Sie sind auf Seite 1von 13

Periphere Lähmungen

17 Periphere Lähmungen
Ursachen einer peripheren
17.1 ○ bilaterale und symmetrische Lähmungen von
Spinalnerven (Polyradikulopathie): sind nur
Lähmung bei einer Schädigung der Cauda equina mög-
Eine periphere Lähmung entsteht durch die Schä- lich, z. B. nach einer akuten Kompression durch
digung des Alpha-Motoneurons, Zellkörpers oder Diskushernie (Kap. 26.2)
III
Axons. ● Plexuslähmung: An der oberen Extremität be-
treffen solche Lähmungen den Plexus brachialis,
an der unteren Extremität den Plexus lumbalis
Somatische und axonale
17.2 und/oder sacralis sowie am Beckenboden den
Lähmung Plexus pudendus und coccygeus (Kap. 0).
● Periphere Nervenlähmung: Davon können ein-
Somatische oder spinale
17.2.1 zelne oder mehrere periphere Nerven betroffen
Lähmung (Neuronopathie) sein:
○ Mononeuropathie: Lähmung eines einzelnen
Sie ist die Folge einer Schädigung des Zellkörpers peripheren Nervs, z. B. Radialislähmung durch
(Soma) des Alpha-Motoneurons. Der Zellkörper andauernde Kompression (fokale Schädigung)
befindet sich im Vorderhorn der grauen Substanz am Oberarm während des Schlafs
des Rückenmarks. Läsionen können durch Entzün- ○ multiple Neuropathie (Mononeuropathia mul-
dungen (Poliomyelitis anterior acuta; Kap. 18) tiplex): mehrere periphere Nerven an der obe-
oder Ischämien (akute Myelopathien durch zen- ren und unteren Extremität sind betroffen; es
tromedulläre Ischämie, Kap. 19) entstehen. kommt zu peripheren Nervenlähmungen, die
oft bilateral und asymmetrisch verteilt sind;
Axonale Lähmung
17.2.2 meist haben sie eine vaskuläre Ursache, z. B.
bei Diabetes oder Peri- oder Panarteriitis no-
(Neuropathie) dosa
Diese entsteht durch eine Schädigung des Axons, ○ Polyneuropathie (Kap. 27.3): bilaterale und

das den Zellkörper mit den quer gestreiften Mus- symmetrische Lähmung peripherer Nerven
keln verbindet und von proximal nach distal die aus nicht traumatischer Ursache.
folgenden Strukturen bildet:
● Radix anterior (wird durch mehrere ventrale Ra-

dices gebildet) 17.3Klinische Zeichen einer


● Spinalnerv oder Wurzel peripheren Lähmung
● periphere Nerven, z. B. Nn. intercostales
● Plexus mit seinen distalen Nervenästen. 17.3.1 Allgemeine klinische Zeichen
Eine periphere Lähmung ist global, da alle aktiven
Das Axon kann an verschiedenen Stellen geschä- (willkürlichen, automatischen und reflektori-
digt werden: schen) Bewegungen inkomplett (Kraft 1–4) oder
● radikuläre Lähmungen: Sie betreffen den Spinal-
komplett (Kraft 0) ausfallen (Kap. 7). Daher müs-
nerv (Nervenwurzel): sen Eigen- und Fremdreflexe systematisch geprüft
○ monoradikuläre Lähmungen (Monoradikulo-
werden. Sie sind abgeschwächt oder fallen ganz
pathie): Lähmung eines einzelnen Spinalnervs, aus.
z. B. bei einer akuten Kompression durch Dis- Die Lähmung ist schlaff und die Tonizität ver-
kushernie (fokale Schädigung; Kap. 20) mindert, während Extensibilität und Passivität ge-
○ multiple radikuläre Lähmungen (multiple Ra-
steigert sind (Kap. 6.3.2).
dikulopathie, Monoradikulopathie multiplex): Es kann zu einer Muskelatrophie kommen, die
Läsion mehrerer Spinalnerven, die bilateral besonders bei einer akuten Waller-Degeneration
und meistens asymmetrisch betroffen sind, des Axons des Alpha-Motoneurons frühzeitig
z. B. bei der akuten Meningoradikulopathie (schon nach 3 Wochen) eintritt.
nach Zeckenbiss (Lyme-Krankheit mit akuter
Infektion der Spinalhäute durch Borrelia burg-
dorferi)

186
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
17.3 Klinische Zeichen einer peripheren Lähmung

Klinische Differenzierung
17.3.2 ○ motorische Leitgeschwindigkeit kann gemes-
zwischen somatischer und sen werden; das im Muskel abgeleitete Sum-
menpotenzial hat eine normale Amplitude
axonaler Lähmung ○ innerhalb von 3 Monaten gewinnen die Zellen

