitten: bezeichnet wegen seiner gezähnelten Oberfäche
1. Archicortex im Sulcus hippocampi) wird zentral von einer
Hippocampus retrocommissuralis (Subiculum, Körnerzellschicht gebildet, die kappenartig auf
Cornu ammonis, Gyms dentatus), dem Zellband des Cornu ammonis liegt (s. Abb.
Hippocampus supracommissuralis (rudimen- 5.122 und 123). Der Gyrus dentatus geht dorsal
tär), in den Gyrus fasciolaris über, wodurch er
Hippocampuspraecommissuralis (rudimentär). Kontakt zum Indusium griseum bekommt. Der
Gyrus parahippocampalis läuft rostral in den
2. Periarchicortex Uncus aus, der vor dem Hirnstamm nach medial
Regio entorhinalis (Area 28 nach Brodmann), vorspringt.
Regio praesubicularis, Besonders auf Frontalschnitten (s. Abb. 5.36) ist
Regio cingularis. die Struktur des Hippocampus gut zu erkennen.
Das griechische Wort hippokampos bedeutet
Hippocampus. Durch Zunahme des Größenwachs- „Seepferdchen", dessen Ähnlichkeit zur einge-
tums des Neocortex wurden Gyrus dentatus, rollten Struktur dieses Teils des Limbischen Sys-
Cornu ammonis (Hippocampus proprius) sowie tems betont werden soll. Gleichfalls beschreibt
das Subiculum, die gemeinsam als Hippocampus das lateinische Wort Cornu ammonis den Wid-
bezeichnet werden, in den Temporallappen hin- derhorn-artig gedrehten Verlauf von Fornix und
einverlagert. Der Begriff Hippokampusformation Hippocampus (die ägyptische Gottheit Ammon
schließt zusätzlich Anteile des Gyrus parahippo- wurde mit Widderhörnern dargestellt).
campalis (Area entorhinalis) mit ein.
• Hippocampus supra- et praecommissura-
lis. Aus dem retrokommissuralen Teil geht in
Die Hippokampusformation stellt einen zen-
Höhe des Splenium corporis callosi der aus
tralen Abschnitt des Limbischen Systems
dem Indusium griseum und den Striae longitu-
dar (s.Kap. 5.4.10.1) und ist für bestimmte
dinales bestehende rudimentäre Hippocampus
Gedächtnisfunktionen essentiell.
supracommissuralis hervor (s. Abb. 5.124). Er
zieht über den Balken hinweg nach rostral, um
Zum Neocortex hin wird der Hippocampus von
im Bereich des Balkenknies in den ebenfalls
einer breiten Übergangszone, dem Periarchicor-
rudimentären Hippocampus praecommissuralis
tex, umgeben. Dieser umgebende Ring wird vom
überzugehen. Diese Relikte beschreiben die
Gyrus cinguli, dem Isthmus gyri cinguli und vom
phylogenetische Wanderung des Hippocampus
Gyrus parahippocampalis gebildet (s. Abb. 5.36).
in den Temporallappen.
Die Grenze zum Neocortex wird dorsal durch den
2. Periarchicortex
Als Basalganglien, Nucll. basales, bezeichnet
• Regio entorhinalis. Sie liegt lateral des Hip- man die großen grauen Kerngebiete, die sich
pocampus (retrocommissuralis) sowie medial in der weißen Substanz des Telenzephalons
des Neocortex im Gyrus parahippocampalis befinden. Sie stehen anatomisch, funktionell und
und wird dem Periarchicortex zugezählt. Sie pathologisch in enger Beziehung zueinander.
entspricht dem Brodmann-Areal 28 (s. Kap.
5.4.10.2, Abb. 5.127 und 128) und grenzt rostro- Definition. Zu den Basalganglien zählen zunächst
medial an den Mandelkernkomplex . Die laterale als Abkömmlinge des Ganglienhügels des Telen-
Begrenzung wird vom temporalen Neocortex als zephalonbläschens der Globus pallidus lateralis,
Gyrus occipitotemporalis medialis bestimmt. der Nucl. caudatus, das Put amen, das Corpus
Zwischen beiden Strukturen liegt der Sulcus amygdaloideum und das Claustrum. Funktionell
rhinalis. Medial geht die entorhinale Rinde in (klinisch) werden zu den Basalganglien noch
die des Subiculum über, welche sich ihrerseits weitere Anteile des Extrapyramidalmotorischen
in das Pyramidenzellband des Cornu ammonis Systems (s. Kap. 5.4.7.5.1, S. 497) gezählt: der
fortsetzt (Abb. 5.122). Der entorhinale Cortex Globus pallidus medialis und der Nucl. subthalami-
stellt wegen seiner vielfaltigen Nachbarschafts- cus, die beide Derivate des Dienzephalonbläschens
beziehungen und Verbindungen mit weiten darstellen, sowie die Substantia nigra (s. Abb. 5.18,
Bereichen des Neocortex und des Limbischen 31 und 52) und der Nucl. ruber als Derivate des
Systems ein sehr wichtiges Integrationszentrum Mesenzephalonbläschens.
fur multimodale sensorische Informationen dar.
Dabei bestehen enge Verbindungen zum Limbi- • Schweifkern (Schwanzkern), Nucl. caudatus.
schen System. Dieser schwanzförmige Kem beschreibt einen
Halbbogen in der Wand des Seitenventrikels,
• Regio praesubicularis, Praesubiculum. Es
wobei sein Kopf, das Caput nucl. caudati, als
bildet eine Übergangszone zwischen der Area
rundliche, von Ependvm bedeckte Vorwölbung
entorhinalis und dem Subiculum des Hippocam-
die laterale Wand des Cornu anterius ventriculi
pus. Es ist ebenfalls als eine wichtige Relaissta-
lateralis einbuchtet (s. Abb. 5.32, 34, 35). Nach
tion für die Fasern des Gyrus cinguli zur Area
dorsal verjüngt er sich zum Körper, Corpus
entorhinalis anzusehen, wodurch es funktionell
nucl. caudati, und legt sich als Schwanz, Cauda
zum Limbischen System und insbesondere zum
nucl. caudati, lateral an den Thalamus an. In der
Papez-Neuronenkreis gerechnet wird (s. Kap.
Rinne, die sich so zwischen Nucl. caudatus und
5.4.10.1, S. 521)
Thalamus in der Wand der Pars centralis des
• Regio cingularis. Die balkennahen Anteile Seitenventrikels ausbildet, verlaufen die Striae
des Gyrus cinguli werden zum Periarchicortex terminales (Verbindungen zwischen Amygdala
gerechnet. Von der eigentlichen Area cingularis und Hypothalamus) sowie die V. thalamostriata.
werden nach rostral die Area subcallosa und Im Unterhorn des Seitenventrikels biegt der
nach dorsal die hinter dem Splenium corporis Nucl. caudatus nach rostrobasal in den Tempo-
callosi gelegene Area retrosplenialis abge- rallappen ein, so dass er in Frontalschnitten stel-
grenzt. Aufgrund ihrer morphologischen Nach- lenweise zweimal getroffen wird. Die Schwanz-
barschaftsbeziehungen und Verbindungen wird spitze des Nucl. caudatus gelangt rostral bis an
diesen Arealen eine funktionelle Vermittlerrolle den Mandelkernkomplex heran (s. Abb. 5.36).
zwischen dem Neocortex und dem Archicortex
• Streifenkörper, Corpus striatum. Als Corpus
zugesprochen.
striatum (kurz: Striatum) werden traditionell
der Nucl. caudatus und das Putamen (s. Abb.
5.2.5.2 Basalganglien, Nuclei basales 5.47), in neuerer Zeit auch der Nucl. accumbens
(als ventrales Striatum) und das Tuberculum
olfactorium pars striata zusammengefasst.
Lernziele: Nucl. caudatus, Striatum, Putamen,
Der Name Streifenkörper leitet sich aus dem
ventrales Striatum, Nucl. accumbens, Globus
makroskopischen Aspekt alternierender Streifen
pallidus und Claustrum.
weißer Faserbündel und grauer Kemgebiete ab.
Das Putamen und der Nucl. caudatus sind im
rostralen Bereich miteinander verbunden und Striatum, eine dopaminerge Projektion aus dem
nur stellenweise von Fasern der Capsula interna ventralen Tegmentum (s. Kap. 5.4.7.5).
getrennt. Gemeinsam werden sie auch als
Neostriatum bezeichnet, weil sie ein phyloge- Klinik: Funktionell werden dem Nucl. accum-
netisch jüngeres, dem Neocortex zugeordnetes bens die Integration von Informationen sowohl
Kerngebiet darstellen. Sie bilden das wichtigste aus den Basalganglien als auch aus dem Lim-
Zentrum für die Steuerung der Extrapyramidal- bischen System zugeschrieben. Neueste For-
motorik, in das außerdem noch der Globus palli- schungen sprechen ihm dabei eine große Bedeu-
dus mit einbezogen ist (s. Kap. 5.4.7.5, S. 496). tung für die Entstehung von psychomotorischen
Störungen, der Schizophrenie sowie anderer
Klinik: 1. Schädigung und Atrophie des Stri- neuropsychiatrischer Erkrankungen zu.
atum treten u.a. beim Morbus Huntington auf.
Diese Erbkrankheit entsteht v. a. durch einen • Blasser Kern, Globus pallidus. Namensge-
ausgeprägten degenerativen Verlust von Pro- bend ist seine im Vergleich zum Putamen hellere
jektionsneuronen im Striatum. 2. Etwa in der Schnittfläche im makroskopischen Präparat (lat.
Lebensmitte kommt es in zunehmendem Maße pallidus = blass). Er wird an seiner lateralen
zu unwillkürlichen, choreatiformen (tanzenden) Seite durch die Lamina medullaris externa
Bewegungen, die auch mit Veränderungen der vom Putamen abgegrenzt und durch die Lamina
Persönlichkeit und progredienter Demenz ver- medullaris interna in ein inneres und äußeres
bunden sind. Segment, Globus pallidus medialis et late-
ralis, geteilt (s. Abb. 5.29, 30). Die Segmente
• Schale, Putamen. Es liegt lateral des Caput des Globus pallidus enthalten unterschiedliche
nucl. caudati und medial der Capsula externa, Projektionsbahnen (s. Abb. 5.111).
die das Putamen vom Claustrum trennt. Auf
das Claustrum folgen nach außen die Capsula Der Globus pallidus ist entwicklungsge-
extrema und die Inselrinde. Die Medianfläche schichtlich dienzephaler Herkunft und durch
des Putamens ist durch die Lamina medullaris die einwachsenden Fasern der Capsula interna
lateralis vom äußeren Segment des Globus nach lateral verlagert worden, so dass er an das
pallidus getrennt. Über die Capsulae interna et Putamen gedrängt wurde. Beide Kerne werden
externa treten Fasem ins Putamen ein, während wegen ihrer gemeinsamen Form als Linsen-
es basal einen Übergang zur Substantia inno- kern, Nucl. lentiformis, zusammengefasst.
minata bildet. Relativ versteckt liegt hier das
ventrale Putamen (Abb. 5.32).
Klinik: 1. Der Globus pallidus gilt als Zentrum
• Ventraler Teil des Streifenkörpers, Striatum
der Trieb- und primitiven Reaktionsbewegun-
ventrale. Die Commissura anterior, deren hinte-
gen sowie des unmittelbaren motorischen Aus-
rer Schenkel in der Basalfläche des Linsenkerns
drucks. So bewirkt eine doppelseitige Läsion
in einer Rinne verläuft, grenzt einen kleinen
des Globus pallidus eine starke Bewegungsar-
Anteil des Putamens und des Globus pallidus ab.
mut, Hypokinesie, und eine merkliche Abnahme
Die so abgegrenzten Teile werden als ventrales
der motorischen Geschicklichkeit, die sich in
Striatum bezeichnet und liegen in der Substantia
ataktischen Störungen äußert. 2. Allgemein
innominata des basalen Telenzephalons. Zusam-
kann dem Globus pallidus eine exzitatorische
men mit den Nucll. accumbens et dorsomedialis
Funktion zugeschrieben werden, die aber ihrer-
thalami zählt das ventrale Striatum zum limbi-
seits einer inhibitorischen Kontrolle durch das
schen Teil der Basalganglien.
Corpus striatum unterliegt.
• Nucl. accumbens (septi). Der kleine rostro-
basale Bereich des Striatalen Kernkomplexes
• Vormauer, Claustrum. Das Claustrum liegt
wird auch Nucl. accumbens (septi) genannt. Er
lateral der Capsula externa an. Es stellt eine
liegt rostral zwischen Nucl. caudatus und Put-
dünne Platte aus grauer Substanz medial der
amen und grenzt medial an den Nucl. septalis
Inselrinde dar, von der es durch eine dünne
lateralis. Der Nucl. accumbens erhält, wie das
Faserlamelle, die Capsula extrema, getrennt ist
(s. Abb. 5.29). Auf Horizontalschnitten erscheint
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400 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
. --Corpus callosum
Fibra arcuata longa"
Abb. 5.43: Fasersysteme in der weißen Substanz des Großhirns; Assoziationsfasern = rot; Kommissurenfasern
= blau und Projektionsfasern = schwarz; schematisch in einen Frontalschnitt in Höhe der Adhaesio interthalamica
eingetragen
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5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des Z N S 401
Abb. 5.44: Plastiniertes Faserpräparat der weißen Substanz der Großhirnhemisphäre. Zu sehen sind
insbesondere die Radiatio thalami, aber auch Fibrae arcuatae breves
zum Epithalamus des Dienzephalons und ver- Crus anterius (zwischen Caput nucl. caudati
bindet die Nucll. habenulares thalami miteinan- und Linsenkern), sowie ein breites Knie, Genu,
der. erkennen, welches in Höhe des Foramen inter-
• Hintere Querverbindung, Commissura ventriculare (Monroi) liegt. Das Knie setzt sich
posterior. Sie ist ein Teil des Mesenzephalons in den hinteren Schenkel, Crus posterius, zwi-
und ermöglicht insbesondere die Kreuzung von schen Thalamus und Linsenkern fort. Die Faser-
Fasern der Area praetectalis für die Pupillenre- systeme der Capsula interna unterliegen einer
flexe (s. Kap. 5.4.2.4, S. 461). topischen Anordnung, wobei die kürzeren tha-
lamokortikalen Projektionsfasern mehr medial
3. Projektionsfasern
und die längeren kortikospinalen Fasern mehr
lateral verlaufen. In ihrer Gesamtheit werden die
Sie stellen Fasern dar, die von der Rinde zu Fasern der Capsula interna als Strahlenkranz,
tiefer gelegenen Hirnabschnitten ziehen und Corona radiata, zusammengefasst.
umgekehrt (kortikofugale und kortikopetale
• Thalamusstrahlung, Radiatio thalami. Hier-
Fasern) (schwarz in Abb. 5.43).
unter versteht man die Projektionsfasern zwi-
schen Thalamus und Cortex einer Hemisphäre,
Unterschieden werden:
die nach Passage der engen Capsula interna
• Innere Kapsel, Capsula interna. Die Projek- strahlenartig auseinanderweichen und in die
tionsfasern der Hirnrinde wachsen durch die Rindenareale (und von dort zurück in den Tha-
zentralen Kerngebiete hindurch, wo sie die lamus) projizieren. In der Corona thalami ver-
innere Kapsel bilden. Sie wird lateral vom Nucl. laufen also kortikothalamische und thalamokor-
lentiformis und medial von Nucl. caudatus und tikale Fasern als Fasciculi thalamocortical in
Thalamus begrenzt (s. Abb. 5.30, 34, 46 und topischer Anordnung. Die Corona thalami wird
110). Auf Horizontalschnitten (und nur auf in einen vorderen (Abb. 5.45, gelb dargestellt),
diesen, die daran auch zu identifizieren sind) oberen (schwarz), hinteren (grün) und unteren
erscheint die Capsula interna V-förmig. So (blau) Thalamusstiel unterteilt.
lässt sie einen schmalen vorderen Schenkel,
Thalamus
Nucleus caudatus
\
I \
Crus cerebri Tractus opticus
Abb. 5.45: Schema der Thalamusstiele (Radiationes thalami oder Fasciculi thalamocorticales\ verändert nach
Tandler). An einem durchsichtig gedachten Gehirn ist der Linsenkern entfernt und das Crus cerebri am Über-
gang in die Capsula interna durchtrennt. Gelb = vorderer, schwarz = oberer, grün = hinterer, und blau = unterer
Thalamusstiel
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5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS 403
vorderer Thalamusstiel
Tractus frontopomnus
Nucleus caudatus
Crus anterius capsulae internae — _ . vorderer Thalamusstiel (Querschnitt)
Tractus temporopontinus -
Radiatio acustica
Radiatio optica -
Tractus occipitopontinus
Cerebellum
Abb. 5.46: Horizontalschnitt durch das Gehirn in Höhe der Basalganglien (in der Capsula interna
sind die Bahnen eingezeichnet)
hirndach nach dorsal entwickelt. Der III. Vent- Verbindung zur Zirbeldrüse herstellen. Der
rikel hat einen kleinen Recessus pinealis an der Habenulakomplex erhält Afferenzen aus den
Epiphyse (s. Abb. 5.73). Die Zirbeldrüse liegt Septumkernen sowie aus dem rostralen Teil
der Vierhügelplatte auf und ist in Bindegewebs- des Hypothalamus. Seine Efferenzen ziehen als
trabekel der weichen Hirnhaut eingewoben. Sie Fasciculus retroflexus (Meynert), oder Trac-
wird von sympathischen Nervenfasern aus dem tus habenulointerpenduncularis, in die Tiefe
Ganglion cervicale superius erreicht (zur Funk- zum Nucl. interpeduneularis und zur Formatio
tion s. Kap. 5.4.11.4, S. 549). reticularis mesencephali. Die Habenulae (lat. =
Dieses unauffällige kleine Organ ist medizinhistorisch Zügel, Halter) stellen die Fortsetzung der Striae
immer wieder Anstoß wissenschaftlicher Spekulationen medulläres zur Epiphyse dar.
gewesen, die im jeweiligen theoretischen Kontext der
einzelnen Epochen standen. Rene Descartes lokalisierte Klinik: Über den Fasciculus retroflexus können
hier im 17. Jahrhundert das Verbindungselement des olfaktorische und limbische Impulse über
somatischen Körpers mit einer immateriellen Seele. Umschaltstationen im Mesencephalon Einfluss
Francois Magendie nahm im 19. Jahrhundert an, dass die
auf viszerale Funktionen nehmen. Das gilt
Zirbeldrüse ein Ventil darstelle, welches die Zirkulation
insbesondere für die Bedeutung der Riechemp-
des Liquor cerebrospinalis kontrollieren sollte. Heute
geht man davon aus, dass es sich um ein endokrines findung auf die Nahrungsaufnahme, so für die
Organ handelt. So hat etwa die vergleichende Physio- Speichelsekretion in der kephalen Phase oder
logie festgestellt, dass das Corpus pineale bei primitiven den Brechreiz bei widerwärtigen Gerüchen.
Wirbeltieren lichtempfindlich ist (Parietalauge) und die
zirkadiane Rhythmik der Hormonsekretion steuert. • Epithalamische Querverbindung, Commis-
sura epithalamica (posterior). Sie ragt auf der
Klinik: 1. Das Corpus pineale lagert im Lauf Höhe zwischen Pinealorgan und Lamina tecti in
des Lebens häufig Kalksalze, Acervulus (lat. = den III. Ventrikel vor und beinhaltet kreuzende
Hirnsand), ein. Hierdurch wird es als median Fasern der Area praetectalis und der Colliculi
liegende Struktur in Röntgenbild und cCT sicht- superiores (s. Abb. 5.39).
bar. Das Corpus pineale diente vor Einfuhrung
von cCT und MRT als topographischer Orien- Thalamus (Thalamus dorsalis)
tierungspunkt, da es sich annähernd zentral
im kugelförmig gedachten Schädel befindet. Der Thalamus dorsalis (im klinischen Sprachge-
Eine Lageverschiebung konnte daher sichtbar brauch wird auf den Zusatz „dorsalis" verzichtet)
gemacht und als Zeichen von Massenverschie- ist ein Derivat der dienzephalen Flügelplatte und
bungen des Hirnparenchyms gedeutet werden. stellt funktionell die wichtigste Relaisstation der
2. Pinealome stellen insbesondere frühkindliche Sinnesbahnen des Körpers (kutan, gustatorisch,
Tumoren dar, die oft eine ernste Prognose haben. optisch, akustisch und vestibulär) dar.
Durch Druckläsionen umgebender Strukturen
(Commissura posterior, Area praetectalis, Colli- Das griechische Wort thalamos bedeutet „Kam-
culus superior) stellt sich zunächst eine vertikale mer". Ursprünglich wurde der Thalamus als nach-
Blickparese ein, da in der Commissura posterior geschalteter Abschnitt der Sehbahn angesehen,
auch Fasern der vertikalen Blickregulation des was nach heutigem Wissensstand aber nur für das
Mesenzephalons kreuzen: Parinaud-Syndrom. Corpus geniculatum laterale zutrifft.
Anschließend kann es durch Druck auf die Area
Topographische Lage (Abb. 5.47). Der Thalamus
praetectalis zu einem Ausfall des Pupillenrefle-
nimmt den größten Teil des Dienzephalons ein. Er
xes kommen.
bildet die laterale Wand des III. Ventrikel, in dessen
Lumen er sich weit vorwölbt (s. Abb. 5.24, 29,
• Habenulakomplex. Am mediodorsalen Thala- 39, 40, 47). Auch an der Bildung des Bodens der
mus liegt eine längliche, sich nach dorsal ver- Seitenventrikels ist er stellenweise beteiligt. In der
breiternde Vorwölbung, der Nucl. habenularis Verlängerung der Haubenregion ins Diencephalon
thalami, auch: Trigonum habenulare (s. Abb. liegen beiderseits Kerne des zentralen thalamischen
5.50). Medial verlaufen zwei dünne Markbün- Höhlengraus (Nucll. mediani). Das Pulvinar (lat. n.
del, die Striae medulläres thalami, die eine = Sitzkissen) thalami und die Corpora geniculata
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406 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
\ \
Columna fornicis (durchschnitten) \ / '
' / __ Septum pellucidum
Capsula interna \
ICrus anterius) N x N
χ /
X Caput nuclei caudati
X
\
V. thalamostriata-
Claustrum
Foramen Putamen
interventriculare Nucleus
lenti-
Nucleus Globus
formis
anterior pallidus
Nucleus
Thala-/ Nucleus - lateralis
Thalamus
mus lateralis Nucleus
medialis
Nucleus Cauda nuclei
media Iis
caudati
X
Colliculus superior X
X
Plexus choroideus
Calliculus inferior
ventriculi lateralis
liegen an der Oberfläche des Hirnstamms lediglich des Thalamus befindet sich die Capsula interna,
von der weichen Hirnhaut bedeckt. Häufig verbin- was besonders auf Frontalschnitten gut zu sehen ist
det eine schmale Brücke von Gliazellen die Tha- (s. Abb. 5.36).
lami beider Seiten als Adhaesio interthalamica
Beziehung zum III. Ventrikel. Dorsal liegt dem
(s. Abb. 5.29). Im Boden des Seitenventrikels liegt
Thalamus die dünne Lamina affixa auf, ein Teil
dem Thalamus der Nucl. caudatus dorsolateral auf
des Telenzephalonbläschens, welches zum Boden
(s. Abb. 5.25, 37 Mitte). Zwischen diesen beiden
der Pars centralis ventriculi lateralis wird. An der
Kerngebieten verläuft die Stria terminalis, eine
Lamina affixa ist der Plexus choroideus ventriculi
Faserbahn vom Corpus amygdaloideum zum Hypo-
lateralis befestigt (Taenia choroidea). Am Tha-
thalamus (Regio praeoptica et Nucl. ventromedialis
lamus selbst ist im Bereich der Stria medullaris
hypothalami), sowie die Vena thalamostriata.
die Plexus choroideus ventriculi tertii befestigt
Basal folgen dem Thalamus der Hypo- und der (Taenia thalami). Die darüber liegende Platte, Tela
Subthalamus. Der rostrale Pol des Thalamus wölbt choroidea, ist mit dem Plexus zwischen beiden
sich gegen das Foramen interventriculare (Monroi) Thalami ausgespannt und bildet das Dach des III.
vor. Den dorsalen Pol bildet das Polkissen, Pulvi- Ventrikels. Beide Anheftungsstellen werden bei der
nar, das an der Hirnoberfläche in die Cisterna Präparation des Thalamus und bei Entfernung des
ambiens hineinragt. Lateral unter dem Pulvinar Plexus choroideus sichtbar (s. Abb. 5.18, 24, 25,
liegen die beiden Kniehöcker: Corpora genicu- 29, 39, 40 und 47).
lata laterale et mediale, welche als Metathalamus
Innere Gliederung (Abb. 5.48). Der Thalamus ist
zusammengefasst werden. An der lateralen Seite
ein großer, aus etwa 150 Kerngebieten bestehender
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5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung d e s Z N S 407
A Nucl. anterior
Pallidum
Va Nucl. ventralis anterior
Ncl basatis Meynert -Tr. mamiliothalaniicus
VI Nucl. ventralis lateralis χ
Vp Nucl. ventrahs posterior Amygdala
MD Nucl. mediodorsalis Hypothalamus
CM Nucl. centromedianus
Lp Nucl. lateralis posterior
Ld Nucl. lateralis dorsahs
fith Nucl. reticularis thalami
CGM Corpus geniculatum mediale
CGL Corpus geniculatum laterale
X
ßasalganglien
Area 1 8 , 1 9 ^
Tr. opticus \
Kleinhirn
/
Colliculus inf.
Tractus lemniscus medialis u. Tr. spinothalamicus
opticus
Abb. 5.48: Thalamuskerne mit Hauptafferenzen und mit d e n Projektionen in die Großhirnrinde.
Herkunftsgebiete und Zielorte sind in gleicher Farbe dargestellt
Komplex, der durch feine Marklamellen, die mit unspezifische Truncothalamus, (unspezifische
bloßem Auge gerade noch erkannt werden können, Thalamuskerne) setzt sich hingegen aus den
unterteilt wird. Durch die gebogene Lamina kleinen, in den Marklamellen gelegenen Nucll.
medulläres interna werden mediale, laterale und mediani et intralaminares zusammen, wobei der
anteriore Kerngruppen getrennt. Hinsichtlich Nucl. centromedianus den größten Anteil der
ihrer Funktion und Verschaltung werden (stark letztgenannten Kerngruppe ausmacht.
vereinfacht) Palliothalamus und Truncothalamus
oder spezifische und unspezifische Thalamus- Der Thalamus wird von einer Marklamelle umge-
kerne unterschieden: ben, deren Fasern als Lamina medulläres externa
bezeichnet werden. Zwischen ihr und der Capsula
Spezifische Thalamuskerne: jede Kerngruppe ist
interna liegt der Nucl. reticularis thalami, wel-
mit einer bestimmten Region des Cortex verknüpft
cher basal mit der Zona incerta eine Verbindung
(Palliothalamus).
zum Subthalamus herstellt. Afferenzen stammen
Unspezifische Thalamuskerne: Es bestehen insbesondere vom Globus pallidus, aber auch aus
Faserbeziehungen zum Hirnstamm und zum Stri- anderen Regionen. Vom Nucl. reticularis tha-
atum, aber keine direkte Verbindung zum Cortex lami werden sie zu den einzelnen thalamischen
(Truncothalamus). Kerngebieten weiterprojiziert, so dass ihm eine
wichtige Integrationsfunktion thalamokortikaler
Zum spezifischen Palliothalamus (spezifische und kortikothalamischer Aktivitäten zugesprochen
Thalamuskerne) werden die Nucll. anterior, wird. Zusätzlich bestehen diverse Verbindungen
medialis, lateralis et ventralis sowie das Pulvi- zwischen dem Nucl. reticularis thalami und dem
nar gezählt. Ebenso rechnet man funktionsspezi- Cortex cerebri, so vom rostralen Kernbezirk zum
fische Zentren der Corpora geniculata dazu. Der frontalen Cortex, vom mittleren Teil zum medial
Diaphragma sellae
Hypophysenstiel
_ — Ν oculomotorius
Hypophyse A » - Ν. trochlears
• Hirnanhangsdrüse, Hypophysis. Die boh- (s. Abb. 5.136, 137, 138, sowie Kap. 5.4.11,
nenförmige, ca. 0,6-0,8 g schwcre Drüse liegt S. 543). Dorsal der Ansatzstelle des Hypophy-
in der durch die Sella turcica gebildeten Fossa senstiels verdickt sich der Zwischenhirnboden
hypophysialis des Keilbeins und hängt mit zur Eminentia mediana. Sie ist Teil des Tuber
einem trichterförmigen Stiel am Hypothalamus cinereum, das die Umrandung des Infundibulum
(s. Abb. 5.26, 27, 34, 69). Dieser Stiel zieht bildet (s. Abb. 5.26).
durch ein Loch im von der harten Hirnhaut
gebildeten Diaphragma sellae hindurch (Abb.
5.49). Man unterscheidet eine vordere, makro- 5.2.6 Regionale Anatomie
skopisch bräunlich gefärbte Adenohypophyse des Hirnstamms
(Hypophysenvorderlappen) und eine hintere,
gräuliche Neurohypophyse (Hypophysenhin- Lernziele: Hirnstammgliederung, regionale
terlappen). und topographische Anatomie des Hirnstamms,
• Adenohypophyse. Sie bildet den Hypophysen- Mittelhirn, Vierhügelplatte, Mittelhirnhaube,
vorderlappen, der % des Organs einnimmt. Auf Rautenhirn, Hirnnerven im supra- und infraten-
das Infundibulum legt sich die Pars tuberalis; toriellen Raum, verlängertes Mark
den Hauptteil bildet die Pars distalis, und zur
Neurohypophyse hin lässt sich die Pars inter- Der Hirnstamm, Truncus encephali, wird aus
media abgrenzen. Neben anderen Wirkungen Mesencephalon, Pons und Medulla oblongata
ist die Adenohypophyse den Gonaden, der (Bulbus) gebildet.
Schilddrüse und den Nebennieren übergeordnet,
deren Funktion sie durch gonadotrope undglan- Lagebeziehungen des Hirnstamms. Sie richten
dotrope Hormone steuert. sich nach der Meynert-Achse (s. Abb. 2.16). Mit
• Neurohypophyse. Diese bildet den Hypo- Ausnahme des I. und II. gehen alle Hirnnerven aus
physenhinterlappen, die Pars nervosa oder dem Hirnstamm hervor, bzw. treten in ihn ein.
den „Lobus nervosus" und geht als Hypo-
Nach einer anderen Sichtweise werden dem Hirn-
physenstiel, Infundibulum, ins Diencephalon
stamm auch sämtliche Anteile zugerechnet, die
über. In der Neurohypophyse werden keine
aus der aufrecht erhaltenen Unterscheidung von
Hormone gebildet. Sie dient als Speicher- und
Grund- und Flügelplatte bis zur Lamina terminalis
Abgabeort derjenigen Hormone, die ihr durch
im Diencephalon hervorgehen. Danach bleibt der
axonalen Transport aus dem Hypothalamus
Hirnstamm übrig, wenn man die Cortices cerebri et
über den Hypophysenstiel zugeführt werden
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412 5 Zentrales N e r v e n s y s t e m , G e h i r n u n d R ü c k e n m a r k
Taenia choroidea —
•-rT /
/
mfigpv^„>
/
/
/
/
/ , '
/ j
^ ^ Trigonum lemnisci
^ Pulvinar thalami
Corpus geniculatum
mediale laterale N. trochlearis, Insula, Corpora Substantia
Pulvinar thalami Crus cerebri Tractus opticus mamillaria perforata anterior
\ \ 1 / Stria olfactoria
Lamina tecti \ \ / / lateralis
\ \ Ν x
\
Cerebellum \ \ ν Tuber cinereum,
\ s v
Infundibulum
• N. opticus
Chiasma opticum
_ Stria olfactona
medialis
Fissura longitudinalis
— — " cerebri
Bulbus olfactorius
phali, auch Pars dorsalis pedunculi cerebri, um sich nachfolgend um den Pedunculus cerebri
3. Großhirnschenkel, Crura cerebri, auch: nach rostral zu wenden. Vom unteren Hügel zieht
Pars ventralis pedunculi cerebri (vom Cortex ein deutlicher Wulst, das Brachium colliculi infe-
absteigende Bahnen: Tractus pyramidalis und rioris, schräg lateral und aufwärts zum CGM, wäh-
die Tractus corticopontini, die sich dem Mesen- rend vom oberen Hügel das schmale Brachium
cephalon angelagert haben). colliculi superioris zum CGL führt.
In der Dorsalansicht (s. Abb. 5.50) überblickt man
Vierhügelplatte, Lamina tecti (Corpora qua-
das Crus cerebri sowie das Trigonum lemnisci, ein
drigemina). Nach Entfernung des Kleinhirns ist
von Brachium colliculi inferioris, Crus cerebri und
das Mittelhirn von dorsal gut zu erkennen (s. Abb.
Pedunculus superior cerebelli begrenztes Dreieck.
5.50). Diese Ansicht zeigt die Lamina tecti mit den
In ihm verläuft der Lemniscus lateralis, die late-
Colliculi superiores und den Colliculi inferiores,
rale Schleife der Hörbahn (s. Abb. 5.53 und Kap.
welche durch kreuzförmige Furchen voneinander
5.4.3.3, S. 470). Der Lemniscus lateralis verläuft
getrennt sind. Der Furche zwischen den beiden
zum Colliculus inferior und zum CGM. Rostrai legt
oberen Hügeln liegt das Corpus pineale auf. Zwi-
sich der Tractus opticus dem Pedunculus cerebri
schen den beiden unteren Hügeln beginnt ein feiner
an, um mit seiner breiten Radix lateralis zum CGL
weißer Streifen, das Frenulum veli medullaris
sowie mit seiner schmaleren Radix medialis zum
superioris, das nach basal in das Velum medulläre
Colliculus superior zu gelangen (s. Abb. 5,51,
superius des Kleinhirns übergeht. Lateral des Fre-
85).
nulums tritt am basalen Rand des Colliculus infe-
rior der dünne N. trochlearis aus (s. Abb. 5.53),
-Nucleus ruber
cerebri
x Tractus
occipitotemporopontmus
X Tractus corticospinals
"""" ~ Tractus corticonuclearis
Substantia nigra Tractus Decussatio Ν. oculomotorius Tractus frontopontinus
rubrospinalis tegmenti
ventral is
Aquaeductus cerebri
Nucleus colliculi inferioris
! Ν trochlearis /Substantia grisea centralis
/
Tractus
Pedunculus cerebellaris
superior mesencephalicus η. V
Nucleus n. trochlearis
Lemniscus lateralis . .
Fasciculus longitudinalis
Tractus spinothalamicus - „ •"""" medialis
— Tractus corticospinalis
Tractus corticonuclearis
Recessus posterior fossae ·
interpeduncular^
Tractus frontopontinus
Die Oberfläche der Rautengrube wird von Epen- ris, das Olivensystem sowie unterschiedliche
dym und einer schmalen Schicht des zentralen Neuronengruppen und Bahnen spezifischer
Höhlengraus gebildet. Die unmittelbar dahinter Transmittersysteme.
gelegenen Kerne und Faserbahnen wölben die • Kerngebiete der Rautengrube (s. Abb. 5.54).
Oberfläche stellenweise sichtbar vor (s. u.). Unmittelbar unter der Rautengrube liegen viele
• Rautenhaube, Tegmentum rhombencephali. Hirnnervenkerne, die sich gegen den IV. Vent-
Der Boden der Rautengrube wird vom Teg- rikel vorwölben. Basal der Striae medulläres
mentum rhombencephali eingenommen. Es neben dem Sulcus medianus liegt das Trigo-
enthält vegetative und somatische Faserbahnen num n. hypoglossi. Darunter befindet sich der
verschiedener Herkunft, die Formatio reticula- Nucl. n. hypoglossi, und rostral liegt der Nucl.
