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Rechtssetzungslehre: Zusammenfassung des Lehrbuchs

Einleitung 1

Es gibt für die Rechtsetzung keine so differenzierte und gefestigte Dogmatik wie für die
Rechtsanwendung. Es ist unklar, ob und wie weit die Rechtssetzungslehre normativ ist,
d.h. den Organen der Rechtssetzung verbindliche Massstäbe vorgibt oder den
Rechtsetzungsprozess lediglich beschreibt.

Rechtsetzung ist in den verschiedenen Phasen als eine interdisziplinäre Aufgabe zu


verstehen, bei der nebst Juristen je nach dem Themengebiet des
Regelungsgegenstands auch Ökonomen, Ingenieure, Architekten, Psychologen,
Soziologen oder Kriminologen mitwirken müssen. Während man materiell auf das
Wissen von Fachspezialisten zurückgreifen muss, wird man für die Beurteilung von
Umfang, Art, Stufe und Dichte einer Regelung primär auf das rechtswissenschaftliche
Fachwissen zurückgreifen.

Obschon die Rechtsetzung Teamarbeit ist und als solche betrieben werden muss,
brauch jede mit der Rechtssetzung betrauten Gruppe eine Führung, d.h. eine Person,
die für die Einhaltung der Zielsetzungen, das Vorgehen und die Koordination sorgt. Die
Aufgabe besteht oftmals vor allem im Zusammenführen der verschiedenen Beiträge der
Einzelmitglieder und der Bewahrung des Blicks für das ganze Rechtssetzungsprojekt.

Die Globalisierung hat auch bei der Rechtsetzung nicht Halt gemacht und so ist auch
diese Disziplin zunehmend eine e Aufgabe. Nationale Rechtsetzung kann sich
internationalen Strömungen selten entziehen. Hierbei sind Methode, Verfahren und
Technik der internationalen Rechtsetzung durch das Zustandekommen geprägt, d.h.
das Aushandeln von Regelungen, denen alle am Vertrag beteiligten Staaten zustimmen
können. Schwerpunkt der Vorlesung und der Buchzusammenfassung bildet jedoch die
landesinterne Rechtsetzung und dieselbe aus juristischer Sicht und nicht vertieft
multidisziplinärer Sicht.

§ 1 Der Staat als Leistungs- und Gewährleistungsstaat

Im Zuge des schrittweisen Ausbaus der Kompetenzen sind auch die Leistungs-pflichten
und damit verbundene Erwartungen gestiegen. Der Staat darf nehmen (Steuern,
Abgaben etc.), ist aber auch zu leisten verpflichtet. (Sozialleistungen, Infrastruktur,
Bildung etc.) Zunehmend zieht der Staat hierzu Private heran, um gewisse im
öffentlichen Interesse liegende Leistungen zu erbringen oder um die sie betreffenden
Probleme selbst zu regeln. Der Staat bleibt aber auch bei diesen Formen der
Zusammenarbeit mit Privaten verantwortlich dafür, dass ausreichenden Leistungen
erbracht und „richtige“ Normen erlassen werden. Der Staat wird unter diesen
Vorzeichen vom Leistungsstaat zum Gewährleistungsstaat. In dieser Kapazität legt er
die Ziele und den Rahmen für die Tätigkeit der Privaten fest und kontrolliert, ob sie
eingehalten werden. So letzteres nicht der Fall ist, muss der Staat selbst tätig werden.

                                                                                                               
1
Die vorliegende Zusammenfassung basiert auf MÜLLER GEORG, Elemente einer Rechtssetzungslehre,
2. Auflage, Zürich 2006. Für allfällige inhaltliche Fehler und Fehlzitierungen wird jede Haftung abgelehnt.
Stand der Beispiele: Dezember 2012.
Der moderne Vielfunktionenstaat ist auf ein relativ dichtes Regelungsnetz angewiesen,
um seine Aufgaben zu erfüllen. Diese Aufgaben umfassen nebst der Rechtssetzung und
Rechtsanwendung auch staatsleitende Tätigkeiten wie Regierung, politische Planung
sowie die Ausübung der auswärtigen Gewalt und der Finanzgewalt. Der Staat ist als
Leistungs- und Gewährleistungsstaat zum Vielfunktionenstaat geworden, für dessen
Leistung das Zusammenwirken verschiedener Funktionen Voraussetzung ist.

§ 2 Der Begriff der Rechtssetzung

Die Rechtsetzung ist die Tätigkeit, welche zum Erlass von Rechtsnormen führt. Sie kann
umschrieben werde als vorwegnehmende, generalisierende Regelung einer Vielzahl
gleichgelagerter Fälle. Eine abschliessende Definition dessen, was Rechtssetzung als
Staatsfunktion bedeutet, ist kaum zu finden. Die Ebenen, in denen Rechtsetzung
stattfindet, die Formen in denen sie passieren, die Personen in verschiedenen
Funktionen, die für sie verantwortlich zeichnen variieren oft stark. So handelt es sich
beim Tierseuchengesetz genauso um einen Akt der Rechtsetzung wie bei schriftlichen
Dokumenten, welche die Selbstregulierung im Bereich der Geldwäscherei regeln.
Regelungsgegenstände und ausführende Instanzen staatlicher oder nicht-staatlicher
Herkunft sind grundverschieden. Trotzdem handelt es sich um Formen von
Rechtsetzung.

Da der Gegenstand der Rechtsetzung begrifflich nicht ausreichend erfasst werden


kann, soll versucht werden, die Funktionen der Rechtsetzung zu beschreiben und sie
anschliessend mit denjenigen anderer Staatsfunktionen zu vergleichen. Erst wenn
feststeht, welche spezifischen Leistungen die Rechtsetzung zu erbringen vermag und
welche Beiträge zur Rechtsverwirklichung andere Staatsfunktionen besser leisten
können, lassen sich bestimmte Regelungen zum Bereich der Rechtsetzung zuordnen.

§ 3 Die Funktionen der Rechtssetzung

Die Rechtsetzung ist die Tätigkeit, welche zum Erlass von Rechtsnormen führt. Mit ihr
können verschiedene Zwecke verfolgt werden.

Ordnung und Stabilisierung des Verfahrens

Eine Funktion von Rechtssetzung kann die Ordnung und Stabilisierung des Verhaltens
von Teilnehmern am Rechtsverkehr umfassen. Rechtssetzung kann Rechtssicherheit
gewährleisten, d.h. Verhalten voraussehbar machen und Vertrauen in die Geltung und
den Bestand von Regelungen schaffen.

Tages-Anzeiger v. 2.12.2012 (Online-Ausgabe)

Rechtssetzung kann darauf abzielen, eine Verhaltensordnung aufzustellen. Dabei geht


es nicht darum, die bestehenden Verhältnisse zu konservieren, sondern die Anpassung
des geltenden Rechts an den sozialen Wandel und veränderte Wertvorstellungen zu
gewährleisten und gültige Richtpunkte für das Verhalten, einen Ordnungsrahmen für
Staat und Gesellschaft aufzustellen.

Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung

Die Rechtsetzung kann zur Verhaltenssteuerung eingesetzt werden mit welcher eine
bestimmte gesellschaftliche Entwicklung angestrebt werden soll. Die Möglichkeiten, das
Verhalten der Menschen durch Rechtsetzung eingehend zu beeinflussen ist jedoch
begrenzt. Je schneller der Wandel der Zeit, desto schwieriger. Rechtsetzung ist deshalb
oft weniger Gestaltung künftiger Entwicklungen als Anpassung an bereits eingetretene
Veränderungen der Verhältnisse und Nachvollzug von Wandlungen der
Wertauffassungen in der Gesellschaft. Das Bewusstsein der beschränkten Möglich-
keiten, sozialen Wandel durch Recht zu bewirken, trägt dazu bei, dass bei Erlass der
Rechtsnormen sorgfältig geprüft wird, ob damit bestimmte Ziele bzw. Wirkungen
erreicht werden können.

Das Steuerrecht bildet ein Rechtsgebiet, bei welchem nebst der reinen Finanzierungs-
funktion auch weitere wirtschafts- oder sozialpolitische Ziele verfolgt werden. Es ist dem
Gesetzgeber unbenommen, Steuern ganz bewusst zum Zweck der Lenkung von
Wirtschaft und Gesellschaft einzusetzen. Den Steuern werden damit neben ihrem
Zweck, dem Staat zu Einnahmen zu verhelfen, weitere – ausserfiskalische – Ziele
zugedacht. Dabei kann das Lenkungsziel vorrangig sein oder nur einen
untergeordneten Nebenzweck bilden. Solche Steuern werden Lenkungssteuern
genannt. Mit Lenkungssteuern will man die Steuerpflichtigen zu einem bestimmten Tun
oder Unterlassen anhalten, indem sie bei entsprechendem Verhalten entweder
„belohnt“ oder „bestraft“ werden.2

Legitimierung und Integration

Zur Legitimierung und Integration tragen die Öffentlichkeit des Rechtsetzungs-


verfahrens, die Mitwirkungsrechte der Betroffenen und der übrigen Bevölkerung sowie
die Autorität und Qualität der Regelungsorgane bei. Legitimierungs- und
Integrationsfunktion kommt deshalb v.a. der Rechtssetzung auf Verfassungs- und
Gesetzesstufe zu, die schon im Stadium der Vorbereitung öffentlich ist und eine
Einflussnahme der Betroffenen auf die politische Willensbildung von der Initiative über
die Ausarbeitung von Entwürfen und deren Beratung bis zur Abstimmung im Parlament
und ggf. im Volk ermöglicht. Auf allen Stufen der Rechtsetzung wird aber immer mehr
versucht, die Legitimationsbasis zu verbreitern und die Akzeptanz der Regelungen zu
verbessern, indem die interessierten Organisationen an der Ausarbeitung von Entwürfen
beteiligt und mit ihnen Lösungen „ausgehandelt“ werden.

Politische Auseinandersetzung und Konsensfindung

Rechtsetzung dient dazu, Probleme offen zu legen und politische Diskussionen über
deren Lösung zu ermöglichen. Die Auseinandersetzung soll zu einer Annäherung der
Standpunkte und damit zu einer möglichst grossen Zustimmung führen. So sollen sich
neu stellende Probleme (Beispiel Kampfhunde, Migration) offen adressiert werden
                                                                                                               
2
REICH MARKUS, Steuerrecht, Zürich 2009, § 2 N 4 f.
können, die verschiedenen Parteien die Möglichkeit erhalten sich zu äussern und damit
begonnen werden, eine Konsenslösung zu erarbeiten, mit welcher beide Parteien leben
können. Die Auseinandersetzung soll zu einer Annäherung der Standpunkte und damit
zu einer möglichst grossen Zustimmung führen.

Je stärker der Konsens ins Zentrum des Interesses rückt desto höher das Risiko, dass
zwecks Zufriedenstellung aller Beteiligten sog. Formelkompromisse angestrebt werden.
Darunter versteht man Rechtsnormen, die sog offen und unbestimmt sind, dass sich
alle politischen Kräfte darauf einigen können. Die Rechtsetzung büsst durch sog.
Formelkompromisse an normativem Gehalt, Steuerungskraft und Effektivität ein. Die für
die Ausgestaltung der Rechtsverhältnisse massgeblichen Entscheidungen werden nicht
mehr vom Parlament oder ggf. vom Volk, sondern von der Exekutive getroffen. Beim
Erlass handelt es sich dann nicht mehr um ein Gesetz, sondern um eine Verordnung. Je
unbestimmter eine Norm ausformuliert wird bzw. je weniger eine Norm regelt, desto
mehr bedarf sie im Einzelfall der Präzisierung durch die Gerichtsbarkeit. Die Frage, was
eine Norm überhaupt erfasst und was nicht, wird dann durch den Richter und der durch
den vom Volk gewählten Gesetzgeber vorgenommen. Die demokratische Legitimation
schwindet. Je mehr das Rechtssetzungsverfahren entpolitisiert wird, desto weniger
kann es dazu dienen, die politische Auseinandersetzung und Konsensfindung zu
ermöglichen.

§ 4 Zum Verhältnis von Rechtssetzung und Rechtsanwendung

Die Rechtsanwendung bildet das Gegenstück zu in § 2 definitionsmässig umrissenen


Rechtssetzung. Ziel muss es sein, eine funktionsgerechte Verteilung der
Regelungsbefugnisse zwischen Rechtssetzung und Rechtsanwendung zu erreichen.
Sie ist situations-, nicht zukunftsbezogen. Sie regelt ein einmaliges, nicht
wiederholbares Geschehen. Bei der Rechtsanwendung geht es um das Durchhalten
und Sanktionieren von normativen Erwartungen, während man bei der Rechtssetzung
„lernt“, indem neue Programme (Normen) geschaffen oder bestehende an veränderte
Verhältnisse angepasst werden. Rechtsanwendung schliesst immer an Rechtssetzung
auf irgendeiner Erlassstufe an und ins insoweit subsidiärer Natur.

Diese allgemeine, etwas schematische Umschreibung des Verhältnisses zwischen


Rechtssetzung und Rechtsanwendung muss allerdings mit Blick auf verschiedene
Aspekte relativiert werden:

ð Die Antizipierung künftigen Geschehens ist nur beschränkt möglich. Je schneller


die Veränderung eines Themengebietes, desto schwieriger ist es, darin zu
legiferieren. Auch ist es generell schwierig präzise Voraussagen bzgl. der
Wirksamkeit gewisser Rechtssetzungsakte zu treffen

ð Sprachliche Unschärfen liegen in der Natur der Sache. Die Sprache kann das
normativ Mitgedachte nicht vollständig erfassen, d.h. dass die sprachlich
mitgeteilten Vorstellungen über ge- oder verbotenes Verhalten unterschiedlich
verstanden werden können. Auch spielt dabei der Kontext, innerhalb welchen
die Norm zur Anwendung gelangt oder das Vorverständnis der Adressaten eine
entscheidende Rolle
ð Die Rechtsanwendung ist mehr schöpferischer Prozess im Einzelfall denn
mechanische Subsumtion. Eine einzige mögliche Lösung ergibt sich selten,
meist sind mehrere Ansätze denkbar. Durch die Rechtsetzung wird im Einzelfall
das Programm einer Rechtsnorm konkretisiert, vervollständigt oder ergänzt.
Auch kann die Gerichtsbarkeit einer Norm im Einzelfall die Anwendung versagen,
da sie nicht mit geltendem Verfassungsrecht vereinbar ist. Damit fliessen auch
Wertungen mit in die Beurteilung ein, wobei die Wertungen des (historischen)
Gesetzgebers der Ausgangspunkt sämtlicher Überlegungen bilden.

ð Es in jedem Entscheid im Einzelfall die präjudizielle Wirkung zu berücksichtigen,


weil aus Gründen der Rechtsgleichheit in gleichen oder ähnlichen Fällen die
Norm gleich ausgelegt und inbesondere das Ermessen gleich gehandhabt
werden muss. Gleiches muss, gemäss der bundesgerichtlichen Formel, nach
Massgabe seiner Gleichheit gleich, Ungleiches nach Massgabe seiner
Ungleichheit ungleich behandelt werden. Auf gleich gelagerte Fälle ist damit auch
das gleiche Ermessen anzuwenden.

Rechtssetzung und Rechtsanwendung sind miteinander eng verwandt, was eine strikte
Trennung der beiden Vorgänge sinnlos macht. In beiden Prozessen findet
Rechtsschöpfung, d.h. die eigenständige Konkretisierung, Bewertung und Entwicklung,
statt. Auch bei der Rechtsanwendung muss auf künftige Auswirkungen, auf die
präjudizielle Bedeutung wegen der Selbstbindung durch das Gebot der rechtsgleichen
Behandlung Rücksicht genommen werden.

Sowohl die Funktion der Rechtssetzung als auch die Funktion der Rechtsanwendung
dienen der Rechtsverwirklichung. Beide sind aufeinander bezogen und beide können
ihre je eigene Erfüllung erst erlangen, wenn ihre Verknüpfung methodisch und faktisch
dauernd stattfindet.

Rechtssetzung und Rechtsanwendung mögen sich oft überschneiden, doch ist die
Unterscheidung mit Blick darauf, in welcher Form eine Regelung ergehen soll, von
grosser Relevanz. Ob eine Problematik generell-abstrakt in Formen der Rechtssetzung,
d.h. als Rechtsnorm unabhängig welcher Normstufe oder individuell-konkret im
Rahmen eines Rechtsanwendungsaktes (Verfügung einer Behörde, Entscheid eines
Gerichts) zu regeln ist, ist von zentraler Bedeutung.

Wann soll die Rechtsnorm offen sein, mit unbestimmten Begriffen, Generalklauseln oder
Ermessensermächtigungen arbeiten und wann soll die Rechtsnorm detailliert, bestimmt
und möglichst konkret regeln und dem Rechtsanwendungsorgan wenig Spielraum für
den Entscheid im Einzelfall lassen?

Folgende Kriterien können bei der Erörterung dieser Frage herangezogen werden:

ð Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit


ð Schaffung von Orientierungssicherheit
ð Gewährleistung von Realisierungsgewissheit
ð Anwendung auf gleiche Fälle über längere Zeit hinweg an verschiedenen Orten
Sollen solche Ziele verfolgt werden ist eine Lösung durch den Rechtssetzer ins Auge zu
fassen. Anders sieht es aus, wenn die folgenden Ziele erreicht werden sollen:

ð Billige Lösung im Einzelfall


ð Einzelfallgerechtigkeit

Dann soll die Rechtsnorm offen und unbestimmt sein, damit die anwendenden Organe
Spielraum und Gestaltungsfreiheit im Einzelfall haben. Der Gesetzgeber darf den
rechtsanwendenden Behörden durch eine unbestimmte Formulierung der Rechtsnorm
jedoch keine Entscheidungen übertragen, für die wegen ihrer Wichtigkeit eine hohe
demokratische Legitimation notwendig ist. Es gelten die Schranken des Legalitäts-
prinzips. Was aufgrund seiner Wichtigkeit ins Gesetz gehört kann nicht an den
Rechtsanwender delegiert werden. Das Legalitätsprinzip, insbesondere der Vorbehalt
des Gesetzes für schwerwiegende Grundrechtseinschränkungen, stellen
Mindestanforderungen an die Bestimmtheit von Rechtsnormen. Die Funktion der
demokratischen Legimitierung kann nur die Rechtssetzung, nicht die Rechtsanwendung
erfüllen.

Vgl. dazu die Ausführungen


bei MÜLLER, N 39 ff.
BV

Mit Blick auf die Totalrevision der BV kommt dieses Wechselspiel zwischen Rechts-
setzung und Rechtsanwendung besonders zu Vorschein. Die in BV 29 ff. verbrieften
Rechte im Verfahren vor Gerichten und Verwaltungsbehörden haben ihren Ursprung in
der bundesgerichtlichen Praxis. In seiner „schöpferischen“ Rechtsprechung entwickelte
das Bundesgericht die Verfahrensprinzipien, präzisierte und verfeinerte sie über die
Jahre hinweg und machte sie zum ungeschriebenen Verfassungsrecht. Mit der
vollständigen Revision der BV fanden diese Grundsätze Eingang in die Verfassung. Sie
wurden mithin von ungeschriebenem zu geschriebenem Verfassungsrecht. Hier war es
der Rechtsanwender der die Richtung für eine spätere Revision der Verfassung mit
Blick auf die Verfahrensrechte vorgespurt hat und der Rechtssetzer, welcher aufbauend
auf die vom Rechtsanwender entwickelte Praxis die Arbeit auf Verfassungsebene zu
Ende führte.3
                                                                                                               
3
Für eine kurze Darstellung dieser Entwicklung vgl. HÄFELIN ULRICH/HALLER WALTER/KELLER HELEN,
Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 7. Auflage, Zürich 2008, N 827 ff.
§ 5 Die Rolle der Rechtssetzung im Zusammenspiel mit anderen Staats-
funktionen

Wie umrissen ist der Prozess der Rechtssetzung nur im Gesamtzusammenhang


anderer Staatsfunktionen anzusehen. Rechtssetzung ohne Rechtsanwendung ergibt
keinen Sinn. Es würde sich um einen rein theoretischen Vorgang am Reissbrett
handeln, innerhalb dessen keine Überprüfung auf die Praktikabilität und Umsetzbarkeit
der Normen stattfinden könnte. Ob und was eine Regelung bewirkt, zeigt sich denn
auch häufig erst bei ihrer Anwendung.

Nebst stringentem Rechtssetzungsprozess und angemessener Rechtsanwendung


spielt für die erfolgreiche Umsetzung von Normen auch die politische Planung eine
grosse Rolle. Diese liefert oft erst die Grundlagen für eine rationale, in einer bestimmten
Phase realisierbare Rechtssetzung. Auch wird die Lenkung von Staat und Gesellschaft
wesentlich durch die Finanzordnung determiniert.

Die Rechtsanwendungsorgane sind dazu geeignet, praktikable Lösungen für Probleme


zu finden, die zum voraus nicht oder nicht richtig erkannt und geregelt werden können
und Einzelfallgerechtigkeit zu gewähren, d.h. unter Berücksichtigung der konkreten
Umstände, aber im Blick auf die präjudiziellen Wirkungen zu entscheiden.

Auch hängt die Wirksamkeit einer Rechtsnorm wesentlich dadurch ab, ob und wie sie
im Einzelfall angewendet wird. Dies hängt z.B. davon ab, ob die erforderlichen
finanziellen und personellen Mittel für den Vollzug zur Verfügung stehen, ob die Norm
vollzugstauglich und die rechtsanwendende Behörde vollzugswillig ist.

The Wall Street Journal, 29.7.2012 (Online-Ausgabe)

Viele Probleme der Rechtssetzung sind auf Überforderung zurückzuführen, d.h. darauf,
dass man Aufgaben mit dem Erlass von Rechtsnormen zu bewältigen versucht, obwohl
sich dieses Instrument oder Verfahren dazu nicht eignet.