Die Differenzierung erfolgt anhand folgender 3 ihre Funktion zurück; die Muskelkraft wird
Kriterien: nach 4–5 Monaten wieder normal (Kap.
● Topografie der motorischen Ausfälle 19.3.1)
● eventuell assoziierte Sensibilitätsstörungen ● Nekrose der Zellkörper: Das Ödem des Vorder-
● Verlauf der motorischen Ausfälle. horns führt zu einer Zellnekrose.
● Das Alpha-Motoneuron, die Zelle, das Axon und
die innervierten Muskelfasern degenerieren ir-
Somatische Lähmung reversibel. Nach 3 Wochen erscheinen die elek-
Topografie der motorischen Ausfälle trophysiologischen Zeichen der Waller-Degene-
ration.
Hierbei handelt es sich um eine segmentale Topo- ● Es kommt zu kompletten oder inkompletten
grafie mit einer uni- oder bilateralen, meist asym-
Muskelatrophien. Sind sie inkomplett, besteht
metrischen Verteilung. Trotzdem bestehen
die Möglichkeit einer spät eintretenden kollate-
Schwierigkeiten bei der Diagnose der motorischen
ralen Regeneration (nach 6 Monaten bis zu
Ausfälle:
1 Jahr; Kap. 19.3.1) mit der Bildung motorischer
● zentromedulläre Ischämie: Die Muskeln eines
Rieseneinheiten, die die Kraft der inkompletten
Myotoms sind nicht gleichmäßig betroffen.
atrophischen Muskeln verbessern (▶ Abb. 19.8,
● Poliomyelitis: Die motorischen Ausfälle unter-
▶ Abb. 19.9):
scheiden sich sehr voneinander. Es können ein ○ Muskeln mit chronischen neurogenen Hypo-
Muskelteil, ein einziger Muskel, eine synergisti-
trophien nach Poliomyelitis können eine gute
sche Muskelgruppe, eine obere oder untere Ext-
Kraft entwickeln. Ihr schnelles Ermüden ver-
remität oder beide unteren Extremitäten (para-
mindert jedoch die Leistungsfähigkeit.
plegische Form der Poliomyelitis) betroffen sein. ○ Nach Jahren kann es zu einer Verminderung
Bei sehr diffusen Lähmungen ist es oft unmög-
der Muskelkraft kommen. Diese spät eintreten-
lich, die segmentale Topografie der Ausfälle zu
de Verschlechterung wird als postpoliomyeliti-
erkennen. Zur Zeit der Poliomyelitis wurde be-
sches Syndrom bezeichnet.
hauptet, die Systematisierung der motorischen
Ausfälle sei unmöglich.
Axonale Lähmung
Sensibilitätsausfälle Topografie der motorischen Ausfälle
Beschränken sich die Läsionen auf das Vorderhorn Die motorischen Ausfälle haben eine präzise radi-
der grauen Substanz des Rückenmarks, bestehen kuläre, plexuelle oder periphere Nerventopografie.
keine Sensibilitätsausfälle.
Sensibilitätsausfälle
Verlauf
Sensibilitätsausfälle sind vorhanden. Sie sind glo-
● Funktionsausfall der Zellkörper: Im Vorderhorn bal komplett oder inkomplett mit präziser Topo-
der grauen Substanz entsteht ein Ödem, das ei- grafie. Dies gilt aber nicht für die rein motorischen
nen Ausfall der Zellfunktion verursachen kann, peripheren Nerven.
aber keine Degeneration hervorruft. Dies lässt
sich durch den elektrophysiologischen Befund
Verlauf
schon nach 3 Wochen mit folgenden Anzeichen
(keine Zeichen der Waller-Degeneration der ● Funktionelle Unterbrechung der Leitfähigkeit
Axone) bestätigen: der motorischen Nervenfasern (Neurapraxie): 17
○ normale Erregbarkeit der gelähmten Muskeln ○ Eine funktionelle Unterbrechung der Leitfähig-

○ keine spontane Denervationsaktivität in den keit der Axone entsteht z. B. durch eine akute
gelähmten Muskeln Kompression eines peripheren Nervs. Dabei
○ periphere Axone bleiben durch elektrischen kann es zu einem totalen oder partiellen Ner-
Strom erregbar venblock kommen.

187
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
Periphere Lähmungen

○ Eine totale Unterbrechung der Leitfähigkeit al- ○ Nach Wiederherstellung der Nervenkontinui-
ler motorischen Fasern des peripheren Nervs tät mit einer Plastik dauert die Muskelreinner-
führt distal der Schädigungsstelle zu einer vation doppelt so lange.
kompletten Lähmung. Nach 3 Wochen sind ● Muskelreinnervation: Die Muskelreinnervation
aber durch den elektrophysiologischen Befund lässt sich quantitativ und qualitativ beurteilen:
keine Zeichen einer Waller-Degeneration der ○ quantitative Beurteilung: Je mehr motorische

Axone nachweisbar. Die Axone gewinnen in- Nervenfasern den Muskel erreichen, desto
III nerhalb von 3 Monaten die Leitfähigkeit spon- zahlreicher werden die motorischen Einheiten
tan (selten auch erst nach einer Neurolyse) zu- und desto besser die Muskelkraft. Ist die Mus-
rück. Die Muskelkraft wird nach 4–5 Monaten kelreinnervation sehr gut, wird die Kraft wie-
wieder normal. der normal. Bei geringer Muskelreinnervation
○ Bei einer partiellen Unterbrechung der Leit- bleibt es bei einer chronischen Muskelhypotro-
fähigkeit der motorischen Fasern des periphe- phie mit eventuell verminderter Kraft.
ren Nervs ist die Muskellähmung inkomplett. ○ qualitative Beurteilung: Bei peripheren Ner-