- Epiphysis
Nucleus ruber—
- Nucleus accessorius
(autonomicus) n. oculomotor»
Nucleus (motorius) n.
oculomotorii
- Nucleus tractus mesenceph η. V
- N. trochlearis (IV) et
R. meningeus n. trigemini
Nuclei cochleares
— Tractus solitarius
~ Nucleus ambiguus
— Tractus solitarius
Abb. 5.54: Räumliche Darstellung der Hirnnervenkerne. Motorische Kerne = rot, sensible Kerne = blau, Vesti-
bulariskerne = hellgrün, Cochleariskerne = dunkelgrün, parasympathische Kerne = gelb (nach Braus und Elze,
1960)
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5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS 417
Tractus mesencephalicus η. V
Nucleus motorius η. V
Tractus spinalis η. V
Tractus rubrospinalis
Lemniscus lateralis
Tr. spinothalamicus ι
I Lemniscus
Ganglion trigeminale
\\
\\
/ \
Tractus Cellulae Tractus Tractus corticospinalis
corticopontinus nucleorum pontis corticonuclearis
Abb. 5.55: Querschnitt durch die Mitte des Pons in Höhe des Trigeminusaustritts
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5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des Z N S 419
Nucleus dentatus
_ Pedunculus cerebellaris
superior
Pars_
Pedunculus mediaiis - Ventricutus IV
cerebellaris
inferior Pars _
lateralis Nuclei vestibuläres
Pedunculus cerebellaris
Pedunculus cerebellaris
medius inferior
VIT /
Tractus corticonuclearis Tractus Formatio Corpus trapezoideum
et corticospinalis corticopontinus reticularis et lemniscus mediaiis
Abb. 5.56: Querschnitt durch das Metencephalon in Höhe des Nucl. abducens und des inneren Fazialisknies; die
Kleinhirnhemisphären sind nur zum Teil dargestellt (stark schematisiert)
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420 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Tractus soiitarius.
Pedunculus cerebellaris
inferior
Fasciculus.
longitudinalis medialis
N u c l e u s tractus spinalis
Tractus teclospinalis n.V
Tractus spinalis n . V
Nucleus ambiguus
Nucleus ambiguus
Tractus rubrospinalis
Tractus olivocerebellaris
et Tr. spinocerebellaris
posterior
Tractus spino- Ganglion superius
t h a l a m i c s lateralis Tr. spinocerebellaris
posterior
Tr. spinocerebellaris
anterior
Tractus tegmentalis
centralis inferius
Nucl. otivaris
accessorius dorsalis
Lemniscus medialis
N u c l e u s oiivaris
Nucl. oiivaris
accessorius medialis Tractus
Pyramis
(Tractus corticospinalis) olivocerebellaris
Abb. 5.57: Querschnitt durch das Myelencephalon (Medulla oblogata) in Höhe der Olive und des Austritts der
Nn. glossopharyngeus et vagus
IX. und X. Hirnnerv, N. glossopharyngeus und äußeren Gehörgangs), zum viszerosensiblen Nucl.
N. vagus, s. Abb. 5.57. Sie weisen eine Vielzahl soiitarius inf. (für die Geschmacksempfindung des
unterschiedlicher Faserqualitäten auf (somato- und Rachens), des viszeromotorischen Nucl. ambiguus
viszerosensibel, somato- sowie viszeromotorisch) (für die Pharynxmuskulatur) sowie des großen
und haben als Schlundbogennerven mehrere mor- viszeromotorischen Nucl. dorsalis n. vagi (für die
phologische Gemeinsamkeiten. Im IX. Hirnner- Innervation der Eingeweidemuskulatur bis zum
ven verlaufen Fasern des viszerosensiblen Nucl. Cannon-Böhm-Punkt (s. Kap. 12.3.5.1, S. 996)
spinalis η. trigemini (für Schmerz- und Tempera- und verläßt die Cavitas cranii durch das Foramen
turempfindung des Gaumens und des Rachens), jugulare (s. Kap. 4.4.2.3, S. 213).
des viszerosensiblen Nucl. soiitarius inf. (fur die
XI. Hirnnerv, N. accessorius. Er stammt aus
Geschmacksempfindung des hinteren 1/3 der
2 Wurzeln, die somatomotorische Fasern (für
Zunge), des viszeromotorischen Nucl. salivatorius
den M. trapezius und M. sternoleidomastoideus)
inf. (für die Gl. parotidea) sowie des viszeromotori-
führen. Seine spinale Wurzel entspringt aus den
schen Nucl. ambiguus (für die Pharynxmuskulatur).
Rückenmarkssegmenten C1-C5, verläuft dann
Beide Hirnnerven treten aus der Medulla oblongata
kranial aus dem Canalis vertebralis durch das
aus und verlassen die Schädelhöhle durch das
Foramen magnum in die hintere Schädelgrube. Die
Foramen jugulare (s. Kap. 4.4.2.3, S. 213).
kraniale Wurzel tritt hingegen mit 3 - 6 Wurzelfa-
X. Hirnnerv, N. vagus. Dieser verlässt die den aus der Medulla oblongata aus (s. Abb. 5.58).
Medulla oblongata lateral mit etwa 10-18 feinen Hiernach vereinigen sich die beiden Anteile nahe
Wurzelfäden. Bis zum Poms duralis beträgt seine dem Poms duralis, um mit dem IX. und X. Hirn-
intrazisternale Verlaufsstrecke ca. 1,5 cm. Er enthält nerven, um durch das mediale Foramen jugulare
Fasern zum viszerosensiblen Nucl. spinalis η. trige- zu ziehen (s. Kap. 4.4.2.3, S. 213).
mini (für Schmerz- und Temperaturempfindung des
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422 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
- Nervus trochlears
"'•-'ι:''
! - ' Nervi facialis etvestibulococh-
learis im Porus acusticus int.
- Sinus transversus
- - Fossa rhomboidea
(Sulcus medianus)
- Nervus accessorius,
radices craniales
Obex
~ - Nervus accessorius,
radices spinales
XII. Hirnnerv, N. hypoglossus. Er verlässt die spinalis, über. Kranial endet die Medulla oblon-
Medulla oblongata mit seinen 12-16 somatomoto- gata am basalen Brückenrand sowie dorsal etwa
rischen Wurzelfäden aus dem Nucl. n. hypoglossi in der Mitte der Rautengrube, in Höhe der Striae
(für die Zungenmuskulatur) zwischen der Pyramide medulläres ventriculi quarti. Die ventrale
und der Olive, wonach sich die einzelnen Radices Fläche ruht auf der Pars basilaris ossis occi-
zu mehreren Bündeln vereinigen. Diese Bündel pitalis und lässt eine Fissura mediana anterior
lagern sich meist dorsal der A. vertebralis an, um erkennen. Beiderseits der Fissur liegen medial
dann zum Canalis nervi hypoglossi zu ziehen (s. die Pyramiden, deren Fasern zum größten Teil
Kap. 4.4.2.3, S. 213). in der Pyramidenkreuzung, Decussatio pyrami-
dum, über die Mittellinie hinweg nach kontrala-
Verlängertes Mark, Medulla oblongata teral ziehen. Lateral der Pyramide wölbt sich die
Olive vor.
Die Medulla oblongata ist der unscharf begrenzte • Hirnnervenaustrittspunkte (s. Abb. 5.51, 54).
Bereich zwischen Pons und Rückenmark. Zwischen Pyramide und Olive treten die Wur-
zelfasern des XII. Hirnnerv, N. hypoglossus, aus
• Allgemeines. Das verlängerte Mark ist rostral- der Medulla aus. Weiter lateral findet sich der
wärts in zunehmendem Maße zwiebeiförmig Pedunculus cerebellaris inferior und zwischen
verdickt und wird deshalb auch Bulbus genannt. beiden Strukturen treten von kranial nach basal
Von diesem Namen leiten sich auch einige ana- die folgenden Hirnnerven aus: direkt am Winkel
tomische und neurologische Begriffe ab, wie zwischen Medulla, Pons und Cerebellum (auch:
Tractus corticobulbaris (vom Cortex zu den Kleinhirnbrückenwinkel) treten als kompakte,
Hirnnervenkernen), Tractus spinobulbaris oder dicke Nerven der VII. Hirnnerv, N. facialis, und
die Bulbärparalyse. der VIII. Hirnnerv, N. vestibulocochlearis, aus,
• Topographie (s. Abb. 5.27). Kaudal geht die um gemeinsam dem Porus acusticus internus
Medulla oblongata in Höhe des 1. Zervikal- zuzustreben. Im Sulcus retroolivaris erkennt
nerven bzw. der Pyramidenkreuzung ohne eine man anschließend die Wurzelfäden der Nerven
scharfe Grenze in das Rückenmark, Medulla der Vagusgruppe, des N. glossopharyngeus,
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5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS 423
- - Cl
dorsal ventral
- Atlas
Halswirbelsäule Halsmark
(Wirbel 1—VI I) (Segmente 1-8)
Intumescentia cervicalis
Thl
Brustmark
Costa II
(Segmente 1-12)
Schnittrand der
Dura mater spinalis
Steißmark
Intumescentia lumbalis Lendenwirbelsäule 2 (1 Segment)
(Wirbel l-V)
-3
Conus medullaris
LI
Kreuzbein
(Wirbel l-V)
Filum terminale
- Cauda equina
Steißbein
(Wirbel H l l )
Filum durae
matris spinalis
Columna posterior
—
Columna lateralis
— Columna anterior
®>
zervikal thorakal lumbal sakral
Abb. 5.62: Querschnitt durch das Rückenmark in verschiedenen Höhen. Rostrai überwiegt die weiße
Substanz. Rückenmarkssegmente, die viele Muskeln versorgen besitzen ein breites Vorderhorn:
Zervikal: Schnitt durch den Übergang des 5. auf das 6. Zervikalsegment (C5-6)
Thorakal: Schnitt in Höhe des 5. Thorakalsegments (Th5)
Lumbal: Schnitt durch das 5. Lumbaisegment (L5)
Sakral: Schnitt auf Höhe des Übergangs des 4. zum 5. Sakralsegment (S 4-5)
mediana anterior an der ventralen und den Sulcus belsäulendurchtritt des 1. Paars zwischen Os
medianus dorsalis (posterior) an der Dorsalseite occipitale und Atlas und des 8. Paares zwischen
des Rückenmarks werden die beiden symmetri- dem 7. zervikalen und dem 1. thorakalen Wir-
schen Rückenmarkshälften markiert (s. Abb. 5.61). belkörper.
• 12 Brustnerven, Nn. thoracici, aus den 12 Tho-
Spinalwurzeln und Spinalnerven. Zu beiden
rakalsegmenten (Thl-Thl2); mit Austritt des
Seiten des Rückenmarks treten Nervenfasern dor-
ersten Paares zwischen dem 1. und 2. Thorakal-
solateral ein und ventromedial aus. Die Hinterwur-
wirbel.
zeln, Radices posteriores, und die Vorderwurzeln,
• 5 Lendennerven, Nn. lumbales, die aus den 5
Radices anteriores, vereinigen sich seitlich zu 31
Lumbaisegmenten (L1-L5) stammen; Austritt
(32) Nervenpaaren (bei fehlenden oder zusätzli-
des 1. Nervenpaares zwischen 1. und 2. Lumbal-
chen Wirbelkörpern entsprechend mehr bzw. weni-
wirbel.
ger), Nn. spinales, die sich nach ca. 1 cm Länge
• 5 Kreuzbeinnerven, Nn. sacrales, aus den
in ihre Äste aufteilen (s. Kap. 2.6.5.1 mit Abb.
5 Sakralsegmenten (S1-S5); Austritt des 1. Ner-
2.27, S. 94 und Abb. 5.6). In den Hinterwurzeln
venpaares durch die oberen Foramina sacralia.
liegen im Bereich der Foramina intervertebralia
und sacralia die Spinalganglien. Sie enthalten • 1 (2) Steißbeinnerv, N. coccygeus, aus dem
sensible pseudounipolare Nervenzellen. Der erste Kokzygealsegment (Col); mit Austritt zwischen
zervikale Spinalnerv besitzt meist kein oder nur dem 1. und 2. Kokzygealwirbel, insofern diese
ein rudimentäres Spinalganglion, denn der Ramus Wirbel tatsächlich abgrenzbar sind und nicht als
dorsalis des 1. Spinalnerven ist rein motorisch: Blockwirbel vorliegen.
N. suboccipitalis.
Cave: Der Spinalnerv C1 tritt oberhalb des
Eine Wurzel setzt sich aus 5 bis 10 Wurzelfaden 1. zervikalen Wirbelkörpers aus, die Spinalner-
zusammen, den Fila radicularia. ven Thl und LI jeweils unterhalb des 1. tho-
rakalen bzw. lumbalen Wirbelkörpers. Aufgrund
Die Fila radicularia radicis posterioris n. spinalis
des Rückenmarksaszensus projizieren sich die
bestehen aus den Axonen der Spinalganglienzellen
Rückenmarkssegmente nicht auf die zugehö-
und treten ins Rückenmark ein (Radix sensibilis).
rigen Wirbelkörper, wobei diese Verschiebung
Die Fila radicularia radicis anterioris enthalten nach kaudal zunimmt (s. Abb. 5.7). Eine Angabe
die austretenden Axone der a- und γ-Motoneurone wie „L5" kann deshalb missverständlich sein,
und der viszeromotorischen (= vegetativen) Neu- da je nach Zusammenhang das Rückenmarks-
rone der Columna lateralis (Radix motoria, die segment L5, das etwa auf Höhe des 12. Brust-
auch die vegetativen Fasern mitnimmt). wirbels liegt, oder der 5. Lumbalwirbel gemeint
sein können.
Die Trennung der Faserqualitäten entspricht
dem Bell-Magendie-Gesetz, wonach die Wurzelfaden. Die dorsalen Wurzelfäden treten in
vorderen Wurzeln motorisch und die hinteren einer Linie, Linea radicularis posterior, in das
sensibel sind. Erst durch die Bündelung der Ner- Rückenmark ein. Die etwas dickeren Vorderwur-
venfasern zum Spinalnerven entstehen Nerven zelfäden verlassen es hingegen in einer breiten
mit Fasern gemischter Qualitäten. Durch den Zone, Area radicularis anterior. Wegen der
Faseraustausch in den Plexus entsteht eine Längendifferenz zwischen Rückenmark und Wir-
weitere Mischung hinsichtlich der segmentalen belsäule verlaufen die oberen Wurzelfäden inner-
Herkunft der Axone im peripheren Nerven. halb des Durasacks annähernd horizontal, während
die unteren immer länger und steiler werdend fast
Unterteilung. Die Spinalnerven werden von kranial vertikal verlaufen. Die unteren Sakralsegmente und
den Wirbelsäulenteilen ihres Austritts entsprechend das Kokzygealsegment liegen im Conus medulla-
in Nn. cervicales, Nn. thoracici, Nn. lumbales, Nn. ris, also etwa auf Höhe des 1. Lumbalwirbels. In
sacrales und Nn. coccygei unterteilt (s. Abb. 5.60, ihrem gesamten Verlauf bis in die Foramina inter-
s. Kap. 2.6.5.1, S. 94): vertebralia auch unterhalb des Conus medullaris
werden die Wurzelfäden von Liquor umgegeben
• 8 Halsnerven, Nn. cervicales, die sich aus den
und von den Hirnhäuten umhüllt. Distal des Gan-
8 Zervikalsegmenten (C1-C8) bilden; mit Wir-
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5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS 427
•Fasciculus interfascicularis
Zona terminalis -
(Scbultze-Komma)
Zona spongiosa -
- Nucl. proprius
Substantia gelatinosa —
Nucleus dorsalis —Tr. corticospinalis lat.
(Clarke-Säule) (Pyramidenseitenstrangbahn)
Tr. spinocerebellaris
dorsalis (Flechsig) "Tr. rubrospinal
Tr. tectospinalis
Radix ventralis Tr. reticulospinalis lat.
Abb. 5.64: Querschnitt durch das Rückenmark. Es sind schematisiert links die Zellen und Zellgruppen der
grauen Substanz, rechts die Strangzellen (blau), die Vorderwurzelzellen (rot) sowie die Assoziationszellen und
Kommissurenzellen (schwarz) eingezeichnet. Die Felder der Rückenmarksbahnen sind als Umriss wiedergege-
ben. Assoziationszellen = vollschwarz; Kommissurenzellen = schwarz gestrichelt; blau = a: Neurit des Tractus
spinocerebellaris posterior; b: Neurit des Tr. spinocerebellaris anterior; c: Neurit des Tr. spinothalamicus lateralis;
Gr. B: Grundbündel; 0 : ovaläres Hinterstrangfeld. Die römischen Zahlen geben die aufsteigenden Bahnen, die
arabischen Zahlen die absteigenden Bahnen an
• Hinterhorn, Cornu posterius. Es wird insbe- (Nucl. anteromedialis sowie Nucl. posterome-
sondere vom Nucl. proprius columnae posteri- dialis) und einer lateralen Kerngruppe (Nucl.
oris gebildet. Als weiteres großes Kerngebiet anterolateralis, Nucl. posterolateralis sowie
liegt die Columna dorsalis (Clarke-Säule) in Nucl. retrodorsolateralis) bildet eine zentrale
Höhe C8-L2 an der Basis des Hinterhorns und Kerngruppe des Halsmarks zusätzlich den Nucl.
entsendet den Tractus spinocerebellaris poste- phrenicus (Motoneurone für das Zwerchfell) und
rior zum Kleinhirn. Dem Nucl. proprius liegt Nucl. accessorius. In der Versorgungsregion der
dorsal die Substantia gelatinosa (Rolandi) an, oberen Extremität (C5-Thl) ist das Vorderhorn
der wiederum kappenartig die Substantia spon- wegen der zu versorgenden Muskelmasse viel
giosa folgt. Von der Oberfläche des Rücken- stärker differenziert als im Brustmark und nimmt
marks trennt der Tractus dorsalis (Lissauer) im Lumbal- und Sakralmark (Beinmuskulatur)
das Hinterhorn von der Redlich-Obersteiner- an Masse zu, wobei sich auch hier wieder ver-
Wurzeleintrittszone ab (siehe Lehrbücher der mehrt Kerngruppen für einzelne Muskeln diffe-
Histologie). Zwischen dem Hinterhorn und dem renzieren lassen. Die Gruppen der Motoneurone
Seitenhorn liegt die lockere Substanz der For- für proximale Muskeln liegen medial, für distale
matio reticularis spinalis. Muskeln lateral in der Columna anterior.
• Vorderhorn, Cornu anterius. Hier sind die • Seitenhorn, Cornu laterale. Es erreicht seine
motorischen Neurone in Kerngruppen ange- größte Ausdehnung im kaudalen Halsmark (C8
ordnet. Neben einer medialen Kerngruppe und Th2, Centrum ciliospinale mit prägang-
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5.2 Allgemeine Topographie, Präparation und Bildgebung des ZNS 429
lionären Zellen für den Halsgrenzstrang und • Lamina I entspricht der Zona spongiosa (neue
oberen thorakalen Grenzstrang. Insbesondere Terminologie: Nucl. marginales), die die Wal-
liegen hier die 1. Neurone zur Versorgung des deyer-Marginalzellen enthält. Sie ist der am
M. dilatator pupillae (s. Kap. 6.4.2, S. 588), weitesten dorsal gelegene Teil des Hinterhorns.
die im Ganglion cervicale superius umgeschal- • Lamina II ist die äußere Zone der Substantia
tet werden, und mehrere Kerne mittelgroßer gelatinosa, die besonders glasig erscheint, da
sympathischer Nervenzellen (s. Abb. 5.61, 62). große Neurone fehlen. Das Gewebe ist mit
Hierunter zählen die mediale Kerngruppe, Nucl. radiär auf die kleine Einbuchtung, Hilus, aus-
intermediomedialis (Interneurone), und die gerichteten Axonendigungen, Synapsen und
laterale Kerngruppe, Nucl. intermediolateralis Dendriten ausgefüllt.
(präganglionäre Neurone). • Lamina III ist die innere Zone der Substantia
gelatinosa, welche durch kleinere Interneurone
Klinik: 1. Das Vorderhorn ist somatotopisch bedingt etwas mehr körnig wirkt.
gegliedert, wobei die Zellen der medialen • Lamina IV stellt den Hilus der Substantia
Kerngruppen die axiale Nacken-, Rücken-, gelatinosa dar; kleine und große Nervenzellen
Interkostal- und Abdominalmuskulatur versor- kommen hier nebeneinander vor.
gen. Die Zellen des Nucl. ventrolateralis im • Lamina V nimmt die engste Stelle, den Hals,
Halsmark versorgen hingegen die Extremitä- des Hinterhorns ein. Die laterale Zone dieser
tenmuskeln von Schultergürtel und Oberarm, Lamina enthält große Strangzellen mit reichlich
während die Zellen des Nucl. dorsolateralis Nissl-Substanz. Diese Strangzellen stellen sehr
die Extremitätenmuskulatur von Unterarm und dendritenreiche Zellen der grauen Substanz
Hand innervieren. Der Nucl. retrodorsolateralis dar, deren Neuriten in die weiße Substanz der
versorgt die kleinen Fingermuskeln. Im ventra- gleichen oder der Gegenseite gelangen; sie
len Bereich des Vorderhorns liegen insbesondere steigen in den Seitensträngen des Rückenmarks
Zellen für die Streck-, im dorsalen Bereich für auf oder geben Kollateralen ab, um als Tractus
die Beugemuskulatur. 2. Zusätzlich besteht eine das Rückenmark mit dem Gehirn zu verbinden.
höhenspezifische somatotope Gliederung. Dabei Die großen Zellen der medianen Zone enthalten
liegen Zellen für die Innervation des Schulter- weniger Nissl-Substanz, so dass diese Zone in
gürtels höher als die für den Oberarm, gefolgt der Nissl-Färbung blasser erscheint.
von Unterarm und Hand (s. Abb. 5.65). Die • Lamina VI bildet die Basis des Hinterhorns und
Kenntnis der Somatotopik des Rückenmarks ist in den Intumescentiae cervicalis et lumbalis
lässt sich diagnostisch nutzen, um pathologische besonders breit angelegt.
Prozesse des Wirbelkanals oder des Rücken- • Lamina VII stellt die mittlere Zone des Vor-
marks zu lokalisieren. derhorns, Zona intermedia oder Substantia
intermedia, dar. In ihr liegen die Kernsäulen der
Gliederung der grauen Substanz nach Rexed. Motoneurone wie Inseln eingebettet vor.
Die regionalen Unterschiede von Häufigkeit und • Lamina VIII ist ein medialer Teil des Vorder-
Verteilung der Zelltypen der grauen Substanz mit horns und umschließt die Zellsäulen der Moto-
den markscheidenfreien Endverzweigungen der neurone der Rückenmuskulatur und die Nucll.
Nervenfasern, Telodendria, und ihren verschiede- commissurales. Der Aufbau dieser Lamina wird
nen synaptischen Verschaltungstypen lassen histo- durch diejenigen Fasern bestimmt, welche die
logisch eine charakteristische Zytoarchitektonik Motoneurone versorgen.
der grauen Substanz erkennen. Diese Lamination • Lamina IX umfasst alle Zellsäulen der multipo-
bildet die Grundlage der Rexed-Gliederung: laren somatischen Motoneurone im Vorderhorn.
Dabei werden 10 Laminae (LI-LX) in der grauen • Lamina X bildet das um den Zentralkanal gele-
Substanz des Rückenmarks unterschieden, welche gene Gebiet der Substantia grisea centralis.
in Richtung von dorsal nach ventral klassifiziert
werden (Abb. 5.65).
Abb. 5.65: Rückenmarksquerschnitt mit Somatotopik des Vorderhorns (rechts) und Gliederung
der grauen Substanz in zehn Laminae nach Rexed (links)
S =sacral
L = lumbal
Tractus spinocerebellaris
Th = thoracal
dorsalis
Vasokonstriktorenbahn -
Tractus spinocerebellaris
ventralis
Abb. 5.66: Somatotope Gliederung der weißen Substanz des Rückenmarks, Ansicht von oben. 1. rezeptives
Neuron und 2 Neuron, die Strangzellen der Vorderseitenstrangbahn, sind eingezeichnet. Die Grundbündel
(Fasciculi proprii) rechts punktiert (Schema nach O. Förster und M. Clara). Im Hinterstrang sieht man zum
Eigenapparat gehörende rekurrente Faserbündel, die sakral die Phillippe-Gombault Triangel, thorakal das ovale
Flechsig-Feld und zervikal das Schultze-Komma bilden, die hier zur Vereinfachung gemeinsam in einem Schnitt
dargestellt wurden
Auf die Grundbündel folgen nach außen die langen neben der sensiblen Versorgung der Haut (Derma-
Leitungsbahnen (Tractus). Im Hinterstrang befin- tom) auch die Muskel- und Eingeweideinnervation
den sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf- gehört. Da durch die Plexusbildung der Rami
steigende Bahnen. Im Vorderseitenstrang kommen ventrales ein peripherer Nerv Fasern verschiedener
auf- und absteigende Bahnen gemeinsam vor. Alle Segmente fuhrt und umgekehrt Fasern aus einem
Bahnen werden zusammen mit den dazugehörigen Segment in verschiedenen Nerven verlaufen, sind
Systemen in Kapitel 5.4 detailliert besprochen. Dermatome und Innervationsgebiete bestimmter
peripherer Nerven nicht deckungsgleich.
Abb. 5.67: Vereinfachte Darstellung der Segmentgrenzen (Dermatome) mit muskulären Versorgungsgebieten
(unten rechts); nach April (1997) und P. Duus (1990). Im Gesicht ist die Versorgung durch den N. trigeminus
(V. Hirnnerv) dargestellt
carpi: Karpaltunnelsyndrom, s. Kap. 9.2.9, Myotom dieses Segmentes entwickelt hat (siehe
S. 760) unterschieden werden. 2. Ebenso wie Abb. 5.67). Durch Testung der adäquaten Mus-
jeder sensiblen Wurzel ein Hautdermatom zuge- keleigenreflexe (ζ. B. Bizepssehnenreflex für
ordnet werden kann, so kann vielen motorischen C5/6 oder Patellarsehnenreflex für L3/4) können
Wurzeln ein Leitmuskel zugeordnet werden, der Schäden daher auf segmentaler Ebene lokalisiert
sich mehr oder weniger vollständig aus dem werden.
• Head-Zonen. Über die Rami communicantes die Diagnostik sowie für physiotherapeutische
der Rückenmarksnerven entstehen segmentale Behandlungsmethoden unentbehrlich. So stellt
Zuflüsse zu und aus dem autonomen Nerven- ζ. B. die Segmenttherapie eine Reizbehandlung
system. Durch die gemeinsame Verschaltung erkrankter innerer Organe dar, welche auf der
somatosensibler und viszerosensibler Signale in Nutzung kutiviszeraler Reflexe basiert, die sich
den Segmenten können Schmerzreize, Algesie, aus der segmentalen Gliederung des Körpers
oder eine Überempfindlichkeit, Hyperästhesie, ergeben. Entsprechende Methoden sind die
aus den Eingeweiden in dem entsprechenden Reflexzonenmassage (Bindegewebs-, Nerven-
Hautdermatom empfunden werden. Teilweise punkt- oder Periostmassage), die Applikation
lassen sich bestimmte Hautareale bestimm- thermischer und elektrotherapeutischer Reize
ten inneren Organen zuordnen: Head-Zonen sowie die lokale Anästhetikainfiltration.
(s. Kap. 2.6.5.4, S. 97). Diese Zuordnung ist für
Lernziele: Leptomeninx (weiche Hirnhaut): Pia den Häuten des Gehirnes ist wichtig fur das
mater und Arachnoidea mater; Pachymeninx Verständnis zahlreicher Erkrankungen, wie
(harte Hirnhaut): Dura mater; Liquor cerebro- intrakranieller Blutungen und Hydrocepha-
spinalis: Bildung und Resorption, Räume und lus, sowie diagnostischer Eingriffe, ζ. B. der
Zisternen, Liquorpunktion; Circulus arteriosus Liquorpunktion und verschiedenen Anästhesie-
cerebri (Willisii), Sinus durae matris, Gefaß- verfahren. 2. Es gibt Störungen der Bildung und
und Nervenversorgung der Hirn- und Rücken- Resorption des Liquors, die zu neurologischen
markshäute Erkrankungen führen können. Der Druck im
Liquorraum unterliegt großen physiologischen
Schwankungen, so dass der diagnostische
5.3.1 Übersicht Wert einer einmaligen Druckmessung gering
ist. Eine solche Liquordruckmessung erfolgt,
wie die normale Liquorpunktion, am liegenden
Gehirn und Rückenmark füllen die knöchernen
Patienten. Dabei werden eine entsprechend
Höhlen des Schädels und der Wirbelsäule nicht
weite Kanüle und ein Steigrohr verwendet, so
vollständig aus, sondern sie sind von Häuten
dass puls- und atemsynchrone Schwankungen
umgeben und in einer Flüssigkeit gelagert.
sichtbar werden können (Normwerte: 65-195
Hierdurch ist die empfindliche Nervensubstanz
mmHjO oder 5-15 mmHg).
von Gehirn und Rückenmark vor Erschütterun-
gen geschützt.
Liquor cerebrospinalis (kurz: Liquor, lat. liquidus: 5.3.2 Hirn- und Rückenmarkshäute,
flüssig). Der Liquor füllt die Hohlräume im und um Meninges
das ZNS. Der das ZNS umgebende Flüssigkeits-
raum wird als äußerer Liquorraum bezeichnet. Der das Gehirn nach außen begrenzenden
Er ist mit dem von den Ventrikelräumen, Aquädukt Membrana limitans gliae superficialis liegt die
und Canalis centralis des Rückenmarks, gebildeten Pia mater auf, die das innere Blatt der weichen
inneren Liquorraum durch 3 Öffnungen, Apertu- Hirnhaut, Leptomeninx, darstellt. Das äußere
rae, im IV. Ventrikel verbunden. Blatt wird als Arachnoidea mater bezeichnet,
die über das Neurothel in die Dura mater
Klinik: 1. Die Kenntnis der topographischen übergeht. Zwischen Pia mater und Arachnoi-
Lage der Liquorräume und der Blutgefäße zu dea mater liegt der äußere Liquorraum, Sub-
Neurothel
Arachnoidea
Trabecule archnoidealis
Spatium subarachnerideui
mit Liquor cerebrospinalis
Pia mater
Membrana limitansgliae
superficialis
Astrozyten
(bilden Membrana limitan
superficialis und perivasc
Makrophage
(perivaskuläre Zelle!
perivaskulärer Raum
(Virchow-Robin)
Perizyt
Endothelzelle
Gefäßlumen
perivaskuläre Zellen
Neuropil
Abb. 5.68: Schematische Darstellung der Ultrastruktur der Hirnhäute mit den Virchow-Robin-Räumen
Gelb Subarachnoidal-perivaskulärer Raum mit Liquor.
Blau Basalmembranen auf der Membrana limitans gliae perivascularis et superficialis und um Perizyten
Rot Blutgefäße
Grau Neuropil
Zwischen der Basalmembran der Glialimitans und der Blutgefäße liegt der liquorgefüllte Virchow-Robin-Raum. In
der Tiefe verschmelzen die Basalmembranen, der Raum existiert dort nicht mehr (*).
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5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des Z N S 435
Corpus callosum *
Recessus suprapinealis
Fornix - ^
Sinus sagittalis superior
in der Falx
Adhaesio
interthalamica · V. cerebri magna
Commissura anterior — -
Cisterna v. cerebri magnae
Cisterna chiasmatis
Recessus Sinus rectus im First
infundibuli des Tentorium cerebelli
Ventriculus quartus
Aperta mediana
ventriculi quarti
Cisterna cerebellomedullai
Falx cerebelli
Hypophysis
\
A. basilaris Cisterna interpeduncular
Abb. 5.69: Die Hirnventrikel (dunkelblau) und ihre Verbindung mit dem Cavum subarachnoideale (hellblau und
grau) auf einem Medianschnitt des Kopfs. Falx am Rand der Sinus entfernt
bedeckenden Abschnitten des Frontal-, Parie- matris, verlaufen (s. Abb. 5.70 und Kap. 5.3.4.3,
tal und Temporallappens. In der Inselzisterne S. 451), unterteilt sie den Schädelinnenraum und
verlaufen die Aa. insulares aus der A. cerebri gibt dem Gehirn Halt.
media.
• Bildungen der Dura mater cranialis
1. Falx cerebri ist eine in der Mediansagittal-
Dura mater cranialis (encephali),
ebene gelegene Duraplatte, welche die Groß-
Pachymeninx
hirnhemisphären bis nahezu herunter zum
• Aufbau der Dura mater. Die dünne Neuro- Balken trennt (s. Abb. 5.18). Sie ist rostral an
thelschicht verbindet die Arachnoidea mit dem der Crista galli, dorsolateral an den Rändern des
straffen kollagenen Bindegewebe der Dura Sulcus sagittalis und der Protuberantia occipi-
mater (lat. durus = hart, fest), welche auch als talis interna befestigt und geht über in das mehr
Pachymeninx (gr. pachys = stark, derb, meninx horizontal sich ausbreitende
= Hirnhaut) bezeichnet wird. Neurothel und 2. Tentorium cerebelli. Es liegt in der Fissura
Dura mater sind nur unvollständig verklebt, so transversa und trennt so die Okzipitallappen des
dass leicht Spalträume entstehen können. Die Großhirns vom darunter liegenden Kleinhirn.
Dura mater wiederum ist fest mit dem Peri- Im Giebel, wo die Falx cerebri das Tentorium
ost der Schädelknochen verwachsen oder ist cerebelli anhebt, verläuft der Sinus rectus zum
untrennbarer Bestandteil des inneren Periosts. Confluens sinuum auf der Protuberantia occipi-
So besteht normalerweise weder ein Subdu- talis interna (s. Abb. 5.69, 70). Das Tentorium
ralraum, zwischen arachnoidealem Neurothel cerebelli ist jeweils lateral an der Felsenbein-
und Dura mater, noch ein Epiduralraum, oberkante und rostral an den Processus clinoidei
zwischen Dura mater und Schädelknochen. anteriores befestigt. Zwischen linkem und rech-
Die Dura selbst ist eine derbe, reißfeste, sehnig tem Ansatzpunkt und dem Giebel bleibt eine
glänzende Haut, welche die Schädelkapsel aus- enge Lücke zum Durchtritt des Hirnstamms,
kleidet (s. Abb. 5.17). Durch 3 Duplikaturen, in die Incisura tentorii, die also supra- und infra-
denen große venöse Blutleiter, die Sinus durae tentoriellen Raum verbindet.
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5.3 Hirn- u n d R ü c k e n m a r k s h ä u t e , Ventrikelräume u n d G e f ä ß v e r s o r g u n g d e s Z N S 437
V supratrochlearis -
- - V . diploica occipitalis
V ophthalmica superior-
— V cerebri magna, Sinus rectus
V. angularis - *" -V. occipitalis
* - V. subclavia
V. brachiocephalica
Abb. 5.70: Die Sinus d u r a e matris. S c h e m a der w i c h t i g s t e n V e r b i n d u n g e n der intrakraniellen (blau) mit d e n extra-
kraniellen ( s c h w a r z gestrichelt) Venen. 1. Fissura orbitalis superior. 2. Fissura orbitalis inferior. 3. F o r a m e n ovale.
4. F o r a m e n s p i n o s u m . 5. F o r a m e n lacerum. 6. Canalis caroticus. 7. F o r a m e n jugulare. 8. Canalis hypoglossi.
