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Landtagsklub.

Tirol, den 13. März 2023.

Begehrensantrag:

Aufhebung der faschistischen Ortsnamendekrete.

Am 12. März 1923 beschloss der Großrat des Faschismus „Maßnahmen für das
Hochetsch zum Zwecke einer geordneten, schnellen und wirksamen italienischen
Assimilierung“.

In Durchführung dieser Maßnahmen wurden noch im selben Jahr – also genau vor
100 Jahren – sowie in den Jahren 1940 und 1942 mit insgesamt drei Dekreten rund
10.000 Orts- und Flurnamen im „Hochetsch“ amtlich festgelegt. Es sind dies im
Einzelnen folgende Dekrete:

Erstes Dekret: Königliches Dekret Nr. 800 vom 29. März 1923. Dieses Dekret sah die
„amtliche Lesung der Namen der Gemeinden und der anderen Örtlichkeiten der
annektierten Gebiete“ vor. Als Quelle der Namen dienten im Wesentlichen die 1.
Auflage des „Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige“ aus dem Jahr 1916 von
Ettore Tolomei sowie der „Repertorio dei nomi locali dell’Alto Adige“ aus dem Jahr
1918 von Ettore de Toni. Insgesamt ging es dabei um ca. 300 Namen.

Zweites Dekret: Ministerialdekret Nr. 147 vom 10. Juli 1940. Mit diesem Dekret wurden
weitere Namen amtlich festgeschrieben. Entnommen wurden sie der 2. Auflage von
Ettore Tolomeis „Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige“ aus dem Jahr 1929, der
ca. 900 Namen listete, sowie der 3. Auflage des „Prontuario“ aus dem Jahr 1935, der
nunmehr über 8000 Namen verzeichnete.

Drittes Dekret: Königliches Dekret Nr. 6767 vom 9. März 1942. Mit diesem Dekret
wurden zusätzlich 2432 Namen für die öffentlichen Gewässer der Provinz Bolzano
genehmigt. Viele dieser Namen waren in der 3. Auflage von Ettore Tolomeis
„Prontuario dei nomi locali dell’Alto Adige“ aus dem Jahr 1935 noch nicht enthalten.

In den genannten Dekreten geht es ausschließlich um die amtliche Festlegung der


italienischen Namen, nicht der deutschen und ladinischen. In diesem
Zusammenhang gilt es, den Begriff „italienische Namen“ genauer zu definieren. Mit
„italienisch“ sind, wissenschaftlich betrachtet, einerseits jene Orts- und Flurnamen
gemeint, die es in jenem Teil des deutschen und ladinischen Tirols, der seit dem
Faschismus als „Alto Adige“ bezeichnet wurde, seit alters gab, sei es in nicht-
amtlicher Form (wie Milbacco, Óltemo, Stérzen) und hierbei oft nur mündlich (wie
Appiano, Brunìco, Laives), sei es in amtlichen Dokumenten (wie Bolzano,
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Prot. Datum | data prot. 20.03.2023 Prot. Nr. | n. prot. LTG_0001492 Prot. Typ | tipo prot. Eingang - entrata
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Bressanone, Merano). Diese Namen, die somit historisch fundiert und seit alters
überliefert sind, belaufen sich zahlenmäßig auf ca. 200. Andererseits sind in den
Dekreten unter „italienische Namen“ auch jene Namen zu verstehen, die keine
historische Grundlage haben und de facto konstruiert wurden, um eine Italianität
vorzutäuschen, die es nie gab. Die faschistische Ideologie machte also keinen
Unterschied zwischen echter Italianität und nur scheinbarer Italianität. Es ging
darum, die italienischen Orts- und Flurnamen, genauer gesagt: ausschließlich die als
„italienisch“ deklarierten Orts- und Flurnamen, für amtlich gültig zu erklären, dies –
wir erinnern uns – in Durchführung der „Maßnahmen für das Hochetsch zum Zwecke
einer geordneten, schnellen und wirksamen italienischen Assimilierung“. Somit
wurden automatisch die deutschen und ladinischen Orts- und Flurnamen amtlich
ausgelöscht.

Die Toponomastik im Gebiet des heutigen Süd-Tirols ist, trotz Pariser Vertrages und
Autonomiestatuts, seit dem Faschismus de iure dieselbe geblieben: Amtlich gültig
sind nur die so genannten italienischen Orts- und Flurnamen, d.h. die drei
faschistischen Dekrete sind bis heute die alleinige rechtliche Grundlage für die
Ortsnamengebung in Süd-Tirol.

Exakt 100 Jahre nach in Inkrafttreten des ersten faschistischen Namendekrets wäre
die Aufhebung aller drei faschistischen Namendekrete mehr denn je eine
demokratiepolitische Notwendigkeit. Minderheitenfeindliche Gesetzesdekrete aus
der Faschistenzeit, die einer Sprachgruppe ihr Existenzrecht absprechen und sie
assimilieren wollen, können nicht die Grundlage für eine Regelung der
Ortsnamenfrage in Süd-Tirol sein. Es ist an der Zeit, einen Schlussstrich unter ein 100
Jahre währendes Unrechtskapitel der Süd-Tiroler Geschichte zu ziehen und damit
die Basis für eine authentische mehrsprachige Toponomastik zu schaffen, so dass
sich die Sprachgruppen auf Augenhöhe begegnen können und sie befriedet.

Die Gefertigten stellen daher den

Antrag:

Der Süd-Tiroler Landtag wolle beschließen:

1. Der Süd-Tiroler Landtag bezeichnet die drei faschistischen Namendekrete, die in


Durchführung der „Maßnahmen für das Hochetsch zum Zwecke einer geordneten,
schnellen und wirksamen italienischen Assimilierung“ erlassen wurden, als
fortwährendes Unrecht, an dem es nichts zu relativieren gibt. Faschistische
Gesetzesdekrete, die als ausdrückliche Zielsetzung die sprachliche Auslöschung
einer Volksgruppe haben, sind mit den Grundwerten der Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar und dem friedlichen Zusammenleben der
Sprachgruppen in Süd-Tirol abträglich.

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2. Der Süd-Tiroler Landtag fordert die italienische Regierung und das italienische
Parlament auf, die drei faschistischen Namendekrete (Königliches Dekret Nr. 800
vom 29. März 1923, Ministerialdekret Nr. 147 vom 10. Juli 1940, Königliches Dekret Nr.
6767 vom 9. März 1942) aufzuheben.

L.-Abg. Sven Knoll. L.-Abg. Myriam Atz-Tammerle.

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