● Läsionelle Unterbrechung der Leitfähigkeit der ven, die agonistische und antagonistische Mus-
motorischen Nervenfasern (Axonotmesis oder keln innervieren, kommt es zu Fehlleitungen
Neurotmesis): der regenerierten Nervenfasern. Dadurch ent-
○ Distal der Schädigungsstelle des Nervs entste- steht eine Massenreinnervation der Muskeln.
hen eine Waller-Degeneration der motori- Die willkürlichen Bewegungen können nicht
schen Nervenfasern und eine Degeneration mehr einzeln ausgeführt werden, sondern es
der verschiedenen vom Axon innervierten entstehen anormal assoziierte oder Massenbe-
Muskelfasern. Es kann sich um eine Axonotme- wegungen.
sis, d. h. eine Degeneration der Axone im Inne-
ren der Nervenhüllen (Epi-, Peri- und Endo-
Klinische Beispiele
neurium) oder um eine Neurotmesis handeln,
bei der es zu einer totalen oder partiellen Rup-
tur oder Durchtrennung des Nervs, der Ner- 1. Ulnarislähmung
venfaszikel und -hüllen kommt. Nach der Lähmung werden durch die Regenera-
○ Distal der Nervenschädigung entsteht eine
tion der Nervenfasern die Mm. interossei dor-
komplette oder inkomplette Lähmung. sales und palmares massiv reinnerviert. Dadurch
○ Nach 3 Wochen sind elektrophysiologische
verlieren die Patienten die Fähigkeit, die Finger
Zeichen einer totalen oder partiellen Waller- zu spreizen oder zusammenzuführen (in Neu-
Degeneration festzustellen (Kap. 14.7). tral-Null-Stellung des Grundgelenks des 2.–5.
● Regeneration der motorischen Nervenfasern: Fingers). Infolge der gleichzeitigen Kontraktion
○ Nach einer Axonotmesis können die Nervenfa-
der Mm. interossei dorsales und palmares wer-
sern spontan terminal regenerieren. den die Ab- und Adduktionsbewegungen der
○ Dagegen muss nach einer Neurotmesis eine
Finger unmöglich.
chirurgische Behandlung erfolgen: Nervennaht
oder Wiederherstellung der Nervenkontinuität 2. Fazialislähmung
durch Plastik (z. B. mithilfe des N. cutaneus su- Durch die Regeneration der motorischen Ner-
rae medialis). Diese Behandlung ist auch not- venfasern werden nach der Lähmung die Ge-
wendig, wenn es nach einer traumatischen sichtsmuskeln massiv reinnerviert. Es entsteht
Nervenschädigung zu einer totalen oder parti- ein postparalytischer Hemispasmus facialis.
ellen Ruptur der Nervenfaszikel gekommen ist, Beim willkürlichen Augenschließen werden z. B.
obwohl die Kontinuität des Epineuriums erhal- alle Gesichtsmuskeln kontrahiert (Kap. 21,
ten blieb. ▶ Abb. 21.5a).
○ Die Regeneration der motorischen Nervenfa-

sern ist langsam (1 mm/Tag). Die Nervenfasern


wachsen aus und reinnervieren die gelähmten
Muskeln.

188
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
17.4 Elektrophysiologische Differenzierung zwischen somatischer und axonaler Lähmung