Der Lenkungs-, Leistungs,- und Gewährleistungsstaat kann seine Aufgaben nur erfüllen,
wenn er die verschiedenen Staatsfunktionen richtig kombiniert, wobei dazu der Anteil
der Rechtssetzung und ihr Verhältnis zur Rechtsanwendung und zu den anderen
Staatstätigkeiten in jedem Regelungsbereich zu bestimmen ist. (funktionsgerecht,
materienspezifisch)
§ 6 Rechtssetzung durch Private – Gesteuerte Selbstregulierung

Begriff der Selbstregulierung

Die Selbstregulierung stellt eine Art der Rechtssetzung durch Private dar. Vorab ist die
Begrifflichkeit zu umreissen, welche im Zusammenhang mit Selbstregulierung gebraucht
wird. Wo private Akteure ohne staatliche Einwirkung für ihre gesamte Branche bindende
Verhaltensregelungen schaffen und durchsetzen, wird von (reiner) „Selbstregulierung“
gesprochen. Es handelt sich um privatrechtliche Normierungen in der Form von
Verträgen, Statuten oder Beschlüssen von privatrechtlichen Organisationen.

Im Rahmen der Veranstaltung „Rechtssetzungslehre“ ist die „gesteuerte Selbst-


regulierung“ von Interesse. Sie stellt eine spezielle Form der staatlichen Regelung dar
und ist deshalb öffentlich-rechtlicher Natur. Von gesteuerter Selbstregulierung ist die
Rede, wenn staatliche Akteure die Regelung durch Private – Wirtschaftsverbände,
Fachvereinigungen und ähnliche Organisationen – veranlassen, fördern oder mit ihnen
aushandeln. Diese Art der Rechtssetzung durch Private bedeutet nicht etwa eine mit
einem Aufgabenverzicht einhergehende Privatisierung der Gesetzgebung. Gesteuerte
Selbstregulierung ist eine Form zwischen ausschliesslich staatlicher Gesetzgebung und
Selbstregulierung. Die grundsätzliche Frage nach der Zulässigkeit der Übertragung von
Rechtssetzungsaufgaben an Private ist strittig.4

Formen der Selbstregulierung

Folgende Formen der Selbstregulierung kommen in der Rechtssetzungspraxis vor.

ð Selbstregulierung im Rahmen der Auslagerungen von Staatsaufgaben


ð Staatliche Förderung der Selbstregulierung
ð Übernahme privater Normen in das staatliche Recht

Selbstregulierung im Rahmen der Auslagerungen von Staatsaufgaben

Auslagerung von Staatsaufgaben an Private im Sinne einer Betrauung Privater mit


staatlicher Aufgabenerfüllung, kann den Erlass der für die Erfüllung notwendigen Nor-
men einschliessen. Die Privaten sind verpflichtet, die ihnen übertragene Aufgabe
auszuführen und unterstehen behördlicher Aufsicht.

BEHG

                                                                                                               
4
Zur Frage der Zulässigkeit gesteuerter Selbstregulierung eingehend MÜLLER, N 39 ff. Die mit der
gesteuerten Selbstregulierung verbindende Delegation von staatlichen Gesetzgebungsbefugnissen an
Private ist nur in engen Grenzen zulässig. Die Übertragung von Rechtssetzungsaufgaben an private Ak-
teure darf nicht dazu führen, dass die Rechtsmittel der Bürgerinnen und Bürger gefährdet werden. Die
einzelnen rechtlichen Anforderungen sind je nach Inhalt und Form der gesteuerten Selbstregulierung zu
konkretisieren.
Die Börsen haben durch ihre internen Reglemente und ihre Organisation die Erfüllung
der gesetzlichen Pflichten zu gewährleisten. Eine ausreichende Selbstregulierung ist
Voraussetzung der Bewilligung des Betriebs durch die Aufsichtsbehörde, welche die
Reglemente und deren Änderungen genehmigten muss. (Art. 3 ff. BEHG)

EnG

Art. 17 Abs. 1 EnG ermächtigt den Bundesrat, privaten Organisationen Aufgaben zu


übertragen, namentlich die Vereinbarung von Angaben des Energieverbrauchs von
Anlagen, Fahrzeugen und Geräten, von energietechnischen Prüfverfahren, von
Verbrauchs-Zielwerten für Anlagen, Fahrzeuge und Geräte, von Förderungs-
programmen und von Zielen für die Entwicklung des Energieverbrauchs von
Grossverbrauchern.

EnG

Art 18 EnG schreibt vor, unter welchen Voraussetzungen die Aufgaben übertragen
werden dürfen und wie die privaten Organisationen zu beaufsichtigen sind.
GwG

Das GwG regelt in Art. 24 ff. die Selbstregulierungsorganisation der Finanzintermediäre


i.S.v. Art. 2 GwG. Um als Selbstregulierungsorganisation anerkannt zu werden, müssen
sie ein Reglement erlassen. Das Reglement muss die im Gesetz vorgesehenen
Sorgfaltspflichten für die angeschlossenen Finanzintermediäre konkretisieren und
festlegen, wie diese zu erfüllen sind. Es hat zudem zu regeln, welches die Voraus-
setzungen für An- und Abschluss der Finanzintermediäre sind und wie die Einhaltung
der Sorgfaltspflichten kontrolliert werden.

GwG

Darüber hinaus sind geeignete Sanktionen festzulegen (Art. 25 GwG).


GwG

Die Selbstregulierungsorganisationen müssen staatlichen Kontroll- bzw. Meldestellen


Anzeigen, Meldungen und regelmässige Tätigkeitsberichte erstatten (Art. 27 GwG).

BBG

Das BBG bezeichnet die Berufsbildung als eine gemeinsame Aufgabe von Bund,
Kantonen und Organisationen der Arbeitswelt (...) Die Zulassungsbedinungen,
Lerninhalte, Qualifikationsverfahren, Ausweise und Titel für Formen der höheren
Berufsbildung sind von den zuständigen Organisationen der Arbeitswelt zu regeln.
BBG

Die erlassenen Vorschriften unterliegen der Genehmigung durch das Bundesamt und
werden im Bundesblatt veröffentlicht. (Art. 28 Abs. 2 u. 3 BBG)

Staatliche Förderung der Selbstregulierung

Durch gezielte Anreize kann die Selbstregulierung gefördert werden. Die Anreize können
finanzieller Art sein oder es wird die Übernahme privater Selbstregulierung ins
Verordnungsrecht in Aussicht gestellt. Auch die Androhung subsidiärer staatlicher
Regelung für den Fall, dass die gewünschte Selbstregulierung ausbleibt, gehört noch
zur Förderung der Selbstregulierung.

LwG
USG

EnG

FiG
KIG

Übernahme privater Normen in das staatliche Recht

Der Staat kann die von Privaten erarbeiteten Regelungen als verbindlich erklären (GAV,
Rahmenmietverträge) oder im staatlichen Recht darauf verweisen. Eine andere
Möglichkeit besteht darin, die Staatsorgane, welche Ausführungsvorschriften zum
Gesetz erlassen haben, zu verpflichten, die privaten Regulierungen vorher zu prüfen und
diese, soweit sie geeignet sind, in die Ausführungsgesetzgebung zu übernehmen.

BauPG
THG

USG

LwG

Gelegentlich werden in einem Regelungsbereich Selbstregulierungen, die sich nicht


bewährt haben, durch staatliche Regelungen abgelöst, denen damit später wieder ge-
steuerte Selbstregulierung folgt.

Risiken gesteuerter Selbstregulierung

Der gesteuerten Selbstregulierung fehlt es v.a. an demokratischer Legitimation.


Wichtige Regelungen müssen nach wie vor im Gesetzgebungsverfahren erlassen
werden. Das Gesetz muss auch durch entsprechende Vorgaben die Wahrung der
öffentlichen Interessen gewährleisten. Auch ist die Art des Zustandekommens wenig
transparent, so dass nicht ersichtlich ist, wer daran in welcher Weise mitgewirkt hat.
Schliesslich kann es Probleme mit dem Rechtsschutz geben. Damit gesteuerte
Selbstregulierung funktionieren kann, müssen die Privaten in der Lage sein, Regelungen
aufzustellen. (Fachwissen, Rechtssetzungswissen, etc.) 5

                                                                                                               
5
Zu den Chancen gesteuerter Selbstregulierung, vgl. MÜLLER, N 45 f.
§ 7 Methode, Verfahren und Technik der Rechtssetzung

Rechtssetzungsmethode

Die Methode ist die richtige Art des Vorgehens, um zu einem Ziel zu gelangen, wobei
das Ziel die richtige, gute, gerechte oder faire Rechtsnorm darstellt. Die Methode der
Rechtssetzung soll aufzeigen, auf welchem Weg, mit welchen Schritten, in welchen
Etappen oder Phasen man es erreichen kann, und welche Prinzipien, Kriterien,
Massstäbe und Gesichtspunkte dabei zu beachten sind.

Methodisch ist das Vorgehen nur, wenn es überprüfbaren Regeln folgt, d.h. einen
rationalen, nachvollziehbaren Prozess darstellt. Die Aufgliederung dieses Prozesses in
bestimmte Phasen ermöglicht es, das Risiko von Fehlbeurteilungen6 zu verringern und
Transparenz als Voraussetzung für die Nachvollziehbarkeit und damit für die Kritik der
Entscheidfindung zu schaffen.

Soweit Rechtssetzung Konkretisierung übergeordneten Rechts ist, nähert sie sich der
Rechtsanwendung an. Das übergeordnete Recht begrenzt den Gestaltungsspielraum
für die konkretisierende Rechtssetzung. Es kann die Entwicklung von Konzepten der
Rechtssetzung mit Lösungsvarianten für die Zielverwirklichung stark beeinflussen.
Schon das internationale Recht enthält immer mehr und immer detailliertere Vorgaben
für die Gesetzgebung in Bund und Kantonen. Es verpflichtet sie zum Erlass neuer oder
zur Änderung bestehender Gesetze. Die Verfassung enthält ebenfalls Vorgaben für die
Rechtssetzung. (vgl. insb. Art. 164 BV)7

Methode der Rechtssetzung zwischen Verfassungs- und Rationalitätsgebot

Die Methode der Rechtssetzung führt nur dann zur „richtigen“ Norm, wenn sie
gewährleistet, dass diese mit dem übergeordneten Recht übereinstimmt. Gesetzes
müssen der Verfassung, Verordnungen dem Gesetz entsprechen. Ein rationales
Vorgehen in systematischen Schritten, insbesondere eine systematische Abklärung des
Ist-Zustandes (Tatsachenfeststellung), eine umfassende Abwägung der auf dem Spiel
stehenden Interessen, die Prüfung verschiedener Möglichkeiten der Zielerreichung
(Varianten) sowie die Evaluation ihrer Wirkungen, trägt zur Verwirklichung des
übergeordneten Rechts bei. Eine ungenügende Prognose der Entwicklungen bzw.
Wirkungen, eine mangelhafte Interessenabwägung oder eine falsche Wahl der Mittel
kann zur Folge haben, dass die Norm gegen die Verfassung, z.B. gegen das
Verhältnismässigkeitsprinzip, das Rechtsgleichheitsgebot oder das Willkürverbot,
verstösst.

Rechtssetzung ist kein blosser Vollzug des übergeordneten Rechts. Das gilt
uneingeschränkt für die Gesetzgebung, welche die Verfassung als Rahmenrdnung und
Auftrag beachten muss, der aber die Verfassung auch eine eigenständige
Gestaltungsbefugnis zuerkennt. Die Gesetzgebung ist insoweit Konkretisierung der
Verfassung, als sie deren zum Teil gegensätzliche Ziele, Wertungen und Aufträge zu

                                                                                                               
6
Z.B. durch ungenügende Abklärung oder Berücksichtigung der Realien, falsche Gewichtung von
Interessen oder Wahl ungeeigneter Regelungsinstrumente.
7
Ausführungen bzgl. Deutschland und USA vgl. MÜLLER, N 56 ff.
verwirklichen sucht. Verordnungen können dagegen auch dem Vollzug von Gesetzen
dienen, was nicht heisst, dass die zuständigen Behörden beim Erlass derartiger
Verordnungen gar keinen Gestaltungsspielraum besitzen, sondern nur, dass der Inhalt
der Verordnung durch das Gesetz weitgehend umschrieben wird.

Soweit die Rechtssetzung eigenständige Gestaltung darstellt, ist ihre Methode nicht
durch die Verfassung vorgegeben. Das Ergebnis des Rechtssetzungsprozesses darf
allerdings der Verfassung nicht widersprechen. Gravierende methodische Mängel der
Rechtssetzung sind häufig Ursache für Verstösse gegen die Verfassung.

Rechtssetzungsverfahren

Als Rechtssetzugsverfahren bezeichnen wir den Ablauf des Entscheidungsprozesses, in


welchem Rechtsnormen erzeugt werden. Die Regelung des Rechtssetzungsverfahrens
muss festlegen, welche Organe den Anstoss für den Erlass neuer Rechtsnormen geben
(Aufträge, Initiativen), Entwürfe ausarbeiten, sich dazu äussern können (Mitberichte,
Vernehmlassungen), über die Entwürfe beraten und Beschluss fassen.

Zwischen der Rechtssetzungsmethode und dem Rechtssetzungsverfahren besteht ein


enger Zusammenhang: Das Vorgehen kann nur dann richtig sein, d.h. zu einer „guten“
Regelung führen, wenn die Organe, die gewisse Fragen zu beurteilen und Entscheide
zu fällen haben, über den entsprechenden Sachverstand und die notwendige politische
Legitimation verfügen.8 Die Qualität der Methode ist also von der Ausgestaltung des
Verfahrens abhängig. Es kommt darauf an, dass das geeignete Organ zum richtigen
Zeitpunkt den Rechtssetzungsauftrag erteilt, den Entwurf formuliert, ihn den
interessierten Kreisen unterbreitet, deren Stellungnahmen auswertet, die Beratungen
vorbereitet etc.

Umgekehrt lässt sich sagen, dass das Rechtssetzungsverfahren sich nach der Methode
richtet, d.h. ei systematisches Vorgehen ermöglichen und Entscheidungen durch
Organe vorsehen soll, die für diese Aufgabe fachlich und politisch qualifiziert sind.
Methode und Verfahren der Rechtssetzung beeinflussen sich also gegenseitig.

Rechtsetzungstechnik

Unter Rechtssetzungstechnik verstehen wir die Anwendung des Instrumentariums zur


äusseren Gestaltung von Rechtsnormen. Es geht dabei um die Art und Weise, wie der
Inhalt von Normen kommuniziert wird. Sie umfasst Regeln über Aufbau, Sprache und
Form von Erlassen sowie über besondere Regelungstechniken

ð Zweckartikel
ð Umschreibung des Geltungsbereichs
ð Legaldefinitionen
ð Verweisungen
ð Vermutungen
ð Fiktionen

                                                                                                               
8
Zum Problem der (fehlenden) politischen Legitimation bei der gesteuerten Selbstregulierung, vgl. § 6.
Die Rechtssetzungstechnik hat keinen bloss formalen Charakter. Verschiedene Prin-
zipien der Normgestaltung ergeben sich aus der Verfassung, so etwa die Form der
Erlasse oder die Anforderungen an die Bestimmtheit der Normen.

Die Missachtung der Rechtssetzungstechnik kann zur Verfassungswidrigkeit eines


Erlasses führen, z.B. wegen Verstoss gegen das Verhältnismässigkeitsgebot bei
fehlender Notwendigkeit oder Praktikabilität oder gegen das Willkürverbot bei inneren
Widersprüchen.

Methode, Verfahren und Technik: Zusammenhänge und Abgrenzungen

Inhalt und Form der Erlasse, Methode, Verfahren und Technik der Rechtssetzung
hängen zusammen und sind aufeinander bezogen, müssen aber trotzdem voneinander
unterschieden werden.

Für die Systematik, Rechtform, Formulierung, Veröffentlichung und andere „technische“


Fragen bei der Ausarbeitung von Erlassen spielt deren Inhalt eine Rolle; die Sprache
hängt von den Adressaten ab, das Verfahren von der Form und vom Inhalt bzw. dessen
Wichtigkeit. Eine gute Technik – klarer Aufbau, verständliche Sprache, angemessene
Dichte und Bestimmtheit der Normierung – verbessert die Chance der Wirksamkeit der
Rechtsnormen.

§ 10 Erteilung des Auftrags, Federführung und Verantwortung

Jedes Rechtssetzungsverfahren sollte auf einem förmlichen Auftrag beruhen. Die


Erteilung des Auftrags ist Sache der Regierung oder eines Regierungsmitgliedes, weil es
sich dabei um einen politischen Akt handelt. Anders verhält es sich beim Verfahren der
parlamentarischen Initiative 9 , welche dem Parlament die Möglichkeit gibt, seine Zu-
ständigkeiten in der Rechtssetzung wahrzunehmen, ohne dass die Regierung
entscheidenden Einfluss nehmen kann. Der Auftrag legt die Ziele, die mit dem Erlass
erreicht werden sollen, sowie die Organisation der Rechtsetzungsarbeiten fest. Er wird
meist von der zuständigen Verwaltungsstelle entworfen, die mit den Vorarbeiten
beauftragt wird oder daran beteiligt ist. Erweist sich der Auftrag im Verlaufe der
Ausarbeitung der Entwürfe als unzutreffend und ungenau, so ist der Auftraggeber um
einen Entscheid über die Korrektur oder Präzisierung anzugehen.

Mit der Federführung wird diejenige Verwaltungseinheit beauftragt, die mit der zu
regelnden Materie am besten vertraut ist, d.h. von ihren Aufgaben her am meisten
Sachverstand einbringen kann. Dies ist zentral, zumal bereits die Formulierung des
Auftrags Fachwissen und Erfahrung voraussetzt. Im Rahmen der parlamentarischen
parlamentarischen Initiative übernimmt die zuständige parlamentarische Kommission
die Federführung bei der Erarbeitung eines Erlassentwurfs, wobei diese i.d.R. auf die
Unterstützung der Verwaltung angewiesen ist.

Der Auftrag für ein konkretes Rechtssetzungsprojekt wird von der Regierung oder
einem Regierungsmitglied erteilt. Dessen Umschreibung wird von der
                                                                                                               
9
Das Verfahren der parlamentarischen Initiative wird in § 13 näher beschrieben. Für eine einführende
Darstellung der parlamentarischen Initiative vgl. HÄFELIN/HALLER/KELLER, N 1597 f.
Verwaltungseinheit vorbereitet, die anschliessend auch die Federführung bei der
Erfüllung des Auftrags übernimmt. Es ist offensichtlich, dass die Verwaltung Inhalt und
Form der Rechtssetzung entscheidend mitbestimmt. Aufgrund ihrer Sachkunde und
Erfahrung, ihrer Professionalität und ihrer Ressourcen kommt ihr bei der Steuerung des
Rechtssetzungsprozesses, aber auch bei der Ausgestaltung der Erlasse eine
dominierende Rolle zu. Das Parlament muss sich beim Wesentlichen mit der politischen
Kontrolle des „Produkts“ begnügen; das Volk hat allenfalls noch ein Vetorecht
gegenüber dem parlamentarischen Kontrollentscheid.

MÜLLER fordert ein verstärktes Engagement des Regierungskollegiums als Ganzes.


Seiner Ansicht nach müssten Regierungen politisch die Hauptverantwortung im Bereich
der Rechtssetzung tragen. Dies auch wenn bei Gesetzesvorlagen das Parlament noch
Korrekturen vornehmen oder die Vorlage zurückweisen kann und für diese ebenso wie
für die politische Gesamtbeurteilung verantwortlich ist.

§ 11 Informationsbeschaffung und -verarbeitung

Bei der komplexen Aufgabe von Informationsbeschaffung und –verarbeitung geht es


zunächst um die Sammlung und Organisation von Daten und Informationen zum Ist-
Zustand des zu normierenden Gegenstandes. Ebenso wichtig ist aber auch die
Erforschung der möglichen Auswirkungen, welche der Erlass zeitigen könnte und auch
der Frage, ob diese möglichen Auswirkungen mit den geplanten Zielen in Einklang
stehen.10 Solche ex ante-Evaluationen sind sehr anspruchsvoll, weswegen der Beizug
von Fachleuten meist unerlässlich ist.

Viele Mängel der Rechtssetzung sind auf eine unzureichende Abklärung des Ist-
Zustandes und der wahrscheinlichen Auswirkungen der geplanten Normierungen
zurückzuführen. Die Verwaltungsbehörden verfügen oft nicht über genügend Mittel und
noch häufiger über zu wenig Zeit, um die notwendigen Informationen zu beschaffen und
so aufzubereiten, dass sie bei der Konzeption und bei der Redaktion eines Erlasses
ausreichend berücksichtigt werden können.

Andere Informationsprobleme stellet sich, wenn zu einer Volksinitiative in sachlicher und


offener Art getan muss und unter Einsatz verhältnismässiger Mittel geschehen muss.
Die Information der Öffentlichkeit über ein wichtiges Gesetzgebungsprojekt sollte
frühzeitig einsetzen und kontinuierlich erfolgen. Schon die Zielsetzungen und das
Normkonzept sind vorzustellen. Auch über wichtige Zwischenentscheide oder
Änderungen sollte berichtet werden.

§ 12 Das Redaktionsorgan

Als Redaktor11 kommen Angehörige der Verwaltung oder aussenstehende Fachleute in


Frage. Der Beizug externer Fachleute bezweckt, zusätzliches Fachwissen einzubringen
und die Unabhängigkeit der Redaktion zu gewährleisten. Parlamente und Regierungen
                                                                                                               
10
Vgl. dazu das Beispiel zur ex ante-Evaluation bzgl. eines Rechtssetzungsprojekts zur Sterbehilfe.
11
Singular. Das Redigieren „im Team“ hat sich weder bei der Totalrevision der BV noch beim neuen
Planungs- und Baugesetz des Kantons Zürich bewährt. In beiden Fällen mussten die einzelnen Teile der
verschiedenen Teams von einer Person (und deren Stab) aufeinander abgestimmt werden. Eine Tätigkeit,
die sich bei einem Redaktor offensichtlich erübrigt hätte. Vgl. dazu MÜLLER, FN 829.
sind oft eher bereit, Erlassentwürfen zuzustimmen, wenn sie von verwaltungs-
unabhängigen Experten verfasst worden sind, als wenn sie aus der Verwaltung
stammen. Der Redaktor muss die Möglichkeit haben ab Beginn des Rechtssetzungs-
projekts mit den sachkundigen Fachleuten Rücksprache zu halten.

