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Lean Six Sigma

Armin Töpfer
Herausgeber

Lean Six Sigma


Erfolgreiche Kombination
von Lean Management, Six Sigma
und Design for Six Sigma

123
Prof. Dr. Armin Töpfer
Technische Universität Dresden
Fakultät Wirtschaftswissenschaften
Lehrstuhl für BWL,
insb. Marktorientierte Unternehmensführung
Helmholtzstraße 10
01062 Dresden
armin.toepfer@tu-dresden.de

ISBN 978-3-540-85059-5 e-ISBN 978-3-540-85060-1

DOI 10.1007/978-3-540-85060-1
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987654321

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Vorwort

Lean Management wird von immer mehr Industrie- und Dienstleistungsunterneh-


men mit dem Ziel schlanker Prozesse und Strukturen in den eigenen Wertschöp-
fungsketten praktiziert. Es ist aber bei weitem noch nicht durchgängig verbreitet.
Six Sigma als Konzept für praktikable Null-Fehler-Qualität wird im Vergleich
hierzu von deutlich weniger Unternehmen angewendet. Der Grund liegt vor allem
darin, dass der Nutzen nicht genügend erkannt wurde und dass diese Break-
through-Strategie als zu aufwändig beurteilt wird. Hinzu kommt, dass beide Kon-
zepte in der Unternehmenspraxis als teilweise konkurrierende Managementphilo-
sophien angesehen werden.
Fortschrittliche Unternehmen haben allerdings erkannt, dass gerade die Kombi-
nation beider Konzepte zusätzliche Vorteile mit sich bringt. Denn der Königsweg
der Prozessoptimierung liegt darin, zum einen aus den einzelnen Prozessaktivitä-
ten und dem dabei stattfindenden Ressourcenverbrauch alle Verschwendungen
herauszufiltern und auszumerzen sowie zum anderen bei den prozessbezogenen
Ergebnisgrößen alle Abweichungen vom Sollwert und damit alle Variationen zu
erkennen und zu beseitigen.
Genau dies ist der Ansatz von Lean Six Sigma. Es geht einerseits darum, durch
Lean Management die Prozesse schlanker und wirkungsvoller, also schneller und
effektiver, zu machen. Andererseits steht im Fokus, durch Six Sigma die dann er-
reichten Prozessabläufe qualitativ besser zu gestalten. Dies bedeutet, dass sie feh-
lerfrei und noch wirtschaftlicher werden, da Fehlerkosten – möglichst schon pro-
phylaktisch – abgebaut werden. Im Idealfall werden also Null-Fehler-Qualität und
schlanke Prozesse bereits schon bei der Entwicklung von Neuprodukten umge-
setzt. Dies ist durch Design for Six Sigma (DFSS) möglich und spart – gerade in
der defizitären Anlaufphase von Produkten – Zeit, Ressourcen und Kosten.
In der Vergangenheit war vielen Unternehmen Six Sigma allein zu teuer und
Lean Management nicht qualitätsbezogen genug. Aus diesem Grunde entwickel-
ten sie einen Ansatz und eine Vorgehensweise, um beide Konzepte wirkungsvoll
und erfolgreich zu kombinieren. Dieser Ansatz und diese Kombination beider Me-
thoden wurden in der Praxis und nicht in der Wissenschaft entworfen. Mit diesem
Buch wird eine theoretisch basierte Aufarbeitung und Zusammenstellung der bei-
den prozessorientierten Qualitätskonzepte sowie des erreichten Entwicklungsstan-
des ihrer Kombination und Verzahnung in führenden Unternehmen gegeben.
Mein Dank gilt vor allem den mitwirkenden Unternehmen und ihren Führungs-
kräften als Autoren. Bei der inhaltlichen Erarbeitung und Fertigstellung des Wer-
kes haben mich Swen Günther, Jörn Großekatthöfer und Ulrich Fehr unterstützt.
René William und Steffen Silbermann haben Korrektur gelesen. Frau Martina Voß
hat die Projektsteuerung durchgeführt. Ihnen allen sei für ihre wichtige Zuarbeit
an dieser Stelle herzlich gedankt.
Dresden/ Kassel, im August 2008
Armin Töpfer
Inhaltsverzeichnis

Vorwort .................................................................................................................. V

Kapitel A: Anforderungen an und Anwendungsfelder von Lean Six


Sigma und Design for Six Sigma

Mehrere Wege zu verschwendungsfreien Prozessen und Null-Fehler-


Qualität: Einführung und Überblick über die Beiträge............................................3
Armin Töpfer, Swen Günther

Lean Management und Six Sigma: Die wirkungsvolle Kombination


von zwei Konzepten für schnelle Prozesse und fehlerfreie Qualität .....................25
Armin Töpfer

Design for Six Sigma: Schlanke Produktentwicklung mit dem Ziel


wirtschaftlicher Null-Fehler-Qualität in Produktion und Vermarktung ................69
Armin Töpfer, Swen Günther

Kapitel B: Vernetzung der Bausteine von Lean Management und Six


Sigma in Verbesserungs- und Entwicklungsprojekten

Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden in der


Wertschöpfungskette .............................................................................................99
Bert Leyendecker

Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma:


Vom Standard-DMAIC zum Blitz-DMAIC ........................................................113
Swen Günther, Bernd Garzinsky

Schnelle und wirkungsvolle Verbesserungen des gesamten


Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign .................................................137
Lars Vollmer

QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden-Kombination im


Rahmen von Design for Six Sigma .....................................................................159
Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer
VIII Inhaltsverzeichnis

Kapitel C: Umsetzung von und Erfolge mit Lean Management, Lean


Six Sigma und Design for Six Sigma

Lean Manufacturing als Grundlage für die kontinuierliche


Verbesserungsarbeit bei AMD Saxony ............................................................... 207
Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process


Excellence (BPE) in einem Pharmaunternehmen................................................ 233
Thomas Habermann, Jörg Doch

Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean


Six Sigma in einem Unternehmen der chemischen Industrie .............................. 249
Klaus Weckheuer, Michael Hennes

Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O)


im Bereich Aerospace ......................................................................................... 265
Jürgen Bremer

Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox......................................................... 281


Jutta Jessenberger

Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungs-


prozess bei Siemens VDO................................................................................... 305
Achim Schmidt

Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma


bei Lilly Deutschland .......................................................................................... 323
Miriam Stache, Armin Töpfer

Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................... 353


Autoren-Kurzbiographien ................................................................................... 357
Stichwortverzeichnis ........................................................................................... 361
Kapitel A

– Anforderungen an und Anwendungsfelder von


Lean Six Sigma und Design for Six Sigma –
Mehrere Wege zu verschwendungsfreien
Prozessen und Null-Fehler-Qualität:
Einführung und Überblick über die Beiträge

Armin Töpfer, Swen Günther

Inhalt

1 Differenzierung vom Wettbewerb durch Vorteile bei Qualität, Zeit,


Kosten und Innovation .................................................................................3
2 Einführungsanforderungen und Verbreitung von Lean Six Sigma ..............9
3 Ziele und Konzeption des Buches ..............................................................13
4 Literatur......................................................................................................20

1 Differenzierung vom Wettbewerb durch Vorteile bei


Qualität, Zeit, Kosten und Innovation

Lean Six Sigma umfasst die beiden Management-Verbesserungskonzepte Lean


Management und Six Sigma. Lean Management hat schlanke Prozesse zum Ziel
und Gegenstand. Six Sigma strebt fehlerfreie Prozesse und Produkte als Prozesser-
gebnisse an (vgl. Töpfer 2007c, S. 45 ff.).
Im Rahmen einer Verbesserung der marktorientierten Unternehmensführung
liegt der Beitrag des Konzeptes dann darin, eine kundenorientierte Prozessgestal-
tung mit möglichst geringer Verschwendung und kurzer Durchlaufzeit (also Lean)
sowie möglichst geringer Variation, also minimaler Streuung, und geringer Ab-
weichung vom Mittelwert des Toleranzintervalls (also Null-Fehler-Qualität) zu er-
reichen. Unmittelbar beeinflusst werden hierdurch die Kostenstruktur und Qualität
der Produkte sowie die Liefer-/ Termintreue gegenüber dem Kunden. Der Vorteil
für den Kunden ist demnach dadurch gegeben, dass er kundenspezifische und qua-
litativ hochwertige, da fehlerfreie Produkte zu einem attraktiven Preis und mit ei-
ner schnellen, termintreuen Lieferung erhält. Im Kern geht es um die Optimierung
des erweiterten Magischen Dreiecks der Betriebswirtschaftslehre, wie es in Ab-
bildung 1 zu sehen ist.
Die Qualität, als zentraler interner Werttreiber und externer Erfolgsfaktor in
Six Sigma, zielt dabei darauf ab, alle wesentlichen Kundenanforderungen zu erfül-
len. Dies sind alle die Kriterien, die für den Kunden kritisch und damit entschei-
dend für den Kauf, seine Zufriedenheit, die Bezahlung des geforderten Preises
sowie die Loyalität gegenüber dem Unternehmen in der Zukunft sind. Hierdurch
werden die Critical to Quality Characteristics (CTQs) aus Kundensicht erfüllt (vgl.
Töpfer/ Günther 2008, S. 975 ff.).
4 Armin Töpfer, Swen Günther

Qualität Effektivität
Erfüllen der CTQs
= Wesentliche
Kundenanforderungen

Inno-
vation/
Wachs-
tum
Effektivität
Wesentlich und
wahrnehmbar
= CTQs besser
erfüllt
Beitrag zur Effizienz Zeit Kosten Effizienz
Verkürzte Durch- Zeitstabilität Keine Ressourcen-
laufzeit verschwendung
= Ressourceneinsparung
Beitrag zur Effektivität
Reduzierung der Time to
Market/ Lieferzeit und schnellere Reaktion

Abb. 1: Wirkungen von Lean Management und Six Sigma auf das erweiterte Magische
Dreieck für erfolgreiches Management

Das Kriterium Zeit bildet einen wesentlichen Werttreiber und Erfolgsfaktor des
Lean Managements. Der Beitrag zur Effizienzsteigerung, also einer höheren Pro-
duktivität und Wirtschaftlichkeit, liegt darin, dass durch weitgehend verschwen-
dungsfreie Prozesse eine Ressourceneinsparung stattfindet, die neben der Zeitein-
sparung vor allem auch Sachmittel und Personalressourcen schont. Die verkürzte
Durchlaufzeit verringert die Time to Market und verbessert die Liefer- und Reak-
tionszeit des Unternehmens. Hierdurch können Interessenten bzw. Kunden schnel-
ler und besser beliefert werden. Alle Effekte wirken dadurch auch effektivitätsstei-
gernd, da sie den Grad der Zielerreichung fördern (vgl. Töpfer 2007a, S. 71 ff.).
Die positiven Wirkungen, die durch die Qualitätsverbesserung und durch die
Zeiteinsparung bestehen, führen zugleich zu Kostensenkungen, da hierdurch Res-
sourcenverschwendung reduziert respektive vermieden wird. Dies sind Auswir-
kungen, die sowohl mit Six Sigma als auch mit Lean Management angestrebt
werden.
Das Magische Dreieck und seine Wirkungen beziehen sich auf eingefahrene
Wertschöpfungsprozesse und damit das erreichte Normalniveau. Anders sieht es
aus, wenn Innovationen in Produkten und ggf. in den Prozessen realisiert werden.
Dann wird mit den verbesserten Marktleistungen für den Kunden zwar eine besse-
re Erfüllung seiner CTQs angestrebt, die für ihn wesentlich und wahrnehmbar ist.
Innovationen bringen es aber nicht selten mit sich, dass die bisherigen Routine-
prozesse und -ergebnisse in der Wertschöpfung nicht mehr gegeben sind. Dadurch
steigt das Fehlerpotenzial und die Qualität sinkt. Dies führt meistens zu einem zu-
sätzlichen Zeitverbrauch, auf jeden Fall aber zu steigenden Kosten. Das Ziel einer
höheren Effektivität für den Kunden wird dann aber oftmals nur über eine redu-
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität 5

zierte Effizienz und Effektivität für das Unternehmen erkauft. Eine angestrebte
Stabilität der Wertschöpfungsprozesse und -ergebnisse über die Zeit wird häufig
über eine längere Periode nicht realisiert. Gelingt es jedoch, diese Zeitstabilität si-
cher zu stellen, dann wird auch bei dem um die Innovation erweiterten Magischen
Dreieck von vornherein eine positive Wirkung erreicht.
Das Ziel besteht dementsprechend darin, Defizite in der Prozessgestaltung aus
Sicht der Kunden möglichst frühzeitig und ganzheitlich zu erkennen, um durch
nachhaltige Verbesserungsmaßnahmen zum einen die Zufriedenheit des Kunden
zu steigern und zum anderen aus Sicht des Unternehmens die Wirtschaftlichkeit
zu verbessern, dadurch dass Fehlerkosten ausgemerzt werden und die Umsätze mit
fehlerfreien und kundenorientierten Produkten erhöht werden können. Hierdurch
lassen sich die Erträge steigern und höhere Überschüsse erzielen. Lean Six Sigma
ist also ein Konzept, das wie die meisten Managementkonzepte die Kundensicht
und die Unternehmenssicht verbindet. Der markt- und ressourcenorientierte An-
satz der Unternehmensführung werden dadurch kombiniert und integriert.
Folgende Erkenntnisse lassen sich nach diesen einführenden Aussagen bereits
an dieser Stelle zusammenfassen:
• Lean Six Sigma ist auf alle Prozesse anwendbar.
• Six Sigma macht die Wertschöpfung besser – Lean Management macht sie
schneller.
• Six Sigma verbessert die Prozessfähigkeit und reduziert die Variation/ Abwei-
chung dadurch, dass Fehlerquellen und Fehlerkosten eliminiert wurden respek-
tive werden.
• Lean Management merzt – als 1. und direkte Wirkung – Verschwendung aus
und schafft einen „Flow“, also einen ausschließlich auf Wertschöpfung ausge-
richteten Prozessablauf, der nur verschwendungsarme und schnelle Aktivitäten
enthält; denn er ist von allen unnötigen Phasen und Abläufen befreit. Hierdurch
wird der Prozessablauf – als 2. und indirekte Wirkung – insgesamt besser,
schneller und eher störungsfrei.
• Mit Lean Management lässt sich also – mit einem Terminus aus der Elektro-
technik argumentiert – das „Rauschen“ als beeinträchtigendes Hintergrundge-
räusch, das die Qualität mindert, aus dem Prozess entfernen. Six Sigma lässt
sich dann ausschließlich in den Prozessabschnitten, die noch hartnäckige Feh-
lerquellen und damit Variationen/ Abweichungen aufweisen, gezielt anwenden.
Abbildung 2 fasst diese beiden sich ergänzenden und teilweise überlagernden
Konzepte noch einmal grafisch zusammen. Lean Management ist primär intern
ausgerichtet und wirkt durch die Beseitigung von Verschwendung positiv auf den
internen Werttreiber „Durchlaufzeit im Unternehmen“, der sich dann auch positiv
auf den externen Erfolgsfaktor „Lieferzeit für den Kunden“ auswirkt. Six Sigma
ist vom Ansatz her zunächst extern ausgerichtet, weil die kundenorientierte Quali-
tät über die Erfüllung der Critical to Quality Characteristics (CTQs) als externer
Erfolgsfaktor definiert wird. Im Unternehmen übersetzt wird dieser Erfolgsfaktor
durch die internen Werttreiber „Standardisierte Prozesse“ mit möglichst geringer
Variation und dadurch bewirkter „Null-Fehler-Qualität“.
6 Armin Töpfer, Swen Günther

Obere Grenze Werttreiber


„Standar-
disierte
Ist-Prozess Prozesse“

Abweichungen
Six Sigma
und

Reduzierte
Variation
„Null-Fehler-
Qualität“ für
Erfolgs-
faktoren
„Erfüllte
CTQs“
Lean Management und „Kunden-
orientierte
Untere Grenze Qualität“
Soll-Prozess

Optimierter Ist-Prozess
Reduzierung der Verschwendung

Werttreiber „Durchlaufzeit“ für Erfolgs-


faktor „Lieferzeit für Kunden“
Basis: Lutz, Kahlert, Kalms, 2006, S. 239

Abb. 2: Kombination der Wirkungen des integrierten Einsatzes von Lean Management und
Six Sigma

Den Einstieg und ersten Ansatzpunkt zur Verbesserung von Prozessen sowie
der Qualität ihres Durchflusses und ihrer Wertschöpfungsergebnisse bilden also
immer die Lean-Prinzipien, wie sie in Abbildung 3 aufgeführt sind (vgl. Hender-
son/ Larco 1999). Grundvoraussetzung für schlanke und fehlerfreie sowie damit
wirtschaftliche Prozesse ist die Arbeitsplatzgestaltung als Ausdruck organisatori-
scher Qualität. Eine Just-in-Time-Produktion vermeidet eine unwirtschaftliche La-
gerhaltung. Die laufende Qualitätssicherung im Prozess mit dem Ziel der Null-
Fehler-Qualität schafft bereits die Verbindung zwischen Lean Management und
Six Sigma. Verantwortlich für die operative Prozesssteuerung und Qualitätssiche-
rung sind die Mitarbeiter vor Ort. Diese Prozesseignerschaft erfordert erhöhte
Kompetenzen sowohl fachlicher als auch organisatorischer Art und führt zu einem
nicht unerheblichen Empowerment der Mitarbeiter. Gesteuert werden die Prozesse
und ihre Ergebnisse über ein Visuelles Management, um allen Beteiligten die In-
formationen über die Qualität der Prozesssteuerung offen zugänglich zu machen.
Durch den kontinuierlichen Verbesserungsprozess sollen alle auftretenden und er-
kannten Störungen des Ablaufes von Prozessen und der Qualität von Prozesser-
gebnissen sofort beseitigt werden, um auf diese Weise ein immer höheres Niveau
in Richtung Perfektion zu erreichen.
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität 7

Arbeitsplatzgestaltung
! Gestaltung von effizienten, sauberen, ergonomischen, geordneten,
sicheren Arbeitsplätzen
Just-in-Time-Produktion
! Anlieferung von Teilen/ Vorleistungen möglichst zeitnah vor der
Verwendung/ dem Einbau
Qualitätssicherung im Prozess
! Integration der Qualität in die Prozessgestaltung mit dem Ziel der Null-
Fehler-Qualität
Kompetenz / Prozesseignerschaft
! Mitarbeiter vor Ort haben Verantwortung für das Teamergebnis und treffen
Schlüsselentscheidungen
Visuelles Management
! Sicherstellung offener Informationen für alle betroffenen Mitarbeiter und
Verfolgung der Leistung
Perfektion
! Ständiges Streben nach Verbesserung
Basis: Henderson/ Larco 1999

Abb. 3: Wesentliche Lean-Prinzipien und ihr Bezug zur Qualität

Aus dem bisher Gesagten zu den beiden Konzepten sind nicht nur die unter-
schiedlichen Ansatzpunkte und Zielrichtungen erkennbar, sondern auf dieser Basis
lässt sich zugleich auch die gemeinsame Zielsetzung herausarbeiten. Sie besteht
darin, unter dem jeweils fokussierten Blickwinkel Prozesse nachhaltig zu verbes-
sern. Beide Konzepte schlagen dabei unterschiedliche Wege und Stoßrichtungen
ein. Abbildung 4 verdeutlicht die Unterschiede und Gemeinsamkeiten:
• Bei Lean Management werden Wertschöpfungsprozesse in ihrer Gesamtheit
einbezogen; häufig wird sogar das gesamte Unternehmen dieser Philosophie
„unterworfen“. Das Ziel besteht dann darin, in allen einzelnen Phasen von Wert-
schöpfungsprozessen die Verschwendung von Material respektive Vorproduk-
ten und damit Kosten und Zeit zu erkennen und zu vermeiden. Der instrumen-
telle Ansatz basiert auf der Wertschöpfungsanalyse und dem Wertschöpfungs-
design, wie er im Beitrag von Vollmer erklärt wird.
• Der Six Sigma-Ansatz konzentriert sich von vornherein nur auf Wertschöp-
fungsprozesse, bei denen nachweislich Abweichungen von wesentlichen Kun-
denanforderungen (CTQs) und damit hohe Fehlerkosten aufgrund unzureichen-
der Qualität auftreten. Der Ansatz ist grundsätzlich selektiv. Es werden, nach-
dem häufig Lean Management-Projekt bereits durchgeführt worden sind,
schwierig zu lösende Probleme in der Wertschöpfungskette ausgewählt und
mithilfe des DMAIC-Zyklus nachhaltig gelöst. Auf diesen wird im Beitrag von
Günther/ Garzinsky im Detail eingegangen.
8 Armin Töpfer, Swen Günther

Gemeinsame Zielsetzung
! Prozesse nachhaltig verbessern

Lean Management Six Sigma


• Ziel: Komplexität und Verschwendung als • Ziel: Abweichungen von wesentlichen
Wertverlust in Prozessen messen, Kundenanforderungen (CTQs = Critical to
sichtbar machen und abbauen Quality Characteristics) im Prozess messen,
• Instrument: Wertstromanalyse verstehen, abbauen und kontrollieren
• Ergebnis: Durchlaufzeit verkürzen • Instrument: DMAIC-Zyklus
und Kosten einsparen durch • Ergebnis: Qualität steigern, Durchlaufzeit
standardisierte schlanke Prozesse verkürzen und Kosten einsparen durch
Standards für
fehlerfreie Prozesse und Produkte

Umsetzung in Projekten

Abb. 4: Gemeinsames Ziel, aber unterschiedlicher Weg von Lean Management und Six
Sigma

Beide Konzepte, also Lean Management nach dem Toyota-Prinzip und Six
Sigma nach dem Vorbild von Motorola und General Electric, lassen sich getrennt
anwenden. Der Einsatz bringt dann die jeweils spezifischen Vorteile und Erfolge.
Bei Lean Management resultieren hieraus in ihrer Durchlaufzeit verkürzte und ih-
ren Kosten reduzierte standardisierte Prozesse. Sie kommen durch die Messung,
Analyse und Beseitigung der Komplexität und Verschwendung als Wertverlust im
Rahmen von Wertstrom-Untersuchungen und -Verbesserungen zustande.
Six Sigma verkleinert die Abweichungen von wesentlichen Kundenanforderun-
gen (CTQs) und führt über die erhöhte Qualität, verkürzte Durchlaufzeiten und
eingesparte Kosten zu Standards für fehlerfreie Prozesse und Produkte. Durch den
kombinierten, noch besser integrierten Einsatz der beiden Managementkonzepte
werden die angestrebten Wirkungen vergrößert und z.T. potenziert.
Die Ansatzpunkte und strategischen Zielsetzungen der Managementkonzepte
Lean Management, Six Sigma, Design for Six Sigma (DFSS) und Lean Six Sigma
lassen sich aus Abbildung 5 noch einmal nachvollziehen. Wie hieraus ersichtlich
ist und vorstehend bereits ausgeführt wurde, bewirkt und erreicht erst Lean Six
Sigma eine Kombination und Integration aller strategischen Zielsetzungen. Lean
Six Sigma stellt damit den umfassendsten Steuerungs- und Verbesserungsansatz
dar.
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität 9

Strategische Zielsetzung Konzept zur Unterstützung

Wachstum
- Größer -

Innovation
- Innovativer -

Qualität Lean
- Besser - Six Sigma
DFSS
Durchlaufzeit
Six Sigma
- Schneller - Lean
Manage-
Kosten ment
- Schlanker -

Abb. 5: Strategische Zielsetzung und konzeptionelle Unterstützung

2 Einführungsanforderungen und Verbreitung von Lean


Six Sigma

Die (statistische) Forderung des Six Sigma-Konzeptes besteht darin, dass bezogen
auf ein – hochgerechnetes und damit angenommenes – Produktionsvolumen von 1
Mio. Einheiten – in Absolutzahlen – nur 3,4 fehlerhafte Prozessoutputs auftreten
dürfen. Dies entspricht einem Qualitätsniveau von 99,99966% und kennzeichnet
damit eine praktikable Null-Fehler-Qualität, da kein Prozess auf Dauer absolut
fehlerfrei ablaufen kann (vgl. Töpfer 2007c, S. 53 ff.; Harry/ Schroeder 2005).
Viele Anwender begegnen dieser Qualitätsanforderung zunächst mit Skepsis
und z.T. Ablehnung. Zum einen begründen sie dies damit, dass sie nicht 1 Million
Produkteinheiten herstellen und das Konzept schon deshalb nicht in ihrem Unter-
nehmen gut anwendbar ist. Dieses formale Missverständnis kann durch die Infor-
mation leicht behoben werden, dass die Hochrechnung auf die große Produktzahl
durch die geringe Fehlergröße begründet ist, die sich dann ganzzahlig (ca. 3 Fehler
pro 1 Million Einheiten) ausdrücken lässt. Dies entspricht dem Bild, dass das ge-
ringe Gewicht einer Gänsefeder auf einer LKW-Waage ermittelt wird.
Zum anderen argumentieren sie, dass das geforderte Niveau praktizierter Null-
Fehler-Qualität im Vergleich zu beispielsweise 99% Qualität – dem Qualitäts-
durchschnitt der deutschen Wirtschaft – viel zu aufwändig und deshalb praxisfern
ist. Die Ergebnisse erfolgreicher Six Sigma-Unternehmen insbesondere in den
USA zeigen aber genau das Gegenteil. Denn folgender Sachverhalt ist nachvoll-
ziehbar: Diese restlichen 1% Fehler bei 99% Qualität sind erfahrungsgemäß sehr
hartnäckige und kostenträchtige Fehler, die immer nur schwer und mit erhebli-
10 Armin Töpfer, Swen Günther

chem Aufwand für die Fehlerbeseitigung und dadurch verursachten Fehlerkosten


zu beseitigen sind. Die Vermeidung dieser Fehlerkosten durch eine klar fokussier-
te Six Sigma- respektive Lean Six Sigma-Initiative im Unternehmen spart Kosten
der Nachbesserung/ Wiedergutmachung von Fehlern bis zu 30% der Gesamtkos-
ten bei Dienstleistungsunternehmen und Fehlerkosten bis zu 30% des Jahresum-
satzes bei Industrieunternehmen. Von daher verwundert es nicht, dass sowohl In-
dustrieunternehmen als auch Dienstleistungsunternehmen das Six Sigma-Konzept
für Null-Fehler-Qualität anwenden.
Damit wird zugleich deutlich, dass der Qualitätsanspruch von Six Sigma in je-
der Branche und in jedem Unternehmen eine aus betriebswirtschaftlicher Sicht
sinnvolle sowie leicht nachvollziehbare Zielsetzung und Strategie ist. Dies trifft
uneingeschränkt für Service- und Dienstleistungsunternehmen zu, wie z.B. Logis-
tik-Unternehmen, Versicherungen und Banken, aber auch für Pharma-, Elektro-
nik-, Automobil- und Maschinenbauunternehmen der produzierenden Industrie.
Das Ziel geht dahin, Prozesse – soweit dies möglich ist – orientiert auf den exter-
nen oder internen Kunden zu verschlanken und zu standardisieren. Die Verschlan-
kung erfolgt bei Six Sigma nicht so sehr wie bei Lean Management durch diffe-
renzierte Wertstromanalysen. Sie wird vielmehr durch die Beseitigung der Fehler-
ursachen und damit durch die Einsparung von Fehlerkosten im Sinne einer Res-
sourcenschonung erreicht. Durch das geforderte Qualitätsniveau in Richtung Null-
Fehler-Qualität werden zugleich alle Prozesse robuster, weil sie nicht so schnell
das formulierte Toleranzniveau überschreiten.
Das durchschnittliche Qualitätsniveau in der deutschen Industrie liegt bei einem
Sigma-Wert von 3,8σ, was einer Ausbeute von ca. 99% bzw. einer Fehlerrate von
ca. 10.000 PPM (Parts Per Million) bzw. 10.000 DPMO (Defects Per Million Op-
portunities) entspricht (vgl. Töpfer 2007c, S. 53 ff.; Harry/ Schroeder 2005). Der
σ-Wert kennzeichnet hierbei die Messgröße für die angestrebte/ tolerierte Abwei-
chung auf der Basis der Gaußschen Normalverteilung und ihrer Standardabwei-
chung. Im Vergleich zu dieser statistischen Kennzahl umschreibt das Six Sigma
Konzept eine unternehmensweite Initiative zum Erreichen von Null-Fehler-
Qualität.
Die Frage, ob 99% Qualität genug sind, ist heutzutage also rein rhetorisch. Im-
mer mehr Unternehmen haben erkannt, dass sie ohne eine professionell eingeführ-
te Null-Fehler-Qualität erhebliche Chancen zur Steigerung des Jahresüberschus-
ses bei einem konstanten Preisniveau verschenken. Dabei ist die Situation aber
mittlerweile oftmals deutlich schwieriger und damit verschärft: Geforderte Preis-
senkungen können nur über die Aktivierung von Kosteneinsparungspotenzialen
realisiert werden, und zwar vorwiegend durch die Vermeidung von Fehlern und
damit Fehlerkosten, wenn gravierende Einschnitte in die Unternehmensgewinne
oder die Hinnahme von Verlusten vermieden werden sollen. Dieser sinkende Preis
kommt bei gleich bleibend hoher oder sogar steigender Qualität gerade auch den
Kunden zugute.
Abbildung 6 zeigt diesen gerade in den letzten Jahren immer wichtiger werden-
den Zusammenhang beispielhaft. Er gilt für die Anwendung von Lean Manage-
ment, Six Sigma und/ oder Lean Six Sigma gleichermaßen.
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität 11

Preis

Gewinnmarge Gewinnmarge

Lean Management und Six Sigma


Bei Preis-
Gewinnmarge konstanz
Kosten Kosten strategischer
schlechter schlechter Gewinnmarge Spielraum

Auswirkungen von
Prozesse + Prozesse +
Gesamter schlechter schlechter Kosten schlechter
Kostenblock Prozesse + Qualität

Preisverfall
Qualität Qualität Gewinnmarge
zur
Herstellung

+
und
Lieferung Optimal Optimal Optimal Optimal
von erreichbare erreichbare erreichbare erreichbare
Markt- Kosten Kosten Kosten Kosten
leistungen

Periode 1 Periode 2 Periode 3 Periode 4 Periode 5

Zeit

Abb. 6: Gründe für Lean Six Sigma

Um sich zu verdeutlichen, was 99% Qualität und 1% in Kauf genommenes


Fehlerniveau, also 3,8σ, bedeuten im Vergleich zu 6σ, also 99,99966% Qualität,
lässt sich eine Reihe von plastischen Beispielen aus dem täglichen Leben anführen
(vgl. Töpfer 2007d, S. 177):
• Statt 20.000 verlorener Postsendungen stündlich sind es nur 163,2 pro Tag.
• Statt 15 Minuten unsauberen Trinkwassers täglich sind es nur 1,8 Minuten im
Jahr.
• Statt 5.000 falscher chirurgischer Eingriffe in der Woche sind es nur 7,2 im
Monat.
• Statt 2 zu kurzer oder zu langer Landungen auf den größten Flughäfen täglich
sind es nur 1,241 in 5 Jahren.
Der unmittelbare Bezug zu Kunden und zur Erfüllung wichtiger Kundenanfor-
derungen liegt auf der Hand. Zusätzlich wird praktizierte Null-Fehler-Qualität
nicht nur ein Hebel zur Kostensenkung, sondern vermeidet zugleich die Gefähr-
dung von Gesundheit und Menschenleben. Ein Niveau von 6σ und mehr ist für
das Erreichen von Business Excellence in vielen Wirtschaftsbereichen deshalb
zum selbstgewählten Standard geworden, in Branchen wie z.B. der Flugzeugin-
dustrie, dem Kraftwerksbau und der Medizintechnik bei lebenserhaltenden Gerä-
ten ist dieses aus den oben genannten Gründen bereits seit langem zwingend not-
wendig.
Diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass immer mehr Unternehmen Six Sigma-
Konzepte umsetzen. Dieser Einführungsprozess vollzieht sich in zwei Richtungen:
Zum einen horizontal mit Auswirkung auf die Wettbewerber und zum anderen
vertikal mit Auswirkung auf die Lieferanten. Unter dem ersten Aspekt gilt: Wenn
ein größeres Unternehmen einer Branche Six Sigma einführt, dann sind es oftmals
12 Armin Töpfer, Swen Günther

– im Sinne eines positiven Domino-Effektes – die unmittelbaren Wettbewerber, die


relativ schnell nachfolgen, um Wettbewerbsnachteile auszugleichen.
Der zweite Aspekt besagt: Wenn seit einiger Zeit Hersteller wie Ford oder auch
Daimler und BMW Six Sigma-Projekte realisieren, dann fordern sie i.d.R. auch
zügig, nicht selten sogar im Vorfeld vor der eigenen Anwendung, Null-Fehler-
Qualität von ihren Lieferanten, wie z.B. Siemens, Honeywell, Johnson Control,
Honsel, PVT und Bosch. In diesem Fall sichert es zugleich die Hersteller-
Zulieferer-Beziehung und nicht nur ein verbessertes Ertragsniveau.
Zu den Vorreiterunternehmen im Bereich Lean Six Sigma gehören unter ande-
ren Xerox, Lockheed Martin, Bank One und Grace (siehe Abb. 7), alles Unter-
nehmen, die vorab bereits Ansätze von Lean Management und/ oder Six Sigma
realisiert haben. Inzwischen gehen auch General Electric sowie Motorola, der Ur-
heber des Six Sigma-Konzeptes, dazu über, Lean Six Sigma-Strategien umzuset-
zen. Der Grund und Hebel ist insbesondere dann gegeben, wenn ein Unternehmen
wie General Electric nicht nur organisch wächst, sondern vor allem auch durch
Akquisitionen. Dann kommt es darauf an, in relativ kurzer Zeit und mit vertretba-
rem Aufwand ein positives Integrationsergebnis in der Prozessoptimierung zu er-
reichen.

! Xerox
Be
! Launch von 250 Projekten für sich und Kunden in 2002 is pie
! Investitionen von 14 Mio. US-Dollar in Lean Six Sigma le
! Ersparnis im ersten Jahr: 6 Mio. US-Dollar
In den nächsten Jahren steigende Tendenz
! Lockheed Martin
! 1998 Operational Excellence Program „LM21“ gestartet
! Umfasst mehr als 5.000 Projekte
! Dokumentierte Einsparungen: ca. 4 Mrd. US-Dollar
! Bank One " JP Morgan Chase
! Initiierte in 2002 Verbesserungsprogramm „Focus 2.0“
! Erhöhte Konzentration auf Lean-Ziele
! Reduzierung der Durchlaufzeiten zwischen 30 und 75 %
! Grace / Fresenius Medical Care
! Einführung von Lean Six Sigma 2005 in den nordamerikanischen Werken
! Ziel: Bessere Resultate bei kürzeren Fertigungszeiten
Basis: George 2003

Abb. 7: Unternehmen mit Lean Six Sigma

Die Mutterunternehmen wollen bei ihren „neuen Töchtern“ ein hohes Quali-
tätsniveau über schlanke Prozesse ohne Verschwendung in schnell realisierten und
vom Aufwand überschaubaren Projekten umsetzen. Aus diesem Grund beginnen
die Unternehmen heute üblicherweise den Verbesserungsprozess mit Lean Mana-
gement Aktivitäten und führen dann nur sehr selektiv – bei den angesprochenen
hartnäckigen Qualitätsproblemen – Six Sigma-Projekte durch. Die Kombination
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität 13

von Lean Management und Six Sigma eröffnet also die Chance, akquirierte Un-
ternehmen in kurzer Zeit fit und wettbewerbsfähig zu machen sowie besser mit ih-
ren Prozessen in den Netzwerkverbund des Mutterunternehmens einzupassen.

3 Ziele und Konzeption des Buches

Mit dem vorliegenden Buch wollen wir keine Schrift zu der vorhandenen umfang-
reichen – überblicksartig in Kapitel 4 zusammengestellten – Literatur hinzufügen,
die eine detaillierte Unterweisung in die statistischen Methoden und die Instru-
mente des Qualitäts- und Projektmanagements liefert. Hier gibt es bereits spezifi-
sche Six Sigma- und Lean Six Sigma-Publikationen (vgl. z.B. Pande et al. 2001,
George 2003, Magnusson et al. 2004, Harry/ Schroeder 2005). Die Zielsetzung
geht vielmehr dahin, Lean Six Sigma als ein Konzept erfolgreicher Unterneh-
mensführung darzustellen und dabei wesentliche Anforderungen, Inhalte, aber
auch Stolpersteine aufzuzeigen. Richtschnur und Maßstab ist die Fähigkeit des in-
tegrierten Konzeptes, zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit und zur Steigerung
des Unternehmenswertes beizutragen. Neben der operativen Umsetzung von
Lean- und Six Sigma-Projekten steht damit also die strategische Ausrichtung und
Einordnung des Gesamtkonzeptes im Vordergrund.
Wer sind die Hauptadressaten des vorliegenden Buches? Es richtet sich neben
den Verantwortlichen für das Qualitätsmanagement vornehmlich auch an die Mit-
glieder der Unternehmensleitung und der Bereichsleitungen. Denn alle Funktions-
und Geschäftsbereiche, die zur Wertschöpfung für den Kunden beitragen, können
durch dieses Denken in Kategorien des Kundennutzens und Kundenwertes auf der
einen Seite und des Unternehmensnutzens und Unternehmenswertes auf der ande-
ren Seite mit dem Gedankengut von Lean Six Sigma aus strategischer und opera-
tiver Sicht ihr Leistungsniveau steigern. Für Unternehmen, welche die Einführung
von Lean Six Sigma vorhaben oder bereits begonnen haben, liefern die wiederge-
gebenen Erfahrungsberichte aus der Unternehmenspraxis einen breiten Fundus,
um typische Einführungsfehler zu vermeiden. Für Unternehmen, die Six Sigma re-
spektive Lean Six Sigma bereits seit einiger Zeit praktizieren, bietet das Buch mit
den unterschiedlichen Branchenbeispielen eine gute Benchmarking-Basis, um se-
lektiv herauszufiltern, wo und wie noch Steigerungsmöglichkeiten bestehen.
Dies bezieht sich beispielsweise auch auf die zweckmäßige Kombination von
Lean Six Sigma mit Konzepten wie der ISO-Zertifizierung, der Balanced Score
Card (BSC), dem Management by Objectives (MbO) und dem Business Excel-
lence Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) oder
dem Malcolm Baldrige National Quality Award, also dem amerikanischen Quali-
tätsmodell bzw. -preis (MBNQA). Auf alle diese Konzepte wird nicht näher ein-
gegangen, sondern auf die spezielle Literatur verwiesen (vgl. z.B. Töpfer/ Günther
2007, S. 335 ff. und Töpfer 2008b, S. 932 ff.).
Lean Six Sigma hat in der Lehre und Forschung bisher keinen nennenswerten
Stellenwert erlangen können. Nicht nur bezogen auf statistische Methoden, Quali-
tätsmanagement-Instrumente und Projektmanagement-Werkzeuge besteht noch
14 Armin Töpfer, Swen Günther

wissenschaftlicher Analyse- und Bewertungsbedarf, beispielsweise in der in Ab-


bildung 8 skizzierten Form, wie Lean Six Sigma unmittelbar durch Lean Mana-
gement-Instrumente, Six Sigma-Werkzeuge und einzelne Qualitätsmanagement
(QM)-Methoden untermauert, durch DFSS-Tools ergänzt und zusätzlich durch
andere Management-Instrumente unterstützt wird. Die Abbildung erinnert bildlich
an ein Kugellager, bei dem Lean Six Sigma die Achse ist, um die zunächst die in
Projekten eingesetzten Lean Management, Six Sigma und QM-Tools sowie DFSS-
Instrumente gruppiert sind und die im äußeren Ring durch wichtige Steuerungs-
und Führungsinstrumente im Unternehmen ergänzt wird. Dies vergrößert – bild-
lich gesprochen – den Durchmesser des „Lean Six Sigma Rades“ und erhöht so
das Antriebsmoment, also die Wirksamkeit im Unternehmen.

Andere
Management-
Werkzeuge
ZV/
BSC Design for MbO
Six Sigma
Markt- Target
analyse Costing
Six Sigma
Projekt-
SPC
charter
Fokus- Lean DFMA
gruppen
Manage- Moni-
SIPOC ment toring
VSD Kaizen

Lean Regres- Kausal-


EFQM/ Bench- VOC-
5S
Pull-
sions- TRIZ analy-
MBNQA marking CTQ Six Sigma System analyse sen

Poka Just-in- Statisti-


Gage
Yoke Time sche
R&R
Kanban Tests
DOE
QFD
Daten-
Prozess-
sammel-
Ishi- analyse
plan
kawa
Conjoint- Simula-
Analyse tion
Markt- FMEA
forsch-
ung BPM

Abb. 8: Lean Six Sigma im Rahmen von Management-Werkzeugen

Darüber hinaus existiert auch Forschungsbedarf bezogen auf eine zielführende


Vernetzung und Integration mit anderen Business Excellence-Konzepten, wie dies
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität 15

oben angesprochen war. Neben stärker operativ ausgerichteten Untersuchungen


bieten diese strategischen Aspekte von Lean Six Sigma im Rahmen der marktori-
entierten Unternehmensführung ein breites Forschungsfeld. Im Vordergrund ste-
hen dabei Qualifikationskonzepte, Anreiz-, Mess- und Steuerungssysteme, der Be-
zug zur Unternehmenskultur sowie Implementierungsstrategien und Wirkungsana-
lysen des Veränderungsmanagements. Der Beitrag von Stache/ Töpfer in Kapitel
C geht hierauf ein. Unter diesem Blickwinkel ist der praxisorientierte Hochschul-
bereich eine weitere Zielgruppe dieses Buches. Zusätzlich vermitteln die Erfah-
rungsberichte für Unternehmen der Beratungsbranche unterschiedliche Ausgangs-
situationen, Ansatzpunkte und Vorgehensweisen bei der Einführung und Umset-
zung von Lean Six Sigma.
Das Gesamtkonzept des Buches mit den Anforderungs-, Gestaltungs- und Wir-
kungsfeldern von Lean Six Sigma sowie der Erklärung des Managementkonzeptes
und den Branchenanwendungen ist in Abbildung 9 wiedergegeben. Hieran orien-
tiert sich die inhaltliche Einordnung und Bewertung der einzelnen Artikel.

