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Akute Pankreatitis
Dr. med. Wulf Daniel Winkler, Dr. med. Michael Manz, Dr. med. Matthias Sauter
Abteilung für Gastroenterologie, Bauchzentrum, St. Claraspital, Basel
Die akute Pankreatitis ist ein häufiges und wichtiges Krankheitsbild. Obwohl die
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Sterblichkeit in den letzten Jahren unter anderem durch eine frühe intensiv-medi-
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zinische Betreuung gesenkt werden konnte, bleibt die Letalität bei Auftreten von
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Epidemiologie / Pathophysiologie Bei der idiopathischen Pankreatitis, die mit dem Alter
zunimmt, bleibt die Ursache trotz Bildgebung und
Die akute Pankreatitis ist ein häufiges Krankheitsbild
Anamnese inklusive Alkohol- und Medikamentenana-
mit einer Inzidenz von ~30/100 000 Einwohnern/Jahr
mnese unklar. Vermutlich ist eine Subgruppe ebenfalls
(Daten aus dem Vereinigten Königreich/Wales) [1]. In
als biliär anzusehen (siehe später).
den letzten zehn Jahren ist es gemäss Studien aus
Bei der biliären Pankreatitis entsteht durch eine transi-
Wales zu einer Zunahme um insgesamt etwa 30% ge-
ente Blockierung des Pankreasganges auf Höhe der Pa-
kommen, dies vor allem bei jungen Menschen und bei
pilla vateri eine Abflussstörung, direkt steinbedingt
bekanntem Nikotin- und übermässigem Alkoholkon-
oder durch eine Papillenschwellung nach stattgehab-
sum [2]. Die Letalität ist in den letzten Jahrzehnten ste-
tem Steinabgang. Dieser Stauungsmechanismus spielt
tig gesunken und liegt aktuell bei 2–5% [2]. Schwere
auch bei der Post-ERCP-Pankreatitis (ERCP = endosko-
Verläufe (schwere nekrotisierende Pankreatitis oder
pische retrograde Cholangiopankreatikographie), die
persistierende Organdysfunktion) sind aber weiterhin
1–5% aller Pankreatitiden verursacht, und möglicher-
mit einer hohen Mortalität von bis zu 30% vergesell-
weise beim Pankreas divisum eine Rolle [2].
schaftet [3]. Hauptgründe dieser hohen Mortalität sind
Der zweithäufigste Grund für eine akute Pankreatitis
in den ersten zwei Wochen das Multiorganversagen
ist übermässiger Alkoholkonsum (25–35%) [2, 4, 5]. Bei ei-
und das «systemic inflammatory response syndrome»
nem Konsum von 4–5 alkoholischen Standardgeträn-
(SIRS). Im späteren Verlauf treten vor allem infektiöse
ken pro Tag über einen Zeitraum von ≥5 Jahren ist das Ri-
Komplikationen, insbesondere infizierte Nekrosen
siko relevant erhöht [2]. Hierbei muss eingeschränkt
und Pseudozysten, auf [2].
werden, dass die Definition für ein Standardgetränk von
Auch wenn verschiedene Faktoren eine Pankreatitis
Land zu Land variiert, von 8 g im Vereinigten Königreich
verursachen können, kommt es nur bei einer kleinen
bis 20 g in Japan (Schweiz: 10 g, entspricht ca. 3 dl Bier, 2 dl
Anzahl von Patienten wirklich dazu. So beträgt bei-
Wein) [6]. Im Gegensatz zur chronischen Pankreatitis
spielsweise das Lebenszeitrisiko für eine Pankreatitis
ist bei der akuten Pankreatitis der Zusammenhang
bei Patienten mit Gallensteinen nur ca. 5%, bei Patien-
zwischen Alkohol und Ätiologie weniger klar; insbe-
ten mit Alkoholüberkonsum nur 2–10% [2]. Die genauen
sondere unklar ist, warum es erst nach jahrelangem
Pathomechanismen sind noch nicht abschliessend ver-
Konsum zu einer Pankreatitis kommt, nicht aber bei
standen (siehe später). Zu Beginn der Entzündung
einem einmaligem Alkoholexzess, wobei verschiedene
kommt es zu einer intraazinären Aktivierung einer
Pathomechanismen diskutiert werden [7–9].
grossen Menge von pankreatischen Verdauungsenzy-
Etwa 5% aller Pankreatitiden sind medikamentös be-
men, noch bevor diese sezerniert werden können. Hier-
dingt [2]. Es werden verschiedene Medikamente ur-
bei ist die Menge an vorzeitig aktivierten Verdauungs-
sächlich angeschuldigt; die wichtigsten sind Thiopu-
enzymen zu gross, als dass sie durch die verschiedenen
rine, Valproat, ACE-Hemmer, Didanosin und Mesalamin
Pankreas-eigenen Inhibitionsmechanismen neutrali-
(Tab. 2) [10].
siert werden können.