9. V. emissaria condylaris. 10. V. emissaria m a s t o i d e a . Vgl. a u c h A b b . 5.79
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438 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn u n d R ü c k e n m a r k
Sonde markiert
Granulationes arachnoideae
feine Spinngewebshaut
(Arachnoidea), erst
arachnoidalraum aus
Klinik: Eine Vernarbung der Leptomeningen, Klinik: Die Topographie der Blutgefäße zu
wie sie ζ. B. als Zustand nach einer Meningitis den Hirnhäuten erklärt die Symptomatik von
auftreten kann, fuhrt (wahrscheinlich wegen Blutungen. 1. Epidurale Blutungen entstehen
einer Schädigung der Arachnoidealzotten) zu durch mechanisch verursachte Risse zumeist
Liquorresorptionsstörungen und damit zum der A. meningea media. Da sich die Dura durch
Druckanstieg im Schädelinneren. Das Krank- den arteriellen Druck erst langsam vom Schä-
heitsbild bezeichnet man deshalb als Hydro- delknochen ablösen muss, besteht zunächst ein
cephalus aresorptivus (gr. hydor = Wasser, beschwerdefreies Intervall. Die Blutung dauert
kephale = Kopf). so lange an, bis die Dura entsprechend stark
gespannt ist, um dem systolischen Blutdruck zu
• Gefäßversorgung der Hirnhäute widerstehen. Dieser Prozess kann bei Kindern
wegen der Elastizität der Dura relativ lange
Arterien. In den weichen Hirnhäuten sind aus- dauern, so dass die Einklemmung von großen
schließlich Äste der hirnversorgenden intrakra- Hirnarealen gegen Falx und Tentorium droht.
niellen Blutgefäße (Äste des Circulus arteriosus) zu Eine schnelle Eröffnung des Schädelknochens,
finden (s. Kap. 5.3.4). Demgegenüber liegen in der eine Notfalltrepanation, kann deshalb therapeu-
Dura mater die meningealen Arterien, welche auch tisch zur Druckentlastung nötig werden. 2. Sub-
Äste zum Diploe-Knochenmark abgeben. durale Blutungen entstehen durch Abriss der
Brückenvenen (s. u.). Dies kann bei älteren Men-
Die Dura mater hat 3 Arterien: die kleine schen spontan geschehen. Bei Kindern treten
A. meningea anterior aus der A. ethmoidalis sie gehäuft durch Schütteln des Körpers und
anterior, die wichtige A. meningea media aus Schläge auf. Bei Erwachsenen sind subdurale
der A. maxillaris und die kleine A. meningea Blutungen häufig Folge von Beschleunigungs-
posterior aus der A. pharyngea ascendens. oder Bremsmanövern beim Verkehrsunfall
(Rückstoß durch Airbag), wenn der Kopf abrupt
Venöser Abfluss. Er erfolgt über die Vv. diploicae hin- und hergerissen wird. Die resultierenden
und die Vv. emissariae (s. Abb. 5.70, s. Kap. 4.10.1,
S. 250).
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5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des ZNS 439
Plexus venosus
vertebralis internus
\ Cavum epidurale
A. spinalis posterior \ Dura mater Periost (äußeres Durablatt)
\
\ / x „ Arachnoidea
R. spinalis a. intercostalis
•' /
. Cavum subarachnoidal
- Pia mater
Radix dorsalis
. Lig. denticulatum
. Ggl. spinale (im Ourasac
Ν spinalis
Radix ventralis
— Rr. communicantes
Klinik: Zur Darstellung intraspinal raumfor- Klinik: 1. Entzündungen der Meningen fuhren
dernder Prozesse, wie den Rückenmarkstumo- zum klinisch beeindruckenden Bild des Menin-
ren, oder zur Diagnostik der Bandscheiben- gismus. Der Patient ist nackensteif und versucht
vorfälle bedient man sich neben den modernen jede Bewegung zu vermeiden, da die gereizte
CT- und MRT-Verfahren auch besonderer Rönt- Dura sonst heftigste Schmerzen hervorruft.
genaufnahmen nach Kontrastmittelinjektion in Dieser Bewegungsschmerz läßt sich klinisch
den epi-, subduralen oder subarachnoidealen durch Kopf- (Brudzinski-Zeichen) oder Bein-
Raum: Myelographie (gr. myelos = Mark; gra- anhebung (Lasegue-Zeichen) auslösen. 2. Bei
phein = schreiben, darstellen). Dabei lassen der Epiduralanästhesie (= Periduralanästhesie)
sich eventuelle Konturunterbrechungen bis zum wird in das peridurale Fettgewebe ein Lokal-
Kontrastmittelstopp im Spinalkanal wie auch anästhetikum injiziert, das dann die Spinal-
unvollständige oder fehlende Füllungen der nerven im gewünschten Areal betäubt. Bei der
Wurzeltaschen nachweisen. Spinalanästhesie wird dagegen der Subarach-
noidealraum mit einer Nadel erreicht. Um zu
Gefäße und Rückenmarkhäute verhindern, dass das Anästhetikum aufsteigt und
dann lebensnotwendige Zentren ausschaltet, ist
Arterien und Venen des Rückenmarks (s. Kap. eine besondere Lagerung sowie ein hohes spezi-
5.3.4,2, S. 450) versorgen auch die Häute. fisches Gewicht des Anästhetikums notwendig.
Innervation der Rückenmarkshäute. Die sen- 3. Bei der diagnostischen Lumbalpunktion wird
sible Innervation der Dura und des Periosts erfolgt zur Liquorgewinnung ebenfalls der Subarachno-
über die Rr. meningei der Spinalnerven (s. Kap. idealraum punktiert. Dies geschieht kaudal des
2.6.5.1, S. 94), die rückläufig durch die Foramina Conus medullaris im Bereich der Cauda equina,
intervertebralia ziehen. Sie teilen sich in einen um Verletzungen des Rückenmarks zu verhin-
auf- und einen absteigenden Ast, welche sich mit dern. Üblicherweise wird am sitzenden, nach
benachbarten Ästen zu einem Geflecht verbinden. vorne gebeugten Patienten eine Nadel unterhalb
Cornua posteriore
Recessus opticus *
Ventriculus puartus
/
/
Chiasma opticum ' \
\
Recessus infundibuli Cornua inferiora Recessus laterales ventriculi quarti
dii) und die paarigen Aperturae laterales punkt zwischen lateraler Wand und Boden liegt
ventriculi quarti (Luschkae) in die Zisternen die Stria terminalis. Vom Boden aus stülpt sich
des äußeren Liquorraums. Schließlich wird der der Plexus choroideus ventriculi lateralis in den
Liquor über die Granulationes arachnoideae Ventrikel vor (s. Abb. 5.25).
ins Venensystem und über die Durataschen der • Cornu posterius (oder occipitale). Dieses
Hirnnerven und Spinalnerven auch ins Lymph- erstreckt sich individuell unterschiedlich weit
system abgeleitet. Durch Interzellularräume in den Hinterhauptslappen hinein. An seiner
im Ependym besteht ein Austausch mit der medialen Wand wölbt sich der Calcar avis als
interstitiellen Flüssigkeit des Gehirns, weshalb Einbuchtung des Sulcus calcarinus vor (s. Abb.
sich Neurotransmitter auch im Liquor nachwei- 5.24, 25).
sen lassen. Mit dem Blutraum ist dagegen kein • Cornu inferius (oder temporale), cm lang,
ungehinderter Austausch möglich (Blut-Hirn- erstreckt sich in einem nach laterokaudal gerich-
und Blut-Liquorschranke s. u.). teten Bogen in den Schläfenlappen, dessen Pol
es sich bis auf 2 cm nähert. An seiner medialen
Wand erhebt sich der mächtige Längswulst des
Einteilung der Ventrikel
Hippocampus, über dem die schmale Fimbria
Am Ventrikelausgusspräparat (s. Abb. 5.73) lassen hippocampi verläuft. Zwischen ihr und dem
sich die äußeren Konturen der Ventrikel darstellen. Dach (gebildet von der Cauda nuclei caudati)
Man unterscheidet die telenzephalen Seitenventri- stülpt sich der Plexus choroideus gegen den
kel, den dienzephalen Ventriculus tertius und den Ventrikel vor (s. Abb. 5.25).
rhombencephalen Ventriculus quartus. Vor Ein-
führung des cCT und MRT wurden die Ventrikel Cornu anterius und Cornu posterius entste-
luftgefüllt im traditionellen Röntgenbild zur Dar- hen erst mit der Ausbildung des Stirn- und
stellung gebracht: Pneumencephalographie (gr. Hinterhauptslappens. Nur die Pars centralis
pneuma = Luft; enkephalon = Gehirn). und das Cornu inferius besitzen als die älteren
Abschnitte einen Plexus choroideus.
Seitenventrikel, Ventriculi laterales. Sie werden
auch als I. (links) und II. (rechts) Ventrikel bezeich-
Dritter Ventrikel, Ventriculus tertius. Er stellt
net und ziehen als bogenförmige Hohlräume durch
einen median gelegenen spaltförmigen Raum dar,
alle Lappen des Endhirns. Die Seitenventrikel sind
der rostrolateral durch die Foramina interventri-
wie folgt gegliedert:
cularia mit den Seitenventrikeln und dorsal durch
• Cornu anterius (oder frontale). Es ist im den Aquaeductus mesencephali (Sylvii) mit dem
Frontalschnitt dreieckig, beginnt am Foramen IV. Ventrikel in Verbindung steht. Das dünne epi-
interventriculare und dringt etwa 3 cm weit in theliale Dach, die Tela choroidea ventriculi tertii,
den Stirnlappen vor. Das Dach wird vom Corpus spannt sich zwischen den Striae medulläres der
callosum, die mediale Wand vom Septum pel- beiden Thalami aus (s. Kap. 5.2.5.4, S. 404). Aus
lucidum und den Columnae fornicis und die der auf ihr liegenden Schicht weicher Hirnhaut
laterale Wand vom Caput nucl. caudati gebil- stülpen Blutkapillaren die dünne Epithellage gegen
det. Das Cornu anterius enthält keinen Plexus den Ventrikel vor und bilden so den Plexus choro-
choroideus. Der Übergang des großen Cornu ideus ventriculi tertii, der am Foramen interventri-
anterius in die abgeflachte Pars centralis wird culare in den Plexus choroideus der Seitenventrikel
radiologisch als Thalamustaille bezeichnet. übergeht. Die Wände des III. Ventrikels setzen sich
• Pars centralis (oder parietalis). Sie ist etwa wie folgt zusammen (vgl. ζ. B. Abb. 5.29, 30, 36,
4 cm lang, liegt im Scheitellappen und reicht 39, 50, 69):
vom Foramen interventriculare bis in die Höhe
• Seitenwände. Sie werden dorsal vom Thalamus
des Splenium corporis callosi, wo sie sich in das
und ventral vom Hypothalamus gebildet, die
Hinter- und das Unterhorn fortsetzt. Sein Dach
durch den Sulcus hypothalamicus getrennt sind.
stellt der Balken dar, die laterale Wand wird vom
Im vorderen Teil sind sie meist (in ca. 50 %)
Corpus des Ncl. caudatus gebildet. Ihren Boden
durch die Adhaesio interthalamica verbunden,
bilden der Thalamus bedeckt von der Lamina
die aus Gliazellen besteht und somit keine neu-
affixa sowie Corpus und Crus fornicis. Am Eck-
ronale Kommissur darstellt.
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5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des Z N S 443
• Boden. Der dünnwandige Boden besteht aus oberen Kleinhirnstielen, Pedunculi cerebellares
dem Chiasma opticum, dem Tuber cinereum, superiores. Es beginnt rostral mit dem Velum
den Corpora mamillaria und der Substantia medulläre superius, das bis zum Dachgiebel,
perforata posterior. Hinter dem Chiasma ist er dem Fastigium, reicht. Der anschließende dor-
zum Reeessus infundibuli, vor ihm zum Reces- sale Teil wird von dem schmalen Velum medul-
sus opticus ausgebuchtet, in dessen lateraler läre inferius und der dünnen Tela choroidea
Wand der Nucl. supraopticus liegt. ventriculi quarti gebildet. Diese wölbt sich,
• Vorderwand. Sie ist schmal und wird von der von Ependym überzogen, gegen den Ventrikel-
dünnen Lamina terminalis, der Commissura raum als Plexus choroideus ventriculi quarti
anterior und den Columnae fornicis gebildet. vor.
• Hinterwand. Sie ist ebenfalls schmal und • Plexus. Er ist paarig, hat beiderseits die Form
zeigt den Reeessus pinealis und den Reeessus eines Winkels. Rechter und linker Plexus bilden
suprapinealis. Der Wandabschnitt zwischen zusammen eine M-Form. An der Vereinigungs-
dem Corpus pineale und der Area praeteetalis stelle der beiden Plexus liegt die Apertura medi-
(Eingang in den Aquaeductus mesencephali) ana ventriculi quarti (Magendii). Sie stellt eine
ist durch die Fasern der Commissura posterior Verbindung zwischen dem Ventrikelsystem und
verdickt. Der vordere, zwischen den Foramina der Cisterna cerebellomedullaris her.
interventricularia gelegene Teil des III. Ven-
Die Topographie der Ventrikel und ihrer begrenz-
trikels gehört entwicklungsgeschichtlich zum
enden Strukturen können Sie sich in den MRT- und
Endhirn.
cCT-Bildern in Kapitel 5.2.4 verdeutlichen.
Aquaeductus mesencephali (cerebri). Er verbin-
det III. und IV. Ventrikel miteinander und ist der Klinik: Nicht nur wenn der Aqueductus cerebri
engste Teil des Ventrikelsystems. Er durchzieht das ζ. Β. durch Tumoren eingeengt ist, sondern auch
Mittelhirn und wird ventral vom Tegmentum und wenn die Aperturae ventriculi quarti verlegt sind
dorsal von der Vierhügelplatte, Tectum, begrenzt. (ζ. B. bei Meningitis), können die Ventrikel
durch den gestauten Liquor zum Hydrocephalus
IV. Ventrikel, Ventriculus quartus. Er hat einen
internus ausgeweitet werden.
rautenförmigen Boden, ein zeltförmiges Dach und
liegt im Rhombencephalon.
• Den „Boden" (die Bezeichnung erfolgt aufgrund 5.3.4 Gefäßversorgung von Gehirn
der Lage der Hirnstammachse und meint hier die und Rückenmark
vordere Wand) bildet die Rautengrube (s. Kap.
5.2.6.2 und Abb. 5.50, 58). An seiner breites-
Lernziele: Aa. carotides internae, Aa. vertebra-
ten Stelle ist der Ventrikel zu den nach ventral
les. A. basilaris. Circulus arteriosus (Willisii):
abbiegenden Reeessus laterales ventriculi quarti
A. spinalis anterior aus den Aa. vertebrales.
ausgebuchtet, die zum Kleinhirnbrückenwinkel
der A. subclavia, den Aa. intercostales sowie
zeigen (s. Abb. 5.69 und 5.73). Die freien Enden
der A. radicularis magna (Aorta abdominalis).
der Reeessus laterales ventriculi quarti münden
Vv. cerebri superiores, Sinus durae matris.
mit den Aperturae laterales ventriculi quarti
Vv. basalis (Rosenthalii), Vv. internae cerebri.
(Luschkae) in das Cavum subarachnoideale
V. cerebri magna (Galeni). Plexus vertebralis
{Cisterna pontis). Ein kleiner Teil des Plexus
choroideus ventriculi quarti stülpt sich durch
die Aperturae laterales nach außen. Wegen der
roten Farbe der blutgefüllten Plexusgefäße wird 5.3.4.1 Arterien des Gehirns
dieser an der äußeren Hirnoberfläche sichtbare
Teil des Plexus choroideus auch Bochdalek- 2 paarige Arterien, die Aa. carotides internae
Blumenkörbchen genannt (beim fixierten Gehirn und d i e ^ a . vertebrales, die einen Circulus arte-
ist die rote Farbe allerdings meist nicht mehr zu riosus cerebri bilden, versorgen das Gehirn.
erkennen).
• Das Dach. Es ist abgeknickt und besteht aus
dem Kleinhirn und aus den lateral liegenden,
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444 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
1. Circulus arteriosus cerebri (Willisii), Klinik: 1. Die A. communicans ant. aus dem
Abb. 5.74 Circulus arteriosus stellt ein wichtiges Kol-
lateralgefäß dar, um die Durchblutung beider
Die beiden Aa. vertebrales (aus der A. subclavia,
Hirnhemisphären auch im Falle eines Gefäß-
s. 10.7.2.1.2, S. 881) vereinigen sich am Oberrand
verschlusses oder einer hochgradigen Stenose
der Medulla oblongata zur A. basilaris, die dem
der A. carotis interna (klinisch oft abgekürzt:
Pons entlang verläuft, bis sie sich am Übergang
ACI) aufrechtzuerhalten. Hierbei kommt es zu
in die Fossa interpeduncularis in die beiden Aa.
einer Füllung des Kreislaufs durch die kontra-
cerebri posteriores aufteilt. Sie werden durch die
laterale, intakte A. carotis int.: Crossfilling. 2.
paarige, den Sehnerv unterkreuzende A. commu-
Das Crossfilling lässt sich mittels transkrani-
nicant posterior mit den Karotiden verbunden, die
eller Doppler-Sonographie nachweisen. Die
wiederum über die Aa. cerebri anteriores durch
Kompensation einer Stenose durch Crossfilling
die unpaare, rostral des Chiasma opticum gelegene
ist auch eine Erklärung dafür, dass viele Ver-
A. communicans anterior kommunizieren. So
schlüsse der A. carotis interna asymptomatisch
wird ein an der Hirnbasis gelegener Gefäßring, der
bleiben können.
Circulus arteriosus cerebri (Willisii), geschlos-
sen. Er muss den Blutbedarf des sehr empfindlichen
2. A. carotis interna und ihre Äste
Gehirns auch bei Schwankungen des Bedarfs und
der Zufuhr sicherstellen. Der Circulus arteriosus
cerebri und seine Äste liegen geschützt im Flüs- Die A. carotis interna verläuft von lateral
sigkeitspolster des liquorgefullten Subarachnoidal- betrachtet von der Schädelbasis bis in den Sinus
raums (s. Abb. 5.74). cavernosus in einer S-Form, die am Sinus als
Karotissiphon bezeichnet wird (s. Abb. 5.78,
79).
Abb. 5.74: Basalansicht des Gehirns mit d e n Zerebralarterien (Circulus arteriosus cerebri in situ). Teile des linken
Stirn- und Schläfenlappens sind entfernt, um die A. cerebri anterior und media und den Plexus choroideus des
Unterhorns darzustellen
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5.3 Hirn- und Rückenmarkshäute, Ventrikelräume und Gefäßversorgung des Z N S 445
Nucleus caudatus
Nucleus caudatus
Thalamus
-Claustrum
A. cerebri media
Putamen
Globus pallidus
Abb. 5.75: Die arterielle Versorgung des Großhirnes auf Frontalschnitten. Rechter Schnitt durch
die Mitte des Thalamus, linker Schnitt weiter rostral, durch Nucl. caudatus und Putamen
rior (s Kap. 5.2.2.4) zum Tegmentum mesence- 4. A. basilaris und ihre Äste
phali und zu den Crura cerebri. Über feine Äste
Die Arterie versorgt
versorgt sie die basalen Teile des Striatums und
des Thalamus und mit der Λ choroidea posterior t> mit der A. cerebelli inferior anterior die Unter-
den Plexus choroideus des III. Ventrikels. Das und Seitenfläche des Kleinhirns,
der A. choroidea post, zugeleitete Blut stammt > mit zahlreichen Rr. ad pontem (auch Aa.
zum größeren Teil aus der A. basilaris bzw. den pontis) den medialen Teil des Pons und der
Aa. vertebrales, jedoch nur zu einem geringeren Medulla oblongata,
Teil aus der A. communicans posterior. [> mit der A. labyrinthi zum Porus acusticus inter-
nus das Innenohr,
3. A. vertebralis und ihre Äste
[> mit der A. cerebelli superior die obere Fläche
• Die A. vertebralis (s. Kap. 10.7.2.1.2, S. 881) des Kleinhirns.
durchbohrt die Membrana atlantooccipitalis > A. cerebri posterior. Schließlich gabelt sich
posterior und die Dura mater und gelangt durch die A. basilaris vor der Brücke in die rechte und
das Foramen magnum in die Schädelhöhle, wo linke A. cerebri posterior. Diese Arterien stellen
sie sich mit jener der Gegenseite an der Grenze durch die A. communicans posterior die Ver-
zwischen Brücke und Medulla oblongata zur bindung zum Stromgebiet der A. carotis interna
Α. basilaris vereinigt (s. Abb. 5.31, 74). Vorher her, wenden sich dann um die Pedunculi cerebri
gibt sie noch folgende Äste ab: zur Facies inferior hemispherii cerebri, versor-
gen hier den gesamten Okzipitallappen mit der
[> die kleine A. spinalis anterior rückläufig zum
Sehrinde und bis auf den Schläfenpol die basale
Rückenmark und
Fläche des Schläfenlappens (s. Abb. 5.76 und
D> die A. cerebelli inferior posterior. Sie versorgt
Abb. 5.77; die klinisch wichtigen Versorgungs-
v. a. den Nucl. dentatus des Kleinhirns und
gebiete der Hirnarterien sind auch in Abb. 5.75
dessen Unterseite sowie ein Gebiet der dorso-
schematisch abgegrenzt).
l a t e r a l Medulla oblongata in der Umgebung
der Olive.
Abb. 5.76
Sulcus centralis
Corpus callosum
Sulcus cinguli
Fornix
Septum pellucidum
Sulcus parietooccipital
Commissura anterior ·
Cuneus
Uncus
Sulcus calcarinus
Abb. 5.77: Die arterielle Versorgung des Cortex cerebri (Facies superolateral). Weiß = A. cerebri
media, hellblau = A. cerebri anterior und dunkelblau = A. cerebri posterior
A. cerebri ant.
— A. ophthalmica
A.carotis int. im
Sinus cavernosus („Siphon")
_ Α. carotis int. im
Canalis caroticus
Aa centrales
A. cerebri ant.
A. cerebri media
A. ophthalmica
A. carotis int. im
Sinus cavernosus {„Siphon")
A. carotis int.
im Canalis caroticus
Abb. 5.78: Karotisarteriogramm. Röntgenologische Darstellung der Arteria carotis interna durch Kontrastmittelfül-
lung (Digitale Subtraktionsangiographie), Seitenaufnahme (oben) und anterior-posteriore (a.-p.)-Aufnahme. Vor
allem im a.-p.-Bild sind die beiden Endäste der A. carotis int. gut z u differenzieren, während sich ihre Stämme in
Seitenansicht übereinander projizieren. Die A. cerebri ant. kann hier an ihrem g e s c h w u n g e n e n Verlauf um den
Balken herum erkannt werden. Der hintere, ausgesparte Hirnbezirk entspricht d e m Versorgungsgebiet der Aa.
vertebrates
Sinus sagittalis su
- V .cerebri int.
~~ V. cerebri magna
ist:
—
. — — — Sinus rectus
w
Α — — Sinus cavernosus
V.
Sinus transversus
/ — Confluens sinuum
Sinus sigmoideus
f Sinus occipitalis
V. cerebri magna
(Galeni)
Confluens sinuum
Sinus transversus
Sinus sigmoideus
— Sinus cavernosus
^ V. jugularis int.
Abb. 5.79: Röntgenologische Darstellung der Gehirnvenen und der Sinus durae matris (Phlebogramm), Seiten-
aufnahme (oben) und a.-p.-Aufnahme. Es handelt sich um spätere Aufnahmen aus der selben Untersuchung wie
in Abb. 5.78. Hier ist das Kontrastmittel über die Kapillaren bereits in die Venen abgeflossen. Die Seitenaufnahme
ist zeitlich kurz vor der a.-p.-Aufnahme angefertigt, weshalb sich hier die oberflächlichen Venen besser, Sinus
sigmoideus und Vena jugularis int. aber noch nicht oder nur flau darstellen
Processus
spinosus" Ν
Medulla
Arcus spinalis
vertebrae ν /
Ramus spinalis
Processus
transversus
Canalis
vertebralis
Corpus
vertebrae
> Zuflüsse aus der A. radicularis magna. Meist 5.3.4.3 Venen des Gehirns
über die zweite lumbale Wurzel erreicht, von
links oder rechts kommend, eine größere Arte- Innere Hirnvenen
rie, die A. radicularis magna, das Lumbaimark.
Sie entstammt den Arteriae lumbales, dorsalen Hirnvenen sind klappenlos, dünnwandig und
Ästen der Aorta abdominalis, und teilt sich in verlaufen zumeist unabhängig von den Arterien.
einen aszendierenden und deszendierenden Ast, Sie lassen sich in oberflächliche und tiefe Venen
der die A. spinalis anterior darstellt. Diese ist unterteilen.
also eine Anastomose zwischen der A. vertebra-
lis und der A. radicularis magna. Anastomosen Sie sammeln das Blut aus den zentralen Teilen des
zwischen Ästen der A. spinalis anterior und den Gehirns. Nach Ferner findet sich in der äußeren
mit der dorsalen Wurzel ans Rückenmark heran- Zone der weißen Substanz des Großhirns eine
tretenden Ästen bilden zahlreiche Gefäßschlin- „venöse Wasserscheide" (s. Abb. 5.82). Das venöse
gen um das Rückenmark. Blut aus dem Marklager fließt durch 5 große
innere Hirnvenen ab:
Klinik: 1. Bei Verschluss der A. spinalis anterior
D> V. septi pellucidi. Sie empfangt trotz ihrer
kommt es zu apoplektiform (schlagartig) auftre-
Lokalisation nur wenig Zufluss vom Septum
tenden Schmerzen und Empfindungsstörungen:
pelludicum, sondern sammelt das venöse Blut
A. spinalis anterior-Syndrom. Später treten
hauptsächlich aus dem Marklager des vorderen
durch Schädigung des Vorderhorns kaudal des
Frontalhirns.
Verschlusses schlaffe, durch isolierte Schädi-
D> V. thalamostriata (wegen ihres Verlaufs an der
gung der Pyramidenbahn (bei erhaltenem Vor-
Grenzlinie zwischen Diencephalon und Telence-
derhorn) spastische Lähmungen auf 2. Durch
phalon wird sie auch Vena terminales genannt).
Läsion des Vorderseitenstrangs ist außerdem mit
Diese nimmt das Blut aus dem Marklager des
herabgesetzter Schmerz- und Temperaturemp-
dorsalen Frontalhirns und des rostroten Pari-
findung zu rechnen. Die im Hinterstrang loka-
etalhirns, aber nicht aus dem Striatum und
lisierte Sensibilität und Propriozeption bleibt
Thalamus auf. Das Caput nucl. caudati und der
dagegen erhalten.
Thalamus besitzen einen eigenen Venenbaum
(V. thalamica in Abb. 5.82), der direkt in die
V. cerebri interna einmündet.
Blutleiter der harten Hirnhaut I> Sinus transversus. Er folgt beiderseits dem
Ansatz des Kleinhirnzelts bis zur oberen Kante
Die Blutleiter, Sinus durae matris (Abb. 5.69, der Felsenbeinpyramide.
70), sind die Hauptabflussleiter des venösen t> Sinus sigmoideus. Als vordere Fortsetzung des
Blutes aus dem Gehirn. Sie verlaufen zwischen Sinus transversus verläuft er S-bogenförmig
den beiden Durablättern und nehmen das Blut zum Foramen jugulare, wo er in den Bulbus v.
der Venen des Gehirns, der Augenhöhle, des jugularis superior einmündet. Durch die dünne
Labyrinths und der Schädelknochen auf. Die Wand, die ihn von den Zellen des Warzenfortsat-
Blutleiter münden in die V. jugularis interna, die zes trennt, können infektiöse Prozesse leicht auf
am Foramen jugulare in der hinteren Schädel- den Blutleiter übergreifen.
grube beginnt. Der Abfluss des Venenblutes aus t> Sinus occipitalis. Er beginnt am Venengeflecht
den Sinus durae matris kann aber auch durch Vv. des Foramen magnum und zieht in der Wurzel
emissariae erfolgen. der Kleinhirnsichel zum Confluens sinuum.
D> Sinus cavernosus. Er umgibt den Türkensattel
Wandaufbau. Von den Venen unterscheiden sich und ist durch Bindegewebszüge gekammert.
die Blutleiter durch ihren Wandbau. Sie besitzen Beide Seiten sind vorn und hinten durch die
eine Intima, jedoch enthalten ihre starren Wände Sinus intercavernosi verbunden. Der Sinus
keine Muskelzellen, so dass sie sich nicht dehnen cavernosus erhält Zuflüsse vom Sinus sphe-
und kontrahieren können. Dadurch wird ein noparietalis, von den unteren Hirnvenen und
gleichmäßiger Rückstrom des Blutes gesichert und der V. ophthalmica superior (via V. angularis
verhindert, dass bei der Zirkulation auftretende = Infektionspforte, s. Kap. 4.19.1.2, S. 342).
Volumenschwankungen auf das Gehirn übertragen Außerdem anastomosiert der Sinus cavernosus
werden. mit allen extrakraniellen Venen der Schädel-
basis sowie über den Plexus basilaris mit den
Die einzelnen Sinus Venengeflechten des Wirbelkanals. Sein Abfluss
!> Sinus sagittalis superior. Er beginnt am Fora- erfolgt durch die Sinus petrosus superior und
men caecum vor der Crista galli, wo er bei inferior. Durch den Sinus cavernosus laufen die
Neugeborenen noch mit den Nasenvenen in A. carotis interna, die Augenmuskelnerven (Nn.
Verbindung steht. Er zieht dann am Ansatz der III, IV, VI) sowie die Nn. VI, V2 (s. Abb. 5.49).
Hirnsichel nach hinten und mündet in Höhe der Ο Sinus petrosus superior. Er verläuft vom Sinus
Protuberantia occipitalis interna in den Conflu- cavernosus auf der oberen Kante des Felsen-
ens sinuum. In seine seitlichen Ausbuchtungen, beins zum Sinus sigmoideus, der Sinus petrosus
Lacunae laterales, münden die oberen Venen inferior an der hinteren Unterkante des Felsen-
der Hirnrinde. beins zum Foramen jugulare. Letzterer nimmt
t> Sinus sagittalis inferior. Dieser zieht am unte- die Vv. labyrinthi auf.
ren Rand der Hirnsichel nach hinten und mündet D> Sinus sphenoparietalis. Er läuft am hinteren
in den Sinus rectus. Er nimmt die Venen aus dem Rand des kleinen Keilbeinflügels zum Sinus
Gebiet des Balkens und der benachbarten Hirn- cavernosus.
teile auf.
D> Sinus rectus ist die Fortsetzung des Sinus sagit- Klinik: 1. Nach dopplersonographischen Befun-
talis inferior. Er verläuft in der Verwachsungs- den (Valdueza) erfolgt die venöse Drainage aus
linie zwischen Kleinhirnzelt und Hirnsichel zum der Schädelhöhle nur in horizontaler Körperlage
Confluens sinuum. In ihn mündet die V. cerebri überwiegend über die Venae jugulares internae.
magna, die das Blut der tiefen Hirnvenen ablei- Bei aufgerichtetem Körper kollabieren diese
tet. Gefäße und das Blut wird über die vertebra-
D> Confluens sinuum. Er liegt an der Protuberan- len Venenplexus (s. u.) abgeleitet. 2. Über die
tia occipitalis interna. Hier vereinigen sich der V. dorsalis nasi, angularis und V. ophthalmica
Sinus sagittalis superior, Sinus rectus, Sinus besteht eine Verbindung zwischen Gesicht
occipitalis und Sinus transversus. (V. facialis) und intrakraniell-venösem Kreislauf
(s. Kap. 4.19.1.2, S. 342, und Abb. 5.70). Nor-
malerweise ist die Strömungsrichtung von innen
[> Plexus venosus vertebralis externus poste- • Blut-Hirn- sowie Blut-Liquor-Schranke. Die
rior. Der innere Wirbelsäulenplexus ist über Blut-Hirn- und Blut-Liquor-Schranke stellen
zahlreiche das Ligamentum flavum durchbre- mechanische Barrieren dar, welche das Eintre-
chende Anastomosen mit dem äußeren Plexus ten unerwünschter Substanzen aus dem Blut ins
verbunden. Dieser liegt zwischen Dorn- und Gehirn verhindern sollen. Morphologisch ent-
Querfortsätzen der Wirbel und der autochthonen spricht ihnen die besondere Struktur der Blut-
Rückenmuskulatur. Kranial geht er in den Plexus gefäße im ZNS, die durch tight junctions des
sukoccipitalis über, der über die Vv. emissiariae Endothels abgedichtet sind. Hierdurch wird der
mastoideae, condyloideae et occipitales mit parazelluläre Transport inhibiert. Zudem sind
dem Schädelinneren in Verbindung steht. die Kapillaren nicht fenestriert, so dass insge-
samt eine Permeabilitätsbarriere fur wasserlösli-
Klinik: Die vertebralen Venenplexus stellen che Substanzen besteht. Solche Moleküle, etwa
einen wichtigen Umgehungsweg bei Verschluss Aminosäuren und Glukose, müssen erst über
oder Kompression der Vena cava inferior (Kavo- spezifische Transportersysteme eingeschleust
kavale-Anastomosen) dar, wie er ζ. B. bei Hepa- werden. Zusätzlich wird der Eintritt größerer
topathien, bei Vena-cava-inferior-Thrombose Moleküle durch die Glia limitans (Membrana
oder bei Schwangerschaften auftreten kann. limitans gliae perivascularis) behindert. Gase
und fettlösliche Moleküle wie Nikotin oder
Alkohol können dagegen per diffusionem ins
Gehirn gelangen.
5.3.4.5 Lymphabflüsse von Gehirn
und Rückenmark
Klinik: Zur medikamentösen Therapie der Par-
kinson-Krankheit, einem Mangel an Dopamin,
Lymphgefäße gibt es weder im Gehirn noch im
kann die fehlende Substanz selbst nicht verab-
Rückenmark. Antigene aus dem ZNS drainieren
reicht werden, da sie weder „schranken"- noch
aber durch die Lamina cribrosa des Siebbeines
„liquorgängig" ist. Statt dessen verabreicht man
und entlang der Perineuralscheiden der Hirn- und
das chirale L-Dopa, welches die Blut-Him-
Spinalnerven in die zervikalen bzw. paraaortalen
Schranke leichter zu überqueren vermag.
Lymphknoten. Dort können Immunreaktionen
gegen Antigene im Gehirn induziert werden.
• Immunprivileg. Wie andere besonders schüt-
zenswerte bzw. schlecht regenerierende Organe
(Hoden und Ovar, vordere Augenkammer, Pla-
5.3.4.6 Blut-Hirn-Schranke,
zenta) ist das Gehirn immunprivilegiert, d. h.
Blut-Liquor-Schranke und
Immunreaktionen werden durch Blut-Gewebe-
Immunprivileg des ZNS
Barrieren (Blut-Hirn- oder Blut-Hodenschranke)
und durch die Freisetzung anti-inflammatori-
Die Funktion des Gehirns ist offenbar abhängig von
scher Botenstoffe des Immunsystems (Zyto-
der Homöostase des Nervengewebes. So können
kine) unterdrückt. Dadurch laufen auch im ZNS
Änderungen der Ionenkonzentration, des Blut-
entzündliche Prozesse abgeschwächt ab, so dass
oder osmotischen Drucks wie auch des pH-Wertes
die postmitotischen Nervenzellen weitgehend
zu Bewusstseinsverlust oder sogar zum Tode
geschont werden. Der Preis hierfür ist, dass sich
fuhren. Hinzu kommt, dass Neurone zum größten
viele neurotrope Viren dauerhaft im ZNS vor
Teil postmitotische Zellen sind. Ein Ersatz bereits
dem Zugriff des Immunsystems „verstecken"
verlorener Nervenzellen findet nach heutigem
können. Offenbar ist deren latenter Verbleib im
Kenntnisstand beim Erwachsenen nicht mehr oder
ZNS für das Inviduum günstiger als eine Elimi-
nur in sehr geringem Ausmaß statt. Deshalb muss
nation infizierter Neurone.
die Homöostase im Gehirn in besonderer Weise
gesichert werden:
5.4.1 Was ist funktionelle der Netzhaut, Retina (s. Kap. 6.1.3.2, S. 567),
Neuroanatomie? besteht, sowie einen integrativen Abschnitt, der
einzelne Retinaneurone und Teile des Gehirns
umfasst.