1. Erklärung des Lean Six Sigma Konzepts

6.
2. Projekt-
10.
auswahl/
Lean- -definition Ergebnisse/
Konzept Wirkungen

3. 5. 8. 9.
Anwen-
Six Sigma Einführung/ Stolpersteine/
dungsbereiche/
Projekt- Umsetzung/ Umsetzungs-
Wertschöp-
management U.-Kultur barrieren
fungskette

4. 11.
7.
Wirkungs-
Design for Qualifizierung/ verbund/
Six Sigma -skonzepte/ Vernetzung
Training

12. Branchenanwendungen

Abb. 9: Vernetzung der Anforderungs-, Wirkungs- und Gestaltungsfelder von Lean Six
Sigma

Die nachstehende Tabelle zeigt, aufgeschlüsselt nach den Kriterien der Abbil-
dung 9, worauf die Autoren in den einzelnen Beiträgen speziell eingehen. Dabei
wird danach unterschieden, ob auf einzelne Inhalte besonderes Gewicht gelegt o-
der ob sie nur angesprochen werden. Dem Leser ermöglicht diese Übersicht, ihn
interessierende Fragestellungen in den einzelnen Beiträgen gezielt aufzufinden
und nachzuvollziehen (siehe die Synopse der einzelnen Beiträge in Tab. 1).
16 Armin Töpfer, Swen Günther

Kapitel A Kapitel B Kapitel C

Streckfuss/ Günther/ Töpfer: DFSS-Methoden


Leyendecker: Zusammenspiel von Methoden
Günther/ Garzinsky: LSS-Vorgehensmodelle

Habermann/ Doch: Projektauswahlprozess


Töpfer: Lean Management und Six Sigma

Stache/ Töpfer: LSS-Unternehmenskultur


Autoren-Beiträge

Ziegenhorn/ Ziemer-Popp: Lean bei AMD

Jessenberger: LSS-Einführung bei Xerox


Bremer: Lean-Konzepte bei Honeywell
Töpfer/ Günther: Design for Six Sigma

Weckheuer/ Hennes: Lean Six Sigma

Schmidt: DFSS bei Siemens VDO


Töpfer/ Günther: Mehrere Wege

Vollmer: Wertstromdesign
Kriterien für Inhalte,
Prozesse und Methoden/ Instrumente

1. Erklärung des Lean Six Sigma Konzepts


Philosophie/ Verständnis/ Strategie # # $ $ $ $ # # # #
Wesentliche Vorgehensmodelle und Methoden $ # # # $ # $ $ $
Anforderungen an die Aufbau- und Ablaufstruktur $ # $ $ $ $
Anforderungen an die Unternehmenskultur $ # $ $ $ $ # #
2. Lean-Konzept
Philosophie/ Konzeption/ Inhalte # # $ $ # $ # $ $ $ $
Toyota-Produktionssystem (TPS)/ Toyota-Prinzipien $ # # $ $ $
PDCA-Zyklus – Vorgehen und Methoden $ # $ $
Wertstromanalyse/ -design/ Value Stream Mapping $ $ $ $ # $
Just-In-Time/ Fließfertigung/ Rüstzeiten/ Kanban/ 5S $ $ $ # # # #
Jidoka/ Autonomation/ Fehlererkennung/ 5W $ $ $ $ #
Kontinuierliche Verbesserung (KVP)/ Kaizen $ # $ # $ # $ $
Heijunka/ Operative Stabilität/ Produktionsglättung $ $ $ $
Visual Management/ Andon-Tafel/ Poka-Yoke $ # $ $
3. Six Sigma-Projektmanagement
Philosophie/ Konzeption/ Inhalte # # $ $ $ $ # $ $ $ $
Six Sigma am Beispiel von General Electric $ # $ $ $
Standard-DMAIC u. Blitz-DMAIC – Überblick $ $ # $ $ $ $
Define: Projekt Charter/ SIPOC/ VOC-CTQ $ $ # $
Measure: Datensammlung/ Gage R&R/ Referenzleistung $ # $
Analyse: Ishikawa/ FMEA/ Prozessdarstellung/ Statistik $ $ #
Improve: Kosten-Nutzen-Analyse/ Simulation $ #
Control: Monitoring/ Dokumentation/ SPC $ #
4. Design for Six Sigma (DFSS)
Philosophie/ Konzeption/ Inhalte $ $ # $ $ $ #
DMADV-Zyklus – Vorgehen und Methoden $ # $ $ $ #
Quality Function Deployment (QFD) $ # $
Widerspruchsorientierte Problemlösung (TRIZ) $ #
Design of Experiments (DOE) $ # $
Conjoint Analyse/ Target Costing $ $ $
5. Einführung/ Umsetzung/ U.-Kultur
Ansätze zur Kombination von Lean und Six Sigma $ # # $ $ $ # $
Prozessphasen/ Roll-Out im Unternehmen $ # $ $ $ $ # $ # #
Auswahl von Akteuren und Projekten # $ # $ # #
Einbindung/ Commitment der Führungskräfte u. Mitarbeiter $ $ $ # # $ #
Zielvereinbarungssystem/ Anreiz- u. Prämiensystem $ $ $ $ $
Projektsteuerung/ Controlling/ Ergebnisdokumentation # $ $ $ # $ $ $ # $ $
6. Projektauswahl/ -definition
Sammeln von Projektideen $ # $
Bewertungsschema/ -prozess $ # $ $ #
Definition von Projekten $ # $ # $ # # $ $
Legende: # ausführlich behandelt $ angesprochen

Tab. 1: Synopse der einzelnen Beiträge


Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität 17

Kapitel A Kapitel B Kapitel C

Streckfuss/ Günther/ Töpfer: DFSS-Methoden


Leyendecker: Zusammenspiel von Methoden
Günther/ Garzinsky: LSS-Vorgehensmodelle

Habermann/ Doch: Projektauswahlprozess


Autoren-Beiträge

Stache/ Töpfer: LSS-Unternehmenskultur


Ziegenhorn/ Ziemer-Popp: Lean bei AMD
Töpfer: Lean Management und SixSigma

Jessenberger: LSS-Einführung bei Xerox


Bremer: Lean-Konzepte bei Honeywell
Töpfer/ Günther: Design for Six Sigma

Weckheuer/ Hennes: Lean Six Sigma

Schmidt: DFSS bei Siemens VDO


Töpfer/ Günther: Mehrere Wege

Vollmer: Wertstromdesign
Kriterien für Inhalte,
Prozesse und Methoden/ Instrumente

7. Qualifizierung/ -skonzepte/ Training


Champion/ Sponsor $ $ $ $ $ $
(Master) Black Belt $ # # # # # $
Green/ Yellow/ White Belt $ # # # # # $
Mitarbeiter/ Betriebsrat $ $ $ $ $ $
Qualifizierungskosten $ # $ #
Lean Experten $ $ $ $ $ $ #
8. Stolpersteine/ Umsetzungsbarrieren
Verständnis- und Kommunikationsprobleme $ # $ $ $ $ $ $ # $ #
Probleme bei Methoden- und Instrumenteneinsatz $ $ # $ # $ $ $ $
Veränderungsmanagement der Organisation $ $ $ $ $ $ $ # $ #
Anforderungen/ Auswirkungen auf Unternehmenskultur $ $ $ $ # $ # #
Nationale Einflüsse/ Internationalisierung $ # $ $ # $
9. Anwendungsbereiche/ Wertschöpfungskette
F&E (Design for Six Sigma) $ # # $ $ #
Lieferanten/ Partner $ $ $ $
(Vor-)Montage/ Produktion # $ $ # $ # # $ # $
Verwaltung/ Administration $ $ $ $ $ $ #
Vertrieb/ Service $ $ $
Kundenunternehmen $ $ $
10. Ergebnisse/ Wirkungen
Monetäre Wirkungen (Net Benefit) $ # # # $ $ $ $ $ $
Nicht-monetäre Wirkungen (Sigma-Wert, DLZ) $ # $ # $ $ $ $ $ $
Erhöhung der Kundenzufriedenheit/ -bindung # # # $ $ $ $ $ # $ $
Wertsteigerung des Unternehmens # # # $
11. Wirkungsverbund/ Vernetzung
Qualitätsmanagementnormen (ISO 9000ff./ TS 16949 u.a.) $ $ $ $
GQM/ EFQM/ MBNQA/ Business Excellence $ $ $ $ $ $
Balanced Scorecard (BSC) $ $ $ #
Wissensmanagement $ $ # $
12. Branchenanwendungen
Automobilindustrie $ # $ #
Banken/ Finanzdienstleister $
Chemie- und Pharmaindustrie $ $ # # #
Dienstleistung/ Service $ $ $
Elektronik/ Elektrotechnik #
Konsumgüterindustrie # $
Krankenhauswesen $
Maschinen- und Anlagenbau $ $ #
Telekommunikation/ IT #

Legende: # ausführlich behandelt $ angesprochen

Tab. 1: Synopse der einzelnen Beiträge (Fortsetzung)


18 Armin Töpfer, Swen Günther

Im Folgenden werden die Schwerpunkte einzelner Beiträge kurz charakterisiert.


Im Kapitel A „Anforderungen an und Anwendungsfelder von Lean Six Sigma und
Design for Six Sigma“ folgen nach diesem Beitrag einige grundsätzliche Aussagen
sowie empirische Ergebnisse über den Einsatz und die Verbreitung von Lean Ma-
nagement und Six Sigma. Insbesondere wird von Töpfer die wirkungsvolle Kom-
bination der zwei Konzepte für verschwendungsfreie Prozesse und Null-Fehler-
Qualität aufgezeigt. Für eine praxisnahe Darstellung von schnellen Prozessen und
fehlerfreier Qualität werden als Unternehmensbeispiele die Entwicklungen der
letzten Jahre bei Toyota und General Electric herangezogen. Während Toyota vor
allem für den Lean-Ansatz mit KVP steht, favorisiert General Electric den pro-
jektorientierten Verbesserungsansatz auf der Basis von Six Sigma.
Einen zunehmend höheren Stellenwert nimmt Six Sigma im Entwicklungspro-
zess ein. Design for Six Sigma (DFSS) ermöglicht es, bei Neuprodukten die Feh-
lerrate von vornherein deutlich zu senken. In dem Artikel von Töpfer/ Günther
wird die Vorgehensweise im Produktentwicklungsprozess anhand des DMADV-
Zyklus dargestellt. Im Zentrum stehen dabei die Beschreibung des Phasenablaufs
sowie des Methodeneinsatzes, wie z.B. Fehler-Möglichkeits- und Einfluss-Analy-
se (FMEA), Statistical Process Control (SPC) und Design of Experiments (DOE).
Außerdem gehen die Autoren auf die zusätzlich erzielbaren Wirkungen des Kon-
zeptes im Hinblick auf mehr Innovation, bessere Qualität und höhere Wertbeiträge
ein.
Im Kapitel B „Vernetzung der Bausteine von Lean Management und Six Sigma
in Verbesserungs- und Entwicklungsprojekten“ werden zunächst die wesentlichen
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma beschrieben. Im Beitrag
von Leyendecker wird das Zusammenspiel verschiedener Methoden zur Optimie-
rung der Prozesse und der Qualität in der Wertschöpfungskette aufgezeigt. Dies
verdeutlicht den methodenorientierten „Werkzeugkasten“, aus dem problembezo-
gen die für den Lösungsprozess geeigneten Instrumente auszuwählen und einzu-
setzen sind. Danach konzentrieren sich Günther/ Garzinsky vor allem auf den
Standard-DMAIC sowie den Blitz-DMAIC als praktikable Vorgehensmodelle.
Auf dieser Basis erläutern sie anschließend zweckmäßige Schulungskonzepte für
Green und Black Belts.
Eine herausragende Methode im Rahmen von Lean Management stellen die
Wertstromanalyse und das Wertstromdesign dar. Sie finden auch zunehmend bei
der Durchführung von Verbesserungsprojekten auf der Basis des DMAIC-Zyklus
Anwendung. Vor diesem Hintergrund geht Vollmer in seinem Beitrag gezielt auf
das Value Stream Design ein, mit dem sich schnelle und wirkungsvolle Verbesse-
rungen im gesamten Wertschöpfungsprozess erreichen lassen.
Zu den weiterführenden Methoden innerhalb des DFSS-Ansatzes gehören Qua-
lity Function Deployment (QFD), DOE und die widerspruchsorientierte Problem-
lösungstechnik TRIZ. Streckfuss/ Günther/ Töpfer stellen in ihrem Beitrag die
Konzeption und Inhalte der Methoden an praxisnahen Beispielen vor. Außerdem
gehen sie auf den integrierten Einsatz innerhalb von Produktentwicklungsprojek-
ten ein und zeigen hier die Chancen und Risiken auf. Zum Abschluss erörtern sie
anhand einer Fallstudie die systematische Vernetzung von QFD und TRIZ, welche
in der Praxis immer mehr Beachtung erfährt.
Mehrere Wege zur Null-Fehler-Qualität 19

Im Kapitel C „Umsetzung von und Erfolge mit Lean Management, Lean Six
Sigma und Design for Six Sigma“ werden 7 Praxisbeispiele wiedergegeben. Zie-
genhorn/ Ziemer-Popp beschreiben zunächst die Anwendung von Lean Manufac-
turing im AMD-Werk in Dresden. Dabei gehen sie u.a. darauf ein, wie der KVP-
Prozess mithilfe von strukturierten Workshops realisiert wurde. Des Weiteren zei-
gen sie die Einbindung von Mitarbeitern und Top-Management auf, um Lean Ma-
nagement zu einer hohen Akzeptanz und nachhaltigen Anwendung im gesamten
Unternehmen zu führen.
Einen wesentlichen Erfolgsfaktor von Lean Six Sigma stellt der Projektaus-
wahlprozess dar. Von Habermann/ Doch wird dieser am Beispiel eines Pharmaun-
ternehmens vorgestellt, welches in der Vergangenheit seine Geschäftsprozesse
durch die Verbindung von Lean Management, Six Sigma und Design for Six Sig-
ma nachhaltig verbessern konnte. Wie die Autoren eindeutig belegen, war dabei
ein strukturierter Projektauswahlprozess der Schlüssel zum Erfolg.
Weckheuer/ Hennes zeigen in ihrem Beitrag am Beispiel eines Unternehmens
aus der chemischen Industrie, wie die Weiterentwicklung eines bestehenden Six
Sigma-Programms durch die Integration von Lean Management-Aktivitäten erfol-
gen kann. In ihren Ausführungen gehen sie insbesondere darauf ein, welche Über-
legungen, Methoden und Maßnahmen in Bezug auf die Unternehmenskultur, die
Organisationsstruktur und den Projektauswahlprozess notwendig sind.
In dem Beitrag von Bremer wird verdeutlicht, wie man auf der Basis einer gu-
ten Mitarbeitermotivation mit kleinen und kostengünstigen Veränderungen das
Lean Management-Konzept erfolgreich in einem Unternehmen implementieren
kann. Dies wird am Beispiel von Honeywell im Bereich Aerospace am Standort
Raunheim erläutert. In seinen Ausführungen hebt der Autor u.a. die Bedeutung
von kleinen Losgrößen, modularer Bauweise und differenzierter Prioritätenset-
zung von Aufträgen in der Produktionsplanung und -steuerung hervor.
Eine ganzheitliche Betrachtung wird in dem anschließenden Beitrag von Jes-
senberger gewählt. Sie zeigt, wie die Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox
in der Vergangenheit wesentliche Beiträge zum Geschäftserfolg lieferte. Voraus-
setzung hierfür war eine grundlegende Veränderung der Unternehmenskultur.
Dies wurde zum einen durch umfangreiche Trainingsmaßnahmen und klare Orga-
nisationsstrukturen erreicht. Zum anderen spielte der strukturierte Verbesserungs-
ansatz auf der Basis des DMAIC-Zyklus eine Schlüsselrolle.
Schmidt beschreibt in seinem Beitrag die Integration von Design for Six Sigma
(DFSS) bei Siemens VDO1, einem führenden Automobilzulieferer. Er erläutert,
wie der Produktentstehungsprozess (PEP) durch DFSS ergänzt werden kann, um
so die Kundenanforderungen vollständig und wirtschaftlich zu erfüllen. Seine
Ausführungen beziehen sich auf ein Pilotprojekt bei Diesel Systems, in dem die
Kundenstimme Schritt für Schritt in Qualitätsmerkmale übersetzt worden ist.
Im abschließenden Beitrag zeigen Stache/ Töpfer die Auswirkungen der Ein-
führung von Lean Six Sigma auf die Organisationsstruktur sowie die Unterneh-
menskultur am Beispiel des Pharmaunternehmens Lilly Deutschland. Neben theo-

1 Das Unternehmen wurde Ende 2007 von der Continental AG gekauft und ist jetzt Be-
standteil dieses Konzerns.
20 Armin Töpfer, Swen Günther

retischen Aussagen zur idealtypischen Organisationsstruktur/ Unternehmenskultur


für Lean Six Sigma liefern sie konkrete empirische Belege für eine erfolgverspre-
chende praxisnahe Ausgestaltung der zwei Dimensionen. Auf dieser Basis lassen
sich allgemein gültige kritische Erfolgfaktoren für die Implementierung von Lean
Six Sigma in Unternehmen ableiten.

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Lean Management und Six Sigma: Die
wirkungsvolle Kombination von zwei Konzepten
für schnelle Prozesse und fehlerfreie Qualität

Armin Töpfer

Inhalt

1 Entwicklung eines Kriterienrasters zur Beurteilung der Effizienz und


Effektivität von Managementkonzepten ....................................................25
2 Lean Management zur Minimierung von Verschwendung ........................28
2.1 Philosophie, Konzeption und Inhalte des Managementkonzeptes .............28
2.2 Unternehmensbeispiel: Toyota...................................................................35
2.3 Stärken-Schwächen-Profil des isolierten Einsatzes....................................42
3 Six Sigma zur Minimierung von Variation ................................................43
3.1 Philosophie, Konzeption und Inhalte des Managementkonzeptes .............43
3.2 Unternehmensbeispiel: General Electric ....................................................48
3.3 Stärken-Schwächen-Profil des isolierten Einsatzes....................................54
4 Kombination von Lean Management und Six Sigma.................................57
4.1 Six Sigma-Projektmanagement lean machen .............................................58
4.2 Lean Management punktuell durch Six Sigma-Projekte ergänzen.............59
4.3 Durch integriertes Lean Six Sigma besser und schneller werden...............59
5 Wirkungen und Ergebnisse von Lean Six Sigma .......................................61
6 Stolpersteine und Umsetzungsfallen von Lean Six Sigma .........................62
7 Quintessenz ................................................................................................64
8 Literatur......................................................................................................66

1 Entwicklung eines Kriterienrasters zur Beurteilung


der Effizienz und Effektivität von Management-
konzepten

Die Managementkonzepte Lean Management, Six Sigma und Lean Six Sigma
werden im Folgenden anhand von 16 Kriterien bewertet, welche sich in die Kate-
gorien Strategie, Vorgehen, Methoden, Kultur und Wirkung einteilen lassen (siehe
Abb. 1).1 Für die drei Konzepte werden in den Abschnitten 2.3, 3.3 und 4.4 Stär-
ken-Schwächenprofile auf der Basis eines Radardiagramms erstellt.

1 Die Ausführungen in diesem Unterkapitel basieren im Wesentlichen auf der Diplom-


arbeit von Christian Huth (2007) zum Thema „Lean Six Sigma“, die am Lehrstuhl für
Marktorientierte Unternehmensführung an der TU Dresden erstellt und betreut wurde.
26 Armin Töpfer

Quelle: Huth 2007, S. 11

Abb. 1: Bewertungskriterien für Vorgehensmodelle

Die übergeordnete Kategorie Strategie hat die Kunden-, Prozess- und Ergeb-
nisorientierung der Vorgehensmodelle zum Gegenstand. Der Grad der Kundenori-
entierung gibt dabei an, in welchem Umfang Kundenanforderungen in das Projekt
einfließen respektive die Richtschnur für das Lösungskonzept und die angestreb-
ten Lösungen sind. Die Prozessorientierung fokussiert die Ausrichtung des Vorge-
hens auf die Prozesse im Unternehmen. Dies beinhaltet neben der Konzentration
auf einzelne Prozesse auch die Betrachtung der gesamten Prozesslandschaft im
Unternehmen. Der Grad der Ergebnisorientierung beinhaltet die Festlegung der zu
erreichenden Ergebnisse vor Projektstart, die Ausrichtung aller Aktivitäten wäh-
rend der Projektdurchführung auf deren Erfüllung und die Messung der erreichten
Ergebnisse nach Abschluss des Projekts.
Die Kategorie Vorgehen ist auf den eigentlichen Aufbau des Vorgehensmodells
ausgerichtet. Unterscheiden lassen sich die Unterpunkte Projektorientierung, Vor-
gehensstruktur und Standardisierung. Durch den Grad der Projektorientierung
kommt zum Ausdruck, inwieweit die relevanten Probleme im Rahmen der Projek-
te mit dem dazugehörigen Projektmanagement gelöst werden. Die Vorgehens-
struktur bewertet, ob das Problem vorab eindeutig definiert wird, Rollen im Team
mit einer Handlungs- und Ergebnisverantwortung verteilt werden und ob alle we-
sentlichen Phasen des Vorgehensmodells durchlaufen sowie abschnittsweise Kon-
trollen durchgeführt werden. Dies ist eng verbunden mit der Standardisierung des
Projektablaufs, die angibt, inwieweit die einzelnen Projektschritte und deren In-
halte sowie die Aufgabenverteilung formal festgelegt sind.
Die Kategorie Methoden bezieht sich auf die Kriterien Komplexität, Portfolio-
umfang und Statistikeinsatz. Methoden werden als festgelegte und damit standar-
disierte Vorgehensweisen in Problemanalyse- und -lösungsprozessen zur Errei-
chung definierter Ziele verstanden. Dabei kann eine Methode durch den Einsatz
von Werkzeugen als Mittel unterstützt werden. Um es an einem Beispiel zu ver-
deutlichen: Eine Methode ist Lean Management, und das dabei einsetzbare Werk-
zeug ist Kanban. Bezogen auf Six Sigma als Konzept stellt – eine Ebene tiefer –
der DMAIC-Zyklus die Methode dar und die SIPOC-Analyse (Supplier – Input –
Kombination von Lean Management und Six Sigma 27

Process – Output – Customer) oder die Analyse und Herausarbeitung der CTQs
(Critical to Quality Characteristics) sind beispielsweise bewährte Werkzeuge. So-
wohl Methoden als auch Werkzeuge weisen dabei also einen unterschiedlichen
Grad an Komplexität und damit auch an Komplexitätsbewältigung auf. Der Port-
folioumfang definiert sich dann über die Vielzahl der zur Problemanalyse und
-lösung einsetzbaren Methoden und vor allem auch Werkzeuge. Gerade bei letzte-
ren ist zusätzlich ein mehr oder weniger großer Statistikeinsatz unterscheidbar.
Als weitere Kategorie wird die Kultur einbezogen, welche sich aus den Krite-
rien Hierarchie, Analytik und Akzeptanz herausbildet. Durch die Hierarchie wird
beschrieben, inwieweit festgelegte Rollen mit unterschiedlichen Verantwortungs-
bereichen existieren und wie groß die dezentrale Selbstständigkeit nachgeordneter
Organisationseinheiten bzw. die hierarchische Abhängigkeit von übergeordneten
Entscheidungsebenen ist. Das Kriterium Analytik beschreibt als Analysefähigkeit
und -bereitschaft der Mitarbeiter deren Einstellung gegenüber den vorstehend an-
gesprochenen Problemlösungsmethoden und standardisierten Vorgehensweisen.
Das Spektrum der Einstellung erstreckt sich dabei von einer methodengestützten
Verwendung der analysierten Daten als Grundlage aller Entscheidungen bis zu ei-
ner deutlich weniger systematischen und stärker intuitiven Herangehensweise an
die Analyse und Lösung von Problemen. Die Bereitschaft, in dieser strukturierten
und methodengestützten Weise vorzugehen, kennzeichnet die Akzeptanz der Mit-
arbeiter, aus der sich zugleich ihre Veränderungsbereitschaft in die dargestellte
Richtung ableiten lässt.
In der abschließenden Kategorie Wirkung sind die Kriterien Projektgröße,
Durchführungsaufwand, Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit zusammengefasst.
Die Projektgröße bezieht sich auf die Anzahl involvierter Personen und Ressour-
cen. Der Aufwand zur Durchführung bemisst sich an den damit verbundenen Kos-
ten. Die Geschwindigkeit, als Maßgröße für die zeitliche Dauer des Projekts,
hängt wiederum von der Projektgröße und der dabei notwendigen Zeit zur Analy-
se des Problems, zur Entwicklung von Lösungsalternativen und zur Implementie-
rung des ausgewählten Verbesserungskonzepts ab. Der Grad der Nachhaltigkeit
misst, inwieweit die Lösung über die Zeit stabil ist sowie dadurch dauerhaft prak-
tiziert wird und zur Performancesteigerung des Unternehmens beiträgt.
Eine ähnlich strukturierte Vorgehensweise sieht das „Process and Enterprise
Maturity Model“ (PEM-Modell) von Hammer vor (vgl. Hammer 2007), das wir
hier kurz ansprechen, aber im Hinblick auf den Messansatz mit unterschiedlichen
Ausprägungsniveaus bzw. Reifegraden nicht vertiefen. Das Modell konzentriert
sich – unter aktiver und verantwortungsvoller Einbeziehung der Mitarbeiter in den
Steuerungsprozess – ebenfalls auf die Prozesse mit dem Ziel, die Prozessdetermi-
nanten und die Unternehmenskompetenzen ständig weiter zu entwickeln respekti-
ve ausreifen zu lassen. Die 5 Prozessdeterminanten sind das Prozessdesign, die
Mitarbeiter, die Verantwortung, die Infrastruktur insbesondere bezogen auf Infor-
mations- und Managementsysteme sowie die für die Prozesssteuerung erforderli-
chen Kennzahlen. Die 4 Unternehmenskompetenzen umfassen die Führungsver-
antwortung (Leadership), die auf Kundenbelange, Kooperation, eigenständige
Verantwortung sowie Veränderungsbereitschaft ausgerichtete Unternehmenskul-
tur, die Erfahrung, also das erreichte Niveau an Fähigkeiten und Wissensbaustei-
28 Armin Töpfer

nen, sowie nicht zuletzt die Steuerung und damit das Spektrum an Systemen,
Strukturen, Methoden und Werkzeugen, mit denen komplexe Projekte unterstützt
und nachhaltige Veränderungen erreicht werden.

2 Lean Management zur Minimierung von


Verschwendung

2.1 Philosophie, Konzeption und Inhalte des Managementkonzeptes

Das Lean-Konzept stammt aus Japan, wo es vom Unternehmen Toyota in den


1950er Jahren aufgrund sich ändernder wirtschaftlicher Gegebenheiten entworfen
und seitdem kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Experten betrachten diesen
ursprünglich als Produktionssystem entwickelten Ansatz als die Grundlage für den
Aufstieg Toyotas zum führenden Automobilhersteller und den damit verbundenen
wirtschaftlichen Erfolg. Das Lean-Konzept stellt einen systematischen Ansatz dar,
Verschwendung (Japanisch: Muda) im Unternehmen zu identifizieren und zu eli-
minieren. Dadurch werden die Prozesse verschlankt, was wiederum primär sin-
kende Durchlaufzeiten zur Folge hat. Wie Abbildung 2 verdeutlicht, liegt die Ver-
schwendung üblicherweise in insgesamt sieben Formen vor.

Überproduktion
Frühere, schnellere
und größere Menge an
Produkten, als vom
Kunden verlangt
Bewegung Wartezeit
Überflüssige Bewe- Zeit, in der keine
gungen von Arbeitern wertschöpfende
oder Material inner- Tätigkeit stattfindet
halb eines Prozesses

Bestand Prozessübererfüllung
Lagerung von Teilen/ Tätigkeiten, die weder
Material über die aus vom Kunden verlangt
Kundensicht erfor- werden, noch zur Wert-
derliche Menge hinaus schöpfung beitragen
Nacharbeit Transport
Wiederholung/ Korrektur Überflüssige
eines Prozesses Materialbewegung
Basis: Drew/ McCallum/ Roggenhofer 2004, S. 268

Abb. 2: Die 7 Formen der Verschwendung nach Toyota


Das Problem in der Unternehmenspraxis besteht nicht nur darin, dass diese
Kosten der Verschwendung entstehen. Vielmehr tritt ein weiteres Problem da-
durch auf, dass diese Verschwendungskosten, also Blindleistungen, da den Kosten
Kombination von Lean Management und Six Sigma 29

keine Wertschöpfung als Leistung gegenüber steht, in den wenigsten Unterneh-


men überhaupt aussagefähig und ganzheitlich erfasst werden. In den meisten Fäl-
len werden sie als „notwendiger“ oder „unvermeidlicher“ Teil von Prozessen ein-
geordnet. Wenn man diese Kosten aber nicht transparent macht, können sie auch
nicht beeinflusst und beseitigt werden. Hinzu kommt, dass sie in ihrer Entstehung
nicht nur in keinem direkten Verhältnis zu kundenbezogenen Aktivitäten sowie
damit zum Kundennutzen und seiner Steigerung stehen und dadurch auch keine
Wertsteigerung für das Unternehmen bewirken. Im Gegenteil: Manchmal werden
durch diese Kosten Barrieren im Kundenmanagement bzw. Kunden-Beziehungs-
lebenszyklus aufgebaut, die dann kontraproduktiv wirken und sowohl den Kun-
dennutzen reduzieren als auch die Wertorientierung im Wertschöpfungsprozess
beeinträchtigen (vgl. Drew/ McCallum/ Roggenhofer 2004, S. 268 f.).
Neben der Verschwendung sind zwei weitere Störfaktoren, welche die Leistung
in der Produktion hemmen, zu minimieren: Zum einen ist dies die Variabilität
(Mura), die jede Abweichung von den Standardbedingungen bezeichnet, und zum
anderen die Inflexibilität (Muri), die eine schnelle Reaktion auf veränderte Kun-
dennachfrage verhindert. Das Toyota-Produktionssystem (TPS) bildet den Rah-
men, um die drei Hemmfaktoren Verschwendung, Variabilität und Inflexibilität zu
minimieren. Es lässt sich mit 14 Prinzipien beschreiben (siehe Abb. 3).

1. Gründung von Managemententscheidungen auf einer langfristigen Philosophie,


selbst wenn dies auf Kosten kurzfristiger finanzieller Ziele geht
2. Schaffung eines kontinuierlichen Flusses, um Schwachstellen aufzudecken
3. Einsatz eines Pull-Systems, um Überproduktion zu vermeiden
4. Schaffung einer gleichmäßigen Auslastung (Heijunka)
5. Schaffung einer Kultur des sofortigen Stopps zur Problembehebung,
um Qualität auf Anhieb zu produzieren
6. Standardisierung von Aufgaben als Basis für kontinuierliche Verbesserung und
Übertragung von Verantwortung auf die Mitarbeiter
7. Nutzung visueller Kontrollen, damit Probleme nicht verborgen bleiben
8. Verwendung zuverlässiger, gründlich getesteter Technologien, die Mitarbeitern
und Prozessen dienen
9. Entwicklung von Führungskräften, die ein grundlegendes Verständnis für die
Arbeit haben, die Philosophie leben und sie anderen beibringen
10. Entwicklung außergewöhnlicher Mitarbeiter und Teams, die der Unternehmens-
philosophie folgen
11. Respektierung des erweiterten Partner- und Zuliefernetzwerkes, indem sie
herausgefordert werden und ihnen geholfen wird, sich zu verbessern
12. Schaffung eines eigenen Bildes vor Ort, um die Situation grundlegend zu
verstehen (Genchi Genbutsu)
13. Langsames Treffen von Entscheidungen durch Konsens und unter Einbeziehung
aller Optionen mit anschließend schneller Implementierung (Nemawashi)
14. Schaffung einer lernenden Organisation durch unablässige Reflektion (Hansei)
und kontinuierliche Verbesserung (Kaizen)
Quelle: Liker 2004, S. 35 ff.

Abb. 3: Prinzipien des Toyota-Produktionssystems


30 Armin Töpfer

Durch eine Benchmarking-Studie des MIT Anfang der 1990er Jahre wurde die
Überlegenheit des Toyota-Produktionssystems gegenüber dem in der westlichen
Hemisphäre dominierenden Systems der Massenfertigung aufgezeigt (vgl. Wo-
mack/ Jones/ Roos 1991). Neben einer Reduktion der Durchlaufzeiten werden Be-
stände verringert, weniger Produktionsfläche benötigt, die Flexibilität erhöht und
gleichzeitig Kosten gesenkt sowie die Qualität der Produkte gesteigert. Seit Veröf-
fentlichung der Studie ist das Konzept des Lean Managements in den Fokus der
Industrie gelangt. Eine Studie des Economist aus dem Jahr 2004 zeigt, dass mitt-
lerweile ein Drittel der nordamerikanischen Industrieunternehmen Lean-Prinzipien
erfolgreich eingeführt haben. Auch in Deutschland bauen zunehmend mehr Unter-
nehmen auf diesen Ansatz.
Ausgehend von den Prinzipien des Toyota-Produktionssystems lassen sich auf
übergeordneter Ebene fünf Prinzipien herausstellen, deren konsequente Anwen-
dung zu einem Lean Thinking führt (vgl. Womack/ Jones 2004, S. 24 ff.):2
1. Das Prinzip der Spezifizierung des Wertes ist der entscheidende Ansatz des
Lean Management. Der Wert wird durch den Endverbraucher definiert und be-
zieht sich auf eine spezifische Leistung zur Befriedigung der Kundenbedürfnis-
se. Die Analyse und Gestaltung der Wertschöpfung bedarf somit einer umfas-
senden Kundenorientierung, welche die völlige Klarheit über Kundenziele,
-probleme und -absichten zu Beginn des Verbesserungsprozesses voraussetzt.
Über die exakte Definition der vom Kunden geforderten Leistungen werden –
im Idealfall – alle nicht-wertschöpfenden Güter, Dienstleistungen und Tätigkei-
ten vermieden. Dazu ist ausgehend vom Wert für den Kunden rückwärts in das
Unternehmen „hinein zu analysieren“ bis zu den Zuliefern (Outside-In-Analy-
se); die Gestaltung der Wertschöpfungskette ist dann vorwärts gerichtet, ausge-
hend von den Assets und der Organisation des Unternehmens (Inside-Out-
Gestaltung).
2. Das Prinzip der Identifikation des Wertschöpfungsstromes unterstreicht die
Notwendigkeit, alle Bearbeitungsschritte entlang der Wertschöpfungskette ei-
ner umfassenden Analyse zu unterziehen. Dabei ist die gesamte primäre Wert-
schöpfung bezogen auf den o.g. Kundenwert zu definieren und zu gestalten.
Neben der Untersuchung der eigenen Produktion erlaubt die Ausweitung der
Wertstromanalyse auf andere Wertschöpfungspartner eine unternehmensüber-
greifende Erfassung von Verschwendung. In der Analyse werden die Tätigkei-
ten in Nutz-, Stütz-, Blind- und Fehlleistung untergliedert. Das Ziel besteht in
der Maximierung der Nutz-/ Stützleistung auf der einen Seite sowie in der Mi-
nimierung bzw. Vermeidung der Blind-/ Fehlleistung und deren Ursachen auf
der anderen Seite. Unterstützende Wertschöpfungsprozesse (Stützleistungen)
sind insoweit zu definieren und zu gestalten, dass sie die primäre Wertschöp-
fung optimal „befähigen“.

2 Die Ausführungen zu den fünf Prinzipien des Lean Thinking sowie dem Toyota-Pro-
duktionssystem basieren im Wesentlichen auf der Diplomarbeit von Christian Weidinger
(2007) zum Thema „Lean Management“, die am Lehrstuhl für Marktorientierte Unter-
nehmensführung an der TU Dresden erstellt und betreut wurde.
Kombination von Lean Management und Six Sigma 31

3. Nach der Analyse des Wertes und der Eliminierung nicht-wertschöpfender Tä-
tigkeiten realisiert das Prinzip des Flow (Flusses) die kontinuierliche Flussori-
entierung der wertschöpfenden Prozessschritte, die das suboptimale Abtei-
lungsdenken ersetzt. Notwendige Voraussetzung des Prinzips ist der Single-
Piece-Flow, bei dem die Arbeitsschritte eines Produktes ausgetaktet werden.
Der schnelle Wechsel zu beliebigen Produktkonfigurationen erlaubt – neben
der Herstellung kleiner variabler Mengen – auch größere Losgrößen. Damit er-
folgt die Anpassung an Kundenbedürfnisse schneller, flexibler und wird
zugleich bei geringeren Kosten und einer niedrigeren Fehlerrate realisiert. Zur
Entwicklung, Unterstützung und Verbesserung aller Prozesse über die Zeit ist
ein wirkungsvolles Managementsystem aufzubauen, welches z.B. Management
by Objectives (MbO) und Balanced Score Card (BSC) beinhaltet.
4. Die Flussorientierung des Herstellungsprozesses bildet die Grundlage zur Rea-
lisierung des Pull-Prinzips (Zieh-Prinzips). Hinsichtlich eines real vorhandenen
Bedarfs werden nur direkt nachgefragte Leistungen produziert und zu einem
vereinbarten Zeitpunkt bereitgestellt. Dabei sind – wie in Abbildung 4 ausge-
führt – alle internen und externen Kunden im Prozess zu berücksichtigen.

1. Wert der Leistung Wertstrom 2.


aus Kundensicht identifizieren
definieren 5.
Perfektion heißt:
Alle Formen von
Blindleistung/

4. Alle internen Verschwendung Kontinuierlichen 3.


und externen vermeiden Wertfluss im Prozess
Kunden im Prozess (waste/ muda) ohne Unterbrechung
berücksichtigen sichern

Basis: Womack / Jones 2004, S. 24 ff.

Abb. 4: 5 Prinzipien des Lean Thinking

5. Die gegenseitige Stimulation der bisher beschriebenen vier Prinzipien führt im


Rahmen des Prinzips der Perfektion zu einer kontinuierlichen Optimierung des
Prozessflusses, wodurch die Annäherung an die Perfektion stufenweise reali-
sierbar ist. Verbesserungen können radikal und sprunghaft oder kontinuierlich
und inkremental sein. Diese werden mit den japanischen Begriffen Kaikaku
und Kaizen beschrieben. Die schnelle Identifikation von Verbesserungsmög-
32 Armin Töpfer

lichkeiten bedarf einer hohen Transparenz in der gesamten Organisation. Zu


diesem Zweck müssen die erreichten Qualitätsniveaus abgesichert sowie stan-
dardisierte Arbeitsabläufe und festgelegte Methoden unterstützend eingesetzt
werden.
Eine wesentliche Methode im Rahmen von Lean Management ist die Wert-
stromanalyse einschließlich des Wertstromdesigns. Ein Wertstrom beschreibt da-
bei den Durchlauf eines Produktes durch seine Hauptflüsse. Das sind zum einen
der Fertigungsstrom, bildlich beschrieben vom Rohmaterial des Lieferanten bis
zum fertigen Produkt in den Händen der Kunden, und zum anderen der Entwick-
lungsstrom, vom Produktkonzept bis zum Produktionsstart. Heruntergebrochen
auf die Projektebene von Six Sigma entspricht dieses Vorgehen der SIPOC-Ana-
lyse, die den Ablauf einer Wertschöpfungsentstehung über die fünf Aggregate
Supplier – Input – Process – Output – Customer verfolgt und optimiert.
Wertströme vollziehen sich nicht nur im produzierenden Bereich, sondern auch
in administrativen Prozessen/ Bereichen, z.B. in der Auftragsabwicklung und im
Rechnungswesen. Ein Wertstrom ist im Allgemeinen sehr umfangreich; er er-
streckt sich vom Zulieferer des Zulieferers bis zum Kunden des Kunden und bildet
die komplette Produktentstehung ab. Dieser Gesamtprozess entspricht dem Sup-
ply-Chain-Management, bei dem ausgehend von mehreren Lieferantenebenen die
Wertschöpfungsprozesse über den Hersteller zu seinem Vertriebspartner bis zum
Endkunden analysiert, mit Informationen versehen, gesteuert und gestaltet werden
(vgl. Töpfer 2007a, S. 877 ff.; Werner 2008).
In Abbildung 5 ist ein Auszug einer Wertstromanalyse, und zwar die Aufnahme
des Ist-Prozesses, vereinfacht wiedergegeben. Der Wertstrom kennzeichnet dabei
den verschwendungsfreien Durchlauf eines Produktes in seinem Entstehungspro-
zess. Hieraus wird nachvollziehbar, dass der Hauptprozess insgesamt neun Teil-
schritte umfasst, die durch einen angedeuteten parallelen Prozess mit drei Teil-
schritten ergänzt werden. In der Realität ist der Gesamtprozess dreimal so lang, so
dass in Abbildung 5 nur ein Drittel des gesamten Wertstroms abgebildet ist. Im
Folgenden geht es nur um die Verdeutlichung der Prinzipien einer derartigen
Wertschöpfungsanalyse und nicht um die Details dieser Herstellung (hier eines
Backofens BO). Die Wertschöpfung ist dann das möglichst verschwendungsfreie
Ergebnis eines derartigen Wertstroms.
Für jede Prozessteil-Zeit werden Kennzahlen angegeben, die Inputgrößen, Be-
arbeitungszeiten und Outputgrößen umfassen. Es geht also immer um die Erfas-
sung von Qualitäts- und Zeitgrößen. Sie können zusätzlich auch, was in dieser
Darstellung nicht wiedergegeben ist, durch Kosten- und Leistungsgrößen ergänzt
werden. Hieraus ist dann direkt der Wertzuwachs – oder ggf. auch eine Wertver-
nichtung – erkennbar. Im Beispiel gibt es, angedeutet durch die Dreiecke (Δ),
mehrere Zwischenlager, die zu Liegezeiten führen. Hier befinden sich z.B. bei ei-
ner Momentaufnahme 10.265 gepresste Mäntel im Lager mit einer durchschnittli-
chen Liegezeit von 2,6 Betriebskalendertagen (BKT) (siehe Abb. 5). Sie sind im-
mer ein Kennzeichen dafür, dass ein Prozess bzw. Wertstrom aus technischen,
zeitlichen oder ökonomischen Gründen nicht optimal verläuft respektive verlaufen
kann. Zusätzlich sind beim dritten Teilschritt die Weitergabestandards im Prozess
Kombination von Lean Management und Six Sigma 33

festgeschrieben. Die zuerst ankommenden Teile werden nach dem FIFO-Prinzip


(First In First Out) also zuerst weitergeleitet. Dies entspricht einer normalen Pro-
zess-Abarbeitung. Dabei sind die Liegezeiten i.d.R. deutlich höher als die Bearbei-
tungszeiten, z.B. ∅ 2,6 BKT Liegezeit des erstellten Vorproduktes „Gepresster
Mantel“ versus ∅ 3,6 s Bearbeitungszeit für den vorausgehenden Prozessschritt
„Mantel pressen“ (siehe Abb. 5).