17.4Elektrophysiologische Diffe- 17.4.2 Axonale Lähmung


renzierung zwischen somatischer Bei einer inkompletten axonalen Lähmung sind
und axonaler Lähmung die Aktionspotenziale polyphasisch und haben
eine kleine Amplitude (Kap. 20.3.2, ▶ Abb. 20.1):
Mithilfe der Elektrophysiologie ist es möglich, so- ● funktionelle Unterbrechung der Nervenleitfähig-
matische von axonalen Lähmungen zu unterschei- keit: Handelt es sich um eine funktionelle Unter-
den. Auch der Verlauf dieser Lähmungen lässt sich brechung der Leitfähigkeit (Neurapraxie oder
genau verfolgen. Die Angaben sind für die Pro- Nervenblock) der peripheren Axone, sind nach
grammierung der Physiotherapie maßgebend. 3 Wochen keine elektrophysiologischen Zeichen
einer Waller-Degeneration distal des Blocks
17.4.1 Somatische Lähmung nachweisbar (▶ Abb. 17.1).
● totale Neurapraxie (▶ Abb. 17.1a, ▶ Abb. 17.2)
Bei einem passageren Funktionsausfall der Zelle mit kompletter Lähmung distal des Blocks. Die
des Alpha-Motoneurons (egal ob komplette oder elektrophysiologische Untersuchung findet nach
inkomplette Lähmung) liegen nach 3 Wochen kei- 3 Wochen statt. Trotz kompletter Lähmung
ne elektrophysiologischen Zeichen einer Waller- bleibt die Erregbarkeit der gelähmten Muskeln
Degeneration des Axons vor. Im gelähmten Muskel normal. Im Muskel lässt sich keine spontane
befindet sich keine spontane Denervationsaktivi- Denervationsaktivität feststellen. Die Nervenleit-
tät. Die peripheren Axone bleiben erregbar. Die fähigkeit ist vollständig unterbrochen. Distal des
Prognose ist günstig, da ein vollständiger Rück-
gewinn der Zellfunktion innerhalb von 3 Monaten
zu erwarten ist (Kap. 19.3.1; ▶ Abb. 19.5).
Ableitung mit
Bei einer inkompletten Lähmung haben die Oberflächenelektrode
funktionell gebliebenen Aktionspotenziale im
Muskel eine normale biphasische Form und eine Reiz 1 Reiz 2
normale Dauer. Die Amplitude dieser Potenziale ist
verschieden (Kap. 19.2.1; ▶ Abb. 19.3c, d). Nerv
Kommt es jedoch zu einer Nekrose des Zellkör-
pers des Alpha-Motoneurons, entstehen elektro-
physiologische Zeichen einer Waller-Degeneration Reiz 1
des Axons. Die im Muskel erscheinende spontane kein Potenzial
Denervationsaktivität (Kap. 14.7.1; ▶ Abb. 14.13) Reiz 2
Summenpotenzial mit
ist ein Zeichen irreversibel zerstörter Nervenzel-
normaler Amplitude
len. In diesem Fall bleibt eine chronische neuroge- a
ne Muskelatrophie zurück, die komplett oder in-
komplett sein kann. Reiz 1 Reiz 2
Bei einer inkompletten chronischen neurogenen
Muskelatrophie treten Zeichen einer kollateralen Nerv
Regeneration auf. Die funktionell gebliebenen mo-
torischen Nervenfasern im Muskel innervieren ab
dem 6. Monat nach der Läsion durch kollaterale
Äste neu gebildeter Muskelfasern (Kap. 19.3.1). So Reiz 1
Potenzial mit
entstehen etwa nach 1 Jahr Rieseneinheiten und verminderter Amplitude
-potenziale (Kap. 19.3.1, ▶ Abb. 19.8, ▶ Abb. 19.9) Reiz 2
mit einer sehr großen Amplitude (10–20 mV). Dies Summenpotenzial mit
normaler Amplitude
führt zu einer Kraftverbesserung des hypotro- b
phisch gebliebenen Muskels.
17
Abb. 17.1 Schematische Darstellung der Neurapraxie.
Die Erregbarkeit des Nervs distal des Nervenblocks und
die Amplitude des im distalen Muskel abgeleiteten
Summenpotenzials sind in beiden Fällen normal.
a Totale Neurapraxie (▶ Abb. 17.2).
b Partielle Neurapraxie (▶ Abb. 17.3).

189
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
Periphere Lähmungen

Willküraktivität, a EMG Prüfung: 23.06.1977 Reiz am Erbpunkt


Ableitung mit
konzentrischer
Nadelelektrode 500 μV 1 mV
Caput lateralis
M. triceps brachii 100 ms
M. supraspinatus 0 10 20 ms
100 ms 1 mV
III Caput lateralis
M. triceps brachii

500 μV 500 μV
1 mV

Reiz
in der
Axilla M. infraspinatus 0 10 20 ms
0 20 40 ms

Ableitung im
b EMG Prüfung: 12.07.1977 (<1 Monat)
Caput lateralis des
M. triceps brachii Reiz am Erbpunkt

Reiz distal
des Ellen-
bogens 500 μV 1 mV

0 20 40 ms
0 10 20 ms
Ableitung im M. supraspinatus
M. abductor pollicis
longus
1 mV
1 mV
akute
Kompression 1 mV
des N. radialis
0 10 20 ms
100 ms
M. abductor M. infraspinatus
0 20 40 ms
pollicis longus
Ableitung im M. abductor
komplette pollicis longus Abb. 17.3 Partielle Neurapraxie des N. suprascapularis
Lähmung des (Ableitung mit bipolarer nach Schultertrauma (18.06.1977).
N. radialis Nadelelektrode) a 23.06.1977: Einzelpotenzialmuster im M. supraspina-
am Unterarm tus und M. infraspinatus (konzentrische Nadelelektrode)
und desynchronisierte Summenpotenziale (bipolare
Abb. 17.2 Totale Neurapraxie des N. radialis nach Nadelelektrode) mit verminderter Amplitude nach Reiz
akuter Kompression auf der Außenseite des Oberarms. am Erb-Punkt (oberhalb des Nervenblocks).
(1) Caput lateralis des M. triceps brachii: normale b 12.07.1977: Rasche Reversibilität des partiellen
Willküraktivität, normales motorisches Summenpoten- Nervenblocks: Interferenzmuster im M. supraspinatus
zial (bipolare Nadelelektrode) nach Reiz des N. radialis in und M. infraspinatus und normale abgeleitete motori-
der Axilla. (2) M. abductor pollicis longus: komplett sche Summenpotenziale (bipolare Nadelelektrode) nach
gelähmt; kein Summenpotenzial nach Reiz des N. Reiz am Erb-Punkt; normale distale motorische Laten-
radialis in der Axilla, aber normales Summenpotenzial zen (Quelle: M. Jesel).
(bipolare Nadelelektrode) nach Reiz des N. radialis distal
des totalen Nervenblocks am Oberarm
(Quelle: M. Jesel).

190
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
17.5 Regeneration motorischer Nervenfasern

500 μV 500 μV

600 μV

M. peronaeus longus 0 10 20 30 40 50 ms
16 ms 100 ms
100 μV
100 μV
Abb. 17.4 Typisches Reinnervationspotenzial (konzen-
trische Nadelelektrode; Quelle: M. Jesel).