Nachdem die Morphogenese des Zentralen Nerven-
systems, dessen regionale und topographische Ana-
Funktionell kann dem visuellen System auch die
tomie sowie seine Blutversorgung besprochen sind,
Okulomotorik hinzugerechnet werden. Vor der
sollen nun funktionell zusammenwirkende Regi-
Besprechung der visuellen Kortexareale im Lobus
onen zu Systemen zusammengefasst und erörtert
occipitalis soll hier nochmals eine knappe Zusam-
werden. Hierbei werden informationsleitende und
menfassung der Sehbahn erfolgen (s. Kap. 6.1.3.2,
modulierende Systeme unterschieden: Informati-
S. 567).
onsleitende Systeme leiten Informationen im enge-
ren Sinne (ζ. B. visuellen Input) und verarbeiten sie
im Zusammenspiel verschiedener Hirnregionen;
modulierende Systeme wie das ARAS (s. Kap. 5.4.2.2 Sehbahn
5.4.9.2) verändern dagegen die Aktivierbarkeit von
neuronalen Netzen häufig durch präsynaptische • Die Sehbahn bis zur Sehnervenkreuzung
Innervation. Auch wenn diese Unterscheidung (Chiasma opticum)
nicht immer scharf ist, können insbesondere höhere Die ersten 3 Neurone der Sehbahn liegen inner-
kognitive Funktionen als Ergebnis sowohl infor- halb der Retina. Ganz außen, d.h. dem ins Auge
mationsleitender als auch modulierender Systeme einstrahlenden Licht am weitesten abgewandt,
verstanden werden. befinden sich die Stäbchen- und Zapfenzellen
(1. Neuron), deren Erregung von den bipolaren
Die Kenntnis darüber, wie und wo Informationen Zellen (2. Neuron) an die retinalen Gangli-
von der Rezeption bis zur Wahrnehmung zuneh- enzellen (RGC oder Optikusganglienzellen,
mend prozessiert werden, erleichtert den klinisch 3. Neuron) weitergeleitet werden (s. Kap.
Tätigen die Lokalisation von Schädigungen anhand 6.1.3.2 und Abb. 6.20, S. 567). Die Axone der
charakteristischer Ausfallssymptome. Dies wird RGCs verlaufen nach Passage der Area cribrosa
schon im nächsten Abschnitt deutlich: Eine Schä- etwa 4,5 cm als N. opticus bis zum Chiasma
digung am Beginn der Sehbahn in der Retina führt opticum. Distal des Chiasma werden sie als
zu deutlich anderen klinischen Symptomen als eine Tractus opticus bezeichnet.
Schädigung am Ende der Sehbahn im visuellen
Jüngste Arbeiten (2002) haben ergeben, dass nicht nur die
Cortex.
Photorezeptoren (Stäbchen und Zapfen), sondern auch
eine Subpopulation der RGCs direkt auf Licht reagieren.
Ihre Axone zweigen am Chiasma ab und verlaufen im
5.4.2 Visuelles System Tractus retinohypothalamicus zum Nucl. suprachiasma-
ticus, wo sie die dort generierten zirkadianen Rhythmen
Lernziele: Sehbahn, Nervus und Tractus dem Tag-Nacht-Rhythmus anpassen.
opticus, Gesichtsfelddefekte, visueller Cortex
Klinik: 1. Unter einer Optikusatrophie werden
(Brodmann-Areale 17, 18, 19), Okulomotorik
sämtliche Formen der Degeneration von Mark-
und beteiligte Hirnnerven, sympathische und
scheiden und Axonen des N. opticus verstanden.
parasympathische Innervation des Auges, opti-
Sie ist also als eine Läsion des dritten Neurons
sche Schutzreflexe
der Sehbahn aufzufassen, wie sie etwa bei Glau-
kom oder nach toxischer Einwirkung zustande
kommt. Das charakteristische Merkmal einer
5.4.2.1 Definition Optikusatrophie ist die Abblassung der Papille,
die ophthalmoskopisch erkennbar wird. Eine
Das visuelle System enthält einen rezeptiven Optikusatrophie geht schließlich in einen irre-
Anteil, der insbesondere aus den Sinneszellen versiblen gliösen Umbau des Sehnerven über.
Retina
- N. opticus
- Ganglion ciliare
- Chiasma opticum
Colliculus superior
Pulvmarthalami
Corpus callosum
optisches Erinnerungszentrum
I '
Radiatio optica (gefasert) Sehrinde (Area striata)
(s. Abb. 5.85). Im Chiasmabereich treten schon gerichteten Bogen, während die Fasern aus dem
einzelne Fasern in den unmittelbar benachbarten Punkt des schärfsten Sehens, der Macula lutea
Hypothalamus ein, wo sie lichtabhängige endo- (s. Kap. 6.1.3.2, S. 567), auf kürzestem Weg zur
krine Funktionen beeinflussen können. Sehrinde ziehen (s. Abb. 5.86).
Hirnhäute des N. opticus. Die Axone der Gang-
Klinik: Die Sehnervenkreuzung hat für die
lienzellen verlassen die Retina in der Papilla n.
neurologisch-topische Diagnostik einen hohen
optici, die dem „blinden Fleck" des Gesichtsfelds
Stellenwert, da hier sämtliche Fasern beider
entspricht, und erhalten hier eine Markscheide. In
medialer (nasaler) Retinahälften, die die late-
der Orbita ist der Sehnerv bereits von Hirnhäuten
ralen Gesichtsfeldhälften repräsentieren, zur
umgeben, und zwar als Vagina interna n. optici von
Gegenseite kreuzen. Demgegenüber setzen
Pia mater und Arachnoidea mater sowie als Vagina
sich die Fasern beider lateraler (temporaler)
externa nervi optici von der Dura mater, die am
Retinahälften, die das mediale Sehfeld repräsen-
Augapfel in die Sklera übergeht. Der N. opticus und
tieren, ungekreuzt in den Tractus opticus fort.
die Retina sind embryonal nach peripher verlagerte
Das heißt, dass sich im Tractus opticus sowohl
Hirnabschnitte, die sich aus Anteilen des Dienze-
Fasern der ipsilateralen temporalen als auch der
phalons entwickeln (Augenbecher und Augenstiel,
kontralateralen nasalen Retinahälften befin-
s. Kap. 6, Abb. 6.5, S. 553, und Abb. 5.10, 11).
den. Auf diese Weise werden Signale aus dem
rechten Gesichtsfeld der linken Hirnhälfte und
Signale aus dem linken Gesichtsfeld entspre- Klinik: Gesichtsfelddefekte (s. Abb. 5.86):
chend der rechten zugeleitet. Aufgrund dieser 1. Eine Unterbrechung des N. opticus, etwa
Faserkreuzung kann mit einfachen Methoden bei Optikusatrophie (s. o.), fuhrt zum mon-
zwischen einer Schädigung proximal oder distal okularen Gesichtsfeldausfall, Amaurose (voll-
des Chiasma unterschieden werden. ständige Blindheit). Der II. Hirnnerv stellt
also ein „Nadelöhr" dar, durch das sämtliche
Fasern der Netzhaut eines Augapfels hindurch-
• Sehbahn distal des Chiasma opticum treten müssen. 2. Eine heteronyme binasale
Corpus geniculatum laterale. Der Tractus Hemianopsie (der Begriff der Hemianopsie
opticus endet im CGL des Metathalamus. Dort bezeichnet eine Halbseitenblindheit, die sich
wird die Sehbahn auf das 4. Neuron umgeschal- auf das Blickfeld eines Auges bezieht) entsteht
tet. Zuvor zweigen Kol lateralfasern zur Area durch beidseitige Kompression des Chiasmas
praetectalis und Lamina tecti ab. Diese Kol- von lateral, wie sie ζ. B. (selten) bei Tumoren
lateralfasern ermöglichen die Aufrechterhaltung oberhalb der Sella turcica auftreten kann. 3. Die
einzelner optischer Reflexe auch bei Läsionen häufigere heteronyme bitemporale Hemianopsie
des CGL. Das CGL bildet 5 mit weißer Sub- („Scheuklappenblindheit") ist Folge einer medio-
stanz alternierende Schichten grauer Substanz dorsalen Kompression des Chiasmas, die ζ. B.
aus. Hier enden die ipsilateralen Fasern in den durch Tumoren der Hypophyse (häufig: Hypo-
Schichten 1, 3 und 5, die kontralateralen Fasern physenadenome) bedingt wird. 4. Bei Läsion des
in den Schichten 2 und 4. CGL oder der Radiatio optica entsteht oft eine
• Sehstrahlung. Vom CGL ausgehend setzt sich homonyme Hemianopsie zur Gegenseite (der
die Sehbahn als weit auslaufende Gratiolet- Begriff homonym meint die sich entsprechen-
Sehstrahlung, Radiatio optica, fort, die von den den Bilder gleicher Netzhauthälften; heteronym
Axonen der Relaiszellen des CGL gebildet wird. sind ungleiche Netzhauthälften), die sich jedoch
Die Fasern des unteren kontralateralen Gesichts- durch erhaltene optische Reflexe (Pupillenreflex)
feldes liegen in der Gratiolet-Strahlung im auszeichnet, da die hierfür notwendigen Fasern
oberen Bereich. Die Fasern des oberen kontra- bereits vor dem Metathalamus ins Mesence-
lateralen Gesichtsfelds liegen im unteren Anteil phalon abgehen. Läsionen im Verlauf der Seh-
der Sehstrahlung. Diese Kenntnis ermöglicht die strahlung im dorsalen Teil der Capsula interna
topische (ortsbezogene) Diagnostik spezifischer kommen als Folge eines Infarkts der A. cerebri
Gesichtsfeldausfalle, die Quadrantenanopsien media vor. Da das relativ kleine CGL schnell
(s. unten). Die Fasern aus der Retinaperipherie vollständig geschädigt wird, kommt es bei
bilden im Lobus temporalis einen nach rostral
1. Monokularer Gesichtsfeldausfall
Amaurose nach Durchtrennung oder
Kompression des Nervus opticus
5. Homonyme Hemianopsie
Gratiolet Sie tritt andererseits auch bei Läsion der ge-
Sehstrahlung samten Sehstrahlung in ihrem intrakapsulä-
ren Verlauf auf, etwa nach einem Infarkt der
Arteria cerebri media
seiner Läsion häufig zu einer kompletten Hemi- Sehbahn mit elektrophysiologisch nachweisba-
anopsie. Im Gegensatz dazu stellen 6. Quadran- rer Impulstätigkeit vorliegt. Gleichzeitig bleiben
tenanopsien die Folgen inkompletter Läsionen einige optische Reflexe erhalten.
der Sehstrahlung dar. Eine Quadrantenanopsie
nach oben stellt sich nach rindennahen Läsio-
nen unterhalb des Sulcus calcarinus oder nach
Läsion der Meyer-Schleife (weit lateral ziehende
5.4.2.3 Visueller Cortex
Fasern aus dem CGL) im Temporalpol ein, wie
Der visuelle Cortex liegt in der Rinde des Lobus
sie bei einem Infarkt der A. cerebri posterior
occipitalis und wird zytoarchitektonisch in die
entsteht. 7. Eine Quadrantenanopsie nach unten
Brodmann-Areale 17, 18 und 19 gegliedert. Die
ist als Folge kortexnaher Läsionen oberhalb des
Area 17 ist das primäre, die Areae 18 und 19
Sulcus calcarinus aufzufassen und geht meistens
sind die sekundären visuellen Rindenfelder.
auf einen parietalen Tumor zurück. 8. Kortikale
Blindheit. Da die Areae 17 beider Seiten im
In d e n l e t z t e n J a h r e n b e s c h r e i b t m a n unterschiedliche
Interhemisphärenspalt nahe beieinander liegen,
Felder (V1-V6), die durch funktionelle Charakteristika
entsteht bei pathologischen Prozessen häufig (ζ. B. a u s f u n k t i o n e l l e n M R T - S t u d i e n , m i t d e n e n sich
eine gemeinsame Schädigung. Hieraus resultiert kortikale A k t i v i e r u n g sichtbar m a c h e n lässt) v o n e i n a n d e r
das seltene Krankheitsbild einer vollständigen abgegrenzt werden. Sie gehen j e d o c h teilweise über die
kortikalen Blindheit, obwohl eine unbeschädigte B r o d m a n n - A r e a l e (s. K a p . 5 . 4 . 1 0 . 2 , S. 5 3 1 , A b b . 5 . 1 2 7 ,
128) hinaus. Ähnliches gilt fur den auditiven Cortex, den sche Veränderungen des Gesichtsfelds als auf statische
sensiblen und den motorischen Cortex. Formen und Muster. Dies hat zur Annahme einer modu-
laren Organisation des visuellen Cortex geführt. Außer-
• Primäre Sehrinde. Der physiologisch wich- dem geht man von der Existenz so genannter okulärer
tigste Teil des visuellen Cortex ist das primäre Dominanzsäulen aus, die eine vorwiegende Verarbeitung
optische Rindenfeld (Area 17 nach der zyto- aus dem linken oder dem rechten Auge aufweisen. Eine
architektonischen Felderung Brodmanns, weitere Interpretation roher Sehdaten, insbesondere die
Bilderkennung selbst, scheint in der primären Sehrinde
in dem die Sehstrahlung endigt. Die Area 17
aber noch nicht zu erfolgen.
grenzt an den Sulcus calcarinus und erstreckt
sich größtenteils über die mediale Wand des
• Sekundäre Sehrinde. Die primäre Sehrinde ist
Okzipitallappens. Dagegen setzt sie sich nur zu
efferent hauptsächlich mit den Areae 18 und
einem geringen Teil auf den konvexen Okzipi-
19 verknüpft, die die Area 17 umgeben. Area
talpol fort (s. Abb. 5.15). In der Rinde von Area
18 und 19 bilden die sekundäre Sehrinde, in der
17 ist bereits makroskopisch ein weißer Streifen
die integrative Verarbeitung optischer Impulse
erkennbar (Gennari- oder Vicq d'Azyr-Strei-
sowie die Bilderkennung erfolgt (s. Abb. 5.87).
fen). Wegen dieser intrakortikalen Assoziations-
In Area 18 liegt funktionell das Feld V2, in Area
fasern, die oberflächenparallel verlaufen, wird
die Area 17 auch als Area striata bezeichnet. 19 die Felder V3-V6, die aber interindividuell
Hauptsächlich kommen die Afferenzen des variieren. Ihre Afferenzen erhält die sekun-
visuellen Cortex aus dem CGL, von wo aus sie in däre Sehrinde hauptsächlich aus der Area 17.
retinotopischer Ordnung zur Sehrinde ziehen. Zusätzlich zur Integration optischer Impulse
Dabei entspricht jeder Netzhautregion ein kor- spielt sie eine wichtige Rolle als Relaisstation
respondierendes Rindenareal. Die Macula lutea für die Weitergabe der visuellen Informationen
als Ort des schärfsten Farbensehens projiziert an weitere Kortexareale mit assoziativen und
auf besonders große Areale der gesamten dor- integrativen Funktionen für die Bilderkennung
salen Rinde oberhalb des Sulcus calcarinus bis und -deutung.
hin zum Okzipitalpol. Die Signale von der Reti- Aufgrund der retinotopen Gliederung der Sehstrahlung
naperipherie werden von der rostralen Hälfte ist man früher davon ausgegangen, dass die beiden stria-
der Area 17 verarbeitet. So scheint das Bild des talen Felder des visuellen Cortex einzig für die Formation
Gesichtsfelds Punkt für Punkt übertragen zu der Bildwahrnehmung zuständig seien. Dieses Konzept
werden, wobei der Makula lupenartig vergrößert wurde auch als kortikale Retina bezeichnet. Es erwies
wird. Die primäre Sehrinde sendet eine Vielzahl sich jedoch als eine zu starke Vereinfachung und so
nimmt man heute eine Vielzahl von zusätzlichen visu-
kortikaler Efferenzen aus. Eine ihrer Hauptbah-
ellen Feldern in der sekundären Sehrinde oder anderen
nen zieht hierbei zum frontalen Augenfeld des Kortexarealen an, die außerhalb der Area striata liegen
Frontallappens. Dieses Kortexareal ist insbeson- (deshalb auch: extraxtriate areas). Sie weisen eine weit-
dere für Blickwendungen und Korrekturbewe- gehende Spezialisierung für diverse Sehqualitäten auf, so
gungen der Augen verantwortlich. ζ. B. V2 fur Konturen, V3 und V5 für Bewegungen sowie
V4 für Farben. Neben V2 bis V5 haben andere sekundäre
In elektrophysiologischen Experimenten sind bei Rei- Sehareale spezifische Namen erhalten, wobei bislang bei
zung der primären Sehrinde optische Wahrnehmungen Affen etwa zwanzig unterschiedliche Felder experimen-
auslösbar. Im Bereich dieses Kortexareals liegen beson- tell entdeckt worden sind, von denen ein jedes über eine
ders durch Hell-/Dunkelkontrast erregbare zusammen- annähernd vollständige Repräsentation des visuellen
hängende Neuronenketten, die jeweils Signale ihrer Feldes verfügt.
rezeptiven Felder in der Retina verarbeiten. Besonders
interessant ist, dass manche Neurone spezifisch auf die Klinik: 1. Aufgrund der Vielzahl morphologi-
räumliche Orientierung von Lichtstreifen reagieren. So scher Verbindungen spezialisierter Neuronen-
genannte einfache Zellen {simple cells) reagieren auf Ori- gruppen mit der primären Sehrinde können bei
entierungsunterschiede sowie auf Hell-/Dunkelkontrast-
Punktläsionen in den Areae 18 und 19 unter-
Linien. Komplexe Zellen (complex cells) sind im Zusam-
menhang eines überregionalen Neuronennetzes aktiv
schiedliche neurologische Ausfalle auftreten.
und reagieren auf bestimmte Winkelmuster. Überdies Diese gehen meistens mit dem Verlust selekti-
reagieren bewegungs- und richtungsabhängige Zellen ver Wahrnehmungsprozesse einher. Betroffene
(direction-selective cells) viel sensitiver auf dynami- Patienten vermögen ζ. B. keine Gesichter,
Abb. 5.87: Funktionelles MRT der visuellen Areale des menschlichen Cortex. Dem Probanden werden (A) horizon-
tale und vertikale Balken (Meridiane) bzw. (B) Bewegungsmuster dargeboten. Die funktionelle Aktivierung visu-
eller Areale ist auf den kortikalen Landkarten farbkodiert dargestellt (aus der Neurologischen Klinik der Charite,
Prof. Dr. med. A. Villringer)
Farbmuster oder bestimmte Gegenstände mehr meist durch Infarkt der Arteria cerebri media,
zu erkennen. Die isolierte Erregbarkeit spezi- können zu zentraler Alexie (mit Agraphie)
fischer Neuronengruppen (durch Schachbrett- führen: Patienten mit einer zentralen Alexie
muster) macht man sich etwa bei der Auslösung haben die Fähigkeit verloren, mit Schriftsprache
und Bestimmung visuell evozierter Potenziale umzugehen, wobei der Ausfall nicht allein auf
(VEP) zunutze, wobei nach Musterpräsentation die visuelle Modalität beschränkt bleibt, sondern
(Kontrastumkehr) die positiven Potenziale und auch vorbuchstabierte Worte und taktil empfun-
Latenzen über dem okzipitalen Cortex bestimmt dene Hautschrift umfasst.
werden. Das Ziel ist die Untersuchung der Seh-
bahn von der Retina bis zur Sehrinde, wobei die
VEPs insbesondere in der Diagnostik umschrie-
bener Markscheidenläsionen zum Tragen kom-
5.4.2.4 Okulomotorik
men, ζ. B. bei der Multiplen Sklerose. Durch
Der Bewegungsapparat des Auges besteht aus
den Verlust von Myelin ist ein verzögerter
4 geraden (M. rectus superior, inferior, medialis
Informationsfluss in die Sehrinde nachweisbar.
und lateralis) und 2 schrägen Muskeln (M. obli-
2. Wenn die sekundäre Sehrinde, die optische
quus superior, inferior). Der M. rectus lateralis
Erinnerungsbilder bewahren kann, durch einen
wird vom Ν VI., der M. obliquus superior vom
pathologischen Prozeß zerstört wird, entsteht
Ν IV., alle anderen äußeren Augenmuskeln vom
Seelenblindheit, optische Agnosie. Dabei
Ν III. innerviert, (s. Kap. 6.2, S. 575).
besteht eine Unfähigkeit, gesehene Gegenstände
wiederzuerkennen und zu deuten, weil die
Vergleichsmöglichkeit mit früheren optischen Zentren der Koordination
Eindrücken entfällt. Beeinträchtigungen des
Gyrus angularis im Lobus parietalis inferior, Damit die Sehachsen beider Augen sich im visu-
ellen Objekt treffen können, müssen beide Augen-
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462 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
bulbi entsprechend koordiniert bewegt werden. Das Area praetectalis und Colliculus superior. Effe-
ZNS steuert die Okulomotorik durch die simultane rente kortikofugale Bahnen ziehen von den o. g.
Innervation der äußeren Augenmuskeln. An diesem frontalen und okzipitalen Kortexfeldern zunächst
Vorgang sind mehrere Strukturen beteiligt: zur Area praetectalis und zum Colliculus superior.
Diese Zentren sind für sakkadische Blickfolgebewe-
1. Kortexareale: frontales und okzipitales Augen-
gungen (die schnelle Komponente des Nystagmus)
feld,
zuständig. Zusätzlich zu diesen Relaisstationen
2. die Area praetectalis und der Colliculus supe-
finden sich weitere präokulomotorische Umschalt-
rior,
zentren im Nucleus interstitialis (Cajal) des
3. die Hirnnervenkerne III, IV und VI. medialen Mesenzephalons („mesenzephales Blick-
Kortexareale. Das kleine frontale Augenfeld, das zentrum" fur vertikale Blickbewegungen) sowie in
im dorsalen Bereich der mittleren Frontalwindung der Formatio reticularis. Hierzu gehört das pontine
liegt, entspricht etwa dem Brodmann-Areal 8 (s. Blickzentrum rostral des Nucl. n. hypoglossi (Nucl.
Abb. 5.127, 128). Seine physiologische Funktion praepositus n. hypoglossi) für horizontale Blickbe-
besteht in der Steuerung von Willkürbewegungen wegungen (Abb. 5.88). Von hier aus bestehen Ver-
der Augäpfel sowie im periodischen Abtasten des bindungen zu den Kernen der Nn. III, IV, und VI,
Gesichtsfelds auf neue visuelle Reize hin. Außer- die außerdem durch den Tractus corticonuclearis
dem fallt die Integrationsfunktion unwillkürlicher beider Hemisphären mit Willkürimpulsen aus dem
Folgebewegungen der Augen auch in den Bereich Gyrus praecentralis versorgt werden.
der Sehrinde bzw. des okzipitalen Augenfelds,
Hirnnervenkerne III, IV und VI. Die Axone
das sich aus den Brodmann-Arealen 17,18 und 19
dieser Hirnnerven stammen von Motoneuronen in
zusammensetzt.
— M. rectus lat.
Nervus / |f
oculomotorius -
- Nervus abducens
Motoneuron im
Ncl. n. oculomotorii - Ν. VI
hemmendes /
Interneuron
erregendes
Neuron
Abb. 5.88: Regulation der horizontalen Blickbewegung (P. R R. F. = paramediane pontine (parapontine) retikuläre
Formation). Beim Blick nach außen erregt ein Neuron aus der R P. R. F. Motoneurone für den in Blickrichtung
zielen M. rectus medialis im Nucl. n. III und den M. rectus lateralis im Nucl. η. VI, hemmt aber gleichzeitig über
ein Interneuron im Nucl. praepositus die Aktivität des gegen die Bewegung arbeitenden M. rectus lateralis der
anderen Seite
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5.4 Funktionelle Systeme des ZNS 463
den entsprechenden Hirnnervenkernen. Die Nuclei • Μ. rectus inferior (für den kontralateralen
des N. III befinden sich im Tegmentum mesence- Bulbus).
phali am Boden des Aquaeductus mesencephali auf
• Kern von Perlia. Zwischen den beiden Haupt-
der Höhe der Colliculi superiores, die Kerne des N.
kerngebieten des N. III liegt der unpaare Perlia-
IV in Höhe der Colliculi inferiores. Der Nucl. η. VI
Kern. Funktionell ist er an der Innervation des
liegt weiter kaudal im pontinen Abschnitt des Teg-
M. ciliaris beteiligt. Die Fasern des okulomo-
mentums (s. Abb. 5.54, 89).
torischen Kerngebietes verlaufen zusammen
• III. Hirnnerv. Die motorische Kernsäule des mit den parasympathischen Fasern aus den
N. oculomotorius gliedert sich in mehrere Edinger-Westphal-Kernen nach rostral, durch-
Einzelkerne für die inneren glatten und für die ziehen dabei manchmal den Nucl. ruber, um
äußeren quergestreiften Augenmuskeln. So lässt in der Fossa interpeduncularis zwischen Crus
sich ein mediales parasympathisches Kern- cerebri und Tegmentum den Hirnstamm als N.
gebiet mit den Edinger-Westphal-Kernen, oculomotorius zu verlassen (s. Abb. 5.52). Nach
den Nucll. accessorii autonomici (des III. Hirn- Durchtritt durch die Fissura orbitalis superior
nerven), ausmachen. Die parasympathischen zweigen in der Augenhöhle die parasympathi-
viszeromotorischen Fasern verlaufen ipsi lateral schen Nervenanteile ab und ziehen zum Gan-
zu den inneren Augenmuskeln M. ciliaris und glion ciliare. Hier werden die präganglionären
M. sphincter pupillae. Daneben besteht ein auf kurze postganglionäre Fasern umgeschaltet,
beidseits lateral gelegenes größeres motorisches welche in den Bulbus eintreten und in der Cho-
Kerngebiet für die externen Augenmuskeln roidea bis zum Corpus ciliare und zur Iris ver-
(s. Kap. 6.2.1, S. 575): laufen, wo sie die o. g. inneren Augenmuskeln
innervieren (s. Kap. 6.3.1, S. 581).
• M. levator palpebrae superioris und
• M. rectus superior (des ipsilateralen Bulbus),
• M. rectus medialis und M. obliquus inferior
(beider Bulbi) und
Ganglion ciliare
Westphal-Edinger-Kern
(M. sphincter pupillae)
Perlia-Mediankern
(M. ciliaris)
Nucleus η. ocufomotorii
(großzelliger Lateralkem)
Nucleus η. trochlears
Nucleus η. abducentis -
kortikales Blickzentrum
Abb. 5.89: Schema der Kerne und Nerven für die glatten und quergestreiften Augenmuskeln. Im Nucl. n. oculo-
motorii liegen die Neurone für: 1. M. levator palpebrae superioris; 2. M. rectus superior; 3. Μ. rectus medialis;
4. Μ. obliquus inferior; 5. M. rectus inferior. Die Verschaltung aus den 6 Unterkernen des Nucl. oculomotorius ist
vereinfacht dargestellt. Die Fasern des Ν. III verlaufen nur teilweise gekreuzt (für M. rectus med. und M. obliquus
inferior), dieFasem zum Ν. IV kreuzen vollständig (vgl. Abb. 5.53), während die Axone aus dem Nucl. η. VI unge-
kreuzt zum Ν. VI zielen (vgl. Abb. 5.54)
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464 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
• IV. Hirnnerv. Das motorische Kerngebiet des zephalons; gleiches gilt für Läsionen im Verlauf
Ν. IV befindet sich kaudal des Okulomotorius- des medialen Längsbündels, Fasciculus longitu-
kerngebiets in Höhe der Colliculi inferiores. dinalis medialis (s. Abb. 5.91). 3. Augenmuskel-
Seine Wurzelfasern ziehen um das zentrale paresen. Oft ist es nur bei akuten Lähmungen
Höhlengrau, die Substantia grisea centralis, eines einzelnen Augenmuskels möglich, mit
herum, verlaufen im Velum medulläre superius Hilfe der neurologisch-topischen Diagnostik
nach kontralateral, um basal der Colliculi inferi- gezielt das geschädigte Kerngebiet oder die
ores als einziger Hirnnerv den Hirnstamm dorsal okulomotorischen Nervenfasern auszumachen,
zu verlassen (s. Abb. 5.50, 5.51 und 5.53). In der weil die Schädigung mit der Zeit teilweise kom-
Augenhöhle erreicht der Ν. IV den M. obliquus pensiert wird. Bei älteren Lähmungen oder sol-
superior, den er innerviert. chen in übergreifenden Kerngebieten benötigt
• VI. Hirnnerv. Das Kerngebiet des N. abducens man zusätzlich ein ausgefeiltes diagnostisches
befindet sich kaudal des Colliculus facialis in Instrumentarium (Maddox-Kreuz oder Hess-
der Fossa rhomboidea des Tegmentum pontis. Schirm). Eine komplette Okulomotoriusparese
Es wird von den Fasern des N. facialis im inne- zieht die Lähmung der von ihm innervierten
ren Fazialisknie umfasst. Seine Fasern treten äußeren Augenmuskeln nach sich. Sie ist durch
zwischen Pons und Medulla oblongata als Ν. drei Symptome gekennzeichnet. Erstens kommt
abducens aus (s. Abb. 5.54). Im Fasciculus lon- es durch die Lähmung des M. levator palpebrae
gitudinalis medialis (s. u.) verlaufende Kollate- zu einem Herabsinken des oberen Augenlids,
ralen bewirken eine Abstimmung der Mm. recti Ptosis. Zweitens besteht eine fixierte Augenstel-
mediales, so dass von einer gekreuzten Inner- lung nach kaudolateral durch ein Überwiegen
vation gesprochen werden kann. Zusammen der Mm. recti lateralis et obliquus superior.
mit der dabei mitwirkenden Paramedianen Drittens findet sich eine Dilatationsstellung der
Pontinen Retikulären Formation (PPRF) und Pupille (Mydriasis) bei fehlendem Lichtreflex
dem Nucl. praepositus (Ν. XII) wird der Nucl. N. und aufgehobener Akkomodation. Hierfür ist
VI auch als selbständiges „pontines Blickzent- die Lähmung der parasympathischen Begleit-
rum" aufgefasst (s. Abb. 5.88). fasern des N. oculumotorius verantwortlich, die
die Mm. sphincter pupillae et ciliaris innervie-
Klinik: 1. Augenbewegungsstörungen sind ren. In vielen Fällen besteht diese Symptomatik
häufig klinisch relevant und haben eine große beidseits, was durch die topographische Nähe
Bedeutung für die neurologisch-topische des rechten und linken Okulomotoriuskernge-
Diagnostik. Es werden Blicklähmungen von biets bedingt ist (s. Abb. 5.52, 90). 4. Störun-
Störungen der Pupillomotorik abgegrenzt. 2. gen der Pupillomotorik sind auch auf Beein-
Blicklähmungen. Bei den Blicklähmungen im trächtigung der Reflexwege zurückzuführen.
engeren Sinn sind die konjugierten Augen- Seitengleich weite Pupillen sind Ausdruck von
bewegungen betroffen und das Blickfeld Mittelhirnläsionen. Eine Seitendifferenz der
eingeschränkt, während meist subjektiv keine Pupillen, Anisokorie, entsteht bei Schädigung
Doppelbilder bestehen. Die Läsionen sind bei der den N. oculomotorius begleitenden para-
diesen Blicklähmungen meist supranukleär, das sympathischen Fasern oder der komplemen-
heißt, sie liegen oberhalb der entsprechenden tären sympathischen Innervation. Wenn alle
Hirnnervenkerne in der Verbindung zwischen Muskeln, die vom N. oculomotorius innerviert
Cortex und Nucleus. Einseitige supranukleäre werden, gelähmt sind, Ophthalmoplegia totalis,
Läsionen führen wegen der bilateralen Verschal- dann handelt es sich zumeist um eine periphere
tung der Kerngebiete selten zu größeren Defek- Lähmung. Ist dagegen nur ein einzelner Muskel
ten der Okulomotorik. Einseitige Läsionen im gelähmt, besteht meistens eine nukleäre Läsion,
Kerngebiet selbst bedingen dagegen, je nach die häufig bilateral ist. 5. Trochlearisparese.
der oben dargestellten Verschattung, entweder Hierbei kommt es vor allem bei Neigung des
ipsilaterale oder kontralaterale Ausfälle. Die Kopfes zur erkrankten Seite zu einer Abwei-
enge Nachbarschaft der Okulomotorius- und chung des Auges nach medial und kranial, da
Trochleariskerne erklärt die oft beträchtlichen der M. obliquus superior im Normalfall neben
Ausfälle bei Läsionen im Bereich des Mesen- der Innenrotation des Bulbus (Ausgleichsbewe-
Bulbusstand
.Jt>) (Φ
Blick nach rechts
laterokaudal Blick nach links
und Pupillen- - Blick nach rechts
erweiterung
(Mydriasis) ~m> ( Φ Blick nach oben
Abb. 5.90: Okulomotorius-, Trochlearis- und Abduzensparese des rechten Auges (nach J. Klingelhöfer/M. Spran-
ger, 1997)
willkürliche Blickbewe-
gungen
Sulcus
centralis Verbindung von Area
18 u. 19 zur Area 8
reflektorische
Augenbewegungen
Fasciculus longitudinalis
medialis
vestibuläre
Verbindungen
Colliculus superior L
Colliculus inferior 1 Corpus geniculatum
laterale
Nuclei vestibuläres:
Nucleus superior
Nucleus lateralis
Augenmuskelkerne untereinander. Die internukle- Impulse von der Hals- und Nackenmuskulatur dem
ären Neurone liegen verstreut zwischen den Moto- pontinen Zentrum für vertikale Blickbewegun-
neuronen des Nucl. n. abducentis. Sie senden ihre gen zu.
Axone über den Fasciculus longitudinalis medialis • Formatio reticularis (s. Kap. 5.4.9.2, S. 518).
zu den kontralateralen Motoneuronen im Nucl. n. Sie ist mit dem Nucl. praestiticilis, dem Nucl.
oculomotorii zur Versorgung des M. rectus media- commissurae posterioris, dem Nucl. interstiti-
lis (s. Abb. 5.88). Zusätzlich fließen propriozeptive alis und dem Nucl. Darkschewitsch als hori-
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5.4 Funktionelle Systeme des Z N S 467
zontales Zentrum der Blickbewegungen ein- der Fovea centralis beider Augen fixiert wird. Drei
geschaltet. Durch diese spezifischen Verschat- unterschiedliche Vorgänge sind hierzu notwendig:
tungen können die Augen sowohl willkürlich
1. Konvergenz. Beidseits werden gleichzeitig die
als auch reflektorisch konjugiert bewegt und zur
Mm. recti mediales über die Nn. III innerviert,
Stellung des Körpers hin ausgerichtet werden.
um so das Objekt mit beiden Augenachsen
Die Blickstabilisierung von Eigenbewegungen
fixieren zu können. Hierdurch wird seine Abbil-
des Kopfs oder Körpers wird über den VOR
dung auf korrespondierenden Retinaabschnitten
vermittelt. Dabei reicht der Reflexbogen vom
gewährleistet.
pontomedullären Übergang zum Mittelhirn.
2. Akkomodation. Eine scharfe Abbildung naher
Weitere VestibularisafFerenzen stehen über den
Objekte auf der Netzhaut wird durch Kontrak-
Fasciculus longitudinalis medialis mit den oku-
tion des M. ciliaris, nach Innervation durch den
lomotorischen Hirnnerven in Verbindung, wobei
parasympathischen Anteil des N. III, erreicht,
eine durch Kopfbewegung ausgelöste Reizung
so dass die Linsenspannung nachläst und sie
der Bogengänge des Labyrinths zu einer reflek-
sich passiv abrunden kann. Beim Blick in die
torisch-kompensatorischen Augenbewegung
Ferne erschlafft der M. ciliaris und die Linse
führt.
wird durch die Zugkräfte der elastischen Bruch-
Membran erneut abgeflacht (s. Kap. 6.1.2.2,
Klinik: 1. Die Prüfung des vestibulookulären S. 561).
