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Vaskulärer Schwindel
Nervenarzt 2002 · 73:1133–1143 M. Dieterich
DOI 10.1007/s00115-002-1454-5
Neurologische Klinik,Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
Vaskulärer Schwindel
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Schlüsselwörter Zusammenfassung
Vaskulärer Schwindel · Ischämien, Blutungen oder andere vaskuläre Erkrankungen können unterschiedliche zentrale
Okulomotorikstörungen · oder periphere vestibuläre Syndrome mit Schwindel, Okulomotorik-, Gleichgewichtsstörungen
Gleichgewichtsstörungen · und Übelkeit auslösen.Die in Tabelle 1 aufgeführten „vaskulären Schwindelformen“ können
Vestibuläres System jedoch auch durch andere Ursachen wie MS-Entmarkungsherde oder Raumforderungen aus-
gelöst werden, so dass für die Therapie nicht nur die Lokalisation der geschädigten Struktur,
sondern auch die unterschiedlichen Ätiologien bestimmend sind.Gelegentlich gibt es kombi-
nierte Funktionsstörungen des peripheren und zentralen vestibulären Systems wie beim In-
farkt der A.cerebelli inferior anterior (AICA), die das Labyrinth sowie Teile des Hirnstamms und
Zerebellums versorgt.Selten kann eine zentrale Läsion eine periphere Funktionsstörung imitie-
ren: Ein lakunärer Infarkt in der Eintrittszone des 8.Hirnnerven kann einen einseitigen Teilaus-
fall des Labyrinths wie bei einer Neuritis vestibularis vortäuschen (sog.Pseudoneuritis).Die
Differentialdiagnose zwischen vestibulärer Migräne,Vestibularisparoxysmie, transient ischämi-
schen Hirnstammattacken und dem Morbus Menière kann gelegentlich so schwierig sein, dass
erst die probatorische Therapie z.B.die Prophylaxe mit Betarezeptorenblockern, Carbamazepin,
Thrombozytenaggregationshemmern oder Betahistin im Verlauf Klarheit bringt.
Keywords Summary
Vascular vertigo · Ischemia, hemorrhages, and other vascular disorders can result in various central or peripheral
Ocular motor disorders · vestibular syndromes with vertigo, oculomotor/balance disturbances, and nausea.The vascular
Balance disorders · vertigo syndromes listed in Table 1 can however be brought about by other causes such as de-
Vestibular system myelitizing focusses in multiple sclerosis or space-occupying lesions, so that not only localizati-
on of the damaged structure but also the various etiologies are decisive for the choice of thera-
py.Occasionally, combined functional disturbances of the peripheral and central vestibular sys-
tem appear, such as an infarction of the inferior anterior cerebellar artery, which supplies the
labyrinth and parts of the brainstem and cerebellum.In rare cases, a central lesion can have the
same signs as a peripheral-vertibular disturbance: a lacunar infarct at the root entry zone of
the eighth nerve can mimic a unilateral partial loss of labyrinth function as it occurs in vestibu-
lar neuritis, thus named „pseudoneuritis“.Differential diagnosis between vestibular migraine,
vestibular paroxysmia, transient ischemic brainstem attacks, and Meniere’s disease is someti-
mes so difficult that only trial therapies such as prophylaxis with beta blockers, carbamazepine,
thrombocyte aggregation inhibitors, antiplatelet drugs, or betahistin can clarify the issue.
© Springer-Verlag 2002
Prof. Dr. Marianne Dieterich
Neurologische Klinik, Johannes-Gutenberg-Universistät Mainz, Langenbeckstraße 1, 55101 Mainz,
E-mail: dieterich@neurologie.klinik.uni-mainz.de
Die Dauer der Symptomatik erlaubt eine Nach der Dauer der Symptomatik lassen sich zentral-vestibuläre Schwindelformen in
Einteilung in 3 Kategorien 3 Kategorien einteilen:
Sekunden bis Minuten ● Kurzdauernde Dreh- oder Schwankschwindelattacken für Sekunden bis Minu-
ten (z.B. transiente ischämische Attacke im vertebro-basilären Stromgebiet, basi-
läre Migräne, paroxysmale Ataxie bei MS, vestibuläre Epilepsie),
Stunden bis Tage ● Stunden bis Tage anhaltende Syndrome (z.B. Hirnstamminfarkt, -blutung,
Plaque bei MS),
Dauerschwindel ● Dauerschwankschwindel oder selten Dauerdrehschwindel (z.B. Arnold-Chiari-
Malformation mit Downbeat-Nystagmus; pontomedulläre oder pontomesenze-
phale Läsion mit Upbeat-Nystagmus bei einer Basilaristhrombose).