Be
i sp
Forecast + Bestellungen iel
n
Zulieferer Forecast + Bestellunge
Bodenblech
Bodenblech Boden pressen
zuschneiden
15 Schichten
Zulieferer 18.700
ZZ = 9 s
rer
Mantelblech teue
BO-S ZR = 10 m
OEE = 52,6%
48.700
6.299
Boden Boden- Decke Decke
Kanten Kanten Mantel
Mantel FIFO FIFO Mantel vor- ecken vor- schwei-
anquet- anquet- versio- Prüfen
pressen biegen schwei- schwei- schwei- ßen
schen 1 schen 2 nieren
10.265 ßen ßen ßen oben
15 15
Schichten Schichten
FO
Go see-Prüfung
FI
ZZ = 3,5s Takt = 13s Daraus
ZR = 35 m OEE= Decken- Deckel Legende:
Deckel
∅ 62,0% blech zu- pressen BO – Backofen
OEE = versio- BKT – Betriebskalender-
schnei- 14.400 15 9.466
57,2% nieren tage
den Schichten
23.500 ZZ – Zykluszeit
ZR – Zyklusraum
Zulieferer ZZ = 1s s – Sekunden
2,6 BKT Deckenblech ZR = 10 m OEE – Overal Equipment
Efficiency
OEE = FIFO – First-In-First-Out
3,5s 26s 13s 52,6% 368s Δ – Lagerbestand

Abb. 5: Wertstromanalyse und -design (Auszug)

Auf der Grundlage des analysierten Ist-Wertstroms setzt dann mit dem Wert-
stromdesign die Gestaltung und Verbesserung der Wertströme in allen ihren Tei-
len mit dem Ziel an, optimierte Prozesse zu erreichen. Der Soll-Wertstrom strebt
dabei möglichst wenig Verschwendung sowie eine hohe Zeit- und Kosteneffizienz
an. Das genaue Vorgehen zur Erstellung von Ist- und Soll-Wertströmen wird im
Beitrag von Vollmer in Kapitel B beschrieben; sie beziehen sich auf die folgenden
sieben Schritte zur Aufnahme des Ist-/ Soll-Wertstroms:
1. Kundenanforderungen/ -informationen feststellen
2. Wesentliche Prozessschritte identifizieren (#)
3. Datenkästen und Bestandsdreiecke einzeichnen (Δ)
4. Zulieferung(en) einzeichnen ( )
5. Informationsfluss einzeichnen ( )
6. Materialvorschub einzeichnen (FIFO)
7. Durchlaufzeiten kalkulieren (ZZ)
Das Hauptziel des Wertstromdesigns besteht darin, die Ursachen von Ver-
schwendungen zu erkennen. Dabei können vor allem die gravierendsten Arten der
34 Armin Töpfer

Verschwendungen, verursacht durch Überproduktion und hohe Bestände, mithilfe


dieser Methode aufgedeckt werden. Hinzu kommt, dass das Wertstromdesign vor
allem „große Hebel“ für die Prozessoptimierung aufzeigt und Handlungsprioritä-
ten bestimmt. Das Wertstromdesign beantwortet also die entscheidenden Fragen:
(1.) Welche Maßnahmen sind zuerst durchzuführen, und (2.) welche haben den
größten Nutzen für das Gesamtsystem sowie für den Kunden?
Neben der Wertstromanalyse, wie sie beispielhaft in Abbildung 5 gezeigt ist,
existiert eine vereinfachte Herangehensweise in Form der Wertschöpfungsanalyse.
Sie basiert üblicherweise auf einer Wertzuwachskurve, welche den Zuwachs an
Produktwert über die einzelnen Wertschöpfungsstufen/ Prozessschritte widerspie-
gelt. Im Kern geht es hierbei um die Aufdeckung von Nutz-, Stütz-, Blind- und
Fehlleistungen innerhalb von Teil- und Hauptprozessen der direkten und indirek-
ten Wertschöpfungsphasen bzw. -ketten. Dazu werden die anfallenden Kosten für
Nutz- und Stützleistungsprozesse über den gesamten Leistungserstellungsprozess
kumuliert. Die Differenz zwischen den sich ergebenden Kosten für direkt wert-
schöpfende und wertschöpfungsneutrale bzw. nur indirekt wertschöpfende Prozes-
se und den gesamten, tatsächlich anfallenden Ist-Kosten entspricht den Kosten für
Blind- und Fehlleistung (z.B. Nacharbeit und Ausschuss).
Um Abweichungskosten dieser Art zu reduzieren, hat die Wertschöpfungsana-
lyse zum einen das Ziel, nicht-wertschöpfende Prozesse zu identifizieren und zu
eliminieren. Zum anderen sollen der Herstellungsprozess verkürzt und Durchlauf-
zeiten reduziert werden, um dadurch hohe Kapitalbindungskosten zu vermeiden.
Für alle diese optimierenden Aktivitäten ist die Aufstellung und Analyse von so-
wie die Steuerung mit Kennzahlen unerlässlich.
Die grafische Darstellung der realisierten Wertschöpfung oder Blindleistung er-
folgt i.d.R. in einem Diagramm, bei dem die Wertzuwächse für jeden Prozess-
schritt ausgewiesen sind. Das sich ergebende Wertschöpfungsgebirge ist beispiel-
haft in Abbildung 6 skizziert. Es ergibt sich aus der schrittweisen Analyse der
Bearbeitungs- und Liegezeiten für einen bestimmten Wertschöpfungsprozess. Als
Kennzahlen zur Beurteilung der Wertschöpfung werden nach den vorstehenden
Ausführungen herangezogen:
• x-Achse: Zeitverbrauch (in h oder min) für einzelne Prozessschritte
• y-Achse: Wertzuwachs bzw. Mehrwert pro Prozessschritt (in EUR).
Wie leicht nachvollziehbar ist, führen nur wertschöpfende Prozessschritte zu
einem Anstieg im Wertschöpfungsgebirge; nicht-wertschöpfende Prozessschritte
sind durch einen horizontalen Kennlinienverlauf ersichtlich. Erfahrungen aus der
Praxis zeigen, dass das Wertschöpfungsgebirge häufig „sehr flach“ mit einigen
wenigen Sprüngen verläuft. So beträgt z.B. der Anteil der wertschöpfenden (Bear-
beitungs-)Zeit (Value added time) in der Halbleiterindustrie nicht mehr als 2% der
gesamten Durchlaufzeit (Cycle time). Bei einer Durchlaufzeit von ca. 80 Tagen
liegt der zu produzierende Wafer damit ca. 78 Tage auf Lager bzw. befindet sich
in einer der vielen Warteschlangen. In anderen Industrie- und Dienstleistungsbe-
reichen, z.B. im Krankenhauswesen, wird davon ausgegangen, dass lediglich bis
zu 20% der gesamten Bearbeitungszeit wertschöpfend ist (vgl. Töpfer/ Großekatt-
höfer 2006, S. 115 ff.).
Kombination von Lean Management und Six Sigma 35

Prozessbetrachtung Wertschöpfungsgebirge
Wert-
Zeit in 1. Stelle Zeit in 2. Stelle Zeit Beteiligte
schöpfungs-
Stellen
zuwachs
über die Zeit

Zeitverbrauch
= Liegezeit = Liegezeit
= Bearbeitungszeit = Wertschöpfung in der
Bearbeitungszeit

Abb. 6: Analyse der Bearbeitungs- und Liegezeiten (Beispiel)

2.2 Unternehmensbeispiel: Toyota

Die konsequente Anwendung der fünf Schritte bzw. Prinzipien des Lean Thinking
(siehe hierzu Abb. 4) verwirklicht das Leitbild einer schlanken Produktion, welche
die stetige Verbesserung der drei Zielgrößen Qualität, Zeit und Kosten forciert und
auch durch die hohe Motivation der Mitarbeiter zu einer Steigerung der Kunden-
zufriedenheit führt. Die Zusammenführung der Prinzipien des Lean Thinkings und
der Vermeidung der sieben Formen der Verschwendung (siehe hierzu Abb. 2) er-
folgt im oben bereits angesprochenen Toyota-Produktionssystem (TPS). Im Mit-
telpunkt des Produktionssystems, dessen Säulen in Abbildung 7 verdeutlicht sind,
stehen die Mitarbeiter des Unternehmens, die durch entsprechende Maßnahmen
kontinuierlicher Verbesserung die Stabilität des Produktionssystems erhöhen.
Um die übergeordneten Ziele des TPS – beste Qualität, niedrigste Kosten, kurz-
möglichste Durchlaufzeiten, größte Sicherheit und hohe Arbeitsmoral – zu errei-
chen, kommen eine Reihe von Methoden und Instrumenten zum Einsatz, die als
Säulen in Abbildung 7 gekennzeichnet sind. Dem Produktionsansatz „Just-In-
Time“ (linke Säule), also der zeitnahen bzw. -gerechten Anlieferung von Teilen/
Vorleistungen vor der Verwendung/ dem Einbau im Prozess, werden u.a. die fol-
genden Methoden und Instrumente zugeordnet:
• Taktzeit: Nach der Lean-Philosophie gilt (siehe hierzu Abb. 4): Der Kunde gibt
nicht nur die Produktionsqualitäten und -kosten, sondern auch die Produktions-
zeiten und damit den erforderlichen Produktionsrhythmus vor. Die Produktion
folgt diesem Rhythmus durch Einhaltung der Taktzeit, welche den Zeitraum be-
schreibt, in dem ein Produkt fertig gestellt werden sollte, um dem Kundenbe-
darf genau zu entsprechen. Die Steuerung des Wertschöpfungsprozesses auf
Basis der Taktzeit vermeidet zu langsames, aber auch zu schnelles Produzieren.
• Flow-Prinzip: Zur Sicherstellung eines kontinuierlichen Flusses in der Produk-
tion ist ein Einzelstückfluss (One-piece-flow) anzustreben. Zu diesem Zweck
sind die einzelnen Arbeitsstationen in Reihe hintereinander zu „schalten“ und
36 Armin Töpfer

durch FIFO-Bahnen miteinander zu verbinden. Dadurch wird das Layout der


Fertigung im Ergebnis vom Fluss der Produkte bestimmt und nicht umgekehrt.

Beste Qualität
Niedrigste Kosten Kurzmöglichste Durchlaufzeiten
Größte Sicherheit Hohe Arbeitsmoral
Verkürzung der Produktionszeit durch die Eliminierung nicht-werthaltiger Elemente

Just-In-Time Menschen & Teamwork Jidoka


• Taktzeit • Automat. Pro-
• Kontinuier- duktionsstopp
licher Fluss • Andon-Tafel
• Pull-System Kontinuierliche Verbesserung • Selbstgesteu-
• Kurze Um- - Kaizen - erte Fehlerer-
rüstzeiten kennung
• Integrierte • Q-Kontrolle an
Logistik Eliminierung nicht-wert- jeder Station
schöpfender Elemente durch • 5 W-Methode
• 5 S-Methode Value Stream Analyse/ Design
Produktionsnivellierung (Heijunka)
Stabile und standardisierte Prozesse
Visuelles Management
14 Toyota-Prinzipien
Basis: Liker 2006, S. 65

Abb. 7: Das Haus des Toyota-Produktionssystems (TPS)

• Pull-System: Das Pull-Prinzip besagt, dass nichts hergestellt wird, wenn es


nicht vom (internen oder externen) Kunden bestellt wurde. Bildlich gesprochen
werden – bei konsequenter Anwendung des Prinzips – die zu fertigenden Teile
durch die Produktion gezogen. Ein wichtiges Instrument zur Etablierung eines
Pull-Systems im Unternehmen ist der so genannte Supermarkt; er dient als kon-
trollierter Puffer in der Nähe des Verbrauchsortes bzw. der Linie. Die Logik
von Supermarkt-Pull-Systemen besteht darin, dass zum einen der Kundenpro-
zess zum Supermarkt „geht“ und entnimmt, was er braucht. Zum anderen pro-
duziert der Lieferprozess genau so viel, um das entnommene Material wieder
aufzufüllen. Dadurch ist die Steuerung der Produktion am Lieferprozess ohne
expliziten Produktionsplan möglich.
• SMED: Voraussetzung für eine schlanke und effiziente Produktion sind kurze
Umrüstzeiten der Maschinen. Im Zusammenhang mit Lean Management hat
sich hierfür das engl. Akronym SMED etabliert. Es steht für „Single Minute
Exchange of Die“, also das Rüsten und/ oder der Werkzeugwechsel in einer
einstelligen Minutenzahl (< 10 min). Die Rüstzeit ist als die Zeitspanne defi-
Kombination von Lean Management und Six Sigma 37

niert, die vom letzten Gutteil des alten Produktionsauftrages bis zum ersten
Gutteil des neuen Produktionsauftrages reicht. Diese Zeit ist Produktionsaus-
fallzeit und verschlechtert die Anlagenverfügbarkeit bzw. Gesamtanlageneffi-
zienz (OEE).
• Integrierte Logistik: Zur Realisierung des Just-In-Time-Prinzips ist ein profes-
sionelles Logistikmanagement erforderlich, welches die verschiedenen Berei-
che der Supply Chain integriert. Zu diesem Zweck werden im Toyota-
Produktionssystem eine Reihe von Methoden eingesetzt, z.B. Kanban3, FIFO,
Pull- und Supermarkt-Prinzip, die z.T. an anderer Stelle bereits erläutert wor-
den sind. Im Hinblick auf die vorstehend angesprochene Rüstzeitenminimie-
rung wird das TPM-Konzept (Total Productive Maintenance) verfolgt. Die lo-
gistische Herausforderung besteht hier in der Einführung einer vorbeugenden
Wartung von Anlagen und Maschinen, die langfristig zu einer autonomen In-
standhaltung durch die Werker führt.
• 5S-Methode: Die Methode beschreibt eine systematische Vorgehensweise, um
einen Arbeitsplatz zu strukturieren, aufzuräumen und sauber zu halten. Bei der
Bezeichnung handelt es sich um ein japanisches Akronym aus Seiri (Aussortie-
ren), Seiton (Aufräumen), Seiso (Anordnen), Seiketsu (Arbeitsplatz sauber hal-
ten) und Shitsuke (Anordnung zur Regel machen). Diese 5S sind die Grundlage
für die Einführung eines synchronen Produktionssystems. Sie tragen außerdem
zur Standardisierung und Visualisierung bei und wirken sich – bei nachhaltiger
Anwendung – positiv auf die Motivation der Mitarbeiter und die Qualität der
Produkte aus.
Unter den Produktionsansatz „Jidoka“ (rechte Säule in Abb. 7), auch Autono-
mation genannt, mit dem Ziel des automatisierten Betriebes einer Maschine mit
geringem bzw. keinem menschlichen Eingriff, werden u.a. die folgenden Metho-
den und Instrumente eingeordnet:
• Autonomation: Bei Abweichungen vom normalen Produktionsprozess (Defek-
te, Werkzeugbruch, fehlender Teilenachschub usw.) kommt es zum automati-
schen Produktionsstopp (Auto-“NO“-Mation), d.h. die Maschine hält selbst-
ständig an und gibt dem Werker ein Signal zum Eingriff.
• Andon-Tafel: Dabei handelt es sich um eine Anzeigetafel, die den aktuellen
Stand der Produktion (Soll/ Ist-Abweichungen, Störungen usw.) wiedergibt.
Die Andon-Tafel ist damit ein Instrument des „Visual Management“, das dar-
auf abzielt, alle von einem Problem betroffenen Mitarbeiter schnell, direkt und
offen zu informieren. Dies gilt gleichermaßen für positive Entwicklungen, wie
z.B. rückläufige Fehlerquoten in der Produktion.
• Selbstgesteuerte Fehlererkennung: Ein wichtiges Ziel des Toyota-Produk-
tionssystems ist die Qualitätssicherung im Prozess, d.h. es finden keine End-of-
the-Pipe-Kontrollen statt, um eine hohe Auslieferungsqualität an den Kunden
sicherzustellen. Vielmehr wird „Qualität“ in die Prozessgestaltung integriert,

3 Kanban: ist ein Produktionssteuerungssystem, welches angibt, was, wie viel und wann
etwas gebraucht wird. Seine Anwendung führt dazu, dass die Prioritäten in der Ferti-
gung so gesetzt werden, dass die Wüsche des Kunden optimal erfüllt werden.
38 Armin Töpfer

und zwar in der Weise, dass die Werker in die Lage versetzt werden, Fehler in
der Produktion selbst zu erkennen und zu beheben. Dadurch lässt sich Null-
Fehler-Qualität nicht nur am Produkt, sondern im gesamten Fertigungsprozess
erreichen. Voraussetzung hierfür ist die Übernahme von Prozessverant-
wortlichkeit/ -eignerschaft durch die Mitarbeiter, d.h. die Werker vor Ort haben
Verantwortung für das Teamergebnis und treffen Schlüsselentscheidungen be-
zogen auf Fehlererkennung und -behebung.
• Qualitätskontrolle an jeder Station: Um Fehler und Verschwendung (Muda) zu
vermeiden, sind – wie vorstehend angesprochen – die Mitarbeiter unmittelbar
für die Sicherstellung einer hohen Qualität an ihrer Arbeitsstation zuständig. Zu
diesem Zweck sind zum einen der Arbeitsplatz (z.B. nach der 5S-Methode) ef-
fizient und ergonomisch zu gestalten sowie die verwendeten Werkzeuge sauber
und sicher aufzubewahren. Zum anderen kommen unterstützende Methoden
zum Einsatz, wie z.B. Poka-Yoke, das wörtlich übersetzt „Irrtum ausgeschlos-
sen“ bedeutet. In diesem Zusammenhang wird ein sukzessives Kontrollsystem
für jeden Arbeitsgang im Prozess erarbeitet, das vor allem sicherstellt, dass zu-
fällige, unbeabsichtigte Fehler verhindert werden.
• 5W-Methode: Hierbei handelt es sich um eine einfache Vorgehensweise zur
vertieften Problemanalyse, die auf dem Ansatz basiert: Frage 5x hintereinander
zum gleichen Problem „Warum?“, um die Kernursachen eines Problems zu fin-
den. Die grafische Umsetzung der Methode erfolgt in Form des Ishikawa- bzw.
Fischgrätdiagramms, bei dem die definierte Wirkung, z.B. entstandene Fehler-
kosten als Folge oder die angestrebte Kundenzufriedenheit als Zielgröße, –
bildlich gesprochen – den Fischkopf sowie die vermuteten Einflussgrößen den
Fischrumpf bilden. Ziel ist es, über das Fischgrät-Diagramm sämtliche Haupt-
und Nebeneinflussgrößen im Team zu sammeln und zu strukturieren. Als
Strukturierungshilfe bietet sich die Unterteilung in „7 Ms“ an – Mensch, Ma-
schine, Material, Messung, Methode, Management und Mitwelt. Diese stehen
als Oberbegriffe für die relevanten Ursachen der aufgetreten Probleme/ Fehler
oder des erreichten Nutzens/ Benefits. Sie werden deshalb an den „Hauptgrä-
ten“ abgetragen.
Die Verbindung zwischen den zwei Säulen in Abbildung 7 wird durch die fol-
genden drei generellen QM-Methoden/ -Ansätze beschrieben, die bereits an ande-
rer Stelle in diesem Artikel ausführlich erläutert worden sind:
• Menschen und Teamwork für
• Kaizen/ KVP mithilfe von
• Value Stream Analyse/ Design.
Die Grundlage des TPS-Hauses in Abbildung 7 bilden (1.) die durchgängige
und nachhaltige Anwendung der 14 Toyota-Prinzipien (siehe hierzu Abb. 3), (2.)
die Etablierung eines Visual Managements in allen Bereichen, (3.) die Sicherstel-
lung stabiler und standardisierter Prozesse, z.B. mithilfe aussagekräftiger Doku-
mentationen und Verfahrensanweisungen, sowie (4.) das stetige Streben nach Pro-
Kombination von Lean Management und Six Sigma 39

duktionsnivellierung/ -glättung (Heijunka), zu dessen Erreichen die Produktions-


menge in kleine Tageslose aufgeteilt wird (One-Piece-Flow als Ziel).4
Neben dem ausgefeilten Produktionssystem TPS gilt das professionelle Liefe-
rantenmanagement von Toyota als Ursache für den Erfolg. In diesem Zusammen-
hang wirken sich vor allem die vielfältigen Erfahrungen von Toyota im Umgang
mit der Komplexität innerhalb japanischer Keiretsu sowie die spezifischen Maß-
nahmen der Lieferantenentwicklung und -bindung positiv aus.
Unter Keiretsu werden komplexe Netzwerke von Unternehmen verstanden, die
jedoch rechtlich und wirtschaftlich unabhängig sind. Horizontale Keiretsu beste-
hen aus Unternehmen unterschiedlicher Branchen. Eine Gruppierung von Unter-
nehmen unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen mit einem zentralen Abnehmer
wird als vertikales Keiretsu bezeichnet.
Toyota gilt mit seinen Lieferanten als vertikales Keiretsu und ist gleichzeitig in
das horizontale Keiretsu von Mitsui integriert. Indikatoren für die Komplexität
sind die Größe des Netzwerkes, die Dichte langfristiger Beziehungen und die Va-
rietät der Akteure. Diese zeigt sich in der unterschiedlichen Branchenzugehörig-
keit bzw. in dem hohen Spezialisierungsgrad der Unternehmen vertikaler Keiretsu.
Die Fähigkeit zur Bewältigung der Komplexität ist die Fähigkeit zur Erhöhung der
Stabilität. Des Weiteren wird ein Keiretsu durch die Prinzipien des Management-
konzepts Wa charakterisiert. Prägnante Merkmale sind Gruppenloyalität, Konsens,
Kooperation, sozialer Zusammenhalt und Vertrauen. Diese Merkmale werden u.a.
durch einen vielfältigen Wissensaustausch auf Basis des Jishuken-Konzeptes, wel-
ches in Abbildung 8 skizziert ist, ermöglicht (vgl. Dyer/ Hatch 2004).

Wie Toyota seine Zulieferer untereinander vernetzt hat


Ausgangszustand Reifezustand

Toyota leitet
leitet alle
alle nützlichen
nützlichen Erkenntnisse
Erkenntnisse
Quelle: an das
das gesamte
gesamte Zuliefernetzwerk
Zuliefernetzwerk weiter
weiter
Dyer/ Hatch 2004

Abb. 8: Jishuken-Konzept als professioneller Wissensaustausch

4 Die ausbalancierte Produktion ist der Gegensatz zum tayloristischen Paradigma, das die
Produktion möglichst großer Lose fordert. Der Nachteil dieses Produktionsansatzes be-
steht insbesondere darin, dass bei Variantenreichtum hohe Bestände und lange Durch-
laufzeiten entstehen (siehe hierzu auch den Beitrag von Bremer in Kapitel C).
40 Armin Töpfer

Eine weitere Ursache der Lieferantennetzwerkeffizienz von Toyota wird in den


spezifischen Maßnahmen der Lieferantenentwicklung und -bindung gesehen. Sako
(2004, S. 281 ff.) gibt einen Überblick über die angewandten Maßnahmen und die
Philosophie des Netzwerkes. Die Lieferantenbeziehungen innerhalb des Netzwer-
kes können durch die Attribute relational, obligatorisch bzw. pflichtbewusst und
vertrauensbasiert beschrieben werden. Die Zusammenarbeit ist langfristig angelegt
und basiert auf verständlichen Regeln. Kern der Lieferantenbeziehung sind ge-
meinsam erarbeitete Ziele. Toyota betrachtet die Zusammenarbeit mit den Liefe-
ranten als Investition in ein Netzwerk hoch qualifizierter Wertschöpfungspartner,
die eng an das TPS gebunden sind und hohe Qualitätsstandards bezüglich der Ex-
zellenz in der Innovation, Fertigung und Zuverlässigkeit erfüllen müssen.
Aus organisatorischer Sicht basiert der Informationsfluss und damit Wissens-
austausch von Toyota mit seinen Lieferanten auf drei Säulen (siehe Abb. 9), näm-
lich (1) Zulieferverbände, (2) Beratergruppen und (3) Lernteams.

Wie Toyota den Informationsfluss zu seinen Zulieferern organisiert

Zuliefererverbände Beratergruppen Lernteams

• Allgemeines Teilen • Intensive Unter- • Bereitstellung von


von Informationen, stützung vor Ort Informationen durch
inkl. der Toyota- durch Toyota- Vor-Ort-Analysen
Grundsätze und Best Experten innerhalb kleiner
Practice-Beispiele, Gruppen von sechs
die für das gesamte • Workshops und bis zwölf Zulieferern
Netzwerk nützlich Seminare
sein können

Quelle: Dyer/ Hatch 2004

Abb. 9: Die 3 Ansätze zur Realisierung des Wissensaustausches bei Toyota


Um dem typischen Verhalten von Zulieferern vorzubeugen, Informationen ge-
zielt zurückzuhalten, um dadurch einen (möglichen) Wettbewerbsvorteil zu erlan-
gen, der auch anderen Herstellern/ Original Equipment Manufacturern (OEMs) als
Kunden dieser Unternehmen zugutekommen kann, hat Toyota die folgenden zwei
Prinzipien etabliert. Damit werden den Zulieferern konkrete Anreize gegeben, ihr
Wissen zu teilen und Informationen weiter zu leiten:
a. Lernwettbewerb: Da Toyota seine Aufträge aufgrund relativer Leistungsverbes-
serungen in einem bestimmten Zeitraum vergibt, stehen die Zulieferer in direk-
ter Konkurrenz mit anderen. Für die Beurteilung der Performance ist weniger
das absolut erreichte Qualitätsniveau relevant, als vielmehr die im Vergleich
zur Vorperiode erzielte Qualitätssteigerung. Wer viel lernt und sich ständig
verbessert, hat also die besten Chancen, im Lieferantennetzwerk von Toyota zu
bestehen. Vor diesem Hintergrund haben die Zulieferer i.d.R. ein hohes Interes-
Kombination von Lean Management und Six Sigma 41

se, durch Lernen Produktionssteigerungen zu realisieren und dieses nach außen


hin zu kommunizieren.
b. Win-win-Situation: Der gegenseitige Austausch von wichtigen Informationen
und wertvollem Wissen ist langfristig nur dann gegeben, wenn alle Beteiligten
einen Nutzen aus dem Wissensnetzwerk ziehen. Um an das Wissen von ande-
ren zu gelangen, sind die Zulieferer „verpflichtet“, im Rahmen multilateraler
Verbindungen einen Beitrag zum Informationsaustausch zu leisten. Nur da-
durch lässt sich ein Anreiz-Beitrags-Gleichgewicht erzielen, welches das Inte-
resse der Zulieferer auf Dauer hoch hält, am Netzwerk teilzuhaben und damit
u.U. auch an inoffizielles Wissen zu kommen.
Der klar strukturierte Netzwerk-Ansatz mit eindeutig definierten Spielregeln (=
Rechte und Pflichten für alle Beteiligte) bietet eine Reihe von Vorteilen, nicht nur
für Toyota, sondern auch für seine Zulieferer. So belegen empirische Untersu-
chungen die positiven Wirkungen von Netzwerken, die den Austausch von Infor-
mationen mit Lieferantenunternehmen erleichtern, z.B. mit folgenden Zahlen, und
zwar bezogen auf das Lieferantenunternehmen (vgl. Dyer/ Hatch 2004, S. 76):
• 14 % höhere Leistung je Mitarbeiter
• 25 % niedrigere Lagerbestände
• 50 % weniger Produktionsmängel als bei Lieferungen an die Wettbewerber.
Im Vergleich zu anderen Automobilherstellern, und zwar speziell zu den 3 gro-
ßen amerikanischen OEMs, erreicht Toyota durch dieses aktive und konstruktive
Lieferantenmanagement sowie die konkrete Beratung und Unterstützung bei der
Übertragung der wesentlichen Gestaltungsprinzipien des TPS auf die Lieferanten,
dass ihm als Abnehmer die deutlich gestiegene Performance seiner Lieferanten in
höherem Maße zugute kommt als seinen direkten Wettbewerbern. Abbildung 10
verdeutlicht diese Unterschiede der Performancesteigerung bei den Lieferanten
der OEMs.

Verbesserung von wesentlichen Leistungsmerkmalen amerikanischer


Zulieferer im Zeitraum 1990-1996 durch Unterstützung der OEM
Leistungsmerkmale Toyota als Größter Big
der Lieferanten Kunde Three-Kunde*
Produktionsmängel -84 % -46 %
Lagerbestände -35 % -6 %

Produktivität +36 % +1 %
* GM, Ford, Chrysler

• Intensiver Wissensaustausch
Wissensaustausch hat
hat
spürbare Auswirkungen
• O-Ton: Mit
Mit Toyota
Toyota als Kunde
Kunde laufen
die
die Gespräche
Gespräche ganz
ganz anders/
anders/
anspruchsvoller ab
Quelle: Dyer/ Hatch 2004

Abb. 10: Performance-Unterschiede der Lieferanten von Toyota und den Big Three
42 Armin Töpfer

Der „Preis“ für diese wirtschaftlichen Auswirkungen ist in vielen Unternehmen


eine totale kulturelle und organisatorische Umstellung. Als wesentlicher Treiber
wird von vielen Lieferanten die geforderte hohe Kundenorientierung genannt. In
der Konsequenz sind die Anforderungen, die Toyota an seine Lieferanten stellt,
bei diesem intensiven Wissensaustausch und gemeinsamen Verbesserungsprozess
deutlich höher als die von den anderen Automobilherstellern. Zugleich hat sich für
Toyota aber die Investition in Wissen & Lernen durch höhere Gewinne mehrfach
bezahlt gemacht.
In Deutschland hat Porsche vor über 10 Jahren japanische Experten von Toyota
„eingekauft“ und als erster westlicher Automobilhersteller die Prinzipien des TPS
übernommen sowie seitdem konsequent in der Produktion und allen anderen Un-
ternehmensteilen umgesetzt. Heute ist Porsche hochprofitabel und bezogen auf das
erreichte Qualitätsniveau das weltbeste Automobilunternehmen (vgl. Bloed 2006).

2.3 Stärken-Schwächen-Profil des isolierten Einsatzes

Wie lassen sich die Stärken und Schwächen von Lean Management bewerten,
wenn es ausschließlich, also ohne Ergänzung durch Six Sigma, eingesetzt wird?
Strategie
Die Stärke von Lean Management liegt darin, dass sich das Konzept in allen Un-
ternehmensbereichen anwenden lässt und dadurch ein grundsätzliches Verbesse-
rungskonzept für das gesamte Unternehmen bildet. Mit einer ganzheitlichen Stra-
tegie soll unter Einbeziehung aller Wertschöpfungspartner die extern und intern
gerichtete Kundenorientierung durch die Analyse und Optimierung der Wertströ-
me im ganzen Unternehmen verbessert werden.
Vorgehen
Eine weitere Stärke liegt eindeutig darin, dass die Lean Management-Philosophie
gut kommunizierbar ist, sich dadurch allen Mitarbeitern vermitteln lässt und so zur
wesentlichen Leitlinie der täglichen Arbeit wird.
Methode
Durch die vielfältigen präzisen Regeln und Gestaltungsprinzipien ist Lean Mana-
gement leicht nachvollziehbar, methodisch relativ einfach umsetzbar – wenn auch
mit einem nicht zu unterschätzenden zeitlichen und kulturellen Anspruch – sowie
im Ergebnis eindeutig kontrollierbar. Die Umsetzung dieses Gedankengutes er-
folgt in kleinen Schritten, also als kontinuierlicher Verbesserungsprozess.
Kultur
Die konsequente Anwendung des Gedankengutes und aller Prinzipien von Lean
Management in der täglichen Arbeit durch alle Mitarbeiter in jedem Unterneh-
mensbereich macht einen breiten und tiefgehenden Veränderungsprozess der Un-
ternehmenskultur erforderlich. Dieser ist nur in einem mehrjährigen Prozess, un-
terstützt durch gezielte Schulung/ Trainingsmaßnahmen, die Bereitschaft des Ein-
zelnen zur Übernahme von Steuerungs- und Ergebnisverantwortung sowie eine
dezentrale Performancesteuerung durch jeden Mitarbeiter erreichbar. In vielen
Kombination von Lean Management und Six Sigma 43

Unternehmen ist genau dies eine erhebliche Schwäche, vor allem dann, wenn ohne
den erforderlichen zeitlichen Vorlauf und Vorbereitungsaufwand diese Methoden
und Werkzeuge bei den Mitarbeitern in einem „Hauruck-Verfahren“ eingeführt
und umgesetzt werden.
Wirkung
Die zentrale Stärke von Lean Management liegt darin, in jedem Prozess die Aus-
prägungen von Verschwendung erkennen zu können, um sie dann gezielt zu besei-
tigen und das Unternehmen so schlanker sowie reaktionsschneller zu machen.
Qualität wird im Zuge der Wertstromoptimierung und Prozesssteuerung in allen
wichtigen Phasen jeweils unmittelbar erzeugt und gesichert. Abweichungen von
den geforderten und formulierten Standards sollen hierdurch beseitigt respektive
vermieden werden.
Wenn aber gravierende Abweichungen auftreten, welche die Qualität nachhal-
tig beeinträchtigen, dann sieht dieses Führungs- und Steuerungskonzept schlanker
sowie wirkungsvoller Prozesse keinen gesonderten methodischen Ansatz vor, um
– projektbezogen – entstandene Fehlerkosten auf die Ursachen zurückverfolgen
und dann systematisch ausmerzen zu können. Hierin liegt eine weitere Schwäche
bzw. Hürde dieses Konzeptes; und genau diesen Ansatz leistet Six Sigma.

3 Six Sigma zur Minimierung von Variation

3.1 Philosophie, Konzeption und Inhalte des Managementkonzeptes

Auch wenn Six Sigma in vielen Unternehmen als „Breakthrough-Strategie“ be-


trachtet wird, stellt der überwiegende Teil des Konzeptes kein völlig neues In-
strumentarium dar. Bekannte und bewährte Qualitätsmanagement-Tools, wie z.B.
FMEA, Ishikawa-Diagramm, Statistische Versuchsplanung (DOE), QFD und
SPC, werden systematisch eingesetzt. Das Besondere ist die stringente Projektma-
nagement-Methode, die Daten und statistische Analysen konsequent nutzt, um die
operative Performance des Unternehmens zu messen und zu verbessern, und so
praktikable Null-Fehler-Qualität zu erreichen. Der Vorstand eines Unternehmens
hat es treffend formuliert: „Six Sigma ist ein pfiffiges und professionelles Pro-
jektmanagement zur Prozessoptimierung auf fundierter statistischer Basis und hat
unsere Wettbewerbsfähigkeit deutlich erhöht.“
Gleich zu Beginn soll die Frage beantwortet werden, was Six Sigma als Mana-
gementkonzept vor allem auszeichnet: Six Sigma bedeutet immer klar definierte
Projekte mit einem eindeutigen Bezug auf Prozesse, die von einem Prozesseigner
gesteuert werden. Die stringente Umsetzung konkretisiert sich in einer definierten
Projektlaufzeit von 90 bis maximal 180 Tagen und einer klaren Zielstruktur, bei
der die finanziellen Ergebnisse jeweils im Vordergrund stehen. So wird in großen
Unternehmen die durchschnittliche Ersparnis (Net Benefit) pro Projekt auf min-
destens 125.000 EUR beziffert, während sie in kleinen und mittleren Unternehmen
bei nicht unter 50.000 EUR liegen sollte. Falsch ist es jedoch, Six Sigma als ein
44 Armin Töpfer

typisches „Cost Cutting-Verfahren“ anzusehen, genauso wie es falsch ist, Six Sig-
ma als einen rein statistischen Mess- und Verbesserungsansatz zu betrachten.
Für Six Sigma lassen sich die drei Umsetzungstreiber „Kunde – Prozess – Qua-
lität“ identifizieren (siehe Abb. 11). Six Sigma ist deshalb ein projektorientiertes

Der Kunde im (Lean) Six Sigma-Konzept:


1 Die „Stimme des Kunden“ (VOC – Voice of the Customer) bildet die Grundlage
für jede Six Sigma-Prozessanalyse und Verbesserungsmaßnahme. Sie wird in
einer zweiseitigen Analyse an der „Stimme des Unternehmens“ (VOB – Voice
of the Business) gespiegelt
2 Die „kritischen Qualitätsmerkmale“ (CTQ – Critical to Quality Characteristics)
definieren die geforderten Prozessergebnisse aus Kundensicht und stellen da-
mit die Erfolgsfaktoren des Unternehmens dar
3 Die höhere Qualität von (Vor-)Produkten und Dienstleistungen durch (Lean)
Six Sigma macht die industriellen Verwender als Kunden auf ihren Märkten
erfolgreicher und schafft die Grundlage für ein mehrstufiges „Value
Marketing“

Der Prozess im (Lean) Six Sigma-Konzept:


1 In (Lean) Six Sigma-Projekten wird immer ein zweiseitiger Fokus auf die „Pro-
zesslandkarte“ gelegt: Zum einen wird – in einer extern gerichteten Analyse –
untersucht, wie zentrale Kundenanforderungen als kritische Erfolgsfaktoren
(CTQs) im Ist-Prozess erfüllt werden bzw. zukünftig besser erfüllt werden
müssen (Outside-in-Analyse). In einer intern gerichteten Analyse stellt sich
zum anderen die Frage, wie die entscheidenden Werttreiber aussehen und die
hierfür erforderlichen Kernkompetenzen ausgeprägt sein müssen (Inside-out-
Analyse)
2 Die Qualitäts-Vision (aus Kundensicht) ist dann nicht nur im Geschäftsmodell
allgemein formuliert, sondern in allen wichtigen Wertschöpfungsprozessen in
Form von internen Kunden-Lieferanten-Beziehungen konkret umgesetzt. Dies
erfolgt in der Weise, dass in jedem Six Sigma-Projekt SIPOC-Analysen
durchgeführt werden, also wesentliche Prozessschritte bezogen auf die
Abfolge Lieferant (Supplier), Input, Prozess, Output und Kunde (Customer)
durchleuchtet werden. Hierbei werden Output-, Prozess- und Inputmess-
größen festgelegt, die den geforderten Outcome erreichen
3 Was ein Fehler ist, wird in Abhängigkeit von den zentralen Kundenan-
forderungen (CTQs) und dann auch auf der Basis der Unternehmensstrategie
definiert. Beide werden in interne Prozess- und Leistungsstandards umge-
setzt, um sich von den maßgeblichen Wettbewerbern zu differenzieren

Die Qualität im (Lean) Six Sigma-Konzept:


1 Das erklärte Ziel von Six Sigma ist – wie ausgeführt – praktizierte Null-Fehler-
Qualität. Aus statistischer Sicht entspricht dies einer Fehlerquote von 3,4 Feh-
ler pro 1 Mio. Fehlermöglichkeiten. Die Grundlage für die Berechnung bildet
die Standardnormalverteilung. Dabei liegen 99,99966% der Gut-Teile (= Aus-
beute) in einem (Toleranz-)Bereich von ± 6σ bei einer Mittelwert-Verschiebung
von ± 1,5σ
2 Der Toleranzbereich für Qualität wird durch die – entsprechend den Kunden-
anforderungen (CTQs) – vom Kunden akzeptierten Abweichungen definiert.
Verkleinert wird der Toleranzbereich nur dann, wenn die internen Prozess-/
Leistungsstandards – entsprechend der Unternehmensstrategie – „härter“ for-
muliert werden
3 Die Minimierung der Prozessstreuung innerhalb des definierten Toleranzbe-
reichs und die Zentrierung der Prozesslage, also das Sicherstellen der Pro-
zessfähigkeit zur abweichungsfreien Einhaltung der CTQs, stehen im Zentrum
aller Six Sigma-Verbesserungsaktivitäten

Abb. 11: Umsetzungstreiber von (Lean) Six Sigma


Kombination von Lean Management und Six Sigma 45

Managementkonzept, mit dem die wesentlichen Kundenanforderungen über


schlanke und effiziente Prozesse für das Unternehmen wirtschaftlich erfüllt wer-
den. Die erreichbare Null-Fehler-Qualität führt nicht nur zu Kostensenkungen,
sondern über gestiegene Kundenzufriedenheit auch zu Umsatzsteigerungen. Für
die Integration von Six Sigma und Lean Management gelten die inhaltlichen Aus-
sagen und Schwerpunkte in Abbildung 11 entsprechend.
Die Philosophie besteht darin, durch eine zielgerichtete Übersetzung der „Stim-
me des Kunden“ in die „Sprache des Prozesses“ Produkte und Dienstleistungen
mit hoher Qualität zu erzeugen und so Wirtschaftlichkeit, also Effizienz, mit Kun-
denzufriedenheit, also Effektivität, zu verbinden. Die nächste Frage, die sich bei
Überlegungen zur Einführung des Six Sigma-Konzeptes stellt, ist i.d.R. die: Lässt
sich Six Sigma mit vorhandenen Qualitätsmanagement-Initiativen und anderen
Management-Konzepten effizient verknüpfen, um so Synergieeffekte zu errei-
chen, oder ist Six Sigma nur „alter Wein in neuen Schläuchen“ und durch andere
Konzepte schon längst realisiert? Die Antwort ist relativ eindeutig. Six Sigma ist
ein zusätzlicher wichtiger Baustein der angestrebten Business Excellence Perfor-
mance eines Unternehmens, der den „Motor“ für die effiziente Durchführung von
konkreten Verbesserungsmaßnahmen in einzelnen Projekten liefert.
Auf die bei Six Sigma-Projekten zentrale Frage, wie ein derartiges Vorhaben in
einem standardisierten Verbesserungsprozess durchgeführt wird, gehen wir hier
nur kursorisch ein, um das Verständnis für den inhaltlichen Ablauf und die damit
verbundenen Anforderungen sicherzustellen. Eine ausführliche Darstellung des
Phasenablaufs und Methodeneinsatzes von Lean Six Sigma-Projektmanagement-
zyklen erfolgt im Beitrag von Günther/ Garzinsky in Kapitel B.
Alle Six Sigma-Projekte folgen einem standardisierten Ablauf, der auf dem
klassischen Deming-Zyklus PDCA (Plan, Do, Check, Act) basiert. Der hieraus
abgeleitete DMAIC-Zyklus für die Durchführung von Six Sigma-Projekten hat die
in Abbildung 12 aufgeführten Phasen und Inhalte (vgl. Töpfer 2006, S. 313 ff.).

Hauptanforderungen des
Define Was ist das Problem? Kunden als CTQ definieren

Relevante Wirkungs- und


Wie lassen sich die Aus-
Measure wirkungen messen?
Ergebnisgrößen in der Praxis
messen

Wichtigste Ursachen mit Hilfe


Was sind die Ursachen von Statistiken analysieren
Analyse für das Problem? und priorisieren

Verbesserung/ optimale
Improve Wie lässt sich das Lösung erarbeiten und
Problem beseitigen? umsetzen

Hauptursachen für das


Control Wie wird die Verbesserung Auftreten des Problems
in der Praxis verankert? dauerhaft beseitigen
Basis: Harry/Schroeder 2000

Abb. 12: DMAIC als Six Sigma-Prozess im Projekt


46 Armin Töpfer

Die Denkweise in Six Sigma-Projekten korrespondiert mit den fünf Fragestel-


lungen in Abbildung 12 und zielt darauf ab, ein gravierendes Problem zu einem
Projekt zu machen und in der Projekt Charter möglichst exakt auszuformulieren.
Auf der Basis von Outputmessgrößen, die in ihrer Ausprägung sehr nah an den ge-
forderten CTQs sein sollen, wird in der Measure-Phase aus dem realen Problem
ein statistisches Problem. Auf der Grundlage ermittelter Daten für die Output-,
Prozess- und Inputmessgrößen werden im Rahmen der Analysephase die Hauptur-
sachen des Problems statistisch herausgefiltert und empirisch überprüft und mög-
lichst eindeutig herausgearbeitet.
Jedes Six Sigma-Projekt folgt damit der Philosophie und Formel: y = f(x). Sie
besagt, dass zum einen ein Problem y die Folge aus mehreren negativen Ursachen
(x) ist. Genauso lässt sich zum anderen die anschließend erarbeitete Problemlö-
sung als positive Wirkung auf die Realisierung eines Sets von Verbesserungsmaß-
nahmen zurückführen. Diese Beziehungen gilt es in Six Sigma-Projekten mög-
lichst aussagefähig zu erkennen und zu gestalten.
In diesem Zusammenhang sind also – sowohl in Six Sigma- als auch in Design
for Six Sigma (DFSS)-Projekten – die Abhängigkeiten in Form von Ursachen-
Wirkungs-Beziehungen aufzudecken. Die Überprüfung gültiger Zusammenhänge
zwischen dem Output und dem Input erfolgt durch statistische Tests. Eine statisti-
sche Lösung wird in der Improve-/ Design-Phase erarbeitet und getestet, z.B.
durch prozessorientierte Output-Simulationen. Die gefundene Lösung wird in der
Control-/ Verify-Phase in die reale Anwendung überführt sowie im Anschluss
qualitätsgesichert, kontinuierlich überwacht und verbessert.
Zu Beginn der Measure-Phase werden auf der Grundlage der ermittelten CTQs
die elementaren Output-, Prozess- und Inputmessgrößen abgeleitet, um die Refe-
renzleistung des aktuellen Prozesses, also die Werte der Ausgangssituation (Null-
Messung), so genau wie möglich zu quantifizieren und „zu verstehen“. Dies er-
folgt unter der Voraussetzung, dass ein CTQ zwar i.d.R. direkt über die Output-
messgrößen messbar ist, aber seinerseits wiederum von Prozess- und Inputvariab-
len abhängt. Im Rahmen von Six Sigma-Projekten besteht das vorrangige Ziel dar-
in, diese Ursachen-Wirkungs-Beziehungen aufzudecken und optimal einzustellen.
Die Ableitung von Messgrößen zur Bestimmung der Prozesseffektivität und -effi-
zienz ist damit die zweite zahlenorientierte Systematik von Six Sigma.
Abbildung 13 veranschaulicht zum besseren Verständnis der Prozessstruktur
das grundsätzliche Vorgehen zur Messgrößen-Bestimmung in Six Sigma-Projek-
ten. Die Nähe zur Grundstruktur bei der vorstehend behandelten Wertstromanaly-
se wird hieraus nachvollziehbar. Es wird deutlich, dass die Prozessanalyse – zum
Herausfinden von wichtigen Ursachen für Qualitätsprobleme und Fehlerkosten –
und der Prozessablauf – mit dem Ziel zur systematischen Gestaltung und Verbes-
serung zu Null-Fehler-Qualität – immer entgegengesetzt gerichtet sind und auch
entsprechend ablaufen. Im übertragenen Sinne „messen wir also in den Prozess
hinein“, um, vom Output kommend, über geeignete Messgrößen und aussagefähi-
ge Daten ein Verständnis über das Ausmaß der Wirkungen (Probleme und Fehler)
sowie die Intensität der möglichen Ursachen (systematische und zufällige) zu be-
kommen.
Kombination von Lean Management und Six Sigma 47

Prozessablauf

Input Prozess Output


Anfor- Zufrie-
derungen denheit
Input-Messgrößen Prozess-Messgrößen Output-Messgrößen

! Lieferant Unternehmen
CTQs CTQs
Kunde Kunde

Prozessanalyse/ Ursachen für Qualitätsprobleme/ Fehlerkosten

Gestaltung/ Verbesserungen zu Null-Fehler-Qualität

Abb. 13: Messgrößen-Bestimmung bei Six Sigma-Projekten

Auf der Basis der gemessenen Ist-Daten und des ermittelten Sigma-Niveaus er-
folgt in der Analyse-Phase eine detaillierte Auswertung der aktuellen Performan-
ce. In diesem Zusammenhang gilt es insbesondere, die Hauptursachen von Fehlern
zu bestimmen und darauf basierende Verbesserungsmöglichkeiten abzuleiten.
Konkret werden folgende drei Schritte durchlaufen:
1. Entwickeln einer detaillierten Prozessdarstellung und Analyse des Ist-Prozesses
unter Verwendung von Zeit-, Wertschöpfungs- und Flussanalysen
2. Durchführen einer Ursachen-Wirkungs-Analyse, um potenzielle Ursachen für
Fehler aufzudecken und ggf. weitere Messpunkte zu definieren
3. Aufdecken von Zusammenhängen zwischen den abhängigen Variablen und den
unabhängigen Einfluss- und Ursachenfaktoren durch eine Datenanalyse.
Im Detail geht es jetzt also darum, den Prozess aufzuschlüsseln. Dies geschieht
in der Weise, dass der Ablauf analysiert wird, wie die Outputmessgrößen durch
die Gestaltung und Steuerung der Prozess- und Inputmessgrößen zustande kom-
men. Die möglichen Fehler bei den Ergebnissen werden dadurch auf die beiden
Ursachenebenen Prozess und Input zurückverfolgt.
Die Analyse-Phase ist damit die „Kernphase“ des DMAIC-Zyklus, denn ohne
tiefgehende und aussagefähige Ursachenanalyse für Fehler sind im Allgemeinen
keine Verbesserungsmaßnahmen mit großer Hebelwirkung möglich. Als Fehler
wird, wie bereits angesprochen, definiert, wenn erwartete Ergebnisse eines Pro-
zesses nicht erreicht werden, und zwar in Bezug auf die zuvor festgelegten Defini-
tionen und Standards im Rahmen der Unternehmensstrategie und/ oder die ermit-
telten wesentlichen Kundenanforderungen, also die CTQs.
48 Armin Töpfer

Der Quantifizierung von Verbesserungsmöglichkeiten folgen direkt – wie oben


beschrieben – die beiden Phasen Improve und Control. Durch die gezielte Behe-
bung von Fehlerursachen und die Einleitung von prozessbezogenen Verbesse-
rungsmaßnahmen soll in der Unternehmenspraxis das Sigma-Niveau durch das
Six Sigma-Projekt beträchtlich gesteigert und durch die Vermeidung von Fehler-
kosten die Ertragssituation nachhaltig verbessert werden.
Typischerweise liegen die erwirtschafteten Netto-Einsparungen durch ein der-
artiges Projekt – wie bereits angesprochen – in der Praxis bei ca. 125.000 EUR.
Gemessen wird dieser Net Benefit nur auf der Basis liquiditätswirksamer Kosten-
einsparungen und/ oder Umsatzsteigerungen unter Abzug der durch das Projekt
und seine Akteure verursachten Kosten. Eine Steigerung der Kundenzufriedenheit
ist eine wünschenswerte qualitative Wirkung eines Six Sigma-Projektes. Sie wird
aber im Net Benefit nur erfasst, wenn der zufriedene Kunde dann wieder kauft
oder auch andere Produkte des Unternehmens kauft (Cross-Buying). Der Mess-
zeitraum erstreckt sich dabei lediglich auf die ersten 12 Monate nach Projektab-
schluss. In dieser Periode muss ein Projekt ein entsprechend hohes Netto-Ergebnis
einbringen, unabhängig davon, dass normalerweise Einsparungen auch nach dem
1. Jahr weiterhin eintreten.