Reflexes (VOR) durch Kaltwasserspülung des
3. Pupillenverengung. Die Pupille verengt sich,
äußeren Gehörgangs erlaubt am bewusstlosen
ähnlich der Blende einer Fotokamera, um die
Patienten Hinweise auf Komatiefe und Lokali-
Bildschärfe auf der Retina zu erhöhen. Ihre
sation einer Hirnstammschädigung zu erhalten.
Motilität wird durch den vom N. oculomoto-
Physiologisch kommt es zu einem Nystagmus
rius parasympathisch innervierten Μ sphincter
nach kontralateral, der in tiefen Komastadien
pupillae und den vom Sympathicus innervierten
abwesend ist. Ist im tiefen Koma der Hirnstamm
M. dilatator pupillae gewährleistet (s. Abb.
intakt, erfolgt eine tonische Augenbewegung
6.15, S. 562).
zum gespülten Ohr hin. 2. Zwischen den
Hirnnervenkemen besteht eine Vielzahl von Diese 3 Vorgänge werden reflektorisch ausgelöst,
Reflexbögen, die insbesondere in der Formatio wenn sich ein Gegenstand im Gesichtsfeld plötz-
reticularis generiert und koordiniert werden. lich nähert. Die Sehimpulse verlaufen hierbei affe-
Wenn sich der M. rectus lateralis kontrahiert, rent zur Sehrinde, um dann efferent über die Area
sorgen die internukleären Neurone dafür, dass praetectalis zum parasympathischen Perlia-Kern
sich komplementär der M. rectus medialis des und anschließend zu den Edinger-Westphal-Kernen
kontralateralen Auges ebenfalls kontrahiert. zu gelangen. Von dort erreichen sie über das Gan-
Sind die Fasern des Fasciculus longitudinalis, glion ciliare den M. ciliaris für die Akkomodation
etwa bei Multipler Sklerose oder lakunären sowie den M. sphincter pupillae für die Pupillen-
Hirnstamminfarkten, geschädigt, entsteht das verengung. Diese Verbindungen weisen aber eine
Krankheitsbild der internukleären Ophthalmo- unterschiedliche Topographie auf und können
plegie. Bei einseitiger Schädigung tritt ein mon- isoliert voneinander ausfallen. Die Konvergenz
okularer Nystagmus auf. Da die Fasciculi beider der Augäpfel wird über die äußeren Augenmuskeln
Seiten jedoch eng benachbart sind, entsteht realisiert.
meist ein doppelseitiges Krankheitsbild, wobei
es sich bei den hier beschriebenen neurologi- Klinik: Bei der Neurosyphilis und anderen
schen Krankheitsbildern in der Hauptsache um Krankheitsprozessen des Tectums (Encephalitis,
horizontale Ausfallerscheinungen handelt. Multiple Sklerose, Tumor) findet sich ein Synd-
rom, das als Argyll Robertson-Pupille bezeich-
net wird: Es ist durch eine erloschene Lichtre-
Konvergenz- und Akkomodationsreaktionen
aktion gekennzeichnet, wobei Konvergenz und
Beim Fixieren eines nahe gelegenen Objektes Akkomodation jedoch intakt bleiben.
werden die Augen unwillkürlich durch reflektori-
sche Vorgänge so ausgerichtet, dass das Objekt auf
Abb. 5.92: Schema der Hörbahn; „ventrale Hörbahn" = schwarz, „dorsale Hörbahn = blau und Tractus olivococh-
learis = rot; Kerngebiete der Formatio reticularis = schwarz gepunktet. Vom ventralen Kern kreuzt eine Faser-
platte, Corpus trapezoideum, zum Lemniscus lateralis, in die die Kerngebiete der oberen Olive und des Nucl.
corporis trapezoidei eingelagert sind
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5.4 Funktionelle Systeme des Z N S 471
Lobus insularis
Sulcus lateralis
A2 (Areae 22 + 42)
- A1 (Area 41)
s
v Gyrus temporalis
superior
— Lobus temporalis
cochlearis """ — _
Fasciculus longitudinals
medialis
Nucl. nervi
Vestibularorgan
abducentis,
Tractus vestibulo-
spinalis
Muskelspindelapperate
Substantia grisea
medullae spinalis
Abb. 5.94: Kontrolle der Augenstellung durch Auswertung der Informationen im vestibulären System (nach
K. Zilles 1984)
t
Nucleus Nucleus
ventralis ventralis Diencephalon
posterior posterior
thalami thalami
t ί Nucleus η. HI Nucleus n. HI
t I Himstamm
Nucleus η. IV Nucleus η. IV
Nucleus η. VI Nucleus η. VI
Γ" +T Τ
Nucleus Nucleus Nucleus Nucleus Nucleus Nucleus Nucleus Nucleus
vestibularis vestibularis vestibularis vestibularis Fasciculus vestibularis vestibularis vestibularis vestibularis
lateralis superior inferiq medialis ^ longitudinalis medialis inferior superior lateralis
Γ medialis
Cerebellum
Cerebellum Cerebellum
Medulla spinalis
Medulla spinalis Medulla spinalis
Abb. 5.96: Schematische Darstellung der wichtigsten zentralen Leitungsbahnen des Gleichgewichtssystems
Klinik: Die efferenten Bahnsysteme, die zum pontine Blickzentrum dar. Darüber hinaus ist
Teil nicht mehr als 2 synaptische Unterbre- der Nucl. interstitialis auch Ursprungsgebiet des
chungen aufweisen, fuhren zu einer besonders kleinen Tractus interstitiospinalis mit seinen
effektiven und schnellen Kontrolle der Oku- zum Rückenmark hin absteigenden Bahnen. Der
lomotorik durch Gleichgewichtssignale. So Nucl. praepositus (Ν. XII) hat mit dem N. hypo-
bleiben im Kippversuch eines Patienten auf glossus keine funktionellen Gemeinsamkeiten,
der Krankenliege die Augen nahezu zeitgleich sondern wird lediglich so genannt, weil er topo-
in der Senkrechten fixiert. Diese physiologi- graphisch neben dem Kerngebiet des XII. Hirn-
schen Anpassungsreaktionen sind jedoch beim nerven liegt (lat. praeponere = voranstellen).
dienzephalen Syndrom, das bei einer Einklem- • Verbindungen zum Thalamus. Die Nucll.
mungssymptomatik durch Hirnschwellung vor- vestibuläres superior, medialis et lateralis pro-
kommt, aufgehoben. In diesem Zustand ist der jizieren zum Thalamus. Diese Fasern kreuzen
okulozephale Reflex gestört und es kommt zum auf die Gegenseite und ziehen als Tractus vesti-
Puppenkopfphänomen: Die gegenläufig koor- bulothalamicus zum Nucl. ventralis posterior
dinierte Mittelstellung des Bulbus bei passiven thalami. Dieser Kern stellt eine Relaisstation
Kopfdrehungen wird erst sehr langsam erreicht, des somatosensorischen Systems in das entspre-
was man sich diagnostisch zunutze macht. chende Primärgebiet der Hirnrinde (Area 3a,
s. Abb. 5.35) dar. Nach Umschaltung setzt sich
• Verbindungen zur Formatio reticularis. die Gleichgewichtsbahn bis zum Kortex der in
2 Kerngebiete der Formatio reticularis werden der Tiefe des Sulcus centralis gelegenen Areae
auch von efferenten Bahnen des vestibulären 3a und 2 fort, wobei sie in der Regio postcen-
Systems angesteuert: Der Nucl. interstitialis tralis nahe dem sensiblen Gesichtsbezirk endet.
Cajal, zusammen mit dem Nucl. interstitialis Dieses Kortexareal scheint an der Bewusstwer-
rostralis des Fasciculus longitudinalis media- dung der vestibulären Informationseingänge
lis, und der Nucl. praepositus (Ν. XII). Beide beteiligt zu sein. Auch über den Nucl. ventralis
Kerngebiete stellen jeweils mit der umgebenden posterior ziehen Bahnverbindungen zum Cortex
Formatio reticularis das mesenzephale bzw. das cerebri im Übergangsbereich vom Gyrus post-
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5.4 Funktionelle Systeme des ZNS 477
centralis zum rostralen Ende des Sulcus intra- Die Dendriten der Neurone der Riechschleimhaut
parietalis, der Area 2. In diesen Kortexarealen stellen die rezeptiven Zellabschnitte des Organum
konvergieren also vestibuläre mit propriozepti- olfactorium dar. Sie ziehen an die Oberfläche des
ven und zerebellären Fasersystemen. Epithels, während ihre Axone die feinen Fila olfac-
toria bilden, die durch die Lamina cribrosa des
Das vestibuläre System weist nur wenige affe- Siebbeins (s. Kap. 4.15.1.3, S. 315) in die Schädel-
rente Verbindungen zum Cortex cerebri auf, höhle gelangen und im Bulbus olfactorius enden.
während die Verknüpfungen im Hirnstamm sehr
vielfaltig sind. Dadurch werden Gleichgewichts- Die Summe der Fila olfactoria wird als N. olfac-
impulse ohne Mitwirkung des Bewusstseins torius (I. Hirnnerv) bezeichnet, auch wenn
meist reflektorisch für Korrekturen der Körper- sie nicht gemeinsam als 1 Nerv bindegewebig
haltung wirksam. ummantelt sind.
ausgeprägt. Bei ihnen divergiert eine Riechsinnes- tex, dem ältesten Rindenbezirk des Telenzephalons.
zelle auf mehrere Mitralzellen und die Fläche des Hier, über dem Gyrus ambiens und Gyrus semilu-
Riechepithels ist wesentlich größer (beim Men- naris und der Amygdala (s. Kap. 5.4.10.1, S. 521),
schen 2 - 4 cm 2 , beim Hund etwa 100 cm2). soll der Ort der bewussten Wahrnehmung von
Gerüchen liegen.
5.4.4.3 Riechstrang, Tractus olfactorius Die Riechbahn ist die einzige sensorische Bahn,
die ohne Umschaltung im Thalamus kortikale
Die Axone der Mitralzellen des Bulbus (2. Neuron) Areale erreicht.
bilden den Tractus olfactorius, welcher an der
Orbitalen Fläche des Frontallappens liegt und zu Unangenehme Gerüche aktivieren über die Amyg-
den sekundären Riechrinden zieht. Der Tractus dala Unlustgefühle und Abwehrverhalten. Zum
olfactorius teilt sich in die Stria olfactoria latera- Riechsystem gehören die mediokortikalen Kerne
lis und die Stria olfactoria medialis. Die beiden der Amygdala. Von ihnen sollen Riechsignale über
Striae umfassen das Trigonum olfactorium, unter die Stria terminalis in den Hypothalamus ziehen,
dem der Nucl. olfactorius als Schaltstelle liegt. von wo aus vegetative Reaktionen (Übelkeit,
Eine schwach ausgeprägte Stria olfactoria media- Erbrechen) ausgelöst werden können.
lis erreicht die Septumkerne (s. Abb. 5.121). Hier
Von der periamygdalären Rinde gelangen Signale
werden die Fasern auf Neurone umgeschaltet,
zum basolateralen Kernkomplex der Amygdala
deren Axone im Fasciculus telencephalicus medi-
und über die Area entorhinalis, einem Übergangs-
alis verlaufen, welcher rostral in das Cingulum
gebiet zwischen Archi- und Neocortex, auch zum
übergeht (Anschluss an das limbische System).
Hippocampus. Diese Verbindung zum Limbischen
Fasern der Stria olfactoria medialis kreuzen auch
System erklärt den engen Zusammenhang zwi-
über die Commissura anterior zum Bulbus olfacto-
schen Geruchseindrücken und vegetativen sowie
rius der Gegenseite.
emotionalen Reaktionen. Von der Area praepirifor-
mis und der Amygdala gelangen Fasern via Tha-
5.4.4.4 Verschattung der Riechsignale lamus außerdem zu einem umschriebenen Gebiet
im orbitofrontalen Cortex, der damit auch an das
Die größte Teil der Efferenzen des Bulbus olfac- olfaktorische System angeschlossen ist. Schließlich
torius zieht über die Stria olfactoria lateralis zur verbinden Fasern aus den Septumkernen und dem
Area praepiriformis und zur Regio periamygdalaris Hypothalamus zu den Nucll. habenulares und der
des Lobus temporalis. Area praepiriformis und Formatio reticularis das olfaktorische System mit
Regio periamygdalaris gehören zum Palaeocor- dem Hirnstamm. Diese verlaufen im Fasciculus
Bulbus olfactorius
Tractus olfactorius
Polus temporalis
Stria olfactoria medialis
Stria olfactoria lateralis
- Area praepiriformis
timen insulae —
- Regio periamygdalaris
Substantia perforata
Tjy Corpus
anterior
• —j· amygdaloideum
Gyrus ambiens
"" -ι. Bandaletta diagonalis
Gyrus semilunaris (Broca-Band)
- Uncus
Abb. 5.97: Rhinencephalon in der Ansicht von basal. Der rechte Schläfenlappen ist entfernt (nach P. Duus,
1990)
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5.4 Funktionelle Systeme des ZNS 479
longitudinalis dorsalis (Schütz-Bündel) und im onen teilweise erheblich, was die Bedürfnisse
medialen Vorderhirnbündel (medial forebrain einer bestimmten Spezies widerspiegeln dürfte.
bundle). Über diese Verbindung soll die salvato- Wie sich die Wahrnehmung in Abhängigkeit
rische Reaktion (Speichelfluss) auf den Geruch von vom Nahrungsangebot entwickelt hat, bleibt
Nahrung zu Stande kommen. eine offene Frage (B. Lindemann).
5.2.6.2), die die Geschmacksfasern fuhren: die bekommen sie Anschluss an das Limbische
Chorda tympani des Intermediusanteils des System. Der Hypothalamus wird nach Umschal-
N. facialis (Ν. VII), der N. glossopharyngeus tung im ventralen Haubenkern über den Fasci-
(Ν. IX) und der N. vagus (Ν. Χ). culus longitudinalis dorsalis erreicht.
• Die dazugehörigen pseudounipolaren Nerven-
Klinik: 1. Geschmacksstörungen treten
zellen liegen in den sensiblen Ganglien dieser
als Hypo- oder Ageusie auf (gr. geusis
Nerven:
= Geschmack). Aufgrund der Zungeninnerva-
• Ganglion geniculi, sensibles Ganglion des sen- tion aus verschiedenen Hirnnerven (vordere 2/3:
siblen und parasympathischen N. intermedius. N. facialis, hinteres 1/3: N. glossopharyngeus,
Dieser Nerv legt sich dem N. facialis auf einer Zungengrund: N. vagus, Kap. 4.13.1.2, S. 276)
Strecke von 1,5 cm vom Kleinhirn-Brücken- dient die Geschmacksprüfung der neurologisch-
Winkel bis zum Ρ orus acusticus internus an. topischen Diagnostik. Für die Untersuchung
Vom Ganglion geniculi aus werden die vorde- bedient man sich entsprechender Sets mit unter-
ren 2/3 der Zunge über die Chorda tympani schiedlichen Geschmacksstoffen. 2. Zur Lokali-
innerviert, die neben dem N. petrosus major den sation der Schädigung bei einer Fazialisparese
Intermediusanteils des N. facialis bildet (s. Kap. kann man sich die Prüfling der Geschmacks-
7.1.2.1, S. 600). wahrnehmung ebenfalls zu Nutze machen: Bei
• Ganglion superius und inferius η. IX. Von hier einer Läsion distal des Abgangs der Chorda
werden insbesondere die Papillae vallatae des tympani bleibt die Geschmackswahrnehmung
dorsalen Drittels der Zunge über die Rr. lin- in den vorderen 2/3 der Zunge erhalten. Ist die
guales und mit den Rr. tonsillares der weiche Geschmackswahrnehmung der vorderen 2/3
Gaumen erreicht. dagegen ausgefallen, muss der N. facialis proxi-
• Ganglion superius et inferius η. X. Von hier mal des Abganges der Chorda tympani (etwa im
erreichen sensorische Fasern über die Rr. pha- Porus acusticus internus) geschädigt sein. Trotz
ryngei den Rachen und den Kehlkopfeingang. der topographisch exponierten Lage der Chorda
tympani medial des Kiefergelenks tritt eine
• Die Axone der pseudounipolaren Nervenzellen umschriebene Schädigung selten auf.
der Ganglien projizieren mit den zugehörigen
Hirnnerven in den Hirnstamm, wo sie im Nucl.
solitarius (s. Abb. 5.54) das 2. Neuron der
Geschmacksbahn erreichen. Vom Nucl. solita- 5.4.6 Topographie und funktionelle
rius gelangen Kollateralen zum Nucl. salivato- Gliederung der sensiblen
rius superior und inferior wie auch zum Nucl. Systeme und Bahnen
dorsalis η. X, die die reflektorische Speichel-
und Magensaftsekretion ermöglichen. Über die Lernziele: Hinterstrangbahn, anterolaterales
Formatio reticularis gelangen Informationen System, spinozerebelläre Bahnen, trigeminales
zu den Motoneuronen des N. phrenicus im System
Zervikalmark, die Husten- und Brechreflexe zur
Abwehr ungeeigneter Nahrung vermitteln.
Als Grundbauplan sensibler Bahnen gilt, dass
• Im Lemniscus medialis (s. Abb. 5.98) werden
bis zum Thalamus mindestens 3 Neurone in
die Axone der 2. Neurone teilweise kontralateral
Reihe geschaltet sind. Das 1. Neuron liegt mit
zum Nucl. ventralis posterior thalami weiterge-
Ausnahme der Afferenz aus der Kaumuskulatur
leitet und dort auf das 3. Neuron umgeschaltet.
in einem Ganglion. Das 2. Neuron kann im Hin-
Dieses projiziert zum Gyrus postcentralis im
terhorn oder in Kernbieten der Medulla oblon-
Bereich des Operculum parietale, welches sich
gata oder des Ports liegen. Das 3. Neuron liegt
nahe dem somatosensorischen Gebiet der Zunge
in der Regel im Thalamus und projiziert in den
im Gyrus postcentralis befindet. Ein zweites
sensiblen Cortex (Gyrus postcentralis). Nach
Geschmackszentrum liegt im Bereich des
der Qualität der Informationen lassen sich epi-
Lobus insularis. Abzweigungen aus dem Lem-
kritische (Vibration, Druck, Berührung, Punkt-
niscus medialis erreichen über den Pedunculus
zu-Punkt-Diskrimination) und protopathische
mamillaris die Corpora mamillaria. Hierdurch
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5.4 Funktionelle Systeme des Z N S 481
Neben dieser Klassifikation ist auch eine Einteilung zum großen Zeh etwa 1 m) und sind myelinisiert.
der Fasern nach Leitungsgeschwindigkeiten von Sie werden deshalb auch als dendritische Axone
I—IV üblich, wobei I der schnellsten (Aa) Faser bezeichnet. Das weitergeleitete Potential wird
entspricht. im entsprechenden Rezeptor oder in einer freien
Nervenendigung generiert. Das eigentliche Axon
Als Regel gilt, dass die Propriozeption am
(Fortsatz, der Informationen vom Soma weg leitet)
schnellsten, die protopathische Sensibilität am
fuhrt dann ins ZNS, wo die systemspezifische
langsamsten von den Nervenfasern geleitet wird.
Umschaltung auf das 2. Neuron erfolgt.
Die schnell leitenden, stark myeliniserten Fasern
treten an der medialen Seite der Hinterwurzel ins
Die multipolaren sekundären Neurone
Rückenmark ein und reichen in die tiefen Schich-
(2. Neuron) der sensiblen Bahn befinden
ten, die langsamen, schwach myelinisierten Fasern
sich in den Kernen des Rückenmarks oder der
treten dagegen an der ventrolateralen Seite der
Medulla oblongata. Sie projizieren größtenteils
Radix posterior ins Rückenmark ein und erreichen
ins Kleinhirn oder den Thalamus. Im Thalamus
dort die oberflächlichen Schichten (s. zytoarchitek-
liegen die tertiären Neurone (3. Neurone) der
tonische Rexed-Gliederung, Kap. 5.2.7.4). Vor dem
sensiblen Bahn, deren Axone als Radiationes
Eintritt ins Hinterhorn liegt die Redlich-Oberstei-
thalamicae in die sensorischen Felder des Gyrus
ner-Zone, in der die Fasern marklos erscheinen.
postcentralis des Cortex ziehen.
Distal davon wird die Markscheide von Schwann-
Zellen, proximal davon von Oligodendrozyten
gebildet. Dieser Bauplan ist durch Divergenz (ein vorge-
schaltetes Neuron endet an mehreren nachgeschal-
teten Neuronen) und Konvergenz (ein nachge-
Das primäre Neuron (1. Neuron) der sensib-
schaltetes Neuron erhält Informationen aus meh-
len Bahn ist immer eine pseudounipolare Ner-
reren vorgeschalteten Nervenzellen) sehr komplex
venzelle und liegt - mit Ausnahme der primär
gestaltet. Über Interneurone und direkte Einflüsse
sensorischen Nervenzellen der Kaumuskulatur
übergeordneter Zentren kann der Informationsfluss
im Nucl. mesencephalicus n. trigemini - in
moduliert werden.
einem Ganglion: Im Falle peripherer Nerven im
Spinalganglion, bei Hirnnerven in den entspre-
chenden Hirnnervenganglien.
5.4.6.2 Hinterstrangbahn
Dendrit und Axon des primären Neurons. Die
Die Hinterstrangbahn leitet Informationen
Dendriten (Fortsätze, die Informationen zum
über die Intensität und Lokalisation von Vib-
Soma hin leiten) dieser pseudounipolaren Neurone
rations- und Tastempfindungen von der Körper-
können sehr lang sein (ζ. B. vom Spinalganglion L5
Ncl. ventraifspost,
Fasciculus thalani
thalamocortical,
Capsula interna
Lemniscus
Lemniscus medialis
spinalis
- Ν trigeminus
— Tractus spinalis η. V
_ Ν.vagus
Fibrae arcuatae
""internae
V
Decussatio lemniscorum
Vorderseiten- Hinterstrangbahn
strangbahn
_ — · Radix dofsalis
VI
• η, spinalis
Columna post.
_ — - Radix dorsahs
VII
Commissure alba
Abb. 5.98: Schema der beiden sensiblen Systeme: Blau = L e m n i s c u s medialis als Fortsetzung der Hinterstrang-
bahn. S c h w a r z = L e m n i s c u s spinalis als Fortsetzung der a u f s t e i g e n d e n Fasern d e s Vorderseitenstrangs (auch:
Fase, anterolateralis)
Fase, interfascicularis
/ (Schuitze-Komma)
Tr. spinocerebellaris
posterior (Flechsig)
,-Tr. rubrospinalis
Tr spinocerebellaris
anterior (Gowers)
Tr. vestibulospinalis
Tr, spinothalamicus lateralis
lateralis
Tr. tectospinalis
Abb. 5.99: Lage der großen Bahnen in der weißen Substanz des Rückenmarks.
Absteigende Bahnen = rot, aufsteigende Bahnen = blau. Grundbündel (Fasciculi proprii) hellgrau punktiert. Der
Tr. spinothalamicus anterior ist im Vorderstrang in mehrere Gruppen gebündelt und deshalb nicht eingetragen
• Tractus spinocerebellaris anterior (Gowers). Die spinozerebellären Bahnen liegen an der Ober-
Er nimmt seinen Ursprang von Strangzellen fläche des Seitenstrangs zwischen dem Ein- bzw.
der Substantia intermedia und des basolatera- Austrittsort von Hinter- und Vorderwurzel. Die
len Hinterhornes. Die Axone des 2. Neurons Grenze zwischen den Tractus spinocerebellares
dieser sensiblen Bahn kreuzen teilweise in der anterior und posterior wird durch den Ansatz des
Commissura alba auf die kontralaterale Seite, Lig. denticulatum der Arachnoidea markiert.
verlaufen aber auch ipsilateral. Die Fasern
steigen am Rand des Rückenmarkseitenstrangs
ventral der dorsalen Kleinhirnbahn bis zum 5.4.6.5 Trigeminales System
Hirnstamm auf. Sie durchlaufen den Pons, um
im Mittelhirn über den oberen Kleinhirnstiel Auch die Afferenzen aus der Gesichtsregion
umzubiegen, von wo aus sie das Cerebellum verlaufen nach Sinnesqualitäten getrennt. Alle
erreichen. Gekreuzte Fasern gelangen wieder Fasern erreichen das Gehirn in der Portio major
nach ipsilateral zurück. Wie bei der dorsalen n. trigemini (Ν. V) (s. Kap. 5.2.6.2, S. 415).
Kleinhirnseitenstrangbahn enden sie im spino-
zerebellären Teil des Kleinhirns und fuhren • Epikritische Bahn. Sie hat ihr 1. (pseudo-
diesem Informationen der ipsilateralen unteren unipolares) Neuron im Ganglion trigeminale
Körperhälfte zu. (Gasseri). Die Axone ziehen zum Nucl. ponti-
nus (principalis) η. V. Die Axone der dort gele-
Weitere, indirekte Verbindungen zum Kleinhirn
genen 2. Neurone der sensiblen Bahn kreuzen
bestehen über den Tractus spino-olivo-cerebel-
größtenteils auf die Gegenseite und schließen
laris und den Tractus spino-reticulo-cerebellaris.
sich als Lemniscus trigeminalis dem Lemniscus
Diese Verbindungen dienen ebenfalls der Orientie-
medialis an, mit dem sie zum 3. Neuron im
rung des Körpers im Raum (s. u.).
Thalamus ziehen. Die Hauptfelder im Gesicht
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5.4 Funktionelle Systeme des Z N S 487
\ \
Ncl. sensorius principalis I p l f l r - 2 epikritisch
wJ?
Abb. 5.100: Somatotopische Gliederung des Nucl. tractus spinalis η. trigemini (nach M. Trepel, 1995)
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488 5 Zentrales Nervensystem, G e h i r n u n d R ü c k e n m a r k
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schmerzverarbeitenden Zentren und Bahnen bedeutet, dass motorische efferente Systeme, die
(am häufigsten als Thalamusschmerz) auftreten die Bewegung ermöglichen, im engen Zusam-
kann. Der psychische Schmerz entsteht bei psy- menhang mit sensorischen afferenten Systemen
chischen, nicht bewältigten Problemen. gesehen werden müssen, welche Anlass zu einer
solchen Bewegung geben.
Zusammenfassung sensibler Systeme s. Tab.5.3.
Reflex. Der einfachste sensorisch-motorische
Regelkreis findet sich im menschlichen Organis-
5.4.7 Motorisches System mus auf der Ebene des Rückenmarks und seiner
Verbindung mit der Muskulatur. Die Verschaltung
Lernziele: Monosynaptisches spinales System, der afferenten mit den efferenten Neuronen des
polysynaptisches spinales System; übergeord- Rückenmarkvorderhoms ermöglicht eine einfache
nete motorische Systeme, Pyramidalmotori- Bewegung (Eigenreflex). Diese primitivste Art von
sches System, Motokortex, Pyramidenbahn; Bewegungsmustern ist die funktionelle Grundein-
Extrapyramidalmotorisches System heit der Motorik.
5.4.7.2 Funktionsebenen der Motorik Seite vorkommen. Der adäquate Reiz ist hier eine
Berührung der Haut, die Reflexantwort eine Bewe-
Nach funktionellen Gesichtspunkten, die sich gung und das Zurückziehen des Körperteils als
auch in ihrer anatomischen Lokalisation nach- Schutzreaktion (s. Abb. 5.101).
vollziehen lassen, bildet das motorische System
Das α-Motoneuron und die von ihm versorgten
5 hierarchische Funktionsebenen aus, in
Muskelfasern bilden eine motorische Einheit.
denen die Steuerung der Motorik vom Rücken-
Durch die polysynaptische Verschaltung solcher
mark über Hirnstamm und Basalganglien bis zur
Einheiten ist der Organismus in der Lage, nicht
Großhirnrinde zunehmend komplexer erfolgt
nur durch direkte Kontraktion auf einen Außen-
und letztlich bewusst beeinflusst werden kann.
stimulus zu reagieren, sondern auch zweckmäßige
Bewegungen auszufuhren. Ein Reiz fuhrt etwa zur
Zwar sind einzelne Funktionsebenen in der Lage,
gegensinnigen Innervation antagonistischer Beuge-
auch isolierte Grundfunktionen auszuüben, jedoch
und Streckmuskeln und erlaubt so eine Bewegung
ist immer ein Zusammenwirken sämtlicher Funkti-
hin zu oder weg von einem Stimulus.
onsebenen erforderlich, wenn harmonische Bewe-
gungen erreicht werden sollen. Zur Einteilung
Klinik: 1. Bei weitgehendem Funktionsausfall
motorischer Systeme s. Tabelle 5.4.
des Gehirns (etwa nach einem Schädel-Hirn-
Trauma) mit Zeichen des organischen Hirntods
Erklärung der Funktionsebenen gelingt es teilweise durch äußere Stimuli (etwa
Kneifen am Bein) beim Patienten Bewegungen
1. Monosynaptisches spinales System. Der pri-
auszulösen. Diese oft rhythmischen Schreitbe-
märe Reflexbogen des motorischen Systems rea-
wegungen sind jedoch nicht als Korrelat des
lisiert eine einfache Bewegung (Muskelzuckung)
funktionsfähigen Gehirns anzusehen, sondern
unter Beteilung von lediglich zwei Neuronen. Als
spiegeln die Innervation von Beuge- und Streck-
Rezeptor dient ihm die im Muskel gelegene Mus-
muskulatur durch den spinalen Eigenapparat
kelspindel, deren Dehnung das afferente Neuron
wider. 2. Durch Wegfall hierarchisch höher
(pseudounipolare Zelle) erregt und welches mono-
angeordneter motorischer Systeme steht dieses
synaptisch auf das α-Motoneuron umschaltet. Das
spinale System nicht mehr unter übergeordneter
α-Motoneuron sendet sein Axon über die Vor-
Kontrolle, wodurch sich bei solchen Patienten
derwurzel zum Spinalnerven und über periphere
noch (häufig gesteigerte) Eigenreflexe und
Nerven weiter zu den Skelettmuskelfasern, die
pathologische Fremdreflexe auslösen lassen.
sie über motorische Endplatten (s. Abb. 5.105) zur
Kontraktion bringen. Da der Muskel hier sowohl
Rezeptor als auch Effektor ist, wird dieser Reflex- 3. Statisch-vestibuläres System. Im Laufe der
bogen auch Muskeleigenreflex genannt. Alle Phylogenese entwickelte sich fur Lebewesen
anderen motorischen Systeme können funktionell zunehmend die Notwendigkeit, nicht nur in direk-
wie auch phylo- und ontogenetisch als hierarchisch tem Kontakt zu einer gegebenen Oberfläche, das
übergeordnete Kontrollsysteme des primären moto- heißt im zweidimensionalen Raum, Bewegungen
rischen Systems verstanden werden. Diese basale auszufuhren. Statt dessen wurde durch die Auf-
Funktionseinheit bildet die Endstrecke jeglicher richtung ihres Körperbaus und die Fortbewegung
motorischer Aktivität (s. Abb. 5.101, 116). in Medien ohne feste Bezugsgröße (Wasser, Luft)
auch eine Ausrichtung ihrer Bewegungen in der
2. Polysynaptisches spinales System. Im Eigen- dritten Dimension erforderlich. Für entsprechende
reflexapparat findet die Verschaltung nur auf der Leistungen war die Entwicklung eines Gleich-
Ebene eines Rückenmarkssegmentes statt und die gewichtssystems (vestibuläres System) und des
Kontraktion des Muskels antagonisiert den Deh- Zerebellums nötig. Diese Leistungen werden vom
nungsreiz. Demgegenüber wird auf der Ebene des 3. motorischen System, dem statisch-vestibulären
zweiten Systems (der Fremdreflexe) die Verschal- System, übernommen, das aufgrund seiner engen
tung über Interneurone in mehreren Rückenmarks- Beziehung zum Cerebellum mit ihm gemeinsam
segmenten realisiert, wobei auch Verbindungen mit besprochen wird (s. Kap. 5.4.8, S. 509).
einer Erregungsausbreitung zur kontralateralen
Dehnungsrezeptor Interneuron
Muskelspindel (Schaltzelle) primäres sensibles Neuron
I (Spinalganglienzelle)
I
I
Haut
Berührungs-
rezeptoren
im Dermatom
— sensible
Afferenz
— motorische
Efferenz Muskel
neuron
Abb. 5.101: Reflexe. Links: monosynaptischer Eigenreflex; rechts: polysynaptischer Reflex
4. Extrapyramidalmotorisches System. Dem sta- gungsfreiheit der Hand, und sind anatomisch in den
tisch-vestibulären System ist die motorische Steue- primären motorischen Arealen der Großhirnrinde
rung unwillkürlicher (wie Mimik und Gestik), aber angesiedelt (s. Abb. 5.105).
auch aller erlernten Bewegungen als 4. motorisches
Im Folgenden werden die neuroanatomischen
System übergeordnet. Anatomische Korrelate
Grundlagen der motorischen Systeme detailliert
dieses Systems bilden Anteile des Hirnstamms, der
besprochen.
Basalganglien, des Zerebellums sowie spezialisier-
ter Großhirnrindenanteile. Die Entwicklung dieses
5.4.7.3 Monosynaptisches spinales System
4. motorischen Systems lässt sich gut im Verlauf
(Muskeleigenreflex)
des Heranwachsens eines Menschen verfolgen. Die
„Geschmeidigkeit" von Bewegungen, das Erlernen • Das α-Motoneuron und die motorische Ein-
bestimmter Bewegungsmuster (koordinierte Bewe- heit. Das α-Motoneuron im Vorderhom des
gungen beim Gehen, Stehen oder Sitzen und bei Rückenmarks bzw. in den motorischen Kernge-
allen anderen Verrichtungen des täglichen Lebens, bieten der Hirnnerven mit motorischen Anteilen
auch im Sport oder beim Spielen eines Musikin- (Nn. Ill, IV, V, VI, VII, IX, Χ, XI, XII) ist die
struments) werden von diesem System gesteuert. gemeinsame motorische Endstrecke für sämt-
Hierbei kommt es zu starken interindividuellen liche Impulse, welche die Kontraktionen der
Unterschieden. Darüber hinaus gelingt das Einüben quergestreiften Muskulatur bewirken. Die a -
komplexer Bewegungsmuster für bestimmte Kör- Motoneurone befinden sich im Rückenmarkvor-
perregionen unterschiedlich. derhom in der Lamina IX in somatotoper Ord-
nung (s. Kap. 5.2.7.4, Abb. 5.65). Nervenzellen,
Klinik: Erkrankungen im Bereich der Extrapy- die die axiale Muskulatur (Brust, Bauch und
ramidalmotorik führen zu typischen Bewegungs- authochthone Muskulatur) innervieren, finden
störungen, wie sie bei der Parkinson-Krankheit, sich dabei ventromedial, während die Zellen für
der Huntington-Chorea und dem Hemiballismus die Innervation der Extremitäten weiter lateral
auftreten, bei denen Bewegungen noch mög- lokalisiert sind. Die ventromediale Zellsäule
lich, aber in ihrer Initiierung und ihrem Ablauf ist deshalb über die ganze Länge des Rücken-
gestört sind. marks vorhanden, während sich die lateralen
Zellgruppen (in größeren Gruppen konzentriert)
5. Pyramidalmotorisches System. Die bewusste im Bereich der zervikalen und lumbalen Intu-
Steuerung spezifischer Bewegungen (Willkür- meszenzen finden. Diese Zellgruppen können
motorik) kooperiert eng mit dem 4. motorischen wiederum in eine zentrale, ventrolaterale und
System und stellt die oberste Hierarchie-Ebene der dorsolateral Säule unterteilt werden. Die
motorischen Systeme dar. Phylogenetisch am wei- zentrale Säule ist für die Versorgung der pro-
testen ausgebildet findet sich dieses 5. motorische ximalen Schultergürtel- und Hüftmuskulatur,
System bei Primaten und beim Menschen. Diese die ventrolaterale Zellsäule für die Innervation
Leistungen beziehen sich vornehmlich auf die der proximalen Extremitätenmuskulatur (Ober-
distalen Extremitätenregionen, v. a. für die Bewe- arm und Oberschenkel) und die dorsolateral
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492 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Zellsäule für die Innervation der distalen Extre- • Rezeptoren der Muskulatur. Die Aktivi-
mitätenmuskulatur (Unterarm und Hand sowie tät der α-Motoneurone wird durch afferente
Unterschenkel und Fuß) zuständig. Fasern beeinflusst, welche ihnen Erregungen
von Rezeptoren im Muskel und seinen Sehnen
Klinik: Die somatotopische Lokalisation der zuleiten. Die Muskelspindel (s. Abb. 5.102),
α-Motoneurone ist für segmentale Paresen die intrafusale Fasern (Kernketten- und Kern-
nach umschriebenen Läsionen des Vorderhorns sackfasern nach der Anordnung der Zellkerne
verantwortlich. innerhalb der Faser) enthält und parallel zu den
extrafusalen Fasern (den eigentlichen Mus-
• Axone der α-Motoneurone, motorische kelfasern) organisiert ist, misst die Länge der
Nervenfasern des schnell leitenden Typs Aa, Muskulatur als statische Größe. Ebenso kann
verlassen das Vorderhorn durch die Radix die Muskelspindel auch die Längenänderung
anterior. Nach Vereinigung mit der Radix pos- der Muskulatur als dynamische Größe regist-
terior verlaufen die Fasern im Spinalnerven und rieren. Hierbei wird die Längenmessung durch
gelangen im Ramus ventralis n. spinalis zu dünne intrafusale Fasern, die Geschwindigkeits-
den segmentalen (Interkostal-) Nerven (s. Kap. messung der Dehnungsänderung durch dickere
10.5.3, S. 819) oder zu den Plexus und von dort intrafusale Fasern aufgenommen. Die afferenten
in die peripheren Nerven. Über die Rr. dorsales Nervenfasern der Muskelspindeln werden in 2
n. spinalis verlaufen Fasern zur Innervation der Gruppen unterteilt:
autochthonen Muskulatur (s. Kap. 8.8, S. 654). 1. Die schnell leitenden Αα-Fasern gehen von
Dabei innerviert ein α-Motoneuron eine unter- der Mitte der intrafusalen Muskelfasern aus und
schiedliche Anzahl von Muskelfasern. dienen der Messung der Geschwindigkeit der
Dehnungsänderung.