Eine gefürchtete iatrogene Komplikation ist die Post-
ERCP-Pankreatitis (1–5 % aller Pankreatitiden, bei rund
Ätiologie
5% aller ERCP) [11–13], bei der es vermutlich durch die
Die zwei häufigsten Ursachen sind die biliäre (40–70%) Manipulation zu einer transienten Schwellung und
Wulf Daniel Winkler und die alkoholtoxische Genese (25–35%; Tab. 1) [2, 4, 5]. folglich einer Abflussstauung kommt. Die einmalige
assoziiert. Zudem sollten die Elektrolyte regelmässig begrenzt. Sinnvoll scheint eine frühe ERCP in Fällen von
kontrolliert und gegebenenfalls substituiert werden. akuter schwerer biliärer Pankreatitis und gleichzeitigen
Zeichen einer akuten Cholangitis. In allen anderen Fäl-
Analgesie len ist die ERCP nur indiziert, falls ein klinischer Ver-
Die ausreichende Flüssigkeitssubstitution kann auch dacht auf eine anhaltende biliäre Obstruktion besteht [2,
das prädominante Symptom der Abdominalschmerzen 4]. Im Zweifelsfall erfolgt ein MRCP oder eine Endosono-
verbessern. Des Weiteren sind oftmals Opioide notwen- graphie.
dig, welche gegebenenfalls auch als bedarfsadaptierte
Therapie («patient controlled analgesia» [PCA]) appli- Antibiotika
ziert werden sollten. Die präemptive Gabe von Antibiotika hat bei der akuten
Pankreatitis keinen Benefit gezeigt. Antibiotika sind in-
ERCP diziert in Fällen von gleichzeitiger Cholangitis, einer Ka-
Die Datenlage zur Frage, ob eine frühe ERCP in jedem Fall theterinfektion, nachgewiesener Bakteriämie oder (lo-
einer bilären Pankreatitis durchgeführt werden soll, ist kalen) infektiösen Komplikationen (siehe später).
) Magnetresonanztomographie (Koronarschnitt) eines 72-jährigen Patienten mit infizierter Pankreaszyste (roter Pfeil) mit Kompression
Abbildung 2: A
der Gallenwege. B) Computertomographie (Axialschnitt) mit perkutaner Punktion. L: Leber; G: Gallenblase; N: Niere.
gewissen Fällen auf eine Punktion zur verzichten und Die systemische Entzündungsantwort führt zu einem
eine empirische Antibiotikatherapie zu beginnen [4]. erhöhten metabolischen Bedarf mit kataboler Stoff-
Bei fehlender Besserung oder im Verlauf erneuter Ver- wechsellage und zur Freisetzung von proinflammato-
schlechterung unter antibiotischer Therapie sollte je rischen Zytokinen und freien Radikalen [30, 31]. Die
nach Verlauf und lokaler Expertise ein minimalinvasi- Folge sind einerseits eine Abnahme des Körperge-
ves Debridement (endoskopisch, radiologisch oder chi- wichts mit Malnutrition mit entsprechenden Konse-
rurgisch) durchgeführt werden. Als ersten Schritt kann quenzen, andererseits eine vermehrte bakterielle
eine ultraschallgesteuerte, transgastrische Drainage Translokation (eingeschränkte «gut barrier function»)
der Nekrose mit Einlage eines Stents erfolgen, gegebe- mit lokalen potentiell deletären infektiösen Komplika-
nenfalls im Verlauf mit wiederholter endoskopischer tionen. Die Erhaltung der «gut barrer function» durch
oder chirurgisch-minimalinvasiver Nekrosektomie. enterale Ernährung scheint wiederum das Risiko lo
Ob der endoskopische Approach dem chirurgisch-mi- kaler Komplikationen zu reduzieren. Aus diesen Grün-
nimalinvasiven überlegen ist, bleibt weiterhin Gegen- den ist die Ernährungstherapie ein wichtiges Stand-
stand der Forschung [25–29]. Generell sollte eine inva- bein der Therapie dieser Erkrankung [30–32].