Die Einsetzung einer Expertenkommission ist ebenfalls denkbar. Die Mitglieder können
die Umsetzbarkeit und die politische Akzeptanz der Entwürfe beurteilen und
beeinflussen im Allgemeinen Inhalt und Gestaltung der Regelungen wesentlich.12

Es lohnt sich mithilfe der Expertenkommission die politische Tragbarkeit frühzeitig zu


teste und die Betroffenen in den Willensbildungsprozess einzubeziehen, um die
Chancen der Durchsetzbarkeit zu erhöhen. Kein Rechtssetzer kann Interesse an einem
Erlass haben, der in seiner Ausgestaltung von einer Mehrheit der Betroffenen nicht
akzeptiert oder gar ignoriert wird.

§ 13 Zusammenwirken von Parlament, Regierung und Verwaltung

Wie bereits an anderen Stellen dieser Zusammenfassung erwähnt, stellt ein „gutes“
Gesetz das Resultat einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen Parlament (und
dessen Kommissionen), der Regierung und der Verwaltung dar.

Erlasse, die der Zustimmung des Parlaments bedürfen, kommen durch eine
Kooperation von Legislative und Exekutive zu Stande. Den wichtigsten Beitrag leistet
dabei die Verwaltung, welche die § 11 dargestellten Schritte der Informations-
beschaffung und –verwaltung leitet. Die materiell tragende Phase der Gesetzgebung ist
die Präparation, die in der Hand der Exekutive liegt.

Die Aufgabe der Regierung ist nebst Mitwirkung an der Ausarbeitung des Regelungs-
konzepts v.a. auch die Änderungen an einer Gesetzesvorlage vorzunehmen, die sich
aufgrund der Ergebnisse von Konsultations-, Mitberichts- und Vernehmlassungs-
verfahren aufdrängen, um den für einen erfolgreichen Abschluss des
Gesetzgebungsverfahrens notwendigen Konsens der massgebenden politischen Kräfte
zu erzielen.

Das Parlament nimmt im Wesentlichen eine Überprüfung der ihm von der Regierung
vorgelegten Entwürfe auf ihre politische Richtigkeit vor. Anders als gemeinhin angenom-
men wird ist die Gesetzgebung keine originär-kreative Aufgabe des Parlaments,
sondern eine Kontrolle der von Regierung und Verwaltung geleisteten Vorarbeiten und
getroffenen Vorentscheidungen. In diesem Kontrollverfahren wirken Parlament,
Regierung und Verwaltung zusammen, wobei jedes Staatsorgan den Beitrag leistet, der
ihm nach seiner Funktion und Eignung zukommt.

Die Stärke des durch den Souverän gewählten Parlaments liegt dabei in der Beurteilung
der politischen Tragbarkeit einer Vorlage, nicht in der gestalterischen Detailarbeit an

                                                                                                               
12
Zu Kritikpunkten rund um die Ernennung der Mitglieder der Expertengruppe und der politischen
Färbung dieser Mitglieder, vgl. MÜLLER, N 408.
einzelnen Regelungen.13 Zu dieser Art der Mitwirkung an der Gesetzgebung ist das
Parlament geeignet; hier kann es seine höhere demokratische Legitimation, seine
breitere Repräsentanz und seine Öffentlichkeitsfunktion zum Tragen bringen; auf diese
Weise kann es den Verlust an Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gestaltung der
Einzelheiten einer Regelung nicht nur ausgleichen, sondern seine Position gegenüber
der Exekutive deutlich stärken.

Dieser etwas simplifizierte Darstellung des Parlaments widersprechen Erhebungen,


welche zeigen, dass die Bundesversammlung einen erheblichen Teil der bundes-
rätlichen Vorlagen verändert. Allerdings werden diese Umgestaltungen zum grössten
Teil in den vorberatenden Kommissionen vorgenommen. Kommissionsanträge haben
hohe Durchsetzungschancen, Änderungsanträge einzelner Parlamentsmitglieder oder
Fraktionen eher weniger.

Um Fehlkonzeptionen rund um das Normkonzept zu vermeiden sollte das Parlament


möglichst früh bereits Widerspruch einlegen können. Ein auf einem falschen
Normkonzept basierenden Entwurf lässt sich im Allgemeinen in der parlamentarischen
Beratung nicht mehr korrigieren. Es folgt ein (vermeidbarer) Nichteintretensentscheid.
Das Parlament würde dann zum Konzept Stellung nehmen bevor unter Verschleiss
wertvoller zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen Vorschläge ausgearbeitet
werden, die niemand will. Anstelle des Parlaments könnte auch die zuständige
Kommission über die Grundsatzfragen beschliessen. Dabei entfiele allerding die
Öffentlichkeit der Beratungen.

Ein solches Vorgehen hat aber den Nachteil, dass das Verfahren verkompliziert wird, die
Abgrenzung der Verantwortlichkeiten für die Vorbereitung eines Gesetzes und für die
Beschlussfassung darüber verwischt und der Spielraum der Regierung beim „Aus-
handeln“ konsensfähiger Lösungen mit den interessierten Organisationen eingeengt
werden.

Auch im Verfahren der in Art. 160 Abs. 1 BV und Art. 107 ff. ParlG geregelten
parlamentarischen Initiative setzt Gesetzgebung ein Zusammenwirken von Parlament,
Regierung und Verwaltung voraus, wobei die zuständige Parlamentskommission bei der
Erarbeitung des Erlassentwurfs federführend ist. Das Verfahren der parlamentarischen
Intitiative gibt dem Parlament die Möglichkeit, den nicht immer erwünschten Einfluss der
Exekutive einzuschränken. Dem Bundesrat wird aber ein Recht zur Stellungnahme
eingeräumt. Die parlamentarische Initiative war ursprünglich als Notventil für Fälle
konzipiert worden, in denen die Regierung ein Gesetzgebungsvorhaben nicht wie vom
Parlament gewünscht vorantreibt. Sie erhielt im Bund immer grössere praktische
Bedeutung, was auch auf Mängel der Ausgestaltung der Motion zurückzuführen war.

                                                                                                               
13
Vgl. aber die z.T. vom Fernsehen live übertragenen Sessionen, in denen im Plenarsaal durch das
Parlament einzelne Artikel und Absätze und deren Detailformulierungen durchbesprochen werden. Die
wirkliche Detailarbeit, der Feilschen um einzelne Bestimmungen findet aber hinter verschlossenen Türen
in den Kommissionen statt. Bei der Vorberatung durch die Kommissionen kommt es immer zu einer
intensiven Zusammenarbeit mit den Vertretern der Regierung und der Verwaltung.
§ 14 Die Bedeutung der Volksrechte

Verfassungen und Gesetze unterstehen in Bund, Kantonen und Gemeinden i.d.R. dem
obligatorischen oder fakultativen Referendum. Das Referendum ist ein Vetorecht des
Volkes, das eine Vorlage nur als Ganzes annehmen oder ablehnen, nicht aber ändern
kann. Jedenfalls das fakultative Referendum ist in erster Linie ein Instrument der
Opposition. Vor allem im Vorbereitungsverfahren, aber auch in der parlamentarischen
Beratung geht es darum, eine Vorlage „referendumsfest“ zu machen, d.h. eine Lösung
zu finden, welcher alle politischen Kräfte zustimmen, die in der Lage sind, ein
Referendum zustande zu bringen und eine Vorlage in der Volksabstimmung zu
gefährden.

Auch die Volksinitiative, d.h. das Begehren einer Anzahl Stimmberechtigter auf Erlass
oder Änderung von Regelungen auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe, ist kein
Instrument zur Beteiligung des Volkes am Rechtssetzungsprozess, sondern ein Mittel
von Minderheiten, um politische Anliegen, die im Konkordanzsystem von den
Repräsentanten nicht berücksichtig werden oder nicht durchgesetzt werden können,
direkt in den politischen Willensbildungsprozess einzubringen.

Volksinitiative „Rettet unser Schweizer Gold“ (Goldinitiative)

§ 8 Rechtssetzungsprozess

Der Rechtssetzungsprozess läuft in Phasen ab, in welchen gewisse Organe bestimmte


Beiträge zur Erzeugung von Rechtsnormen leisten. Im nachfolgenden Abschnitt soll
dargestellt werden, wie Entwürfe für Regelungen in „methodisch richtigen“ Schritten, in
einem sinnvoll ablaufenden Prozess erarbeitet werden.

I. Impulsgebung

Politische Impulse

Rechtssetzungsvorhaben werden oft durch politische Vorstösse oder Aufträge in Gang


gesetzt, mit welchen die Befriedigung von Schutz-, Leistungs-, oder Lenkungs-
bedürfnissen befriedigt werden sollen. Die politischen Impulse können die zu schaffende
Regelung in allgemeiner Weise umschreiben oder sie können als Anregung oder
Aufforderung für die Behörde wirken oder diese verpflichten, in einem bestimmten Sinne
zu legiferieren bzw. Entwürfe für Rechtsnormen vorzulegen.
Formalisierte politische Impulse wie Volksinitiativen, Standesinitiativen und parlamen-
tarische Vorstösse kommn in unterschiedlicher Intensität der Steuerung und Wirkung
vor. Informelle Anstösse durch politische Parteien, Verbände oder andere
Organsiationen sind i.d.R. offen formuliert und stets unverbindlich. Von grosser
Bedeutung sind in praxi Rechtssetzungsaufträge der Regierung oder ggf. eines
einzelnen Regierungsmitglieds.14

Auslösung von Rechtssetzungsprozessen durch übergeordnetes Recht

Das Völkerrecht, v.a. in Form von Staatsverträgen ist oft Anlass für Änderungen oder
Ergänzungen des Landesrechts. Es enthält immer mehr und immer detailliertere
Vorgaben für die Gesetzgebung in Bund und Kantonen. Ein grosser Teil des kantonalen
Rechts dient der Umsetzung von Bundesrecht; die Kantone haben in vielen Bereichen
auch die gesetzgeberischen Voraussetzungen für die Verwirklichung des Bundesrechts
zu schaffen. Für den Erlass von Rechtsnormen durch Gemeinden gegen viele Impulse
vom kantonalen Recht aus; es gibt wenig kommunales Recht, das sich nicht auf
kantonales Recht zurückführen lässt, wobei entsprechend der Vorgaben des
kantonalen Rechts der Autonomiebereich der Gemeinden grösser oder kleiner ist.

Auch in den Rechtsnormen selber sind Impulse für den Erlass anderer Rechtsnormen
auszumachen. Die Verfassung erteilt Gesetzgebungsaufträge; das Gesetz fordert
Konkretisierungen durch Verordnungen.

Die Rechtsnormen der verschiedenen Stufen stehen in einem Verhältnis der


zunehmenden Konkretisierung, wobei jede Stufe eigenständige Beiträge zur Regelung
der betreffenden Materie leistet; die höhere Stufe gibt Anstösse, Aufträge, setzt Ziele
und Grenzen, die untere ergänzt, füllt den Rahmen, schafft die Voraussetzungen für die
Erreichung der Ziele innerhalb der Vorgaben des höherstufigen Rechts.

Feststellung von Mängeln des geltenden Rechts als Anstoss für Änderungen

Verändern sich die tatsächlichen Verhältnisse oder die Rechtslage, so wird das geltende
Recht u.U. mangelhaft und muss der neuen Situation angepasst werden. Die
Verwaltungsorgane und Gerichte, d.h. die rechtsanwendenden Behörden, sind v.a.
geeignet und in der Lage, Mängel des geltenden Rechts festzustellen. Dasselbe gilt für
Ombudsstellen. Die heutige Rechtssetzung besteht zu einem wesentlichen Teil aus
Änderungen des geltenden Rechts zur Behebung von Mängeln, insbesondere auch zur
Anpassung an gewandelte Verhältnisse. Müller weist auf die Notwendigkeit hin,
Einrichtungen und Verfahren zu schaffen, um diese Mängel vollständig zu erfassen und
als Impulse für Änderungen an die richtige Stelle weiterzuleiten.

                                                                                                               
14
Zu Impulsen aus der Verwaltung, MÜLLER, N 76.
II. Aufnahme des Ist-Zustandes

Damit die Rechtsnormen ihre Ziele erreichen, d.h. die gewünschten Wirkungen entfalten
können, müssen diese Vorgegebenheiten analysiert, der Ist-Zustand erhoben werden.15

Es können vier Kategorien des Ist-Zustandes gebildet werden:

ð Tatsächliche Verhältnisse
ð Gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse u. techn. Entwicklungen
ð Bestehende Rechtsordnung
ð Politische Situation

Tatsächliche Verhältnisse

ð Naturgesetze
ð Menschliche Eigenschaften
ð Klimatische, geografische, geologische Situationen

Gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse u. techn. Entwicklungen

ð Gesellschaftliche Veränderungen
ð Wirtschaftliche Veränderungen

Bestehende Rechtsordnung

ð Status Quo bzgl. dessen, was in einer Gesellschaft als „richtig“ oder „gerecht“
angesehen oder empfunden wird. Entfernt sich neues Recht zu weit davon, so
verliert es die Akzeptanz, d.h. die Überzeugung der Rechtsunterworfenen von
der Richtigkeit der Regelung, womit die Bereitschaft zur freiwilligen Befolgung
und damit die Chancen der Durchsetzung des neuen Rechts schwinden.

ð Das neue Recht muss sich zudem in den Ist-Zustand harmonisch einfügen.
Deshalb muss ex ante abgeklärt werden, was bereits geregelt ist, wo es zu
Überschneidungen oder Widersprüchen mit dem geltenden Recht kommen
kann.
   
Politische Situation  

ð Es ist im Vorfeld der Lancierung eines Rechtssetzungsprojekts abzuklären, ob


dieses auch politisch realisierbar ist. Wurde eine Vorlage vom Volk soeben
abgelehnt, so erscheint eine Lancierung auf parlamentarischer Ebene zu diesem
Zeitpunkt nicht geschickt. Auch das allgemeine politische Sentiment aufgrund
von grösseren Entwicklungen und Verschiebungen kann einen Einfluss auf die
Durchsetzbarkeitschancen gewisser Rechtssetzungssetzungsprojekte haben.

ð Als mögliche Beispiele wären etwa eine Debatte zum Ausbau der
Stromversorgung durch Atomkraft kurz nach Fukushima oder eine verstärkte
                                                                                                               
15
Zur Aufnahme des Ist-Zustand nach Eugen Huber, vgl. MÜLLER, N 82.
Selbstregulierung des Bankensektors kurz nach dem Konkurs von Lehman
Brothers und der Rettung der UBS

Die sorgfältige Aufnahme des Ist-Zustandes zeigt auf, wo Gestaltungsspielräume für ein
neues Recht besteht, welche Grenzen zu beachten sind, was schon geregelt ist,
welche Möglichkeiten der Beeinflussung künftigen Geschehens in Frage kommen und
welche Mittel sich dazu eignen.

III. Präzisierung der Zielsetzungen

Eine sorgfältige Evaluation des Ist-Zustandes erlaubt die Überprüfung und genauere
Umschreibung der mit dem Rechtssetzungsprojekt verbundenen Zielsetzung. Dabei
stellt sich folgende Hauptfrage:

ð Kann das ursprüngliche Ziel angesichts der tatsächlichen Verhältnisse, der


bestehenden Rechtsordnung und politischen Situation erreicht werden?
ð Besteht überhaupt ein Regelungsbedürfnis i.S. einer genügend
grossen Diskrepanz zwischen Ist-Zustand und angestrebter neuer Ordnung?
ð Führen die in Aussicht genommenen Mittel zum Ziel oder sind andere Mittel evtl.
besser geeignet?

IV. Entwurf von Konzepten der Zielverwirklichung

Beim Konzept geht es darum, die Art und Weise der Zielverwirklichung in den
Grundzügen festzulegen. Das Konzept ist Voraussetzung einer in sich stimmigen,
wirkungsvollen und effizienten Regelung. Das Konzept zeigt, ggf. in Varianten, die
Möglichkeiten auf, um die Ziele unter Berücksichtigung des Ist-Zustandes zu erreichen.
Konzepte erlauben es, die Grundsatzfragen der Verwirklichung bestimmter Ziele durch
Rechtsnormen in ihrem Zusammenhang zu klären. Die Vor- und Nachteile ver-
schiedener Lösungen sollen dargestellt werden; die Wahl einer bestimmten Lösung ist
zu begründen.

Konzeptionelle Fragen betreffen sowohl den Inhalt wie die Gestaltung einer Regelung.
Inhaltliche Grundsatzentscheide können nur auf der Grundlage eines Normkonzeptes,
d.h. in Kenntnis der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten und ihrer Vor- und Nachteile,
beantwortet werden.16

Inhalt und Form korrelieren. Der Inhalt eines Erlasses wirkt sich auf die Form aus, wobei
umgekehrt die Form des Erlasses den Inhalt mitbestimmen kann. Inhaltliche und
formale Grundsatzfragen müssen deshalb im gleichen Konzept erklärt werden.
Gegenstand, Art, Stufe, Dichte, Bestimmtheit und Instrumente einer Regelung
beeinflussen sich ggs. und müssen deshalb im Rahmen eines Konzepts aufeinander
abgestimmt werden.

                                                                                                               
16
Zur grundsätzlichen Problematik der fehlenden Voraussehbarkeit der Konsequenzen einer Norm, vgl.
bereits oben.
Gesetzesfolgenabschätzung

Grosser Bedeutung kommt in dieser Phase der Erforschung der voraussichtlichen


Wirkungen einer Normierung, d.h. einer ex ante- oder prospektiven Gesetzesevaluation,
auch Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) genannt, zu. Darunter versteht man einen
Ansatz, der auf die methodische Ermittlung und Beurteilung der Wirkungen oder Folgen
der Gesetzgebung ausgerichtet ist. Die GFA versucht nebst hypothetischen Über-
legungen und Szenarien auch Alltagswissen und Verwaltungserfahrungen einzu-
beziehen, auszuwerten und zu nutzen.

Es wird, abhängig vom Stand der Legiferierung, zwischen prospektiver, begleitender


und retrospektiver GFA unterschieden.

BV

Unter der Überprüfung ist nebst der nachträglichen v.a. auch eine prospektive Analyse
der Auswirkungen gemeint.

ParlG

Ziel der prospektiven GFA ist die Entwicklung von Regelungsalternativen, deren
vergleichender Folgebeurteilung und der daraus zu ermittelnden optimalen Regelungs-
möglichkeit. Auch ist ausgehend von der Regelungsabsicht zu prüfen, ob eine
rechtliche Regelung zur Zielerreichung überhaupt notwendig ist oder ob eventuell Alter-
nativen zum Erlass eines Gesetzes bestehen. Wie oben erwähnt ist die Wahl des ge-
eigneten Handlungsinstruments von zentraler Bedeutung bzw. die unsachgemässe
Wahl des Handlungsinstruments oft der Beginn eines erfolglosen Regelungsversuchs.
Nicht immer ist etwa ein Gesetz der richtige Weg einer Problematik zu begegnen.

Trotz ungenauer Zukunftsszenarien und oft vagen Abschätzung bzgl. den Aus-
wirkungen und Konsequenzen zwingt die Methode der prospektiven Gesetzes-
evaluation zu einem Vorgehen, das die Erarbeitung eines in sich stimmigen Konzepts
zumindest erleichtert. Besonders wenn ein Rechtssetzungsvorhaben ein hohes
Veränderungspotenzial birgt, grosse Ungewissheit über deren Auswirkungen besteht,
erhebliche Vollzugskosten oder Kosten für Dritte erwarten lässt, irreversible Folgen
auslösen könnte oder sensible Bereiche berührt ist eine prospektive Gesetzesevaluation
von grosser Bedeutung.

Auch können Rechtsvergleichung und Rechtsgeschichte zu Inspirationsquellen und


Ideengebern werden. Wie überall so bieten auch in der Rechtssetzung Fehler und
Fehlentwicklungen aus vergangenen Tagen interessanten Anschauungsunterricht, aus
dem für ein anstehendes Rechtssetzungsvorhaben gelernt werden kann.

Inhaltliche Grundsatzfragen

Verschiedene Normkonzepte aus dem Kanton Aargau, vgl. MÜLLER, N 97.

Grundsatzfragen der Ausgestaltung

ð Abgrenzung des Regelungsgegenstands


ð Regelungsart
ð Regelungsdichte und –bestimmtheit
ð Instrument der Regelung
ð Regelungsstufe
ð Aufbau der Regelung: Total- oder Teilrevision
ð Organisation
ð Kosten
ð Zeitfaktor

Abgrenzung des Regelungsgegenstands

Die erste konzeptionelle Frage zur Ausgestaltung ist diejenige nach dem Gegenstand
einer Regelung.

ð Was soll Inhalt eines Erlasses oder der Änderung eines Erlasses sein?
ð Welche Materie soll erfasst werden?
ð Welche Regelungen gehören in einen anderen Erlass?
ð Was gehört in ein Dach- oder Grundlagengesetz?
ð Was gehört in einen Spezialerlass?
 
Es fragt sich im Rahmen der Ausarbeitung eines Normkonzepts, welche Materie
geregelt werden soll und wie diese ggf. sinnvoll aufgeteilt werden könnte. Die sinnvolle
Aufteilung kann dann bei der Gliederung des Erlasses hilfreich sein. MÜLLER fügt in N 98
mit einem kantonalen Schulgesetz ein interessantes Beispiel an:

(i) Die kantonale Schulgesetzgebung kann jede Schulstufe bzw. -art in einem eigenen Gesetz regeln.

(ii) Sie kann auch in einem Gesetz die für alle Schulstufen gemeinsam geltenden Normen i.S. eines
allgemeinen Teils zusammenfassen und nur die Besonderheiten der verschiedenen Schulstufen in
separaten Gesetzen festlegen.

(iii) Möglich ist ferner die Zusammenfassung in einem einzigen Gesetz, das in einem ersten Teil die
allgemeinen Bestimmungen und in den folgenden Teilen die Regelungen für die verschiedenen Schul-
stufen enthält.

Weitere Beispiele an gleicher Fundstelle.