Die Gesamtheit aller Muskelfasern, die von 2. Die langsamer leitenden Aß-Fasern gehen
einem α-Motoneuron innerviert werden, bilden von den Enden der intrafusalen Muskelfasern
mit diesem gemeinsam eine motorische Einheit aus und registrieren die Muskellänge (s. Tab.
(s. Kap. 2.2.3.4, S. 70). 5.3, S. 499, Kap. 5.4.6.1, S. 481).
• γ-Motoneurone. Die dünnen intrafusalen Mus-
• Größe der motorischen Einheiten. Sie steht kelfasern werden von fusimotorischen Ner-
in Abhängigkeit zu den spezifischen Aufgaben venfasern, den Axonen der γ-Motoneurone,
der Muskulatur: Je feiner ein Muskel bewegt innerviert. Die Perikarya der γ-Motoneurone
werden muss, desto weniger Muskelfasern liegen in direkter Nachbarschaft zu denen der a -
werden von einem Motoneuron innerviert. Motoneurone im Vorderhorn des Rückenmarks.
So wird die Innervation der Handmuskulatur Die Axone der γ-Motoneurone verlaufen mit
durch kleine motorische Einheiten geleistet, die den α-Fasern in die entsprechenden Muskeln.
weniger als hundert Muskelfasern umfassen, a - Sie enden an den intrafusalen Muskelfasern mit
Motoneurone für die äußere Augenmuskulatur kleinen motorischen Endplatten und regulieren
bilden die kleinsten motorischen Einheiten mit die Länge der Spindel. Hierdurch ist es möglich,
weniger als zehn Muskelfasern pro Neuron. dass während der gesamten Kontraktionsdauer
Im Gegensatz dazu finden sich jedoch bei den eines Muskels die Sensitivität der Muskelspindel
großen Muskeln des Körpers (z.B. M. gluteus entsprechend eingestellt werden kann. Je kürzer
maximus) motorische Einheiten, die mehrere die Spindel ist, desto empfindlicher reagiert sie
tausend Muskelfasern umfassen. Sämtliche axo- auf Dehnungsreize durch die Kontraktion der
nalen Aufzweigungen stellen mit der jeweiligen Antagonistenmuskulatur.
Muskelfaser einen synaptischen Kontakt an • Spindelaktivität. Sie wird über die sensiblen
der motorischen Endplatte her. Dabei werden Afferenzen von der Spindel auf die α-Moto-
sowohl mit weißen (schnell zuckenden = pha- neurone übertragen. Je stärker oder schneller
sischen; Typ II) als auch mit roten (langsam die Dehnung des Muskels war, umso schneller
zuckenden = tonischen; Typ I) Muskelfasern feuern die α-Motoneurone und die Fasern der
motorische Einheiten gebildet (s. Lehrbücher Arbeitsmuskulatur kontrahieren sich. Dieser
der Physiologie). Mechanismus verhindert eine Überdehnung und
Kernsackfaser
Kernkettenfaser
\
\
la-Faser 1 , .. „
II Faser J ίΡΓ°ΡΓ! osens ι bei!
^ » γ-Fasern (fusimotorisch)
Kapsel
/
γ-Endnetz
{statische
Aufgaben) γ-Endplatte
(dynamische
Aufgaben)
das Reißen der Muskelfasern. Die Spindelakti- zelle befindet sich die einzige neuro-neuronale
vität erleichtert außerdem die Ausführung will- Synapse des Schaltkreises, die dem monosy-
kürlicher Bewegungen („Anlasserfunktion"). naptischen Reflexbogen seinen Namen gibt).
• Golgi-Sehnenorgane. Neben den Muskel- Das α-Motoneuron im Vorderhorn des Rücken-
spindeln befinden sich auch in den Sehnen marks innerviert dann die entsprechenden Mus-
Dehnungsrezeptoren, Golgi-Sehnenorgane, kelfasern über sein Axon. Dieses Axon verläuft
die ihre Signale über schnell leitende Typ A a - über den Spinalnerven und anschließend im
Fasern weiter leiten. Sie sind im Regelfall in peripheren Nerv bis zur motorischen Endplatte
Kollagenfaserbündeln am Übergang zwischen (neuromuskuläre Synapse, s. Abb. 5.103). Dort
Muskulatur und Sehne lokalisiert. Dort sind wird über eine elektrochemische Kopplung mit
etwa 10 Muskelfasern mit einem Sehnenorgan Acetylcholin (Ach) als Transmitter der Impuls
verbunden. Hierdurch kann das Sehnenorgan auf den Muskel übertragen, wodurch sich der
Informationen über die Spannung aufnehmen, monosynaptische Reflexbogen schließt und der
die vom sich kontrahierenden (oder passiv Muskeleigenreflex zustande kommen kann.
gedehnten) Muskel auf die Sehne weitergegeben • Monosynaptischer Reflex. Die klassische
wird. Funktionell weisen die Sehnenorgane viel- Bezeichnungist ist insofern missverständlich,
faltige Parallelen mit den Muskelspindeln auf. als auch Interneurone durch Kollateralen
• Verschattung des Eigenreflexes. Die afferenten der den Reflex auslösenden afferenten Faser
Fasern aus den beiden Muskelrezeptorsystemen innerviert werden. Diese Interneurone hemmen
treten in das Spinalganglion ein, wo sich ihr zeitgleich zur Kontraktion eines Muskels a -
Perikaryon, die pseudounipolare Nervenzelle, Motoneurone der entsprechenden Antagonisten.
befindet, über deren zentralen Neuriten der Diese Antagonistenhemmung erfolgt also
entsprechende Reiz ohne Umschaltung weiter reflektorisch über mindestens 2 Synapsen. Als
geleitet wird (an der motorischen Vorderhorn- Charakteristikum fur den monosynaptischen
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494 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Spinalganglion
(Perikaryon des pseudounipolaren
1 Neurons der sensiblen Bahn)
Muskelspindeltaser
M. quadriceps femoris mit primärer Endigung
/
Perikaryon des
α-Motoneurons
(multipolar)
Dehnungsreiz 1 N
neuromuskuläre -
Synapsen
(motorische Endplatten)
•do-Effereni
Reflexhammer
Klinik: 1. Die Erhebung des Reflexstatus ist 5.4.7.4 Polysynaptisches spinales System
eine Grundlage der neurologischen Untersu- (Hautreflexe, Fremdreflexe)
chung. Hierbei können Informationen über den
Muskeltonus und die funktionelle Integrität der • Polysynaptische Regelkreise. Bei monosyn-
motorischen Systeme gewonnen werden. 1.1 Bei aptischen Regelkreisen endigt die EfFerenz in
Totalausfall eines Reflexes ist von der Störung demselben Organ, aus dem die Afferenz stammt,
des primären motorischen Regelkreises auszuge- wobei Afferenz und Efferenz über eine einzige
hen. Ursache kann die Läsion eines peripheren Synapse verbunden sind. Dagegen beziehen
Nerven, Spinalnerven oder einer Nervenwurzel polysynaptische Systeme Interneurone des
(efferent oder afferent) sein. 1.2 Ebenso kann ein Rückenmarks ein und verschalten einerseits
solcher Funktionsausfall durch primäre Schädi- verschiedene monosynaptische Systeme mitein-
gung der Muskulatur, des α-Motoneurons oder ander. Andererseits nutzen sie afferente Stimuli,
der Muskelrezeptoren bedingt sein. 1.3 Eine die von weiteren rezeptiven Strukturen des
Erhöhung des Reflexniveaus (überschießende Körpers auch außerhalb der Muskulatur (ζ. B.
Reflexe, Erweiterung der Reflexzonen) deutet aus der Haut) stammen, um eine Bewegung
auf die Schädigung übergeordneter motorischer auszulösen. Auch auf dieser Ebene der Moto-
Regelkreise hin (Spastik). 2. Hinsichtlich des rik bleibt das Reiz-Reaktions-Schema erhalten.
Reflexniveaus bestehen beachtliche interindivi- Die ipsilaterale Hemmung und kontralaterale
duelle Unterschiede. Klinisch ist es daher wich- Innervation antagonistischer Muskeln bilden
tig, Reflexe jeweils im Seitenvergleich, sowie ebenso wie die Mitinnervation anderer, in höher
im Vergleich oberer gegen untere Extremitäten oder tiefer gelegenen Segmenten gelegener
zu untersuchen. α-Motoneurone die Grundlage für rhythmi-
sche Muskelbewegungen. Typischerweise sind
nicht nur direkte muskuläre Reize Auslöser sol-
cher rhythmischer Bewegungen, sondern auch
afferente Informationen, die das Hinterhorn
• Tractus rubrospinalis. Er verläuft neben der liegen in den Schichten III und V (s. Abb. 5.106
Pyramidenbahn in der lateralen Gruppe. Seine und Lehrbuch der Histologie) die großen Pyrami-
Fasern reichen nur zu den oberen spinalen Seg- denzellen, deren Axone als kortikofugale Fasern
menten. Afferenzen für diesen Fasertrakt stam- des Tractus corticonuclearis zu den motorischen
men im Wesentlichen aus dem Spinocerebellum, Hirnnervenkernen und als Fasern des Tractus cor-
welches über den Pedunculus cerebellaris supe- ticospinalis zu den Kernsäulen im Vorderhorn des
rior zum Nucl. ruber projiziert. Rückenmarks verlaufen. Die prominentesten die-
ser Nervenzellen, Betz-Riesenpyramidenzellen,
Klinik: Der Tractus rubrospinalis dient haupt- liegen auschließlich im Motocortex (Brodmann-
sächlich der erlernten (willkürlichen) Feinmoto- Areal 4). Im Tractus corticospinalis verlaufen etwa
rik. Läsionen dieses Trakts, ebenso wie des Nucl. 1 Million Axone, im menschlichen Cortex kommen
ruber führen kontralateral zum Intentionstremor aber nur etwa 30 000 Betz- Riesenpyramidenzellen
und weisen hierdurch auf eine Funktionsstörung vor, so dass nur etwa 2-5% der Pyramidenbahnfa-
des Neuronenkreises vom Kleinhirn über den sem axonale Projektionen der Riesenpyramiden-
Nucl. ruber auf die Olive und zurück hin. zellen darstellen.
Der Begriff „Pyramidenbahn" beschreibt die Tatsache,
dass der Tractus corticospinalis in der Pyramide der
5.4.7.5.1 Pyramidalmotorisches System Medulla oblongata verläuft und große Teile des Tractus
oberflächlich sichtbar als Decussatio pyramidum auf
die Gegenseite kreuzen (s. Abb. 5.27). Die Bezeich-
Das pyramidalmotorische System entspricht nung bezieht sich also nicht auf die Pyramidenzellen als
weitgehend der „Willkürmotorik", indem es Ursprungszellen der Pyramidenbahn; diese sind auch an
Informationen direkt aus dem Cortex über die der Bildung von Kommissuren- und Assoziationssyste-
Pyramidenbahn ohne weitere Umschaltung men beteiligt.
zu den motorischen Hirnnervenkernen (als
2. Faserzusammensetzung der Pyramidenbahn.
Tractus corticonuclearis) und ins Vorderhorn
Etwa 80 % der kortikospinalen Fasern stammen
des Rückenmarks (als Tractus corticospinalis)
aus der Area 4 (=Motocortex) und der sich rostral
trägt.
davon über die Mantelkante erstreckende Area 6
(= Supplementärmotorisches Areal, SMA). Die
1. Ursprungsgebiete des pyramidalmotorischen
verbleibenden 20 % der Fasern enstammen dem
Systems. Kortikale Ursprunggebiete sind die
unterhalb des SMA gelegenen prämotorischen
motorischen Areale 4 und 6 des Gyrus praecentra-
Cortex (PMA) sowie der im ventralen Gyrus cin-
lis im Lobus frontalis (Abb. 5.105, 127, 128). Dort
- Sulcus
froritales parietooccipitalis
Augenfeld
Broca-Sprachzentrum
(Area 44,45)
l. Itfolekularschicht
äußere Mauptsjucht
»t κ " i V i ^·*
:
fi- Ii
· " . » · ; : kν 1- V ^ ν : . . . . . .
ll '•v.? ;.· . i , ι - - r - ~
FVFamideMeffsefikht
Ba ili ianger-Stireif et
V. inner® Pyrsmidertzellschicrtt
innerer
guli liegenden cingular motor area (CMA). Mit Lage und Verbindungen. Das primäre motori-
der Pyramidenbahn ziehen auch afferente Fasern sche Areal (Area 4) befindet sich in der Rinde des
zu sensorischen Arealen (Area 3a; Areale: s. Abb. Gyrus praecentralis. Dieser breitet sich von medial
5.105, 127-130). Diese sensorischen Areale stehen oberhalb des Gyrus cinguli (Lobulus paracentralis)
in direkter Beziehung zu motorischen Funktionen. über die Mantelkante nach lateral hinab zum Sulcus
Insbesondere enden hier die Bahnen von Muskel- lateralis aus (s. Abb. 5.17, 20, 24). Der motorische
spindeln und anderen Rezeptorsystemen. Die Tat- Cortex bezieht insbesondere afferente Zugänge aus
sache, dass auch sensorische Fasern teilweise mit prämotorischen Arealen (Areae 6-8) und aus den
der Pyramidenbahn verlaufen, macht deutlich, dass somatosensorischen Arealen des Gyrus postcen-
das kortikospinale motorische System ein komple- t r a l (Areae 1, 2 und 3). Darüber hinaus erhält
xes sensomotorisches Funktionssystem ist. er Informationen vom Nucl. ventralis lateralis
thalami. Von den Pyramidenneuronen der Laminae
III und V des motorischen Cortex entspringen etwa
3. Motocortex
50 % der Fasern der Pyramidenbahn. Diese Neu-
rone benutzen Glutamat und Aspartat als exzitato-
Im Motocortex, Area 4, liegen die Ursprungs-
rischen Transmitter.
neurone der Willkürmotorik.
Somatotopie, Homunculus. Der Motocortex ist in phäre, während der Oberschenkel auf die Facies
seiner gesamten Ausdehnung somatotopisch geglie- superolateralis übergeht. Es folgen nacheinander
dert, wobei die einzelnen Repräsentationsfelder der Rumpf- und Oberarmmuskulatur, dann das große
motorischen Körperfunktionen eine unterschiedli- Hand- und Gesichtsareal sowie das Areal für den
che Größe einnehmen. Ihre Verteilung wird durch Mund-, Zungen- und Kehlkopfbereich am Sulcus
den ,/notorischen Homunculus" (lat. = Mensch- lateralis. Die Informationen vom präzentralen
lein) dargestellt, welche über den Cortex gelegt die Cortex gelangen also als Tractus corticonuclearis
einzelnen Innervationsbereiche (Muskeln des Kör- (Verschattung in den motorischen Hirnnervenker-
pers) repräsentieren soll (Abb. 5.107). Dabei gilt: nen) und Tractus corticospinalis (Verschaltung im
Je feiner und differenzierter die Muskelfunktion Vorderhorn) zu den Muskeln, die vom kortikalen
ist, desto größer ist auch das Kortexareal, welches Herkunftsareal repräsentiert werden.
sie steuert. Die Bereiche fur die axiale Muskulatur
und die Muskulatur der unteren Extremität werden 4. Pyramidenbahn, Tractus corticospinalis
folglich in relativ kleinen kortikalen Arealen reprä- et corticonuclearis
sentiert, wohingegen Hand und Mund als Bereiche
hoher motorischer Funktionspräzision vergleichs- Zur Pyramidenbahn zählt man funktionell
weise große Kortexflächen einnehmen. Die Areale sowohl den Tractus corticospinalis als auch den
der unteren Extremität sind im Gyrus praecentralis Tractus corticonuclearis (auch corticobulbaris),
über der Mantelkante lokalisiert und nehmen eine obwohl nur der Tractus corticospinalis durch die
vergleichsweise kleine Fläche ein. Unterschenkel Pyramide der Medulla oblongata zieht (Abb.
und Fuß liegen auf der Medianfläche der Hemis- 5.108).
Abb. 5.107: Darstellung des Homunculus der Großhirnrinde. Rostrai des Sulcus centralis liegt der motosensori-
sche (Ms I) Cortex, dorsal des Sulcus centralis der sensomotorische Homunculus (Sm l), denn auch der Gyrus
postzentralis ist somatotopisch gegliedert. Beide Kortexabschnitte reichen über die Mantelkante hinweg, wo
jeweils lateral der Falx cerebri die Repräsentationsgebiete der Füße liegen. Das sensomotorische Feld (Sm II)
liegt in der Tiefe der Insel und reicht ζ. T. bis rostral des Sulcus centralis. Er ist teilweise somatotopisch geglie-
dert
Capsula interna
Crus cerebri
N. oculomotorius
^ periphere motorische
/ Neurone in Hirnnervenkernen
Λ
•^N. trigeminus
— — N. hypoglossus
Pyramide""
κ 1 UV / i — N. accessorius
\ ··. 1 V - T T Ü i W
~ Decussatio pyramidum
Tractus coticospinalis lat.
(Pyramidenseitenstrangbahn)
— — __ Tractus corticospinals ant.
IPyramidenvorderstrangbahn)
periphere motorische
Neurone |a-Motoneurone)
Abb. 5.108: Verlauf der Pyramidenbahn; Tractus corticospinalis (= rot) und Tractus corticonuclearis (= schwarz)
Abb. 5.109: Schema der Topographie der Capsula interna (nach P. Duus, 1990). Die Capsula interna hat die Form
eines Winkels, dessen hinterer Schenkel (Crus posterius) medial vom Thalamus und dessen vorderer Schenkel
(Crus anterius) medial vom Kopf des Nucleus caudatus begrenzt wird. Zwischen beiden Schenkeln liegt das
Knie (Genu capsulae internae). Lateral wird die Capsula interna vom Linsenkern (Putamen und Globus pallidus)
begrenzt (vgl. Abb. 5.34, 43, 46, 47). Die Pyramidenbahn verläuft im Crus posterius bis ans Genu der Capsula
interna
Verlauf durch die Capsula interna. Fächerför- Klinik: 1. Einblutungen und Infarkte im Bereich
mig vom prämotorischen, primären motorischen der Capsula interna sind ein häufiges klinisches
und dem supplementärmotorischen Areal ausge- Ereignis. Hiervon sind im Regelfall (bis auf
hend konvergieren die Fasern zu einem dichten, kleine lakunäre Infarkte) nicht allein die Fasern
geschlossenen Bündel, das die Capsula interna des Tractus corticospinalis und des Tractus cor-
am Knie, Genu, und dem sich dorsal anschließen- ticonuclearis befallen. Typischerweise kommt es
den Crus posterius passiert. Der Tractus corticonu- zur Mitschädigung der weiter rostral in der Cap-
clearis verläuft in der Capsula interna rostral der sula interna gelegenen frontopontinen Bahnen
Fasern des Tractus corticospinalis. Im Gegensatz des extrapyramidalmotorischen Systems sowie
zu früheren Vorstellungen nehmen die Fasern einen weiter dorsal gelegener Fasern. Letztere sind
sehr umschriebenen Bereich innerhalb der Cap- Bestandteil der hinteren Brückenbahn, der
sula interna ein, wobei sie nach rostral nicht über Tast-, seltener der Seh- und Hörbahn. Hierdurch
den Bereich des Genu capsulae internae ins Crus erklärt sich die oft komplexe Symptomatik einer
anterius reichen (Abb. 5.109). Am Eingang in die solchen Schädigung. 2. Bei einer (seltenen)
Capsula interna verläuft der Tractus corticospinalis isolierten Schädigung der Pyramidenbahn (ζ. B.
direkt am Knie, im unteren Abschnitt weiter dorsal der Area 4 oder der Pyramide) tritt eine rein
im Crus posterius. schlaffe Lähmung auf, während Blutungen und
Infarkte in der Capsula interna durch den Befall
auch der extrapyramidalmotorischern Fasern zur
Entwicklung spastischer Lähmungen fuhren.
Weiterer Verlauf des Tractus corticospinalis. einem großen Anteil direkt α-Motoneurone, zu
Beim Austritt aus der Capsula interna verlaufen einem weiteren Anteil aber auch Interneurone,
die Fasern des Tractus corticospinalis lateral des so dass erst indirekt die α-Motoneurone erreicht
Tractus corticonuclearis und durchziehen die Crura werden.
cerebri des Mesencephalon, den Pons und die
Medulla oblongata, bis sie in die Medulla spinalis Eine solche direkte kortikospinale Innerva-
gelangen: tion von α-Motoneuronen findet sich erst bei
höheren Primaten und besonders beim Men-
• Crura cerebri (Abb 5.108 II). Die Fasern ziehen
schen. Bei der Katze beispielsweise ist eine
durch den mittleren Bereich des Hirnstiels, Crus
solche direkte Innervation der α-Motoneurone
cerebri (s. Abb. 5.51), und werden hier von der
noch nicht nachweisbar.
vorderen (Tractus frontopontinus) und der hinte-
ren (Tractus parieto-occipito-temporopontinus)
Besonders fur die Bewegungsfähigkeit der kontrala-
Brückenbahn (Tractus corticopontinus) beglei-
teralen Hand ist der Tractus corticospinalis lateralis
tet (s. Abb. 5.52-53). Die verschiedenen Bündel von entscheidender Bedeutung. Phylogenetisch handelt
der Pyramidenbahn verlaufen weiterhin in es sich dabei um einen relativ neuen Evolutionsschritt.
somatotopischer Ordnung, wobei Fasern zu a - Frühere Durchschneidungsexperimente haben gezeigt,
Motoneuronen der oberen Extremität innerhalb dass die Durchtrennung der Pyramidenbahn auf Höhe
des Crus cerebri mehr medial, Fasern zu denen des Hirnstamms bei einer Katze nicht zu nennenswerten
der unteren Extremität mehr lateral liegen. motorischen Ausfallen fuhrt. Bei Affen kam es nach
Läsion der Pyramidenbahn dagegen zu einer auf die
• Pons (Abb. 5.108 III-IV). Am Unterrand des
Handmotorik begrenzten Bewegungseinschränkung,
Mesenzephalons treten die Fasern des Tractus
die besonders bei Greif- und Fassbewegungen auffällig
corticospinalis in den Pons ein. Hier fächert sich wurde. Die Bewegung von Daumen und kleinem Finger
der Trakt in Bündel auf, die zwischen den Nucll. sowie das koordinierte Bewegen der Finger waren
pontis verlaufen (s. Abb. 5.55). Am basalen gestört.
Ende der Brücke tritt der Tractus corticospinalis
wieder geschlossen als Pyramide an die Oberflä- Verlauf des Tractus corticonuclearis. Die
che der Medulla oblongata (s. Abb. 5.56, 57). Ursprungsneurone dieser auch als Tractus cortico-
• Decussatio pyramidum: Aufteilung in den bulbaris bezeichneten Bahn liegen im Gesichtsa-
Tractus corticospinalis anterior und lateralis real des Motocortex und des SMA, also im mitt-
(Abb. 5.108 V-VII). Im kaudalen Abschnitt der leren Bereich der lateralen Cortexoberfläche von
Pyramide kreuzen etwa 80% der Fasern in die Area 4 und Area 6. Weiterhin treten Fasern aus dem
Pyramide der Gegenseite und verlaufen weiter frontalen Augenfeld in Area 8 und aus der Area 46
als Tractus corticospinalis lateralis im Vorder- im Gyrus frontalis medius für die Bewegungen
seitenstrang des Rückenmarks. Etwa 20% der der willkürlichen Augenmuskulatur hinzu (s. Abb.
Fasern des Tractus corticospinalis kreuzen nicht 5.105, 107). Diese innervieren Blickzentren im
in der Pyramide. Sie verlaufen als Tractus cor- Mesenzephalon und im Pons. Der Tractus corti-
ticospinalis anterior im ipsilateralen Vordersei- conuclearis verläuft medial in der Pyramidenbahn
tenstrang des Rückenmarks direkt an der Fissura und gibt Fasern zu den motorischen Hirnnerven-
mediana, kreuzen größtenteils im Segment und kernen (Nucll. motorii oder Nucll. origines) ab,
innervieren dort beidseitig die Lamina VIII die die Muskeln an Kopf und Hals innervieren.
(s. Abb. 5.65) und ventromediale Anteile des Im Gegensatz zum Tractus corticospinalis, der
Vorderhorns. Der Tractus corticospinalis ante- fast vollständig (80%, s. o.) auf die Gegenseite
rior innerviert vornehmlich die axiale Muskula- kreuzt, gibt es beim Tractus corticonuclearis eine
tur, wodurch er bei der Steuerung von Körper- bilaterale Projektion: Gekreuzte und ungekreuzte
stammbewegungen eine wichtige Rolle spielt. Fasern erreichen die Kerne der Nn. III, IV und
An der Feinmotorik der distalen Extremitäten VI (äußere Augenmuskeln und Lidheber) sowie
ist er im Gegensatz zum Tractus corticospina- kraniale Anteile des Nucl. η. VII (Mm. frontalis et
lis lateralis nicht beteiligt. In jedem Segment orbicularis oculi).
scheren dann Fasern zu den Vorderhornarealen
der α-Motoneurone aus. Dort innervieren sie zu Zur klinisch wichtigen Topographie und zum Ver-
lauf der Pyramidenbahn über die Capsula interna
Abb. 5.110: Aktivierungsmuster d e s primär somatosensorischen Cortex im funktionellen MRT (fMRT) bei Stimula-
tion einzelner Finger (Digiti 1-5; in der A b b i l d u n g Dig 1 - 5 abgekürzt). Diese Untersuchungsmethode erlaubte in
d e n letzten Jahren eine genauere somatotope und funktionelle Gliederung d e s Cortex. Auf bestimmte Reize oder
Befehle hin werden die hiervon aktivierten Kortexabschnitte im fMRT sichtbar (aus der Neurologischen Klinik der
Charite, Prof. Dr. med. A.Villringer)
zu den Himnervenkernen bzw. bis ins Rückenmark heutiger Sicht kann dieses System aber nur in enger
siehe auch Abb. 5.43, 46, 47, 52, 53, 55-57, 64, funktioneller Verknüpfung mit dem System der
108, 109. pyramidalen Willkürmotorik gesehen werden.
Aus diesem Grund wird es verschiedentlich (etwa
Klinik: Bei einer einseitigen Läsion der Capsula in der Neurophysiologie) auch parapyramidalmo-
interna sind durch die bilaterale Versorgung die torisches System genannt. In der Klinik ist aber
von diesen Motoneuronen versorgten Augen- der Begriff Extrapyramidalmotorik noch immer
muskeln nicht vollständig gelähmt, sondern in Gebrauch und soll daher auch hier verwendet
nur geschwächt. Da die ipsilaterale Projektion werden.
erhalten bleibt, zeigt sich in Ruhestellung eine
Abweichung beider Augen zur betroffenen Seite Beim Menschen koordiniert das EPS die für die
hin, was als Deviation conjuguee („der Kranke Bewegungsabläufe der pyramidalen Willkürmo-
blickt den Herd/die Läsion an") bezeichnet wird. torik eingeübten Grundmuster des Bewegungs-
Dies ist insbesondere bei ausgeprägten Media- ablaufs.
infarkten, aber auch bei akuten Frontalhirnsyn-
dromen der Fall, wenn das frontalmotorische
Klinik: 1. Der Ausreifungsprozess des EPS
Augenfeld in Mitleidenschaft gezogen wird.
lässt sich anhand der Entwicklung der Motorik
des heranwachsenden Kindes sehr gut studieren.
Die Geschmeidigkeit der Bewegung, das Erler-
5.4.7.5.2 Extrapyramidalmotorisches nen komplexer Bewegungsmuster durch sport-
S y s t e m (EPS) liche Aktivität und die Entwicklung komplexer
Bewegungsaufgaben unter bewusster Kontrolle
Im EPS sind Kerngruppen verschaltet, die für
repräsentieren die Ausreifung der Extrapyrami-
die Steuerung der Begleitmotorik (Mimik,
dalmotorik, die also Jahre in Anspruch nimmt,
Gestik und Körperhaltung) sowie eingeübter
sich aber doch - im Gegensatz zu den mono-
Bewegungsmuster verantwortlich sind.
und polysynaptischen Reflexen - im funktionel-
len Sinne trainieren lässt. 2. Schädigungen im
Definiton des EPS. Lange Zeit ging man von einem
Rahmen eines Infarkts oder einer Hirnblutung
selbstständigen und unabhängig vom pyramidal-
betreffen meist sowohl das pyramidal- als auch
motorischen System fungierenden, also eigentlich
das extrapyramidalmotorische System. Des-
„extra"-pyramidalmotorischen System aus. Aus
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504 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
• Basalganglien, Nuclei basales (s. Kap. 5.2.5.2, Cortex sowie dopaminerge Afferenzen aus
S. 398). Der Begriff wird uneinheitlich ver- der Substantia nigra, pars compacta (Abb.
wendet. In funktioneller Hinsicht zählt man 5.111). Letztere innervieren im Striatum
den Nucl. caudatus und das Putamen sowie mittelgroße Neurone, deren Dendriten einen
den Globus pallidus lateralis (als Anteilen des starken Dornenbesatz aufweisen. Diese endo-
Telenzephalons), den Globus pallidus medialis striatalen Neurone {spiny neurons) sind die
und den Nucl. subthalamicus (als Anteilen des Projektionsneurone des Striatums, die den
Dienzephalons) sowie den Nucl. ruber und die Globus pallidus lateralis und die Substantia
Substantia nigra (als Anteilen des Mesenzepha- nigra, pars reticularis, innervieren und dabei
lons) zu den Basalganglien (oder: Kerngebieten Gamma-Aminobuttersäure (GABA) als inhi-
des EPS). Klinisch wird mit dem Begriff der bitorischen Neurotransmitter benutzen. Diese
„Basalganglien" aber oft nur Bezug auf die Projektionsneurone sind vielfaltig über auffallig
Telenzephalonkerne genommen. Entwick- große Interneurone im Striatum miteinander
lungsgeschichtlich bezeichnet der Terminus die verschaltet, die Acetylcholin als exzitatorischen
Telenzephalonkerne, einschließlich des Corpus Neurotransmitter verwenden.
amygdaloideum.
Im Striatum bildet sich eine Matrix aus, die sich histo-
chemisch aufgrund ihrer Acetylcholinesterase- und Tyro-
Nucl. caudatus und Putamen werden häufig sinhydroxylase-Aktivität anfärben lässt. Es finden sich
als Streifenkörper, Striatum, Putamen und jedoch kleine, fleckförmig verteilte Areale eingelagert,
Pallidum als Linsenkern, Nucl. lentiformis, die sich kaum mit diesen Techniken anfärben lassen und
zusammengefasst. (Zur Lage der Basalganglien die den Namen Striosomen tragen. Ihre funktionelle Rele-
s. auch Abb. 5.29, 34, 36, 43, 46.) vanz ist bisher nicht eindeutig geklärt. Sie repräsentieren
eine morphologische Organisation, die der kolumnären
Organisation des Cortex cerebri vergleichbar ist.