3.2 Unternehmensbeispiel: General Electric

Die Six Sigma-Initiative bei General Electric (GE) geht auf die „Managerlegende“
und ehemaligen Chief Executive Officer (CEO) des Unternehmens, Jack Welch,
zurück. Er verfolgte seit Anfang der 1990er Jahre die visionäre Strategie, GE bis
zum Jahr 2000 zum weltweit erfolgreichsten Unternehmen zu machen. Dies ist
ihm – nicht zuletzt auch wegen Six Sigma – nachweislich gelungen.
Das angesehene US-Magazin Fortune kürte den von Jack Welch seit 1983 ge-
führten Konzern sowohl 1998 als auch 1999 zur „in den USA am meisten bewun-
derten Company“. In einer globalen Umfrage unter Geschäftsleuten durch die
Londoner Financial Times erreichte GE 1998 Platz eins als das „weltweit am
meisten respektierte Unternehmen“. Diese Auszeichnungen sind dem mit einem
kumulativen Cash Flow von über 92 Mrd. US $ (Fiskaljahr 2007) und einer Um-
satzrendite von über 12% heute glänzend dastehenden Unternehmen nicht in den
Schoß gefallen. Sie waren und sind das Ergebnis der fordernden Führung des
Mannes an der Spitze von GE und der harten Arbeit seiner Mitarbeiter. Das Un-
ternehmen wird seit September 2001 von dem in der Ära Welch ausgebildeten und
lange Zeit aktiven Six Sigma Black Belt Jeffrey R. Immelt geführt. Seine erste
Botschaft an die Führungskräfte und Mitarbeiter von GE bezog sich unter ande-
rem darauf, dass er die von Jack Welch begonnene unternehmensweite Six Sigma-
Initiative nicht nur fortsetzen, sondern verstärken wolle.
Bei der Einführung von Six Sigma bei GE im Jahr 1995 formulierte Jack Welch
das Ziel, durch die Qualitätsoffensive bereits in kurzer Zeit „10.000-mal besser als
die Konkurrenz“ zu sein. In seinem Bemühen, den „Supertanker“ GE immer „un-
ter Volldampf“ zu halten, hatte der ehemalige CEO bereits früh erkannt, welches
gewaltige Kosteneinspar- und Produktivitätssteigerungspotenzial in einer Quali-
Kombination von Lean Management und Six Sigma 49

tätsoffensive wie Six Sigma steckt. Wie in Abbildung 14 skizziert, bestand das
Ziel darin, Six Sigma nach und nach in allen Bereichen und Wertschöpfungsstufen
des Unternehmens zu implementieren.
Nur wenn alle Produkte des Portfolios dem neuen „Reinheitsgebot“ folgend, in
perfekter Qualität die Werkshallen und Büros von GE verlassen würden, ließen
sich gewinnmindernde Nachbearbeitungen und teure Gewährleistungsansprüche
vermeiden. Eine Maschine, die nach der Anlieferung beim Kunden fehlerhaft ar-
beitet, reduziert den kalkulierten Erlös dieses Auftrags. Gewinn ist demnach eine
Funktion der Qualität. Die einfache Logik lautet also: Je weniger Fehler entstehen,
desto höher ist der Gewinn. Da die aktuelle Ertragslage des Unternehmens und die
Erwartungen der Aktionäre an die zukünftige Unternehmensentwicklung Deter-
minanten für den Aktienkurs sind, ist Six Sigma als „das größte und am Ende pro-
fitabelste Projekt, das GE in seiner Geschichte je angeschoben hat“ im Grunde
nichts anderes als eine Verpflichtung gegenüber den Aktionären. Neben „Speed“
zählte „Shareholder Value“ zu Welch’s Lieblingswörtern.

F & E/
Produktion Wert-
schöpfungs-
stufe

• Erste
Erste Six Sigma-Projekte
Sigma-Projekte meistens in
in der
der Produktion
Produktion
Qualität
Qualität einfacher
einfacher zu messen
messen und
und zu
zu steuern
steuern
• Mit
Mit der
der Zeit
Zeit alle
alle Unternehmensbereiche einbezogen
einbezogen

Abb. 14: Umsetzungsbereiche im Unternehmen

Zum Startzeitpunkt der Qualitätsoffensive arbeitete der Mischkonzern im


Durchschnitt mit 35.000 Defekten je einer Million Fehlermöglichkeiten (DPMO –
Defects per Million Opportunities). Das entsprach in etwa einem Qualitätsniveau
von 3,3σ und lag damit (deutlich) unter dem durchschnittlichen Industrieniveau
von 3,8σ. Mit anderen Worten: Von 1.000 ausgelieferten Produkten oder 1.000
abgeschlossenen Dienstleistungsgeschäften – vom Kühlschrank bis zur Glühlam-
pe, vom Immobiliengeschäft bis zum Mietwagenauftrag – waren im Durchschnitt
35 Geschäftsvorgänge mit Fehlern behaftet. Sie entsprachen also nicht der ange-
strebten GE-Perfektion. Jack Welch gab seinen Mitarbeitern fünf Jahre Zeit, um
Fehler in der Weise auszuschließen, dass sie nur noch im Millionen-Bereich zu
50 Armin Töpfer

messen sind. Konkret bedeutete dies: Bis zur Jahrtausendwende war der durch-
schnittliche Qualitätsstandard konzernweit auf einen Fehlerquotienten von weni-
ger als 3,4 pro 1 Million Fehlermöglichkeiten zu reduzieren, was einem Perfekti-
onsgrad von 99,99966% bzw. 6σ entspricht. Dabei sollte das Qualitätsniveau in
Quantensprüngen neue Ebenen erreichen, d.h. Sprünge um jeweils 1σ wurden an-
gestrebt. Darüber hinaus ließ Jack Welch das Prinzip praktizierter Null-Fehler-
Qualität nicht nur für den Fertigungsbereich gelten, sondern maß daran jedes ein-
zelne Geschäft, das der globale Konzern mit irgendeinem Kunden irgendwo in der
Welt abschloss.
Führungskräften, die sich der Six Sigma-Offensive nicht mit dem notwendigen
Elan widmeten, kürzte Jack Welch die Jahresprämie. Wer im Unternehmen GE er-
folgreich Karriere machen wollte, musste sich mit der Durchführung von erfolg-
reichen Six Sigma-Projekten hervortun. Zügig wurden 70.000 der weltweit agie-
renden 300.000 Beschäftigten in Lehrgängen und Qualitätsseminaren geschult.
Auch dabei ging GE seinen eigenen Weg. Viele bereits bekannte und weit verbrei-
tete Konzepte wie etwa das „Total Quality Management“ (TQM) oder das „Kai-
zen-Produktionssystem“ scheiterten vor allem daran, dass man die Mitarbeiter le-
diglich zu Verbesserungsvorschlägen ermunterte, die im Erfolgsfall mit Prämien-
zahlungen belohnt wurden. Jack Welch setzte jedoch nicht auf solch ein Anreiz-
System durch Prämien. Vielmehr schickte er seine 8.000 Six Sigma-Spezialisten,
die er zu Black Belts ausbilden ließ, in die „GE-Welt“ hinaus. Sie übernahmen
folgende Aufgabe: Geeignete Six Sigma-Projekte in den einzelnen Bereichen aus-
wählen, die Qualitätsoffensive damit in Gang setzen und die ersten Projekte mög-
lichst schnell zum Abschluss bringen. Das war und ist für diese Mitarbeiter ein
Vollzeit-Job, bei dem vor allem Geschwindigkeit (Speed) bei der Umsetzung
zählt. Das Ziel besteht darin, Six Sigma-Projekte – mit einem nachweisbaren Net-
tonutzen (Net Benefit) von mehr als 100.000 US $ – innerhalb von 90 Tagen (= 3
Monate) abzuschließen.
Praktische Erfolge mit Six Sigma bei General Electric
a. Gesamter Konzern
Nachdem GE Mitte der 1990er Jahre mit Six Sigma-Aktivitäten begonnen hatte,
wurden die Zahlen der erreichten Net Benefit-Summen pro Jahr veröffentlicht.
Dies verdeutlichte der Unternehmenswelt zum ersten Mal in „harten Zahlen“,
welche Ergebniswirkungen mit Six Sigma-Projekten erreichbar waren. Nicht zu-
letzt hierdurch kam es in führenden Unternehmen von Branchen mit intensivem
Wettbewerb zu der an früherer Stelle beschriebenen „Six Sigma-Bewegung“. Ins-
gesamt waren unter Jack Welch über 100.000 Six Sigma-Projekte in allen unter-
schiedlichen Sparten des Unternehmens durchgeführt worden. 1996 war aufgrund
der umfangreichen Trainingsmaßnahmen der Aufwand größer als die erzielten
Einsparungen. Diese stiegen in den Folgejahren überproportional an, so dass für
das Jahr 1999 ein Net Benefit von ca. 2,0 Mrd. US $ und für das Jahr 2000 ein Net
Benefit von 2,9 Mrd. US $ erreicht wurde. Wie in Publikationen nachvollziehbar
ist, stieg ab 1997 das Verhältnis von Einsparungen zu Kosten kontinuierlich um
mindestens einen Faktor, also zunächst eine Verdoppelung (1997/ 1998), im Jahre
Kombination von Lean Management und Six Sigma 51

1999 ist die Relation bereits 5 zu 1, im Jahr 2000 lag sie gar bei 6 zu 1, was einer
durchschnittlichen Kapitalverzinsung von 600% für die Investition in Six Sigma-
Aktivitäten entspricht.
Wie in Abbildung 15 nachvollziehbar ist, beläuft sich der Net Benefit durch Six
Sigma-Projekte bei GE im Zeitraum von 1995 bis 2000 auf über 6 Mrd. US $. Ei-
ne solche Bilanz konnten – bezogen auf die Unternehmensgröße – bisher nur we-
nige andere Unternehmen vorweisen. Das Technologieunternehmen Motorola
sparte z.B. mit Six Sigma seit 1987 insgesamt ca. 16 Mrd. US $ ein, während das
ebenfalls technologieorientierte Unternehmen Allied Signal innerhalb von 5 Jah-
ren ca. 1,5 Mrd. US $ Net Benefit generieren konnte (vgl. Töpfer 2007b, S. 95).

• Verbesserung der internen In Mio. US $


3.500
Prozesse interessiert den
Kunden nicht 3.500

• Jedes neue Produkt ist 3.000


2.500
„DFSS“ – Designed For
2.500
Six Sigma
2.000
• In wenigen Jahren wird die
Kultur und das Manage- 1.500 1.200
ment unumkehrbar von
1.000 700
Six Sigma geprägt sein
600
500 170 380 450 500
• Six Sigma wird dabei auf
200
den Erfolg des Kunden
0
fokussiert sein
1996 1997 1998 1999 2000

Kosten Einsparungen

„Abweichung ist der Teufel in allen Kundenkontakten“


Quelle: General Electric 1999/2001

Abb. 15: Netto-Einsparungen durch Six Sigma bei General Electric

Unter dem aktuellen CEO Jeffrey R. Immelt arbeitet das Unternehmen GE in-
tensiv daran, das Six Sigma-Konzept in der gesamten mehrstufigen Wertschöp-
fungskette, also auch bei den Kunden- und Lieferanten-Unternehmen, zu etablie-
ren. Gemäß dem Motto „The more successful our customers are, the more suc-
cessful we will be!“ besteht das Ziel bei GE darin, die Produktivität und Wirt-
schaftlichkeit des gesamten Leistungserstellungsprozesses zu optimieren. Trotz
der vielfältigen Bedenken hinsichtlich eines möglichen Know-how-Abflusses in
den Kunden-Unternehmen haben im Jahr 2003 bereits 40% aller GE-Partner Inte-
resse an der Einführung eines Six Sigma-Projektmanagements bekundet. Neben
der Bereitstellung von Black Belts für Projekttätigkeiten bietet GE seinen Kunden
intensive Six Sigma-Trainingsmaßnahmen, umfangreiche Marktforschungsstudien
über gemeinsame Märkte sowie teilweisen Zugang zu wichtigen Forschungsakti-
vitäten und -ergebnissen an. Zudem geht das Unternehmen selbst heute immer
stärker den „Lean Six Sigma-Weg“, indem es das bestehende Six Sigma-Projekt-
management um den Lean-Ansatz, inklusive der Lean-Methoden, erweitert.
52 Armin Töpfer

b. GE-Capital-Solution
Die deutsche Niederlassung einer GE-Capital-Solution-Tochter (ehem. GE-Mobi-
lienleasing) musste seit längerem eine ungewöhnlich hohe Fluktuation der Mitar-
beiter verkraften. Die Kündigungsquote erreichte bis zu 43% im Jahr. Die Mitar-
beiter waren vor allem mit ihren Gehaltsabrechnungen unzufrieden. Für die Fir-
menzentrale war das ein untragbarer Zustand, der sich zudem negativ auf die Er-
tragslage auswirkte. Die GE Zentrale handelte und schickte einige ihrer erfahrenen
Black Belts in den Bereich, um die Ursachen zu erforschen und Lösungen zu fin-
den. In einer ersten Runde wurden nach der Projektdefinition (Define-Phase) die
Fehlerquellen eruiert und quantifiziert (Measure-Phase). Die Intensiv-Interviews
mit den Mitarbeitern brachten folgende Ergebnisse (vgl. Garthe 2002, S. 343 ff.):
1. Es herrschten unklare Verantwortungsbereiche zwischen den Mitarbeitern des
Leasingunternehmens und der externen Lohnbuchhaltung. Das führte immer
wieder zu Verzögerungen in der Verwaltung, die bei den Mitarbeitern Irritatio-
nen über entsprechende Zuständigkeiten hervorriefen. Zudem fanden die Ex-
perten heraus, dass die Beschäftigten oft verspätet, nicht richtig und gelegent-
lich sogar überhaupt nicht entlohnt wurden.
2. Für die interne Verwaltung der Beschäftigtendaten war die externe Lohnbuch-
haltung zuständig. Ihr war es jedoch nicht möglich, die erhaltenen Daten auf
Richtigkeit zu prüfen, so dass die Personalverwaltung eine ständige Fehlerquel-
le war.
3. Neue Mitarbeiter wurden über die einzelnen Posten ihrer Lohnabrechnungen
nicht informiert, was zu verspäteten Reklamationen führte.
4. Die Gehaltsabrechnungen selbst waren unklar, sie gaben keine Erläuterungen
oder Verständnishilfen.
Im Verlauf dieser Untersuchung wurden insgesamt 9 wesentliche Ursachen ge-
funden, die zu fehlerhaften Gehaltsabrechnungen führen können. In der anschlie-
ßenden Phase des DMAIC-Zyklus wurden die Fehlerquellen genauer analysiert
(Analyse-Phase) mit dem Ziel, verbesserte Prozesse und klarere Zuständigkeiten
zu schaffen (Improve-Phase). Schon wenige Schritte führten nach der Ursachen-
forschung dazu, die Motivation der Beschäftigten zu steigern und die Fluktuation
unter den Mitarbeitern deutlich zu verringern. Gehaltsabrechnungen wurden – so
weit es möglich war – vereinfacht und bei der Einstellung den neuen Mitarbeitern
erläutert. Die Lohnbuchhaltung wurde beauftragt, die Software für die Gehaltsab-
rechnungen zu überprüfen und ggf. mit Ergänzungen zu versehen.
Im Ergebnis zeigte sich zunächst einmal eine größere Zufriedenheit der Mitar-
beiter. Nachdem 1997 mehr als 40% der Beschäftigten gekündigt hatten, konnte
diese Fluktuationsrate nach dem Six Sigma-Prozess auf unter 10% gesenkt wer-
den. Dadurch entfielen Werbungs- und Trainingskosten für neue Mitarbeiter, die
das Unternehmen zuvor pro Jahr rund 125.000 EUR gekostet hatten. Auch die Zu-
friedenheit der Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Gehaltsabrechnungen stieg beträcht-
lich an. Waren zuvor 61 Beschwerden von Beschäftigten im Jahr registriert wor-
den, fiel diese „Klage-Rate“ im Zuge der Six Sigma-Aktivitäten auf 10 Beschwer-
den im Jahr. Das sparte zusätzlich Verwaltungskosten, so dass für das Unterneh-
Kombination von Lean Management und Six Sigma 53

men unter dem Strich nach Abschluss des Projektes ein „Produktivitätsgewinn“ in
Höhe von 140.000 EUR pro Jahr herauskam.
Für die zuständigen Black Belts waren diese Ergebnisse aber noch nicht hoch
genug. Sie betrachteten die Resultate lediglich als Zwischenergebnis ihrer Quali-
tätsoffensive. Denn das Ziel, 6σ-Qualität, war bei weitem noch nicht erreicht, wie
man beim Blick auf die „nackten“ Zahlen/ Fakten erkennt: Bei monatlichen Ge-
haltsabrechnungen gibt es 9 mögliche Fehlerquellen (O = Opportunities bzw. Feh-
lermöglichkeiten). Für 107 Beschäftigte werden 1.284 Gehaltsabrechnungen im
Jahr erstellt (N = Number bzw. Anzahl). 61 Klagen (D = Defects bzw. Fehler)
wurden in der Vergangenheit registriert. Wie Abbildung 16 zeigt, konnte das Qua-
litätsniveau von 4,1σ vor Beginn des Verbesserungsprozesses nach der ersten Ver-
besserungsrunde auf 4,65σ gesteigert werden.

Bei Produkten oder Dienstleistungen:


1 – Fehlerquote = 1 – D = %Qualität ≥ Sigma-Wert (laut Tabelle)
NxO

Beispiel:
Vor dem Six Sigma Projekt:
• Es gibt 9 mögliche Fehlerquellen (O) bei monatlichen Gehaltsabrechnungen
• Für 107 Beschäftigte des Außendienstes werden jährlich 1.284 Gehalts-
abrechnungen (N) erstellt
! 61 Klagen (D) wurden registriert
61 61
1− = 1− = 99,4721% ≥ 4,1σ
1.284 x 9 11.556
Nach der ersten Verbesserungsrunde:
! Noch 10 Klagen wurden registriert Legende:
D = Defects/ Fehler
10
1− = 99,9135% ≥ 4,65 σ N = Number/ Anzahl
11.556 O = Opportunities/ Möglichkeiten
Basis: Garthe 2002, S. 349 f.

Abb. 16: Berechnung des Sigma-Wertes am Beispiel

Die Reduktion der Klagen um 84%, d.h. von 61 auf 10, innerhalb weniger Mo-
nate würde in jedem „normalen Unternehmen“ als stolzes Ergebnis gefeiert. Doch
bei GE wollte man mehr: Um den Sigma-Wert weiter zu verbessern, wurden die
Intensiv-Interviews mit den Beschäftigten innerhalb von 5 Monaten wiederholt
(Control-Phase). Dabei sollte eine vergleichbare Gruppe von Personen für die Be-
fragung ausgewählt werden, an die exakt die gleichen Fragen gestellt wurden, um
bis Juni 1999 eine 100%-ige Zufriedenheit bei den Beschäftigten zu erreichen.
c. GE Money Bank
Die GE Money Bank als ein Teil der GE Consumer Finance, die mit weltweit 106
Mrd. US $ Bilanzsumme und 2,5 Mrd. US $ Gewinn im Jahr 2004 Bestandteil der
Nachfolgeorganisation von GE Capital ist, hat die Six Sigma-Philosophie konse-
54 Armin Töpfer

quent auf ihre Produkte umgesetzt. Das Kundenversprechen lautet, dass die Pro-
dukte fair, transparent und marktgerecht sind. Konkret bedeutet dies, dass die Pro-
dukte relativ einfach konzipiert sind und im Handling nur relativ niedrige Kosten
verursachen. Die Produktpalette ist dadurch schlank. Da die Produkte unterschied-
licher Banken weitgehend ähnlich sind, wird die Differenzierung vom Wettbewerb
im Service und in der Transparenz gesucht. Robert Law, der damalige Deutsch-
landchef der GE Money Bank, führt die Bank fast wie einen Industriebetrieb: „Ich
bin kein Banker, sondern Ingenieur.“ (vgl. Hönighaus 2005, S. 17).
Diese Strategie wird in der 30-Minuten-Kampagne der GE Money Bank erfolg-
reich umgesetzt. Das Ziel ist eine einfache und schnelle Abwicklung von Kredit-
anfragen der Händlerpartner des Autogeschäfts. Jede vollständige und korrekte
Finanzierungsanfrage soll innerhalb von 30 Minuten entschieden werden. Insbe-
sondere durch eine optimierte Online-Finanzierung soll ein verbesserter Kunden-
service geliefert werden. Im Ergebnis konnten 99% der Anfragen innerhalb von 30
Minuten entschieden werden. Jede 3. Anfrage dauerte nur 60 Sekunden. Die Re-
sonanz der Händler war rundum positiv. Die Kampagne wird deshalb fortgesetzt.

3.3 Stärken-Schwächen-Profil des isolierten Einsatzes

Nachstehend wird ebenfalls das Stärken- und Schwächen-Profil von Six Sigma er-
arbeitet. Zusätzlich wird jeweils bereits der Vergleich mit Lean Management
durchgeführt, soweit sich dies anbietet.
Strategie
Die Stärke von Six Sigma ist die ausgeprägte prozessbezogene Kundenorientie-
rung im Projektablauf, deren Basis die VOC-Analyse und die Ableitung der CTQs
in der Definitionsphase bildet. Auch Lean-Projekte richten sich am Kunden aus.
Durch die Betrachtung des Wertstroms, dessen Grundlage wertschöpfende Tätig-
keiten für den Kunden sind, wird dies gewährleistet. Allerdings ist die Erfassung
der Anforderungen der Kunden nicht so ausgeprägt wie in Six Sigma.
Während sich Six Sigma auf die Verbesserung einzelner definierter Prozesse
im Unternehmen konzentriert, betrachtet Lean Management neben diesen Prozes-
sen auch das Gesamtsystem und die Schnittstellen zwischen Teilprozessen. Zu
Beginn eines Six Sigma-Projekts werden die Verbesserungen, welche durch das
Projekt erreicht werden sollen, abgeschätzt und danach wird kontinuierlich auf de-
ren Erfüllung hingearbeitet. Nach Abschluss des Projekts werden die Verbesse-
rungen als finanzielle Größen quantifiziert, womit eine Aussage über den Erfolg
des Projekts möglich ist. In Lean-Projekten findet dies in solch strukturierter Form
nicht statt.
Vorgehen
Eine der Stärken von Six Sigma ist die ausgeprägte Projektorientierung und Vor-
gehensstruktur. Verbesserungen werden auf Basis von Projekten mit festgelegtem
Ablauf durchgeführt. Die Problemstellung wird anfangs definiert und in den ein-
zelnen Phasen bearbeitet. Dabei sind die Rollen im Team klar definiert. Lean-
Verbesserungen werden zwar auch auf Projektbasis vorgenommen, dennoch ist
Kombination von Lean Management und Six Sigma 55

der Grad der Projektorientierung geringer, da lediglich kleinere Projekte, etwa im


Sinne von Kaizen-Workshops, durchgeführt werden. Die starke Projektorientie-
rung in Six Sigma bedingt auch die ausgeprägte Standardisierung des Projektab-
laufs. Die einzelnen Schritte und Rollen im Projekt sind genau festgelegt. In einem
Lean-Projekt ist dies eher nicht der Fall.
Methoden
Während der Fokus von Six Sigma auf der exakten Analyse der Ursachen von
Problemen liegt, ist Lean Management mehr auf die Lösungsfindung ausgerichtet.
Six Sigma-Methoden zeichnen sich durch hohe Komplexität aus, mit welcher sich
auch schwierige Sachverhalte genau analysieren lassen. Für die Analysen kann
das Team auf eine große Anzahl von Methoden zurückgreifen. Die Analyse von
Daten bedingt den Einsatz vieler statistischer Werkzeuge. Lean-Methoden sind
vornehmlich auf Lösungen und weniger auf die Analyse der Ursachen fokussiert.
Dadurch sind sie weniger komplex als Six Sigma-Methoden.
Generell ist festzustellen, dass Lean-Management umfassendere und ganzheit-
lichere Prozessanalysen sowie -verbesserungen zulässt als Six Sigma. Lean-
Methoden sind stärker nur auf bestimmte Problemstellungen fokussiert, um diese
erfolgreich zu beheben. Six Sigma-Methoden lassen sich hingegen auf einen grö-
ßeren Bereich von unterschiedlichen Problemen anwenden.
Kultur
Durch den Einsatz komplexer Methoden in Six Sigma sind bestimmte Stufen des
Wissens der Projektbeteiligten notwendig. Dies wird durch die Belt-Hierarchie in
der Six Sigma-Organisation umgesetzt. Es existieren fest vorgegebene Rollen mit
definierten Tätigkeitsaufgaben im Projekt. Im Lean Management besteht eine sol-
che spezifische Organisation nicht. Die Beseitigung der Verschwendung ist Auf-
gabe aller Mitarbeiter. Durch die Analyseausrichtung von Six Sigma entsteht eine
Kultur der Analytik. Dies zeigt sich darin, dass alle Entscheidungen festen Abläu-
fen unterliegen und quantitativ hinterlegt werden.
Six Sigma stellt hohe Anforderungen an die Mitarbeiter. Durch die komplexen,
oft statistischen Methoden ist das Konzept des DMAIC-Zyklus nicht leicht ver-
ständlich. Auch werden nicht alle Mitarbeiter im Unternehmen in Six Sigma-Pro-
jekte eingebunden. Beide Faktoren führen zu einer geringeren Akzeptanz des
Konzepts. Lean Management basiert auf der Einbindung aller Mitarbeiter. Kombi-
niert mit den leicht aufzufassenden Methoden, wird es im Allgemeinen bereits
nach kurzer Zeit von den Mitarbeitern angenommen.
Wirkung
Die Projektgröße und der Durchführungsaufwand eines Six Sigma-Projekts sind
sehr hoch. Ein solches Projekt dauert i.d.R. drei bis sechs Monate und benötigt
viele Ressourcen, ausgebildete Spezialisten mit fachspezifischem Wissen sowie
viele Daten. Grund für die jeweils lange Projektdauer sind die tiefgehenden Ana-
lysen und die anschließende Ausarbeitung und Umsetzung von Maßnahmen. Wäh-
rend aber die Verschlankung des gesamten Unternehmens beim Lean Manage-
ment mehrere Jahre dauert, werden die einzelnen Projekte mit Six Sigma in ver-
gleichsweise kurzer Zeit und konzentrierter Form durchgeführt. Dabei sind bei-
56 Armin Töpfer

spielsweise. auch einzelne Kaizen-Workshops auf einen bestimmten Bereich be-


schränkt, und sie dauern i.d.R. eine Woche.
Durch die Kontrollphase in Six Sigma wird gewährleistet, dass die implemen-
tierten Verbesserungen im Prozess nachhaltig gesichert sind. Durch Standardisie-
rung wird Ähnliches, wenn auch nicht in so ausgeprägter Form, am Ende von
Lean-Projekten erreicht.
Zwischenfazit
Abbildung 17 fasst die Bewertungen der einzelnen Kriterien zusammen. Über die
Stärken des Lean- und Six Sigma-Ansatzes lassen sich mehrere Aussagen ablei-
ten.
Je komplexer die zu lösende Problemstellung, desto eher geeignet ist der Ein-
satz von Six Sigma. Das Six Sigma-Vorgehen zeichnet sich durch eine sehr starke
Projektorientierung mit vorgegebenem Ablauf aus. Im Rahmen des Projekts liegt
der Fokus auf der Analyse der Problemstellung. Dies führt wiederum zum Einsatz
vieler komplexer Methoden und Werkzeuge und zu einer Standardisierung des
Vorgehens. Generell ist von eher langen Projektlaufzeiten auszugehen. Six Sigma
eignet sich für Problemstellungen, deren Ursachen insgesamt schwierig zu finden
sind, und die z.T. mit relativ einfachen statistischen Verfahren, bei einigen Analy-
sen aber auch mit anspruchsvolleren statistischen Methoden gelöst bzw. beseitigt
werden können. Dabei werden immer 2 Steuerungs- und Ergebnisgrößen gemes-
sen, nämlich zum einen der Net Benefit als ökonomischer Ertrag des Projektes
und zum anderen der Six Sigma-Wert als qualitätsbezogene Ausbeute des Prozes-
ses in Form von Gutteilen.
Das Lean-Vorgehen ist weniger auf die tiefgreifende Analyse einzelner Sach-
verhalte/ Prozesse ausgelegt. Damit eignet es sich für weniger komplexe Problem-
stellungen, welche ein geringeres systematisches Vorgehen bedingen. Der Fokus
liegt auf der Implementierung von Verbesserungen, wie die zahlreichen Methoden
aus diesem Bereich aufzeigen. Während das Lean-Konzept nach der Implementie-
rungsphase von einer kontinuierlichen Verbesserung in kleinen Schritten ausgeht,
ist Six Sigma als Problemlösungsmethodik zu verstehen, die unter Umständen
auch größere Schritte und Veränderungen in einem Projekt beinhaltet.
Dies bedeutet im Ergebnis, dass Lean Management als Verbesserungskonzept
von vornherein stärker handlungsorientiert ausgerichtet ist. Six Sigma strebt hin-
gegen durch die standardisierte Vorgehensweise im DMAIC-Zyklus vor allem in
der Analyse-Phase einen erkenntnisorientierten Informationszugewinn an. Er ist
z.B. im Rahmen von Regressionsanalysen auf der Basis der Funktionsgleichung
y = f(x) darauf ausgerichtet, bisher verborgene Ursachen von Qualitätsproblemen
mit dieser statistischen Methode zu erkennen und dann auch zunächst über Simu-
lationen mögliche Lösungskonzepte statistisch auszutesten. Beide Konzepte sind
aber grundsätzlich umsetzungsorientiert und streben konkrete Verbesserungen an.
Der Weg dorthin ist bei Six Sigma allerdings länger und nicht selten auch – me-
thodisch – beschwerlicher respektive anspruchsvoller als bei Lean Management.
Diese Analyseergebnisse untermauern die im Einführungsartikel vorgeschlage-
ne Vorgehensweise und Reihenfolge, nämlich immer zuerst Wertschöpfungspro-
zesse mit Lean Management-Methoden von Verschwendung „zu bereinigen“ und
Kombination von Lean Management und Six Sigma 57

dann hartnäckige „Variationsprobleme“ unzureichender Qualität mit Six Sigma-


Projekten anzugehen.

Stra
tegie
g
un
irk
W

Vorgehen
Ku
ltu
r

de
tho
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Basis: Huth 2007, S. 25

Abb. 17: Bewertung des isolierten Einsatzes von Lean Management und Six Sigma

4 Kombination von Lean Management und Six Sigma

Im Folgenden werden – auf der Basis der bisherigen Ausführungen – 3 Möglich-


keiten der Kombination von Lean Management und Six Sigma ausgeführt. Von
der Logik der bisherigen Analyseergebnisse her sind dies:
1. Die Strategie, den aufwändigen Six Sigma-Projektmanagementprozess mit dem
Gedankengut und den Methoden des Lean Managements schlanker zu machen
2. Lean Management gezielt durch Six Sigma-Projekte zu ergänzen
3. Beide Konzepte ganzheitlich in zweckmäßiger Bearbeitungsfolge und in leis-
tungsfähigem Ausmaß inhaltlich untereinander zu vernetzen.
Die 1. Alternative fokussiert also immer auf Six Sigma und macht den Projekt-
durchführungsprozess schlanker und damit effizienter, aber nicht unbedingt effek-
tiver. Mit anderen Worten kann das Wirkungs- und Ergebnisniveau hierunter lei-
den.
58 Armin Töpfer

Die 2. und 3. Alternative streben eine Strategie der Koordination und der Integ-
ration an. Bei der 2. Alternative folgt Six Sigma auf Lean Management, wobei
beide Konzepte weiterhin nebeneinander bestehen. Bei der 3. Alternative ist Lean
Management Bestandteil der Six Sigma-Umsetzung, wobei i.d.R. immer zuerst
Lean Management-Aktivitäten durchgeführt werden, um mit Six Sigma auf
schlanken Prozessen aufzusetzen. Six Sigma selbst soll dann ebenfalls als Lean-
Prozess durchgeführt werden. Beabsichtigt ist damit eine stufenweise Integration
der beiden Methoden.

4.1 Six Sigma-Projektmanagement lean machen

Dieser Ansatz von Lean Six Sigma wird ausführlich im Beitrag von Günther/ Gar-
zinsky im Kapitel B beleuchtet. Hier geht es um die Frage, wie der Standard-
DMAIC-Zyklus schlank, d.h. lean, gemacht werden kann. In Abbildung 18 ist ein
schlanker DMAIC-Zyklus mit reduziertem Methodeneinsatz zu sehen, der inner-
halb von fünf Tagen durchgeführt werden kann.

1. Tag
Define
• Projekt Charter 2. Tag
5. Tag
• SIPOC-Analyse Measure
Control • VOC-CTQ-Analyse • Value Stream Mapping:
• Monitoring & Controlling:
- Material- und Informations-
- Verbesserungen verifizieren fluss darstellen (Ist-Zustand)
- Neuen Prozess dokumentieren - Bestände aufnehmen
- Lessons Learned dokumentieren - Durchlaufzeiten messen
- KVP-Prozess einleiten - Kapazitäten bestimmen
- Kosten kalkulieren
4. Tag 3. Tag

Improve Analyse
• Value Stream Design: • Wertschöpfungsanalyse:
- Lösungen für die Umsetzung generieren - Wertschöpfungsgebirge darstellen
- Arbeitsabläufe/ -strukturen entsprechend - Engpässe, Verschwendung etc. identifizieren
Soll-Konzept verändern - Material- und Informationsfluss optimieren
- IT-Steuerung entsprechend Soll-Konzept (Soll-Zustand)
verändern - Verbesserungen vor Implementierung simu-
- Mitarbeiter informieren u. ggf. qualifizieren lieren (wenn möglich)
© Prof. Dr. Armin Töpfer

Abb. 18: M+M Lean DMAIC in 5 Tagen

Wie nachvollziehbar ist, konzentriert sich der Einsatz der Lean Management-
Methoden auf drei Phasen des DMAIC-Zyklus, nämlich auf die Schritte Measure,
Analyse und Improve. Dort steht jeweils der Wertschöpfungsprozess im Zentrum
der Optimierung.
Kombination von Lean Management und Six Sigma 59

4.2 Lean Management punktuell durch Six Sigma-Projekte ergänzen

Dieser Ansatz basiert auf der primären Umsetzung von Lean Management mit
Lean Thinking und Lean Production. Auf der Grundlage der Anwendung ein-
schlägiger Lean-Methoden, z.B. Wertstromdesign, werden die Prozesse im Unter-
nehmen ganzheitlich analysiert und optimiert. Für die Beseitigung von hartnäcki-
gen Fehlern in Prozessen/ Produkten, die einer tiefgründigeren Problemanalyse
bedürfen, werden einzelne, punktuelle Six Sigma-Projekte durchgeführt. Lean
Management und Six Sigma bleiben im Unternehmen mit den in Abbildung 19
aufgeführten Eigenschaften als eigenständige Konzepte erhalten.

Lean Management Six Sigma


Ziele und Ansatz

Setzt an allen Prozessen im Unternehmen an: Setzt selektiv an ausgewählten Prozessen/ Prozess-
• Nicht-wertschöpfende Aktivitäten identifizieren teilen im Unternehmen an:
und reduzieren • Variation als Fehler und Wertverlust eliminieren
• Prozesse verschlanken und standardisieren • Kostentreiber ausmerzen
• Verzögerungen beseitigen und dadurch • Kundenanforderungen (CTQs) durch Einhaltung von
Durchlaufzeiten deutlich verkürzen Standards möglichst vollständig erfüllen
• Lagerhaltung stark reduzieren • Gleichzeitig eine hohe Wirtschaftlichkeit durch den
• Verschwendung als Wertverlust beseitigen realisierten Net Benefit erreichen

Philosophie und Ergebnis


• Entdecken und Beseitigen der „Hidden Factory“ • Realisiertes Qualitätsniveau signifikant steigern in
• Null-Fehler-Qualität, höhere Kundenzufriedenheit Richtung Null-Fehler-Qualität
und monetärer Effekt sind erwünschte Folgen • Kundenzufriedenheit und -bindung wesentlich
erhöhen
• Wertsteigerung für das Unternehmen realisieren

Ablauf und Instrumente


• Just-in-Time, Just-in-Sequence und Kanban • DMAIC- und DMADV-Zyklus mit integrierten QM-
• Wertstromanalyse und -design Instrumenten

Abb. 19: Lean Management und Six Sigma als eigenständige Konzepte

4.3 Durch integriertes Lean Six Sigma besser und schneller werden

Dieser Ansatz ist in der Unternehmenspraxis am weitesten verbreitet. Lean Mana-


gement und Six Sigma werden in dieser Reihenfolge zu einem Gesamtkonzept
verschmolzen. Im Unternehmen werden sowohl Lean Management-Aktivitäten als
auch Six Sigma-Projekte durchgeführt. Voraussetzung hierfür ist ein strukturierter
Projektauswahlprozess, im Rahmen dessen eindeutig festgelegt wird, welches
Problem mit welchem Ansatz angegangen wird. Gleichzeitig wird der in Abschnitt
4.1 aufgezeigte Ansatz verfolgt: Nach einer Prozessverschlankung und Ausmer-
zung von Verschwendung durch Lean Management im Sinne von Basisverbesse-
rungen werden bestimmte Probleme mit einem möglichst schlanken DMAIC-
Zyklus, der in kurzer Zeit anwendbar ist, gelöst. Abbildung 20 zeigt dieses ver-
netzte Prozessschema der Konzepte.
60 Armin Töpfer

1. Lean Management: Basisverbesserungen


Prozesse ganzheitlich analysieren, gestalten
und optimieren

2. Six Sigma:
Gravierende Fehler in Prozessen/ Produkten
erkennen und ausmerzen

3. KVP:
Kontinuierliche Verbesserung aller Prozesse
und Produkte/ Kaizen
Feintuning

Abb. 20: Verbesserungen in 3 Stufen

Als Konsequenz und Folge werden bei beiden Konzepten kontinuierliche Ver-
besserungsprozesse (KVP) zur Optimierung der Wertströme und der geschaffenen
Wertschöpfung in Form eines Feintuning eingeleitet, wie sie als Kaizen-Aktivi-
täten originär im Rahmen der Philosophie des Lean Management entwickelt wur-
den. In Abbildung 21 sind die Säulen dieses Lean Six Sigma-Ansatzes noch ein-
mal verdeutlicht.

Was gehört dazu? Was gehört nicht dazu?


Lean Management
o Risikomanagement
o Wertstromanalyse/ -design
o Prozesskostenrechnung
o Einfache Lean-Methoden
(Ishikawa, 5W, Poka Yoke, Kanban)
o Kaizen/ Kontinuierlicher Verbesserungs-
prozess (KVP)

Six Sigma
o Systematische Methodik
(DMAIC, DMADV) lean gemacht
o Projekt- und Prozessmanagement
o Toolbox
(Prozessanalyse, Problemlösung, Statistik)
o Philosophie, Kultur der Null-Fehler-Qualität
„The way we work“

Abb. 21: Säulen des integrierten Lean Six Sigma-Ansatzes


Kombination von Lean Management und Six Sigma 61

5 Wirkungen und Ergebnisse von Lean Six Sigma

Die Wirkungsmechanismen von Lean Six Sigma sind zusammenfassend in Abbil-


dung 22 dargestellt. Den größten und vor allem zeitlich allen Wertschöpfungspro-
zessen vorgelagerten Hebel zur Verbesserung der Wertschöpfungskette im Unter-
nehmen bilden die Aktivitäten im F&E-Bereich. Durch die Implementierung eines
systematischen Produktentstehungsprozesses (PEP), der umfassender ist als der
eigentliche Produktentwicklungsprozess, werden innovative und robuste, d.h. feh-
lerarme, Produkte und Prozesse entwickelt und für die Vermarktung bereitgestellt.
Einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Robustheit und Fehlerfreiheit der neu
entwickelten Produkte und Prozesse liefert dabei das Design for Six Sigma-Kon-
zept (DFSS). Es ist auf Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess ausgerichtet.
Zusätzlich werden Produkt-/ Prozessinnovationen gefördert, wenn im Rahmen des
DFSS-Zyklus kreative und/ oder widerspruchsorientierte Problemlösungstechni-
ken, z.B. TRIZ, zum Einsatz kommen.

Prozess-
innovation
Prozess-Management

Wertstrom-Management

Durchlaufzeiten Liefertreue

Innovation Kunden- Unter-


• Produkte Fehlerkosten Wertschöpfung zufrieden- nehmens-
• Prozesse heit wert

Qualität Kostenniveau

Null-Fehler-Management

Design for
Six Sigma Six Sigma Initiative

Abb. 22: Wirkungsmechanismen von Lean Six Sigma

Wie in Abbildung 22 durch Hochspannungspfeile angedeutet ist, besteht zwi-


schen Innovation und Qualität im Allgemeinen der einführend bereits angespro-
chene Trade-off. Dieser Prozess mit entgegengesetzten Wirkungen führt dazu,
dass insbesondere innovative Produkte/ Prozesse – vor allem in der Anfangszeit
des Produktlebenszyklus – auch in höherem Maße fehlerbehaftet sein können.
Dies ist in der Praxis unter dem Stichwort „Kinderkrankheiten von Neuprodukten“
bekannt.
62 Armin Töpfer

Im Kern des Ursachen-Wirkungs-Schemas in Abbildung 22 geht es dann um


die Optimierung des „Magischen Dreiecks“ der Betriebswirtschaftslehre – Quali-
tät, Zeit und Kosten, und zwar durch eine Art „Zangengriff“: Wie in der Abbil-
dung ersichtlich, setzt von oben Lean Management mit dem Fokus auf Prozess-/
Wertstrom-Management an. Von unten greift Six Sigma mit dem Ziel praktikabler
Null-Fehler-Qualität an. Sowohl die Qualitätssteigerungen durch Six Sigma als
auch die Durchlaufzeitreduzierungen durch Lean Management wirken sich positiv
auf die Kostensituation des Unternehmens aus, weil dadurch das Kostenniveau ge-
senkt werden kann. Durch die Beseitigung von Fehl-/ Blindleistungen in den Pro-
zessen sinken unmittelbar die Fehlerkosten; gleichzeitig erhöht sich die Wert-
schöpfung, und die Liefertreue nimmt ebenfalls zu.
Das positive Ergebnis des integrierten Einsatzes von Design for Six Sigma, Six
Sigma und Lean Management ist auf Kunden- und Unternehmensseite gleicher-
maßen spürbar: Innovative sowie fehlerfreie Prozesse und Produkte führen – über
die skizzierten Ursachen-Wirkungs-Beziehungen – zu einer Steigerung der Kun-
denzufriedenheit und -bindung. Dies wirkt sich positiv auf den Unternehmenswert
aus.