Es wird oft mit allgemeinen und besonderen Teilen gearbeitet (AT u. BT). Im allgemeinen
Teil werden die grundsätzlichen, auf alle Konstellationen anwendbaren Regelungen
festgeschrieben, im besonderen Teil werden Normen bzgl. speziellerer Anwendungs-
fälle normiert, für die aber der allgemeine Teil grundsätzlich auch Anwendung findet,
sofern die näher spezifizierte Normen nichts näheres dazu regeln. So ist etwa das OR
mit einem AT und einem BT ausgestattet:

Art. 1-183 OR

Art. 184 ff. OR

Der AT enthält die grundsätzlichen Normen. So finden sich hier Bestimmungen bzgl.
des Zustandekommens eines Vertrags (Art. 1 ff. OR) oder solche über Willensmängel
(Art. 23 ff.), welche auf alle nachfolgenden ab Art. 184 ff. OR beschriebenen einzelnen
Vertragsverhältnisse grundsätzlich Anwendung finden.

Im Bereich des Sozialversicherungsrechts hat sich der Rechtssetzer dazu entschieden,


die Normierung wichtiger Grundsätze in einem Gesetz im Sinne eines Allgemeinen Teils
vorzunehmen und die einzelnen Kategorien von Sozialversicherungen (Alters- und
Hinterlassenenversicherung, Invaliden-, Kranken-, Unfall-, Militär-, Arbeitsversicherung
etc.) in Spezialgesetzen zu regeln.
Mit Blick auf die Gesetzessystematik hat der Bundesrat im Zusammenhang mit der
Regelung des öffentlichen Verkehrs folgendes festgehalten:

aus: Botschaft zur Bahnreform 2 v. 23. Februar 2005, BBl 2005, 2483.

Für die Abgrenzung des Regelungsgegenstandes sind v.a. zwei Kriterien massgebend:
ð Die neuen Normen sollen sich möglichst gut in die bestehende Rechtsordnung
einfügen. Die Abgrenzung ist so vorzunehmen, dass Zusammenhänge gewahrt
oder hergestellt und Widersprüche vermieden werden.
ð Die neuen Normen sollen möglichst leicht auffindbar und verständlich sein. Die
Adressaten einer Regelung suchen sie in einem bestimmten Zusammenhang; ihr
Inhalt wird oft erst in diesem Zusammenhang deutlich.

Zu prüfen ist, ob sich die Harmonie der Rechtsordnung besser wahren lässt, wenn
Normen, welche mehrere bestehende Erlasse ändern, in einem neuen Erlass
zusammengefasst werden, oder ob es aus der Sicht des Adressaten vorzuziehen ist,
die Änderungen jeweils im betreffenden Erlass vorzunehmen.

ð Wo wird einen neue Regelung eher gefunden?


ð Welche Art der Aufteilung (alles in ein Gesetz, mehrere Gesetze) ist adressaten-
gerecht?

Neben den beiden genannten Kriterien spielt auch das Prinzip der Einheit der Materie
eine Rolle, sofern es um Vorlagen geht, die der Volksabstimmung unterliegen. Das
Prinzip wird aus dem bundesverfassungsrechtlichen Anspruch auf unverfälschte
Willenskundgabe abgeleitet.17 Der Regelungsgegenstand sollte aber in erster Linie nach
den rationalen Kriterien der Rechtssetzungsmethode – harmonische Einfügung in die
bestehende Rechtsordnung, Auffindbarkeit und Verständlichkeit der Normen – und
allenfalls nach dem Grundsatz der Einheit der Materie abgegrenzt werden. Politische
Überlegungen sind nach Ansicht von MÜLLER (als Rechtssetzungstheoretiker) von
sekundärer Bedeutung.

Regelungsart

Dem Staat stehen verschiedene Möglichkeiten zur Programmierung künftigen Gesche-


hens durch Rechtsnormen zu.18

Unbefristete oder befristete Regelung – Rechtssetzung als Experiment

Eine Regelung kann für unbestimmte Zeit erlassen oder die Dauer der Gültigkeit zum
voraus befristet werden. Ersteres zielt auf eine stabile Ordnung ab, die Rechtssicherheit
gewährleisten und längerfristige Dispositionen der Betroffenen ermöglichen soll.
Letzteres kommt in Frage, wenn das Regelungsbedürfnis nur für bestimmte Zeit
besteht, oder wenn das für die Regelung zuständige Organ gezwungen werden soll, vor
Ablauf der Frist eine Erfolgskontrolle durchzuführen und je nach Ergebnis die Regelung
zu ändern, aufzuheben oder ihre Geltungsdauer zu verlängern. Eine begrenzte
Geltungsdauer ist ferner dann angezeigt, wenn mit einer neuen Regelung zuerst
Erfahrungen gesammelt werden sollen, weil ihre Wirkungen ungewiss sind oder wenn
noch keine konsensfähige Lösung gefunden werden konnte. Nachfolgend zur Veran-
schaulichung einige Beispiele aus der Rechtssetzungspraxis:

                                                                                                               
17
Näheres dazu bei MÜLLER, N 101.
18
Zur allgemeinen Schwierigkeit von Gesetzesfolgeabschätzungen (GFA) und zur beschränkten
Möglichkeit menschlicher Verhaltensweisen durch Gesetze bereits oben.
Allgemeine Medizinalprüfungsverordnung

AVIG

AVIG

Diese experimentelle Rechtssetzung gewinnt an Bedeutung, weil bei komplexen


Materien und rasch ändernden Verhältnissen Prognosen über die Effektivität der
Regelung sehr schwierig sind. Regelungsbedürfnisse und –möglichkeiten zeigen sich
häufig erst im konkreten Fall, so dass die Normierung aufgrund der praktischen
Erfahrungen erfolgen muss.

Auch sind gewisse Rechtssetzungsprojekte kurzfristiger Natur auf ein bestimmtes


Ereignis ausgerichtet, deren zeitlicher Horizont einigermassen abschätzbar ist, was
entsprechend eine zeitliche Begrenzung erlaubt. Zu denken ist etwa an die Verordnung
über die Rekapitalisierung der UBS:
Gemäss Art. 5 Abs. 2 UBS-VO gilt diese bis zu ihrer Ablösung durch ein Bundesgesetz,
längstens jedoch bis zur vollständigen Abwicklung der Transaktionen nach Art. 1 Abs. 2
desselben Erlasses. Die zeitliche Beschränkung des Erlasses wurde demnach nicht
datumsmässig festgelegt, sondern an die erfolgte Durchführung eines Transaktion
geknüpft.

Die Überprüfung der Wirksamkeit staatlicher Regelungen gehört zum Rechtssetzungs-


prozess. Sie soll derartige Verbesserungen durch Änderungen der Regelungen
bewirken, die sich als nicht oder zu wenig wirksam erweisen.

„Experimentelle“ Rechtssetzung hat stets zwischen klar definierten Leitplanken stattzu-


finden. Nur wenn die Unvorhersehbarkeit der tatsächlichen Entwicklung und der
Wirkungen staatlicher Regulierungen in einem bestimmten Gebiet so gross ist, dass ein
normaler Versuch, d.h. der Erlass von Normen mit der Möglichkeit der Korrektur
aufgrund nachträglicher Gesetzesevaluationen, nicht gewagt werden darf, rechtfertigt
sich ein befristetes Experiment. Ein solcher Versuch bedeutet allerdings eine
Einschränkung des rechtsstaatlich motivierten Erfordernisse des Rechtssatzes und des
Erfordernisses der Gesetzesform, das die Demokratie in der Rechtssetzung
gewährleistet. Diese Einschränkungen sind nur zu rechtfertigen, wenn und solange das
Experiment unerlässlich ist, um überhaupt eine den rechtsstaatlichen und demo-
kratischen Anforderungen entsprechende Regelung zu schaffen.

Nach MÜLLER mit dem Legalitätsprinzip nicht vereinbar wäre der Erlass von wichtigen
Bestimmungen in einer befristeten Verordnung als Übergangslösung, nur weil sich das
Gesetzgebungsverfahren verzögert. (UBS-VO?)
Zentrale und dezentrale Regulierung

Nebst Bundesstaaten stellt sich auch in Einheitsstaaten die Frage, welche Regelungs-
kompetenzen auf dezentralisierte Verwaltungseinheiten19 oder Trägern ausserhalb der
Verwaltung20 übertragen werden sollen. Kommt es auf die Kenntnis lokaler Verhältnisse,
Bürgernähe und Vertrautheit mit Vollzugsproblemen an, ist eine Dezentralisierung
vorzuziehen. Steht die Gleichbehandlung aller Betroffenen im Vordergrund oder ist
besonderes Fachwissen für eine Regelung erforderlich, so liegt eine Zentralisierung
nahe.

Konditionalprogramm, Finalprogramm oder gesteuerte Selbstregulierung21

Es wird zwischen Konditional-, Final- und Relationalprogrammen unterscheiden.


Konditionalprogramme sind nach dem „Wenn-dann-Schema“ aufgebaut („wenn“
bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, „dann“ tritt eine Rechtsfolge ein), Final-
programme dagegen legen nur das Ziel fest oder umschreiben einen Auftrag.

Relationalprogramme setzen den Rahmen für eine Selbstregulierung. In einzelnen


Rechtsgebieten ist es sinnvoll, Private im Rahmen von staatlichen Vorgaben mit dem
Erlass von Normen zu betrauen, insbesondere wenn es um die Regelung von
technischen Fragen geht, die besonderes Fachwissen erfordert. Der Staat muss aber
die wichtigen Regelungen selbst erlassen und gewährleisten, dass die Privaten die
Grundrechte und die öffentlichen Interessen wahren. Auch muss die Möglichkeit zur
umfassenden und hindernisfreien Informationsbeschaffung gewährleistet sein.

Regelungsdichte und Regelungsbestimmtheit

Auch gehört ein Grundsatzentscheid über Dichte und Bestimmtheit der Regelung zum
Konzept:

ð Soll der Erlass nur punktuelle Anordnungen treffen?


ð Soll der Erlass einzelne Fragen herausgreifen?
ð Soll der Erlass (lediglich) einen Rahmen setzen?
ð Soll der Erlass die Regelungsmaterie möglichst
vollständig und abschliessend erfassen?
ð Sollen die Normen unbestimmt formuliert sein?
ð Sollen die Normen bloss Ziele angeben und Aufträge erteilen?
ð Soll mit Generalklauseln oder unbestimmten Rechtsbegriffen gearbeitet
werden?
ð Wieviel Ermessen soll den rechtsanwendenden Behörden
eingeräumt werden?
ð Soll der Erlass Tatbestände und Rechtsfolgen möglichst präzis
umschreiben?
ð Sollen Voraussetzungen abschliessend oder exemplifizierend aufgelisteste
werden?
 
                                                                                                               
19
Vgl. etwa öffentlich-rechtliche Anstalten u. Körperschaften, insb. Gemeinden oder Stiftungen.
20
Vgl. Personen oder Organisationen des Privatrechts.
21
Bzgl. der gesteuerten Selbstregulierung vgl. bereit die Ausführungen in § 6.
 
Im Allgemeinen weisen Konditionalprogramme einen höheren Bestimmtheitsgrad auf als
Finalprogramme oder Relationalprogramme.

Zum Zusammenhang zwischen diesen drei Ansätzen und der Problematik der
Regelungsdichte und -bestimmtheit, vgl. MÜLLER, N 111 ff.

Der Rechtssetzer muss stets darauf bedacht sein, einen Mittelweg zwischen Detail-
lierung und offenen Strukturen zu finden. Überfrachtete, überlange Normen sind ebenso
wenig hilfreich wie zu allgemeine, unaussagekräftige und stark interpretationsbedürftige
Normen. Dreh- und Angelpunkt bildet die nachfolgend zu erörternde Adressaten-
gerechtheit. Je nach dem an wen sich eine Norm richtet kann auch die Detaillierung
und Komplexität einer Norm grösser oder weniger gross sein. Auch kann die zu
regelnden Materie die Komplexität einer Norm determinieren. Zu denken ist etwa an
stark technische Regelungsmaterien, deren Regelung ohne die entsprechenden
Fachbegriffe gar nicht auskommen kann.

Mit dem Lauf der Zeit und dem Fortschritt der Entwicklung in Gesellschaft, Wirtschaft,
Technik oder Wissenschaft sollte auch das Recht (so gut als möglich) angepasst
werden. Dazu sollte das geltende Recht von Zeit zu Zeit systematisch überprüft werden
mit dem Ziel, die Rechtssetzung zu verwesentlichen und zu flexibilisieren.

Für die Konzeption und Bestimmtheit einer Regelung kommt es primär auf das Ziel an,
das mit der in Frage stehenden Regelung verfolgt wird. Sollen Rechtssicherheit und
Rechtsgleichheit gewährleistet werden, so muss eine hohe Dichte und Bestimmtheit
angestrebt werden, damit künftiges Geschehen voraussehbar und die rechtsgleiche
Behandlung durch Vorgabe eines präzisen Beurteilungsmassstabes erleichtert wird. Soll
dagegen Einzelfallgerechtigkeit, d.h. eine den konkreten Umständen gerecht werdende,
wirkungsorientierte Lösung ermöglicht werden, so ist eine offene, unbestimmte
Regelung angezeigt, die den rechtsanwendenden Organen viel Entscheidungsspielraum
lässt. Ebenso sind Regelungen auszugestalten, wenn eine präzisere Normierung wegen
der unsicheren Prognose über ihre Wirkungen oder wegen der Schwierigkeit, den Soll-
Zustand sprachlich zu erfassen, unterbleiben muss. Dabei sind die Dichte und
Bestimmtheit für die verschiedenen Teile einer Regelung ggf. unterschiedlich
festzulegen, weil die Abwägung zwischen Prävisions-, Gleichbehandlungs- und
Billigkeitsinteressen je nach Materie für einzelne Normen oder Abschnitte oder Normteile
unterschiedlich ausfällt. Wichtig ist, dass je nach Regelungsmaterie und Regelungsziel
bewusst differenziert und das entsprechend sachgerechte Konzept gewählt wird.

Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass je offener und unbestimmt ein Rechts-
norm ausgestaltet ist, desto mehr Spielraum auf der Ebene der Rechtsanwendung
besteht. Umgekehrt lässt sich festhalten, dass je dichter und bestimmter eine
Rechtsnorm strukturiert und formuliert ist, desto weniger Spielraum für den Rechts-
anwender besteht.

Es muss klar gestellt werden, welchem Zweck die Offenheit bzw. die Unbestimmtheit
der Regelung dient: Sie kann Einzelfallgerechtigkeit und Wirksamkeit ermöglichen, aber
auch auf Flexibilisierung abzielen, d.h. Spielräume nicht für die rechtsanwendenden
Organe, sondern für die Rechtssetzung auf unterer Stufe, v.a. für Verordnungen oder
Selbstregulierungen, schaffen.
Diese unterschiedlichen Zwecke sind von grosser Bedeutung, weil die Art der Konkre-
tisierung der Unbestimmtheit davon abhängt: Sie erfolgt je nachdem durch Gerichte
oder Verwaltungsbehörden in Urteilen oder Entscheidungen, durch Verordnungen oder
durch kantonale bzw. kommunale Erlasse, d.h. im ersten Fall individuell-konkret, im
zweiten und dritten Fall generell-abstrakt. Im ersten Fall räumt die offene, unbestimmte
Norm die Befugnis zum Entscheid im Einzelfall ein („Entscheidungsdelegation“), im
zweiten und dritten Fall zum Erlas von Normen („Gesetzesdelegation“). Unterschiedlich
sind nicht nur die Zwecke und Formen der Konkretisierung der Unbestimmtheit,
sondern auch die Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit. Zu beachten ist schliesslich
schon auf Konzeptstufe, das Normen, welche offene oder unbestimmte Regelungen in
generell-abstrakter Form konkretisieren, ihrerseits wieder Spielräume für die
Entscheidung im Einzelfall vorsehen, mithin „Entscheidungsdelegation“ in Form von un-
bestimmten Regelungen enthalten können.

Vgl. dazu das Schema bei MÜLLER, N 118:

GESETZ
„Gesetzesdelegation“
„Vollziehung“
Flexibilität, Sachverstand
Entlastung

„Entscheidungsdelegation“
Einzelfallgerechtigkeit
VERORDNUNG Wirksamkeit

RECHTSANWENDUNG
durch Gerichte und
„Entscheidungsdelegation“ Verwaltungsbehörden
Einzelfallgerechtigkeit
Wirksamkeit

Instrumente der Regelung

Der Grundsatzentscheid über die einzusetzenden Instrumente – nicht über ihre


Ausgestaltung im Einzelnen – sollte auch schon in der Konzeptphase fallen. Denn nur
im Zusammenhang mit den anderen konzeptionellen Fragen lassen sich die Vor- und
Nachteile der verschiedenen Regelungsinstrumente richtig beurteilen.

Folgende Instrumente können gewählt werden:

ð Ge- und Verbote, die entweder zwingend sind oder mittels Sanktionen durch-
gesetzt werden oder als dispositives Recht nur subsidiär (aufgrund fehlender
Vereinbarung der Parteien) zur Anwendung kommen.
ð Anreize (Einräumung von Vorteilen oder Belastung mit Nachteilen bei einem
bestimmten Verhalten)
ð Bereitstellung von Leistungen, Organisationen und Verfahren, mit
deren freiwilligen oder obligatorischen Inanspruchnahme das Verhalten gelenkt
werden soll
ð Ausgleichsregelungen (Ersatz von Schäden, sozialer Ausgleich durch Umver-
teilung von Einkommen, Vermögen und fiskalischen Belastungen usw.)
ð Einwirkung auf das Verhalten durch Überzeugung (Empfehlungen, Warnungen)
oder blosse Information

Regelungsstufe

Je nach dem Ziel, dem Gegenstand und den Instrumenten einer Regelung kann sie auf
einer Stufe – Verfassung, Gesetz oder Verordnung – erfolgen oder mehrere Stufen
erfassen. Diesbezüglich stellen sich folgende Fragen:

ð Muss oder soll auch die Verfassung revidiert werden?


ð Kann das Gesetz die gesamte Regelung enthalten
oder braucht es zusätzlich noch Verordnungen?
ð Sollen die Verordnungen durch das Parlament,
die Regierung oder ein Departement (Direktion) erlassen werden?
ð Genügen Regelungen auf Verordnungsstufe?
asfasdfasdf  

Je nach dem Ergebnis der Abklärungen kann in den Grundzügen festgelegt werden,
wie der Regelungsstoff auf die verschiedenen Stufen zu verteilen ist.

Aufbau der Regelung: Total- oder Teilrevision

Je nachdem, wie die neue Regelung in die bestehende Rechtsordnung eingefügt


werden soll, wird man geltende Erlasse teilweise oder total revidieren. Vor allem bei
grösseren Rechtssetzungsvorhaben lohnt es sich, bereits in der Konzeptphase
Überlegungen zu den möglichen Kriterien der Gliederung und der Grobstruktur einer
Regelung zu machen und die Frage der Teil- oder Totalrevision zu klären.

Pro Teilrevision

Für die Teilrevision spricht v.a. das Interesse an der möglichst weit gehenden Wahrung
der Kontinuität der bestehenden Ordnung samt den Entwicklungen der Lehre und
Praxis dazu, die auch den Behörden und Amtsstellen sowie den betroffenen Privaten
die Anwendung der neuen Regelung erleichtert. Die Teilrevision führt ferner zu einer
Begrenzung des Regelungsstoffes, die eine Entlastung der Regelungsorgane bedeutet
und das Fehlerrisiko, das mit jeder Überarbeitung von Erlassen verbunden ist,
verringert.

Pro Totalrevision

Für eine Totalrevision lässt sich anführen, sie erlaube eine einheitliche Dichte und
Sprache sowie einen klaren Aufbau der Regelung, eine Art Rechtsbereinigung, die auch
inhaltlicher Natur sein kann, wenn es darum geht, neuere Wertvorstellungen in einem
Erlass konsequent zum Ausdruck zu bringen.
Organisation

Auch im Bereich der Organisation sind konzeptionelle Fragen zu beantworten:

ð Soll eine Regelung zentral, dezentral oder durch Private vollzogen werden?
ð Können bestehende Organisationen genutzt werden oder müssen neue
geschaffen werden?
ð Sollen professionelle oder Miliz-, Kollegial- oder Einzelorgane eingesetzt
werden?
ð Genügen die geltenden Regelungen für das Verfahren und den
Rechtsschutz oder müssen sie geändert oder ggf. neue erlassen werden?
 

Kosten

Bei der Erarbeitung eines Rechtssetzungskonzepts sind die finanziellen Auswirkungen


zu berücksichtigen. Dem Staat können einerseits neue Kosten erwachsen oder bis-
herige Einnahmen entgehen.

Tages-Anzeiger v. 19.10.2012 (Online-Ausgabe)

Andererseits besteht auch die Möglichkeit, dass der Aufwand insgesamt gesenkt wird
oder neue Einnahmen hinzukommen. Letztlich kann ein Erlass für die ganze Volks-
wirschaft und damit auch für den öffentlichen Finanzhaushalt (v.a. die Steuereinnahmen)
von Bedeutung sein.

Zeitfaktor

Vgl. MÜLLER, N 130.

Für eine Übersicht bzgl. des Regelungskonzepts, vgl. MÜLLER, N 131.

Entscheidung über das Konzept

Das Risiko, mit einer Vorlage zu scheitern, ist geringer, wenn die für den Rechts-
setzungsauftrag politisch verantwortliche Behörde in der Konzeptphase zu den
Grundsatzfragen Stellung nehmen und so die weiteren Arbeiten beeinflussen kann, als
wenn sie erst am Schluss mit dem Ergebnis konfrontiert wird. Aus diesem Grund kann
es sich als zweckmässig erweisen, das Regelungskonzept der auftraggebenden Instanz
vorzulegen, um ihre Meinung zu den sich stellenden Grundsatzfragen zu erfahren.
Redaktion des Entwurfes

Bei der Redaktion des Entwurfs geht es darum, das vorab erstellte Konzept in aus-
formulierte Normen umzumünzen. Es geht um eine Interpretation des Entwurfs in
hypothetischen Fällen, eine Art Prognose des Umgangs der rechtsanwendenden
Organe mit dem entworfenen Text. Die Redaktion eines Erlassentwurfes ist ein
ständiges Überarbeiten und Weiterentwickeln von Texten, wobei immer die Vorstellung
massgebend sein muss, wie die formulierte Regel sich in bestimmten Fällen auswirken
wird, d.h. ob damit die nach dem Impuls oder Auftrag zur Regelung massgebenden
und im Laufe der Entwicklung des Konzepts konkretisierten Ziele erreicht werden.