• Nucl. caudatus und Putamen. Das Stria-
tum erhält glutamaterge Afferenzen aus dem
] Nucleus subthalamicus
Thalamus
Abb. 5.111: Schematische Darstellung der wichtigsten motorischen Verschaltungen der Basalganglien
(nach K. F. Masuhr/M. Neumann, 1992)
• Globus pallidus. Er bildet den medialen über dem Crus cerebri im Tegmentum mesence-
Abschnitt des Nucl. lentiformis (s. Abb. 5.47) phali und erstreckt sich von der rostralen Grenze
und gliedert sich in 2 Anteile. Der laterale Anteil des Pons bis zum Nucl. subthalamicus. Durch
erhält vielfältige Zuflüsse aus dem Striatum. die schwarze Färbung seines zellreichen Anteils,
Projektionsneurone in diesem Teil des Globus der Pars compacta, lässt sich die Substantia
pallidus benutzen ebenfalls GABA als inhibi- nigra im Hirnschnitt bereits mit dem bloßen
torischen Transmitter und innervieren den Nucl. Auge erkennen (s. Abb. 5.37, 52, 53). Diese
ventralis anterior thalami. Der Globus pallidus durch ihren Neuromelaningehalt (eisenhaltiges
medialis steht auch in enger Verbindung mit der Pigment) dunkel erscheinenden Neurone der
Substantia nigra, pars reticularis. Pars compacta projizieren über den Tractus
• Nucl. subthalamicus. Der Nucl. subthalamicus nigrostriatalis zum Nucl. caudatus und Put-
liegt medial der Capsula interna an der Grenze amen (Striatum) und benutzen Dopamin als
zwischen Di- und Mesencephalon direkt über inhibitorischen Transmitter. Weiter zur Mittelli-
der Substantia nigra, pars reticularis. Seine nie hin liegen im VTA dopaminerge Zellen, die
Projektionsneurone benutzen Glutamat als zum ventralen Striatum, zum Nucl. accumbens,
exzitatorischen Transmitter. Direkte afferente aber auch zur Amygdala und zum frontalen und
Eingänge stammen aus motorischen Kortexare- limbischen Cortex projizieren und so die so
alen; aus dem Globus pallidus lateralis kommen genannte mesolimbische dopaminerge Pro-
inhibitorische Zuflüsse. Der Nucl. subthalami- jektion bilden. Rostrai der zelldichten, Neuro-
cus beeinflusst die motorische Aktivität haupt- melanin-enthaltenden Pars compacta findet sich
sächlich durch Innervation des Globus pallidus die im makroskopischen Schnitt gräuliche Pars
und der Substantia nigra, pars reticularis. Auf reticularis. Die Pars reticularis enthält GABA-
diese Weise stellt der Nucl. subthalamicus eine erge Projektionsneurone, deren Afferenzen
wichtige Station in der Endkontrolle des motori- aus dem Striatum stammen. Genauso wie der
schen Regelkreises der Basalganglien durch den Globus pallidus stellt sie ein wichtiges Zentrum
Cortex dar (s.Abb. 5.111). des motorischen Regelkreises der Basalganglien
dar. Aus diesem Grund werden beide Kerne oft
Klinik: 1. Aufgrund des Verschaltungsmusters als funktionelle Einheit gesehen.
der Basalganglien mit dem Nucl. subthalamicus
sowie Läsionsbefunden ist der neurochirur- Klinik: 1. Die dopaminergen Zellen des VTA,
gische Therapieansatz der Elektrostimulation die zur Amygdala und zum zerebralen Kortex
beim therapierefraktären Parkinson-Sysndrom projizieren, spielen eine wichtige Rolle als
und verschiedenen Dystonieformen entstanden: unspezifisch aszendierendes dopaminerges
Hier werden in den Globus pallidus medialis System. Störungen dieses Systems werden für
oder in den Nucl. subthalamicus beider Gehirn- viele psychiatrische Erkrankungen (insbeson-
häften Stimulationselektroden eingeführt, die dere Depression und Schizophrenie) verant-
über einen subkutanen Schrittmacher versorgt wortlich gemacht. 2. Im Rahmen der Parkinson-
werden. Die Stimulation verursacht eine Hyper- Erkrankung (auch: Paralysis agitans) kommt
polarisationsblockade, so dass die Neurone in es zur Degeneration der Dopamin-haltigen
den stimulierten Regionen keine Aktionspoten- Ursprungszellen des Tractus nigrostriatalis in der
tiale mehr generieren. So ist die Bewegungs- Substantia nigra, Pars compacta. Diese zumeist
inhibition aus diesen Zentren gedämpft, was im mittleren und höheren Alter beginnende
klinisch zu einer deutlichen Besserung führen Erkrankung äußert sich in der Symptomentrias
kann. 2. Bei zumeist vaskulären Schädigungen Rigor, (Ruhe-) Tremor, Akinese. Klinisch zeigt
des Nucl. subthalamicus kommt es zum Krank- sich eine Steifheit der Muskulatur, die mit einem
heitsbild des Hemiballismus. Hierbei treten typischen Fehlen der Gesichtsmimik (Masken-
unwillkürliche ausladende Bewegungen der gesicht) einhergeht. Des weiteren besteht ein
Extremitäten kontralateral zur Läsionsseite auf. besonders die Hand betreffender Ruhetremor
sowie ein typisches Gangbild mit kurzen, trip-
• Substantia nigra und ventrales tegmentales pelnden Schritten (Marche ä petit pas). Da in
Areal (VTA). Die Substantia nigra liegt direkt einigen Fällen auch kognitive Einbußen auftre-
Monoamine
- Katecholamine
Dopamin CCK VTA D, Erregungszunahme
Neurotensin Hypothalamus D, Erregungsabnahme
Noradrenalin Somatostatin Sympathische Ganglien A1 Erregungszunahme
(Norepinephrin, Encephalin Ganglion cervicale superius a2 Erregungsabnahme
NE) Neurotensin Locus coeruleus
Adrenalin Neuropeptid Υ Sympathisches NS PI Erregungszunahme
Vasopressin Locus coeruleus ß2 Erregungszunahme
- Indolamine
Serotonin Substanz Ρ Nucll. raphae, RM 5-HT, Inhibition
(5-Hydroxytrypt- CCK Rhombencephalon, RM
amin, 5-HT) Encephalin Nucll. raphae, RM 5-HT, Zunahme von Inhibi-
TRH Rhombencephalon, RM tion und Exzitation
Histamin dorsaler Hypothalamus Exzitation, Mastzell-
degranulation
Aminosäuren
Tractus tectospinal^, bis in die Vorderhörner Telenzephalons und zum Nucl. accumbens septi.
des Rückenmarkes projizieren, wo sie über Es bestehen weiterhin Verbindungen einerseits
Interneurone vermittelt die motorische Aktivi- über den Tractus tegmentalis centralis zur Oliva
tät der α-Motoneurone beeinflussen. Während inferior und von dort zum Kleinhirn, ande-
das retikulospinale System besonders bei der rerseits auch zum Nucl. accumbens und zum
Regulation von Muskeltonus und Körperhaltung Cortex. Auf der Grundlage dieser unterschied-
eine wichtige Rolle spielt und in engem Zusam- lichen Dopamineffekte im Striatum wie auch im
menhang mit dem vestibulospinalen System frontalen und limbischen Cortex ergeben sich
gesehen werden muss (s. Abs. 5.4.3), stellt die neue Erklärungsansätze des differenten Symp-
Umschaltung im mesopontinen Tegmentum die tomenbildes der Parkinson-Krankheit (s. o.).
Einbindung der sog. mesenzephalen lokomoto-
rischen Regionen der Formatio reticularis dar.
Die Projektion zum Colliculus superior fuhrt 5.4.8 Funktionelle Anatomie
zu einer Verknüpfung mit okulomotorischen des Kleinhirns, Cerebellum
Funktionen (s. Abs. 5.4.2.4). Auf diese Weise
gelingt die koordinierte Einbindung von Augen- Lernziele: Gliederung des Kleinhirns; sta-
und Kopfmotorik im Rahmen extrapyrami- tisch-vestibuläres System, Afferenzsysteme
dalmotorischer Bewegungsmuster. Ebenso ist des Cortex cerebelli. Kleinhirnkerne, efferente
dieses Areal in die Integration autonomer und Fasersysteme, Kleinhirnfunktionen und Verbin-
somatomotorischer Aktivitäten im Rahmen des dungen zum Rückenmark
emotionalen Verhaltens eingebunden.
Es ist offensichtlich, dass die menschlichen Bewe- Die Regulation des Muskeltonus, das Ausfuhren
gungen sehr komplex organisiert sein müssen, unwillkürlicher, der Gleichgewichtssitutation
wenn man an solche herausragenden Leistungen dienender „Mitbewegungen" und damit die
eines Dirigenten der Berliner Philharmoniker, einer Feinabstimmung der Körperhaltung sind Auf-
Ski-Abfahrtsläuferin bei 120 km/h oder eines Fahr- gaben des Kleinhirns. Sowohl die pyramidale
radfahrers der Tour de France denkt. Jeder Leserin Willkürmotorik als auch eingeübte extrapyra-
und jedem Leser werden sofort Beispiele aus dem midalmotorische Bewegungsmuster können
eigenen Leben einfallen, in dem durch unterschied- nur realisiert werden, wenn es dem Organismus
liche Außeneinflüsse höchste Anforderungen an die gelingt, seine Motorik im dreidimensionalen
Lokomotorik gestellt werden, wie ζ. B. beim Fahr- Raum auszurichten. Eine zentrale Rolle spielt
radfahren auf vereisten Straßen. Aus Beobachtun- hier das enge Zusammenwirken des vestibu-
gen bei depressiv gestimmten Patienten wie auch lären Systems (s. Kap. 5.4.3, S. 469) mit dem
der Körperhaltung bei „schlechter Laune" wird Cerebellum.
darüber hinaus deutlich, dass die Psyche ebenfalls
einen großen Einfluss auf die menschliche Motorik Afferenz- und Efferenzkopie. Um diese Aufgabe
besitzt. erfüllen zu können, benötigt das Kleinhirn einer-
seits eine Informationskopie der in den motori-
• Nigrostriatales System. Zellen in der Sub- schen Arealen induzierten Willkürbewegung (als
stantia nigra, pars compacta, sind Teil des Efferenzkopie) sowie genaue Informationen über
dopaminergen Projektionssystems. Zu diesem die aktuelle Stellung und den Muskeltonus der
gehören auch die dopaminergen Zellen im VTA. Extremitäten (als Afferenzkopie). Das Cerebellum
Die Zellen der Pars compacta projizieren zum stellt somit einen der Motorik beigeordneten Hirn-
Striatum und innervieren dort GABA-erge Pro- teil dar, der die Informationsverarbeitung für eine
jektionsneurone (s. Abb. 5.111). Hierbei wird zielgerichtete Bewegungsoptimierung in Raum
einerseits der exzitatorisch wirkende Dl-, ande- und Zeit leistet. Insofern bildet das Cerebellum
rerseits aber auch der inhibitorisch wirkende eine Schnittstelle zwischen EPS (4. motorisches
D2-Rezeptor angesteuert. Zwischenzeitlich System) und dem statisch-vestibulären System
konnten weitere Dopaminrezeptortypen gefun- (3. motorisches System).
den werden. Vom VTA verläuft auch eine Pro-
jektion in die Substantia innominata des basalen
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510 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Korbzelle
gangliosum
Abb. 5.113: Innerer Kleinhirnaufbau. Die vordere Schnittfläche ist quer durch eine Windung gelegt, während die
seitliche in Längsrichtung verläuft. Moos- und Kletterfasern = rot; Neurit einer Purkinje-Zelle = schwarz; Purkinje-
Zelle = grau; Körnerzelle = blau; Korb-, Stern- und Golgizellen = schwarz. Zu erkennen ist die Schichtengliede-
rung, die sich uniform im Cerebellum findet. Der schmalen Schicht weißer Substanz (Substantia medullaris) folgt
die dreischichtige Rinde mit der Körnerschicht (Stratum granulosum), der Purkinje-Schicht (Stratum gangliosum)
und der Molekularschicht (Stratum moleculare)
kontralateral. Der Tractus spinocerebellaris zu den Zuflüssen von den GABAergen Pur-
anterior kreuzt auf der Ebene des Rückenmarks- kinje-Zellen erhalten die Kleinhirnkerne exzi-
Eintrittssegments und dann wieder zurück beim tatorische Zuflüsse über Kollateralen aus den
Eintritt ins Cerebellum, der Tractus spinocere- KleinhirnafFerenzen (Moos- und Kletterfasern).
bellaris posterior hingegen kreuzt in seinem
ganzen Verlauf nicht zur Gegenseite. Das Klein- Die Benennung der Kleinhirnkerne erfolgt
hirn ist also überwiegend mit der ipsilateralen teils nach ihrer Gestalt, teils nach ihrer Lage
Körperseite und der kontralateralen Großhirn- (s.Abb. 5.114): 1. Nucl. dentatus (= gezähnt),
rinde verbunden. 2. Nucl. emboliformis (embolus = Pfropfen), 3.
Nucl. globosus (= kugelförmig), und 4. Nucl.
fastigii (fastigium = Dachgiebel; hier: Dach des
5.4.8.3 Kleinhirnkerne, Nuclei cerebellares IV. Ventrikels).
• Definition. In der weißen Substanz des Klein- • Verbindungen. Axone von Purkinje-Zellen
hirns finden sich Ansammlungen grauer erreichen die jeweils nächstgelegenen Klein-
Substanz, die als Kleinhirnkerne bezeichnet hirnkerne, wobei der Nucl. vestibularis lateralis
werden. Hier enden die Neuriten der großen (Deiters-Kern,) im Hirnstamm funktionell als
Purkinje-Zellen der Kleinhirnrinde. Zusätzlich zusätzlicher Kleinhirnkern angesehen werden
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5.4 Funktionelle Systeme des Z N S 513
• Lobulus centralis
Nucleus fastigii
Nucleus globosus
Nucleus emboliformis
Nucleus dentatus
.Arbor vitae"
Vallecula cerebelli
Tonsilla cerebelli
kann. Der Vermis ist also überwiegend mit dem • Fasern aus dem Lobulus centralis des kranialen
Nucl. fastigii und auch direkt mit dem Deiters- Kleinhirnwurms, als Teil des Spinocerebellums,
Kern verschaltet (Vestibulocerebellum). Von erreichen den Nucl. vestibularis lateralis.
der an den Vermis angrenzenden intermediären
Aus dem Nucl. fastigii entstammen außerdem zere-
Zone der zerebellären Hemisphäre (Spinocere-
belloretikuläre Fasern, die die Formatio reticularis
bellum) bestehen Verbindungen mit dem Nucl.
im Pons und in der Medulla oblongata erreichen.
emboliformis und dem Nucl. globosus, die auch
als Nucl. interpositus zusammengefasst werden. • Efferenzen zum Nucl. ruber. Über den Pedun-
Die große laterale Zone mit der restlichen Hemi- culus cerebellaris superior verlassen Fasern des
sphäre (Pontocerebellum) ist mit dem Nucl. den- Nucl. dentatus, Nucl. emboliformis und Nucl.
tatus verbunden. globosus das Cerebellum. Sie kreuzen in der
Mittellinie auf die Gegenseite und erreichen
den Nucl. ruber, die okulomotorischen Areale
5.4.8.4 Efferente Fasersysteme des Mesenzephalons sowie den ventrolateralen
des Kleinhirns Thalamuskern.
Das Cerebellum übt seinen Einfluss auf die Moto- Klinik: 1. Nach Läsion des Nucl. ruber ent-
rik nicht durch eine direkte Verschaltung mit den steht kontralateral ein lntentionstremor bei
motorischen Neuronen im Vorderhorn aus. Statt willkürlichen Bewegungen sowie eine Hypo-
dessen enden die efferenten Fasern aus dem Cere- tonie (Abnahme des Muskeltonus). Außerdem
bellum in den Nucll. vestibuläres, in der Formatio kommt es bei Schädigung des Nucl. ruber zu
reticularis und in okulomotorischen Zentren des choreatisch-athetotischen Bewegungen, die
Hirnstamms (vom Vestibulocerebellum ausge- sich in unkontrollierteren, weit ausladenden,
hend), im Nucl. ruber des Mesencephalon (vom aber auch engen schraubenhaften Bewegungen
Spinocerebellum ausgehend) und im ventrolatera- äußern, welche bis zu stärksten Verrenkungen
len Thalamus (vom Pontocerebellum ausgehend). der Extremitäten gehen können. 2. Da die
Fasern des N. oculomotorius auf dem Weg zur
• Efferenzen zum Hirnstamm. Die Fasern zu
Hirnaustrittsstelle den Nucl. ruber teilweise
den Nuclei vestibuläres verlassen das Kleinhirn
durchziehen, kann bei Schädigung dieses Kerns
durch den Pedunculus cerebellaris inferior und
auch eine Okulomotoriuslähmung auftreten
sind in zwei Fasersystemen organisiert:
(.Nothnagel-Syndrom).
• Über den Nucl. fastigii erreichen Fasern aus dem
Lobus flocculonodularis, als Teil des Vestibulo- • Efferenzen zum Thalamus. Informationen aus
cerebellums, alle vier Nucll. vestibuläres. dem Neocerebellum (Pontocerebellum) werden
im Nucl. dentatus umgeschaltet, der wichtigsten
Schaltstelle innerhalb des Kleinhirns. Seine
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514 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Axone verlassen das Cerebellum im Peduncu- derum im Rückschluss über Kletterfasern die
lus cerebellaris superior und enden, wie auch Kleinhirnrinde erreicht. Somit wird ein weiterer
Fasern aus den Basalganglien, im ventrolatera- neuronaler Regelkreis geschaltet, welcher auf
len und im ventroanterioren Thalamus (Tractus die motorischen Systeme des Hirnstamms Ein-
dentatothalamicus). Es kommt jedoch nicht fluss nehmen kann.
zu einer Überschneidung, da die zerebellären
Fasern mehr dorsal gelegene Bereiche dieser
Thalamuskerne innervieren, während die aus 5.4.8.5 Kleinhirnstiele
den Basalganglien stammenden Fasern eher ros-
tral enden. Die Abschnitte des ventrolateralen Die schon mehrfach erwähnten Pedunculi cere-
Thalamus, welche vom Cerebellum innerviert bellares sollen hier noch einmal zusammenge-
werden, projizieren hauptsächlich zum Moto- fasst werden (s. Tab. 5.7). Der größte, am wei-
cortex. Die aus den Basalganglien innervierten testen lateral gelegene Pedunculus cerebellaris
Regionen projizieren hingegen hauptsächlich medius fuhrt die Afferenzen von der Brücke zur
zum SMA. Kleinhirnrinde und enthält keine Efferenzen. Der
• Motorische Schaltkreise (s. Abb. 5.115). obere Kleinhirnstiel enthält vor allem Efferenzen
Fasern aus dem Cerebellum, die über den vent- in Hirnabschnitte oberhalb der Brücke (Mesen-
rolateralen Thalamus den Motocortex erreichen, cephalon und Thalamus). Diese Bahnen werden
schließen auf diese Weise über den Tractus cor- hier auch Brachium conjunctivum genannt und
ticopontocerebellaris einen neuronalen Regel- kreuzen in Höhe der Colliculi inferiores auf die
kreis, wodurch das Kleinhirn direkt Einfluss auf Gegenseite (Decussatio pedunculorum cerebel-
die höheren Steuersysteme der Motorik nimmt. larium superiorum, auch: Stilling-Schere). Der
Des weiteren reichen Fasern aus dem Nucl. untere Kleinhirnstiel verbindet das Kleinhirn
ruber über den Tractus rubrospinalis bis zu mit Arealen unterhalb der Brücke, also Medulla
den Rückenmarkssegmenten. Über den Tractus oblongata und Rückenmark. Nur der Tractus
tegmentalis centralis erreichen Fasern aus dem spinocerebellaris anterior weicht von diesem
Nucl. ruber den Nucl. olivaris inferior, der wie- Grundschema ab.
Cortex cerebri
J
Tractus corticorubralis
Tractus corticospinalis
Thalamus
Nucleus ruber
Nucleus dentatus
Oliva
Cortex cerebelli
I I
Moosfasern Kletterfasern
Abb. 5.115: Schema der Verbindungen vom Kleinhirn zum Nucl. ruber und zum Thalamus (nach P. Duus, 1990)
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5.4 Funktionelle Systeme des ZNS 515
Afferenzen Efferenzen
5.4.8.6 Funktionen des Kleinhirns gung an der Ausführung und der Feinabstim-
mung von Bewegungen, insbesondere einfacher
Insgesamt ist das Kleinhirn ein Ubergeordnetes Bewegungen, die noch nicht eingeübt sind.
motorisches Zentrum, das Informationen aus • Pontocerebellum oder Neocerebellum. Es
dem Vestibular- und dem Bewegungsapparat erhält über die Brückenkerne die Efferenzkopie,
und aus höheren bewegungsplanenden Zentren eine Art Vörab-Information aus der Großhirn-
integriert und durch Rückmeldung zum Moto- rinde über intendierte Bewegungen (Zielmoto-
cortex und zu motorischen Hirnstammzentren rik). Insbesondere komplexe zusammengesetzte
die Motorik beeinflusst. Bewegungen werden vom Neocerebellum durch
die präzise zeitliche Koordination der beteilig-
Es sorgt für eine allgemeine Kontrolle des Muskel- ten Muskelgruppen (Synergie) mitgesteuert.
tonus, für die Erhaltung des Gleichgewichts und für Die geschieht einerseits durch den ständigen
eine präzise räumliche und zeitliche Koordination „Vergleich" mit der Afferenzkopie, also mit
von Bewegungen. Die 3 Anteile des Cerebellums den Informationen über den aktuellen Zustand
wirken dabei in unterschiedlicher Weise auf die des Bewegungsapparates, die dem Motocortex
motorischen Funktionen ein: nicht im gleichen Maße zur Verfügung stehen
wie dem Kleinhirn. Andererseits können hier
• Vestibulocerebellum. Dieser funktionelle Anteil
Bewegungsprogramme angelegt und abgerufen
koordiniert die Motorik mit den Informationen
werden (motorisches Lernen). Komplizierte
aus dem Gleichgewichtsorgan. Es nimmt vor
schnelle Bewegungsmuster, ζ. B. beim Klavier-
allem Einfluss auf die Ausgleichsbewegungen
spielen oder auch beim Sprechen, können so
der Augen bei Veränderung der Kopfstellung
nach einer Phase der Einübung von der Groß-
(vestibulo-okuläre Reflexe). Beim Stehen und
hirnrinde initiiert und im Kleinhirn abgerufen
Gehen wirkt es gleichgewichtserhaltend auf die
werden, ohne dass jeder einzelne Schritt der lau-
der Schwerkraft entgegenwirkenden Muskeln
fenden bewussten Kontrolle unterliegen muss.
ein (Stützmotorik). In dieser Funktion ist es nur
unscharf abgrenzbar vom
Klinik: 1. Kleinhirnläsionen führen typischer-
• Spinocerebellum, das bei dieser Aufgabe
weise zu Ataxie, Nystagmus und dysarthrischer
zusätzlich die propriozeptiven Informationen
Sprache (Charcot-Trias). In diesen Symptomen
über die aktuelle Stellung der Glieder im Raum
spiegelt sich die Einbindung des Kleinhirns
verarbeitet. So kann im Zusammenwirken dieser
in die Gang-, Stand- und Blickmotorik sowie
Systeme bei jeder Bewegung, die den Körper-
die Feinabstimmung von Präzisionsbewegun-
schwerpunkt verlagert (ζ. B. Vorstrecken des
gen wider. Weitere Kleinhirnsymptome sind
Wurfarms beim Speerwurf), die übrige Musku-
die Abnahme der Muskelspannung und -kraft
latur so beeinflusst werden, dass das Gleichge-
(Hypotonie) und das Auftreten überschießender
wicht erhalten bleibt. Vestibulo- und Spinoce-
Bewegungen (Hypermetrie). In Abhängigkeit
rebellum kommt damit eine wichtige Rolle in
von den Läsionsorten kommt es zu unterschied-
der Kontrolle des allgemeinen Muskeltonus zu.
lichen klinischen Symptomen. 2. Das Archi-
Die propriozeptiven Informationen ermöglichen
cerebellum und das Palaeocerebellum sind für
dem Spinocerebellum außerdem eine Beteili-
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516 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
α-Faser
(motorisch)
γ-Faser
(fusimotorisch) ,, '
y-Motoneuron
Abb. 5.116: Schematische Darstellung der die Motorik beeinflussenden Fasersysteme im Rückenmark in ihrer
Konvergenz auf das α-Motoneuron als gemeinsame motorische Endstrecke (nach P. Duus, 1990)
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5.4 Funktionelle Systeme des ZNS 517
Klinik: 1. Bei der spinalen Kinderlähmung, sie daueraktiv werden, was eine spastische Läh-
der Poliomyelitis (epidemica anterior acuta), mung ohne Muskelatrophien nach sich zieht.
werden die α-Motoneurone durch Viren zer-
stört. Dabei kommt es zu atonischen (schlaffen) Am Beispiel der Spastik wird deutlich, dass die
Lähmungen mit nachfolgender Muskelatrophie, motorischen Systeme nicht nur sichtbare Bewe-
die bei Einbeziehung der Atemmuskulatur sogar gungen, sondern auch die Statik als Funktion
letal verlaufen können. 2. Solche peripher- des Muskeltonus regulieren. Entsprechend sind
motorischen Lähmungen stehen im Gegensatz inhibitorische Einflüsse auf das α-Motoneuron
zu zentralen motorischen Lähmungen, wie sie keineswegs weniger wichtig als exzitatorische!
bei Ausfall der Pyramidenbahn und des EPS auf-
treten. Wegen der hier noch funktionstüchtigen Tabelle 5.8 fasst alle wichtigen efferenten Bahnen
α-Motoneuronen mit zahlreich vorhandenen des Motorischen Systems zusammen.
Afferenzen steigt deren Empfindlichkeit, so dass
Locus coeruleus
hypothalamische
Kerne
optische Raumorientierung,
übergeordnete vegetative
Koordination der Nahrungsauf-
nahme (Kauen,Lecken, Saugen)
pneumotaktisches Kerngebiet,
vegetative Koordination
von Atmung und Kreislauf, Niesen,
akustisch-vestibuläre Raumordnung Nucleus
Schlucken dorsalis
vegetative Koordinations- n. vagi
vasomotorische
gebiete für
Kontrolle
Blutdruck, Herztätigkeit,
Kerngebiet für
Gefäßweite, Exspiration,
Inspiration, somatische Reflexe, Exspiration
Schlucken, Würgen, Erbrechen Kerngebiet für
Inspiration
Area postrema
(„Brechzentrum")
Abb. 5.117: Formatio reticularis mit schematischer Darstellung der wichtigsten Regulationszentren von Medulla
oblongata, Pons und Mesencephalon. Ansicht von dorsal und lateral. Die römischen Zahlen bezeichnen die
motorischen Kerngebiete der Hirnnerven, die mit der Formatio reticularis verschaltet sind (nach P. Duus, 1990).
rums. Sie erhalten Informationen über Blutdruck kus) und über den Tractus reticulospinalis zur
und Gefäßtonus aus den Nn. IX und X über den Columna lateralis des Thorakalmarks.
Nucl. solitarius und den Nucl. dorsalis η. X. Man • Atemzentrum. Dieses Zentrum findet sich in
unterscheidet pressorische und depressorische der lateralen Zone der Formatio reticularis
Zentren, die beide auch auf die Herzfrequenz in der Medulla oblongata (parvozelluläre Grup-
einwirken können. Die Efferenzen erreichen ihr pen rostral des Nucl. ambiguus und des Nucl.
Ziel über den Nucl. dorsalis η. X (Parasympathi- solitarius). In Abhängigkeit von 0 2 - und C 0 2 -
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5.4 Funktionelle Systeme des ZNS 521
Partialdruck werden über die retikulospinale 5.4.10 Integrative und kognitive Systeme
Bahn motorische Neurone des N. phrenicus
im Halsmark (C2-C4) angesteuert. Das Ende Lernziele: Limbisches System, Papez-Neuro-
der Einatmung wird über im Ν. X verlaufende nenkreis, Corpus amygdaloideum (Mandelkern-
Informationen durch den Dehnungszustand der komplex), Septumkerne, Hippokampusforma-
Lunge reguliert. tion, Brodmann-Kartierung der Kortexareale
• Brechzentrum. Es befindet sich in der Area
postrema, die unmittelbar unter der Oberfläche
des IV. Ventrikels in Höhe der Apertura mediana
5.4.10.1 Limbisches System
ventriculi quarti liegt. Sie erhält Afferenzen aus
dem Nucl. dorsalis n. A'und dem Tractus solita-
1. Übersicht
rius. Die Area postrema gehört zu den zirkum-
ventrikulären Organen, in denen keine Blut-
Unter dem Sammelbegriff „Limbisches System"
Hirn-Schranke besteht (s. Kap. 5.3.4.5, S. 455,
fasst man sowohl kortikale als auch subkortikale
und 5.4.11.3, S. 548). Man vermutet deshalb,
Regionen zusammen (s. Abb. 5.118). Diese
dass über noch unbekannte, mit dem Blutstrom
umfassen (Anteile von): Gyrus cinguli, Gyrus
herangeführte Signale Chemorezeptoren das
parahippocampalis, Hippokampusformation,
Erbrechen auslösen.
Nucll. septales, Corpora mamillaria, Corpus
amygdaloideum, Nucl. anterior thalami.
Klinik: 1. Die topographische Nähe zum IV.
Ventrikel bedingt, dass es bei Anstieg des
Darüber hinaus werden u. a. Kerngebiete im
Liquordrucks zum Nüchternerbrechen kommen
Hirnstamm (Nucll. raphe) und im Diencephalon
kann. Übelkeit und Erbrechen stellen teilweise
(Nucl. accumbens, Habenula) sowie das mediale
das einzige Symptom in der Frühphase eines
Vorderhirnbündel und der Fasciculus longitudi-
gesteigerten intrakraniellen Druckes dar. 2. Die
nalis dorsalis (Schütz-Bündel) zum „Limbischen
Neurotransmitter Dopamin und Serotonin
System" gerechnet. Man geht davon aus, dass das
scheinen beim Auslösen des Brechreflexes eine
Verschaltungssystem dieser Kerngruppen eines
wichtige Rolle zu spielen, da sich durch ihre
der wichtigsten morphologischen Substrate für
Antagonisierung gute therapeutische Effekte
Gedächtnisleistungen und emotionale Zustände
erzielen lassen.
darstellt.
Die Formatio reticularis hat also eine funk- Vielmehr scheint das Limbische System eine
tionelle Bedeutung: bei der Bildung der neuronale Verschaltungskette zu bilden, die ihre
Weckreaktion im ARAS, bei der Bildung der Funktionsaufgaben nur als komplexer Schalt-
absteigenden Fasersysteme ins Rückenmark zur kreis für o. g. Leistungen des ZNS wahrnimmt.
Schmerzunterdrückung und zur Tonusregulation
der Muskulatur, beim Aufbau von Schutz- und Da die Neurone des Limbischen Systems mit ver-
Abwehrreflexen, bei der Ausbildung lebens- schiedenen anderen Arealen des ZNS, besonders
wichtiger Atemzentren und Kreislaufregulati- mit dem Hypothalamus und dem Cortex cerebri,
onszentren. in enger funktioneller Verbindung stehen und eine
Gyrus cinguli
Fornix
s
y/
Nuclei septales
/ \
/
Amygdala / ι Hippocampus
Uncus
/
Regio entorhinalis Gyrus parahippocampalis
Abb. 5.118: Kortikale Anteile des Limbischen Systems (nach P. Brodal, 1992).
Tractus mamillothalamicus
(Vicq d'AzYr-Bündel)
Nuclei septales
zum Striatum und
Cerebellum via Pons
Corpus mamillare
Amygdala
\
\
Subiculum
Regio entorhinalis
Gyrus cinguli
\
\
\
Nucleus mediodorsalis
thalami
Nuclei septales
Hypothalamus
Bulbus olfactorius
" Subiculum
\
Lobus temporalis Regio entorhinalis
Cortex cerebri Amygdala
Claustrum
Capsula interna
Fornix
Capsula extrema
Commissure anterior
(Crus posterius)
Area praeoptica
Nucleus centralis
Nucleus basolateralis
A. = cholinerge Neurone
/\ = GABAerge Neurone
Abb. 5 . 1 2 1 : Schema der Strukturen des Basalen Telenezephalons mit den Neuronen der Septumkerne und ihrer
topographischen Beziehungen zur Commissura anterior und zum Nucl. lentiformis (nach L. Heimer, 1995)
Klinik: Die Septumregion stellt eine wichtige pus sowie dessen physiologischen Beitrag zum
Verbindung zwischen Hypothalamus und Hip- Lernvorgang zugeschrieben. 3. Schädigung der
pocampus dar. 1. Läsionen in diesem Bereich Septumkerne fuhren in experimentellen Unter-
fuhren zu Abschwächung und Verlust des Theta- suchungen zu ähnlichen Symptomen, wie sie
Rhythmus im EEG, der von der Hippokampusre- bei Läsionen des Hippocampus, der Amygdala
gion generiert wird. 2. Die Formatio reticularis oder des rostralen Teils des Gyrus cinguli auf-
erreicht mit ihren adrenergen Neuronen über das treten. Hierbei kommt es zu einer Hemmung von
mediale Vorderhirnbündel die Septumregion und Aggressionsverhalten und zur Hypersexuality.
den Hippocampus. Dem medialen Septum wird 4. Auch die cholinergen Neuronenverbände sind
eine Schrittmacherfunktion für den Hippocam- in den letzten Jahren besonders stark beforscht
worden, wobei man herausfand, dass die Zellen cholinesterase-Hemmer gefuhrt, wobei dieser
in den Nucll. septales mediales und im Nucl. Ansatz rein symptomatischen Charakter hat.
basalis (Meynert) Acetylcholin als Neurotrans- Die morphologischen Veränderungen, wie sie
mitter benutzen. Diese Projektion erreicht den beim Morbus Alzheimer auftreten, gehen weit
Hippocampus und den Cortex auf unspezifische über eine Schädigung des cholinergen Systems
Weise, so dass sie dort zu einer Stimulation und im basalen Vorderhirn hinaus, wobei weitläu-
Modulation der Signalübertragung spezifischer fige Kortexatrophien entstehen. 7. Demenzielle
Verschaltungen aus der Hirnrinde führt. 5. Bei Erkrankungen stellen eine so gravierende
Patienten mit präsenilen und senilen Demen- Abnahme intellektueller Fähigkeiten dar, dass
zen, wie dem Morbus Pick und dem Morbus die soziale und berufliche Situation der betrof-
Alzheimer, konnte man postmortal eine starke fenen Patienten stark beeinträchtigt werden. Bei
Neuronendegeneration im Kerngebiet des Nucl. voller Ausprägung des Krankheitsbilds bestehen
basalis beobachten. Außerdem fanden sich in Gedächtnis- und Denkstörungen, eine Abnahme
diesen Kerngebieten des basalen Vorderhirns des Urteilsvermögens, Persönlichkeitsverände-
und des Cortex cerebri eine Reduktion des rungen sowie zeitliche und räumliche Desorien-
Acetylcholingehaltes sowie eine veränderte tierung mit Verlust der Sprache und schließlich
Rezeptorausstattung. Der modulatorische Effekt auch körperliche Pflegebedürftigkeit.
von Acetylcholin auf die Erregbarkeit kortikaler
Neurone scheint also beim Morbus Alzheimer
reduziert zu sein, was bei den demenziellen 4. Hippokampusformation
Erkrankungen wohl auch im Zusammenhang
mit diffusen Atrophien weiter Großhirnareale Die Hippokampusformation ist ein Teil des
sowie des Limbischen Systems steht. Hierdurch Archicortex und umfasst den Gyrus dentatus,
ergibt sich auch eine Erklärung für den bei das Cornu ammonis (die CA-Region) und das
dieser Erkrankung auftretenden Gedächtnisver- Subiculum. Nach der Ansicht einiger Autoren
lust. 6. Die Acetylcholinhypothese des Morbus wird außerdem die Area entorhinalis (Area 28)
Alzheimer hat inzwischen zu einer Substitu- des Gyrus parahippocampalis zur Hippokam-
tionstherapie durch zentral wirksame Acetyl- pusformation gezählt (s. Abb. 5.122-124).
Hippocampus
(Sektoren CA1-CA3)
Fimbria hippocampi
\
\
f Ventriculus lateralis,
Cornu temporale
Gyrus dentatus
Sulcus hippocampi -
Subiculum
\
\
Regio entorhinalis, abgesetzt im
Gyrus parahippocampalis Sulcus rhinalis
Abb. 5.122: Korrespondierende Frontalschnitte durch die Hippokampusformation und den Gyrus parahippo-
campalis. Die rechte Abbildung zeigt einen von mehreren Impulsleitungswegen durch den Hippocampus:
1 = Pyramidenzelle in der Regio entorhinalis, 2 = Körnerzelle im Gyrus dentatus, 3 = Pyramidenzelle in CA3,
4 = Pyramidenzelle in CA1 (nach P. Brodal, 1992). Beim Menschen wird häufig noch eine CA4 Region unter-
schieden
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528 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Sulcus hippocampi - — —
- Cornu ammonis
- Gyrus dentatus
RE - Regio entorhinalis
S - Subiculum
Abb. 5.123: Lageverschiebungen der Hippokampusformation in der Ontogenese durch die Ausbildung des Tem-
porallappens (linke Seite, Ansicht von vorn). Von oben nach unten: zunehmende Einrollung der Rindenzellschicht
zum Ammonshorn (CA) und kappenartige Umhüllung durch die Körnerzellschicht des Gyrus dentatus (nach
K. Zilles, 1994)
sensorischen Informationen dar, die den für rechts). Diesem neuronalen Schaltkreis wird
Gedächtnisleistungen wichtigen Hippocampus eine wichtige Funktion bei der Generation von
(und damit das Limbische System) erreichen. Gedächtnisinhalten zugeschrieben. Dabei ist
Die Fasern des Tractus perforans benutzen dem Hippocampus weniger die Speicherfunk-
Glutamat als exzitatorischen Neurotransmitter tion an sich, als vielmehr die Selektion von
(s. u.). Gedächtnisinhalten und somit die Ablage von
Informationen in kortikalen Gedächtnisspei-
Entwicklung (s. Abb. 5.123). Als archikortikaler
chern zuzuordnen.