6 Stolpersteine und Umsetzungsfallen von Lean Six


Sigma

Im Folgenden werden 7 typische Missverständnisse und damit Umsetzungsfallen


einer Kombination von Lean Management und Six Sigma kurz angesprochen:
1. Lean Six Sigma bedeutet vor allem, das Six Sigma-Konzept so zu verschlan-
ken, dass es in jedem Unternehmen schnell und kostengünstig einsetzbar ist.
Dies wird nicht funktionieren, denn sowohl bei Lean Management als auch erst
recht bei Six Sigma ist ein nicht unerheblicher Ressourcenaufwand bezogen auf
Qualifizierung, Personaleinsatz und damit vor allem Zeitaufwand zu veran-
schlagen. Six Sigma ist auch als Lean Six Sigma in einer schlanken Version ei-
ne strategische Investition, die es zu budgetieren gilt, die sich aber über die Pro-
jekte relativ schnell amortisiert. Ein Vorlauf-Aufwand ist jedoch unerlässlich.
2. Bei Lean Six Sigma handelt es sich um eine Modeerscheinung und kein nach-
haltiges Managementkonzept. Es wird vor allem von einschlägigen Beratungs-
unternehmen propagiert, ohne einen wirklichen Zusatznutzen zu schaffen. Dies
ist nicht vollkommen zutreffend, aber es ist auch nicht völlig falsch. Als realis-
tische Balance lässt sich Folgendes festhalten: Lean Six Sigma transportiert ei-
nen grundsätzlichen Nutzen durch Six Sigma Projekte und einen zusätzlichen
Nutzen durch die Kombination mit Lean Management und/ oder durch eine
schlanke Variante von Six Sigma. Wenn diese Konzepte von qualifizierten Be-
ratungsunternehmen angeboten werden, dann kann so fundiertes Expertenwis-
sen, vor allem auch branchenübergreifend abgesichert, preiswürdig genutzt
werden.
Kombination von Lean Management und Six Sigma 63

3. Die Implementierung von Lean Six Sigma erfordert immer die folgende Vor-
gehensweise: (1) Lean Management, dann (2) Six Sigma. Grundsätzlich ist die-
se Reihenfolge für Unternehmen empfehlenswert, die bislang über keines der
beiden Konzepte verfügen, wie z.B. Xerox vor der Einführung von Lean Six
Sigma. In der Unternehmenspraxis kann aber auch die umgekehrte Implemen-
tierungsreihenfolge vorgefunden werden, z.B. bei General Electric. Im Allge-
meinen ist dies eine Frage des ersten Einführungszeitpunktes eines Konzeptes.
Beide Konzept-Reihenfolgen können erfolgreich sein. Dies hängt maßgeblich
von der Koordination und dem Nachdruck bei der Umsetzung ab.
4. Lean Management ist immer auf die Reduzierung der Durchlaufzeit und Six
Sigma immer auf die Erhöhung des Qualitätsniveaus ausgerichtet. Dies ist vor-
dergründig richtig, beide Konzepte unterstützen jedoch gemeinsam das Ziel, ei-
ne praktikable Null-Fehler-Qualität im gesamten Unternehmen zu erreichen.
Lean Management setzt dabei primär an der Vermeidung von Ressourcenver-
schwendung und an der Reduzierung der Durchlaufzeiten an. Eine verbesserte
Qualität ist dann eine wesentliche Folgewirkung, aber zunächst kein originär
formuliertes Ziel des Konzeptes. Die Reduzierung der Ressourcenverschwen-
dung durch eine Verbesserung der ganzheitlichen Qualität bewirkt zusätzlich
auch eine Senkung der Fehlerkosten in den Prozessen.
Six Sigma strebt über die Beseitigung von Abweichungen und damit den Ab-
bau von Fehlerkosten primär die Erhöhung der Qualität in Richtung definierter
und praktikabler Null-Fehler-Qualität an. Dadurch werden zugleich aber auch
Ressourcen geschont, weil Verschwendung vermieden wird und Durchlaufzei-
ten verkürzt werden.
Genau hierdurch schließt sich der Kreis zwischen beiden Konzepten, die aus
unterschiedlichen Blickrichtungen und Ansätzen einen weitgehend gleichen
Managementverbesserungsprozess mit zum Teil verschiedenen Schwerpunkten
in Gang setzen. Das Ziel einer Kombination beider Konzepte sind also schlan-
ke, schnelle und verschwendungsfreie Prozesse, mit denen qualitativ hochwer-
tige – da stark auf den Kundennutzen ausgerichtete – und fehlerarme Produkte
oder Dienstleistungen als Wertschöpfungsergebnisse geschaffen werden.
5. Lean Management-Methoden sind durchweg einfach anwendbar und deshalb
schnell implementierbar. Im Vergleich zu Six Sigma ist diese Aussage richtig.
Jedoch ist zu beachten, dass sich die volle Wirkung der Methoden nur im Zu-
sammenhang mit einem durchgängigen Lean Thinking im gesamten Unterneh-
men entfaltet. Dies bedeutet, dass alle an der Wertschöpfung beteiligten Akteu-
re diese Philosophie verstanden haben und das hieraus abgeleitete Konzept um-
setzen wollen. Dadurch ist jeder Lean Management-Ansatz ein kontinuierlicher
Verbesserungsprozess unter Einbeziehung aller Mitarbeiter des entsprechenden
Prozesses respektive Bereiches des Unternehmens mit sich wiederholenden und
vertiefenden Verbesserungsschleifen. Fehlt diese „Durchsetzung“ mit dem
Lean-Gedankengut in der Organisation, dann hat der Verbesserungsprozess
keine Traktion und damit keine Wirkung.
6. Lean Six Sigma bezieht sich in erster Linie auf die Verbesserung von bestehen-
den Prozessen. Dies ist grundsätzlich richtig. Zusätzlich ist in jedem Unter-
nehmen aber auch die Umsetzung einer Lean Six Sigma-Philosophie im F&E-
64 Armin Töpfer

Bereich empfehlenswert. Denn durch die frühzeitige Verschlankung und Opti-


mierung des Produktentstehungsprozesses (PEP) wird ein stärkerer Fokus auf
die Ideenfindung, Entwicklung und Umsetzung von Innovationen gelegt und
neue Marktchancen können durch Produkte mit einem hohen Kundennutzen,
also umfassend realisierten CTQs, in einer verkürzten Time to Market schneller
und besser ausgenutzt werden. Wird diese Vorgehensweise durch Design for
Six Sigma (DFSS) ergänzt, dann werden genau die vorstehend angesprochenen
Aspekte und Anforderungen einer hohen und fehlerfreien Kundenorientierung
der Prozesse und Produkte realisiert.
7. Wenn man Lean Six Sigma als Integration von Lean Management, Six Sigma
und z.T. DFSS versteht, dann ist die Ausbildung von Experten, also zumindest
Green Belts, häufiger auch Black Belts, mit sehr hohem Zeit- und Kostenauf-
wand verbunden. Darunter leidet am Ende die Wirtschaftlichkeit des Konzep-
tes. Das Argument des erforderlichen Aufwandes im Vorlauf ist nicht von der
Hand zu weisen. Wir haben dies bereits beim 1. Stolperstein bzw. Missver-
ständnis angesprochen. Die meisten Unternehmen starten eine derartige Lean
Six Sigma-Initiative heute jedoch nicht als vorlaufende Aktivität mit einer brei-
ten Qualifizierungskampagne. Vielmehr wird ein Ansatz des Learning by doing
favorisiert. Dies bedeutet, dass entweder bereits Lean Management oder Six
Sigma zumindest in Ansätzen praktiziert wird und dann mit der Kombination in
Form der vorgestellten koordinierten oder integrierten Konzeption beider Me-
thoden fortgefahren werden kann. Oder aber Lean Six Sigma wird ohne Vorer-
fahrung gestartet; dann sollte dies jedoch mit externer Unterstützung beginnen.
Dabei empfiehlt es sich, die Reihenfolge – Verschlankung der Prozesse durch
Lean-Aktivitäten und Verbesserung des Prozessniveaus durch Six Sigma-Akti-
vitäten – einzuhalten. Im Zuge der Lean Management-Kampagne und im Rah-
men der Six Sigma-Projekte kann dann eine Fokusgruppe von internen Exper-
ten durch ergänzende Qualifizierungsmaßnahmen herangebildet werden. Die
Verbesserungen durch Prozessverschlankungen und Ergebnisoptimierungen
führen zu Einsparungen, welche die entstehenden Qualifizierungskosten um ein
Mehrfaches überdecken.

7 Quintessenz

Was lässt sich abschließend als grundlegende Erkenntnisse festhalten, welche we-
sentlichen Phasen zu durchlaufen und welche Inhalte zu erfüllen sind, um bei der
Einführung einer Initiative in Richtung Lean Management, also der Gestaltung ei-
ner schlanken Prozesslandschaft, oder in Richtung Six Sigma, also der Umsetzung
praktikabler Null-Fehler-Qualität, erfolgreich zu sein? In Abbildung 23 ist ein
vereinfachtes Prozessschema dargestellt, das gleichermaßen auch für die Kombi-
nation oder Integration der beiden Konzepte gilt.
Wie immer bei derartigen Vorhaben muss die Initiative und Verpflichtung von
der Unternehmensleitung ausgehen und alle Führungsebenen kaskadenförmig er-
reichen und inhaltlich einbeziehen (1). Der Grundsatz heißt: Vormachen und Vor-
Kombination von Lean Management und Six Sigma 65

leben schaffen Vertrauen und Handlungsdruck. Dies ist die Grundlage für das
Verständnis und eine positive Einstellung bei den Akteuren (2a), die nur einen
Teil der Mitarbeiter oder alle Beschäftigten umfassen können. Eng damit verbun-
den und in der Abfolge variabel ist die Auswahl der einbezogenen Bereiche sowie
der vorgesehenen Projekte im Unternehmen (2b).

2b 4a
Auswahl der Zeit- und Ressourcen-
einbezogenen bedarf für
Bereiche/ Projekte Projektdurchführung
3a

Organisation/
Teamstruktur
1 5
Commitment der Projektnutzen/
Unternehmensleitung Ergebnisberechnung/
und des Managements Net Benefit
3b
Qualifizierung
des Teams/
der Mitarbeiter
2a 4b

Verständnis/ Einstellung
der Akteure/ Messphasen
der Mitarbeiter

Abb. 23: Wesentliche Bausteine bei der Umsetzung von schlanken Prozessen und fehler-
freier Qualität im Unternehmen

Das Schaffen einer positiven Motivation sowie die Definition der betroffenen
Bereiche und der zu lösenden Problemstellungen bestimmen einerseits das Aus-
maß und den Grad der notwendigen Organisation und Teamstrukturen (3a). Ande-
rerseits wird hierdurch auch die erforderliche Qualifizierung sowie damit die Wis-
sensvermittlung und der angestrebte Erfahrungsaustausch der einzelnen Teams
oder aller Mitarbeiter (3b) determiniert.
Sowohl bei der Einführung schlanker Prozesse als auch bei der Umsetzung von
Null-Fehler-Qualität sind in regelmäßigen Abständen Messungen der zugrunde
gelegten Steuerungskriterien (4b) durchzuführen. Dies gilt bei beiden Konzepten
für definierte Projektaktivitäten (4a) mit einem bestimmten Zeit- und Ressourcen-
bedarf, aber generell auch danach, zur Absicherung des erreichten Steuerungsni-
veaus. Die Analysen der Ergebnisberechnung als Projektnutzen und Net Benefit
(5), also in Form von nicht-monetären Wirkungen, wie z.B. höhere Kunden- und
Mitarbeiterzufriedenheit, und von erreichten Zeit- und Kosteneinsparungen oder
auch realisierten Umsatz- und Ertragssteigerungen, sind auch an die Mitarbeiter
zurückzukoppeln; in fortschrittlichen Unternehmen werden sie am zusätzlich er-
wirtschafteten höheren Erfolg beteiligt. Alle diese Phasen für eine erfolgreiche
Einführung und Umsetzung schaffen und verstärken die Unternehmenskultur in
Richtung schlanker Prozesse und fehlerfreier Qualität.
66 Armin Töpfer

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Design for Six Sigma: Schlanke Produktentwick-
lung mit dem Ziel wirtschaftlicher Null-Fehler-
Qualität in Produktion und Vermarktung

Armin Töpfer, Swen Günther

Inhalt

1 Gründe und Ziele von Design for Six Sigma (DFSS) ................................69
1.1 Six Sigma oder Design for Six Sigma? ......................................................70
1.2 DMAIC-Zyklus oder DMADV-Zyklus?....................................................75
2 DMADV-Zyklus als strukturierte Vorgehensweise im
Produktentstehungsprozess (PEP)..............................................................77
2.1 Define-Phase ..............................................................................................78
2.2 Measure-Phase ...........................................................................................79
2.3 Analyse-Phase ............................................................................................81
2.4 Design-Phase..............................................................................................83
2.5 Verify-Phase...............................................................................................85
3 Erzielbare Wirkungen durch schlanke und wirtschaftliche Null-Fehler-
Qualität im Entwicklungsprozess...............................................................86
3.1 Förderung von Innovationen in der Produktentwicklung...........................86
3.2 Senkung von Qualitätskosten in der Produktion und dem Vertrieb ...........87
3.3 Erhöhung des Wertbeitrages (EVA) für das Unternehmen ........................89
4 Einführungsanforderungen von DFSS im Zusammenhang mit Lean Six
Sigma .........................................................................................................91
4.1 Strukturierter Projektauswahlprozess.........................................................91
4.2 Spezifische Qualifizierung der Akteure .....................................................93
5 Literatur......................................................................................................95

1 Gründe und Ziele von Design for Six Sigma (DFSS)

Das vordergründige Ziel von Design for Six Sigma besteht in einer schlanken
Produktentwicklung, im Rahmen derer eine wirtschaftliche Null-Fehler-Qualität in
Produktion und Vermarktung als Ergebnis erreicht wird. In diesem Kapitel geht es
zunächst um die Abgrenzung von Six Sigma und DFSS sowie um die Unterschie-
de/ Gemeinsamkeiten der relevanten Problemlösungszyklen. Die folgenden zwei
Fragen unterstreichen plakativ diese inhaltliche Ausrichtung:
1. Six Sigma oder Design for Six Sigma?
2. DMAIC-Zyklus oder DMADV-Zyklus?
70 Armin Töpfer, Swen Günther

1.1 Six Sigma oder Design for Six Sigma?

In der Unternehmenspraxis hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Fehler und
Versäumnisse in der Produktentwicklung ein Unternehmen in den anschließenden
Wertschöpfungsphasen der Produktion und der Vermarktung einschließlich der
Aktivitäten im technischen Service und in der Garantie/Kulanz teuer zu stehen
kommen können. Die Beschaffung kann zusätzlich in der Weise tangiert sein, dass
ein geringerer Anteil an standardisierten Vorprodukten und an Gleichteilen die
Fehlerkosten und insgesamt die Herstellkosten erhöht.
In der Produktion können durch eine „intelligente“ Entwicklung des Produktes
Kosten dadurch gespart werden, dass Bauteile im Sinne von Design for Manufac-
turing and Assembly (DFMA) eingespart, vereinfacht und montagefreundlich ge-
macht werden. In der Servicephase können Defizite der Entwicklung sich dann in
erhöhten Servicekosten auswirken, wenn das Produkt wenig servicefreundlich
gestaltet ist, also die notwendigen Wartungs- bzw. Reparaturarbeiten aufgrund ei-
ner schlechten Konfiguration des Produktes einen zu hohen Demontage- und er-
neuten Montageaufwand erfordert. Dies entspricht der bekannten „Zehnerregel“
des Qualitätsmanagements, dass sich also Defizite und Versäumnisse einer vorge-
schalteten Wertschöpfungsphase mit dem Faktor 10 in Fehlerkosten auf jeder
nachfolgenden Wertschöpfungsphase auswirken (vgl. Pfeifer 1996, S. 11). In Ab-
bildung 1 sind diese Zusammenhänge vereinfacht dargestellt.

Möglich- Spektrum der Kosten,


keit, um Qualitätsbeeinflussung um Quali-
Qualität tät zu
zu beein- beein-
flussen flussen

Spektrum der
Qualitätskosten

Idee Planung Entwicklung Produktion Wartung Reparatur


- Produktentstehung und -verwendung -

Frühe Qualitätsorientierung senkt Kosten

Abb. 1: Spektrum der Qualitäts- und Fehlerkosten

Die Erkenntnis dieser Sachverhalte besagt, dass – entsprechend den Kosten der
Übereinstimmung – in einer frühen Phase des Produktlebenszyklus alle Qualitäts-
kosten eine Investition sind mit dem Ziel, Fehlerprävention zu betreiben und damit
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 71

zukünftige Fehlerkosten zu vermeiden bzw. gering zu halten. Die umgekehrte


Sichtweise führt zu dem Ergebnis, dass hohe Kosten der Abweichung dann entste-
hen, wenn nicht frühzeitig in die Qualität von Produkten und Prozessen investiert
wurde und deshalb in späteren Wertschöpfungsphasen kumulierte Fehlerkosten in
Kauf genommen werden müssen.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, wie hoch die Kosten der einzelnen
Wertschöpfungsphasen sind und wie groß ihr Einfluss auf die Kosten im gesamten
Lebenszyklus des Produktes ist. Wenn hierbei, wie Abbildung 2 erkennen lässt,
ein Missverhältnis vorliegt, dann ist dies ein gezielter Ansatzpunkt für konkrete
Verbesserungen. In der Entwicklungsphase besteht demnach das größte Missver-
hältnis, da 5% der effektiven, also tatsächlichen Kosten bis zu 70% der Gesamt-
kosten beeinflussen respektive festschreiben können. Ein schlechtes technisches
Design des Produktes und ein unzureichender Design- bzw. Entwicklungsprozess
können diese hohen Auswirkungen auf die Gesamtkosten verursachen. Genau hier
besteht der Ansatzpunkt für Design for Six Sigma (DFSS).

Anteil an Gesamtkosten
Effektive 5% Einfluss
Kosten 5% auf die
Verwaltung
der 30% Kosten
Phasen 20% im Lebens-
zyklus des
Personal Produktes
15%

Material 70%
50%

Design/ Entwicklung
5%
Bei
Bei Design/ Entwicklung:
Entwicklung:
Geringer
Geringer Kostenanteil
Kostenanteil versus
versus hohe
hohe Kostenauswirkung
Kostenauswirkung
Quelle: Harry/Schroeder 2000, S. 153

Abb. 2: Einfluss von Design/ Entwicklung auf die Gesamtkosten

Aus diesem Grund kommt es also darauf an, sowohl aus Unternehmens- als
auch Kundensicht die jeweiligen Total Cost of Ownership zu analysieren (vgl.
Töpfer/ Heidig 2008, S. 593). Aus Unternehmenssicht ist dies vor allem ein gutes
Lieferantenmanagement mit Einsparungen bei Materialien und Lieferanten. Aus
Kundensicht sind es über die damit verbundenen Preiswirkungen hinaus potenziell
überhöhte Kosten der Nutzung und Wartung aufgrund von Versäumnissen in der
72 Armin Töpfer, Swen Günther

Produktentwicklung. Diese hohen und damit nicht wettbewerbsfähigen Kosten re-


spektive Preise aufgrund unwirtschaftlicher und wenig wirkungsvoller Prozesse
und Produkte können sich dann zusätzlich in Kundenabwanderung negativ aus-
wirken. Hierdurch wird unmittelbar auch die Unternehmenssicht tangiert. In der
Produktentwicklung und in der Produktion sind also schlanke Prozesse mit dem
Ziel wirtschaftlich erzeugter Null-Fehler-Qualität umzusetzen.
Deshalb gilt es gerade bei komplexen Produkten, wie z.B. Automobilen, Com-
putern oder Handys, Qualität von Beginn an „hineinzuentwickeln“ und Maßnah-
men zur Fehlervermeidung so früh wie möglich zu ergreifen. Entsprechendes gilt
auch für Dienstleistungsprodukte: Wenn z.B. eine Telefongesellschaft auf der Ba-
sis unterschiedlicher Nutzungszeiten und Kundengruppen eine Vielzahl von Tari-
fen anbietet, dann führt diese Komplexität unweigerlich zu Problemen und Feh-
lern in der Erfassung und Abrechnung. Die Folge sind unzufriedene Kunden.
Werden hingegen nur ein oder zwei Tarife angeboten, dann sind die Gebührener-
fassung und -abrechnung deutlich einfacher zu handhaben. Einfachere Hard- und
Software sowie weniger Fehlermöglichkeiten gehen einher mit einer höheren
Transparenz, was insgesamt die Kundenzufriedenheit steigert.
Dies kann zwar einer Unternehmenspolitik zuwider laufen, die auf Verschleie-
rung und Intransparenz der Kundentarife ausgerichtet ist. Wie Beispiele aus dem
Telekommunikationsbereich zeigen, zahlt sich längerfristig eine höhere Transpa-
renz aber sowohl für die Kunden als auch für die Unternehmen aus, und zwar des-
halb, weil der Wettbewerb dieses Defizit der Intransparenz thematisiert und für
sich ausnutzt. Der Kunde profitiert im Ergebnis von insgesamt günstigeren Tarifen
und besserem Service.
Analysen in der Unternehmenspraxis haben ergeben, dass die Produktzuverläs-
sigkeit über die Lebenszeit in einer „Badewannenkurve“ verläuft. Abbildung 3
verdeutlicht diesen Sachverhalt. Am Anfang existiert eine erhöhte Fehlerrate auf-
grund der „Kinderkrankheiten“ eines Produktes, also nach der Markteinführung
auftretenden Problemen und Fehlerkosten, die sowohl in der Entwicklung als auch
in der Produktion begründet sein können. Der „Boden der Badewanne“ wird un-
mittelbar durch Defizite in Form von Design- und Entwicklungsschwächen gebil-
det. Am Schluss des Produktlebenszyklus erhöhen sich die Produktmängel durch
Abnutzungserscheinungen. Die hierbei entstehenden Kosten können nur durch die
Auslegung des Produktes für eine definierte Lebenszeit bzw. durch entsprechende
Wartungs- und Instandsetzungsaktivitäten beeinflusst werden.
Durch die Qualität der Entwicklung werden also die Kosten und die Kundenzu-
friedenheit im gesamten Lebenszyklus des Produktes geprägt. Dies führt dazu,
dass, wie angesprochen, hierdurch unmittelbar eine Förderung oder Beeinträchti-
gung des Unternehmens im Wettbewerb verursacht wird. Das Ziel besteht darin,
die Kosten in den drei Phasen so zu reduzieren, dass – bildlich gesprochen – aus
der „Badewanne“ eine „flache Schüssel“ wird. Konkret bedeutet dies, dass sowohl
die Fehlerrate nach der Einführung und vor dem Ausmustern des Produktes redu-
ziert wird. Der wichtige Block von Kosten aufgrund der Design- und Entwick-
lungsschwächen in der Mitte soll ebenfalls verringert werden, und zwar oftmals
mit dem Ziel, zugleich den Lebenszyklus des Produktes insgesamt zu verlängern.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 73

I II III
Anfangsausfall Weitgehend Abnutzung
(Kinderkrankheiten) störungsfreie Nutzung (Alterungsprozess)
(Arbeitsleben)
Fehlerrate

Lebenszyklus

Qualitäts- Ausfall durch


schwächen Abnutzung
Fehlerrate

Probleme durch Design-/


Entwicklungsschwächen

Zeit
Quelle: Harry/Lawson 1992, S. 1-4

Abb. 3: Die „Badewannenkurve“ der Produktzuverlässigkeit

Im Ergebnis laufen diese Erkenntnisse darauf hinaus, dass die Funktionsfähig-


keit eines Produktes nicht automatisch die Prozessfähigkeit der Produktherstellung
bedeutet und umgekehrt. Der entscheidende Ansatzpunkt für Verbesserungen in
der Produktentwicklung ist ein robustes Design, das die Grundlage für robuste
Produkte und gleichzeitig für robuste Prozesse bildet. „Robust“ steht dabei für ei-
ne geringe Ausfallwahrscheinlichkeit von Produkten im Produktlebenszyklus und
eine hohe Zuverlässigkeit (Fehlerfreiheit) der zugrunde liegenden Unternehmens-
prozesse. Die Robustheit von Produkten und Prozessen lässt sich im Unternehmen
indirekt, z.B. mit Hilfe von internen/externen Fehlerraten bzw. -quoten, messen.
Sie spiegelt sich außerdem im Sigma-Niveau des Outputs von Geschäftsprozessen
wider, das – in Abhängigkeit von Unternehmen, Branche und Six Sigma-Erfah-
rung – zwischen 3 und 6 Sigma liegt.
Aus Abbildung 4 ist ersichtlich, dass zum Erreichen eines hohen Sigma-Ni-
veaus der Einsatz traditioneller QM-Methoden auch in Verbindung mit Six Sigma-
Projekten im Allgemeinen nicht ausreicht. In Höhe eines „5-Sigma-Niveaus“ exis-
tiert die so genannte „5-Sigma-Wand“. Six Sigma-Projekte in verschiedenen Un-
ternehmen haben gezeigt, dass ein Sigma-Niveau zwischen 4 und 5 in einem rela-
tiv kurzen Zeitraum von 2 bis 3 Jahren erreichbar ist. Im Vergleich hierzu ist es
deutlich schwieriger, die „5-Sigma-Wand“ nach oben hin zu durchbrechen. Wenn
die Verbesserungen in anderen Wertschöpfungsphasen bereits umgesetzt wurden,
dann ist das Qualitätsniveau in Höhe von 6 Sigma i.d.R. nur über Six Sigma kon-
forme F&E-Prozesse zu realisieren und dies heißt mit DFSS.
74 Armin Töpfer, Swen Günther

Mit Design For Six Sigma

Die 5-Sigma-Wand
5
Sigma-Niveau

Mit traditionellen
Six-Sigma-Methoden
4

3
1 2 3 4 Jahre
Zeit
Quelle: Six Sigma Exchange Newsletter, 12/2000, S. 6

Abb. 4: Überwindung der 5-Sigma-Wand mit Hilfe von DFSS

Ziel von Design for Six Sigma ist es, Neuprodukte so zu entwickeln bzw. zu
konstruieren, dass möglichst wenige Abweichungen in Form von Fehlern und
Fehlerkosten auftreten. Ursächlich hierfür sind zum einen schlanke und damit ro-
buste Prozesse in der Entwicklung und Produktion, die nur zu einer geringen Ver-
schwendung führen. Zum anderen gehen hiervon oftmals auch weniger und gerin-
gere Abweichungen, also Fehler, aus.
Wie oben angesprochen, zählt zu den Fehlerkosten sowohl das Auftreten und
Beseitigen von Fehlern im Unternehmen (intern) als auch das Beheben von Feh-
lern beim Kunden in der Nutzungsphase (extern). DFSS steht damit für ein proak-
tives Qualitätsmanagement, das die Qualitätssicherungsaktivitäten in Produktion
und Absatz auf ein Mindestmaß reduziert. Durch den Charakter eines längerfristi-
gen Hebels wird gleichzeitig die Notwendigkeit und Anzahl von Six Sigma-
Projekten in den nachgelagerten Wertschöpfungsstufen minimiert. Während in der
Entwicklung mit der DFSS-Philosophie Fehler mit relativ geringem Aufwand
vermieden bzw. beseitigt werden können, stellen Six Sigma-Projekte in den fol-
genden Wertschöpfungsphasen eine i.d.R. kostenintensivere Variante der Fehler-
beseitigung dar. In Form eines reaktiven Qualitätsmanagements unterstützen sie
die kurzfristige „Reparatur“ und Verbesserung von Prozessen und Abläufen im
Unternehmen. Die wesentlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten von DFSS
und Six Sigma (-Projekten) sind in Abbildung 5 wiedergegeben.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 75

Design for Six Sigma (DFSS)


• Konzentriert auf (Neu-)Entwicklung von Produkten/ Prozessen
sowie Material/ Teile
• Optimales Design = Robustes Design als Innovation
• Erfüllen aller wesentlichen Kundenanforderungen (CTQs)
• Vermeiden von ungewollten Folgekosten vor allem in der Produk-
tion durch schlanke Prozesse ohne Verschwendung und Abwei-
chung; hier also direkter Bezug zu (Lean) Six Sigma

(Lean) Six Sigma


• Konzentriert auf Analyse + Verbesserung von Prozessen/ Abläufen
• Optimierung von Produktion/ Wertschöpfung
• Vollständige und wirtschaftliche Erfüllung der internen Unterneh-
mensanforderungen und externen Kundenanforderungen
• Vermeiden von Abweichungen/ Fehlerkosten in Prozessen sowie
Eliminieren von Verschwendung (Muda)

Abb. 5: Gegenüberstellung von Design for Six Sigma und (Lean) Six Sigma

1.2 DMAIC-Zyklus oder DMADV-Zyklus?

Alle Unternehmen, die sich für die Einführung von Six Sigma entscheiden, begin-
nen mit dem Training und der Anwendung des DMAIC-Zyklus (Define, Measure,
Analyse, Improve, Control), um zunächst die bestehenden Prozesse zu verbessern
(vgl. Töpfer 2007c, S. 217). Verläuft die Implementierung von Six Sigma erfolg-
reich, wird i.d.R. spätestens nach 2 Jahren auf Design for Six Sigma (DFSS) über-
gegangen, um neue Produkte und Prozesse gleich von Anfang an mit Null-Fehler-
Qualität zu erzeugen. Zu diesem Zweck greifen die meisten Six Sigma-Anwender
auf den DMADV-Zyklus (Define, Measure, Analyse, Design, Verify) zurück.
Aus der Unternehmenspraxis ist bekannt, dass zahlenmäßig auf ein Projekt, das
nach dem DMADV-Zyklus durchgeführt wird, bis zu 20 Six Sigma-Projekte kom-
men, die auf dem DMAIC-Zyklus basieren.1 Nach Bergbauer (2003, S. 42) gibt es
im Wesentlichen zwei Anwendungsfälle, bei denen das methodische Vorgehen
nach dem DMAIC-Zyklus nicht zum gewünschten Ergebnis führt:

1 Das Verhältnis von erfolgreich durchgeführten DMADV- zu DMAIC-Projekten variiert


von Unternehmen zu Unternehmen. In der praxisbezogenen Literatur finden sich deshalb
verschiedene Angaben hierzu. Während z.B. viele Experten von einem Verhältnis von 1
zu 20 ausgehen, werden nach der Analyse von Liu/ Wu (2006, S. 119) mind. 1/7 aller Six
Sigma-Projekte nach dem DMAIC-Zyklus durchgeführt.
76 Armin Töpfer, Swen Günther

• Ein völlig neues Produkt und/ oder ein komplett neuer Prozess ist zu entwi-
ckeln und einzuführen. Mithilfe der Methoden und Vorgehensweisen des
DMAIC-Zyklus ist es im Allgemeinen nicht möglich, Neuprodukte und neue
Prozesse so zu designen, dass sie die Vorgaben der Kunden von vornherein mit
Null-Fehler-Qualität erfüllen. Aus Prozesssicht empfiehlt sich die Anwendung
des DMADV-Zyklus genau dann, wenn der Prozess (a) nicht existiert, (b) nicht
durchgängig bzw. unterbrochen ist, (c) nicht robust ist und/ oder (d) mehrere
Nicht-Standard-Versionen des Prozesses vorliegen. Infolgedessen werden je-
weils gleich mehrere CTQs nicht erfüllt.
• Ein bestehender Prozess ist ausgereizt, d.h. er ist im Hinblick auf die Leis-
tungsfähigkeit an seine obere Grenze gestoßen. Diese liegt meistens auf einem
Qualitätsniveau von 5σ. Für eine weitere Verbesserung und damit die Durch-
brechung der „5σ-Wand“ bedarf es einer Neu-Modellierung/ -Entwicklung des
Prozesses. Lösungen, die im Zuge der Anwendung des DMAIC-Zyklus eruiert
worden sind, stellen sich im Nachhinein als unwirtschaftlich heraus, da die
prognostizierten Implementierungskosten den anvisierten Net Benefit überstei-
gen und damit aufzehren. In diesem Fall muss das Design des Prozesses grund-
sätzlich infrage gestellt werden.
In Abbildung 6 ist ein vereinfachter Entscheidungsbaum dargestellt, der dar-
über Auskunft gibt, unter welchen Bedingungen DFSS vorzugsweise zum Einsatz
kommen sollte. Wie ersichtlich ist, befindet sich der erste Entscheidungspunkt
unmittelbar nach Abschluss der Define-Phase. In Abhängigkeit davon, ob ein Pro-
zess vorhanden, d.h. definiert und umgesetzt, ist oder nicht, wird im Weiteren der
DMAIC- oder DMADV-Zyklus verfolgt.
Fällt die Entscheidung zugunsten des DMAIC-Zyklus aus, dann ergibt sich ein
zweiter Entscheidungspunkt am Ende der Analyse-Phase. Im Rahmen der Quanti-
fizierung der Möglichkeiten ist hier zu prüfen, ob die absehbare(n) Verbesse-
rung(en) in ihrer Höhe ausreichend sind oder nicht. Wenn die Verbesserungen nur
inkrementellen Charakter besitzen und demzufolge nicht ausreichen, um die ein-
gangs gesetzten Ziele zu erreichen, dann ist ein Rücksprung in die Measure-Phase
des DMADV-Zyklus im Allgemeinen unausweichlich. Die Vorgehensweise nach
dem DMAIC-Zyklus hat sich in diesem Fall als nicht angemessen für die Erzie-
lung von exponentiellen Verbesserungen2 herausgestellt.
Folgende Erkenntnis lässt sich zusätzlich festhalten: Der DMADV-Zyklus ist
grundsätzlich immer lean, da robustes Design, Prozesse ohne Verschwendung und
eine geringzahlige Versuchsplanung nach DOE sowie erfinderisches Problemlö-
sen mit TRIZ die Ziele sind.

2 Diese Art von Verbesserung zeichnet sich durch einen signifikanten Anstieg der Prozess-
leistung bzw. Produktperformance in kurzer Zeit aus.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 77

Define

DMAIC DMADV
ja Prozess nein
vorhanden?

Measure Measure

Analyse Analyse

Verbesserung nein Design


ausreichend?

ja Verify

Improve

Control Basis: Pyzdek 2003, S. 1

Abb. 6: Entscheidungsbaum zum Einsatz von DMAIC- und DMADV-Zyklus

2 DMADV-Zyklus als strukturierte Vorgehensweise im


Produktentstehungsprozess (PEP)

Analog zum DMAIC-Zyklus, wie er im vorstehenden Beitrag ausführlich behan-


delt worden ist, lässt sich für den DMADV-Zyklus ein Fragenkatalog konzipieren,
der die speziellen Anforderungen im F&E-Bereich berücksichtigt. In den fünf
Phasen werden dabei die folgenden Fragen schwerpunktmäßig behandelt:
1. Define: Welche Produktlösung ist veraltet/ nicht mehr wettbewerbsfähig?
2. Measure: Was sind die wesentlichen zukünftigen Kundenanforderungen?
3. Analyse: Wie lassen sich die Kundenanforderungen bestmöglich erfüllen?
4. Design: Was sind die konkreten Gestaltungsmerkmale des Produktes?
5. Verify: Wie gut erfüllt das Produkt die Kundenanforderungen in der Praxis?
78 Armin Töpfer, Swen Günther

Der phasenspezifische Ablauf sowie der Methodeneinsatz im Rahmen des


DMADV-Zyklus sind in Abbildung 7 im Überblick dargestellt.

Define
t Business Produkt- Marktanalyse
jek
Pro rter Case konzept
Projektumfang
a
Ch
Ziele und Marken- Ressourcen
Probleme treue
Projekt- Kommuni-
Verify Benchmarking kontrolle kation
Measure
Pilotierung + Implemen- Statistisches Forecasting Risikoma- Netzplan- Kunden Kunden-
tierung des Prozesses nagement technik • identifizieren bedürfnisse
Übergabe an Prozess- • segmentieren sammeln +
eigner • priorisieren analysieren
• Monitoring
CTQs bestimmen
• Reaktionsplan
Lasten-/ Pflichtenheft
• Dokumentation
Risiko abschätzen

Design Analyse
Detailliertes Design Detailliertes Design QFD + TRIZ Designkonzepte
entwickeln evaluieren bestimmen
• QFD • DOE • High Level Design • High Level Design
• Simultaneous • Komplexität entwickeln evaluieren
Engineering • Statistische Tolerierung • Komplexität redu- • FMEA
• Entscheidende CTQs • Zuverlässigkeit zieren • Target Costing
Implementierung vorbereiten • Outputsimulation • Kundenfeedback
• Konfigurationsmanagement durchführen
• Maschinenfähigkeitsanalyse (CTQs/ QFD)
© Prof. Dr. Armin Töpfer

Abb. 7: M+M Six Sigma DMADV-Zyklus

2.1 Define-Phase

Analog zur Define-Phase im DMAIC-Zyklus wird in Six Sigma-Entwicklungs-


projekten eine Projektcharter aufgestellt. In dieser werden u.a. (a) der Business
Case, also die aktuelle wirtschaftliche Lage/ Ausgangssituation, (b) die Probleme
und Ziele der geplanten Neuproduktentwicklung, (c) der Projektumfang und die
dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen sowie (d) die Rollen und Verantwort-
lichkeiten im Rahmen des einbestellten Projektteams beschrieben.
Darüber hinaus werden in die Projektcharter, wenn vorhanden, Benchmarking-
Daten aus der Marktanalyse/ -forschung aufgenommen. Diese helfen beim Ein-
grenzen des Projektumfangs, bei der Definition von Schnittstellen zu benachbarten
Prozessen und angrenzenden F&E-Projekten sowie beim Bestimmen der benötig-
ten Sach- und Finanzmittel für die Projektumsetzung.
Aufgrund der höheren Komplexität von Entwicklungsvorhaben wird neben der
Projektcharter ein Projektplan (Multi Generational Plan) erstellt, in dem – unter
Berücksichtigung des angestrebten Produktkonzeptes – der Projektumfang und der
Ressourcenbedarf im Detail geplant werden. Außerdem wird ein explizites Pro-
jektmanagement zur operativen Projektsteuerung und -kontrolle implementiert,
um den vorgesehenen Zeit- und Kostenplan tatsächlich einzuhalten.
Wesentliche Instrumente, die im Rahmen des Projektmanagements/ -control-
lings zur Anwendung kommen, sind die Netzplantechnik (PERT – Project Evalua-
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 79

tion and Review Technique) und die Meilensteinplanung (Gantt-Diagramm). Sie


zeigen die zur Realisierung eines Projektes wesentlichen Vorgänge und Ereignisse
sowie deren logische und zeitliche Abhängigkeiten auf.
Bei größeren F&E-Projekten ist es zudem ratsam, einen Kommunikationsplan
aufzustellen, in dem verbindlich festgelegt wird, welche Ergebnisse wie kommu-
niziert werden. Genauso bedeutsam ist die Implementierung eines fundierten Risi-
komanagements, da es vor allem bei DFSS darauf ankommt, durch Fehler im Ent-
wicklungsprozess entstehende Risiken möglichst schnell zu erkennen und bei ei-
nem Ausmaß über dem definierten kritischen Wert zu eliminieren.

2.2 Measure-Phase

Die Measure-Phase des DMADV-Zyklus beinhaltet drei Teilschritte, die systema-


tisch aufeinander aufbauen: Im ersten Schritt geht es um das Identifizieren, Seg-
mentieren und Priorisieren von Zielgruppen bzw. potenziellen Käufergruppen.
Nur wenn die Zielkunden eindeutig identifiziert werden können, ist das Aufstellen
eines präzisen Anforderungsprofils für das neue Produkt bzw. die neue Dienstleis-
tung gewährleistet. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass im Lasten-/ Pflichtenheft
für das neue (Dienstleistungs-)Produkt zu viele unterschiedliche Anforderungen
berücksichtigt werden und es dadurch „unscharf“ wird.
Entsprechend der Philosophie einer marktorientierten Unternehmensführung
wird hier versucht, Zielgruppen zu identifizieren, denen mit einer speziell zuge-
schnittenen Leistung Vorteile verschafft respektive angeboten werden können.
Dazu ist die Aufteilung des Gesamtmarktes in Untergruppen, also Marktsegmente,
notwendig, die hinsichtlich ihrer Marktreaktion innerhalb eines Segmentes homo-
gen, zwischen den Segmenten dagegen möglichst heterogen sind. Für die einzel-
nen Marktsegmente können dann gezielte Maßnahmenprogramme (Produkte/
Dienstleistungen) erarbeitet und umgesetzt werden (vgl. Töpfer 2007a, S. 50).
Als Analysemethoden stehen u.a. die Clusteranalyse und die Diskriminanzana-
lyse zur Verfügung. Beiden kommt als Strukturen entdeckenden bzw. prüfenden
Verfahren (vgl. Töpfer 2008b, S. 218) im Rahmen der Marktforschung eine her-
ausragende Stellung zu:
Mit der Clusteranalyse lassen sich unterschiedliche Zielgruppen, so genannte
Cluster, herausfiltern, wobei Objekte bzw. Personen anhand ausgewählter Merk-
male/ Eigenschaften zu intern homogenen und extern heterogenen Variablen- bzw.
Fallgruppen zusammengefasst werden. Die Ähnlichkeit der Gruppen wird mit ei-
nem vorher festgelegten Proximitätsmaß gemessen. Es wird eine Distanzmatrix,
z.B. nach quadrierter euklidischer Distanz, erstellt, aus der mithilfe hierarchischer
oder partitionierender Verfahren die Objekte/ Personen, die sich sehr ähnlich sind,
zu Gruppen zusammengefasst werden.3

3 Die Festlegung der Cluster-Anzahl erfolgt in Abhängigkeit vom Anstieg der Distanzwer-
te. Nach dem Elbow-Kriterium wird die Clusterung an der Stelle abgebrochen, an der der
Anstieg am größten ist (vgl. Backhaus et al. 2006, S. 534f.).
80 Armin Töpfer, Swen Günther

Zur Überprüfung der Ergebnisse einer Clusteranalyse kann zusätzlich eine Dis-
kriminanzanalyse durchgeführt werden. Bei dieser wird ein Vorhersagemodell
entwickelt, auf Basis dessen sich die Gruppenzugehörigkeit anhand der beobachte-
ten Eigenschaften einzelner Fälle prognostizieren lässt. Voraussetzung hierfür ist
die Erzeugung einer oder mehrerer Diskriminanzfunktionen, und zwar aufgrund
der Linearkombinationen der Einflussvariablen, welche die beste Diskriminanz,
also Abgrenzung, zwischen den einzelnen Gruppen ergeben (vgl. Backhaus et al.
2006, S. 156ff. und S. 490ff.).
Nachdem die wichtigste(n) Kundengruppe(n) identifiziert worden ist (sind),
werden in einem zweiten Schritt die Kundenbedürfnisse dieser Zielgruppe(n) ge-
sammelt und analysiert. Da bei einer Neuproduktentwicklung häufig die Annahme
zutrifft, dass der Informationsbedarf des Unternehmens deutlich größer ist als bei
einer Produktverbesserung, kommt eine erweiterte VOC-CTQ-Analyse zum Ein-
satz. Für die Übersetzung der „Stimme des Kunden“ in die „Sprache des Ingeni-
eurs“ wird in DFSS-Projekten häufig auf die Methode des Quality Function
Deployment (QFD) zurückgegriffen.4 Dabei soll in möglichst kurzer Zeit eine in-
tegrierte Produktentwicklung für kundengerechte, qualitativ hochwertige Produkte
und Dienstleistungen durchgeführt werden (vgl. Hauser/ Clausing 1988, S. 73).
Voraussetzung hierfür ist, dass alle wichtigen Kundenanforderungen erkannt, ge-
wichtet und in technische Produktspezifikationen umgesetzt werden.
Neben der Ermittlung/ Ableitung erweist sich insbesondere die zutreffende Ge-
wichtung (Priorisierung) der Kundenanforderungen als wesentliche Vorausset-
zung für eine kundenorientierte Produktentwicklung. Anders als bei der oben be-
schriebenen VOC-CTQ-Analyse erfolgt die Gewichtung im Rahmen des
DMADV-Zyklus explizit und theoriebasiert. Konkret bedeutet dies, dass für die
Bewertung und Priorisierung von Kundenbedürfnissen/ -anforderungen bekannte
Klassifizierungsmodelle aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften herange-
zogen werden. Zu nennen sind hier vor allem die Kundenbedürfnisklassifizierung5
auf der Basis von Abraham H. Maslow (1954) sowie das Kundenzufriedenheits-
modell nach Noriaki Kano (1984), welches eine direkte Verbindung zwischen
Kundenanforderung und Kundenzufriedenheit herstellt.
Den instrumentellen Kern von QFD bildet das Aufstellen des so genannten
House of Quality (HoQ). Dabei handelt es sich um eine Beziehungsmatrix, in der
die aus Kundensicht wesentlichen Kundenanforderungen den aus Unternehmens-
sicht wesentlichen Produktmerkmalen gegenübergestellt werden (vgl. Saatweber
1997, S. 35). Durch die Ermittlung von (subjektiven) Korrelationswerten wird der
Zusammenhang zwischen der artikulierten Kundenanforderung und dem techni-

4 Nach dem japanischen Qualitätsmanagement-Experten, Yoji Akao, dem „Ur-Vater“ von


QFD, wird darunter die gezielte Planung und Entwicklung der Qualitätsfunk-tionen eines
Produktes/ einer Dienstleistung entsprechend der vom Kunden geforderten Qualitäts-
merkmale verstanden (vgl. Akao 1992, S. 15).
5 Die Bedürfnispyramide nach Abraham H. Maslow ermöglicht die Einordnung von Kun-
denbedürfnissen in Motivklassen. Mit steigender Hierarchie/ Bedeutung werden hier
Grund-, Sicherheits-, Sozial-, Wertschätzungs- und Selbstverwirklichungs-Bedürfnisse
unterschieden.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 81

schen Produktmerkmal objektiviert. Die Summe der mit den Kundenanforderun-


gen gewichteten Korrelationswerte ergibt die Gewichtung pro Produktmerkmal.
Wie in Abbildung 8 nachvollziehbar ist, wird in dem erarbeiteten HoQ – nach
der Erfassung (1) und Gewichtung (2) der Kundenanforderungen – die konkrete
Umsetzung in den Produkten mit maßgeblichen Wettbewerbern verglichen (3). Zu
Grunde liegt diesem Benchmarking die Wahrnehmung durch Kunden. Auf der Ba-
sis dieser Informationen werden jetzt technische Anforderungen als Konstrukti-
onsmerkmale abgeleitet (4), in ihren Ausprägungen in einer Beziehungsmatrix be-
stimmt (5) sowie in ihren positiven oder negativen Abhängigkeiten präzisiert (6).
Danach erfolgt der technische Vergleich mit den Ausprägungen in Wettbewerbs-
produkten (7) sowie anschließend eine technische und wirtschaftliche Bewertung
(8). Sie ist vor allem auf Verbesserungsmöglichkeiten ausgerichtet. Die Bewer-
tungsergebnisse bezogen auf technische Schwierigkeiten, beigemessene Wichtig-
keit und geschätzte Kosten führen dann zu konkreten Zielvorgaben (9), um die
Kundenanforderungen möglichst besser und kostengünstiger als der Wettbewerb
zu erfüllen.