Tabelle 1
Vaskuläre Schwindelformen: Mechanismen und beteiligte Strukturen
Der Labyrinthinfarkt ist gekennzeichnet Die vestibulären Bahnen ziehen vom 8. Hirnnerven über das Vestibulariskerngebiet
durch akuten Drehschwindel und in der lateralen Medulla oblongata einer Seite zum Fasciculus longitudinalis media-
Hörstörung lis (MLF), den Augenmuskelkernen des N. abducens, N. oculomotorius und N. troch-
learis und den supranukleären okulomotorischen Zentren im rostralen Mittelhirn
(rostraler Interstitialkern des MLF (riMLF) und interstitieller Nucleus Cajal (INC))
der Gegenseite. Zentral-vestibuläre Syndrome können durch Läsionen entlang dieser
Bahn im gesamten Hirnstamm von der Medulla bis zum Mittelhirn ausgelöst werden
[10] (s. Tabelle 1). Sie werden nach den 3 Arbeitsebenen des vestibulookulären Refle-
xes klassifiziert [4, 10] in Störungen der:
Yaw-Ebene Yaw-Ebene (horizontal) mit horizontalem Nystagmus, horizontalem Vorbei-
zeigen, Fallneigung zur Seite, Abdrehen zur Seite im Unterberger-Tretversuch ent-
weder bei einseitigem Labyrinthinfarkt oder bei einseitigem AICA- bzw. PICA-In-
farkt mit Läsion des Vestibularis-Faszikels oder Vestibulariskerns (Abb. 2, 3). Bei Lä-
sion im Vestibulariskerngebiet werden diese Syndrome wegen ihrer Ähnlichkeit mit
denen der Neuritis vestibularis „Pseudoneuritis“ genannt.Auch bei der „Pseudoneu-
ritis“ kann neben einem horizontal-rotierendem Spontannystagmus eine kalorische
Untererregbarkeit der betroffenen Seite auftreten, allerdings in Kombination mit
leichten Zeichen einer zentralen Okulomotoriksstörung (z.B. Blickrichtungsnystag-
mus nach oben oder bilateral, Sakkadenstörungen), wie sie bei einer Neuritis vesti-
bularis nicht vorliegen dürfen.
Pitch-Ebene Pitch-Ebene (sagittal) mit vertikalem Nystagmus in Form eines Upbeat- oder
Downbeat-Nystagmus,Vorbeizeigen nach oben/unten, Fallneigung nach vorne/hin-
ten bei mittelliniennahen Läsionen der Medulla oblongata, der pontomesenzepha-
len Haube (paramediane pontine und mesenzephale Arterien aus der A. basilaris)
oder des Flokkulus beidseits (AICA; Abb. 4).
Roll-Ebene Roll-Ebene (frontal) mit torsionellem Nystagmus, „ocular tilt reaction“ und
ihren Komponenten aus tonischer Augentorsion, vertikaler Augendivergenz (skew
deviation), Abweichen der subjektiven visuellen Vertikalen in der Rollebene und
Kopf-Körperkippung bei einseitigen Läsionen des Vestibulariskerns (A. vertebralis,
PICA oder A. spinalis posterior), des MLF (paramediane pontine Arterien) oder des
interstitiellen Nucleus Cajal, INC, und rostralen Interstitialkern des MLF, riMLF, im
Mittelhirn (paramediane mesenzephale Arterien aus A. basilaris) (Abb. 5).