M. extensor digitorum longus 0 20 40 80 100 ms

100 μV 100 μV
Blocks bleiben die motorischen Nervenfasern je-
doch normal erregbar, und das abgeleitete Sum-
menpotenzial hat eine normale Dauer und Am-
plitude.
● partielle Neurapraxie (▶ Abb. 17.1b, M. tibialis anterior 0 20 40 60 80 100 ms
▶ Abb. 17.3): Die Lähmung der Muskeln ist in-
komplett. Die im Muskel funktionell gebliebenen Abb. 17.5 Anfangsstadium der Reinnervation der vom
Aktionspotenziale erreichen hohe Frequenzen. N. peronaeus communis innervierten Muskeln nach
Wird der Nerv oberhalb des Blocks gereizt, las- kompletter Lähmung des Nervs und totaler Waller-
sen sich im inkomplett gelähmten Muskel ein Degeneration. (1) Reinnervationspotenziale im M.
peronaeus longus, M. extensor digitorum longus und
oder mehrere kleine polyphasische Aktions-
M. tibialis anterior (konzentrische Nadelelektrode. (2)
potenziale mit einer sehr geringen Amplitude
Reiz des N. peronaeus communis am Fibulakopf:
oder ein desynchronisiertes motorisches Sum- abgeleitete Reinnervationspotenzialgruppen mit er-
menpotenzial mit einer niedrigen Amplitude ab- höhter motorischer Latenz; Zeichen einer beginnenden
leiten. Oft ist die motorische Latenz gesteigert. Reinnervation der Muskeln; partielle Resynchronisation
Distal des Blocks bleibt aber die Erregbarkeit al- des motorischen Summenpotenzials des erst reinner-
ler Nervenfasern normal, und es entsteht ein vierten M. peronaeus longus (bipolare Nadelelektrode;
motorisches Summenpotenzial mit normaler Quelle: M. Jesel).
Amplitude. Die Prognose ist günstig. Der Wie-
dergewinn der Leitfähigkeit der Nervenfasern ist
innerhalb von 3 Monaten feststellbar.
● läsionelle Unterbrechung der Nervenleitfähig- 17.5Regeneration motorischer
keit: Nach 3 Wochen entsteht eine totale oder
partielle Waller-Degeneration der Axone. In die-
Nervenfasern
sem Fall erscheinen die ersten Reinnervations- Regeneration der
17.5.1
potenziale im vorher gelähmten Muskel
(▶ Abb. 17.4, ▶ Abb. 17.5) zwischen 3 und 6 Mo-
motorischen Nervenfasern und
naten (manchmal nach 8 Monaten, wenn es sich Muskelreinnervation
um längere Nerven handelt, wie z. B. N. phreni-
cus oder N. thoracicus longus; Kap. 22, Kap. 24),
Komplette Lähmung
da die Regeneration der Nervenfasern langsam Bei einer kompletten Lähmung durch eine totale
erfolgt (1 mm/Tag). Axonotmesis wachsen die motorischen Nervenfa-
sern spontan zur Peripherie. Die terminale Rege-
neration der Nervenfasern führt zur Muskelrein-
nervation, die sich frühzeitig durch die Elektro- 17
physiologie feststellen lässt.

191
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
Periphere Lähmungen

● EMG: Durch die Reinnervation der Muskelfasern a


bilden sich viele Reinnervationspotenziale, die 500 μV
durch Nadelelektroden im Muskel frühzeitig ab- 13.01.1972
geleitet werden können (▶ Abb. 17.4). Sie sind
polyphasisch, haben eine lange Dauer und eine 0 10 20 30 40 50 60 ms

kleine Amplitude (die Muskelfasern der Einheit 2,5


können nicht gleichzeitig aktiviert werden, da 13.03.1972 mV
III die regenerierten motorischen Nervenfasern 45 ms

sehr langsam leiten, denn sie haben noch keine


b
Markscheide). Je größer die Zahl dieser Reinner-
vationspotenziale, desto besser die Prognose. 03.06.1972 4 mV
● Leitgeschwindigkeit: Im Anfangsstadium der
Nervenregeneration sind die regenerierten mo- 11 ms
torischen Nervenfasern nur sehr schwer oder gar
nicht erregbar. Daher ist es ratsam, die motori-
schen Nervenfasern oberhalb des Wachstums-
kolbens zu reizen. 31.08.1972 8 mV
○ Beispiel der Regeneration des N. peronaeus

communis: Bei Reizung des N. peronaeus com-


munis oberhalb des Wachstumskolbens am Fi-
bulakopf sind die verschiedenen Reinnervati- 5 ms