Abhängigkeits-
6 analyse
(Wie beeinflussen sich die
einzelnen Konstruktionsmerkmale?)
Technische Anforderungen/Konstruktionsmerkmale
1 2 4 (Wie setzen wir die Kundenanforderungen
technisch um?) 3
Kundenwahrnehmung/
Kundenan-
forderungen Gewichtung
(Wie wichtig
5 Ausprägung/Beziehungsmatrix
(In welchem Ausmaß können die Kunden-
Konkurrenzvergleich
(Benchmarking)
(Was verlangt (Wie gut sind wir im Vergleich
ist es?) anforderungen realisiert werden?)
der Kunde?) zu den Wettbewerbern?)
Maßeinheiten Technischer Vergleich
Maßstäbe
Objektive

(Wie schneiden wir tech-


Eigenes Produkt/
Konkurrenzprodukt
nisch im Detail gegenüber 7
Wettbewerbern ab?)
Techn. Schwierigkeiten Technische und wirtschaft-
Gewich-
Techn.

tung

liche Bewertung
Beigemessene
Wichtigkeit
(Wie werden die Verbes-
serungsmöglichkeiten
8
bewertet?)
Gewich-
Wirtsch.

Geschätzte
tung

Maßnahmenpriorität
Kosten (Welche Verbesserungen
wollen wir zuerst 9
Zielvorgaben realisieren?)

Ziel/Wirkung:
Ziel/Wirkung: o Mehr
Mehr Klarheit
Klarheit
o Erkennen
Erkennen von
von Informationsdefiziten
Informationsdefiziten
o Bessere
Bessere Kommunikation,
Kommunikation, auch
auch mit
mit internen/externen
internen/externen Kunden
Kunden
o Zielgerichtetes
Zielgerichtetes Handeln
Handeln

Abb. 8: Umsetzung von Kundenanforderungen mit extern und intern gerichteten Kennzah-
len im House of Quality von QFD

2.3 Analyse-Phase

Die Produktmerkmale, die im Rahmen der Measure-Phase spezifiziert worden


sind, werden in der Analyse-Phase zunächst einer Abhängigkeitsanalyse unterzo-
gen. Dabei wird geklärt, inwieweit sich die einzelnen Produktmerkmale bei der
82 Armin Töpfer, Swen Günther

Erfüllung der Kundenanforderungen gegenseitig – positiv oder negativ – beein-


flussen. Die Korrelationen werden in einer separaten Matrix, im „Dach“ des HoQ,
visualisiert. Folgt man dem standardmäßigen QFD-Vorgehen, dann sind im Wei-
teren Designkonzepte zu bestimmen, welche die zuvor ermittelten Zielvorgaben
für die Produktmerkmale möglichst gut erfüllen (vgl. DGQ 2001b, S. 17f.).
Dieser Schritt ist notwendig, um die Suche potenzieller Produktlösungen nicht
von vornherein (zu stark) einzuschränken. Das methodische Vorgehen besteht dar-
in, dass die aus technischer und wirtschaftlicher Sicht bewerteten Produktmerkma-
le an den zur Auswahl stehenden Komponenten respektive Komponentenmerkma-
len gespiegelt werden. Durch die Kombination verschiedener Bauteile und Kom-
ponenten lassen sich i.d.R. eine Reihe von alternativen Produktkonzepten entwi-
ckeln. Da der Spezifikationsgrad in diesem Entwicklungsstadium noch relativ
grob ist, spricht man hier auch vom Entwurf so genannter „Designs auf hoher E-
bene“ bzw. von „High Level-Designs“ (vgl. Töpfer/ Günther 2007, S. 107f.).
Um innovative Designs/ Problemlösungen zu erhalten, werden häufig Kreativi-
tätstechniken, z.B. Brainstorming/ -writing, und Erfindungsmethoden, z.B. TRIZ –
Theorie des erfinderischen Problemlösens, eingesetzt. Mithilfe von TRIZ als wi-
derspruchsorientierter Innovationsstrategie lassen sich u.a. erkannte technische
Widersprüche in der Beziehungsmatrix des HoQ beheben. Dabei umfasst TRIZ
eine Reihe von Erfindungs- und Entwicklungsmethoden, und zwar in den Katego-
rien Systematik, Wissen, Analogie und Vision (vgl. Herb et al. 2000, S. 56).
Durch TRIZ, das auf den russischen Flugzeugingenieur Genrich S. Altschuller
(1926-1998) zurückgeht, soll das bisher oft unsystematische Vorgehen bei der Su-
che nach innovativen Lösungen durch einen strukturierten Denk- und Kreativi-
tätsprozess ersetzt werden.6 Der Einsatz von TRIZ in Zusammenhang mit Six Sig-
ma wird seit langem propagiert (vgl. z.B. Averboukh 2004); jedoch steht eine sys-
tematische Integration in den DMADV-Zyklus noch aus.
Die erstellten Designvorschläge auf hoher Ebene sind im Anschluss hinsicht-
lich ihrer Erfüllung von kritischen Qualitätsmerkmalen sowie ihrer wirtschaftli-
chen Umsetzbarkeit zu überprüfen. Im Rahmen eines Design-Reviews werden die
ermittelten High Level-Designs unter verschiedenen Blickwinkeln evaluiert. Die
wirtschaftliche Bewertung beinhaltet das Einholen von Kundenfeedbacks und das
Erstellen eines Zielkostenkontrolldiagramms. In diesem werden die derzeit prog-
nostizierten Kostenanteile (Drifting Costs als Ist-Kosten) der für das High Level-
Design vorgesehenen Komponenten/ Bauteile den aus heutiger Sicht zulässigen
Kostenanteilen (Allowable Costs als Zielkosten) gegenübergestellt. Die zulässigen
Kostenanteile spiegeln das Zielkostenniveau wider und stimmen mit den Nutzen-
beiträgen, den eine Produktkomponente aus Kundensicht besitzt, überein.
Für die Ermittlung der Nutzenbeiträge und Zielkosten gibt es zwei aus der
Marktforschung bekannte Vorgehensweisen. Zum einen werden mithilfe der Con-
joint-Analyse ausgehend von mehreren, in eine Rangordnung gebrachte High Le-

6 Auf der Basis der Analyse von über 2,5 Mio. Patenten, kam Altschuller zu der Erkennt-
nis, dass erfolgreiche Erfindungen auf sehr ähnlichen Denkstrategien beruhen. Dadurch
ist es möglich, jede Idee/ Erfindung durch universelle Grundregeln zu erklären und den
Prozess zur Generierung neuer (verbesserter) Produkte gezielt zu steuern.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 83

vel-Designs bauteilspezifische Nutzenanteile ermittelt, welche die relative Wich-


tigkeit eines Bauteils/ einer Komponente widerspiegeln. Zum anderen wird im
Rahmen des Target Costing (Zielkostenplanung) ein Zielkostenindex (ZI) ermit-
telt, der nachvollziehbar macht, ob ein Bauteil/ eine Komponente bei gegebenem
Nutzenbeitrag „zu aufwändig“ (ZI < 1), „zu einfach“ (ZI > 1) oder „genau richtig“
(ZI = 1) gestaltet worden ist (vgl. Deisenhofer 1993, S. 104).
Die technische Bewertung der Designvorschläge läuft im Wesentlichen auf eine
Abschätzung der Komplexität und des Risikos bezogen auf den Herstellprozess
und die Nutzungsphase hinaus.7 Die Komplexität kann im Vorfeld der Einführung
neuer Produkte und Prozesse in erster Linie über die Ermittlung potenzieller Feh-
lermöglichkeiten (OFD) abgeschätzt werden. Eine gezielte Fehlervorbeugung lässt
sich durch die Anwendung einer Failure-Mode- and -Effect-Analysis (FMEA) er-
reichen (vgl. Bertsche/ Lechner 2004, S. 106ff.). Als präventive QM-Methode
hilft sie, mögliche Fehler und deren Folgen in Form von Risiken frühzeitig zu er-
kennen.8 Die Schwere der Fehlerfolgen wird durch die Berechnung einer Risiko-
prioritätszahl (RPZ) ermittelt. Dazu ist mit Hilfe von Punktzahlen zwischen 1 und
10 jeder Fehler nach Auftritts- und Entdeckungswahrscheinlichkeit sowie Bedeu-
tung seiner Folgen zu bewerten. Durch Multiplikation der Einzelpunktzahlen er-
gibt sich die RPZ als objektivierter Risikomaßstab.

2.4 Design-Phase

In der Design-Phase steht die Detaillierung des Produkt- und Prozessdesigns auf
der Basis des favorisierten High Level-Designs aus der Analyse-Phase im Vorder-
grund. Mithilfe von QFD wird die Übertragung der „Stimme des Kunden“ in die
technische Produkt- und Prozessgestaltung weiter fortgesetzt. Die Anwendung
von QFD bezieht sich insb. auf die Transformation der im 2. HoQ ermittelten
Komponentenmerkmale in Prozessmerkmale. Über einen iterativen Prozess wer-
den so die Kundenanforderungen auf die Konstruktion, die Prozess- und Produkti-
onsplanung übertragen (siehe Abb. 9). Ziel ist es, eine hinsichtlich manueller oder
(teil-) automatisierter Montage optimierte Produktgestalt einschließlich des Pro-
duktaufbaus zu entwerfen. Im Sinne eines Design for Manufacturing and As-
sembly (DFMA) soll nicht nur die generelle Herstellbarkeit, sondern auch die ein-
fache und fehlerfreie Montage des Produktes im Serienprozess gewährleistet wer-
den.

7 Zu diesem Zweck sind klare Schnittstellen zwischen Systemen und Subsystemen wie
Baugruppen und Bauteilen zu definieren (vgl. Schurr 2002, S. 247).
8 Nach den beiden Kriterien Anwendungszeitpunkt und Untersuchungsobjekt können drei
Arten von FMEA’s unterschieden werden. So begleitet die System-FMEA die Gesamt-
konzeptphase, die Konstruktions-FMEA die Produktentwurfsphase und die Prozess-
FMEA die Fertigungsplanungsphase (vgl. DGQ 2001a, S. 26). Die Durchführung einer
ganzheitlichen System-FMEA läuft standardmäßig in fünf Schritten ab und führt zu
nachhaltigen Kostensenkungen (vgl. Sponner et al. 2000, S. 1279).
84 Armin Töpfer, Swen Günther

Konstruktions- Teile- Grundlegende Produktions-


merkmale merkmale Betriebsabläufe erfordernisse

Konstruktionsmerkmale
Kundenanforderungen

Betriebsabläufe
Teilemerkmale

Grundlegende
I. II. III. IV.

House of Quality Entwicklung der Arbeitsvorbereitung Fertigungsplanung


Einzelteile
Über einen
einen iterativen
iterativen Prozess
Prozess werden
werden die Kundenanforderungen
Kundenanforderungen
auf
auf Konstruktion, Prozess-
Prozess- und
und Produktionsplanung
Produktionsplanung übertragen
übertragen
Quelle: Hauser/Clausing 1988, S. 73

Abb. 9: Verknüpfung der „Houses of Quality“ in den verschiedenen Phasen des QFD-
Prozesses

Die Entwicklung eines robusten Designs, das als Ziel die Kundenanforderungen
bestmöglich erfüllt und sich gleichzeitig wirtschaftlich erstellen lässt, erfordert je-
doch neben dem „qualitativen Instrument“ QFD den Einsatz von DOE (Design of
Experiments). Dadurch können die funktionalen Abhängigkeiten und Wechselwir-
kungen zwischen Produkt- und Komponentenmerkmalen sowie zwischen Kompo-
nenten- und Prozessmerkmalen offen gelegt werden. Das Vorgehen entspricht im
Wesentlichen der Versuchsplanlogik, wie sie im DMAIC-Zyklus angewendet
wird. Allein die Screening-Versuche können entfallen, da die wesentlichen Ein-
flussgrößen bereits im Deployment-Prozess ermittelt worden sind.
Dem „quantitativen Instrument“ DOE kommt aber nicht nur bei der Entwick-
lung, sondern auch bei der Evaluierung des detaillierten Designs eine herausra-
gende Bedeutung zu. So wird z.B. die Reaktionsflächen-Methodik (RSM) dazu
genutzt, um den Einfluss verschiedener metrischer Faktoren (Komponentenmerk-
male) auf die Ergebnisvariable (Produktmerkmal) im Bereich der Zielspezifikation
zu überprüfen. Die Information über den funktionellen Zusammenhang in dieser
Region ist hilfreich, um einerseits die Komponentenmerkmale optimal auszulegen
und andererseits die Merkmalsausprägung statistisch zu tolerieren.
Die Toleranzfestlegung ist eine der Hauptaufgaben im Rahmen des DFSS-Pro-
zesses. Denn um ein robustes Design zu erreichen, müssen die Produktmerkmale/
Prozessergebnisse einen geringen Toleranzbereich aufweisen und relativ unemp-
findlich gegenüber Schwankungen der Einflussfaktoren sein, die sowohl er-
wünschter als auch unerwünschter Natur sein können. Unerwünschte Einflussgrö-
ßen werden von Taguchi als Rauschfaktoren (Noise) bezeichnet, erwünschte als
Signalfaktoren (Signal). Daher geht es darum, den S/N-Wert als Verhältnis von
Signal- zu Rauschleistung zu maximieren.
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 85

Im Ergebnis der Design-Phase werden für Produkt-, Komponenten- und Pro-


zessmerkmale so genannte Design Scorecards entwickelt, in denen die Soll-Werte
für Mittelwert (Lage) und Standardabweichung (Streuung) aller relevanten Merk-
male dokumentiert sind. Darüber hinaus werden, soweit möglich, Angaben zur
Prozessfähigkeit (Cpk-Wert) sowie zur Prozessausbeute (RTY-Wert) je Steue-
rungsgröße gemacht. Für das Qualitätsniveau, das auf jeder Stufe des Deploy-
ment-Prozesses erreicht werden soll, wird der σ-Wert angegeben. Für die Robust-
heit einer Komponente bzw. eines Prozesses ist der S/N-Wert zu berechnen.
Schließlich wird die Zuverlässigkeit9 der ausgewählten Komponenten über die
charakteristische Lebensdauer dokumentiert. Sie wird über die bekannte Weibull-
Verteilung10 ermittelt und beschreibt die durchschnittliche Lebensdauer, in der
63,2% aller produzierten Bauteile ausgefallen sind (vgl. Bertsche/ Lechner 2004,
S. 259).

2.5 Verify-Phase

In der letzten Phase des DMADV-Zyklus wird mit der Pilotierung des neugestal-
teten Prozesses begonnen. Ziel ist es, die Leistungsfähigkeit des neuentwickelten
Produkts bei Serienfertigung zu überprüfen. Fallen die Testergebnisse des Vorse-
rienbetriebs positiv aus, wird mit der Implementierung/ Umsetzung im Tagesge-
schäft begonnen. Andernfalls ist über eine Modifizierung des Produktkonzeptes
nachzudenken und u.U. ein Rücksprung in die Analyse-Phase notwendig.
Die Überführung der erarbeiteten Lösung in die Arbeitsvorbereitungs- und Pro-
duktionsphase erfordert eine Reihe von begleitenden Aktivitäten. Über eine Ma-
schinenfähigkeitsanalyse muss beispielsweise abgesichert werden, dass mit den
vorhandenen Maschinen das geforderte Qualitätsniveau tatsächlich erreicht wird.
Ist dies nicht gegeben, sind ggf. neue Maschinen/ Werkzeuge zu beschaffen oder
andere Herstellverfahren zu wählen. Weiterhin ist durch eine Messsystemanalyse
(Gage R&R) sicherzustellen, dass alle verwendeten Serienmessmittel und -
methoden eine hinreichende Genauigkeit und Zuverlässigkeit besitzen. Erst unter
dieser Voraussetzung können Kontroll-/ Prüfpläne für die Fertigung und Montage
sowie für Zulieferteile aufgestellt werden.
Für alle kritischen Qualitätsmerkmale (CTQs), die in den Design Scorecards
enthalten sind, werden geeignete Messgrößen definiert und anschließend mittels
Statistischer Prozessregelung (SPC) überwacht. Durch Regelkarten wird eine kon-
tinuierliche Überwachung der Prozessstreuung und -fähigkeit bezogen auf die Ein-

9 Wie die Zuverlässigkeit von Bauteilen, Komponenten und Systemen mithilfe der Six
Sigma-Methodik systematisch erhöht werden kann, zeigen u.a. Kumar et al. (2006). In
ihrem Buch „Reliability and Six Sigma“ gehen sie vor allem auf die statistischen Grund-
lagen zur Optimierung der charakteristischen Lebensdauer etc. ein.
10 Auf der Basis der von Waloddi Weibull (1951) entwickelten Verteilungsfunktion kann

das Ausfallverhalten von seriellen Systemen, z.B. Produkte in der Nutzungsphase oder
Maschinen im Produktionsprozess, prognostiziert werden. Der Verlauf der Funktion ent-
spricht der in Abb. 3 dargestellten „Badewannenkurve“.
86 Armin Töpfer, Swen Günther

haltung der CTQs im Serienprozess sichergestellt. Analog zum DMAIC-Zyklus


werden Prozessanweisungen und -dokumentationen erstellt, die dem Prozesseig-
ner nach Abschluss des Projektes übergeben werden.
In diesen dokumentierten Prozessanweisungen sind auch Reaktionspläne ent-
halten, die dem Prozesseigner (Champion) anzeigen, was zu tun ist, wenn der Pro-
zess außer Kontrolle gerät und die definierten Warn-/ Eingriffsgrenzen verletzt.
Das Konfigurationsmanagement sowie die Bestimmung von Produktions-/ Ar-
beitsmitteln wird ebenfalls durch ein HoQ im Rahmen des QFD unterstützt. Da-
durch wird eine systematische und durchgängige Übertragung der Kundenanforde-
rungen in die operativen Betriebsabläufe (Arbeitsvorbereitung/ Fertigungspla-
nung) gewährleistet.
Für die praktische Umsetzung von DFSS-Projekten ist generell ein Simultane-
ous Engineering zu verfolgen. Denn durch eine ständige Zusammenarbeit von In-
genieuren und Kaufleuten über die gesamte Projektlaufzeit können die Kundenan-
forderungen am besten in innovative Produktlösungen übersetzt werden. Insbe-
sondere zu Beginn des Entwicklungsprozesses ist es entscheidend, dass die
„Stimme des Kunden“ (VOC) unverfälscht sowohl aus Sicht des Marketings als
auch aus Sicht der Entwicklung gehört und verstanden wird. Denn die Qualität der
Eingangsgrößen ist maßgeblich für die Qualität der Ausgangsgrößen. Ansonsten
gilt: „Garbage in, Garbage out“. Bei der Anwendung von QFD kommt hinzu, dass
fehlerhafte Eingangsgrößen in Form falscher Kundenanforderungen sich im Ver-
lauf der Erstellung mehrerer Beziehungsmatrizen (HoQs) zu „hochgradig“ fehler-
haften Ausgangsgrößen potenzieren können. Dies führt dann u.U. zu schlechteren
Ergebnissen als ohne die explizite Methodenanwendung.

3 Erzielbare Wirkungen durch schlanke und wirtschaft-


liche Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess

Wichtige Wirkungen bzw. Wirkungsbereiche durch Null-Fehler-Qualität im Ent-


wicklungsprozess sind bereits im 1. Kapitel dieses Artikels angesprochen worden.
In diesem Kapitel wollen wir – auf der Grundlage des DMADV-Zyklus – die fol-
genden drei positiven Wirkungen von DFSS hervorheben:
1. Förderung von Innovationen in der Produktentwicklung
2. Senkung von Qualitätskosten in der Produktion und dem Vertrieb
3. Erhöhung des Wertbeitrages (EVA) für das Unternehmen

3.1 Förderung von Innovationen in der Produktentwicklung

Für jedes Unternehmen sind Innovationen wichtig, um die zukünftige Marktposi-


tion und den Erfolg des Unternehmens durch z.B. technologisch und/ oder in der
Umsetzung der Kundenanforderungen bessere Produkte sicherzustellen. Strate-
gisch ist diese Aussage jeweils zutreffend, bezogen auf das Qualitätsmanagement
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 87

birgt sie jedoch zugleich ein Risiko. Denn jede Innovation, die ein besseres Pro-
dukt hervorbringen will, birgt die Gefahr in sich, dass der neue oder veränderte
Wertschöpfungsprozess nicht bzw. noch nicht auf einem fehlerfreien Niveau be-
herrscht wird. Diese Ausgangssituation ist in Abbildung 10 unter der Ziffer (1)
dargestellt (vgl. Töpfer/ Günther 2007, S. 105ff.).
Im Magischen Dreieck von Qualität – Zeit – Kosten führt dann der nicht aus-
reichend beherrschte Prozess dazu, dass das innovative Produkt eine hohe Fehler-
und oftmals Ausschussrate aufweist (2). Durch die notwendigen Nachbesserungen
werden zusätzliche Zeit verbraucht und die Kosten nach oben getrieben (3). De-
sign for Six Sigma ist dann der Hebel, um die Innovation so zu planen und umzu-
setzen (4), dass die Prozessqualität von Anfang an hoch und im Weiteren auch die
Produktqualität gesichert ist (5). Beides hat eine positive Auswirkung auf den Ver-
brauch an Zeit und die Höhe von Kosten (6).

Qualität Qualität
Prozess Produkt Prozess Produkt
+
1 3 2 3

Innovation Innovation

Zeit Kosten Zeit Kosten

Qualität + Gefahr:
Prozess Produkt
6
+
6 o Innovation = Veränderung
Abweichung
+ 4 +
Innovation o Abweichung Zeit- und
Kostentreiber
Zeit Kosten
o Vermeidung durch DFSS

Abb. 10: Auswirkungen einer Innovation im Produkt/ Prozess

3.2 Senkung von Qualitätskosten in der Produktion und dem


Vertrieb

Die auf die Qualitätskosten bezogenen Wirkungen durch den Einsatz von Design
for Six Sigma führen insbesondere dazu, dass die Kosten für die Fehlerbeseitigung
drastisch abnehmen, Prüfkosten ebenfalls sinken, ggf. aber Kosten der Fehlerver-
meidung zumindest in den ersten Perioden nach der Einführung von DFSS stei-
gen. Erfahrungsgemäß ist jedoch insgesamt das Niveau der Qualitätskosten um bis
zu einem Drittel geringer als ohne DFSS.
88 Armin Töpfer, Swen Günther

Wie Abbildung 11 verdeutlicht, lässt sich die so genannte 5-Sigma-Wand auch


mit dem DMAIC-Zyklus „überspringen“. Der Preis dafür ist allerdings sehr hoch,
denn das höhere Sigma-Niveau wird durch deutlich ansteigende qualitätsbezogene
Kosten „erkauft“. Sie sind in Six Sigma-Projekten zwar keine Fehlerkosten, aber
zu hohe Kosten für die damit erreichbaren Wirkungen. Im Gegensatz hierzu lassen
sich durch den Einsatz von DFSS/ DMADV diese qualitätsbezogenen Kosten
noch reduzieren. Der Grund liegt darin, dass ein höheres Sigma-Niveau durch
neue Lösungskonzepte für das definierte Problem erreicht wird.
In der Abfolge werden also in „Feuerwehraktionen“ zunächst gravierende Prob-
leme erkannt und deren negative Auswirkungen beseitigt. In einer zweiten Stufe
folgen auf diese Six Sigma-Projekte zur Beseitigung von Fehlerkosten „Brandver-
hütungsmaßnahmen“. Durch die Reduzierung der Komplexität und Vermeidung
von Wertabfluss bereits in F&E, geht mit der Anwendung von Design for Six
Sigma eine prophylaktische Fehlerverhütung einher.

Qualitäts-
bezogene Eine
Eine Qualitätssteigerung
Qualitätssteigerung über
über 5-
5-
Kosten Sigma
Sigma bei
bei gleichzeitiger
gleichzeitiger Reduzie-
Reduzie-
(normiert) rung
rung der
der qualitätsbezogenen
qualitätsbezogenen
100 Kosten
Kosten ist
ist nur
nur mit
mit DFSS
DFSS möglich
möglich
90

80 5-Sigma-Wand
70

60 Six Sigma DMAIC


50

40

30

20
DFSS/ DMADV
10

Sigma-
1σ 2σ 3σ 4σ 5σ 6σ 7σ
Niveau
Basis: Kiemele, M.J. (2003): Using the DFSS Approach, Air Academy Associates NDIA Test and Evaluation Summit, B.C. 2003

Abb. 11: Qualitätskostenverlauf mit/ ohne DFSS

Ob DFSS eingeführt wird, ist eine strategische Entscheidung, die auf der Ebene
der Unternehmensleitung gefällt werden muss. Hierzu ist zunächst einmal erfor-
derlich, dass das obere Management die Philosophie, die Inhalte und die Wirkun-
gen von DFSS kennt und im Detail nachvollziehen kann. Ist dies der Fall, dann ist
die Entscheidung insbesondere bei technologisch anspruchsvollen Produkten prä-
determiniert. Dies gilt vor allem dann, wenn sich das Unternehmen Marktanforde-
rungen gegenüber sieht, die qualitativ hochwertige Produkte, ein effizientes Kos-
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 89

tenmanagement mit dem Ziel einer überdurchschnittlichen Preis-Leistungs-Rela-


tion sowie eine exzellente Wertschöpfung und Vermarktung erforderlich machen.
Design for Six Sigma mit den ausgeführten Instrumenten ist dann ein Hebel mit
großer Wirkungskraft, um auf der Basis der CTQs – wie in Abbildung 12 darge-
stellt – die internen Werttreiber zu erkennen und zu gestalten, darauf basierend die
externen Erfolgsfaktoren abzuleiten und zur Geltung zu bringen sowie insgesamt
Wertgeneratoren, in Form von Umsatz- und Renditesteigerung, für einen positiven
Geschäftswertbeitrag (EVA) zur Steigerung des Unternehmenswertes freizuset-
zen. Dies ist zugleich ein Erfolgsmuster, das bei zunehmend internationalisierten
oder globalen Unternehmen auf unterschiedliche Weltmarktregionen und Märkte
übertragbar ist.

Werttreiber Erfolgsfaktoren
- intern - - extern -

Gestaltungsmethoden
VOC/ CTQs/ Conjoint
Analyse/ QFD/ FMEA
Target Costing
TRIZ

Wertgeneratoren
- intern/extern -
Positiver Geschäftswertbeitrag
Economic Value Added (EVA)

Strategische Kernkompetenzen ermöglichen,


Erfolgskonzepte auf neue Märkte zu übertragen

Abb. 12: Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele

3.3 Erhöhung des Wertbeitrages (EVA) für das Unternehmen

Ein positiver Geschäftswertbeitrag durch (Lean) Six Sigma- respektive Design for
Six Sigma-Aktivitäten ist dann gegeben, wenn sich der Economic Value Added
(EVA) nachweislich positiv verändert. EVA ist ein bestandsgrößenorientiertes
Übergewinnkonzept, das – absolut gesehen – den Gewinn pro Periode nach Eigen-
und Fremdkapitalkosten ausweist (vgl. Töpfer 2006, S. 385 ff.). In Abbildung 13
sind die generellen funktionalen Zusammenhänge zur Beeinflussung des EVA
nachvollziehbar. Der Betrachtung liegt die Annahme zugrunde, dass im Unter-
nehmen Qualitätsdefizite aufgetreten sind, die zu internen und externen Fehlerkos-
ten geführt haben sowie zu Umsatzeinbußen am Markt.
90 Armin Töpfer, Swen Günther

Economic Value Added (EVA)

Operatives - Kapital-
Ergebnis kosten

Auf- Betriebsnotwendiges Kapital Gewichteter


Erträge - wendungen (Capital Employed) x durchschnittlicher
Kapitalkostensatz
! Kundenunzu- ! Zusätzliche (WACC)
friedenheit Kosten durch
Krisenbe-
! Kaufzurück- wältigungs-
haltung der Operatives Operatives Erwartete Fremd-
maßnahmen
Kunden (Kulanz, Anlage- + Netto-Umlauf- Eigenkapital- kapital-
! Weniger positive Rückrufe, vermögen vermögen verzinsung kostensatz
Mund-zu-Mund- Wandlung, etc.) ! Zusätzlicher ! Größere (Eigenkapital- ! Höhere
Kommunikation Maschinen- Vorratshaltung/
! Höhere kostensatz) Fremdkapital-
! Kein/ geringeres Personalkosten bedarf für Fehler- Lager nötig wegen
kosten durch
Cross-Selling durch Fehler- beseitigung Quali- ! Höhere schlechteres
beseitigungs- tätsproblemen geforderte
! Kundenab- ! Zusätzliche Rating
teams Gebäudeteile für ! Höhere liquide Verzinsung des
wanderung Eigenkapitals
! Sinkende Liefe- Fehler- Mittel erforderlich
beseitigungs- zur Finanzierung wegen hoher
rantenkredite/
teams der Qua- Risiken
-zahlungsziele
litätsprobleme
! Höhere x x
Marketingkosten
(Image wie-
Eigen- Fremd-
derherstellen) kapitalanteil kapitalanteil
Basis: Venohr 1994, Coenenberg/ Salfeld 2003, S. 153, 173

Abb. 13: Auswirkungen von Fehlerkosten auf die Unternehmensziele

Bei nicht beseitigten Fehlerkosten geht von bestehenden Qualitätsmängeln ein


doppelter negativer Effekt aus, und zwar zum einen auf die Kostenstruktur und
zum anderen auf die Umsatzstruktur. Im positiven Fall haben reduzierte bzw. be-
seitigte Fehlerkosten mit dem Ziel einer Null-Fehler-Qualität den oben bereits an-
gesprochenen doppelten positiven Effekt. Konkret bedeutet dies, dass sich durch
(Lean) Six Sigma, und in einem noch stärkeren Maße durch Design for Six Sigma,
Kosten aufgrund vermiedener Fehler deutlich reduzieren und Umsätze aufgrund
neuer Produkte/ Prozesse nachhaltig steigern lassen.
Im Detail bedeutet dies bezogen auf die Kostenstruktur: Bestehende Qualitäts-
mängel und damit verbundene Fehlerkosten reduzieren – in statischer Sicht – die
mögliche Gewinnmarge. Dies schmälert zugleich den Deckungsbeitrag. In dyna-
mischer Sicht verursachen Fehlerkosten eine Zunahme sowohl von fixen als auch
von variablen Kosten, also z.B. die Maschinenausstattung und zusätzliche Bear-
beitungszeiten. Hierdurch wird der Cash Flow reduziert und i.d.R. schnell ein er-
wirtschafteter Übergewinn über die geforderte Verzinsung des Gesamtkapitals
aufgezehrt. Häufig ist dann nach der Verzinsung des Fremdkapitals auch nicht
mehr die Verzinsung des Eigenkapitals in der von den Shareholdern geforderten
Höhe möglich.
Hinzu kommt der negative Effekt auf die Umsatzstruktur: Aufgrund der Quali-
tätsmängel werden die Umsätze eher zurückgehen, manchmal sogar, wie gezeigt,
regelrecht einbrechen. Dies wird bewirkt durch die Unzufriedenheit bisheriger
Kunden und durch nicht erfolgte Weiterempfehlungen und damit fehlende Neu-
kunden. Durch den geringeren Umsatz lässt sich nur ein niedrigerer Gewinn er-
wirtschaften. Er nimmt i.d.R. nicht nur absolut, sondern auch relativ ab. Denn die
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 91

Basis für die Umlage und Abdeckung der Fixkosten, die i.d.R. Gemeinkosten sind,
sinkt dadurch. Skaleneffekte, die umsatz- und gewinnsteigernd wirken, lassen sich
so nicht realisieren.
Neben Kostensteigerungen und Umsatzrückgängen ist an dritter Stelle ein er-
höhter Gesamtkapitalkostensatz (Weighted Average Cost of Capital – WACC) zu
verzeichnen, weil Bankkredite, also Fremdkapital, für das Unternehmen aufgrund
des eingetretenen Krisenfalls und des damit zugrunde gelegten Risikos in der Zu-
kunft teurer werden und weil auch (neue) Anteilseigner vom Unternehmen eine
höhere Risikoprämie für ihre Einlagen als Eigenkapital erwarten bzw. einfordern.
Alle drei genannten negativen Effekte auf den EVA durch das Auftreten von Qua-
litätsmängeln können durch die Anwendung von DFSS nicht nur egalisiert, son-
dern von vornherein vermieden werden. Das Unternehmen ist somit in der Lage,
über Jahre einen kontinuierlich hohen „Übergewinn“ zu erwirtschaften.

4 Einführungsanforderungen von DFSS im Zusammen-


hang mit Lean Six Sigma

DFSS bedeutet nicht nur Steigerung der Effizienz, also Senkung der Kosten/ Stei-
gerung der Wirtschaftlichkeit, sondern vor allem Steigerung der Effektivität, also
bessere Erfüllung der heutigen und zukünftigen Kundenanforderungen. Für einen
wirkungsvollen Einsatz von DFSS, insbesondere im Zusammenhang mit weiter-
führenden Lean Management- und (Lean) Six Sigma-Aktivitäten im Unterneh-
men, sind die folgenden zwei Anforderungen zu erfüllen:
1. Strukturierter Projektauswahlprozess
2. Spezifische Qualifizierung der Akteure

4.1 Strukturierter Projektauswahlprozess

Der zielführende Einsatz von Lean Management, Six Sigma und Design for Six
Sigma – in Abhängigkeit vom realisierten Sigma-Niveau – ist in Abbildung 14
bildlich dargestellt. Hierauf basiert ein strukturierter Projektauswahlprozess, wie
er im Beitrag von Habermann in Kapitel C thematisiert wird.
Einfache Verbesserungen, die unter Anwendung von Logik und Intuition reali-
sierbar sind, benötigen das z.T. aufwändige Six Sigma-Instrumentarium nicht. Sie
„fallen einem zu“ und bekommen deshalb die bildhafte Bezeichnung „Fallobst“.
Six Sigma-Projekte beginnen i.d.R. auch noch nicht auf der nächsten Ebene, den
„tief hängenden Früchten“. Sie kennzeichnen vielmehr eine Lücke zwischen der-
zeitiger und angestrebter Prozess-Performance, die sich mit Hilfe einfacher Quali-
täts- und Lean Management-Methoden, z.B. Poka Yoke und Kanban, schließen
lässt; das erreichbare Sigma-Niveau beträgt hier 3 bis 4 σ.
Der größte Teil der Six Sigma-Projekte gehört zur nächsten Ebene, er ist also
der „Großteil der Früchte“, die durch eine klare Analyse und Verbesserungen von
92 Armin Töpfer, Swen Günther

Prozessen mit einem Niveau von 4 bis 5 σ erreichbar sind. Die „süßen Früchte“ in
der „Spitze des Baumes“ machen deutlich mehr Anstrengungen erforderlich, be-
wirken aber Qualitätssteigerungen auf dem Niveau von 5 bis 6 σ. Dies entspricht
einem Redesign als Neustrukturierung eines Prozesses, die über eine bloße Ver-
besserung hinausgeht – hier ist der Ansatzpunkt für DFSS.

Design for
Six Sigma Süße Früchte
Projekte Redesign des Prozesses
5-6 σ-Niveau

Großteil der Früchte


Charakterisierung und
Six Sigma Verbesserung des
Projekte Prozesses
4-5 σ-Niveau

Lean Tief hängende Früchte


Management Sieben QM-Werkzeuge/ KVP
3-4 σ-Niveau

Fallobst
Logik und Intuition

Basis: Siemens 2000

Abb. 14: Projektauswahl für Lean Management, Six Sigma und Design for Six Sigma

Bei der Auswahl von Six Sigma-Projekten ist ein weiterer Aspekt von Bedeu-
tung, nämlich die Höhe möglicher negativer Auswirkungen, wenn bezogen auf ei-
nen Prozess oder ein Produkt kein 6 σ-Niveau erreicht wird. Mit anderen Worten
bedeutet dies: Je höher der Schaden bzw. die Fehler- und Fehlerfolgekosten durch
unzureichende Qualität sind, desto wichtiger ist es, Null-Fehler-Qualität auf 6 σ-
Niveau zu realisieren, um das Auftreten von Fehlern zu vermeiden.
Deshalb wird in Six Sigma-Projekten als statistisches Maß und Ergebnis nicht
überall das angestrebte Qualitätsniveau 6 σ betragen. Wesentlich ist vielmehr, 6 σ
mit Augenmaß, und dies bedeutet in erfolgs- und ergebnissensiblen Prozessen und
Produkten, wie beispielsweise der Flugzeug- und Satellitentechnik sowie der
Software für medizinische Diagnostik, anzustreben und zu erreichen. Denn dort
führen Fehler bei einem niedrigeren Qualitätsniveau zur Gefährdung von Men-
schenleben und hohen materiellen Schäden, so dass diese hohen Anstrengungen
gerechtfertigt oder sogar erforderlich sind.
Bei anderen Prozessen und Produkten lassen sich bei einem Ausgangsniveau
von 3 bis 4 σ – entsprechend der obigen Einteilung – auch schon erhebliche Quali-
tätssteigerungen und damit Kosteneinsparungen bzw. Ertragsverbesserungen er-
reichen, ohne das statistische 6 σ-Niveau im Visier zu haben. Die Erkenntnis ist
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 93

also klar: Das Ziel der Null-Fehler-Qualität gilt generell. Die Nachhaltigkeit der
Umsetzung und Erreichung wird allerdings nach der Bedeutung des Prozesses und
Produktes priorisiert.

4.2 Spezifische Qualifizierung der Akteure

Die Erfahrungen in der Unternehmenspraxis zeigen, dass die Zeitdauer für die
vollständige Einführung eines effektiven Six Sigma-Projektmanagements ca. 24
Monate beträgt. Darin enthalten sind die Durchführung eines Pilotprojektes von 4-
6 Monaten, um die Eignung der Six Sigma-Methodik zu testen, eine ca. 5-mo-
natige Trainingsphase für Green und Black Belts als Projektmitarbeiter/ -leiter
sowie die damit verbundene strategische Analyse und Durchführung von Trai-
ningsprojekten (1. Welle). Die anschließende Ausfächerung von Six Sigma im ge-
samten Unternehmen nimmt dann erfahrungsgemäß weitere 12 bis 14 Monate in
Anspruch (2. und 3. Welle). Je nach organisatorischen Voraussetzungen werden
entsprechend der Unternehmenshierarchie mindestens 4 Gruppen von Six Sigma-
Akteuren unterschieden (vgl. Töpfer/ Günther/ Garzinsky 2007, S. 254):
1. Champions als Führungskräfte und Machtpromotoren mit operativer Ergebnis-
verantwortung für einen bestimmten Wertschöpfungsbereich
2. Master Black Belts als Systempromotoren und durch eine größere Anzahl von
durchgeführten Projekten sehr erfahrene Six Sigma-Experten
3. Black Belts als Projektleiter und Fachpromotoren für die Durchführung umfas-
sender Six Sigma- und Design for Six Sigma-Projekte
4. Green Belts als Projektmitglieder oder als Leiter kleinerer Six Sigma-Projekte,
die sich z.B. auf die Verbesserung von Teilprozessen beziehen.
Die Trainingsdauer reicht je nach Position und Qualifikationsgrad von 2 bis 20
Tagen. Das Training erfolgt bei Green und Black Belts jeweils an einem konkre-
ten Projekt. In vielen Unternehmen wird die Six Sigma-Qualifizierung als ein spe-
zifisches Führungskräftenachwuchstraining gesehen, d.h. durch die Ausbildung
zum Green und/ oder Black Belt sowie durch die „Bewährung“ in konkreten Pro-
jekteinsätzen werden die Voraussetzungen für eine Karriere auf eine attraktive
Führungsposition im Unternehmen geschaffen. Erfahrungswerte belegen, dass die
Anzahl von in Six Sigma-Methoden geschulten Mitarbeitern insgesamt ca. 10%
der Belegschaft eines Unternehmens betragen sollte (vgl. Q-DAS 2002, S. 1).
Die inhaltlichen Schulungsschwerpunkte der o.g. Six Sigma-Akteure sind in
Abbildung 15 aufgeführt: Der Champion bekommt einen Überblick über die wich-
tigsten Bestandteile der Lean Six Sigma-Tool-Box; zusätzlich werden ihm Details
zu Managemententscheidungen und zum Auswahlprozess bei Six Sigma-Projek-
ten anhand einer größeren Anzahl von durchgeführten Projektbeispielen vermittelt
respektive vorgestellt. Der Green Belt erhält eine fundierte Unterweisung in die
Tool-Box von Six Sigma sowie zusätzlich auch ein Training in Projekten, z.T. al-
lerdings nur in der „Laborsituation“ des Seminars. Die Grundlage für die Durch-
führung der Schulung sowie des Projektes ist der DMAIC-Zyklus. Ergänzt wird
94 Armin Töpfer, Swen Günther

dies durch die Vermittlung von Basiskenntnissen bei den Soft Skills sowie wichti-
gen Lean Management-Instrumenten.
Im Vergleich hierzu wird der Black Belt in allen drei Bereichen, also Lean Ma-
nagement, Six Sigma und Design for Six Sigma, intensiver sowie breiter geschult,
und er führt ein bis zwei Six Sigma-Projekte selbstständig durch. Die Grundlage
für die Durchführung der Schulung sowie des Projektes ist der DMADV-Zyklus.
Auf die praxisorientierte Schulung der F&E-Methoden QFD, DOE und TRIZ im
Rahmen des DMADV-Zyklus wird insbesondere im Beitrag von Streckfuss/ Gün-
ther/ Töpfer in Kapitel B eingegangen. Das Coaching und das Review in Form ei-
nes Projektberichts mit einer Bewertung werden vom Master Black Belt durchge-
führt. Er hat die größte Erfahrung sowie die intensivste und breiteste Schulung er-
halten.