Thalamus
Läsionen des posterolateralen Thalamus Unilaterale Thalamusinfarkte können ebenfalls Schwankschwindel, Fallneigung zur
führen zu Schwankschwindel, Fallnei- Seite und eine Auslenkung der subjektiven visuellen Vertikalen (d.h. einzelne Kompo-
gung und Auslenkung der subjektiven nenten einer „ocular tilt reaction“) auslösen [9]. Diese Symptome wurden früher wahr-
Vertikalen scheinlich unter dem Begriff „thalamische
Astasie“ verstanden, da aufgefallen war,dass
die Patienten zur Seite fielen, ohne eine dies
erklärende Hemiparese zu haben. Diese
Symptome treten bei Läsionen in den pos-
terolateralen Thalamuskernen (Vim, Vce)
auf, die aus tierexperimentellen Studien als
vestibuläre Relaystation der Bahnen vom
Hirnstamm zum Kortex bekannt sind.
Tritt eine komplette „ocular tilt reacti-
on“ mit „skew deviation“ und Augentorsion
beidseits auf, deutet dies auf einen parame-
dianen Thalamusinfarkt hin, bei dem es zu
einer Mitbeteiligung rostraler paramedia-
ner Mittelhirnanteile mit gleichzeitiger
Schädigung des INC und riMLF gekommen
ist [9]. Diese Kombination mit einem Mit-
telhirninfarkt tritt bei ca. 50% der parame-
dianen Thalamusinfarkte auf; sie ist durch einen gemeinsamen Abgang der parame-
Der INC im oberen Mittelhirn ist das dianen Mittelhirn- und Thalamusarterien aus der A. basilaris zu erklären. Die INC-
rostralste Zentrum im Hirnstamm und und riMLF-Kerne im Mittelhirn sind die rostralsten Strukturen im Hirnstamm, die
verantwortlich für die Koordination des das komplette Syndrom der „ocular tilt reaction“ in der Rollebene auslösen können.
vestibulookulären Reflexes In den vestibulären Strukturen oberhalb davon, d.h. im posterolateralen Thalamus [9]
und temporoparietalen Kortex [6], werden nur noch die Komponenten Wahrneh-
mungsstörung (Verkippung der visuellen Vertikalen) und seitliche Fallneigung indu-
ziert. Die Richtung der Fallneigung und Auslenkung kann bei posterolateralen Tha-
lamusinfarkten sowohl ipsi- wie auch kontralateral sein (Abb. 6).
Temporo-parietaler Kortex
Vestibularisparoxysmie
Eine hirnstammnahe Gefäßkompression kaudaler Hirnnerven ist als Ursache von
Trigeminusneuralgie, Glossopharyngeusneuralgie, Spasmus hemifacialis und Obli-
quus superior Myokymie anerkannt. Sie wird auch als Ursache episodischer Schwin-
delformen diskutiert und wurde früher „disabeling positional vertigo“ genannt, weil
bei einigen Patienten eine Kopflageabhängigkeit der Attackenauslösung aufgefallen
Abb.7 Mediainfarkte mit Schwindel: Patienten mit Infarkten, die die Inselregion und den Gyrus
temporalis superior mit einbeziehen, leiden an akutem Schwankschwindel, Fallneigung und Aus-
lenkung der subjektiven visuellen Vertikalen mit meist kontralateraler Richtung. MRT eines Patien-
ten, der ausschließlich diese Symptomatik sowie eine Sensibilitätsstörung des kontralateralen Ar-
mes akut für die Dauer einer Woche erlitt (T1-gewichtete Sequenz links, T2-gewichtet rechts). Der
kleine ischämische Infarkt liegt in der unteren hinteren Insel, wohin man aufgrund tierexperimen-
teller Studien den parieto-insulären vestibulären Kortex (PIVC) projiziert
● kurze, häufige Attacken eines Schwank- oder Drehschwindels für Sekunden bis
Minuten,
● Auslösung der Attacken durch bestimmte Kopfpositionen oder Beeinflussung
der Attacken durch Änderung der Kopfhaltung,
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