onspotenzialgruppen in den Muskeln mit einer 0 10 20 ms


bipolaren Nadelelektrode ableitbar
(▶ Abb. 17.5). Abb. 17.6 Progressive Veränderungen (bipolare Nadel-
○ Beispiel der Regeneration des N. ulnaris nach elektrode) des abgeleiteten motorischen Summen-
Naht am Handgelenk: Nach Reiz des N. ulnaris potenzials im M. abductor digiti quinti nach Nervennaht
am Ellenbogen ist im Anfangsstadium des N. ulnaris am Handgelenk (24.11.1971;
(▶ Abb. 17.6a) die motorische distale Latenz Quelle: M. Jesel).
a Zuerst wird der N. ulnaris am Ellenbogen gereizt: am
stark erhöht. Das im M. abductor digiti quinti
13.01.1972 erscheinen die beiden ersten Reinner-
abgeleitete zersplitterte Summenpotenzial vationspotenziale, am 13.03.1972 ist das motorische
enthält viele kleine Reinnervationspotenziale Summenpotenzial in viele kleine Reinnervations-
und hat eine lange Dauer, die durch die hetero- potenziale zersplittert (Gesamtdauer: 45 ms).
gene langsame Leitgeschwindigkeit der rege- b Am 03.06.1972 und am 31.08.1972 kann der Nerv
nerierten Nervenfasern zu erklären ist. Sobald am Handgelenk gereizt werden: progressive Resyn-
sich die Markscheiden der motorischen Ner- chronisation des motorischen Summenpotenzials.
venfasern bilden (▶ Abb. 17.6b), verbessern Die dem Summenpotenzial entsprechende Latenz
verkürzt sich allmählich, bleibt aber definitiv erhöht.
sich die Erregbarkeit und die Leitgeschwindig-
keit der regenerierten motorischen Nervenfa-
sern. Es entsteht wieder eine Resynchronisati-
on der motorischen Potenziale, die zur Bildung
eines Summenpotenzials mit einer allmähli-
chen Verminderung der Dauer und Steigerung
der Amplitude führt. Die motorische Leit-
geschwindigkeit bleibt aber definitiv vermin-
dert.

192
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
17.5 Regeneration motorischer Nervenfasern

1 mV

1 mV 0 10 20 30 ms
M. extensor digitorum communis

1 mV

100 ms
statische Adduktion statische Abduktion
0 10 20 30 ms
1 mV 100 ms des Zeigefingers des Zeigefingers
gegen Widerstand gegen Widerstand
M. abductor pollicis longus
MLG des N. ulnaris
Abb. 17.7 Endstadium der Muskelreinnervation nach am Unterarm: 52 m/s
kompletter Lähmung des N. radialis (Quelle: M. Jesel). DML: 9 ms
a Interferenzmuster (konzentrische Nadelelektrode) MSP: Dauer 10 ms
im M. extensor digitorum communis und normal Amplitude 3 mV
(bipolare Nadel-
synchronisiertes motorisches Summenpotenzial (bi- 0 10 30 ms 0 10 20 30 ms
elektrode)
polare Nadelelektrode). Reiz am Reiz am
b EMG-Zeichen einer chronischen neurogenen Atro- Ellenbogen Handgelenk
phie des mehr distalen M. abductor pollicis longus
(konzentrische Nadelelektrode). Trotzdem ist das
Abb. 17.8 Massenreinnervation der Mm. interossei
Summenpotenzial gut synchronisiert (bipolare Na-
nach Naht des N. ulnaris am Handgelenk: Veränderung
delelektrode).
der Form der Willküraktivität des M. interosseus dorsalis
(Pfeil) während der statischen Adduktion und Abdukti-
on des Zeigefingers gegen Widerstand (konzentrische
Nadelelektrode; Quelle: M. Jesel).

● quantitative Beurteilung der Muskelreinnervati- ● qualitative Beurteilung der Muskelreinnervation:


on (▶ Abb. 17.7a, b): Dabei wird die Zahl der im Hierbei erfolgt die simultane Ableitung der will-
reinnervierten Muskel rekrutierten motorischen kürlichen Aktivität der agonistischen und anta-
Einheiten festgestellt. Bei sehr guter Muskelrein- gonistischen Muskeln, die vom gleichen Nerv
nervation kann es zu einem Interferenzmuster reinnerviert wurden. So lässt sich die gleichzeiti-
kommen (▶ Abb. 17.7a), bei schwacher Muskel- ge Aktivierung dieser Muskeln feststellen.
reinnervation bleibt es dagegen bei einer chro- Als zweite Möglichkeit kann ein einziger Muskel
nischen neurogenen Muskelatrophie, d. h. bei abgeleitet werden, um die Änderung der Form
einem gemischten Muster mit Potenzialen, die der Willküraktivität während verschiedener ak-
hohe Frequenzen erreichen (≥ 25 Hz). Trotzdem tiver Bewegungen festzustellen (▶ Abb. 17.8).
kann das im Muskel abgeleitete motorische Sum-
menpotenzial gut synchronisiert sein und eine
normale Amplitude erreichen (▶ Abb. 17.7b). Im 17
Endstadium der Muskelreinnervation ist die Am-
plitude des motorischen Summenpotenzials von
großem Interesse, da sie der Zahl der neu gebil-
deten motorischen Einheiten entspricht.