Abb. 15: Modulare Vernetzung der Qualifikationsinhalte für wesentliche Akteure

Für die wirkungsvolle und wirtschaftliche Umsetzung der Schulungen sind


nach Abbildung 15 die folgenden zwei Punkte relevant:
1. Die Vermittlung der Inhalte erfolgt bei allen Qualifikationsstufen im Präsenz-
Lernen. In jüngster Zeit setzt sich aus Kosten-, Zeit- und Akzeptanzgründen
aber auch ein ergänzendes Web-basiertes Lernen immer mehr durch. Diese
Form des „gemischten Lernens“ als Blended Learning hat eine Reihe von Vor-
teilen. Nach der Qualifizierung, den bestandenen Tests und einem erfolgreichen
Projektabschluss erfolgt in einer Reihe von Unternehmen eine formelle Zertifi-
zierung. Sie ist sinnvoll und aussagefähig, wenn sie auf den mehr oder weniger
Null-Fehler-Qualität im Entwicklungsprozess durch Design for Six Sigma 95

allgemein anerkannten Six Sigma-Standards basiert und damit einem Bench-


marking standhält.
2. Green Belt- und Black Belt-Trainings werden häufig parallel für unterschiedli-
che Zielgruppen durchgeführt, um so möglichst schnell eine größere Zahl quali-
fizierter Six Sigma-Akteure im Unternehmen zu erhalten. Dieser Ansatz ist
nach unseren Erfahrungen eher nicht zu präferieren. Wenn die Zeit es erlaubt,
hat die Aufstockung einer absolvierten Green Belt-Zertifizierung mit den er-
gänzenden Trainingsteilen, die ein Black Belt im Einsatz braucht, zum einen
den Vorteil, dass das Praxisverständnis und der Praxisbezug der Teilnehmer in
diesem zweiten Trainingsabschnitt ungleich höher sind. Zum anderen wird
hierdurch aus Unternehmenssicht ein zweiter Auswahlprozess für die Rekrutie-
rung von geeigneten Black Belts erreicht. Darüber hinaus ergibt sich ein zusätz-
licher finanzieller Vorteil für das Unternehmen: Die angehenden Black Belts
führen im Rahmen ihrer Ausbildung zum Green und Black Belt jeweils bereits
zwei Trainingsprojekte mit positivem Net Benefit durch.

5 Literatur

Akao, Y. (1992): QFD – Quality Function Deployment, Landsberg am Lech 1992.


Altschuller, G.S. (1984): Erfinden – Wege zur Lösung technischer Probleme, Berlin 1984.
Averboukh, E.A. (2004): Six Sigma Trends: Six Sigma Leadership and Innovation using
TRIZ, Eingesehen am 04.03.2004, auf: http://www.isixsigma.com/library/content/
c030908a.asp.
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Kapitel B

– Vernetzung der Bausteine von Lean


Management und Six Sigma in Verbesserungs-
und Entwicklungsprojekten –
Das Zusammenspiel verschiedener Optimie-
rungsmethoden in der Wertschöpfungskette

Bert Leyendecker

Inhalt

1 Integrationschance der Methoden ..............................................................99


2 Diagnose der Ist-Situation........................................................................100
3 Definition der Unternehmensziele und Priorisierung der dazu
erforderlichen Aktivitäten ........................................................................102
4 Ausgewählte Aktivitäten und Projekte umsetzen.....................................102
5 Verbesserungen messen und managen .....................................................110
6 Literatur....................................................................................................110

1 Integrationschance der Methoden

Optimierungsmethoden für die Produktion und die gesamte Wertschöpfungskette


sind in den letzten Jahrzehnten immer wieder entwickelt und weiterentwickelt
worden. Die Ansätze kommen dabei aus unterschiedlichen nationalen Wirt-
schaftskulturen und verschiedenen Branchen. Sie sind daher mehr oder weniger
spezifisch oder allgemeingültig in der Anwendbarkeit. Einige Beispiele eher all-
gemein anwendbarer Konzepte sind Total Quality Management, Total Productive
Maintenance, die Balanced Scorecard sowie Lean Management und Six Sigma.
Persönliche bzw. unternehmensspezifische Präferenzen haben teilweise dazu ge-
führt, dass diese Methoden isoliert betrachtet wurden. Dies geschah nicht selten
unter der Annahme, dass sich die Methoden gegenseitig ausschließen oder zumin-
dest eine Kombination wenig fruchtbar sein würde. Diese digitale Sichtweise wird
in jüngster Zeit mehr und mehr aufgegeben, und es entsteht ein fruchtbares Mit-
einander von Werkzeugen und Vorgehensweisen unterschiedlichen Ursprungs.
In diesem Beitrag wird gezeigt, wie ein solches Zusammenwirken der Werk-
zeuge und Hilfsmittel, insbesondere aus dem Lean Management- und Six Sigma-
Werkzeugkasten, aussehen kann. Die Verzahnung ist dabei teilweise so eng, dass
es fast schwer vorstellbar scheint, dass es einmal eine trennende und dadurch se-
parierte Sichtweise gegeben hat. Um dieses Zusammenwirken deutlich zu machen,
muss zunächst ein Prozess zur kontinuierlichen Verbesserung in der Wertschöp-
fungskette definiert werden. Dies kann in einem einfachen Vier-Schritte-Modell
beschrieben werden, wie es in Abbildung 1 wiedergegeben ist.
Der erste Schritt ist eine detaillierte Analyse der Ist-Situation. Wo steht das Un-
ternehmen? Was sind spezifische Stärken und Schwächen? Welche der identifi-
zierten Schwächen könnten mit Aktivitäten und Projekten zur Verschlankung der
100 Bert Leyendecker

Prozesse und Qualitätssteigerung der Wertschöpfung wirkungsvoll verbessert


werden?
Der nächste Schritt beinhaltet die Festlegung der Ziele, die Priorisierung der
Projekte und Aktivitäten, die zum Erreichen der Ziele erforderlich sind, und das
Management des Projekt-Portfolios. Die Fragen, die es in dieser Phase zu beant-
worten gilt, sind: Welche Ziele haben Vorrang? Welche Projekte sollten daher zu-
erst, welche später bearbeitet werden? Wie viele Projekte können wir gleichzeitig
bearbeiten, und ab wann stößt unsere Organisation an ihre Kapazitätsgrenze?

1. Diagnose der
Ist-Situation

4. Verbesserungen 2. Zieldefinition
messen und Priorisierung

3. Aktivitäten und
Projekte umsetzen

Abb. 1: Die vier Schritte der kontinuierlichen Verbesserung

Im dritten Schritt kommen die Lean Management- und Six Sigma-Tools im


vollen Umfang zur Anwendung. In kleinen, fokussierten Aktionen und größeren,
längerfristig angelegten Projekten werden die ausgewählten Verbesserungen um-
gesetzt. Die Werkzeuge von Six Sigma und Lean Management können dabei ge-
zielt gemischt und kombiniert werden, wodurch wirkungsvolle und schnelle Vor-
gehensweisen entstehen, die individuell auf die zu lösenden Probleme abgestimmt
sind.
Im vierten und letzten Schritt gilt es herauszufinden, welches Niveau die Orga-
nisation jetzt erreicht hat. Es muss gemessen werden, welcher Unternehmensbe-
reich sich in welchem Maße – quantifizierbar – verbessert hat. Wo stehen wir
jetzt, und in welchen Bereichen gibt es weitere Potenziale, um besser zu werden?
Im Folgenden werden die einzelnen Schritte dieses Verbesserungskreislaufs
dargestellt und insbesondere das Zusammenspiel der Werkzeuge sowie die Ver-
netzung der vier Schritte untereinander aufgezeigt.

2 Diagnose der Ist-Situation

Im ersten Schritt des Kreislaufes der kontinuierlichen Verbesserung können zur


Analyse und Bewertung der Ist-Situation verschiedene Werkzeuge zum Einsatz
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden 101

kommen. Im Fokus stehen dabei die Unternehmenskennzahlen. Wenn das Kenn-


zahlensystem im Unternehmen als Balanced Scorecard (BSC) aufgebaut ist, hat
dies zwei Vorteile: Zum einen ist die Verknüpfung der Ist-Diagnose mit der Un-
ternehmensstrategie sichergestellt, denn die BSC wird generell aus der Unterneh-
mensstrategie entwickelt. Zum anderen kann davon ausgegangen werden, dass die
Kennzahlensystematik sich nicht nur einseitig auf die finanzielle Leistungsfähig-
keit des Unternehmens beschränkt. Denn die BSC berücksichtigt im gleichen Ma-
ße neben der Finanzperspektive die Mitarbeiter-, Kunden- und Prozessperspektive,
also alle Werttreiber und Erfolgsfaktoren, die als Key Performance Indicators
(KPI) für die erfolgreiche Steuerung des Unternehmens benötigt werden. Die Er-
gebnisse, die sich in der Scorecard widerspiegeln, zeigen unmittelbar den strate-
giebezogenen Umsetzungsstand des Unternehmens im Hinblick auf die gesteckten
Ziele auf (vgl. Kaplan/ Norton 1997). Wenn die Verknüpfung und das Zusammen-
spiel der verschiedenen Optimierungsstrategien sich bereits in einem fortgeschrit-
tenen Stadium befinden, weist die BSC die „Lean Metrics“, also die klassischen
Lean-Kennzahlen, wie Durchlaufzeiten, Bestände, Lieferbereitschaftsgrad etc.,
auf. Die Lean-Kennzahlen werden dadurch nicht isoliert gemessen und nachver-
folgt, z.B. von einem Lean-Implementierungsteam, sondern sind Teil der Strategie
und damit Teil der BSC.
Zusätzlich verbessert ein aussagefähiges Benchmarking die Bewertung und
damit das Verständnis der Ist-Situation. Eine hohe Aussagekraft hat dabei die
Wertstromanalyse bzw. das Value Stream Mapping (VSM), um auf der Basis des
dokumentierten Standes der Wertschöpfung bzw. der Wertverluste Potenziale klar
herauszuarbeiten und Projektideen zu entwickeln, wenn mit diesem wichtigen
Werkzeug des Lean Managements der „Future State“ der Value Stream Map defi-
niert wird. Dieser Zusammenhang ist in Abschnitt 4 noch einmal näher beschrie-
ben. Den richtigen Blickwinkel erhält man bei diesem Lean-Assessment zur Ana-
lyse der Ist-Situation aber erst, wenn zur Statusbestimmung das erreichte Niveau
an den Idealen der Lean Management-Philosophie gemessen wird.
Eine ergänzende und dabei umfassendere Perspektive zur Bewertung der Ist-
Situation eröffnet ein Business Assessment, z.B. nach den Kriterien des Malcolm
Baldrige National Quality Award oder dem EFQM-Modell. Die Anwendung die-
ser Konzepte bildet eine aussagefähige Basis für den späteren Einsatz von Opti-
mierungsmethoden aus dem Six Sigma und Lean Management Werkzeugkasten
(vgl. Töpfer 2001).
Eine weitere Grundlage für die Generierung von Projektideen zur Prozessopti-
mierung schafft die Durchführung einer FMEA, insbesondere wenn sie in einem
Six Sigma-Projekt eingesetzt wird.
Die Frage ist, in welcher Form man die Analyse der Ist-Situation durchführt.
Um alle relevanten Abteilungen und Personen an einen Tisch zu bringen, bietet
sich ein Kaizen-Workshop als wichtige Methode des Lean-Werkzeugkastens an.
Bei diesem Kaizen-Event kann die Statusbestimmung des Unternehmens anhand
eines Lean-Audit durchgeführt werden, oder ein VSM wird erstellt, oder aber die
Ergebnisse der BSC werden genau hinterfragt und durchleuchtet.
102 Bert Leyendecker

3 Definition der Unternehmensziele und Priorisierung


der dazu erforderlichen Aktivitäten

Beim nächsten Schritt im Kreislauf der Verbesserung gilt es, die Definition der
Ziele für das Unternehmen sowohl mit einer langfristig-strategischen als auch mit
einer kurzfristig-operativen Perspektive vorzunehmen.
Die langfristig-strategischen Ziele, die im Management Team erarbeitet wer-
den, können ebenfalls in moderierten Workshops bzw. Kaizen-Events entwickelt
werden. Die Ausgangsbasis ist zunächst die langfristige Perspektive und die ange-
strebte Entwicklungsrichtung des Unternehmens, i.d.R. auf der Basis einer formu-
lierten Vision.
Ein entscheidender Schritt im Anschluss daran besteht darin, aussagefähige
Kennzahlen zu definieren, welche auf der Vision basieren, aber die einzelnen kri-
tischen Bereiche der Unternehmensentwicklung möglichst detailliert und präzise
erfassen können. Die Kennzahlen müssen also ausgewogen alle Unternehmensbe-
reiche und die wichtigen Unternehmensfaktoren berücksichtigen, wie dies im
Rahmen einer BSC der Fall ist. Zusätzlich ist es entscheidend, dass die Kennzah-
len im Unternehmensalltag mit vertretbarem Aufwand in der gewünschten Regel-
mäßigkeit ermittelt werden können. Viele Kennzahlen, die theoretisch eine gut ge-
eignete Maßzahl für die Unternehmensentwicklung sind, scheitern in der Praxis an
dieser Hürde.
Bereits in dieser Phase werden als wesentlich erkannte, mögliche Aktivitäten
und Projekte entwickelt, die das Unternehmen systematisch und schrittweise den
gesteckten Zielen näher bringen. Dies ist zugleich der Input für den Priorisie-
rungsprozess der Projekte, die in der nächsten Phase durchgeführt werden sollen.
Aus der Liste der Projektideen wird nun ein Projektportfolio erarbeitet, das von
der Organisation sinnvoll umgesetzt werden kann. Dazu ist es hilfreich, zunächst
einmal Affinitäten zu bilden und die Projektideen den Unternehmenskennzahlen
zuzuordnen, auf die sie einen Einfluss haben werden. Danach muss ggf. priorisiert
werden. Hierzu können unterschiedliche Werkzeuge zum Einsatz kommen, z.B.
die paarweise Gegenüberstellung von Projektattributen (z.B. Aufwand und Nut-
zen, Erfolgswahrscheinlichkeit und Nutzen). Auch der paarweise Vergleich der
Projekte selbst kann hilfreich sein, um anhand aller Projektattribute zu einer um-
fassenden Bewertung zu kommen. Hierzu lassen sich einfache Punkteverfahren im
Management Team anwenden (vgl. Leyendecker 2007).

4 Ausgewählte Aktivitäten und Projekte umsetzen

Zur Umsetzung der Aktivitäten und Projekte stellt sich nun die Frage, in welcher
Form diese Projekte aufgesetzt werden. Als Six Sigma-Projekte? Als Lean-
Projekte? Als Kaizen-Workshop? Als eine Kombination aus mehreren? Und wel-
che Methoden und Werkzeuge lassen sich bei welcher Art von Projekt sinnvoll
einsetzen und wie kombinieren?
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden 103

Hierzu soll zunächst kurz aufgezeigt werden, dass die Ansätze von Six Sigma
und Kaizen im Rahmen des Lean Managements bezüglich ihrer Systematik nicht
so weit voneinander entfernt sind, wie oftmals vermutet wird.
Abbildung 2 zeigt einen 8-Schritte-Ansatz zur Durchführung von Kaizen-
Workshops. Dabei wird i.d.R. Schritt 1 vor dem Workshop durchgeführt. Die
Schritte 2 und 3 können ebenfalls vor dem Workshop durchgeführt werden oder
auch dessen Bestandteil sein. Die Schritte 4 bis 6 sind auf jeden Fall Bestandteil
des eigentlichen Kaizen-Workshops. Schritt 7 kann auch noch im Workshop
durchgeführt werden, oder er wird erst zusammen mit Schritt 8 im Anschluss dar-
an umgesetzt.
In den 8 Schritten des Kaizen lässt sich die Grundstruktur der 5 Six Sigma Pha-
sen wiedererkennen: Define – Was ist das Problem? Measure – Wie groß ist das
Problem? Analyse – Was verursacht das Problem? Improve – Wie kann das Prob-
lem gelöst werden? Control – Wie kann Nachhaltigkeit sichergestellt werden? Wie
leicht nachvollziehbar ist, kann in einer systematischen Sichtweise eine deutliche
Verwandtschaft zwischen einem DMAIC-Projekt und einem Kaizen-Workshop
festgestellt werden.

Kaizen-Schritt DMAIC-Schritt
Schritt 1 Vorbereitung des Kaizen-Workshops Define
Schritt 2 Analyse der Ausgangssituation Measure
Schritt 3 Auswahl der der Werkzeuge zur Ursachenanalyse
Schritt 4 Anwendung der Werkzeuge im Team Analyse
Schritt 5 So viele Erkenntnise wie möglich sofort in Aktionen
umsetzen
Schritt 6 Aktionsplan für den Rest erstellen Improve
Schritt 7 Dokumentation und Training
Schritt 8 Follow-up Control

Abb. 2: 8-Schritte-Methode zur Durchführung von Kaizen-Workshops und die Gegenüber-


stellung der DMAIC-Schritte

Die Frage, welche der beiden Vorgehensweisen die geeignetere ist, kann im
Einzelfall jeweils anhand der in Abbildung 3 zusammengefassten Kriterien be-
antwortet werden. Kaizen ist als Methode ein Werkzeug, um kleine, fokussierte
Aufgabenstellungen von hoher Dringlichkeit in kurzer Zeit mit hohem Ressour-
ceneinsatz in einem Workshop zu bearbeiten. Daher ist der Kaizen-Ansatz eher für
weniger komplexe Projekte geeignet. Dringliche Probleme, z.B. wenn die Produk-
tionsgeschwindigkeit aufgrund aktueller Qualitätsprobleme um 40% reduziert
werden muss, werden also mit einem Kaizen-Workshop gelöst.
Das DMAIC-Konzept kann im Rahmen von Six Sigma auch bei umfangreiche-
ren Aufgaben- und Problemstellungen zum Einsatz kommen; durch die Komplexi-
tät des Problems und den Umfang der einzelnen methodischen Prozessschritte sind
dies grundsätzlich – im Vergleich zu Kaizen-Workshops – längerfristig zu bear-
beitende Projekte mit einem Zeitbedarf von 3 bis zu 6 Monaten.
104 Bert Leyendecker

Kriterium Kaizen DMAIC


Projektumfang gering - mittel mittel - hoch
Dringlichkeit der Problemstellung hoch mittel - hoch
Bedeutung der Einbindung aller
betroffenene Mitarbeiter für die
Lösungsfindung mittel - hoch gering-mittel
Bedeutung von statistischen Analysen
für die Problemlösung gering - mittel mittel - hoch
Komplexität der Aufgabenstellung gering - mittel mittel - hoch

Abb. 3: Eignung des Kaizen- und des DMAIC-Ansatzes bei verschiedenen Rahmenbedin-
gungen

Kaizen ist ein sehr mitarbeiterorientierter Prozess. Ein Kaizen-Workshop wird


i.d.R. so gestaltet, dass jeder Mitarbeiter sich einbringen kann und die Ideen von
vielen zur Problemlösung beitragen. In einem DMAIC-Projekt stoßen ungeschulte
Mitarbeiter dagegen eher schnell an ihre Grenzen und haben dann Schwierigkei-
ten, der Logik der durchgeführten Analysen zu folgen.
Wenn aber absehbar ist, dass zur Untersuchung und Ermittlung der relevanten
Ursachen eines Problems viele statistische Analysen im Verlauf des Projektes er-
forderlich werden, ist ein DMAIC-Projekt zur Problembearbeitung eher geeignet,
da Kaizen der stärker mitarbeiterorientierte Ansatz und DMAIC der stärker daten-
orientierte Ansatz ist.
Unter diesem Blickwinkel ist dann die bereits angesprochene Komplexität der
Aufgabenstellung als Auswahlkriterium der geeigneten Methode zu sehen. In ei-
nem kurzen, aber intensiven und fokussiert durchgeführten Kaizen darf die Auf-
gabenstellung nicht zu komplex sein, da sie in der Kürze der Zeit nicht gelöst
werden kann. In einem längerfristig angelegten DMAIC-Projekt sind komplexe
Aufgabenstellungen aber gut aufgehoben und die Six Sigma-Werkzeuge helfen,
die Komplexität der Projekte aufzubrechen und handhabbar zu machen.
Obwohl Kaizen und DMAIC von der Herangehensweise ähnlich strukturiert
sind und sich hervorragend ergänzen können, liegt der Unterschied also vor allem
in der Einfachheit bzw. anspruchsvollen Vorgehensweise der Methoden, der da-
durch mehr oder weniger guten Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz der Analyse-
schritte sowie der erarbeiteten Projektergebnisse und der damit verbundenen mehr
oder weniger großen Mitwirkung der Mitarbeiter.
Wenn auf der einen Seite in Unternehmen ausschließlich die Six Sigma-Metho-
de angewendet wird, dann kann bei den Mitarbeitern der Eindruck entstehen, die
Anwendung der Six Sigma-Methode mache die Problemlösung bei einigen Pro-
jekten unnötig komplex bzw. kompliziert. Es fehlt in dem Fall ein methodisches
Ersatzwerkzeug, das schnell und unkompliziert einfache Probleme lösen kann.
Auf der anderen Seite kann man in Unternehmen, die Prozessverbesserungen aus-
schließlich auf Kaizen-Workshops aufbauen, feststellen, dass es an einer Vorge-
hensweise mangelt, die geeignet ist, komplexere Aufgabenstellungen und Zusam-
menhänge zu analysieren.
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden 105

Die Flexibilität und die Stärke einer kombinierten Strategie der Verbesserung
mit Einzelwerkzeugen von Lean Management und Six Sigma beruht letztlich auf
der Tatsache, dass die Übergänge der Anwendungsgebiete von Kaizen und von
DMAIC fließend sind. Dabei stellt sich dennoch die konkrete Frage: Wann sollte
welches Werkzeug zum Einsatz kommen? Wie sollten die Werkzeuge kombiniert
werden und welche Bearbeitungsreihenfolge ist sinnvoll? Die folgenden Beispiele
aus der Praxis sollen zu dieser Fragestellung etwas mehr Klarheit bringen und die
Stärke der Kombination von Lean- und von Six Sigma-Werkzeugen in der Pro-
jektbearbeitung aufzeigen.
In den kleinen, weniger komplexen Projekten, die bevorzugt mit dem Kaizen-
duAnsatz bearbeitet werden, sind ausgewählte Six Sigma Werkzeuge oft willkom-
mene Hilfen. In Abbildung 4a und 4b ist zusammengefasst, wie die unterschiedli-
chen Werkzeuge eingesetzt werden können und die Methodenwirksamkeit durch
die Kombination von Lean und Six Sigma gesteigert werden kann.

Diag- Zieldefinition &


nose Priorisierung Projektarbeit BSC
K le in e P r o je k te (K a iz e n )
P o r tfo lio M a n a g e m e n t

G r u n d la g e n a r b e it
P r o je c t S e le c tio n
Id e a G e n e r a tio n
T o o l/ K o n z e p t
T o o lg r u p p e

M e a s u re

Im p r o v e
A n a ly s e

C o n tro l
D e fin e

KPI
Strategic Tools/ Strategic Plans x x x x
Konzepte Balanced Scorecard x x x x
Assessments x x x x
Benchmarking x x x x
Portfolio Management Tools x x
Lean Tools/ Lean Metrics x x x x x x x
Konzepte VSM x x x x x x x x
Takt Time x x x x x x
One Piece Flow x x x x x x x
Pull Prinzip x x x x x x
Zero Defects x x x x
5S x x x
Rapid Changeover x x
KANBAN x x
Standard Work x x
Visual Factory x x x x
KAIZEN x x x x x x x x x x x
Mistake Proofing x x
Layout Analysis & Improvement x x x
Line Balancing x x x

Abb. 4a: Die Anwendungsfelder der Lean Management-Werkzeuge in den verschiedenen


Phasen der kontinuierlichen Verbesserung
106 Bert Leyendecker

Die Six Sigma Werkzeuge „SIPOC“ und „VOC/CTQ“ können auch im Vorfeld
von Kaizen-Workshops helfen, ein Problem bezogen auf die maßgeblichen Pro-
zesse genauer zu definieren und im Hinblick auf die wesentlichen Kundenanforde-
rungen einzugrenzen (siehe Abb. 4b). Diese Werkzeuge sind besonders dann hilf-
reich, wenn nicht-technische Prozesse optimiert werden sollen. Denn gerade bei
administrativen Prozessen besteht oftmals kein klares Verständnis, was genau der
zu optimierende Prozess beinhaltet und was in diesem Prozess ein Fehler ist. Bei-
spiele sind Kaizen-Workshops zur Reduzierung der Fehlerhäufigkeit auf Rech-
nungen, zur Verbesserung der Personalplanung für F&E-Aktivitäten oder zur Ver-
besserung des Informationsflusses bei der Produktionsplanung.

Diag- Zieldefinition &


nose Priorisierung Projektarbeit BSC

K le in e P r o je k te (K a iz e n )
P o r tfo lio M a n a g e m e n t

G r u n d la g e n a r b e it
P r o je c t S e le c tio n
Id e a G e n e r a tio n
T o o l/ K o n z e p t
T o o lg r u p p e

M e a s u re

Im p r o v e
A n a ly s e

C o n tro l
D e fin e

KPI
Six Sigma Tools/ Brief x x
Konzepte SIPOC x x
VOC/ CTQ x x x
IPO Measures x x
Fishbone Diagram x x x x
Process Mapping x x x x x
Deployment Chart x x x x x
Spaghetti Diagram x x x x x
Priorization Matrix x x x x x
FMEA x x x x x x
Gage R&R x x
Data Display x x
Process Capability x x
Process Analysis x x
Multi Vari Analysis x
Hypothesis Testing x
Regression x
DOE x
Solution Priorisation x x x x
Cost Benefit Analysis x x x x
Piloting x x
Implementation plan x x
QC Process Chart x x
Qualification/ Val. x x
SOPs x x
Control Charts x x x
Process Capability x x x

Abb. 4b: Die Anwendungsfelder der Six Sigma-Werkzeuge in den verschiedenen Phasen
der kontinuierlichen Verbesserung
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden 107

Bei diesen administrativen Projekten ist dann bei der Durchführung des Kai-
zen-Workshops oft die genauere Analyse der zu optimierenden Abläufe hilfreich.
Auch dazu können wieder Werkzeuge aus dem Six Sigma-Bereich sinnvoll zum
Einsatz kommen. Um im Kaizen-Team ein gemeinsames Verständnis zu bekom-
men, an welcher Stelle z.B. im Rechnungsstellungsprozess, in der Personalpla-
nung oder im Informationsfluss bei der Produktionsplanung genau das Problem
liegt, können die verschiedenen Varianten des Prozess Mappings helfen. Ob man
ein einfaches Flussdiagramm, ein Zuständigkeitsdiagramm oder vielleicht eine
Value Added Flow Analysis wählt, hängt von den Gegebenheiten ab. Die Value
Added Flow Analysis ist z.B. sinnvoll, wenn im Team das Gefühl vorherrscht,
dass im betrachteten Prozess viele Schritte einfach unnötig kompliziert gestaltet
sind.
Weitere Werkzeuge aus der Measure-Phase des DMAIC Zyklus, die in Kaizen-
Workshops oder zur Vorbereitung dieser Workshops sinnvoll eingesetzt werden
können, sind das Fishbone- bzw. Ishikawa-Diagramm und die Priorisierungs-
matrix sowie das Pareto-Diagramm. Diese Werkzeuge können helfen, mögliche
Problemursachen zu strukturieren und zu priorisieren. Gerade für die erfolgreiche
Durchführung eines Kaizen-Workshops ist ein klarer Fokus auf ein spezifisches
Teilproblem wichtig, um sich nicht in der Komplexität der Aufgabe zu verlieren.
Je nach Projekt können auch die statistischen Werkzeuge aus Six Sigma helfen,
in einem Kaizen-Workshop die erforderlichen Grundinformationen aufzuarbeiten
und für die Gruppenarbeit zur Verfügung zu stellen. Im Zuge der Vorbereitung ei-
nes Kaizen-Workshops zur Effizienzsteigerung in einem Produktionsunternehmen
wurden z.B. die Effizienzen zweier vergleichbarer Produktionsbereiche über einen
Zeitraum von 5 Wochen tageweise gemessen und in einer Regelkarte gegenüber-
gestellt. Den Teilnehmern des Kaizen-Workshops war die Notwendigkeit zur Op-
timierung aufgrund dieser Daten sofort klar, und man begann den Kaizen-
Workshop mit dem Erstellen eines Ursache-Wirkungs-Diagramms.
Nachdem im Kaizen-Workshop mögliche Lösungen erarbeitet wurden, kann es
sinnvoll sein, sich der Werkzeuge aus der Improve- und Control-Phase des
DMAIC Zyklus zu bedienen, um von einer Lösungsidee zu einer fertig umgesetz-
ten Lösung zu kommen. Eventuell müssen verschiedene Lösungsansätze priori-
siert werden; dabei hilft die „Solution Priorisation“. Dazu kann auch eine Kosten-
Nutzen-Analyse hilfreich sein. Pilotphase und Implementierungsplan können sich
anschließen. Schließlich bieten sich die Werkzeuge der Umsetzungsplanung und
der Dokumentation neuer Prozessabläufe an, um die Optimierung abzurunden (QC
Process Chart, Standard Operating Procedures (SOP)).
Damit ist aufgezeigt, wie die unterschiedlichen Six Sigma Werkzeuge bei der
Vorbereitung und Durchführung von Kaizen-Workshops helfen können. Umge-
kehrt kann aber auch ein Kaizen-Workshop sehr sinnvoll in einem komplexeren
Projekt nach DMAIC zur Anwendung kommen, und zwar eigentlich in allen Pha-
sen der Projekte. Dies ist aus Abbildung 4a nachvollziehbar.
In der Define-Phase von Six Sigma Projekten kommt es immer wieder vor, dass
die genaue Definition eines Projekts und die Erstellung des Projektauftrags sich
über mehrere Iterationen hinzieht, da es nicht gelingt, alle Stakeholder, Sponsoren
und Ansprechpartner zu einer Diskussion zusammen zu bekommen. Es hat sich
108 Bert Leyendecker

bewährt, solche Abstimmungsprozesse in Form eines Kaizen-Workshos zu be-


schleunigen. In einem solchen Workshop können ohne Weiteres mehrere Projekt-
definitionen für verschiedene DMAIC-Projekte parallel abgestimmt werden.
In der Measure-Phase kann man die Sammlung aller potenziellen Einflussfakto-
ren und deren Priorisierung sehr effizient und zügig ebenfalls in einem Kaizen-
Workshop bearbeiten. Auch die Analyse und Interpretation großer Datenmengen
in der Analyse-Phase kann so gestaltet werden. Des Weiteren kann der Kaizen-
Workshop ein sinnvoller Ansatz sein, in der Improve-Phase schnell gute Lösungen
für ein Problem zu finden und in der Control-Phase das Projekt und die Projektdo-
kumentation abzurunden.
In der Analyse-Phase eines Six Sigma-Projektes können neben Kaizen auch ei-
nige andere Lean-Werkzeuge die Vorgehensweise sinnvoll ergänzen. Allen voran
sei das Value Stream Mapping genannt, das auf nahezu jeden Prozess anwendbar
ist und wertvolle Erkenntnisse über Schwachstellen sowie Optimierungspotential
bietet. Es geht dabei weit über ein normales Process Mapping hinaus und liefert
vertiefte Erkenntnisse über den untersuchten Prozess. Besonders bei Untersuchun-
gen im Produktions- und Supply Chain-Umfeld können aber auch die Prinzipien
„Takt Time“, „One Piece Flow“ und „Pull“ wertvolle Unterstützung in der Analy-
se-Phase liefern.
Die Improve-Phase bietet im DMAIC-Zyklus im Vergleich zu den anderen
Phasen relativ wenige Werkzeuge zur Optimierung an. Je nach Projekt sind die
zahlreichen anderen Lean-Werkzeuge wie Standard Work, Rapid Changeover und
Visual Factory eine gute Ergänzung zu den von Six Sigma angeboten Werkzeu-
gen.
Abschließend wird noch auf eine besondere Kombination der Lean Manage-
ment-Tools mit den Six Sigma-Werkzeugen eingegangen. So kann auch der ge-
samte Value Stream Mapping-Prozess und die Implementierung von Lean Mana-
gement-Strategien im Unternehmen als DMAIC-Projekt gesehen und durchgeführt
werden. Die Einführung werthaltiger schlanker und damit verschwendungsfreier
Prozesse wird also mit den Methoden der fehlerfreien Qualitätssteuerung umge-
setzt. Dieser Ansatz ist in Abbildung 5 dargestellt.
In der Define-Phase wird der Projektumfang definiert und das Ziel festgelegt.
Eine SIPOC-Analyse für den betrachteten Gesamtprozess (z.B. die Wertschöp-
fungskette für eine bestimmte Produktfamilie) gibt einen ersten Überblick über
den zu optimierenden Unternehmensbereich. Durch die Stakeholder-Analyse be-
rücksichtigt man gleich von Anfang an den Faktor Mensch bei dieser Initiative.
Eine frühzeitige Berechnung des „Business Case“ hilft bei der Fokussierung auf
das Wesentliche.
In der Measure-Phase ist die Hauptaktivität das Erstellen der Value Stream
Map, die Definition von aussagekräftigen Messgrößen und das Einbringen dieser
Messgrößen in die Value Stream Map. Hilfestellung bieten dabei die aus dem Six
Sigma-Werkzeugkasten entliehenen Methoden zur Definition aussagekräftiger
Messgrößen und zur Messmittelanalyse (Gage R&R) sowie die Betrachtung der
Prozessfähigkeit versus der definierten Lean Metrics. Dadurch ist am Ende der
Measure-Phase das Ausmaß der zu schließenden Lücke bekannt.
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden 109

In der Analyse-Phase folgen detaillierte Ursachenanalysen für die gefundenen


Problembereiche. Dabei kann man sich wieder sehr sinnvoll des Six Sigma-Werk-
zeugkastens bedienen, und zwar insbesondere bezogen auf Pareto-Diagramm,
Fishbone-Diagramm, Werkzeuge zur Priorisierung, Regelkarten und statistische
Werkzeuge. Wie schon weiter oben beschrieben, lassen sich jetzt auch separate
DMAIC-Projekte definieren, um die unterschiedlichen Problemursachen zu er-
kennen und anschließend zu beseitigen.

Define Definition des Umfangs der Implementierung


SIPOC für Gesamtprozess
Stakeholder Analyse
Kosten-Nutzen Rechnung (Business Case)
Measure Value Stream Map, Current State
Lean Metrics definieren
Operational Definition für Lean Metrics
Ggf. Gage R&R
Datenerfassung der Lean Metrics
Prozessfähigkeit vs. Lean Metrics
Analyse Analyse der Value Stream Map
Analyse der Lean Metrics
Lean Assessment
Ursachenanlyse für Problembereiche
Ggf. eigene DMAIC-Projekte für bestimmte Probleme definieren
Improve Vision darstellen mit Future State Value Stream Map
Verbessrerungen umsetzen mit:
- DMAIC und Kaizen Projekte
- Rapid Changeover
- One Piece Flow
- 5S
Control SOPs, QC Process Charts
Lean Metrics überwachen (Regelkarten)
Prozessfähigkeit vs. Lean Metrics

Abb. 5: Der Value Stream Mapping-Prozess und die Implementierung von Lean Manage-
ment-Strategien als DMAIC-Projekt

Die Improve-Phase ist geprägt durch das Erstellen der „Future State Value
Stream Map“ und das Umsetzen der erforderlichen Verbesserung. Dies sind kleine
und große Aktivitäten, also DMAIC- oder auch Kaizen-Projekte. Natürlich kön-
nen hier auch alle anderen Lean-Werkzeuge zum Einsatz kommen, und zwar je
nach Problemlage individuell (5S, Rapid Changeover, One Piece Flow).
In der Control-Phase nutzt man die definierten Messgrößen, um die Nachhal-
tigkeit der Optimierungen zu überprüfen. Auch hier können wieder Werkzeuge
aus dem Six Sigma-Werkzeugkasten helfen, wie z.B. die Regelkarte, die Prozess-
fähigkeitsanalyse und SOPs bzw. QC Process Charts.
110 Bert Leyendecker

5 Verbesserungen messen und managen

Je größer der Einfluss der Aktionen und Projekte, die man im Rahmen des hier be-
schriebenen Verbesserungsprozesses umsetzt, auf die Unternehmensergebnisse ist,
desto nachhaltiger wirkt sich der gezielte und konsequente Instrumenteinsatz aus.
Dies wird an den Unternehmenskennzahlen der BSC sichtbar.
Die Mittel und Wege zur kontinuierlichen Verbesserung in der Wertschöp-
fungskette haben sich in mehreren Dimensionen weiterentwickelt. Zum einen
werden Projekte mehr und mehr im Gesamtzusammenhang der Wertschöpfungs-
kette gesehen, also über die gesamte Value Chain, und nicht mehr als einzelne
„Inseln der Verbesserung“. Zum anderen ist der Umfang der zur Anwendung
kommenden Werkzeuge deutlich erweitert worden. Man nutzt nicht mehr allein
Six Sigma- oder Lean Management-Werkzeuge, sondern sieht die Hilfsmittel von
Six Sigma, Lean Management, Projektmanagement und Change Management im
Einklang.
Außerdem ist ein intensiver Rückkopplungsprozess entstanden, der in vielen
Fällen die Projektbearbeitung gleich wieder mit dem Projekt-Portfoliomanage-
ment verbindet. So kann z.B. in der 3. Phase des hier beschriebenen Kreislaufs,
der Umsetzung von Aktivitäten und Projekten, die ursprünglich aus dem Lean Ma-
nagement stammende VSM in der Analyse-Phase eines Six Sigma-Projekts zur
Anwendung kommen, und es können sich daraus Projektideen für weitere Projekte
ergeben, die gleich wieder in die 2. Phase des Kreislaufs, die Zieldefinition und
Projektpriorisierung, einfließen. Das heißt aber auch, dass die 4 Schritte der konti-
nuierlichen Verbesserung, wie sie hier vorgestellt wurden, in der Praxis nicht rein
sequenziell ablaufen, sondern in starker Wechselwirkung stehen und sich ständig
gegenseitig beeinflussen.

6 Literatur

Breyfogle, F.W. (1999): Implementing Six Sigma, New York 1999.


Eckes, G. (2001): Making Six Sigma Last – Managing the Balance Between Cultural and
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test Manufacturer, New York 2004.
Das Zusammenspiel verschiedener Optimierungsmethoden 111

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Womack, J.P./ Jones, D.T. (2003): Lean Thinking – Banish Waste and Create Wealth in
Your Corporation, New York 2003.
Womack, J.P./ Jones, D.T./ Roos, D. (1990): The Machine That Changed the World, New
York 1990.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six
Sigma: Vom Standard-DMAIC zum Blitz-DMAIC

Swen Günther, Bernd Garzinsky

Inhalt

1 Problemlösungszyklen zur prozessbezogenen Verbesserung bei Lean


Management und Six Sigma ....................................................................113
1.1 PDCA-Zyklus bei Lean Management-Projekten......................................113
1.2 DMAIC-Zyklus bei Six Sigma-Projekten ................................................118
2 Blitz-DMAIC-Zyklus als alternativer Problemlösungszyklus bei
Lean Six Sigma-Projekten........................................................................125
2.1 Vorgehen und Methodeneinsatz...............................................................125
2.2 Problemspezifische Anwendung ..............................................................128
3 Konsequenzen für die Konzeption und Umsetzung von
Lean Six Sigma-Trainings........................................................................130
3.1 Ordentliches Six Sigma-Training auf Basis des
Standard-DMAIC-Zyklus.........................................................................131
3.2 Lean Six Sigma-Schulungskonzept auf Basis des
Blitz-DMAIC-Zyklus...............................................................................133
4 Literatur....................................................................................................135

1 Problemlösungszyklen zur prozessbezogenen


Verbesserung bei Lean Management und Six Sigma

In diesem Beitrag wird ein Überblick über die wesentlichen Problemlösungszyk-


len gegeben, welche im Rahmen von Lean Six Sigma zum Einsatz kommen. Nach
einer kurzen Vorstellung des PDCA-Zyklus, welcher als grundlegender Problem-
lösungszyklus im Qualitätsmanagement(QM)-Bereich angesehen wird, folgt im
Weiteren eine Darstellung des DMAIC-Zyklus. Dieser hat sich in vielen Six Sig-
ma-Unternehmen bei der Verbesserung von Prozessen bewährt und gilt heute als
„State of the Art“. Um dem Lean-Aspekt bei Six Sigma stärker gerecht zu werden,
entwickeln wir im zweiten und dritten Abschnitt einen alternativen Problemlö-
sungszyklus.

1.1 PDCA-Zyklus bei Lean Management-Projekten

Nach den Ausführungen in Kapitel A dieses Buches ist das Lean-Konzept stärker
eine Handlungsphilosophie als ein projektbasiertes Verbesserungsverfahren. Lean-
Projekte folgen i.d.R. keinem allgemeinen, fest definierten Ablauf. Zwar gibt es
114 Swen Günther, Bernd Garzinsky

nach der Implementierungsphase projektähnliche Vorgehensweisen mit fester


Struktur (Kaizen-Workshops), jedoch findet nur ein Teil der Verbesserungsmaß-
nahmen, vor allem während der Implementierung, in strukturierter Form statt.
Bis heute hat sich kein einheitliches Vorgehen mit definierten Phasen in der
Praxis durchgesetzt. In der Literatur wird häufig der fünfstufige Ansatz von Wo-
mack/ Jones (2004, S. 24 ff.) als Grundlage für den Projektablauf angeführt:1
1. Identifikation des Kundenwertes
2. Analyse des gesamten Wertstroms
3. Schaffen eines kontinuierlichen Flusses
4. Produzieren nach Kundentakt/ -wunsch
5. Streben nach Perfektion mit KVP.
Nach der anfänglichen, radikalen Neuausrichtung des Wertstroms in den ersten
4 Schritten (Kaikaku), setzt mit dem 5. Schritt die kontinuierliche, graduelle Ver-
besserung (Kaizen) ein. Ziel ist es, langfristig alle Formen von Blindleistung/ Ver-
schwendung (waste/ muda) zu eliminieren respektive zu vermeiden.
Mit Beginn des 5. Schritts finden regelmäßig Kaizen-Workshops statt. Diese
kurzen projektähnlichen Aktivitäten sind auf einen bestimmten Bereich im Unter-
nehmen begrenzt. Sie beziehen alle betroffenen Mitarbeiter ein und führen – ge-
samtheitlich betrachtet – zu vielen kleinen Prozessverbesserungen. Die Vorge-
hensweise basiert in den meisten Fällen auf dem PDCA-Zyklus nach Deming; er
umfasst die vier Phasen: P = Plan (Planen), D = Do (Ausführen), C = Check (Ü-
berprüfen), A = Act (Verbessern). Das schrittweise Durchlaufen der Phasen ist
dabei als nie endender Prozess zu verstehen (vgl. Zollondz 2006, S. 85f.):
Plan-Phase
Jeder Zyklus beginnt mit der Planungsphase. In dieser werden die Projektziele de-
finiert, der Projektrahmen abgesteckt und die notwendigen Maßnahmen zur Lö-
sung des Problems festgelegt. Um geeignete Maßnahmen festlegen zu können,
sind Ursachen-Wirkungs-Ketten aufzustellen und diesbezüglich benötigte Infor-
mationen/ Daten zu sammeln. Die Auswertung der Daten ermöglicht die Festle-
gung von Maßnahmen, die das Problem lösen und so den Prozess insgesamt
verbessern. Die Phase beinhaltet also nicht nur die Problembeschreibung und
Zieldefinition, sondern auch die Datenerfassung und Ursachenbestimmung. Im
Vergleich zum DMAIC-Zyklus sind die Aktivitäten, die im Rahmen der Define-,
Measure- und Analyse-Phase durchgeführt werden, in einer Phase gebündelt.
Do-Phase
In der danach folgenden Ausführungsphase werden die zuvor abgeleiteten Maß-
nahmen zunächst in kleinem Rahmen bzw. in experimenteller Form umgesetzt,
um Erfahrungen zu sammeln und eventuell auftretende Probleme bei der späteren

1 Die fünf Schritte sind in Kapitel A im Beitrag von Töpfer ausführlich behandelt.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma 115

Umsetzung zu erkennen. Das Vorgehen, die Einhaltung des Zeitplans und die Er-
gebnisse der Do-Phase werden dokumentiert.2
Check-Phase
Die Überprüfungsphase dient dazu, die in der Do-Phase erreichten Ergebnisse zu
bewerten und anschließend zu kontrollieren. Dabei erfolgt eine Rückkopplung in
die Planungsphase, in der die Ziele des Projektes definiert worden sind. Bei einer
Gegenüberstellung mit dem DMAIC-Zyklus wird deutlich, dass die Inhalte der
Do- und Check-Phase im weitesten Sinne denen der Improve-Phase entsprechen,
also Lösungen generieren, auswählen und implementieren.
Act-Phase
In dieser Phase werden die in der Planungsphase auf höherer Ebene aufgestellten
Veränderungsmaßnahmen eingeführt, d.h. in die täglichen Abläufe und Aktivitä-
ten implementiert. Dabei sind alle am Prozess beteiligten Parteien, insbesondere
Mitarbeiter und Führungskräfte, zu involvieren. Schließlich ist eine Feedback-
Schleife vorgesehen, um zu klären, wie – ausgehend von den Ergebnissen der
Check-Phase – der nächste Zyklus geplant werden kann. Danach beginnt der Zyk-
lus von vorn.
Die Inhalte der Act-Phase decken sich weitestgehend mit denen der Control-
Phase des DMAIC-Zyklus. Die vorliegenden Ergebnisse werden unmittelbar für
die Planung späterer PDCA-Projekte verwendet. Hierdurch wird eine kontinuierli-
che Prozessverbesserung in Gang gesetzt. Der Nachteil dieses Ansatzes liegt le-
diglich darin, dass KVP nur für Prozesse möglich ist, deren Abläufe sich nicht/
kaum ändern, weil eine Verbesserung immer nur auf denselben Ablauf anwendbar
ist.
In Abbildung 1 ist der Kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) auf der
Grundlage des PDCA-Zyklus bildlich veranschaulicht. Eine Umdrehung des
PDCA-Rades auf der schiefen Ebene nach oben symbolisiert den Durchlauf genau
eines Zyklus. Je weiter oben sich das Rad befindet, desto höher ist die jeweilige
Prozessqualität. Die Anwendung dieser Systematik bezieht sich nicht nur auf die
Unternehmens-/ Geschäftsprozessebene, sondern auch auf die Projekt-/ Arbeits-
ebene.
Im Zusammenhang mit der Darstellung des PDCA-Zyklus werden die wesent-
lichen Charakteristika von Qualitätsverbesserungssystemen (QVS) deutlich. Diese
arbeiten i.d.R. mit Rückkopplungen/ Schleifen, bei denen die folgende Systematik
zugrunde liegt: Nachdem der gegenwärtige Zustand des Systems/ des Prozesses
ermittelt worden ist, werden auf der Basis dieser Erkenntnisse Verbesserungen
vorgeschlagen und durchgeführt. Der Zyklus startet nach der Implementierung der
Verbesserungen von neuem, jedoch auf einer veränderten, nämlich höheren Basis.

