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Sozialgeschichtliche Einordnung der deutschen Novelle

- Formaler Eigenschaften + Lesepublikum analysieren


o Einfluss Lesepublikum: auf Inhalt und Form einer Gattung
- Novelle im deutschen Sprachraum: genuin bürgerliche Gattung
o Bürger sind Rezipienten in Spätmittelalter und Renaissance
o Adel: Epos und Minnesang
o Bürger: oft genug aber nicht immer auch die handelnden Personen de Novelle
- Romanist Werner Krauss: sozialen Aspekt der Gattung in Verbindung mit marxistischen Sinn
frühbürgerlichen gesellschaftlichen Verhältnissen der Renaissance  Ursprung Lebensgefühl
des stetigen zeitlichen Wechsels
- Erzählzeit der Novelle: Produkt der neuen Zeitökonomie des aufblühenden Geschäftslebens
o Eilige Leute brauchen kurze Lektüren  Lesen um sich im Geschäftsleben zurecht zu
finden und Lektüre wählen sie nutzorientiert aus (soll belehren und unterhalten)
- Le Goff ‚Zeit des Händlers‘ oder ‚Zeit der Arbeit‘: Zeit die sich ihre Glocke von der Kirche
borgen musste
- In der bürgerlichen Zeitökonomie des Tagesablaufs verbleibt eine Zeitspanne für kurze
Geschichten
- Reinhart Meyer Novelle und Journal: Begin des 19. Jahrhunderts als einer Blütezeit der
Novelle  die meiste Novellen nicht nur in Zeitungen, Novellenbegriff oft synonym mit
Begriff Zeitung verwendet
- Sozialgeschichtliche Einordnung der deutschen Novelle + bürgerliche Lesepublikum: Lektüre
der Novelle mit Zeitungslektüre identisch
- Meyer: Kürze Erzählprosa ist in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts Journalprosa
- Symbiose Novelle und Journal
- E.T.A. Hoffmann: in Zeitschriften erschienene Beiträge publizieren
- 18. Jahrhundert: Novellenlektüre in den moralischen Wochenschriften  didaktische
Zielrichtung
o Seit der Romantik: Schauerliche und ästhetische Eigenwert der Novelle (mehr
theoretische Betrachtung und Rechtfertigung)
- Oft bürgerliche Gestalten: betrogene Kauf- und Ehemänner, verirrte Künstler und gerissene
Advokaten
- Geschlossene Novellenpoetik: Bonciani  betont das Bürgerliche der Gattung: er versuchte
die Gattung der Novelle in das überlieferte poëtologische Regelsystem einzubinden und zu
definieren
- Altitalienische Novelle: nach Boncianis Theoriebildung eine bürgerliche Gattung
o Frühbürgerliche Mittelschicht der italienischen Stadtrepubliken (im 16. Jahrhundert
unmöglich weil es kaum noch Platz für die Mittelschichten gab
 Diese Platz: Novelle ist eine komische Gattung (1: Lachen enthält einen Tadel
oder Spott, das ein übler Gebrauch der Mächtigen wäre, die gewissermaßen
von Gott an so ansehnliche Stelle gesetzt sind 2: sie wünschen von sich selbst
aus den Tadel nicht und durch ihre Macht uns zwingen, diesen natürlichen
Affekt zu zügeln)
- Mächtige Zensur im 16. Jahrhundert: Aspekt literarischer Tradition
o Moralische Selbstzensur bei den ganz Elenden geboten: eher Mitleiden als Gelächter
(Menschen vom mittleren Stande die für uns geeigneten)
- Nicht die gewöhnlichen Handlungen sondern die außergewöhnlichen
- Tradition des europäischen Novellenmusters: vom Außergewöhnlichen zum Unerhörten im
Sinne Goethes nicht weit
o Auch Bürger Unerhörtes können erleben
o Außergewöhnlichen auf komödiantischem Niveau der Novelle auch in den mittleren
Ständen tragisch an der Liebe zugrunde
- Deutsche Novellenpoetik des 19. Jahrhunderts: Konzentration auf die Mittelschichten als
handelnde Figuren wie als Rezipienten
o Soziale und literaturtheoretische Lage in dieser Epoche anders (Theodor Mundt:
Novelle als Haustier zu biedermeierlich-bürgerlichen Idylle)
- Stoßrichtung der Bürgerlichen gegenläufig zu Bonciani: humoristische Kleinwelt des
Bürgertums
- Im bürgerlichen Zeitalter zwingen keine Ständeklausel und keine göttliche Weltordnung die
Novelle in die Bürgerlichkeit  bürgerlich-revolutionär
- Bürgerliche Zeitschriften oder der Burgerfleiß und Zensur bestimmen die
sozialgeschichtlichen Einordnung der Novelle
- In novellistischer Verpackung: bürgerliches Bewusstsein (oft nicht bieder sondern
demokratisch-revolutionär) einfacher in die bürgerliche Stube