Die Ausarbeitung des Entwurfs erscheint als ein Prozess der Phasen- und stufenweisen
Konkretisierung. Dieser Prozess beginnt mit den ersten Zielsetzungen im Impuls zur
Rechtssetzung. Diese Zielsetzungen werden aufgrund der Analyse des Ist-Zustands
präzisiert und der Prozess wird in der Konzeptphase durch die Festlegung der
wichtigsten Elemente der Regelung fortgesetzt. Er findet seinen Abschluss in der
Formulierung von Normtexten, die ihrerseits eine Art Konkretisierungs- oder
Optimierungsprozess darstellt.

Zu den vor und Nachteilen der Rechtsvergleichung als Hilfsmittel zur Redaktion eines
Entwurfes, vgl. MÜLLER, N 137 f.

Schema zum Konkretisierungsprozess

Konzept
(Grundzüge der
Impuls Analyse des Präzisierung d. Formulierung
Regelung zur
(Zielsetzungen) Ist-Zustandes   Zielsetzungen   Zielver-
der Normtexte  
wirklichung)  

Überprüfung des Entwurfs

Eine Regelung wird am einfachsten dadurch überprüft, dass man sie auf möglichst viele
hypothetische Fälle anzuwenden versucht. Zeigen sich Widersprüche, Unklarheiten,
unbefriedigende Ergebnisse oder andere Mängel, so ist der Text entsprechend zu
korrigieren. Dieses Durchspielen von Anwendungsfällen kann in Gesprächen mit
künftigen Normadressaten oder bestimmten Organen der Rechtsanwendung erfolgen.
Denkbar ist auch, die Tests mit Hilfe von Fällen, die Entscheidsammlungen entnommen
werden, durchzuführen. Weiter werden Planspiele durchgeführt, bei welchen bestimmte
Personen oder Gruppen bestimmte Rollen spielen und sich entsprechend den zu
testenden Normen verhalten oder gegen diese verstossen. Diese simulierte Anwendung
des Regelungsentwurfs soll aufzeigen, ob die Ziele erreicht werden, die Formulierungen
verständlich sind, keine unerwünschten Nebenwirkungen auftreten, die Norm prakti-
kabel ist, etc. Weiter kommen Checklisten zum Einsatz. Auch dient der Gesetz-
gebungsleitfaden des BA für Justiz zur Überprüfung von Entwürfen.
Weiter kommt das Mitberichtsverfahren zur Anwendung. Im Mitberichtsverfahren
überprüfen diese Amtsstellen die Entwürfe aus ihrer Sicht, erheben Einwendungen oder
machen auf Mängel aufmerksam. Zum Mitberichtsverfahren vgl. MÜLLER, N 148.

Vernehmlassungsverfahren

Während beim Mitberichtsverfahren die Amtsstellen die Entwürfe aus ihrer Sicht
überprüfen, Einwendungen erheben oder auf Mängel aufmerksam machen (vgl. oben),
sollen beim Vernehmlassungsverfahren ausserhalb der Verwaltung stehende Personen
oder andere Organisationen in den Prozess der Meinungsbildung und Entscheidfindung
des Bundes einbezogen werden. Sie sollen auf Mängel der Vorlage, Unklarheiten,
Widersprüche, unerwünschte Nebenwirkungen, fehlende Vollzugstauglichkeit etc.
aufmerksam machen. Zum anderen geht es um einen Test der „politischen Tragbarkeit“
des Entwurfs.

Im Bund werden Vernehmlassungsverfahren durchgeführt bei Verfassungsänderungen,


grundlegenden Gesetzesbestimmungen, völkerrechtlichen Verträgen, die dem Refe-
rendum unterstehen oder wesentliche Interessen der Kantone betreffen, ferner zu
Vorhaben, die von grosser politischer, finanzieller, wirtschaftlicher oder ökologischer,
sozialer oder kultureller Tragweite sind oder in erheblichem Masse ausserhalb der
Bundesverwaltung vollzogen werden.

Angehört werden meistens die Kantone, die in der Bundesversammlung vertretenen


politischen Parteien, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden,
Städte, Berggebiete und der Wirtschaft sowie die weiteren, im Einzelfall interessierten
Kreise. Auf Begehren können sich auch weitere Organisationen und Einzelpersonen
vernehmen lassen. Das zuständige Departement oder die Bundeskanzlei wertet die
Aussagen aus und führt sie in einem Bericht zusammen. Weitere Details sind dem VlG,
dem Vernehmlassungsgesetz zu entnehmen.

Überprüfung im Zusammenhang mit der Übersetzung von Normtexten ⇒ N 158 f.

Beschlussfassung

Für die Beschlussfassung sind je nach Regelungsstufe (Verfassung, Gesetz, Ver-


ordnung) ein Organ der Exekutive oder der Justiz, das Parlament oder das Volk
zuständig. In den Beratungsverfahren, die dem Beschluss vorausgehen, sind zum Teil
weitere Kontrollmechanismen eingebaut. Hierzu gehören die Vorberatungen in den
parlamentarischen Kommissionen und Fraktionen, das Erfordernis der
übereinstimmenden Beschlüsse in den beiden Kammern der Bundesversammlung oder
der zweimaligen Beratung bestimmter Vorlagen im Parlament.22

Publikation

Die Publikation von Erlassen ist Voraussetzung ihrer Verbindlichkeit für die Privaten. Das
Prinzip der Rechtssicherheit gebietet, dass die für das Verhalten der Privaten
massgebenden Regelungen voraussehbar sind, damit sie sich darauf ausrichten und
                                                                                                               
22
Erste und zweite Lesung.
Dispositionen treffen können. Mit der Publikation soll der für die Privaten verbindliche
Normtext festgehalten werden und zwar in einer Weise, die es allen ermöglicht, jederzeit
ohne besonderen Aufwand abzuklären, wie dieser Text lautet. Es geht darum, den
rechtlich verbindlichen Wortlaut der Normen schriftlich, öffentlich und authentisch zu
dokumentieren.

AS = Chronologische Erfassung
SR = Thematische Erfassung

Zusätzliche Ausführungen, vgl. MÜLLER, N 161 ff.

Inkraftsetzung

ZentG TrG

Zuständiges Organ

Der Zeitpunkt, in welchem Normen wirksam und damit für die Adressaten verbindlich
werden, wird entweder im betreffenden Erlass selbst festgelegt, oder es kann eine
Behörde – i.d.R. die Regierung – damit beauftragt werden, ihn zu bestimmen. Die
zweite Möglichkeit wird v.a. dann gewählt, wenn für die Anwendbarkeit der neuen
Regelung weitere Massnahmen – Erlass von Ausführungsrecht, Anpassung anderer
Erlasse, Aufbau eines Vollzugsapparates, Bereitstellung von finanziellen, personellen
oder sachlichen Mitteln usw. – erforderlich sind und sich nur schwer abschätzen lässt,
wann diese Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sein werden. Diese Lösung ist
wohl flexibler und praktikabler, hat aber den Nachteil, dass der wichtige Entscheid
darüber, wann eine Regelung wirksam werden soll, nicht vom Regelungsorgan selbst
getroffen wird.

Zeitpunkt

Das Inkrafttreten darf grundsätzlich nicht vor dem Zeitpunkt der Veröffentlichung eines
Erlasses erfolgen. In der Regel sollte zwischen der Publikation und der Inkraftsetzung
eine gewisse Zeit verstreichen, damit die von der neuen Regelung Betroffenen sich
darauf einstellen können. Allenfalls dazu eine Übergangsregelung geschaffen werden.
Die für die Umsetzung und Anwendung verantwortlichen Organe benötigen Zeit, um die
notwendigen Vorkehrungen zu treffen (z.B. Erarbeitung der für den Vollzug
erforderlichen Verordnungen, Anpassung des kantonalen Rechts an das neue
Bundesrecht, Änderung der Behördenorganisation, Koordination mit anderen Erlassen.)

UBS-Verordnung

Unüblich, aber der damaligen Situation (wohl) angemessen war es, die Inkraftsetzung
der UBS-Verordnung zu einer gewissen Uhrzeit anzusetzen.
Es muss mithin zwischen dem Interesse an der Einräumung einer „Anpassungsfrist“
und dem Interesse an einer möglichst schnellen Inkraftsetzung abgewogen werden.
Auch eine gestaffelte Inkraftsetzung ist denkbar.

Es sollte zudem ein eindeutig und leicht bestimmbares Datum gewählt werden, wobei
sich insbesondere der 1. Januar des neuen Jahres eignet, wenn im Erlass auch jährlich
wiederkehrende Sachverhalte geregelt werden.

Ist die Bestimmung des Zeitpunkts des Inkrafttretens von Gesetzen der Regierung
übertragen worden, so hat sie dieselben Gesichtspunkte zu beachten und Abwägungen
vorzunehmen. Sie darf ihren Entscheidungsspielraum nicht zweckwidrig ausnutzen,
insbesondere die Inkraftsetzung nicht ohne sachlichen Grund verzögern.

Rückwirkende Inkraftsetzung

Ausnahmsweise kann ein Erlass auch rückwirkend, d.h. auf einen Zeitpunkt vor der
Publikation in Kraft gesetzt werden. Rückwirkende Erlasse gefährden die
Rechtssicherheit im Sinne der Voraussehbarkeit staatlicher Massnahmen, enttäuschen
Vertrauen und können eine rechtsungleiche Behandlung bewirken. Nach Ansicht des
BGer ist eine solche nur dann zulässig, wenn sie ausdrücklich angeordnet oder nach
dem Sinn des Erlasses klar gewollt, zeitlich mässig und durch triftige Gründe
gerechtfertigt ist, keine Rechtsungleichheiten bewirkt und keinen Eingriff in wohler-
worbene Rechte bedeutet. Als mit der Verfassung vereinbar gilt dagegen die unechte
Rückwirkung, d.h. das Abstellen auf Verhältnisse, die zwar unter der Herrschaft des
alten Rechts entstanden sind, beim Inkrafttreten des neuen Rechts aber noch
andauern.

Kontrolle der Wirkungen und Korrektur von Mängeln: Stichworte

Vgl. dazu MÜLLER, N 171 ff.

ð Gesetzesevaluation ex post
ð Retrospektive GFA
ð Zu wenig gemacht
ð Evaluationsklauseln als Schritt in die richtige Richtung
o Art. 65 RVOG
o Art. 5 SuG
o Art. 44 Abs. 1 USG
o Art. 5 CO2-Gesetz
o Art. 20 EnG
ð Evaluationen sind nötig, hilfreich, aber auch sehr aufwändig
ð Evaluationen lösen Lernprozesse im Rechtssetzungsverfahren
aus oder verstärken solche
ð Es fehlt an einer kontinuierlichen Auswertung, die zu einer systematisch
geordneten Sammlung von Impulsen für die Revision von Erlassen führen
würde
§ 9 Regeln für die Ausgestaltung von Erlassentwürfen
(Rechtssetzungstechnik)

Im nachfolgenden Abschnitt sollen die Instrumente der Redaktion, d.h. die für die
Formulierung von Rechtsnormen massgebenden Kriterien, erörtert werden.

Es kann unterschieden werden zwischen Regeln oder Prinzipien, die durch die
Verfassung vorgegeben sind, und Grundsätzen, welche von Lehre und Praxis für die
optimale Ausgestaltung von Erlassen entwickelt wurden.

Aus der Verfassung, insbesondere aus den Normen über den Inhalt der Gesetze und
über die Zuständigkeiten von Legislative oder Exekutive, aus dem Legalitäts-, dem
Verhältnismässigkeitsprinzip und dem Grundsatz des Vertrauensschutzes, dem
Rückwirkungs- und dem Willkürverbot leiten sich Anforderungen an die Form der
Erlasse, den Grad der Dichte und Bestimmtheit von Regelungen, die Notwendigkeit und
Praktikabilität von Normierungen und das Übergangsrecht ab.

I. Form, Rang und Stufe des Erlasses

Zuständigkeit des Gemeinwesens

Bund, Kantone und Gemeinden können – unter Einhaltung des übergeordneten Rechts
– die Organe und Verfahren der Rechtssetzung und damit die Form ihrer Erlasse selbst
bestimmen.

Anforderungen des übergeordneten Gemeinwesens

EU-Recht / Völkerrecht ⇒ Bund | Bund ⇒ Kantone | Kantone ⇒ Gemeinden

Gelegentlich legen Bundesgesetze fest, dass die Kantone, die eine Bundesaufgabe zu
erfüllen haben, das hierzu notwendige Ausführungen einer bestimmten Form – i.d.R.
derjenigen der Verordnung – erlassen können oder müssen.

Die Kantone normieren das kommunale Rechtssetzungsverfahren in den Verfassungen


und v.a. in der Gemeindegesetzgebung oder für einzelne Sachgebiete in speziellen
Erlassen häufig recht detailliert. Sie legen namentlich fest, welche Organe zum Erlass
bestimmter Vorschriften befugt oder verpflichtet sind. Die Freiheit der Gemeinden bei
der Wahl der Rechtssetzungsformen ist deshalb im Allgemeinen relativ gering. In der
Bundesgesetzgebung finden sich im Zusammenhang mit der Regelung der Erfüllung
der Bundesaufgaben durch die Gemeinden vereinzelte Vorschriften über deren
Aufgaben und Organisationsstruktur, doch ergeben sich daraus kaum Einschränkungen
in der Wahl der Rechtsform kommunaler Erlasse.

Übersicht über die Erlassformen

Alle Gemeinwesen kennen eine rechtliche Grundordnun, die in Bund und Kantonen
Verfassung heisst und auf kantonaler Ebene häufig Gemeindeordnung genannt wird.
Auf der Stufe unterhalb der Verfassung stehen die Gesetze. Gesetze unterstehen dem
fakultativen oder dem obligatorischen Referendum; in den Landsgemeindekantonen
und in vielen kleineren Gemeinden werden sie von der Versammlung der Stimm-
berechtigten beschlossen. Die Kantone und Gemeinden können auf ein Referendum bei
Erlassen des Parlaments allgemein oder für bestimmte Regelungsbereiche verzichten.

Auf der nächsten Stufe folgen die Verordnungen, die vom Parlament erlassen werden
können (wenn die Gesetze referendumspflichtig sind), von der Regierung und von
Departementen bzw. Direktionen, Gruppen, Ämtern bzw. Abteilungen. Weiter können
dezentralisierte Verwaltungseinheiten, insbesondere Anstalten, sowie Gerichte Verord-
nungen erlassen.

Weiter gibt es internationale (Schweiz-Deutschland), interkantonale (Schaffhausen-


Zürich) und interkommunale (Küsnacht-Erlenbach) Vereinbarungen mit Rechtssetzungs-
charakter, die sich zwischen die genannten Erlassstufen schieben.

Die Verfassung als Grundlage der Verteilung der Rechtssetzungsbefugnisse

Inhalt der Verfassung – Verfassungsverständnis

Die BV weist viele dichte Regelungen auf, insbesondere wegen der Kompetenz-
ausscheidung zwischen dem Bund und den Kantonen und dem Misstrauen gegenüber
dem einfachen Gesetzgeber, dem vielfach Ziele gesetzt oder Schranken auferlegt
werden. Es gibt eine Art „rechtsstaatlichen Mindestinhalt“ der Verfassung, zu welchem
die Regelung der Rechtssetzung unterhalb der Verfassungsstufe und der Verfassungs-
revision, der Gewaltenteilung, der Grundrechte und der politischen Rechte gehört. Die
schweizerischen Verfassungen gehen alle wesentlich über dieses rechtsstaatliche
Minimum.

Verteilung der Rechtssetzungsbefugnisse durch die Verfassung

Umschreibung eines Gesetzes- und/oder eines Verordnungsbegriffes

Die Verfassung kann die Rechtssetzungsbefugnisse auf verschiedene Arten und nach
verschiedenen Gesichtspunkten den übrigen Staatsorganen zuweisen:

BV

Die Verfassung kann Rechtssetzungskompetenzen durch die Definition eines


Gesetzesbegriffs, eines Verordnungsbegriffs oder beider Begriffe auf die übrigen
Staatsorgane verteilen. In Art. 164 umschreibt die BV den Inhalt der Gesetze.
=> Kriterium der Wichtigkeit

BV

ParlG

Gemäss Art. 164 BV sind alle wichtigen rechtssetzenden Bestimmungen in der Form
des Bundesgesetzes zu erlassen. Dazu gehören insb. die in Art. 164 lit. a-g BV aufge-
listeten Anwendungsfälle. Art. 164 Abs. 1 BV nennt jedoch nicht Massstäbe für die
Abgrenzung von wichtigen und unwichtigen Bestimmungen wie die Eingriffsintensität
der Regelung, die Zahl der Betroffenen, die finanziellen Auswirkungen, die Bedeutung
der Regelung für die Aufgabenverteilung von Bund und Kantonen usw. Es findet
lediglich eine Aufzählung von Sachgebieten statt, deren Regelung auf Stufe Gesetz
grundsätzlich als wichtig erscheint. Es findet damit aber keine Präzisierung der
Regelungsbereiche von Gesetzen und Verordnungen statt. Der Umschreibung des
Inhalts der Gesetze durch die BV kommt eine Klarstellungs- und
Rationalisierungsfunktion zu: Sie legt fest, dass das Erfordernis der Gesetzesform
umfassend, namentlich auch im Bereich der Leistungsverwaltung gilt, und verpflichtet
die an der Gesetzgebung beteiligten Organe, systematisch zu prüfen, ob eine Norm der
Gesetzesform bedarf oder nicht. Mit anderen Worten kann das Gesetz bloss die
Grundlage enthalten, die durch Verordnungen und Verfügungen konkretisiert werden
muss.

Bei der Beurteilung der Frage der Wichtigkeit kommt man nicht um eine wertende,
materienspezfische Beurteilung der Wichtigkeit der einzelnen Rechtsnomen herum.

Die parlamentarischen Diskussionen um die Regelungsdichte des BPG (Was muss der
Gesetzgeber, i.e. das Parlament, was darf der Verordnungsgeber, i.e. der Bundesrat,
regeln?) haben gezeigt, das die Umschreibung des Inhalts der Gesetze in Art. 164 Abs.
1 BV seine Rationalisierungsfunktion erfüllt: Die an der Gesetzgebung beteiligten
Organe prüfen systematischer und gründlicher, ob eine Norm der Gesetzesform bedarf
oder nicht.

Zuordnung der Regelungsbefugnisse nach Sachgebieten

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Sachgebiete aufzuzählen, die von einem
bestimmten Staatsorgan (Legislative, Parlament, Parlamentskommission, Exekutive) zu
normieren sind. Es stellt sich die Frage, ob eine Zuweisung von Regelungsbefugnissen
für die Einführung von übergeordnetem Recht nicht auch im Bund und in den anderen
Kantonen vorgesehen werden sollte. Das Bedürfnis nach rascher Umsetzung von
internationalem Recht in Landesrecht oder von Bundesrecht in kantonales Recht nimmt
laufend zu; die dabei zu treffenden Entscheidungen sind oft nicht von grosser
Tragweite, so dass sich der (vorläufige) Verzicht auf das ordentliche Gesetz-
gebungsverfahren rechtfertigt.

Spezielle Gesetzesvorbehalte oder Zuweisungen von Regelungsbefugnissen

Eine dritte Möglichkeit besteht darin, dass die Verfassung die Verteilung der Rechts-
setzungskompetenzen durch spezielle Gesetzesvorbehalte oder Zuweisungen von
Regelungsbefugnissen an die Exekutive steuert. Im Zusammenhang mit
Grundrechtsnormen, Aufgaben-, Organisations-, oder Kompetenzbestimmungen kann
statiert werden, dass gewisse Regelungen, die zur Konkretisierung der betreffenden
Verfassungsvorschrift notwendig sind, in der Form des Gesetzes oder – umgekehrt – in
der Form der Verordnung zu erlassen sind. 23 In den Kantonsverfassungen kommen
spezielle Gesetzesvorbehalte oder Ermächtigungen zum Erlass von selbständigen Ver-
ordnungen ebenfalls vor.

Kriterien der Verteilung von Rechtssetzungsbefugnissen

Gewaltenteilungs- und Legalitätsprinzip

Aus dem Gewaltenteilungs- und dem Legalitätsprinzip ergibt sich primär, dass
zwischen rechtssetzenden und rechtsanwendenden Organen unterschieden werden
muss. Der Erlass generell-abstrakter Normen und deren Anwendung im konkreten Fall
sollen nicht in der gleichen Hand liegen, sondern zwischen Legislative, Exekutive und
Justiz verteilt sein, so dass sich diese Gewalten ggs. hemmen und kontrollieren. Einer
Konzentration aller Rechtssetzung bei der Legislative stünde aus Sicht des Rechts-
staates nichts entgegen.

Demokratie

Aus dem demokratischen Aspekt ergibt sich, dass die Stimmberechtigten mittelbar
oder unmittelbar an den für sie besonders wichtigen Regelungen sollen mitwirken
können. Die politische Tragweite eines Entscheides und der Grad der politischen
Legitimation des entscheidenden Organes bzw. die Wichtigkeit der Regelung und die

                                                                                                               
23
Vgl. dazu insbesondere 5. Titel der BV, Art. 143 ff.
Regelungsstufe müssen kongruent sein: Je wichtiger eine Norm, desto höher ihr Rang
im Stufenbau der Rechtsordnung.

Die Wichtigkeit24 einer Norm lässt sich anhand gewisser Kriterien bestimmen, v.a. auf-
grund:

ð der Grösse des Adressatenreksies der Norm


ð der Zahl der geregelten Sachverhalte
ð der Bedeutung der Norm für das politische System
o Bzgl. Aufgabenteilung zwischen Gemeinwesen
o Bzgl. der Zuständigkeit von Staatsorganen
o Bzgl. der Ausübung von politischen Rechten
ð der finanziellen Auswirkungen der Regelung
ð der Akzeptanz, mit welcher eine Norm bei den Betroffenen
bzw. den Stimmberechtigten oder im Parlament rechnen kann

Die Verfassung kann die Kriterien für die Wichtigkeit einer Norm – und damit den Inhalt
des Gesetzes – selbst umschreiben oder dies dem Gesetzgeber oder der Praxis über-
lassen.