sive Massnahme nach Möglichkeit, das heisst falls
Um Malnutrition zu vermeiden und die «gut
der Patient stabil ist, so lange hinausgezögert wer-
barrier function» zu erhalten, sollte schon
den, bis die Nekrose abgekapselt ist (WON). Die of-
früh mit einer oralen (oder enteralen) Ernährung
fene chirurgische Nekrosektomie, die früher in
begonnen werden.
fast jedem Fall einer infizierten Nekrose durchge-
führt wurde, ist mittlerweile dem instabilen Patienten Bei milden Verläufen der Pankreatitis kann früh mit
Korrespondenz: vorbehalten. Beispiele einer nekrotisierenden Pankre- einer fettarmen festen oder flüssigen Kost begonnen
Dr. med. Matthias Sauter
Leitender Arzt
atitis und einer Pseudozyste mit lokaler Komplikation werden, sofern sie toleriert wird und keine Übelkeit
Bauchzentrum und deren interventionelle Therapie sind in den Abbil- oder Erbrechen bestehen. Diese Kost kann nach Mass-
Abteilung für
dungen 1 und 2 dargestellt. gabe der Beschwerden gesteigert werden. Das Einhal-
Gastroenterologie
St. Claraspital ten einer initialen Nüchternphase («to put the pan-
Kleinriehenstrasse 30 Ernährungstherapie creas at rest») für 72 Stunden ist nicht notwendig,
CH-4016 Basel
matthias.sauter[at] Das Ernährungskonzept bei der akuten Pankreatitis ist vielmehr scheint das Nüchternlassen mit einer intesti-
claraspital.ch aus mehreren Gründen äusserst wichtig. nalen Atrophie und erhöhten Darmpermeabilität und
somit einer erhöhten Rate an Infektkomplikationen gen, sofern toleriert. Ob eine frühe enterale (sprich
im Verlauf vergesellschaftet zu sein [31, 33]. Bei einer post-pylorische) Gabe via Duodenalsonde der oralen
milden Pankreatitis scheint eine enterale Gabe ohne «on demand»-Kost mit gegebenenfalls Magensonde
Benefit zu sein [30–33]. wirklich überlegen ist, ist trotz prospektiver Studien
Auch im Falle einer schweren Pankreatitis soll eine nicht eindeutig erwiesen [34]. Eine parenterale Ernäh-
frühe orale (oder enterale [via Sonde]) Ernährung erfol- rung sollte dann erwogen werden, wenn eine enterale
Gabe nicht möglich ist respektive zur vollständigen
Kaloriendeckung nicht ausreicht, in der Regel nicht vor
Das Wichtigste für die Praxis sieben Tagen [30–32].
• Obwohl die akute Pankreatitis bei der Mehrzahl der Patienten mild ver-
Cholezystektomie
läuft, handelt es sich um eine potentiell schwere akute Erkrankung.
Im Fall einer leichten biliären Pankreatitis, soll die
• Bei der initialen Präsentation soll mithilfe der klinischen Untersuchung, Cholezystektomie in der Regel während der Hospitali-
der Suche nach Organdysfunktionen und verschiedener Scores versucht sation erfolgen. Im Falle eines schweren Verlaufs wird
werden, leichte von potentiell schweren Fällen herauszufiltern. bis zur Regredienz der Entzündung und der peripan
• Die initiale Therapie besteht aus ausreichender Flüssigkeitssubstitution, kreatischen Flüssigkeit zugewartet, wobei hier das Ri-
Korrektur von Elektrolytstörungen, Analgesie und Beginn einer oralen/ siko der Operation versus das Risiko einer erneuten bili-
enteralen Ernährung, sobald diese toleriert wird. Die adäquate frühe ären Pankreatitis sorgfältig gegeneinander abgewogen
(orale/enterale) Ernährung scheint durch Erhaltung der «gut barrier func- werden muss [4, 17].
tion» das Risiko für lokale infektiöse Komplikationen zu reduzieren und
hat somit hohe Priorität bei Management dieser Erkrankung. Disclosure statement
• Lokale Komplikationen beinhalten (peri-)pankreatische sterile Flüssig- Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
keitskollektionen und Nekrosen, die bakteriell superinfizieren oder lokal
zu Kompression von Dünndarm oder auch Gallenwegen führen können.
Literatur
• Die optimale Therapie der infizierten Komplikationen (endoskopisch vs. Die vollständige Literaturliste finden Sie in der Online-Version
chirurgisch) ist weiterhin Gegenstand aktueller Forschung. des A rtikels unter www.medicalforum.ch.