Typische Bauformen, Motive und Symbolstrukturen

- Stabilität der Gattung Novelle: anhand des Erzählrahmens über die Epochengrenzen
- Altitalienischen Muster der Novelle beginnen oft mit einer präzisen Ortsangabe und den
Adverbien ‚neulich‘ oder ‚jüngst‘
- Typische Bauformen: in einer altitalienisch-deutschen Novellentradition entstanden und nicht
automatisch auf andere Literaturen übertragbar (Differenzen zum angelsächsischen Bereich)
- Stabilität der Bauformen: Theoretiker und Novellisten kommen in ihren jeweiligen Epochen
trotz gänzlich unterschiedlicher Voraussetzungen zu ähnlichen Ergebnissen  Ergebnis der
Forschungsdiskussion
- Bauformen bilden Novelle als erzähltechnich und symbolisch überstrukturierte Prosa-Gattung
o Seit Spätrenaissance: Novellistik Boccacios als allgemein akzeptiertes Gattungsmuster
 Bevorzugung italienischer Stoffe in der deutschen Novellistik bis hin zu den
Italienischen Novellen
o Novellengattung besitzt eine wesensbestimmende Bildhaftigkeit (im Fall des
Dekamerons in entsprechenden Illustrationen niederschlägt  viele Novellenautoren
entnehmen der Kunstsphäre Bezeichnungen für Bildformen und übertragen sie dann
auf ihr eigenes Erzählwerk
o Novelle als ‚Schwester des Dramas‘: in der ursprünglichen Renaissancepoetik der
Gattungsspezifika in der Autorität der Tragödientheorie des Aristoteles geschuldet ist
 eine niedrige Gattung wie die Novelle sollte sich am Drama orientieren
(Novellentheorie auf Dramentheorie ausgerichtet) aber manchmal entstehen auch
Dramen aus Novellen
o An die Dramenstruktur knüpft die zentrale Stellung des Wendepunkts oder
Umschlags in der Novellenhandlung an  Schicksalswende der Novelle führt die
Handlung in andere Sphären
o 1574 bei Bonciani die gattungsspezifische Bedeutung eines Zeichens (später als
Zentralmotiv) als handlungsbestimmende Merkmal  bewegen oft die Handlung
vorwärts
o Novelle als tendenziell bürgerliche Gattung mit handelnden Personen mittleren
Standes
o Der strukturierende, oft in beschaulichem Milieu angesiedelte Novellenrahmen
hervorzuheben „jene Form gesellschaftlicher Bukolik“  Novellen oft in geselligem
Rahmen erzählt (in Gesellschaften auf dem Land, im Salon oder im Bahnabteil
- Novellenrahmen durch die Alltagssituation des Erzählens festgelegt und naheliegend
o Später der schriftliche Bericht (Chroniknovelle) und im Zuge der Etablierung der
wissenschaftlichen Psychologie die persönliche Erinnerung hinzu 
Erinnerungsnovelle
- Warum wird eine bestimmte Novelle erzählt und warum nicht?
- Boccacio: Modell für den Novellenrahmen und ein frühes Beispiel für eine blutige
Gruselnovelle  Autorität Boccaccios ist ein Spezifikum der Novellentheorie seit dem 16.
Jahrhundert
- Altitalienische Novelle als Modell für die deutsche Novelle
- Vorbildcharakter hatte die altitalienische Novelle seit der Zeit des deutschen
Frühhumanismus in der Literatur selbst
- Seit der Goethezeit wurde diese Musterfunktion auch theoretisch und philosophisch
untermauert  Problem: die romanische novella ebenso wenig als die deutsche Novelle
- Im 19. Jahrhundert (romantischen Märchennovelle und gründerzeitlichen
Monumentalnovelle eher Theorie als Praxis der novellistischen Literaturproduktion
italienischer Kürze und Klarheit
- Novellisten durch Boccaccio einige Gattungsbausteine
o Novellistische Dreieck (von zwei Männern und einer Frau gebildet) in der grausamen
Herznovelle variiert
o Boccacios humoristische Figuren in der italienischen Novellistik übernommen und
weiterentwickelt
- Personal und Bildhaftigkeit der Novelle: Boccacio