Bereich laufen die Zellschichten des Cortex cerebri
in der Hippokampusformation aus und stülpen sich
Durch seine efferente Faserverbindung (s. Kap.
C-förmig ineinander. Entwicklungsgeschichtlich
5.2.5.1, S. 395) zu den Corpora mamillaria und
stammen kortikale Neurone von so genannten
dem Hypothalamus (mit Umschaltung in der
Matrixzellen ab. Dabei hat sich in jüngster Zeit
Septumregion) stellt der Hippocampus eine
gezeigt, dass aus dem Bereich der ventrikulären
Verbindung zwischen dem Cortex cerebri (über
Zone des Gyrus dentatus (unterhalb der Kömer-
die Area entorhinalis) und dem vegetativen Ner-
zellschicht) auch bei adulten Organismen noch
vensystem her (s. Abb. 5.124).
neuronale Vorläuferzellen heranreifen können.
Die Wanderung dieser neuronalen Vorläuferzellen
Schichtenspezifität. Gyrus dentatus und Cornu ammonis
von der ventrikulären Platte zur pialen Oberfläche
zeigen eine sehr klare anatomische Gliederung. Beson-
findet während des gesamten adulten Lebens statt ders bemerkenswert ist die Tatsache, dass sowohl die
und kommt nicht zum Abschluss. Auf der Basis Verschaltung der Körnerzellen als auch die der Pyrami-
solcher Befunde sind in jüngster Zeit Hoffnungen denzellen in Schichten entlang ihrer Dendriten organisiert
formuliert worden, neuronales Ersatzmaterial ist. So enden Fasern des Tractus perforans an den distalen
aus diesen Vorläuferzellen gewinnen zu können Abschnitten der Dendriten von Körner- und Pyramiden-
(Stammzelltherapie). Außerdem wurde vermutet, zellen (äußeres und mittleres Drittel), wohingegen Fasern
dass diese Zellen reparative Kapazität bei Schä- aus den Nucll. septales und dem Nucl. basalis (Meynert)
digung des ZNS aufweisen könnten. Experimente weiter proximal, Assoziations- und kommissurale Fasern
aber zellkörpemah am Stamm der Dendriten enden.
mit neuronalen Stammzellen und der Stimulation
Hierbei findet sich die kortikale Schichtung vereinfacht
der Neurogenese im Gyrus dentatus befinden sich
wieder. Gyrus dentatus und Hippocampus sind Gegen-
jedoch noch im Entwicklungsstadium. Insbeson- stand vielfältiger neurobiologischer Untersuchungen.
dere bleibt die Frage offen, ob sich Stammzellen Die Möglichkeit, auf experimentellem Weg unterschiedli-
als Neurone in die bestehenden Schaltkreise inte- che Afferenzen des Hippocampus zu schädigen und somit
grieren. eine partielle, selektive Deafferenzierung zu induzieren,
erlaubt ein modellhaftes Studium der Umbau Vorgänge
• Cornu ammonis und Gyrus dentatus. Auf nach Hirnschädigungen.
Frontalschnitten verlaufen die Zellbänder des
entorhinalen Cortex über das Subiculum in die Plastizität. Läsionsstudien zeigen, dass nach Schädigung
Pyramidenzellschicht der Regionen CA1 (Cornu des entorhinalen Fasersystems diese Fasern durch andere
verbliebene hippokampale Afferenzen ersetzt werden,
ammonis 1), CA2 und CA3 sowie in einer C-
etwa aus dem Septumgebiet oder dem kontralateralen
Form in den Hilus gyri dentati. Das Zellband Hippocampus. Dabei verweisen sowohl die normale
des Gyrus dentatus, das aus Körnerzellen Schichtung als auch der Reorganisationsprozess nach
besteht, bildet eine weitere C-förmige Struktur, Läsion, der wiederum schichtenspezifisch verläuft,
die kappenartig dem Pyramidenzellband der auf genetische molekulare Mechanismen, die auch der
CA3-Region aufsitzt (s. Abb. 5.122). Entwicklungsmorphologie des Gyrus dentatus und des
• Tractus perforans. In ihrer Entwicklung errei- Hippocampus zugrundeliegen. An diesem System sind
chen die Fasern des Tractus perforans aus dem beispielhaft die Konzepte der neuronalen Plastizität und
entorhinalen Cortex im Gyrus dentatus die Den- die Vorstellung formuliert worden, dass auch das adulte
Nervensystem nach Verlust von synaptischen Eingängen
driten von Körnerzellen, aber auch von Pyrami-
diese durch reaktive Synaptogenese ersetzen kann.
denzellen des Cornu ammonis. Es bildet sich Hoffnungen, dass dieser Prozess auch klinisch-therapeu-
eine Verschaltungskette zwischen entorhinalem tisch erfolgreich genutzt werden könnte, sind bis heute
Cortex, Gyrus dentatus, Cornu ammonis, Subi- allerdings nicht eingelöst.
culum und entorhinalem Cortex (s. Abb. 5.122
Striae longitudinales(Lancisi)
Fornix
Nuclei septales
med. et lat.
Hippocampus
Corpus mamillare
Subiculum
Amygdala
Regio entorhinalis
Abb. 5.124: Hauptverbindungen des H i p p o c a m p u s (nach P. Brodal, 1992). Erläuterung der Afferenzen und Effe-
renzen des H i p p o c a m p u s im Text. Blau: Afferenz, rot: Efferenz
— Cerebellum
. Mesencephalon
Striatum \
ι I
Lobus olfactorius
Mesencephalon
Medulla oblongata
— Cerebellum
Eidechse
Mesencephalon
Lobus olfactorius
Cerebellum
Kaninchen
\
Bulbus olfactorius
Mensch
Cortex cerebri bei Nagetieren noch als eine Struk- zur Hirnoberfläche angeordnet (s. Abb. 5.106,
tur mit glatter Oberfläche darstellt (lissenzephaler 126). Austretende (efferente) Fasern und eintre-
Cortex; gr. lissos = glatt), finden sich bei höheren tende (afferente) Fasern enden in spezifischen
Säugetieren, bei Primaten und dem Menschen die Schichten. Daneben ordnen sich Nervenzellen
typischen Vertiefungen, welche die Oberflächen- verschiedener Laminae gemeinsam in vertika-
vergrößerung ermöglicht haben (gyrenzephaler len Säulen, Columnae oder Kolumnen, an, die
Cortex, gr. gyros = Windung, s. Abb. 5.125). einen Durchmesser von ca. 0,5 mm haben.
2. Innere Struktur des Neocortex
Die Kolumnen, Columnae, spiegeln funktionelle
Einheiten wider.
Alle neokortikalen Areale zeigen eine typische
sechsschichtige Gliederung.
Kortikale Laminae
• Organisation in Schichten und Kolumnen. Nach zytoarchitektonischen Gesichtspunkten
Die Nervenzellen der Hirnrinde befinden sich wird der Isokortex in 6 Schichten eingeteilt, die
in abgrenzbaren Schichten, Laminae, parallel in der Reihenfolge von außen nach innen, also
Blob-Region ς ; —
Interblob-Region
-assoziatives und
Lamina Komrmmikationssystem
molecularis (I)
Lamina
granulans
externa (II)
(IVCß)
Lamina
pyramidalis
interna (V)
Lamina
multiformis (VI)
Afferenzen
von der Hirnoberfläche bis zur Rinden-Mark- • Lamina III: äußere Pyramidenzellschicht
Grenze, üblicherweise mit römischen Ziffern (Lamina pyramidalis externa)', besteht aus
bezeichnet und ggf. weiter unterteilt werden. mittelgroßen Nervenzellen mit einem im
Schnittpräparat dreieckigen „pyramidalen" Zell-
Von der Hirnoberfläche zur weißen Substanz unter- körper, deren apikale Dendriten bis in Lamina I
scheidet man: reichen.
• Lamina IV: innnere Körnerzellschicht
• Lamina I: Molekularschicht (Lamina mole-
{Lamina granulans interna)·, enthält (ähnlich
cularis oder Lamina plexiformis): enthält neben
wie die Lamina III) Nervenzellen mit einem
wenigen Perikaryen (Nervenzellkörpern) über-
kleinen runden Zellkörper. Diese Schicht ist
wiegend horizontal verlaufende Axone und die
besonders in den primärsensorischen kortikalen
apikalen Dendriten von Pyramidenzellen tiefe-
Arealen (Areae 3, 17 und 41) stark ausgebildet.
rer Schichten.
In Area 17 (deshalb auch: Area striata) ist die
• Lamina II: äußere Körnerzellschicht {Lamina
Lamina IV durch ein breites Faserband, dem
granulans externa): enthält dicht gepackte
makroskopisch sichtbaren Gennari-Streifen
Zellen mit einem zumeist runden und kleinen
(auch Vicq d'Azur: die Afferenz vom CGL;
Zellkörper.
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534 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
die benachbarte Zellen, zumeist Interneurone, kortikaler Areale (vornehmlich in Lamina II),
erreichen. Pyramidenzellen machen etwa die und sind mit Pyramidenzellen verschaltet. Diese
Hälfte aller kortikalen Neurone aus und benut- Verschaltung bildet stellenweise das Korrelat
zen meist Glutamat als exzitatorischen Trans- einer sensomotorischen Interaktion, also einer
mitter. Sie erregen ihr Zielgebiet sowohl direkt Verschaltung zwischen sensorischen Afferenzen
als auch indirekt durch rekurrente Kollateralen. und den Ursprungszellen motorischer Efferen-
• Körnerzellen befinden sich vornehmlich in den zen (den Pyramidenzellen).
Laminae II und IV und stellen die afferenten • Kortikale Interneurone sind Nervenzellen
Neurone des Neocortex dar. Sie empfangen mit Axonen, die in einem bestimmten, eng
sowohl Fasern aus subkortikalen Arealen, umschriebenen kortikalen Areal verbleiben.
besonders dem Thalamus (hauptsächlich in Sie finden sich in allen Schichten des Neo-
Lamina IV), als auch Assoziationsfasern anderer cortex. Die meisten Intemeurone benutzen
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536 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
, 3a Schmerzempfindung einschließlich
3b Termperaturempfindung perzeptive und
1 Berührungsempfindung digitale
Fertig- y 2 kinästhetische Empfindung Tastauffassung
keiten
Fall· u n d \ \/
Zeige- \ Rumpfwendungen \ Handeln
reakti- V - - y (sensorisch)
\ onen Kopf- / λ Bein, Rumpf
Antrieb \ Wendungen s r J P
Anstrengungs- und
Kraftgefühle
Orts-
gedächtnis
Handeln S Rechnen
Augen-
tätige Einzelhandlung /
wendungen
Gedanken Handlungsfolgen (sensorisch)
—...Schreiben konstruktives Zahlen
Gesicht Handeln erkennen
motorische
Handlungs- Namen <Meln/ tast-
folgen (spon- Melodie· y (sen-·' erkennen
tan) Wort- Satz-
1 spre- Ibildung I verständnis
chen
Setier
Hellig-
keiten,
Opt. Ding- flung ^Farben.
Formen,
Tonfolgen " Lautfolgen ^ennun9 X optische 8ewe-
gesinnungsmäßige Handlungen gungs-
V , Ausdauer _____—" (Melodie- (Wortverständnisl/ Namen- \ \ Auf- sehen j
verständnis) ver- \ \ Smerk-
am
ständnis \\ Ζ Λ. \
fart»n \ k e i t
\ erkennen \
Horcfibewegungen
akustische Aufmerksamkeit
Sensibilität
Einzel- \
Fertigkeiten
bewe-
Rümpfwendungen Fu8. \ gungen Handeln
Blase, Mast- I (sensorisch)
darm \ /
Fallreaktionen
(Eigen-Erleben) Orts- \
Antrieb gedächtnis
Blickbewegungen
nach unten
Hand- I
lungs- \
folgen
(motorisch)
Blickbewegungen
Selbst- und Gemein·
nach oben
schafts-lch
Geruchs Ding-erkennen
"erkennen Namen-
verständnis
Sinnverständnis für
Geräusche und Musik
Abb. 130: Lokalisation der Hirn-
funktionen nach K. Kleist (1934);
mediale Ansicht
Gyrus
praecentralis Sulcus centralis
\ /
/
Die temporalen Assoziationsareale im Gyrus tem- net wird. Der dorsale Teil der Area 22, die Area
poralis superior weisen starke Verbindungen mit 39 (Gyrus angularis) und die Area 40 (Gyrus
dem primären auditorischen Cortex (Area 41, 42) supramarginalis) bilden das ausgedehnte Wer-
auf. Abschnitte im inferioren Anteil des Temporal- nicke-Sprachzentrum {sensorisches Sprach-
lappens sind hingegen besonders mit den extrastri- zentrum). Motorisches und sensorisches Sprach-
atalen visuellen Arealen verschaltet (s. Abb. 5.133). zentrum sind über den Fasciculus arcuatus rezi-
Ausgeprägte Verbindungen bestehen zwischen den prok miteinander verschaltet (Abb. 5.131).
temporalen Arealen mit limbischen Strukturen. Der
perirhinale (Area 35) und der entorhinale Cortex • Broca-Sprachzentrum. Dabei handelt es sich
(Area 28) stellen Eingangspforten in das Limbische um einen Anteil des Assoziationskortex, der
System dar. Ebenso finden sich Verbindungen zum für die Zusammenführung motorischer Sprach-
Corpus amygdaloideum, das im rostralen Tempo- muster wichtig ist. Die Area 44 projiziert über
rallappen liegt. den PMA und dem SMA zu den primärmotori-
schen Arealen. Sie nimmt daher keinen direkten
Klinik: 1. Eine bilaterale Schädigung des Einfluss auf die motorischen Hirnnervenkerne,
Temporallappens führt zum Gedächtnisverlust, die bei der Sprachbildung beteiligt sind. Zur
während unilaterale Schädigungen des Tempo- Initialisierung sinnvoller motorischer Sprach-
rallappens Konzentrationsstörungen und visu- funktionen ist die Broca-Region außerdem auf
elle Agnosie bewirken. 2. Resektionen des Tem- den ungestörten Input von Informationen aus
porallappens (unilateral) werden therapeutisch dem sensorischen Sprachzentrum, der Werni-
im Rahmen nicht medikamentös behandelbarer cke-Region (s.u.), angewiesen, da die Sprach-
Epilepsien durchgeführt. 3. Bei beiderseitigen bildung funktionell neben dem Hörvermögen
Läsionen der Sehrinde kann es zur Rindenblind- auch auf das Sprachverständnis angewiesen
heit (optische Agnosie, auch Seelenblindheit), ist. Die Verbindungen werden der Area 44 über
bei Läsionen der Hörrinde zu Rindentaubheit den Fasciculus arcuatus zugeführt.
(akustische Agnosie) kommen.
• Wernicke-Sprachzentrum. Es handelt sich
um einen Bereich des sensorischen Assoziati-
• Motorisches und sensorisches Sprachzent-
onskortex des Temporallappens, der zusammen
rum
mit umliegenden kortikalen Bereichen die Inte-
gration roher Sprachlaute und phonetischer
Unterhalb der prämotorischen Areale findet sich
Einheiten in Verständniskontexte umsetzt. Die
in der Pars opercularis des Gyrus frontalis infe-
Aktivierung der Sprachzentren kann im fMRT
rior die Area 44, die auch als Broca-Sprachzen-
sichtbar gemacht werden (Abb. 5.132).
trum („motorisches Sprachzentrum") bezeich-
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5.4 Funktionelle Systeme des ZNS 541
Abb. 5.132: Kortexareale im fMRT bei Sprachaktivierung im Sagittalschnitt (SAG), Frontalschnitt (FRO) und Hori-
zontalschnitt (HÖR); rostral = Ro, dorsal = D, rechts = R und links = L (Aus der Neurologischen Klinik der Charite,
Prof. Dr. med. A. Villringer)
Klinik: 1. Bei Läsionen in den unterschiedli- Lage, den semantischen Gehalt von präsen-
chen Arealen entstehen spezifische Sprachstö- tierten Gegenständen zu erfassen, ohne diesen
rungsmuster, die zur neurologisch-topischen aber „auf den Begriff bringen" zu können. Sie
Diagnostik benutzt werden können. Dabei benutzen umständliche Umschreibungen und
bilden Aphasien etwa 3 Viertel aller neuropsy- Neologismen, fur eine dargebotene Uhr ζ. B.
chologischen Syndrome. 2. Bei Läsionen des „etwas, das die Zeit misst". 3. Beide Aphasiefor-
motorischen Broca-Zentrums steht die Störung men können auch, etwa bei ausgedehnten Hemi-
der expressiven Sprachbildung im Vordergrund, sphären-Infarkten, kombiniert auftreten: globale
während das Sprachverständnis selbst ungestört Aphasie. Die Verbindung beider Sprachzentren
ist. Insbesondere die Spontansprache ist ver- über Assoziationsfasern bedingt auch, dass sie
langsamt und die Sätze in einem Telegramm- morphologisch intakt bleiben können, während
stil verkürzt. Die Patienten wollen sprechen, ihre Verbindungsfasern destruiert wurden: Lei-
was durch eine vermehrte Sprachanstrengung tungsaphasie.
gekennzeichnet ist. Sie sind aber meist nicht
im Stande, längere Sätze hervorzubringen, was • Kommissurale Verschaltungen
als motorische Aphasie bezeichnet wird. 2. Bei der Hemisphären
Ausfall der sensorischen Sprachregion, bzw. des
Wernicke-Areals, nehmen die Patienten Gespro- Die Areale beider Hemisphären sind durch
chenes akustisch wahr, ohne aber den tieferen Kommissurenfasem verbunden. Diese kreu-
Sinn zu begreifen. Der Sprachfluss selbst ist zen die Mittellinie als Corpus callosum. Nur
nicht beeinträchtigt. Dieses Krankheitsbild wird 2% der Fasern kreuzen in der Commissura
als sensorische Aphasie bezeichnet. Häufig ist anterior, verbinden den Paleocortex beider
die sensorische Aphasie mit einer Unfähig- Temporallappen und gehören überwiegend zum
keit zu Lesen, Alexie, verbunden. Da solche olfaktorischen System. In der Commissura
Prozesse oft inkomplett ablaufen und zudem posterior kreuzen überwiegend Fasern der prä-
nur im Wernicke- oder umgebenden Arealen tektalen Kerngebiete.
auftreten, wirken die Patienten stark verwirrt
oder erleben ihre Beeinträchtigung bewusst, Nicht alle kortikalen Areale sind bilateral mit-
ohne sie verändern zu können. Dies fuhrt nicht einander verschaltet. Gebiete des primärmoto-
selten zu erheblichen Frustrationen oder sogar rischen und -sensorischen Kortex für die distalen
Depressionen. Eine Läsion des Gyrus angularis Extremitätenabschnitte weisen ebenso wie die Area
äußert sich insbesondere in Lese- und Recht- striata (Area 17, primäres optisches Rindenfeld, s.
schreibstörungen wie Dyslexie und Dysgraphie. Abb. 5.133) keine kommissuralen Verbindungen
Oft sind entsprechende Patienten zwar in der auf. Kommissurenfasem bestehen hingegen in den
Assoziationskortizes und solchen Arealen, die für Aus funktionellen MRT-Studien (fMRI) wie
die koordiniert-bilateralen Abläufe verantwortlich auch aus Positronen-Emissions-Tomographie
sind.. (PET)-Untersuchungen an Probanden geht hervor,
dass auch die 0 2 - und Glucose-Versorgung der
sekundären Hörrinden beider Hemisphären von
unterschiedlichen Impulsangeboten abhängt. In
Übertragung auf die funktionelle Bedeutung beider
Regionen geht man inzwischen davon aus, dass in
der meist linksseitig gelegenen sprachdominan-
ten Hemisphäre eher rationale Aufgaben gelöst
werden und ein semantisches Erinnerungsver-
mögen für Zeichen und Symbole lokalisiert ist.
Demgegenüber gewährleistet die nicht-sprachdo-
minante Hemisphäre (meist rechts) die Integration
musischer Sinnesdaten sowie die phantasievolle
Assoziation und bildliche Mustererkennung.
Gelegentlich wurden auch geschlechtsspezifische
Unterschiede der Wahrnehmungsintegration pos-
tuliert, aufgrund der gewählten Untersuchungs-
verfahren bleiben diese Behauptungen jedoch
umstritten.
5.4.11.1 Überblick
Hormon
Abb. 5.135: Wege neuronaler und neuroendokriner Kommunikation (nach W. Kahle, 1991). Ein Aktionspotential
bewirkt die Freisetzung von neurosekretorischen Vesikeln ins Blut. Die darin enthaltenen Neurohormone indu-
zieren eine Änderung der Zielzellen, etwa die Kontraktion einer Muskelzelle. Dabei wird kein Aktionspotential
ausgelöst.
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544 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
und ins Blut freizusetzen. Solche Neurone haben Diese Freisetzung wird durch positive und nega-
Eigenschaften von Drüsenzellen und werden als tive Rückkopplungskreisläufe {feedback-loops)
neuroendokrine Zellen, der Vorgang als Neuro- reguliert, die im Detail noch nicht genau ver-
sekretion bezeichnet (s. Abb. 5.135). Im Gegensatz standen sind. Über besondere Rezeptoren, insbe-
zu Drüsenzellen besitzen neuroendokrine Zellen sondere im Hypothalamus, werden Änderungen
aber Dendriten und ein Axon, über welches das von Messgrößen (ζ. B. Hormon-, Glucose- und
Hormon zum Blutgefäß transportiert wird. Ionenkonzentrationen, Osmolarität, Tempera-
tur) ermittelt. Danach werden die Messgrößen
Die Trennung zwischen Neurotransmitter und
in einer mehrere Schritte umfassenden Signal-
Hormon ist nicht scharf. Zahlreiche Substanzen
weiterleitung durch Sekretion (oder Einstellung
wirken als Transmitter, indem sie über synaptische
der Sekretion) zum Richtwert hin beeinflusst.
Rezeptoren eine Veränderung des postsynaptischen
Die Signalweiterleitung vom Hypothalamus
Membranpotentials erzeugen. Klassische Transmit-
zur Hypophyse erfolgt entlang von Axonen (in
ter können aber auch, nachdem sie über den Blut-
die Neurohypophyse) und über Hormone des
weg zu den Erfolgsorganen gelangt sind, Effekte
Hypothalamus, welche als Releasing- oder
auf nicht-neuronale Zellen erzielen, z.B. das
Inhibiting Factors auf die Hormonfreisetzung
Adrenalin und Noradrenalin auf nicht-gestreifte
der Adenohypophyse wirken.
Muskelzellen. Umgekehrt können klassische Hor-
mone, wie das Östrogen, Effekte auf die synapti-
sche Transmission haben. Die Hormone der Adenohypophyse wirken als
glandotrope Hormone auf die großen Drüsen
Während zahlreiche Neuronenpopulationen des des Körpers (Schilddrüse, Nebennierenrinde),
Gehirns Rezeptoren für Hormone haben (ζ. B. für als gonadotrope Hormone auf die Gonaden
Östrogen, Testosteron und Schilddrüsenhormone), (Eierstock und Hoden) und andere Reproduk-
ist die Bildung und Neurosekretion von Hormo- tionsorgane sowie als somatotrope Hormone
nen im wesentlichen auf 2 Regionen beschränkt, auf zahlreiche im Körper verteilte Gewebe und
das hypothalamo-hypophysäre System und die Organsysteme.
Zirbeldrüse.
• Komplexität des Systems. Sie ist dadurch
Einschränkend muss bemerkt werden, dass in den
gesteigert, dass eine physiologische Stellgröße
letzten Jahren die Bildung von Sexualhormonen
(ζ. B. das Wachstum der Epiphysenfugen) der
(Steroiden) in beträchtlichem Maße auch im Hip-
Freisetzung mehrerer Hormone unterliegen
pocampus gezeigt wurde.
kann. Umgekehrt kann auch die Freisetzung
eines Hormons durch mehrere Signale regu-
liert werden (ζ. B. Kortisolausschüttung durch
5.4.11.2 Hypothalamo-hypophysäres Schmerzreize). Hinzu kommt, dass ein Hormon
System an verschiedenen Erfolgsorganen und sogar an
unterschiedlichen Zellen innerhalb eines Gewe-
Die Hirnanhangsdrüse, Hypophyse, besteht
bes verschiedene Wirkungen aufweisen kann.
aus 2 funktionell und entwicklungsgeschicht-
So wird eine feinabgestimmte Kontrolle des
lich verschiedenen Regionen, dem Hypophy-
inneren Milieus und des Stoffwechsels sowie
senvorderlappen (HVL, Adenohypophyse),
eine enge Kontrolle der Reproduktionszyklen
dem Hypophysenhinterlappen (HHL, Neuro-
möglich.
hypophyses sowie der dazwischen liegenden
Pars intermedia als Rest des Hohlraums der
Klinik. 1. Der Hypothalamus als übergeord-
Rathke-Tasche.
netes endokrines Regulationssystem bildet das
zentrale Steuerungsorgan der neuroendokri-
• Zwischenhirnhypophysensystem. Hypothala-
nen Systeme. Über vielfaltige Verbindungen
mus und Hypophyse bilden ein eng zusammen
ist er mit weiteren Hirnregionen verknüpft.
arbeitendes System: das Zwischenhirnhypo-
Erkrankungen des Hypothalamus können zu
physensystem (ein Begriff von W. Bargmann),
definierten Stoffwechselstörungen wie Diabetes
welches zahlreiche endokrine Funktionen im
insipidus, Adipositas und Anorexie fuhren. 2.
Körper durch Hormonfreisetzung steuert.
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5.4 Funktionelle Systeme des Z N S 545
Außerdem können endokrine Entwicklungsstö- Die Neurone, deren Axone in die Neurohypo-
rungen sowie sexuelle Störungen auftreten (ζ. B. physe ziehen, produzieren das antidiuretische
Pubertas praecox und Hypogonadisms). Hormon Adiuretin (ADH oder wegen der Wir-
kung auf den Tonus von Blutgefäßen Vasopres-
Entwicklung der Hypophyse sin) und Oxytocin.
Das ektodermale Epithel des Rachendachs senkt
Transport der Hormone. ADH wird zum größten
sich beim ca. 4 Wochen alten Keimling zu einer
Teil von Neuronen im Ncl. supraopticus und das
Grube, Rathke-Tasche, ein. Diese wächst als
Oxytocin vorwiegend von Neuronen im Ncl. para-
Epithelsäckchen nach kranial der trichterförmigen
ventricularis gebildet. Beide Hormone erreichen
Ausstülpung des Zwischenhirnbodens entgegen.
die Neurohypophyse über einen anterograden
Die zunächst schlauchförmige Verbindung zur
axonalen Transport, wobei sie an so genannte
primitiven Mundhöhle obliteriert zu einem soliden
Neurophysine gebunden sind. Die in den Axonen
Zellstrang, der durch den Canalis craniopharyn-
tropfenartig gespeicherten Hormon- und Neuro-
geus des Keilbeinkörpers zieht. Das Hypophysen-
physingranula fallen lichtmikroskopisch in axona-
säckchen legt sich an die Neurohypophyse und
len Auftreibungen als Gomori-positive Herring-
wächst mit einem Fortsatz, der Pars tuberalis, am
Körper auf. Stimulation der Ursprungsneurone
Infundibulum herauf bis zum Zwischenhirnboden.
fuhrt zur Freisetzung der gespeicherten Hormone
Die Hinterwand des Säckchens und der sich all-
in die Kapillaren, von wo aus sie auf humoralem
mählich verkleinernde Hohlraum liefern die Pars
Wege die Erfolgsorgane im Körper erreichen.
intermedia. Die dicke Vorderwand differenziert
sich zum Lohns anterior, Adenophyse. Die Aus-
stülpung des Zwischenhirnbodens differenziert Klinik: 1. ADH fordert die Rückresoprtion von
sich in den Hypophysenstiel, Infundibulum, und Wasser in der Niere. Das adäquate Signal für die
den Hinterlappen, Lobus posterior, Neurohypo- Ausschüttung ist der Anstieg der Osmolarität der
physe. Körperflüssigkeiten. Osmorezeptoren werden an
verschiedenen Orten (Vena portae hepatis und
direkt im Hypothalamus) vermutet, wobei die
Die Adenohypophyse entwickelt sich zu einer
Informationen peripherer Rezeptoren wahr-
endokrinenen Drüse, die Neurohypophyse
scheinlich über den N. vagus geleitet werden.
dagegen stellt einen Hirnabschnitt dar, in dem
Es kommt dann über eine noch unbekannte
die Axone neuroendokriner hypothalamischer
Verschaltung zur Stimulation der ADH-produ-
Neurone enden.
zierenden Neurone. Lösen solche erregenden
Potentiale ein Aktionspotential aus, so wird das
Hypophysenhinterlappen, Neurohypophyse
gespeicherte Hormon ins Blut freigesetzt. Eine
Lage und Verschaltung. Die Neurohypophyse Störung dieses Regelkreises kann zum Diabetes
ist ein ca. 0,15 g schweres, grauweißliches Organ, insipidus fuhren, einem Wasserverlust über die
das den dorsalen Teil der Hypophyse und Teile des Niere, der nur durch Zufuhr großer Mengen von
Infundibulums (Hypophysenstiel) einnimmt. Darin Wasser (bis zu 20 l/d) überlebt wird. 2. Oxyto-
finden sich eine besondere Art von Gliazellen (die cin verursacht den Wehenbeginn durch direkte
mit den Astrozyten verwandten Pituizyten) und Wirkung auf die nicht-gestreifte Uterusmusku-
die zumeist marklosen Fasern des Hypothalamus, latur, weshalb eine Oxytocin-Infusion auch zur
die an den Basallaminae der gefensterten Blutka- Geburtseinleitung benutzt wird. Außerdem wirkt
pillaren enden. Die Axone stammen aus dem Nucl. Oxytocin auf das Myoepithel der Brustdrüse
supraopticus und dem Nucl. paraventricularis und reguliert so den Milchfluss. Der Sekreti-
und gelangen als Tractus supraopticohypophysia- onsreiz ist hier das Saugen an der Brustdrüse.
lis und Tractus paraventriculohypophysialis vom Über mechano-sensible Bahnen kommt es zur
Hypothalamus zur Neurohypophyse (s. Abb. 5.136, Reizung hypothalamischer Kerngebiete, so dass
137). man vom Milchejektionsreflex als einem nerval-
hormonellen Reflexbogen sprechen kann.
Nucleus paraventricularis
Nucleus tuberalis
Tractus tuberoinfundibularis
Chiasma
opticum
Tractus hypothalamohypophysialis
Arteria hypo-
venöse Portalgefäße
physialis superior
Neurohypophysis
Adenohypophysis (Lobus posterior)
(Lobus anterior)
Abb. 5.136: Das Hypothalamus-Hypophysen-System (nach K. Zilles 1994). Hypothalamische Axone sezernieren
Hormone in Kapillaren, die nach Zusammenschluss zu venösen Portalgefäßen ein zweites Kapillarbett in der
Adenohypophyse bilden. Dort steuern die releasing und inhibiting factors die Sekretion der Hormone der Adeno-
hypophyse
> Hypothalamus
Nucleus supraopticus
penventrikulärer Hypothalamus
et
Portalgefäßsystem s
ft
Niere
Kontraktion
Adenohypophyse
chromophobe — Oxytocin
Zelle Brustdrüse
Kontraktion
Τ
basophile —- azidophile Zelle
Zelle
Glucocorticoid
Mineralocorticoid
Uterus
Androgen
-Sekretion J AC ™ Pigmentierung
Melanotropin
Nebennierenrinde •
Thyroxin Λ r \ TSH
Trijodthyronin |f 1 <
-Sekretion ^ f
Thyroidea s-—-^Wachstum
Foilikelentwicklung
Östrogen
-Produktion *
Ovar X FSH
IICSH) Epiphysenplatte
Ovar Fettgewebe
Sekretion
Testosteron
-Sekretion
Prolactin
Hoden
w
Brustdrüse
Steuerungshormone Effektorhormone
Corpus callosum _
Fornix —
Organum subformcale
Commissure
anterior
Corpus pineale
Organum vascutosum _.
laminae terminalis
Organum subcommissuraie
Chiasma opticum
Adenohypophysis
X /
/
(Lobus anterior) /
/
/
/
Neurohypophysis / Area postrema
(Lobus posterior)
Abb. 5.138: Lage der neuroendokrinen und zirkumventrikulären Organe (nach Benninghoff, 1994)
onen. Rezeptorsysteme zur Messung von Blut Para- • Lage und Aufbau. Das Pinealorgan ist ein
metern (pH, Osmolarität, CO,-Gehalt, Angiotensin länglicher, an einen Pinienzapfen erinnern-
II-Gehalt u. a.) sind dort lokalisiert. Die Organa der Körper, der durch die Habenulae mit den
vasculosum laminae terminalis, subfomicale und Trigona habenularia verbunden ist (s. Abb.
subcommissuraie scheinen an der Regulation des 5.50). Da es sich aus dem Zwischenhirndach
Wasser- und Elektrolythaushaltes beteiligt zu sein. nach dorsal entwickelt, wird es auch als Epi-
Zum Brechzentrum in der Area postrema s. Kap. physis cerebri bezeichnet. Die Epiphyse ist in
5.4.9.3, S. 519, Abb. 5.117. die weiche Hirnhaut gebettet, von der aus sie
Blutgefäße und sympathische Nervenfasern
5.4.11.4 Zirbeldrüse, Corpus pineale, erreichen. Histologisch besteht sie aus Zellhau-
Glandula pinealis, Epiphyse fen, die bindegewebig voneinander abgegrenzt
sind. Sie bestehen aus nervenzellähnlichen, ver-
Das ca. 1 cm lange, ca. 120 mg schwere, zweigten Pinealozyten, die in einem Gerüst von
zwischen den Colliculi superiores der Vierhü- Gliazellen liegen. Daneben kommen maulbeer-
gelplatte aufliegende Corpus pineale enthält förmige, konzentrisch geschichtete, bis zu 1 mm
modifizierte Photorezeptorzellen, Pinealozyten. dicke Kalkkonkremente (Hirnsand, Acervulus)
Im Gegensatz zu niederen Wirbeltieren (Parie- vor.
talauge) reagieren diese nicht direkt auf Licht. • Sympathische Innervation, zirkadiane
Statt dessen erhalten sie ihre Informationen über Rhythmik, Melatonin. Der endogene Oszilla-
den Tag-Nacht-Wechsel von retinalen Ganglien- tor im Nucl. suprachiasmaticus (biologische
zellen nach komplizierter Weiterleitung, an der Uhr) wird durch retinale Afiferenzen nach den
Nucleus suprachiasmaticus, Nucleus paravent- aktuellen Tag-Nacht-Rhythmen synchronisiert.
ricularis und das sympathische Nervensystem Er projiziert zum Nucleus paraventricularis,
beteiligt sind. der Informationen über den Tractus hypotha-
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550 5 Zentrales Nervensystem, Gehirn und Rückenmark
Abb. 5.139: Beschrifteter phrenologischer Schädel: Der deutsche Arzt Franz Josef Gall (1758-1828) unterschied
27 affektive und intellektuelle Fähigkeiten, die in bestimmten Gehirnbereichen lokalisiert seien. Ihre jeweilige
A u s p r ä g u n g habe Einfluss auf die äußere Gestalt des Schädels, wodurch der jeweilige Charakter eines Men-
schen (als Ergebnis der individuellen Ausprägung der 27 Fähigkeiten) aus der Schädelform ersichtlich sei. Auch
wenn letzteres heute sicherlich nicht mehr haltbar ist, war die Idee der Lokalisierbarkeit bestimmter menschli-
cher Eigenschaften in umschriebenen Regionen des Gehirns sehr fruchtbar für die Neurowissenschaften. Galls
Schüler Johann Christoph Spurzheim (1776-1832) entwickelte dieses Konzept weiter und prägte den Begriff der
Phrenologie entscheidend mit. Von ihm wurde der abgebildete Schädel markiert. (Aus d e m Besitz des Institutes
für Anatomie der Charite)
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