Grundrechte

Die Grundrechte – notwendiger Bestandteil der rechtsstaatlichen Verfassung – beein-


flussen die Verteilung der Rechtssetzungsbefugnisse auf die Staatsorgane ebenfalls. So
müssen gemäss Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BV zufolge schwere Eingriffe in die Grundrechte
im Gesetz im formellen Sinne vorgesehen sein. Damit genügt eine Verordnung als
Grundlage nicht.

Das Erfordernis der Gesetzesform für schwere Grundrechtseingriffe bedeutet aber nur,
dass derartige Regelungen in einem qualifizierten Verfahren erlassen werden müssen,
welches diesen eine ihrer Wichtigkeit entsprechende demokratische Legitimation ver-
schafft. Die BV schreibt nicht vor, dass Grundrechtseingriffe auf einem Erlass beruhen
müssen, welcher dem fakultativen oder obligatorischen Referendum untersteht.

Keine der BV entsprechende gesetzliche Grundlage für Grundrechtseingriffe sind


dagegen Regierungsverordnungen, selbst wenn sie auf eine entsprechende
Ermächtigung des kantonalen Verfassungsgebers stützen können. Sie stellen keine

                                                                                                               
24
Vgl. dazu bereits oben zu Art. 164 BV.
„Gesetzgebung“ im Sinne der BV dar und werden nicht in einem Verfahren erlassen,
das ihnen erhöhte demokratische Legitimation verschafft.

Eignung des Regelungsorgans

Weiter spielen nebst den oben erwähnten Elementen die Eignung des Regelungsorgans
und das Bedürfnis nach Änderbarkeit und Flexibilität der Normierung eine Rolle. So
muss das Organ, das eine Rechtsnorm erlassen soll, über genügend Beurteilungs-
vermögen über die zu regelnde Materie verfügen. Während die Stärke der Regierung im
grösseren Fachwissen besteht, liegen sie beim Parlament in der Beurteilung der politi-
schen Tragbarkeit vorgeschlagener Lösungen, dem Einbringen gesellschaftlicher
Anliegen in den Entscheidungsprozess und der Suche nach ausreichendem Konsens,
weniger in der gestalterischen Detailarbeit.

Mit der Rücknahme der Regulierungsdichte entscheidet sich der Gesetzgeber dafür, die
Feinjustierung und –steuerung den rechtsanwendenden Behörden zu überlassen. Da-
durch werden Beurteilungsspielräume geschaffen, die es ermöglichen, rascher auf
aktuelle Bedürfnisse der Betroffenen zu reagieren.

Flexibilitätsbedürfnis

Kommt es darauf an, eine dauerhafte, rechtssichere Ordnung zu schaffen, so bietet


sich das Gesetz an, da es relativ schwer änderbar ist. Soll eine Regelung dagegen
rasch an veränderte Verhältnisse angepasst werden können, so drängt sich eine
Verordnung auf, die in einem einfacheren Verfahren geändert werden kann.

Konkretisierung der Verteilung der Rechtssetzungsbefugnisse durch das Gesetz

Die Verfassungen ordnen die Rechtssetzungskompetenzen oft nur sehr allgemein und
unbestimmt, mit offenen Begriffen, punktuellen Vorbehalten oder Zuweisungen. Der
Gesetzgeber muss deshalb die Verteilung der Rechtssetzungsbefugnisse
konkretisieren, indem er im Rahmen der von der Verfassung festgelegten Massstäbe
darüber befindet, welche Regelungen er selber treffen und welche er dem Verordnungs-
geber überlassen will.

Verzicht auf eine weitere Regelung

Der Gesetzgeber kann mit seiner Normierung auf weitere Detaillierungen verzichten, so
dass es dann Sache der Exekutive ist, die Ordnung auszuführen und zu ergänzen.
Unbestimmte Normierungen können auch bezwecken, den rechtsanwendenden
Organen im Einzelfall eine den konkreten Umständen gerecht werdende, „billige“
Entscheidung zu ermöglichen. In diesen Fällen darf die Unbestimmtheit des Gesetzes
nicht durch eine generell-abstrakte Regelung auf Verordnungsstufe „ausgefüllt“ werden.
Die Konkretisierung durch Verordnung ist dagegen angezeigt, wenn es darum geht, das
Gesetz durch eine Regelung zu ergänzen, die das Verhalten der Adressaten
voraussehbar mach und damit der Rechtssicherheit dient, und überdies die
Gleichbehandlung erleichtert, indem ein Massstab für die Beurteilung der Einzelfälle zur
Verfügung gestellt wird. Ist die Funktion der Unbestimmtheit einer gesetzlichen
Regelung nicht klar, so sollte der Gesetzgeber sie durch eine entsprechende
Formulierung festlegen.

Vorbehalt einer späteren Regelung durch Gesetz

Mit dem Vorbehalt einer späteren Regelung durch Gesetz stellt der Gesetzgeber klar,
dass ein Problem der Normierung bedarf, und verhindert, dass diese durch ein anderes
Organ in Ergänzung des Gesetzes vorgenommen wird.

Gesetzesdelegation

Eine weitere Möglichkeit, die Verteilung der Rechtssetzungsbefugnisse auf der Stufe
unterhalb des Gesetzes zu steuern, besteht darin, dass der Gesetzgeber die Befugnis
zur Rechtssetzung ausdrücklich der Exekutive oder evtl. einem anderen Organ (z.B.
einem Gericht) zuweist. Auch ausgegliederte Verwaltungseinheiten werden zuweilen
Regelungskompetenzen übertragen. Dabei konkretisiert und präzisiert der Gesetzgeber
die grundsätzlich schon der Verfassung vorgenommene Verteilung der
Rechtssetzungskompetenzen, indem er festlegt, was er als weniger wichtig oder für das
Gesetz ungeeignet betrachtet und deshalb der Regelung durch Verordnung überlassen
will. Den Massstab für die Verteilung der Regelungsbefugnisse setzt aber die Verfas-
sung, nicht der Gesetzgeber. Der Bundesrat kann Verordnungen aufgrund einer
Ermächtigung durch Verfassung oder Gesetz erlassen. (Art. 182 Abs. 1 BV)

Der Bundesrat kann oder muss je nach Formulierung eine Verordnung erlassen. Lautet
die Norm „Der Bundesrat erlässt eine Verordnung.“, so ist letzteres gegeben. Der
Bundesrat wird dann zur Legiferierung beauftragt.

Zu Genehmigungs-, Veto-, Rückhol- und Kassationsvorbehalten, vgl. MÜLLER, N 233 ff.,


Grafik N 236.

Konkretisierung der Verteilung der Rechtssetzungsbefugnisse


durch spezielle Organe oder Verfahren

Vgl. MÜLLER, N 241 f.


II. Formen der (Un-)Bestimmtheit der Normierung

In der Konzeptphase25 ist grundsätzlich über den Grad der Dichte und Bestimmtheit der
Regelung zu entscheiden.

ð Soll die Regelung eher offen, punktuell und unbestimmt sein, um Raum zu
lassen für die Konkretisierung durch flexiblere Rechtssetzung auf unterer
Stufe?
ð Soll die Regelung möglichst vollständig, präzis und detailliert sein, um
o das künftige Verhalten der Behörden und Privaten voraussehbar zu
machen?
o die rechtsgleiche Behandlung durch Vorgabe zahlreicher
Massstäbe, Kriterien und Schranken für die Entscheidungen der
rechtsanwendenden Organe sicherzustellen und das staatliche
Handeln durch die Bindung an genaue Anordnungen des
Gesetzgebers demokratisch breit abzustützen?
 

Bei der Ausgestaltung des Erlassentwurfes und der Formulierung der einzelnen Normen
wird der konzeptionelle Grundsatzentscheid verwirklicht, indem entsprechende Normen
der Bestimmtheit bzw. Unbestimmtheit der Normierung gewählt werden. Da es eine
Vielzahl von Abstufungen der (Un-)Bestimmtheit gibt, wird der Grundsatzentscheid
damit zugleich konkretisiert und überprüft. Bei der Formulierung jeder einzelnen Norm
ist erneut abzuwägen zwischen den Interessen an der Rechtssicherheit,
Rechtsgleichheit und demokratischen Legitimation einerseits, die für hohe
Regelungsdichte und –bestimmtheit sprechen, und den Interessen daran, den
rechtsanwendenden Behörden durch offene, unbestimmte Normierungen
Handlungsspielraum zu gewähren, um ihnen zu ermöglichen, dem Einzelfall gerecht zu
werden und effektive und effiziente Lösungen zu finden.

Eine Rolle spielen auch die Vollzugsbedingungen: Die Anwendung von unbestimmten
Normen verursacht i.d.R. einen grösseren Aufwand und setzt höhere Qualitäten der
damit betrauten Stellen voraus als die Anwendung von bestimmten Normen. Führt die
Interessenabwägung zu anderen Anforderungen an die Bestimmtheit der Regelung als
bei der Erarbeitung des Konzepts, so ist der Grundsatzentscheid entsprechend zu
präzisieren bzw. zu korrigieren.

Gewisse Mindestanforderungen bzgl. der Bestimmtheit ergeben sich bereits aus der
Verfassung, insbesondere aus dem Legalitätsprinzip.

Schwere Einschränkungen der Grundrechte müssen in einer bestimmteren Norm


vorgesehen sein als geringfügige; wenn die Normen durch qualifizierte Organe (z.B.
                                                                                                               
25
Vgl. dazu vorne § 8.
Gerichte) angewendet werden, ist eine geringere Bestimmtheit erforderlich als bei
weniger qualifizierten. Vorallem Einschränkungen von Grundrechten und die Erhebung
von Abgaben müssen auf einem genügend bestimmten Rechtssatz beruhen.

ZentG

Die Informationsbeschaffung und –verarbeitung kann ein schwerer Eingriff in die


Rechtsstellung einer Person darstellen. Daher braucht es eine genügend bestimmte
Grundlage auf Ebene Gesetz.

Der Unbestimmtheit von Rechtsnormen sind nicht nur verfassungsrechtliche Schranken


gesetzt. Sie reduziert sich auch dadurch, dass bei der Anwendung solcher Normen
gewisse Regeln zu beachten sind. Zu nennen sind insbesondere das Gebot der
Gleichbehandlung und das Prinzip des Vertrauensschutzes, die eine gewisse
Selbstbindung der Behörden an ihre Entscheidungen bewirken und Praxisänderungen
erschweren. Diese führen dazu, dass die Entscheidungsspielräume verkleinert werden.
Die rechtsanwendenden Organe „verdichten“ die offenen Normen, verringern deren
Unbestimmtheit durch ihre eigene Praxis. Die Exekutive legt – z.B. in der Form von
Verwaltungsverordnungen – das Vollzugskonzept fest, um eine gleichmässige und
sachrichtige Rechtsanwendung durch die Verwaltungsbehörden zu gewährleisten.

Instrumente der Abstufung der Bestimmtheit

Mit der Wahl einer Form oder Technik wird der Bestimmtheitsgrad der betreffenden
Normierung festgelegt:

Zielbestimmungen und Rahmenerlasse

Die geringste Bestimmtheit weisen Normen auf, die nur die zu erreichenden Ziele
angeben oder Aufträge erteilen, und die Auswahl der Mittel den rechtsanwendenden
Organen oder sogar den Normadressaten überlassen. Fast ebenso gross sind die
Handlungsspielräume der rechtsanwendenden Organe, wenn eine Normierung bewusst
unvollständig bleibt, sich auf die Statuierung von Grundsätzen oder die Umschreibung
eines Rahmens beschränkt und die Ergänzung erst bei deren Anwendung erfolgt.
Derart unbestimmte, lückenhafte Normprogramme werden allerdings oft nicht
unmittelbar durch rechtsanwendende Organe konkretisiert, sondern durch Rechts-
normen auf unterer Stufe.
Unbestimmte Umschreibung des Tatbestandes und der Rechtsfolge

Bei Konditionalprogrammen können die Voraussetzungen für das Eintreten von Rechts-
folgen („wenn“) oder die Rechtsfolgen selbst („dann“) oder beide in unbestimmter Weise
umschrieben werden. Auf der Tatbestandsseite werden unbestimmte Rechtsbegriffe
verwendet, um den rechtsanwendenden Organen Gelegenheit zu einzelfallgerechten,
wirkungsorientierten Entscheidungen zu geben. Dazu gehören eine Vielzahl von
Umschreibungen unterschiedlicher Art, die mehr oder weniger bestimmt sind. Sie
werden teils auch als Generalklauseln bezeichnet und damit in Gegensatz zu
kasuistischen Regelungen gestellt. Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe
lassen sich kaum auseinander halten. Beide umschreiben den Tatbestand in einer
Weise, die dem rechtsanwendenden Organ einen erheblichen Spielraum für die
Entscheidung im Einzelfall lässt.

Dagegen wird beim Ermessen z.T. angenommen, es beziehe sich nur auf die Rechts-
folgeseite, indem es das rechtsanwendende Organ – meist mit „Kann-Formulierungen“
– ermächtige, eine Rechtsfolge anzuordnen oder nicht bzw. zwischen verschiedenen
Rechtsfolgen auszuwählen.

Anbei eine Auswahl von Beispielen aus dem Bereich des Staats- und Verwaltungs-
rechts:

ð „Kultur- und staatspolitische Interessen“


ð „Intensiver Kundenverkehr“
ð „Erhebliche Geländeveränderung“
ð „Beachtliche Gründe“
ð „Nicht störender, mässig störender, stark störender Betrieb“
ð Religionsgemeinschaft von gesamtschweizerischer Bedeutung
ð Ideelle Immission
ð Härtefall
ð Ausserordentliche Dienstleistung
ð Genügende Zufahrt
ð Rechtfertigende Umstände, bescheidene Ansprüche
ð Notwendige Renovation, zumutbare Kosten
ð Öffentliche Interessen, öffentliches Wohl
ð Eignung, Fähigkeit oder Vertrauenswürdigkeit einer Person

Anbei eine Auswahl von Beispielen aus dem Bereich des Privatrechts:

ð Umstände, wichtige Gründe


ð Achtenswerte Gründe
ð Überwiegendes Interesse
ð Angemessene Frist
ð In erheblicher Weise
ð Von geringem Nutzen
ð Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch
ð Nach dem üblichen Geschäftsgange tunlich
ð Im Hinblick auf den Gesellschaftszweck oder die wirtschaftliche
Selbständigkeit des Unternehmens

Die Unbestimmtheit eines Begriffes kann dadurch vermindert werden, dass er durch
eine Aufzählung von Beispielen verdeutlicht wird, die nicht abschliessend ist, so dass
Spielraum für die Ergänzung nach den Umständen des Einzelfalls bleibt. Eine andere
Möglichkeit besteht darin, den unbestimmten Rechtsbegriff mit der abschliessenden
oder nicht abschliessenden Aufzählung von Fällen zu verbinden, die nicht erfasst
werden sollen. („Negativ-Katalog“); sie dient nicht primär der Veranschaulichung,
sondern der Reduktion des Anwendungsbereichs des unbestimmten Rechtsbegriffs
und damit des Entscheidungsspielraums der rechtsanwendenden Behörden.

Auf der Rechtsfolgeseite werden Entscheidungsbefugnisse in unterschiedlichem Aus-


mass und in verschiedenen Formen an die rechtsanwendenden Organe delegiert. Sie
können ermächtigt werden, eine bestimmte Rechtsfolge eintreten zu lassen oder nicht
(Entschliessungsermessen), insbesondere durch eine „Kann-Vorschrift“ oder durch die
Einräumung der Befugnis zum Handeln „nach Ermessen“. Eine weniger weit gehende
Ermächtigung liegt vor, wenn die Norm eine Rechtsfolge vorschreibt, aber im Einzelfall
darüber entschieden werden kann, ob eine Ausnahmesituation vorliegt, die es recht-
fertigt, die Rechtsfolge nicht eintreten zu lassen. Von Auswahlermessen spricht man,
wenn die Rechtsnorm mehrere Rechtsfolgen vorsieht und es den rechtsanwendenden
Organen überlässt, die dem Einzelfall gerecht werdende zu bestimmen.

Der Spielraum kann verringert werden, wenn die rechtsanwendenden Organe gewisse
Kriterien bei ihrem Entscheid über den Eintritt oder die Auswahl der Rechtsfolge zu
beachten haben. Diese Kriterien können wiederum mehr oder weniger bestimmt sein;
es ist also möglich, Ermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe auf der Rechtsfolgeseite
zu kombinieren.

Bestimmte Begriffe und kasuistische Regelungen

Am anderen Ende der Bestimmtheitsskala finden sich Normen, welche den rechts-
anwendenden Organen geringe Entscheidungsspielräume belassen, also im Interesse
der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit möglichst vollständig und präzis festlegen
sollen, wie die Entscheidung im konkreten Fall getroffen werden soll. Zu diesem Zweck
können einerseits möglichst bestimmte Begriffe für die Umschreibung von Tatbestand
und Rechtsfolgen verwendet werden. Allerdings sind nur metrische Begriffe, deren
Inhalt durch blosse Zählung oder Messung erfasst werden kann, völlig bestimmt.
ð „bis zum vollendeten 65. Altersjahr“
ð „Die Beschwerde gegen einen Entscheid ist innert 30 Tagen nach der Eröffnung
der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen.

Alle anderen Begriffe sind relativ unbestimmt, wobei es auch hier Abstufungen gibt:
Rechtsbegriffe sind im Allgemeinen exakter als Begriffe des allgemeinen Sprach-
gebrauchs; Substanzbegriffe, die Lebewesen, Gegenstände oder Stoffe beschreiben,
sind regelmässig bestimmter als Begriffe von Eigenschaften, Rollen, Verhaltensweisen
und Zuständen.

Mit der sog. kasuistischen Normierung wird versucht alle denkbaren Situationen tatbe-
standsmässig zu erfassen und ihnen eine Rechtsfolge zuzuordnen.26 Allzu detaillierte
Bestimmungen sind aber eher kritisch zu sehen. Solche Bestimmungen büssen an
Transparenz und Massstabsfunktion ein, sind also weniger geeignet, Rechtssicherheit
und Rechtsgleichheit zu gewährleisten; sie erschweren zudem die Möglichkeit, dem
Einzelfall gerecht werdende, wirkungsorientierte Entscheidungen zu treffen. Auch wird

                                                                                                               
26
Diese Art von Normierungstechnik scheint v.a. im EU-Recht stark verbreitet zu sein.
zu einem gewissen Grad eine Illusion geschaffen, dass jeder erdenkliche Anwendungs-
fall bereits im Gesetz geregelt sein sollte.

Interessenabwägungen

ð 1. Interessenabwägung zwischen den Interessen an der Rechtssicherheit,


Rechtsgleichheit und demokratischen Legitimation und den Interessen an
einzelfallgerechten, die Bedürfnisse der Betroffenen berücksichtigenden,
effizienten und effektiven Entscheidungen.

ð 2. Interessenabwägung zwischen dem Interesse an Rechtssicherheit und


Voraussehbarkeit und dem Interesse an Einzelfallgerechtigkeit

Aus der reichen Palette sind diejenigen Formen der Bestimmtheit der Normierungen zu
wählen, die dem Ergebnis der Abwägung der Interessen (1. vgl. obenstehende Box)
entspricht. Dabei ist die Bestimmtheit so abzustufen, dass dem Gewicht der einander
gegenüber stehenden Interessen durch einen differenzierten Einsatz und die
Kombination der verschiedenen Instrumente Rechnung getragen werden kann. Dies
bedeutet, dass Dichte und Bestimmtheit der Regelungen nicht nur je nach Materie,
sondern je nach der Gewichtung der auf dem Spiel stehenden Interessen bei der
Gestaltung der einzelnen Normen festzulegen ist.

III. Verhältnismässigkeit und Notwendigkeit

Unverhältnismässig sind Regelungen, die nicht geeignet sind, das Ziel zu erreichen.
Zudem ist die Notwendigkeit bzw. die Erforderlichkeit einer Regelung zu prüfen. Ist eine
Norm nicht geeignet und notwendig zur Zielerreichung, so ist sie nicht verhältnis-
mässig.27 Unverhältnismässig sind auch Regelungen, die Eingriffe von einer von einer
Schwere vorsehen, die in keinem vernünftigen Verhältnis zum angestrebten Regelungs-
zweck stehen.

In den meisten Fällen ergibt sich die Notwendigkeit einer Regelung nicht aus der Verfas-
sung. Der Gesetzgeber muss deshalb prüfen, ob ein Bedürfnis nach einer Änderung
bzw. Ergänzung der Rechtsordnung besteht. Diese rechtspolitische Frage stellt sich
bereits in der Phase der Impulsgebung. Es muss abgeklärt werden, ob das im
politischen Vorstoss oder im festgestellten Mangel des geltenden Rechts zum Ausdruck
kommende Anliegen gewichtig genug ist, um einen Rechtssetzungsprozess in Gang zu
setzen.28 Es stellt sich mithin die Frage, ob sich der mit einem Rechtssetzungsverfahren
verbundene Aufwand (zeitlicher, personeller und schliesslich finanzieller Art) rechtfertigt,
um das Regelungsbedürfnis abzudecken.

Diese Überlegungen dürfen nicht bei der Rechtssetzung enden, sondern müssen die
längerfristig wohl eher noch kostenintensivere Umsetzung in Erwägung ziehen, insbe-

                                                                                                               
27
Vgl. Art. 36 Abs. 3 BV und die entsprechende bundesgerichtliche Rechtsprechung zur
Problematik der Verhältnismässigkeit.
28
Zur Impulsgebung als erste Phase des Rechtssetzungsprozesses bereits oben in § 8.
sondere die Änderungen der Vollzugsorganisation und der Umstellungen, zu welchen
die betroffenen Privaten gezwungen werden. Andererseits sind auch die Auswirkungen
auf das ganze Regelungssystem in Betracht zu ziehen.29 Es empfiehlt sich zudem eine
regelmässige Gesamtprüfung dahingehen, ob unnötige, unwesentliche, überholte oder
zu wenig flexible Regelungen ggf. entfernt oder verbessert werden könnten.

Zentrale Richtschnur ist und bleibt die Einheit der Rechtsordnung, welche u.a. dann auf
dem Spiel steht, wenn es nicht mehr gelingt, Widersprüche zu vermeiden.