193
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
Periphere Lähmungen

Inkomplette Lähmung ● Die erste gut synchronisierte motorische Poten-


zialgruppe hat eine normale Latenz und ent-
Bei einer inkompletten Lähmung, z. B. des N. inter- spricht den funktionell gebliebenen motorischen
osseus posterior (▶ Abb. 17.9) sind nach Reiz des Nervenfasern.
N. radialis im M. extensor carpi ulnaris während ● Bei den Potenzialgruppen mit einer größeren
der Reinnervationsphase folgende 2 Potenzial- Latenz handelt es sich um Reinnervationspoten-
gruppen erkennbar (Ableitung mit bipolarer Na- ziale.
III delelektrode):
In diesem Stadium der Muskelreinnervation kann
nachträglich behauptet werden, dass die Lähmung
gut synchronisierte Potenzialgruppe des M. extensor carpi ulnaris zu Beginn inkomplett
Reinnervations- war.
potenziale Im Endstadium sind die regenerierten motori-
schen Nervenfasern normal erregbar. Da sie jedoch
im Gegensatz zu den funktionell gebliebenen Ner-
500 μV venfasern eine irreversibel verminderte Leit-
geschwindigkeit aufweisen, bleibt die motorische
Leitgeschwindigkeit heterogen (▶ Abb. 17.10).
1 mV 10 30 50 ms

Latenz: 18 ms
der Reinnervations- Regeneration der
17.5.2
M. extensor carpi ulnaris potenzialen
motorischen Nervenfasern
Reinnervations-
potenziale
nach Nervennaht oder nach
Nervenplastik
500 μV Bei erfolgreicher Nervennaht lässt sich der gleiche
Regenerationsprozess der Axone und der gleiche
Reinnervationsprozess der Muskeln verfolgen wie
1 mV 10 30 50 ms bei spontanen Nervenregenerationen. Auch nach
100 ms
Nervenplastik ist eine gute Muskelreinnervation
M. extensor digitorum communis Latenz: 23 ms möglich.
Bei kurzen Nerven (z. B. N. axillaris;
Reinnervations- ▶ Abb. 17.11a, b) kann nach einer Plastik eine sehr
potenziale
ausgeprägte Reinnervation des M. deltoideus statt-
finden (▶ Abb. 17.11c), bei langen Nerven ist
100 μV
die Regeneration besonders am distalen Teil des
100 ms 200 μV
Nervs der motorischen Fasern oft schwächer
10 30 50 70 ms (▶ Abb. 17.12).

M. abductor pollicis longus Latenz: 65 ms

Abb. 17.9 Anfangsstadium der Muskelreinnervation


(05.09.1977) nach partieller traumatischer Axonotme-
sis des N. interosseus posterior (08.05.1977). Begin-
nende Reinnervation des M. extensor carpi ulnaris, M.
extensor digitorum communis und M. abductor pollicis
longus (konzentrische Nadelelektrode; Quelle: M. Jesel).

194
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
17.5 Regeneration motorischer Nervenfasern

1 Abb. 17.10 Endstadium der sponta-


2 nen Reinnervation der distalen ulna-
ren M. abductor digiti quinti und
M. interosseus dorsalis (17.05.1971:
nach 28,5 Monaten) nach partieller
Axonotmesis des N. ulnaris in der
1mV
Axilla (31.12.1968; konzentrische Na-
delelektrode; Quelle: M. Jesel).
0 10 20 30 ms 0 20 ms
M. abductor digiti 1mV
quinti 100 ms
1
2
2

nV

1mV
M. interosseus1 0 10 20 30 ms 0 20 ms
100 ms Reiz am Reiz am
Ellenbogen Handgelenk

12 12

1 MLG der funktionell


gebliebenen motorischen
Nervenfasern 52–58 m/s
0 10 20 30 ms
0 10 20 30 ms
2 MLG der regenerierten
motorischen Nervenfasern
28–37 m/s
(bipolare Nadelelektrode)

0 10 20 ms 0 10 20 ms
heterogene motorische Leitgeschwindigkeit
des N. ulnaris im Endstadium der Muskelreinnervation

Bei einer Plastik des N. tibialis in der Fossa popli- Da nach einer Plastik die Leitgeschwindigkeit
tea (▶ Abb. 17.12a) wurde die Plantarflexion des der regenerierten Nervenfasern weiterhin sehr
Fußes im Einbeinstand trotz Hypotrophie des M. langsam ist, kommt es im Endstadium der Muskel-
triceps surae (▶ Abb. 17.12b) und EMG-Zeichen reinnervation selten zu einer Resynchronisation
einer chronischen neurogenen Atrophie des Mus- des am reinnervierten Muskel abgeleiteten moto-
kels zurückgewonnen. Die motorische und sensi- rischen Summenpotenzials (▶ Abb. 17.12b).
ble Reinnervation der Fußsohle blieb jedoch sehr
schwach. 17

195
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
Periphere Lähmungen

a 1. Reinnervations- 1. Reinnervations- c
potenzial potenzial
Latenz: 50 ms Latenz: 94 ms

III
100 ms 0 20 40 60 80 ms 200 μV 0 50 100 ms
Pars spinalis Pars acromialis

b
500 μV

0 10 20 30 40 ms
Pars acromialis Pars clavicularis

Abb. 17.11 Beispiel 1: Komplette Lähmung mit totaler Waller-Degeneration des N. axillaris rechts nach Fraktur der
Klavikula (09.07.80). Plastik des Nervs (24.11.80). Progressive Reinnervation des M. deltoideus (Quelle und Foto:
M. Jesel).
a Nach 5 Monaten: erste Reinnervationspotenziale in der Pars spinalis und der Pars acromialis des M. deltoideus.
b Nach 16 Monaten: gute Reinnervation des M. deltoideus mit Interferenzmuster (2 mV) in der Pars acromialis und
clavicularis. Trotzdem kommt es nicht zur Resynchronisation des mit bipolarer Nadelelektrode in der Pars clavicularis
abgeleiteten motorischen Summenpotenzials. Eine stark erhöhte motorische distale Latenz und eine heterogene
distale Verlangsamung der Leitung der regenerierten motorischen Nervenfasern bleiben zurück.
c Normales Relief des M. deltoideus rechts bei Abduktion des Oberarms (Kraft: 5).