o Bild: Baustein der Novelle
o Bildern: große Zeichenhaftigkeit, Symbolkraft bis hin zur Heilkraft inne
o Wie Drama und Novelle: Illustration neigt zur Einheit des Bildes in Raum, Licht und
Gestik  viel später Novellen als ‚Nachtstücke‘ bezeichnet
- Intermediale verschiedene Medien wie Text und Bild verbindende kulturgeschichtliche
Faktum: weiteren Grundbaustein der Novelle zwischen Boccacio (altitalienischen
Novellentheorie des 16. Jahrhunderts) und der deutschen des 19. Jahrhunderts
o Bonciani: novellistisch relevantes Gemälde eines historischen Wendepunt 
deutschen Novellenpoetik des 19. Jahrhunderts
- Bildlich fassbare, relativ einfache Handlung prägt die Novelle  bildliche Fasslichkeit zur
traditionellen Anforderung die Handlung einer Novelle in einem Satz zusammenfassen
- Hebbel: Novelle aus ästhetischen und soziologischen Gründen nach Bildern
- Bedeutende Verschwisterung mit dem Drama
o Altitalienische Novellenpoetik orientiert sich am Drama als Gattung mit hoher
Dignität
o Unterschied: Tragödie und Komödie sind nach poetologischer Tradition ihre Handlung
auf vierundzwanzig Stunden beschränken müssen <-> Novelle in ihrer Zeitgestaltung
bei Weitem freier
- Tieck: Verbindung novellentypischen Wendepunkt mit dem Wunderbaren im Alltag
- Gemeinsames Strukturmerkmal zwischen Novellistik und Dramatik: Peripetie
o Novelle nach Boncianis Regelwerk: Wendepunkt auch übernehmen, weil die
Dramatik die bestimmende Gattung ist
o Später regelpoetische Rechtfertigung verloren, Grundelement verbleibt
o Handlungen für die Novelle geeignet: wie Aristoteles einteilen in einfache (die bei
denen der Umschlag erfolgt ohne Erkennung und jenen großen Umschwung der
Peripetie heißt) und verwickelte (welche Erkennung und Peripetie oder beides
zugleich haben
o Erkennung nach Aristoteles: Übergang vom Nichtwissen zum Wissen
o Der Erkennung: besagten Wendepunkt  Kennzeichen ist die Novellenhandlung
motivierendes Motiv
- Deutschen Novellenpoetik des 20. Jahrhunderts: Zeichen zu einem hochkomplexem Symbol
ausgebaut (Kollektivsymbol)
o Unterschied zwischen Zeichen und Symbol
- Falkennovelle: Adlige und nicht Bürger im Mittelpunkt
o Deutsche Sonderstatus dieser Novelle geht zurück auf den Novellenautor Paul Heyse
o Novelle nicht nur ein „Kultur- und Gesellschaftsbild im Großen“, sondern ein
„Weltbild im Kleinen entfaltet“
o Bildliche steht über dem Abstrakten
o Heyse: Novelle im Jahrhundert naturwissenschaftlicher Empirie als „isoliertes
Experiment“ im Gegensatz zur romanhaften Breite
o Greift auf aristotelische Poetik zurück
o Handwerklich solide klare Konstruktion (einen Falken): kennzeichnet das
Novellenmuster  Falke im Mittelpunkt: Dingsymbol
- Falknerei entnommene Zentralmotiv einer Novelle: Strukturmerkmal, inhaltlich eher ein
Symbol
- Umbauten der novellistischen Bausteine sind gattungsimmanent
o Frei auswählen
o Unterschied von Reim, Versmaß und Strophenform (klar fixierten Gedichtsgattungen)
o Unterschied von anderen Prosaformen: große Repertoire an formalen Versatzstücken
und inhaltliche Motiven und Symbolen
- Novellistik: Erzählen nach Modellen und Mustern kein Ausweis mangelnden Talents
- Spiel mit Tradition prägt Novellieren  Novelle in der Postmoderne (Skepsis gegen die
modernen Avantgarde kultiviert) wieder eine beliebte Gattung
- Ernst der konservativen Novellenschaffens: spielerischen Ironie im Umgang mit den ererbten
Musterbrüchen
- Meisterschaft der Novellisten: Kunsthandwerkliche der Gattung

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