Interessenabwägungen

ð 3. Interessenabwägung zwischen dem Interesse an Befriedigung der


Regelungsbedürfnisse und den Interessen daran, den damit verbundenen
Aufwand und das Risiko von Beeinträchtigungen der Rechtssicherheit der
Rechtseinheit zu vermeiden

Im Rahmen der ex ante Evaluationen ist stets zu untersuchen, ob es eine andere,


ebenso wirkungsvolle Möglichkeit gibt, um auf die in Frage stehenden Lebens-
verhältnisse einzuwirken.

Die Schwierigkeit der Erstellung von Zukunftsprognosen dürfte ein Grund für
Experimentier- oder Zeitgesetze sein, die es dem Gesetzgeber ermöglichen, mit Hilfe
der praktischen Erfahrungen bei der Anwendung des Gesetzes u.a. dessen Notwendig-
keit zu beurteilen.

Mit Blick auf sog. Anlassgesetze, d.h. von einzelnen Politikern und Medien aufgrund von
bestimmten, die Öffentlichkeit temporär bewegenden Vorfalles geforderte Erlasse, ist
die Grundsatzfrage der Notwendigkeit hilfreich. Ebenso würden bei einer häufigeren
Stellung der Frage der Notwendigkeit Regelungen unterbleiben, die aus einem in der
Verwaltung verbreiteten Hang zum Perfektionismus, zur möglichst vollständigen
Erfassung aller möglichen Sachverhalte entstehen.

IV. Praktikabilität

Nur ein praktikables Gesetz kann auch eine Umsetzung erfahren. Die Praktikabilität
(Vollzugstauglichkeit, Anwendungsgeeignetheit) einer Norm muss gegeben sein, damit
diese erfolgreich Wirkung entfalten kann. Der Zweck der Regelung wird eher erreicht,
wenn die Anwendung einfach ist. Die Chancen der Realisierung einer Norm steigen,
wenn sie praktikabel sind.

Wie praktikabel eine Norm in der Praxis wirklich ist zeigt sich erst im Vollzug. Der
Vollzug von Rechtsnormen ist dabei nicht bloss die Feststellung einer bereits darin
enthaltenen Lösung für den Einzelfall, sondern ein Vorgang, der das Normprogramm
vervollständigt, d.h. Regelungen mit eigenständigen, wenn auch begrenztem Gehalt
trifft. Nur durch das „richtige“ Zusammenwirken von Rechtssetzung und Rechtsan-
                                                                                                               
29
Überfrachtungen, Fehler bei der Anwendung, unerwünschte Nebenwirkungen. Zu den GFA, mit
welchen ex ante genaue solche Problemfelder evaluiert werden sollten, bereits vorne in § 8.
wendung kann m.a.W. ein politisches Programm in einem bestimmten Bereich realisiert
werden.

Auch kann unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität mit den verwaltungsrechtlichen
Grundprinzipien argumentiert werden. Der Grundsatz der Rechtssicherheit wird
beeinträchtigt, wenn Erlasse wegen praktischer Schwierigkeiten nicht oder nicht richtig
durchgeführt werden können. Ein Erlass, der mangels Praktikabilität in der Anwendung
scheitert, verstösst gegen das Willkürverbot und das Verhältnismässigkeitprinzip.

Für die Förderung der Praktikabilität der Umsetzung kommt es entscheidend darauf an,
dass der Gesichtspunkt der Praktikabilität schon in der Konzeptphase bei der Auswahl
der Art, der Dichte und Bestimmtheit sowie der Instrumente der Regelung und bei der
Organisation berücksichtigt wird. Es müssen Lösungen gesucht werden, die eine
möglichst reibungslose Einführung der neuen Regelungen in die bestehende Rechts-
ordnung erlauben.

Eine praktikable Lösung kann auch darin bestehen, die Gemeinwesen bzw. Behörden
die für den Vollzug verantwortlich sind, zu ermächtigen, diesen selbst zu regeln oder ihn
sogar Dritten, z.B. Privaten, zu übertragen, wenn dadurch die Effizienz bei gleicher
Wirksamkeit gesteigert werden kann. Nachfolgend einige Elemente, welche die
Implementierbarkeit eines Rechtssetzungsakts verbessern können:

ð Pauschalisierungen
ð Bagatellgrenzen
ð Verzicht auf oder Vereinfachungen von Kontrollen
ð Standardisierungen

Während eine abstrakte oder gar abschliessende Umschreibung der Kriterien der Prak-
tikabilität kaum zu bewerkstelligen ist, ist eine möglichst frühe Einbeziehung des
Kriteriums im Rahmen des Rechtssetzungsprozesses von grosser Wichtigkeit.

Ein wichtiges Instrument zur Erhöhung der Chancen, dass ein Erlass praktikabel wird,
ist im bereits in § 8 besprochenen Mitberichts- und Vernehmlassungsverfahren zu
ersehen. Diese Verfahren können dafür genutzt werden, die Erlassentwürfe durch die
Organe, die sie umzusetzen haben, auf deren Praktikabilität hin zu testen. Das Know-
How der Vollzugsorgane muss für die Ausgestaltung der Regelungen fruchtbar
gemacht werden, da diese die Eignung für die Implementation am besten beurteilen
können.

Praktikabilität im Konflikt mit anderen Regeln für die Ausgestaltung von Erlassentwürfen

Die Forderung nach Praktikabilität kann im Widerspruch stehen zu anderen Zielen oder
Prinzipien der Rechtsordnung, die für die Ausgestaltung von Rechtsnormen mass-
gebend sind. Eine offene, unbestimmte Regelung wäre zwar bspw. für die Anwendung
geeignet und würde insbesondere die wirkungsorientierte Verwaltungsführung
erleichtern, lässt sich aber u.U. mit dem Erfordernis des Rechtssatzes nicht vereinbaren,
das eine Normierungsdichte verlangt, welche die Voraussehbarkeit des Verwaltungs-
handelns und die rechtsgleiche Behandlung im Einzelfall gewährleistet. Eine Regelung
auf Verordnungsstufe wäre flexibler, doch müssen nach dem Erfordernis der Gesetzes-
form wichtige Regelungen vom Gesetzgeber selbst getroffen werden, um sie
demokratisch zu legitimieren.

Praktikabilität darf m.a.W. nicht einseitig zu Lasten anderer, für die Ausgestaltung von
Erlassen massgeblicher Regeln realisiert werden, aber auch nicht gänzlich unberück-
sichtigt bleiben, wenn sie in Widerspruch zu solchen Prinzipien steht. Allzu
vereinfachende, schematische und auf Verminderung des Verwaltungsaufwandes 30
gerichtete Regelungen können sich allerdings als verfassungswidrig erweisen, weil sie
gegen das Gesetzmässigkeitsprinzip, die Freiheitsrechte oder die Rechtsgleichheit
verstossen.

V. Normativer Gehalt

Normieren und Informieren

Rechtsnormen umschreiben Sollzustände, programmieren künftiges Geschehen: Es soll


etwas bewirkt werden, erreicht gelenkt, bewahrt, verändert werden. Keine
Rechtsnormen sind deshalb blosse Informationen über geltendes Recht in Form von
Hinweisen, Wiederholungen, Erklärungen, Erläuterungen, Begründungen und
Meinungen. Ihnen fehlt der Regelungswille, die „normative Relevanz“. Trotzdem kommt
es in der Praxis immer wieder vor, dass solche Informationen in einen Erlass
aufgenommen werden in der Meinung, er werde dadurch verständlicher, lesbarer oder
benutzerfreundlicher. Oft fällt es aber dadurch schwer, zwischen Regelungen mit
normativem Gehalt und blossen Informationen zu unterscheiden. Schliesslich besteht
die Gefahr, dass die Informationen ungenau sind oder im Laufe der Zeit unrichtig
werden, weil das Recht, auf das sie hinweisen oder das sie erklären, sich geändert hat.
Rechtsnormen und Informationen darüber sind klar zu trennen. Das gebietet nicht nur
die Forderung nach Präzision der Normtexte und das Prinzip der Rechtssicherheit,
sondern auch die Zuständigkeitsordnung; Rechtsnormen können ausschliesslich von
bestimmten Organen in speziellen Verfahren erlassen werden; darüber informieren kann
dagegen jede fachlich geeignete Amtsstelle in grundsätzlich beliebiger Form.

Zielbestimmungen und Grundsatznormen

Zielbestimmungen erfüllen eine normative Funktion, indem sie als Anleitung für die
Konkretisierung und Umsetzung eines Erlasses dienen, oder den im
Rechtssetzungsverfahren erreichten Konsens festschreiben, demokratisch legitimieren
und damit integrierend wirken. Zielnormen können ausserdem von Bedeutung sein,
wenn die Wirksamkeit eines Erlasses evaluiert werden soll. Aus der Zweckbestimmung
lässt sich ableiten, was der Gesetzgeber erreichen wollte. Sie dient als Massstab für die
Differenz zwischen der angestrebten und der tatsächlich eingetretenen Wirkung.

Grundsatz- oder Bestimmungsnormen gegen fundamentale oder richtungsweisende


Entscheidungen wieder. Es geht dabei meist darum, ein Prinzip zu statuieren, eine
Institution zu etablieren oder einen Status zu bestimmen. Der normative Gehalt liegt
                                                                                                               
30
Z.B. bei staatlichen Kontrollen.
nicht in der Regelsetzung, sondern in der verbindlichen Festlegung eines Grundsatzes
oder eines Status, von dem auszugehen ist, oder eines Programmes, das verwirklicht
werden soll.

Symbolische Gesetzgebung

Wie bei Zielbestimmungen und Grundsatznormen kann die Wirkung einer Norm darin
bestehen, dass sie für das Gemeinwesen wichtige, in der Gesellschaft herrschende
Wertvorstellungen bestätigt; eine solche Norm hat zwar Symbolcharakter, weist aber
trotzdem normativen Gehalt auf, indem sei eine legitimierende und integrierende
Funktion erfüllt. Auch rechtlich nicht durchsetzbare Deklarationen und Regelungen mit
moralischem Appellcharakter können rechtlich bedeutungsvoll sein. Anders gelagert ist
die Situation jedoch bei symbolischen Erlassen, bei denen das rechtssetzende Organ
eine „Scheinlsöung“ für ein Problem trifft, weil es die effektive Regelung, die zum Ziel
führen würde, nicht anordnen will. Wohl werden Anordnungen, die künftiges Geschehen
beeinflussen sollen, zwar erlassen, doch wird darauf verzichtet, die für die Verwirk-
lichung notwendigen Voraussetzungen – z.B. zivil- oder strafrechtliche Sanktionen,
Organe und Verfahren für den Vollzug – zu schaffen.

Systematik

Die Regelungen müssen in einen Zusammenhang, eine Reihenfolge gebracht werden,


damit ihr Gehalt verständlich wird. Die Systematik der Regelungen soll das Verhältnis
zwischen Ihnen klarstellen. Sie hat deshalb über die „technische“ Funktion der
Verständlichkeitsförderung hinaus eigenständige Bedeutung für die Bestimmung des
Geltungsbereichs, des Rangs und der gegenseitigen Beziehungen der Regelungen, also
auch normierenden Charakter. Dies ist insbesondere bei der Auslegung von Bedeutung.

Grundlage der Systematik ist die Abgrenzung des Regelungsgegenstands. Sie sollte im
Rahmen der Ausarbeitung des Konzepts vorgenommen werden. Der erste Schritt der
Gliederung besteht darin, festzulegen, welche Materie erfasst wird, d.h. was Inhalt eines
Erlasses sein soll und welche Regelungen in einen anderen Erlass gehören. Der
konzeptionelle Entscheid über die Abgrenzung des Regelungsgegenstandes muss bei
der Gliederung eines Erlasses ggf. präzisiert oder korrigiert werden.

Innere und äussere Systematik

Regelungen sollen sich einerseits richtig in das System der Rechtsordnung einfügen und in
sich bzw. untereinander widerspruchslos sein => Inn er e Syst em a ti k

Regelungen sollen so gegliedert werden, dass ihr Gehalt erfasst u. richtig verstanden wer-
den kann u. dass ihr ggs. Verhältnis geklärt wird. => Ä usser e Syst em a ti k
Grafik innere und äussere Systematik

Innere Äussere
Systematik Systematik

Erlass 3 Erlass 1

Widerspruchs- I. Teil
Erlass 2 freiheit innerhalb 1. Kapitel:
  der Rechts- 1. Abschnitt
ordnung/eines - Art.
Erlass 1 Rechtsgebiets
II. Teil
1. Kapitel: 1. Kapitel
- Art. 1. Abschnitt
Widerspruchs- - Art.
2. Kapitel: freiheit innerhalb
- Art. eines Erlasses  

Innere Systematik

Auch die innere Systematik weist zwei verschiedene Aspekte oder Ebenen auf: Sie soll
Widerspruchsfreiheit innerhalb der gesamten Rechtsordnung oder eines Rechts-
gebietes wie auch innerhalb eines neuen Erlasses gewährleisten.

Wahrung der Einheit der bestehenden Rechtsordnung beim Einfügen neuer Normen

Das richtige Einfügen neuer Normen in das geltende Recht setzt eine sorgfältige
Aufnahme des rechtlichen Ist-Zustandes und eine zweckmässige Abgrenzung des
Regelungsgegenstandes voraus. Nur so kann es gelingen, Ziel- oder Wertungskonflikte
und Widersprüche zu vermeiden. Inkonsequenzen innerhalb der Rechtsordnung sind
die Folge einer isolierten Bearbeitung neuer Normen, d.h. eines methodisch falschen
Vorgehens. In allen Phasen des Rechtssetzungsprozesses müssen die Auswirkungen
neuer Regelungen auf die bestehende Rechtsordnung geprüft und die Entwürfe
entsprechend angepasst werden, um die Folgerichtigkeit zu wahren.

Vermeiden von Widersprüchen zwischen neuen Regelungen

Widersprüche zwischen Regelungen, die neu erlassen oder revidiert werden, können
ebenfalls auf mangelhafte Konzepte oder darauf zurückzuführen sein, dass beim
Erarbeiten oder bei der Beratung der Texte zu wenig auf deren Konsistenz geachtet
wird. Die Gefahr, dass es zu Widersprüchen kommt, ist besonders gross, wenn
Erlassentwürfe während der Behandlung in parlamentarischen Gremien auf Antrag
einzelner Mitglieder geändert werden, ohne dass sorgfältig abgeklärt wird, ob sich diese
Änderungen mit anderen Regelungen vereinbaren lassen.
Arten von Widersprüchen

ð Gesetzestechnische Widersprüche
o Uneinheitlicher Sprachgebrauch
o Unkoordinierte Verwendung von Begriffen
ð Normwidersprüche
o Zwei Normen sehen für denselben Tatbestand eine unterschiedliche
Rechtsfolg vor
ð Wertungswidersprüche
o Neue Normen missachten die dem geltenden Recht zugrunde liegenden
Wertungen
ð Teleologische Widersprüche
o Das Erreichen der von einer Norm verfolgten Zwecke wird durch andere
Regelungen vereitelt
ð Prinzipienwidersprüche
o Konflikte zwischen den Grundgedanken, die für eine Regelung mass-
gebend sind

Wertungs- und Prinzipienwidersprüchen und Normwidersprüchen ist gemeinsam, dass


sie sich oft nicht durch Auslegung beseitigen lassen, so dass sich die Frage einer
richterlichen Korrektur der Normen stellt. Gesetzes Widersprüche sind dagegen bei der
Rechtsanwendung im Allgemeinen leichter zu beheben. In jedem Falle verursachen
solche Mängel erhebliche Schwierigkeiten bei der Rechtsverwirklichung.

Folgen widersprüchlicher Normierung

Ein Erlass muss in sich widerspruchsfrei, hinsichtlich seiner Wertungen konsequent und
systemgerecht sein. Trifft dies nicht zu, so verletzt er Art. 8 BV. Ein Abweichen von der
im Gesetz gewählten Sachgesetzgesetzlichkeit lässt sich mit dem Rechtsgleich-
heitsgebot nur vereinbaren, wenn die für die Abweichung sprechenden Gründe so
gewichtig sind, dass die in Frage stehende Systemwidrigkeit gerechtfertigt erscheint.
Die Verfassung verlangt vom Gesetzgeber Folgerichtigkeit: Er darf keine Regelungen
treffen, die in Widerspruch zum Regelungsziel stehen und sich mit der Ordnungs-
struktur des geregelten Sachgebietes nicht vereinbaren lassen.

Im Organisations- und Verfahrensrecht haben widersprüchliche Regeln Kompetenz-


konflikte, unrationelle Arbeitsabläufe, Lücken oder Doppelspurigkeiten bei der Aufga-
benerfüllung zur Folge und können Entscheidungsprozesse hemmen.

Damit führen widersprüchliche Normierungen nicht nur zu Schwierigkeiten bei der An-
wendung, sondern u.U. sogar zur Verfassungswidrigkeit einer Regelung.

Äussere Systematik

Begriff und Funktionen

Unter der äusseren Systematik (Gliederung, Aufbau) verstehen wir die Aufteilung des
Regelungsstoffes in Teile, Kapitel, Abschnitte, Unterabschnitte, Artikel bzw. Paragrafen,
Absätze, Ziffern, Sätze usw., d.h. die Reihenfolge der Normierungen und ihrer
Bestandteile. Die äussere Systematik hat – ähnlich wie die in § 8 besprochene
Abgrenzung des Regelungsgegenstandes – zwei Funktionen. Sie soll einerseits die
gedankliche Speicherung und Vermittlung des Rechtsstoffes durch eine rationale,
übersichtliche Darstellung erleichtern. Sie dient also dem Auffinden, Erkennen und
Erinnern der Regelungen (Informationsfunktion). Die Gliederung bestimmt zudem die
Problemsicht der rechtssetzenden und rechtsanwendenden Organe. Ein guter äusserer
Aufbau ist für die Verständlichkeit eines Erlasses, die Auslegung der Regelungen und
damit deren Wirksamkeit von grosser Bedeutung. Der Sinn einer Vorschrift ergibt sich
oft erst aus dem Zusammenhang, in welchem sie steht. Die äussere Systematik dient
also auch dazu, den Regelungen einen bestimmten Sinn zu geben und deren
Zwecksetzung verständlich zu machen. (Verständlichkeitsfunktion)

Kriterien

Der Erlass ist so aufzubauen, dass die Normadressaten den Regelungsgehalt möglichst
leicht auffinden, richtig verstehen und weiter vermitteln sowie gut in Erinnerung behalten
können. Die Systematik soll eine Hilfe beim Erkennen der Regelungszwecke und damit
bei der Auslegung der Rechtsnormen bieten. Die Auswahl der Gliederungs-
gesichtspunkte bestimmt sich also danach, ob sie zu einem Regelungsaufbau führen,
welcher die Informations- und die Verständlichkeitsfunktion zu erfüllen vermag. Je nach
dem Inhalt des zu gliedernden Erlasses sind dazu gewisse Kriterien besser geeignet als
andere.

Bei der Festlegung der äusseren Systematik, die im Grundsatz schon in der Konzept-
phase erfolgen sollte, spielt eine wesentliche Rolle, ob es um eine Teil- oder eine
Totalrevision oder einen neuen Erlass geht. Sind nur einzelne Bestimmungen eines
Erlasses zu ändern, so kann dessen Gliederung nicht oder höchstens punktuell
umgestaltet werden; auch die Kriterien der Systematisierung sind durch den zu
revidierenden Erlass im Wesentlichen bestimmt. Dagegen ist unter systematischen
Gesichtspunkten zu prüfen, an welcher Stelle und in welcher Reihenfolge die neuen
Regelungen in den bestehenden Erlass eingefügt werden sollen.

Die folgende Grundsstruktur hat sich in der Praxis etabliert:

Einleitung 31 mit Leitvorschriften über


ð Ziel und Zweck
ð Geltungsbereich
ð Begriffe

Hauptteil, gegliedert nach


ð logischen Kriterien
ð sachlichen Kriterien
ð chronologischen Kriterien
ð normativen Kriterien

Vorschriften über Organisation, Verfahren, Vollzug


Regelungen betreffend Kosten, Abgaben
Strafbestimmungen
Schlussbestimmungen betreffend
ð Inkrafttreten
ð Publikation
ð Aufhebung bisher gültiger Vorschriften
ð Änderung geltender Regelungen
ð Übergangsrecht
                                                                                                               
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Ausnahmsweise: “Allgemeiner Teil“.
Dieser Normalaufbau folgt dem (logischen) Kriterium, dass vom „Allgemeinen“ zum
„Besonderen“ fortzuschreiten sei. Bei dieser Struktur finden sich ferner materielle
Regelungen eher in der Einleitung oder im Hauptteil, formelle Regelungen gegen den
Schluss. Im Übrigen hat man sich an diesen Aufbau gewöhnt, was das Auffinden der
einschlägigen Bestimmungen erleichtert.

Gliederung des Hauptteils

Die Schwierigkeit liegt in der Gliederung des Hauptteils: Nach welchen Kriterien soll er
unterteilt werden? In welcher Reihenfolge sollen sich hier die einzelnen Vorschriften
folgen? Ausschlaggebend ist wiederum der Inhalt des zu gliedernden Erlasses:

ð Logische Kriterien
o Unterscheidung zwischen allgemeinen und speziellen Regelungen,
Ober- und Unterbegriffen, Grundsätzen und Ausnahmen
§ Bewilligungspflichtige Tätigkeiten daran anschliesend die
Voraussetzungen der Bewilligung
ð Sachliche Kriterien
o Aufbau orientiert sich an den zu regelnden Problemen oder
Gegenständen oder an den von der Regelung erfassten Adressaten
o Bildung von Gliederungseinheiten nach...
§ Betroffenen Personen
• Berufsangehörige, Staatsangehörige, Eltern, Kinder,
Niedergelassene, Aufenthalter, Rentenbezüger, Invalide
§ Geregelten Tätigkeiten
• Import, Export, Produktion u. Handel von Produkten
§ Geschützten Rechtsgütern
• Leib und Leben, Vermögen, Eigentum, Umwelt, Boden,
Luft, Natur, Gesundheit, Treue und Glauben im
Geschäftsverkehr, öffentlicher Frieden
§ Agierenden oder rechtlich erfassten Institutionen
• Gemeinwesen, Behörden, Verwaltungseinheiten, Schulen

ð Chronologische Kriterien
o Gliederung folgt dem zeitlichen Ablauf eines Geschehens
oder einer Handlung
§ Baugesuch
§ Ehe und Scheidung
ð Normative Kriterien
o Bildung von Gliederungseinheiten nach...
§ Begriffen
§ Rechtsinstituten
• Eigentum
• Beschränkt dingliche Rechte
• Besitz u. Grundbuch

Am häufigsten werden Erlasse nach sachlichen und chronologischen Kriterien


gegliedert. Innerhalb der Einheit kann sich die Reihenfolge der Regelungen allenfalls
nach anderen Kriterien richten. So kommt es oft zu Kombinationen von Kriterien: auf
einer oberen Ebene bestimmt sich die Systematik z.B. nach logischen oder normativen,
auf einer unteren nach sachlichen oder chronologischen Gesichtspunkten. Die syste-
matischen Gesichtspunkte dürfen allerdings nicht mehr als notwendig gewechselt
werden. Sie müssen zudem in einer bestimmten Rangordnung stehen, damit sich eine
sinnvolle Gliederung ergibt.