Regenerationsdauer der motorischen Fasern

Die Nervenregeneration nach Plastik dauert auch Beim Vergleich der Endresultate nach einer
länger als nach einer Nervennaht. Sowohl nach Naht oder Plastik des N. medianus am Handgelenk
Naht als auch nach Plastik des N. medianus am sind in einigen Fällen gleichwertige klinische mo-
Handgelenk erscheinen die ersten Reinnervations- torische und sensible Resultate festzustellen. Die
potenziale im M. abductor pollicis brevis nach 5 totale Reinnervationsdauer liegt bei der Nerven-
bzw. 10 Monaten. Nach Naht oder Plastik des N. plastik bei 2,5 Jahren, nach Nervennaht bei 11
ulnaris am Handgelenk können die ersten Reinner- Monaten.
vationspotenziale im M. abductor digiti quinti
nach 4 bzw. 8 Monaten abgeleitet werden.

196
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
17.6 Regeneration sensibler Fasern

1mV

M. triceps surae, Caput medialis Caput lateralis 100 ms

500 μV
Reiz des
N. tibialis
in der
Fossa
M. tibialis posterior 100 ms poplitea

200 μV

500 μV0 20 40 60ms


M. abductor hallucis MLG N. tibialis: 17.9 m/s
a DML: 20 ms b

Abb. 17.12 Beispiel 2 (Quelle und Foto: M. Jesel).


a Endstadium der Reinnervation (konzentrische Nadelelektrode) nach Plastik des N. tibialis in der Fossa poplitea
(Nerventransplantate: 7 cm lang). Nach 49 Monaten zeigen sich EMG-Zeichen einer chronischen neurogenen
Atrophie der Wadenmuskeln (M. triceps surae und M. tibialis posterior).
b Hypotrophie des M. triceps surae, aber guter funktioneller Rückgewinn der Plantarflexion des Fußes. Der Patient
kann auf den Zehenspitzen stehen bleiben. Dagegen ist nur eine sehr schwache motorische und sensible
Reinnervation der Fußsohle möglich. Im M. abductor hallucis: Einzelpotentialmuster, 800 μV, hohe Frequenzen. MLG
des N. tibialis am Unterschenkel: 17,9 m/s; DML: 20 ms; Amplitude: 200 μV.

17.6 Regeneration sensibler blen Potenziale und der taktilen Diskrimination


der reinnervierten Finger. Je größer die Amplitude,
Fasern
desto besser die taktile Diskrimination (wichtig für
17.6.1 Spontane Regeneration die Expertise nach einem Arbeitsunfall!).

Der Regenerationsprozess der sensiblen Fasern


entspricht dem der motorischen Fasern. 17.6.2Regeneration nach
Im Anfangsstadium der Hautreinnervation, chirurgischer Behandlung
wenn die Hautrezeptoren und auch die regenerier-
ten Nervenfasern noch nicht reizbar sind, ist der Eine späte Neurolyse eines chronisch komprimier-
klinische Befund vorteilhafter (Tinel-Zeichen und ten Nervs (z. B. bei Karpaltunnelsyndrom mit kom-
Fortschritte der Hautreinnervation). pletter Atrophie der Thenarmuskeln und Verlust
Im Endstadium der Hautreinnervation dagegen der taktilen Sensibilität der Hand) oder eine späte
ist der elektrophysiologische Befund mithilfe der chirurgische Reparatur der sensiblen Fasern des N.
medianus am Handgelenk (> 6 Monate oder
17
Messung der orthodromen sensiblen Leit-
geschwindigkeit von großem Interesse. Besonders 1 Jahr) sind oft erfolgreich und ermöglichen einen
an der Hand besteht ein deutlicher Zusammen- gewissen Rückgewinn der Sensibilität an der Hand.
hang zwischen der Amplitude der am N. medianus Dies ist für die Patienten von großer Bedeutung.
oder N. ulnaris am Handgelenk abgeleiteten sensi-

197
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.
Periphere Lähmungen

17.6.3Regenerationsdauer ● Nach Naht oder Plastik des N. ulnaris oberhalb


sensibler Fasern nach Naht oder des Handgelenks erreicht die Hautreinnervation
die Spitze des 4. und 5. Fingers nach 5–6 bzw.
Plastik nach 12 Monaten.
Die Regeneration der sensiblen Fasern nach einer
Nervenplastik dauert viel länger als nach einer Diese Angaben sind für die Behandlung zum Wie-
Nervennaht. dergewinn der Handsensibilität wichtig.
III ● Nach einer Naht oder Plastik des N. medianus

oberhalb des Handgelenks erreicht die Hautrein-


nervation die Spitze des Daumens nach 3 bzw.
9 Monaten, des 2. und 3. Fingers nach 5 bzw.
10 Monaten.

198
Jesel, Neurologie für PT (ISBN 9783132438699), © 2021 Georg Thieme Verlag KG
Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden!
All rights reserved. Usage subject to terms and conditions of license.

Das könnte Ihnen auch gefallen