Steuergesetze werden etwa nach sachlichen oder normativen Kriterien (Steuerart,


Steuerpflichtige, Gegenstand der Besteuerung etc.) in Abschnitte gegliedert. Innerhalb
dieser Abschnitte folgen sich dann die Regelungen aber zum Teil nach chronologischen
Kriterien (Steuererklärung, Veranlagung, Rechtsschutz etc.)

Auch für die Bildung der untersten Gliederungseinheiten – Artikel und Paragrafen,
Absatz und Satz – gelten grundsätzlich die gleichen Kriterien. Hier ist es besonders
wichtig, die Informationen über den Regelungsinhalt so zu gestalten, dass er von Fach-
leuten den Betroffenen vermittelt werden kann.

VII. Adressatengerechtheit

Rechtsnormen müssen so ausgestaltet sein, dass sie von denjenigen, deren


Entscheidungen beeinflusst werden sollen, verstanden werden. Daraus wird oft der
Schluss gezogen, Rechtsnormen müssten in erster Linie „adressatengerecht“ sein.
Dem ist grundsätzlich zuzustimmen: Wenn Rechtsnormen ihre Funktion erfüllen soll, die
Adressaten zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen, so müssen die darin
enthaltenen Informationen so vermittelt werden, dass sie bei ihnen „ankommen“. Dies
bedeutet, dass die Rechtsnormen nicht nur verstanden werden, sondern auch
motivierend wirken. Indessen ist das Kriterium der Adressatengerechtheit in mehrfacher
Hinsicht zu präzisieren und zu relativieren.

Funktionsgerechte Ausgestaltung

Wenn durch Rechtssetzung politische Entscheidungen legitimiert werden sollen, dann


muss eine Bestimmung nicht zwingend adressatengerecht ausgestaltet sein. In einem
solchen Fall kann es sein, dass offenen, unbestimmte Normierungen gewählt werden
müssen, um politische Zielsetzungen zu umschreiben, auf die sich verschiedene
politische Kräfte geeinigt haben, oder um festzulegen, welche Kompromisse – vielleicht
auch nur Formelkompromisse im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners –
erreicht worden sind.

Solche Bestimmungen sollen funktionsgerecht sein, d.h. dass sie so auszugestalten


sind, dass sie legitimerend und integrierend zu wirken vermögen. Die Adressanten-
gerechtheit ist deshalb nur dann ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Ausgestaltung
von Regelungen, wenn diese primär bezwecken, Verhalten zu ordnen und zu lenken.

Zum Adressatenbegriff

Bei der Adressatengerechtheit steht die Frage, an wen sich eine Norm richtet, im
Zentrum. Wessen Entscheidungen sollen beeinflusst bzw. gelenkt werden. Die
Beantwortung dieser Frage ist wichtig, zumal die Norm je nach dem
Verständnishorizont der Adressaten unterschiedlich auszugestalten ist.
Richtet sich eine Norm nur an die mit der Anwendung der Rechtsnorm beauftragten
Organe, so kann die Norm knapper, präziser formuliert sein und Begriffe der juristischen
Fachsprache verwenden. Sind dagegen Laien oder gar die Allgemeinheit als Adressaten
zu betrachten, so muss auf die Verwendung von Fachausdrücken verzichtet und
versucht werden, den Normtext durch Erklärung der Zusammenhänge und Hinweise
auf die Bedeutung von Begriffen verständlich zu machen; der Normtext wird dadurch
umfangreicher, unübersichtlicher und unpräziser.

Rechtskenntnis und Normgestaltung

Die Adressatengerechtigkeit als Kriterium der Rechtssetzungstechnik vermag nur dann


zu überzeugen, wenn die Adressaten ihre Entscheidungen tatsächlich aufgrund der
Normtexte treffen. Die Ausgestaltung der Normen nach dem Verständnishorizont der
Adressaten ist aber sinnlos, wenn sie ihre Rechtskenntnisse aus anderen Quellen
beziehen oder wenn die Normtexte ihnen keine ausreichenden Rechtskenntnisse
vermitteln. Beides trifft zu.

Die Rechtsnormen selbst enthalten oft nur einen Teil der Informationen, welche
Grundlage für die Entscheidungen der Adressaten bilden; die Normen können erst
zusammen mit den sie näher bestimmenden Verwaltungsakten und Gerichtsurteilen
richtig verstanden werden.

Rechtsnormen, welche der Lebenserfahrung entsprechen, bedürfen weniger intensiver


Bekanntmachung als Gesetze, mit denen gesellschaftliche Entwicklungen verändert
werden sollen.

Bei einem relativ kleinen, bestimmten Adressatenkreis darf eher damit gerechnet
werden, dass sich di Betroffenen nach der Existenz und dem Inhalt der Normen
erkundigen oder dass sie durch private Organisationen darüber orientiert werden, als
bei Erlassen allgemeiner Art, die sich an eine unbestimmte Zahl von Privaten wenden.

Vermittelbarkeit als Massstab der Normgestaltung

Da juristische Laien sich grossmehrheitlich nicht durch das Lesen der Normtexte ins
Bild setzen muss die Forderung nach „Allgemeinverständlichkeit“ von Rechtsnormen
aufgegeben werden. Sie ist nicht nur unerfüllbar, weil sich gewisse Normen wegen der
Natur der geregelten Materie auch bei grösster Anstrengung unter Einsatz sämtlicher
Hilfsmittel der Vereinfachung und Erklärung nicht so formulieren lassen, dass sie
jedermann verstehen kann. Die Regelungen büssen mithin an Präzision ein und nehmen
an Umfang zu, weil einerseits zur Vereinfachung auf Differenzierungen verzichtet werden
muss und sie auf der anderen Seite mit weitschweifigen Erläuterungen und
Wiederholungen ohne normativen Gehalt versehen werden müssen. Dadurch verlieren
sie an Lenkungskraft.

Statt Allgemeinverständlichkeit sollte die Vermittelbarkeit als Masstab herangezogen


werden. Statt allgemeinverständlich müssen die Normen anwendungsgeeignet und
vermittlungsfähig sein. Das bedeutet, dass ein gewisses Fachwissen, eine Vertrautheit
mit der geregelten Materie und Erfahrung im Umgang mit Rechtserlassen vorausgesetzt
werden dürfen.
Der Rechtssetzer wendet sich dabei an Fachleute, welche die Zusammenhänge und bis
zu einem bestimmten Grad auch die juristische Dogmatik und Begrifflichkeit sowie die
Methoden der Rechtsanwendung kennen. Die Adressaten, auf deren Verständnis-
horizont es für die Gestaltung der Normtexte primär ankommt, sind also die Umsetzer
und Vermittler des Regelungsgehaltes.

Information über das Recht als Aufgabe des Staates

Vgl. dazu Müller, N 319.

VIII. Gesetzessprache

Die Gesetzessprache soll in erster Linie sach- und funktionsgerecht sein. Eine scharfe
lexikalische Trennung zwischen Umgangssprache und juristischer Fachsprache ist wohl
nicht möglich.

Die rechtliche Deutung sozialen Handelns setzt voraus, dass eine von der
Umgangssprache verschiedene Sprache existiert, in der bestimmte Deutungsschemata
und deren strukturelle Zusammenhänge formuliert werden können; eine abstrahierende
Deutung sozialen Handelns kann nur in einer Fachsprache erfolgen.

Zu den Regeln für die Formulierung von Normen, vgl. N 324 ff.

Präzision darf nicht mit Bestimmtheit der Regelung verwechselt werden. Eine Norm
kann bewusst unbestimmt formuliert werden, um Spielraum für die Konkretisierung
durch Normen unterer Stufe oder durch Einzelfallentscheidungen zu schaffen; es muss
sich aber aus der präzisen Regelung ergeben, welchem Zweck die Unbestimmtheit
dient. Dagegen bedeutet Unklarheit – im Gegensatz zu Unbestimmtheit – stets auch
fehlende Präzision. Unklare Formulierungen von Normtexten sind oft darauf zurück-
zuführen, dass keine Klarheit über den Inhalt einer Regelung besteht.

In der Kürze liegt die Würze. Erklärungen, Vergleiche, Beispiele und andere Mittel der
Veranschaulichung oder Motivierung dürfen nicht verwendet werden, um keinen Anlass
zu Missverständnissen und Auslegungsschwierigkeiten zu geben. Die Knappheit der
Aussage und der Verzicht auf verständnisfördernde Hinweise mag die Lektüre des
Textes erschweren. Das ist aber im Hinblick auf die Vorteile der Kürze und Prägnanz in
Kauf zu nehmen.

Richtschnur ist die Normativität. Wird nur informiert, so genügt dies i.d.R. nicht.

Eine einfache Gesetzessprache erhöht die Chancen der richtigen Vermittlung des
Norminhaltes und damit der Wirksamkeit der Norm. Das Gebot der Einfachheit bezieht
sich namentlich auf den Satzbau und die Auswahl und Stellung der Wörter, aber auch
auf andere sprachlichen Elemente von Normtexten. Substantivierungen, Fremdwörter
und Fachausdrücke sollten vermieden werden. In vielen Bereichen ist die erforderliche
Genauigkeit und Aussagekraft aber nur zu erreichen, wenn mit Rechtsbegriffen
gearbeitet wird. Dagegen ergänzen sich Einfachheit und Kürze der Sprache i.d.R.

Zu geschlechtsneutralen Formulierungen, vgl. N 332.


IX. Einpassung neuer Regelungen in die bestehende Rechtsordnung

Die Harmonisierung des neuen mit dem geltenden Recht ist für die Wirksamkeit von
grösster Bedeutung. Sie spielt in verschiedenen Phasen des Rechtssetzungsprozesses
– v.a. bei der Aufnahme des Ist-Zustandes – eine Rolle und muss im Zusammenhang
mit der Abgrenzung des Regelungsgegenstands, der inneren Widerspruchsfreiheit und
dem Aufbau des Erlasses angemessen berücksichtigt werden.

Erste Voraussetzung für die reibungslose Einführung ist eine genaue Feststellung der
„Schnittstellen“ zwischen geltendem und neuem Recht:

ð Welche Normen sollen aufgehoben oder geändert werden?


ð Welche Normen sollen weiterhin gelten?
ð Wo bestehen Bedürfnisse nach Klärung des Verhältnisses
von bisherigem und neuem Recht?
 

Viele Anwendungsprobleme nach dem Inkrafttreten neuer Erlasse sind die Folge davon,
dass sie mangelhaft auf das bisherige Recht abgestimmt und die Einführungs- und
Übergangsprobleme unterschätzt wurden.

Die sofortige und vollständige Inkraftsetzung des neuen Rechts kann sich insbesondere
als unverhältnismässige Belastung aller oder eines Teils der Betroffenen erweisen oder
gegen das Vertrauensschutzprinzip verstossen. Eine Übergangsregelung soll einen
ersten Schritt in Richtung der angestrebten definitiven Regelung gehen, sich aber nicht
zu weit vom bisher gültigen Recht entfernen, um die Angewöhnung zu erleichtern.

Der Zeitpunkt des Inkrafttretens kann hinausgeschoben werden oder das neue Recht
gestaffelt in Kraft gesetzt werden, den Betroffenen zu ermöglichen, die von ihnen
getroffenen Dispositionen der neuen Rechtslage anzupassen. Unter Umständen ist
ihnen sogar Gelegenheit zu geben, zwischen der Anwendung des bisherigen und des
neuen Rechts zu wählen.

Die Einführung des neuen Rechts erfolgt durch Schluss- und Übergangsbestimmungen.
Die mit dem neuen Recht in Widerspruch stehenden und deshalb aufzuhebenden oder
zu ändernden Vorschriften sind in den Schlussbestimmungen ausdrücklich und
vollständig wiederzugeben. Nur so ist es möglich, die Rechtsordnung in einer dem
Gebot der Rechtssicherheit genügenden Weise zu bereinigen. Der Entscheid, ob und
inwieweit eine neue Regelung dem bisherigen Recht widerspricht und es deshalb
derogiert, darf nicht den rechtsanwendenden Organen überlassen werden; diese für die
Wirksamkeit bedeutungsvolle Anordnung muss vielmehr der Gesetzgeber treffen.

In den Schluss- und Übergangsbestimmungen finden sich:

ð Eine Norm betreffend den Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Vorschrift;
ð Eine Aufzählung der Normen in anderen Erlassen, die aufgehoben werden;
ð Die Änderungen von Regelungen in anderen Erlassen der gleichen Stufe;
ð U.U. eine Ordnung, die den in besonderer Weise von der neuen Regelung
betroffenen Personen den Übergang erleichtern soll, indem sie ggf. für
beschränkte Zeit – Ausnahmen, Erleichterungen oder den (vorläufigen) Verzicht
auf die Anwendung des neuen Rechts vorsieht.

Die Erarbeitung solcher Schluss- und Übergangsbestimmungen gehört zu den


anspruchsvollsten Aufgaben der Rechtssetzung.

X. Besondere Regelungstechniken

Es ist nachfolgend auf folgende besondere Regelungstechniken einzugehen

ð Zweckartikel
ð Umschreibung des Geltungsbereichs
ð Legaldefinitionen
ð Allgemeiner Teil
ð Verweisungen
ð Fiktionen
ð Gesetzliche Vermutungen
ð Wiederholungen

Zweckartikel

Zweckartikel umschreiben die Grundanliegen eines Erlasses. Sie sind Verständnis- und
Auslegungshilfen für die übrigen Bestimmungen des Erlasses oder dienen dazu, die im
Rechtssetzungsverfahren zustandegekommenen politischen Kompromisse festzu-
schreiben und demokratisch zu legitimieren. Sie können überdies als Massstab für die
Evaluation der Wirksamkeit von Erlassen herangezogen werden.

Es ist üblich geworden, Gesetze und oft auch Verordnungen mit einem Zweckartikel
einzuleiten. Die Ziele des Erlasses ergeben sich aber häufig mit ausreichender
Deutlichkeit aus dessen Bestimmungen oder aus übergeordneten Normen, z.B.
Verfassungs- oder Gesetzesbestimmungen, auf welche sich der Erlass stützt. In diesen
Fällen sind Zweckartikel überflüssige Zusammenfassungen des Regelungsinhaltes oder
Wiederholungen ohne normativen Gehalt.

Die Technik des Zweckartikels ist sparsam einzusetzen. Zweckartikel, die einem Erlass
als bloss informatorische Inhaltsangabe vorangestellt werden und deshalb oft die
Sachüberschrift „Gegenstand“ tragen, sind nicht nur Ballast, der zum Anschwellen der
Regelungsflut beiträgt. Sie können auch die Anwendung des betreffenden Erlasses
erschweren, wenn sie dessen Inhalt ungenau oder unvollständig wiedergeben. Sie
wecken zudem falsche Erwartungen bei den Organen wie bei den Adressaten der
Rechtssetzung.

Umschreibung des Geltungsbereichs

Ein Erlass kann seinen sachlichen und örtlichen Geltungsbereich vorweg begrenzen
oder präzisierend umschreiben, indem er nur für bestimmte Personen, Gemeinwesen,
Verfahren, Behörden, Tätigkeiten, Gebiete etc. anwendbar erklärt wird. Die Regelung
des zeitlichen Geltungsbereichs findet sich dagegen in den Schlussbestimmungen, die
den Zeitpunkt des Inkrafttretens festlegen und allenfalls die Geltungsdauer begrenzen.
Die Normierung des Geltungsbereichs ist oft von grosser Bedeutung. Von ihr kann
abhängen, ob ein Erlass verhältnismässig ist: Wird der Kreis der Personen, denen
Pflichten auferlegt, oder der Tätigkeiten, die bewilligungspflichtig erklärt werden, zu weit
gezogen, so fehlt es an der Eignung oder der Erforderlichkeit der Normierung für die
Erreichung ihrer Ziele, oder die Eingriffswirkung wird durch den Eingriffszweck nicht
gerechtfertigt.

Ein Erlass, der seinen Geltungsbereich unzutreffend abgrenzt, z.B. bestimmte


Gemeinwesen, Örtlichkeiten oder Behörden nicht mit einbezieht, kann wirkungslos
bleiben oder seine Ziele nur unvollständig erreichen. Unter Umständen verstösst er
dadurch sogar gegen das Rechtsgleichheitsgebot, etwa wenn er ohne sachlichen
Grund aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu gewissen Gruppen oder Organisationen vom
Geltungsbereich ausnimmt.

Vorschriften über den Geltungsbereich können aber auch das Verhältnis des
betreffenden Erlasses zu anderen Erlassen bestimmen oder klären. In diesem Falle
dienen sie der Einfügung der neuen Regelung in die bestehende Rechtsordnung.

Der Geltungsbereich ist nur dann besonders zu umschreiben, wenn er aus dem Erlass
nicht ohne weiteres ersichtlich ist.

Legaldefinitionen

Eine weitere besondere Regelungstechnik besteht darin, Begriffe so zu definieren, dass


sie im ganzen Erlas einheitlich in einem bestimmten Sinne verwendet werden können.
Solche Definitionen ordnen kein Verhalten an, sondern regeln den Sprachgebrauch für
einen bestimmten Erlass, grenzen ihn insbesondere vom allgemeinen Sprachgebrauch
oder von der Bedeutung der Begriffe in anderen Erlassen ab. Sie dienen der
Verdeutlichung und Präzisierung der Regelungen. Sie ermöglichen zugleich eine
Verkürzung, indem die Bedeutung eines Begriffes an einer Stellen beschrieben wird und
nicht bei jeder Verwendung wiederholt werden muss.

Keine Legaldefinitionen sind Erläuterungen oder Erklärungen des dogmatischen oder


rechtspolitischen Hintergrunds von Regelungen, d.h. Realdefinitionen, die das Wesen
des bezeichneten Gegenstandes beschreiben. Sie legen nicht den Sprachgebrauch
fest, sondern informieren über die Bedeutung von Begriffen, weisen also keine norma-
tiven Gehalt auf. Nicht jeder Erlass muss aber mit Begriffsbestimmungen eingeleitet
werden. Legaldefinitionen sollen nur dort erfolgen, wo Ausdrücke nicht im Sinne des
allgemeinen Sprachgebrauchs verwendet werden oder für den betreffenden Regelungs-
bereich zu wenig klar sind.

Bei der Wortwahl ist soweit möglich am allgemeinen Sprachgebrauch anzuknüpfen und
hierauf die abweichende Verwendung im Rahmen des Erlasses zu umschreiben.
Dadurch wird die Legaldefinition verständlicher. Der Gesetzgeber muss aber die
Begriffe nicht vollständig definieren, sondern nur festlegen, welche besondere
Bedeutung ihnen zukommen soll, d.h. welche Fälle entgegen dem allgemeinen
Sprachgebrauch erfasst bzw. nicht erfasst werden sollen. Eigene Wortschöpfung sind.
wo sachgerecht, geboten, um die Abgrenzung zum allgemeinen Sprachgebrauch zu
verdeutlichen. Es muss aber eine gemeinsame Basis zwischen allgemeinem und
normativem Sprachgebrauch bestehen. Die für die Auslegung geltenden Sprachregeln
müssen auch für die Normgestaltung bindend sein.

Allgemeiner Teil

Spielt in einem Erlasse eine bestimmte Frage in verschiedenen Zusammenhängen eine


Rolle, so kann man sie in einem AT regeln, statt sie jeweils im betreffenden
Zusammenhang immer wieder in der gleichen Weise zu beantworten. Damit wird die
Regelung vor die Klammer gezogen; die vertikale Normierung eines Grundsatzproblems
im Zusammenhang mit den verschiedenen konkreten Problemen, d.h. in mehreren
Abschnitten eines Erlasses, wird durch eine horizontale ersetzt, wobei die
Grundsatzfrage vorweg und allgemein, für alle vom Erlass geregelten Sachverhalte in
gleicher Weise beantwortet wird.

Vgl. dazu die Aufzählung verschiedener Beispiele bei MÜLLER, N 356 ff.
ð OR
ð ZBG
ð StGB
ð ATSG

Allgemeine Teile verfolgen ähnliche Ziele wie Legaldefinitionen. Sie ermöglichen


„Einsparungen“ von Normen, weil die Regelung des Grundsatzes nur einmal erfolgt und
nicht bei jedem Anwendungsfall wiederholt werden muss. Sie führen auch zu
einheitlichen Lösungen von Grundsatzproblemen, was der inneren Widerspruchsfreiheit
eines Erlasses oder eines ganzen Rechtsgebietes dient. Sie erleichtern es,
Zusammenhänge zwischen verschiedenen Bestimmungen zu erkennen und erlauben
die Koordination verschiedener Regelungen.

Auf der anderen Seite sind die Bestimmungen im AT wegen ihrer Abstraktheit und dem
fehlenden Bezug zum konkreten Problem schwer verständlich. Entsprechend sollten
allgemeine Teile nur bei sehr langen Erlassen, v.a. bei Kodifikationen, Anwendung finde
und sich auf die wichtigsten, sehr vielen Zusammenhängen relevanten Grundsatzfragen
beschränken, so dass deren vorwegnehmende abstrakte Regelung sich lohnt.

Anders als ein Allgemeiner Teil, welcher abkürzen und vereinheitlichen will, sollen
Normen, die zum Ziel haben auf nachfolgende spezielle Vorschriften vorzubereiten,
unter dem Titel Einleitung untergebracht werden.

(Verbleibend: MÜLLER, N 365-393)

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