2 Im Laufe der Zeit wurde der PDCA-Zyklus sukzessive weiterentwickelt und auf ver-
schiedene Weise modifiziert. So wird z.B. in einer überarbeiteten Version ein zusätzli-
cher (kleiner) PDCA-Zyklus innerhalb der Do-Phase durchlaufen.
116 Swen Günther, Bernd Garzinsky

Der PDCA-Zyklus wird unmittelbar dem vor allem in den 1990er Jahren popu-
lären TQM-Ansatz zugeschrieben und ist vom Grundsatz her mit dem DMAIC-
Zyklus des Six Sigma-Konzeptes vergleichbar. Jedoch zeichnet sich letzteres ge-
genüber TQM durch eine stringentere Methodenanwendung sowie ein strafferes
Projektmanagement aus. Nach Ansicht von Experten findet vor allem der Füh-
rung- und Managementaspekt bei Six Sigma eine stärkere Berücksichtigung. Hin-
zu kommt ein relativ unstrukturierter und wenig standardisierter Methodeneinsatz,
welcher den effizienten Ablauf des PDCA-Zyklus garantiert.

Act Plan

en
nahm Check Do
Act Plan M aß

Verbesserungen
Check Do

Zeit
Basis: Deming 1986

Abb. 1: Kontinuierliche Verbesserung mit dem PDCA-Zyklus

In Abbildung 2 sind wesentliche Methoden und Werkzeuge3 des Lean-


Konzeptes – in vier Gruppen unterteilt – aufgeführt. Sie spielen vor allem in der
Do-Phase des PDCA-Zyklus eine wichtige Rolle (vgl. Liker 2004, S. 33):
1. Die Grundlage für den effektiven und effizienten Einsatz der Lean-Methoden
und -Werkzeuge bildet das Erreichen respektive Sicherstellen einer Operativen
Stabilität. Hierbei stellt die Produktionsglättung eine zeitlich gleichmäßige
Auslastung der Produktion sicher. Die Standardisierung gewährleistet, dass die
Arbeit produktiv, wiederholbar und sicher durchgeführt wird. Kaizen wiederum
verwirklicht das Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung.
2. Die bedarfsgerechte Produktion wird über die gesamte Wertschöpfungskette
mithilfe von Just-in-Time realisiert. Es wird nur das hergestellt, was zu einem
bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Menge vom Kunden nachgefragt

3 Unter „Methoden“ werden hier festgelegte Vorgehensweisen zur Erreichung definierter


Ziele verstanden, z.B. DOE. Typischerweise wird das methodische Vorgehen durch den
Einsatz von „Werkzeugen“ als Sub-Methoden unterstützt, z.B. Ishikawa.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma 117

wird. Dabei werden durch die Fließfertigung die Prozesse entsprechend dem
Wertstrom direkt räumlich aneinander platziert und durch einen Mitarbeiter
komplett durchgeführt. Die Taktzeit passt das Tempo des Produktionsprozesses
dem der Kundennachfrage an. Beim Pull-System holt ein Prozess Vormaterial
von einem vorgelagerten Schritt, der wiederum die entnommene Menge nach-
produziert. Dies gewährleistet, dass die richtigen Teile produziert und zur rich-
tigen Zeit an den richtigen Ort geliefert werden.

Lean-Methoden

Just-In-Time Werkzeuge Autonomation


Fließ- Zellen- Fehler-
TPM Poka Yoke
fertigung fertigung erkennung

Produktions-
Taktzeit SMED VSM Andon stopp

Pull- Problem-
Kanban 5S 5W
System lösung

Operative Stabilität
Standardisierte
Produktionsglättung Kaizen
Arbeit

Basis: Liker 2004, S. 33

Abb. 2: Vier Gruppen von Lean-Methoden und -Werkzeugen

3. Um Probleme/ Fehler unmittelbar an ihrem Entstehungsort zu erkennen und zu


beseitigen, ist eine höhere Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter (Empower-
ment) erforderlich. Autonomation bezeichnet das Prinzip, einen Herstellungs-
prozess anzuhalten, sobald eine Abweichung auftritt. Es setzt sich aus den Pha-
sen Fehlererkennung, dem Produktionsstopp und der anschließenden
ursachenbasierten Problemlösung zusammen. In der industriellen Fertigung hat
sich in diesem Zusammenhang das auf Toyota zurückgehende „Reißleinen-
Prinzip“ bewährt. Die Produktionsanlagen werden per Reißleine gestoppt, so-
bald ein Mitarbeiter einen Fehler entdeckt hat.
4. Lean-Projekte, die z.B. nach dem PDCA-Zyklus durchgeführt werden, sind aus
Methodensicht eher einfach gestaltet. Komplexe (statistische) Verfahren zur
exakten Ursachenanalyse finden hier kaum Anwendung. Der Fokus der Werk-
zeuge liegt auf der Implementierung von Lösungen. Hierzu gehören u.a. Zellen-
fertigung, Total Productive Maintenance (TPM), Poka Yoke (japanisch: Ver-
meiden unbeabsichtigter Fehlhandlungen), Rüstzeitoptimierung i.S.v. SMED
(Single Minute Exchange of Dies), Value Stream Mapping (VSM), Andon-
118 Swen Günther, Bernd Garzinsky

Tafel zur Produktionsüberwachung, Kanban-Prinzip, 5S-Methode zur Schaf-


fung von Ordnung und Sauberkeit am Arbeitsplatz sowie die Fünfmal-Warum-
Methode zur gezielten Problemursachenfindung (5W).4
Den Schwerpunkt der Lean-Werkzeuge bilden grafische Verfahren, z.B. Fluss-
diagramme, die leicht trainierbar und einfach anwendbar sind. Gegenüber Six Sig-
ma kommen statistische Verfahren, z.B. Regressionsanalyse, hier nur sporadisch
zur Anwendung. Im Vordergrund der Bemühungen steht die Lösungsfindung. Vor
diesem Hintergrund lässt sich Lean Management als umsetzungsorientiertes Ma-
nagementkonzept charakterisieren. Das Six Sigma-Konzept ist dagegen stärker er-
kenntnisorientiert, wie die folgenden Ausführungen verdeutlichen.

1.2 DMAIC-Zyklus bei Six Sigma-Projekten

Anders als Lean Management besitzt das Six Sigma-Konzept einen festen Ablauf-
plan, auf welchem jedes Projekt basiert. Bei prozessbezogenen Verbesserungen
kommt der DMAIC-Zyklus zum Einsatz. Dieser gliedert sich in die fünf Phasen
Define, Measure, Analyse, Improve und Control (vgl. Töpfer/ Günther/ Garzinsky
2007, S. 262ff.):
1. Spezifizieren des Projekts und der Kundenanforderungen (Define)
2. Sammeln und Darstellen von relevanten Daten (Measure)
3. Identifizieren der (Haupt-)Ursachen des Problems (Analyse)
4. Erarbeiten und Umsetzen der optimalen Lösung (Improve)
5. Überwachen der dauerhaften Problembeseitigung (Control)
Die Problemlösung erfolgt systematisch und zeichnet sich über weite Strecken
durch eine wissenschaftliche Vorgehensweise aus. Dabei werden mit Realitäts-
und Abstraktionsebene zwei Ebenen der Problemlösung unterschieden. Durch die-
se Trennung ist es möglich, auch schwierige praktische Probleme zu lösen. Die
Lösungsfindung erfolgt in vier Schritten (siehe Abb. 3):
! Auf der Realitätsebene wird das reale Problem definiert und – in der Define-
Phase – zu einem 3- bis 6-monatigen Verbesserungsprojekt nominiert; dieses
ist von drei bis fünf Akteuren in dem vorgesehenen Zeitraum zu bearbeiten.
" Das reale Problem wird in ein abstraktes Problem transformiert, was aus wis-
senschaftlicher Sicht der Modellbildung entspricht. Aus dem realen Problem
wird – in der Measure-Phase – ein statistisches Problem, welches mithilfe von
Variablen und Messgrößen beschrieben werden kann.
# Auf der Abstraktionsebene wird unter Nutzung mathematisch-statistischer Mo-
delle eine abstrakte Lösung gesucht. Dazu werden zunächst – in der Analyse-
Phase – die Hauptursachen des Problems identifiziert; in der anschließenden
Improve-Phase – wird versucht, eine abstrakte Lösung zu erarbeiten und deren
Potenzial durch Outputsimulationen abzusichern.

4 Auf die hier genannten Lean-Methoden/ -Werkzeuge wird in den Praxisbeiträgen in Ka-
pitel C näher eingegangen.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma 119

$ Die abstrakte Lösung wird in eine reale Lösung zurücktransformiert. Nach der
Implementierung im Prozess wird die gefundene Lösung – in der Control-Phase
– kontinuierlich überwacht und ggf. weiter verbessert.

Measure/
Improve
Analyse
Statistisches Statistische
2 3
Problem Lösung

Abstraktions-
ebene

Realitäts-
ebene
Trial &
Reales Error Reale
1 4
Problem Lösung

Define Control

Basis: Töpfer/ Günther/ Garzinsky 2007, S. 263

Abb. 3: Der Problemlösungsfluss in Six Sigma-Projekten

Die Denkweise von Six Sigma unterscheidet sich damit deutlich von Lean Ma-
nagement sowie traditionellen QM-Ansätzen, z.B. TQM. Dies liegt vor allem dar-
an, dass die Implementierung einer Lösung in der Realität erst dann vorgenommen
wird, wenn eine zufriedenstellende Lösung auf der Abstraktionsebene gefunden
worden ist. In diesem Fall haben die Mittelwert- und Streuungsmaße der wesentli-
chen Outputgrößen des Prozesses das anvisierte Zielniveau erreicht. Andernfalls
werden die Measure- und Analyse-Phase so lange durchlaufen, bis die Abhängig-
keiten in Form von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen offengelegt und die geplan-
ten Verbesserungen über Outputsimulationen hinreichend abgesichert sind.
Neben der Denkweise und dem gewählten Problemlösungszyklus unterscheidet
sich Six Sigma von Lean vor allem hinsichtlich des strukturierten Methodenein-
satzes. So liegt die Stärke von Six Sigma unmittelbar darin, dass die aus dem QM-
Bereich einschlägig bekannten Methoden und Werkzeuge in den DMAIC-Zyklus
– inhaltlich und konzeptionell – integriert sind.
In Abbildung 4 ist der typische Ablauf des DMAIC-Zyklus, wie wir ihn in kon-
kreten Six Sigma-Projekten anwenden, wiedergegeben. Den Phasen sind jeweils
die wesentlichen Vorgehensschritte bzw. Methoden zugeordnet. Die folgenden
Ausführungen zum wirkungsvollen Einsatz der Methoden basieren auf eigenen
Projekterfahrungen. Sie bilden die Grundlage für die Entwicklung und Konzeption
eines „schlanken“ DMAIC-Zyklus im nachfolgenden Abschnitt.
120 Swen Günther, Bernd Garzinsky

Define
t
jek
Pro rter Business Projekt- SIPOC
a Case rahmen
Ch
Measure
Probleme Meilen-
Control und Ziele steine Outputmessgrößen

Daten-
Reaktionsplan
© Prof. Dr. Armin Töpfer

Monitoring der VOC Kern- CTQ sammelplan


Prozessleistung x1 x1<b thema CTQ
x2 a<x2<b VA
3ak
few Komplexität Gage R&R
y Vital
Referenz- x
Prozessdokumentation leistung s

Improve Analyse
Lösungen Design des Prozess- und Ishikawa Datenanalyse
generieren Sollprozesses Zeitanalyse
Kosten-/ Nutzen- Entwicklung von Input- und

analyse Hypothesen Output-


Prozessvariable FMEA Design of
mess- Experiments
Output- Auswahl der op-
größen
Input- und Prozess-
messgrößen
RPZ=A*B*E
simulation timalen Variante Wertschöpfungs- x1 y Statistische
analyse x2 Tests (Korrelation,
y=f(x1,x2,...,xn) Regression, Varianz)
Quelle: Töpfer/ Günther/ Garzinsky 2007, S. 260
© Prof. Dr. Armin Töpfer

Abb. 4: M+M Standard-DMAIC-Zyklus

Define-Phase
Zu Beginn des Six Sigma-Projektes ist eine eindeutige Definition des Projektauf-
trags bzw. die Projekt Charter notwendig. Sie umfasst neben den üblichen Kenn-
zeichnungen und Daten eines Projektes insbesondere Details zu
• Business Case/ Problemhintergrund, welcher die aktuelle Geschäftssituation
beschreibt und anhand der Kriterien Qualität, Zeit und Kosten herausstellt, wa-
rum das Six Sigma-Projekt gerade „jetzt und hier“ notwendig ist
• Probleme und Ziele/ Nutzen, welche die Problematik detaillieren und die Ziel-
vorstellung des Champions – unter Angabe des zu erreichenden Sigma-Niveaus
bzw. des zu realisierenden Net Benefit – quantifizieren
• Projektumfang und Fokus/ Rahmen, welcher zum einen die Frage beantwortet,
was im Mittelpunkt der Verbesserungsaktivitäten stehen soll, und zum anderen,
welche Vorgänge zum Projektrahmen gehören und welche nicht
• Rollen/ Verantwortlichkeiten und Meilensteine, welche die Art und Anzahl
notwendiger (personeller und finanzieller) Ressourcen angeben, die Zusam-
menstellung des Projektteams festlegen sowie die Projektdauer unter Angabe
von Start-, Zwischen- und Endterminen determinieren.
Nach der Definition der Projekt Charter und dem „offiziellen Start“ des Six
Sigma-Projektes findet zunächst eine Ein-/ Abgrenzung des zu analysierenden
Prozesses auf „hoher Ebene“ statt. Dazu wird eine so genannte SIPOC-Analyse
durchgeführt, bei der die Input-Output-Beziehungen vom Lieferanten bis zum
Kunden präzisiert werden. Für die 5 bis 7 wichtigsten (Haupt-)Prozessschritte (P –
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma 121

Processes) werden die Inputs (I) und Outputs (O) zusammen mit den wesentlichen
Lieferanten (S – Suppliers) und Kunden (C – Customers) aufgelistet.
Die SIPOC-Analyse bildet die Grundlage für die Ableitung der entscheidenden
Kundenanforderungen im Rahmen der VOC-CTQ-Analyse. Sie stellt die erste zah-
lenorientierte Systematik des DMAIC-Zyklus dar. Ausgehend von der „ungefilter-
ten“ Stimme des Kunden (VOC – Voice of the Customer) werden bezogen auf den
zu verbessernden Wertschöpfungsprozess die zentralen und messbaren Kriterien
(CTQ – Critical to Quality Characteristics) abgeleitet. Dies erfolgt i.A. über die
Ermittlung von Kernthemen, denen alle VOCs in einem ersten Analyseschritt zu-
geordnet werden. Im zweiten Schritt sind daraus die CTQs zu spezifizieren, die
zugleich den Ausgangspunkt für die Ermittlung der Referenzleistung des aktuellen
Prozesses in der Measure-Phase bilden.
Auf der Basis der Projekt Charter und der SIPOC-Analyse sollen im Weiteren
kurz die wesentlichen Schritte zum Einstieg in den Six Sigma-Mess- und Analy-
seprozess skizziert werden. Dabei kommen insbesondere die zahlenorientierte
Vorgehensweise und Steuerung, die eindeutige Messbarkeit an jeder Stelle des
Prozesses sowie die in sich geschlossene Systematik und logisch aufeinander ab-
gestimmten Schritte im Rahmen des DMAIC-Zyklus zum Ausdruck.
Measure-Phase
Das vorrangige Ziel von Six Sigma-Projekten besteht darin, die Ursachen-Wir-
kungs-Beziehungen zwischen Input – Process – Output aufzudecken und optimal
einzustellen. Deshalb ist es notwendig, auf der Grundlage der ermittelten CTQs
die elementaren Output-, Prozess- und Inputmessgrößen abzuleiten.
Mithilfe der zweiten zahlenorientierten Systematik von Six Sigma, der CTQ-
Outputmessgrößen-Analyse, werden zu Beginn der Measure-Phase die Output-
messgrößen des Prozesses bestimmt. An ihnen wird die Referenzleistung des ak-
tuellen Prozesses, also die Ausgangssituation für nachfolgende Verbesserungsak-
tivitäten, festgemacht. Die Bestimmung der Referenzleistung erfordert i.d.R. eine
intensive Datensammlung. Auf der Basis eines Datensammelplans werden sowohl
für die Outputmessgrößen als auch für die Prozess- und Inputmessgrößen an ver-
schiedenen Messpunkten des Prozesses Daten erfasst.
Wichtige Messgrößen zur Bestimmung der Prozesseffektivität/ -effizienz sind
u.a. die Fehlerrate als PPM (Parts per Million) und die Fehlerquote als DPMO
(Defects per Million Opportunities) für diskrete Merkmale. Im Unterschied zur
PPM-Formel werden bei der DPMO-Formel die Fehlermöglichkeiten (OFD – Op-
portunities for Defects) und damit die Komplexität des betrachteten Prozesses be-
rücksichtigt. Lässt sich die Qualität des Outputs anhand von stetigen Merkmalen
quantifizieren, dann wird zum einen der Cp-Wert als Maß für die Prozessstreuung
und zum anderen der Cpk-Wert als Maß für die Prozessfähigkeit berechnet. Beide
Indizes sind dimensionslos und beschreiben die potenzielle Eignung des Prozes-
ses, die Spezifikationen einzuhalten (vgl. Schipp/ Töpfer 2007, S. 199).
Um das Skalenniveau verschiedener Merkmalsausprägungen (diskret/ stetig)
und damit unterschiedlicher Messansätze zur Bestimmung von Fehlerhäufigkeiten
im Unternehmen vergleichen zu können, wird das erreichte Qualitäts-Niveau über
eine zentrale statistische Kennzahl, den Sigma-Wert, angegeben. Bezogen auf den
122 Swen Günther, Bernd Garzinsky

Cp-Wert bedeutet dies, dass die Prozessstreubreite höchstens die Hälfte der Tole-
ranzbreite beanspruchen soll (Cp ≥ 2). Bei einem Prozess, dessen Mittelwert ge-
nau in der Mitte des vorgegebenen Toleranzbereichs liegt, würde infolgedessen
auf beiden Seiten der Prozessstreubreite der Sicherheitsabstand zur oberen/ unte-
ren Toleranzgrenze mindestens 3σ, also insgesamt 6σ, betragen.
Durch die Festlegung einheitlicher Messkriterien und die Angabe des Sigma-
Wertes wird die Grundlage für ein unternehmensinternes/ -externes Benchmarking
gelegt. Um Fehler beim Messen zu vermeiden/ auszuschließen, wird für jede defi-
nierte Messgröße eine so genannte Gage R&R durchgeführt. Dabei handelt es sich
um eine standardisierte Methode zur Validierung des Messsystems. Anerkannte
Six Sigma-Praxis ist es, dass (deutlich) weniger als 30% der Gesamtvarianz der
Messwerte durch das eingesetzte Messsystem erklärt werden dürfen (vgl. Lunau et
al. 2006, S. 59f.). Hier wird zum einen die Wiederholbarkeit des gleichen Mess-
vorgangs durch die gleiche Person/ Maschine (R – Repeatability) analysiert und
zum anderen die Reproduzierbarkeit des gleichen Messvorgangs durch zwei oder
mehrere Personen/ Maschinen (R – Reproducibility). Es liegt auf der Hand, dass
mit fallendem PPM-/ DPMO-Wert bzw. steigendem Sigma-Wert die Bedeutung
der Zuverlässigkeit des Messsystems (signifikant) steigt.
Analyse-Phase
Die Analyse-Phase stellt die „Kernphase“ des DMAIC- bzw. DMADV-Zyklus
dar. Ohne eine tiefgehende und aussagefähige Ursachenanalyse für Fehler sind
i.A. keine Verbesserungsmaßnahmen mit großer Hebelwirkung möglich, so dass
der zu verbessernde Prozess so genau wie möglich zu quantifizieren und „zu ver-
stehen“ ist. Ein optimales Prozessverständnis ist genau dann erreicht, wenn sich
die Beziehung zwischen der jeweiligen Outputmessgröße (y) sowie den Prozess-
und Inputmessgrößen (xi) über einen funktionellen Zusammenhang der Form y =
f(x1, x2, ..., xn) beschreiben lässt. Dies erfordert zunächst eine detaillierte Prozess-
darstellung und -analyse, z.B. in Form von Zeit-, Wertstrom- und Flussanalysen.
Im Weiteren sind Ursachen-Wirkungs-Analysen durchzuführen, welche den
Zusammenhang zwischen der abhängigen Outputmessgröße (y) als Wirkungsgrö-
ße und einer oder mehreren unabhängigen Prozess-/ Inputmessgrößen (xs) als Ur-
sachengrößen offen legen. Zu diesem Zweck kommt i.d.R. das Ishikawa-
Diagramm in Verbindung mit der Fehler-Möglichkeits- und -Einfluss-Analyse
(FMEA) zum Einsatz. Die vermuteten Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge wer-
den in Hypothesen formuliert und mithilfe von statistischen Tests/ Verfahren ü-
berprüft (z.B. Kontingenz-, Varianz- und Regressionsanalyse).
Die Analyse-Phase verläuft in vielen Fällen zweigleisig:5
• Im Rahmen der o.g. Prozessanalyse wird zunächst versucht, auf graphischem
Weg die Zusammenhänge zwischen Ursachen- und Wirkungsgrößen zu bestim-
men. Im Ergebnis liegt eine qualitative Beschreibung des Prozessablaufs zur
Erstellung des definierten Outputs vor. Auf dieser Basis werden die wesentli-

5 Bergbauer (2003, S. 36f.) spricht in diesem Zusammenhang auch von „Prozesstür“ und
„Datentür“, durch die der Einstieg in die Analyse-Phase erfolgt.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma 123

chen Prozess- und Inputmessgrößen erkannt und in Bezug auf ihren Einfluss
auf die Outputmessgröße (subjektiv) gewichtet.
• Nach der Erhebung von Daten zu den einzelnen Messgrößen kommen im Rah-
men der Datenanalyse mathematisch-statistische Verfahren zum Einsatz, die
den vermuteten Zusammenhang zwischen der Outputmessgröße als abhängiger
Variable und den Prozess-/ Inputmessgrößen als unabhängigen Variablen bestä-
tigen. Im Ergebnis liegt ein quantifiziertes und statistisch abgesichertes Ursa-
chen-Wirkungs-Modell bzgl. des untersuchten Prozesses vor.
Improve-Phase
Wie aus den vorstehenden Ausführungen deutlich wird, ist es für den Erfolg eines
Six Sigma-Projektes entscheidend, in der Analyse-Phase alle wesentlichen Ursa-
chengrößen für den Prozessoutput zu erkennen und zu quantifizieren. Um die
Stärke des Einflusses von einzelnen Messgrößen zu bestimmen, reicht es i.d.R.
nicht aus, den aktuellen Prozess nur zu beobachten. Vielmehr ist die Bedeutung
von einzelnen Messgrößen über experimentelle Versuche abzuklären.
Durch die Statistische Versuchsplanung (DOE – Design of Experiments) wird
im Rahmen von Six Sigma-Projekten eine systematische Vorgehensweise be-
schrieben, die neben dem Aufdecken von Haupteinflussgrößen die Identifikation
von Wechselwirkungen zwischen zwei und mehreren Größen erlaubt. Weiterhin
ist es mit bestimmten Versuchsanordnungen möglich, z.B. CCD – Central Com-
posite Design, nicht-lineare Beziehungen zwischen den unabhängigen Einfluss-
größen des Prozesses und der abhängigen Outputgröße aufzudecken. Die Anzahl
der durchzuführenden Versuche hängt im Wesentlichen davon ab,
• Wie viel bereits im Vorfeld des Six Sigma-Projektes über den betreffenden Pro-
zess gewusst wird (Wissen) und
• Wie viele Faktoren den Output determinieren und im Rahmen der Modellbil-
dung zu berücksichtigen sind (Komplexität).
In der Analyse-Phase kommen i.d.R. teil- und/ oder vollfaktorielle Versuchs-
pläne zum Einsatz, um möglichst alle Haupt- und Nebeneffekte zu eruieren. In ei-
ner frühen Phase der Untersuchung werden darüber hinaus so genannten Scree-
ning Designs durchgeführt. Dabei handelt es sich um „Siebverfahren zur
Parameterreduzierung“, bei denen aus einer großen Zahl von Faktoren, die ver-
mutlich das Verhalten des Prozesses beeinflussen, eine kleine Anzahl von Fakto-
ren ermittelt wird, die tatsächlich einen Einfluss auf die Ergebnisvariable haben.
Eine Möglichkeit, um die Anzahl der benötigten Versuche bei einer (sehr) großen
Anzahl potenzieller Einflussfaktoren zu reduzieren, stellt die Verwendung von
Plackett-Burman-Designs dar. Sie können insbesondere in Screening-Situationen
benutzt werden, in denen mehr als 16 Versuche bei vollfaktoriellem Design not-
wendig sind, deren Durchführung aber aus Unternehmensgesichtspunkten zu kost-
spielig ist.
In der Improve-Phase kommt ebenfalls DOE zum Einsatz. Das Ziel besteht hier
darin, auf der Basis des gefundenen funktionellen Zusammenhangs zwischen Out-
putmessgröße (y) und Prozess-/ Inputmessgrößen (xi) in der Analyse-Phase das
optimale Prozessdesign und damit die optimale Faktorkombination zu bestimmen.
124 Swen Günther, Bernd Garzinsky

Mithilfe von speziellen Verfahren (RSM – Response Surface Methodology) wird


versucht, die Ausprägung der Einflussfaktoren für ein bestmögliches Prozesser-
gebnis – zunächst theoretisch – zu ermitteln (vgl. Breyfogle 2003, S. 643ff.).
Sind die Ausprägungen plausibel und nachvollziehbar, müssen praktische Lö-
sungen gefunden werden, mit denen das Problem behoben und eine Optimierung
erzielt werden kann. Dabei kommen i.d.R. Kreativitätstechniken zum Einsatz, z.B.
Brainstorming. Die Vorteilhaftigkeit der generierten Lösungsideen wird im An-
schluss mit Hilfe einer Kosten-Nutzen-Analyse überprüft. Handelt es sich bei den
vorgeschlagenen Verbesserungen um Prozessveränderungen, dann ist die Tragfä-
higkeit des angestrebten Soll-Prozesses zunächst im Rahmen von kontrollierten
Outputsimulationen zu überprüfen. Da das prozessrelevante Wissen im Laufe des
Six Sigma-Projektes stark angestiegen ist, können in dieser Phase gehaltvolle
Hypothesen bzgl. der Outputveränderung aufgestellt und getestet werden.
Control-Phase
Vor der Implementierung der gefundenen und ausgewählten Lösung im Serien-
prozess werden häufig Pilotversuche durchgeführt. Dadurch ist ein Praxistest
möglich, mit dem – im Gegensatz zu den Ergebnissen von IT-gestützten Simulati-
onen – die Veränderungen/ Verbesserungen real nachvollzogen werden können.
Bei weniger kritischen Prozessen stellen sie eine gute Ergänzung zu Simulations-
durchläufen, z.B. Monte-Carlo-Simulationen, dar. Bei umfangreicheren Six Sig-
ma-Projekten wird die Pilotierung unbedingt empfohlen, da hierdurch die Kosten-
senkungs- und/ oder Umsatzsteigerungspotenziale bezogen auf das
Gesamtunternehmen abschätzbar sind. Gleichzeitig kann auf diese Weise die Ak-
zeptanz der neuen Lösung bei Mitarbeitern und Führungskräften überprüft wer-
den.
Zeigen die Ergebnisse der Pilotphase, dass mit der favorisierten Lösung das an-
gestrebte Zielniveau noch nicht erreichbar ist, dann ist u.U. eine Rückkopplungs-
schleife in die Analyse-Phase notwendig. In vielen Projekten zeigt sich nämlich,
dass die Probleme im ersten Durchlauf auf einer zu hohen Analyseebene angegan-
gen werden. Erst wenn auf der Basis von verifizierten Ursachen-Wirkungs-Zu-
sammenhängen Lösungen generiert werden können, mit denen das in der Projekt
Charter formulierte Problem nachweislich behoben wird, ist der Übergang in die
Control-Phase gegeben. In dieser Phase geht es darum, den optimierten Prozess
bzw. das fehlerfreie Produkt zu stabilisieren und das erreichte Zielniveau zu über-
wachen. Nach Abschluss des Six Sigma-Projektes setzen i.A. weiterführende Ver-
besserungsaktivitäten ein, um so den Übergang zu KVP zu erreichen.
Die Control-Phase ist erforderlich, damit die zur Prozessoptimierung imple-
mentierten Lösungen nach Projektabschluss nicht nachlassen bzw. „aufgeweicht“
werden. Dazu ist zum einen eine umfassende und aussagefähige Prozessdokumen-
tation mit visualisiertem Soll-Prozess und eindeutig formulierten Verfahrensan-
weisungen notwendig. Zum anderen sind Statistische Qualitäts- bzw. Prozessre-
gelkarten einzusetzen, die ein kontinuierliches Monitoring der als kritisch
eingestuften Input- und Prozessmessgrößen erlauben. Ein wesentlicher Bestandteil
der datengestützten Prozesssteuerung/ -regelung (SPC – Statistical Process
Control) ist der Einsatz von Reaktionsplänen, die beschreiben, was zu tun ist,
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma 125

wenn der Prozess außer Kontrolle gerät, d.h. die Eingriffs- oder Warngrenzen ver-
letzt werden. Mit der Erfüllung dieser Anforderungen gilt das Six Sigma-Projekt
als beendet. Die erstellten Unterlagen zur Prozesssteuerung und -überwachung
werden vom Projektteam (Green und Black Belts) an den Prozesseigner (Champi-
on) übergegeben.
Neben einer präzisierten Projektlaufzeit von 90 bis maximal 180 Tagen konkre-
tisiert sich die stringente Umsetzung von Six Sigma-Projekten in einer klaren Ziel-
struktur, bei der die finanziellen Ergebnisse jeweils im Vordergrund stehen. Die
prognostizierten Nettoeinsparungen (Net Benefit) des Projektes sind die Grundla-
ge für die „Go-Entscheidung“ des Champions. In die Net Benefit-Berechnung flie-
ßen die liquiditätswirksamen Kosteneinsparungen und/ oder Umsatzsteigerungen
ein, die innerhalb von 12 Monaten nach Projektende generiert werden können.
Diesem monetären Projekterfolg werden die Kosten der Projektdurchführung ge-
genübergestellt. Opportunitätskosten und -erlöse, z.B. aufgrund verringerter Kun-
denabwanderung, finden generell keine Berücksichtigung.

2 Blitz-DMAIC-Zyklus als alternativer Problemlösungs-


zyklus bei Lean Six Sigma-Projekten

Ein wesentlicher Vorteil des DMAIC-Zyklus gegenüber dem PDCA-Zyklus ist


der in sich schlüssige und aufeinander abgestimmte Methodeneinsatz. Zur Prob-
lemlösung werden sowohl relativ einfache grafische Methoden als auch schwieri-
ge(re) mathematisch-statistische Verfahren eingesetzt. Dadurch wird sicherge-
stellt, dass die optimale Lösung für das definierte Problem mit hoher
Wahrscheinlichkeit gefunden wird. Aus Lean-Gesichtspunkten ist dies nicht im-
mer angestrebt, da die Verbesserungsprojekte aufgrund der umfangreichen Daten-
erhebung und -analyse vergleichsweise lange dauern, i.d.R. mehrere Monate.

2.1 Vorgehen und Methodeneinsatz

Die Projektgröße und der Durchführungsaufwand eines Six Sigma-Projektes sind


– im Vergleich zu Lean-Aktivitäten – sehr hoch. Wie bereits an anderer Stelle er-
wähnt, erfordert die Problemlösung auf Basis des DMAIC-Zyklus einen Zeitraum
von drei bis sechs Monaten, während Kaizen-Workshops i.d.R. nicht länger als ei-
ne Woche dauern. Grund für die relativ lange Projektdauer bei Six Sigma ist die
jeweils geforderte (umfangreiche) Datenerhebung und -auswertung. Insbesondere
in der Measure- und Analyse-Phase werden deshalb z.T. erhebliche personelle und
finanzielle Ressourcen benötigt. Im Gegenzug lassen sich mit Six Sigma betriebli-
che Probleme angehen und lösen, deren Ursachen schwer zu finden sind.
Sowohl bei Six Sigma als auch bei Lean Management werden Methoden und
Werkzeuge gezielt eingesetzt, um das Verlustrisiko aufgrund nicht erkannter und/
oder beseitigter Probleme zu minimieren. Hierbei gelten die Grundsätze:
126 Swen Günther, Bernd Garzinsky

• Wenn wir nichts wissen, können wir nicht handeln.


• Wenn wir nicht handeln, erhöht sich das Verlustrisiko.
• Wenn wir wissen und nicht handeln, beschleunigen wir den Verlust.
• Wenn wir wissen und handeln, lässt sich das Risiko managen.
Nach allgemeiner Auffassung besteht eine Austauschbeziehung (Trade-off)
zwischen Wissensintensität und Verlustrisiko. Konkret bedeutet dies, dass sich das
betriebswirtschaftliche Verlustrisiko nur „auf Kosten“ einer problembezogenen
Wissensintensivierung senken lässt, et vice versa. Dabei stehen die Kosten, die an-
fallen, um Wissen zu generieren, damit das Problem optimal gelöst werden kann,
in unmittelbarem Zusammenhang mit dem erforderlichen Methoden-Know-how.
Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 5 skizziert. Das Methoden-Know-how
wird wiederum beeinflusst durch die Komplexität der Problemstellung und das in-
folgedessen gewählte Abstraktionsniveau der Problemanalyse.

Problem-
Wissen

W*

Wi

Mi

M* Methoden-
Legende: Know-how
W* – Erforderliches Wissen, um Problem optimal zu lösen
M* – Für Erreichen von W* notwendiges Methoden-Know-how
Wi – Wissenszuwachs durch Anwendung der Methode Mi
Mi – Know-how-Aufbau, um Methode i effektiv anzuwenden

Abb. 5: Zusammenhang zwischen Methoden-Know-how und Problem-Wissen

Beim DMAIC-Zyklus sind die Methoden/ Werkzeuge in den einzelnen Phasen


so aufeinander abgestimmt, dass mit jeder Methode etwas mehr Wissen generiert
wird, das für die Lösung des Problems relevant ist (Problem-Wissen). Das kumu-
lierte Problem-Wissen nimmt – wie in Abbildung 5 nachvollziehbar – mit zuneh-
mendem Methodeneinsatz und damit verbundenem Know-how-Aufbau degressiv
zu. Die Methoden, die am Anfang des Six Sigma-Projektes eingesetzt werden,
sind relativ einfach anwendbar; sie erfordern nur wenig (kumuliertes) Methoden-
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma 127

Know-how, z.B. SIPOC-Analyse. Im weiteren Verlauf des Projektes werden die


Methoden zunehmender komplizierter; ihre effektive Anwendung verlangt ein
umfangreiches Training der Mitarbeiter und/ oder den Einsatz von Spezialisten,
z.B. bei DOE. Der Erkenntniszugewinn im Verhältnis zum geforderten Methoden-
Know-how ist bei letztgenannten jedoch üblicherweise geringer.
An einem Punkt im Projekt, i.d.R. in der Analyse-Phase, ist so viel Problem-
Wissen generiert worden, um das in der Projekt Charter formulierte Problem op-
timal zu lösen. Zu diesem Zeitpunkt sind, wie in Abschnitt 1.2 ausgeführt, bereits
eine Vielzahl von verschiedenen Methoden und Werkzeugen eingesetzt worden.
Bei Six Sigma ist der Lösungsfindungsprozess (auf der Abstraktionsebene) been-
det, wenn die vermuteten Ursachen-Wirkungs-Beziehungen – nach wissenschaft-
lichen Anforderungen – bestätigt respektive verworfen werden konnten. Dies ist
ein Grund, warum Six Sigma gegenüber Lean als „sehr aufwändig“ erscheint.
In der Praxis stellt sich vor diesem Hintergrund immer wieder die Frage, wel-
che Methoden/ Werkzeuge im DMAIC-Zyklus weggelassen werden können/ soll-
ten, um den Projektaufwand zu reduzieren. In Verbindung mit Abbildung 5 lässt
sich argumentieren, dass ein Verzicht auf komplizierte mathematisch-statistische
Verfahren immer mit einem Rückgang des problembezogenen Wissens einher-
geht. Je nach Schwierigkeit des zu lösenden Problems steigt damit das o.g. Ver-
lustrisiko. Aufgrund fehlender Informationen/ Erkenntnisse wird aus betriebswirt-
schaftlicher Sicht u.U. eine suboptimale Lösung geplant und realisiert.
Als Empfehlung möchten wir deshalb an dieser Stelle einen Blitz-DMAIC-
Zyklus vorschlagen (siehe Abb. 6). Gegenüber dem Standard-DMAIC-Zyklus sind
hier alle die Methoden/ Werkzeuge herausgenommen, die relativ viel an Metho-
den-Know-how „kosten“, aber nur relativ wenig – im Hinblick auf zusätzliches

Define
t
jek
Pro rter Business Projekt- SIPOC
a Case rahmen
Ch
Measure
Probleme Meilen-
Control und Ziele steine Outputmessgrößen

Daten-
Monitoring der Reaktionsplan VOC Kern- CTQ sammelplan
Prozessleistung x1 x1<b thema CTQ
x2 a<x2<b VA
3ak
few Komplexität Gage R&R
y Vital
Referenz- x
Prozessdokumentation leistung s

Improve Analyse
Lösungen Design des Prozess- und Ishikawa Datenanalyse
generieren Sollprozesses Zeitanalyse
Kosten-/ Nutzen- Entwicklung von Input- und

analyse Hypothesen Output-


Prozessvariable FMEA Design of
mess- Experiments
Output- Auswahl der op- größen
Input- und Prozess-
messgrößen
RPZ=A*B*E
simulation timalen Variante Wertschöpfungs- x1 y Statistische
analyse x2 Tests (Korrelation,
y=f(x1,x2,...,xn) Regression, Varianz)
Basis: Töpfer/ Günther/ Garzinsky 2007, S. 260
© Prof. Dr. Armin Töpfer

Abb. 6: M+M Blitz-DMAIC-Zyklus


128 Swen Günther, Bernd Garzinsky

problembezogenes Wissen – „bringen“. Dies betrifft vor allem die mathematisch-


statistischen Verfahren in den Phasen Measure, Analyse und Improve. Der Fokus
der Methodenanwendung im Blitz-DMAIC-Zyklus liegt auf der Prozessanalyse,
die, wie in Abschnitt 1.2 erläutert, zur Datenanalyse bis zu einem gewissen Grad
substitutiv ist. Prozess- und Datenanalyse erfassen das Problem aus unterschiedli-
chen Blickwinkeln: einmal grafikorientiert und einmal datenbasiert.
Die methodischen Anforderungen an die Durchführung einer Prozessanalyse
sind i.d.R. deutlich geringer als die an die (statistische) Datenanalyse. Die Pro-
zessanalyse erlaubt die Ableitung von Maßnahmen für die Reorganisation/
Verschlankung. Eine Feinsteuerung bzw. Feinjustierung des Prozesses ist jedoch
erst durch eine gezielte Datenerfassung und -auswertung möglich, die zu einer
Quantifizierung der bestehenden Ursachen-Wirkungs-Beziehungen führt. Zudem
bleiben mögliche Risiken bei der Implementierung von (neuen) Lösungen uner-
kannt, wenn auf die Verifizierung der Beziehungen generell verzichtet wird.6

2.2 Problemspezifische Anwendung

Das Ziel von Lean Six Sigma besteht darin, alle wichtigen Wertströme im Unter-
nehmen zu analysieren und zu optimieren. Wie in Kapitel A ausführlich dargelegt,
bietet der Fokus auf Wertströme – anstelle von einzelnen Prozessen – den Vorteil,
Probleme in einem bestimmten Wertschöpfungsprozess umfassend(er), d.h. im
Zusammenhang mit vor- und nachgelagerten Prozessen, zu betrachten. Durch die
fortlaufende Durchführung von Projekten werden die Wertströme im Unterneh-
men kontinuierlich verbessert. Dabei verstehen wir unter Lean Six Sigma-Pro-
jekten alle Verbesserungsaktivitäten im Unternehmen, die dem PDCA-Zyklus,
Blitz-DMAIC-Zyklus und/ oder Standard-DMAIC-Zyklus folgen und dazu beitra-
gen, Schwachstellen7 im betreffenden Wertstrom zu beseitigen.
Nachdem eine Schwachstelle in einem Wertstrom identifiziert worden ist, wird
das eigentliche Verbesserungsprojekt i.S.v. Lean Six Sigma gestartet (siehe Abb.
7). Die Entscheidung, nach welchem Vorgehen das Projekt durchgeführt wird, ba-
siert dabei auf dem Umfang der Problemstellung. Bei letztgenanntem handelt es
sich um eine aggregierte Größe8, die sich aus Einzelbewertungen der folgenden
drei Kriterien zusammensetzt (vgl. George 2003, S. 3):
• Bedeutung des Problems aus Kundensicht

6 Aus diesem Grund existiert in vielen Six Sigma-Unternehmen ein standardisierter Pro-
jektauswahlprozess. Über diesen wird sichergestellt, dass Probleme mit hoher strategi-
scher, organisatorischer und finanzieller Bedeutung zuerst angegangen werden. Zu die-
sem Themenkomplex gibt es eine Reihe von Aufsätzen, z.B. Leyendecker 2007.
7 Schwachstellen oder Probleme im Wertstrom äußern sich u.a. in Form von unzureichen-
der Qualität der Produkte/ Prozesse, langen Durchlaufzeiten, hohen Lagerbeständen,
nicht wettbewerbsfähigen Herstellkosten und/ oder Kundenunzufriedenheit.
8 Als Vorbild für die Quantifizierung des Problemumfangs als aggregierte Größe gilt die
Ermittlung von Risikoprioritätszahlen (RPZ) im Rahmen der FMEA.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma 129

• Komplexität der Problemstellung9


• Implementierungsrisiko der Lösung

Fokus anderer
Wertstrom B Wertstrom

Schwachstelle
Wertstrom A im Wertstrom

Bedeutung für Implementie-


Komplexität
Kunden rungsrisiko

Nein

Gering Problem- Hoch Ja


Weitere
umfang? Schwach-
stellen?
Mittel

Blitz-DMAIC- Standard- Design for


PDCA-Zyklus
Zyklus DMAIC-Zyklus Six Sigma

Problem Nein Problem Nein Problem Nein


gelöst? gelöst? gelöst?

Ja Ja Ja

Basis: Huth 2007, S. 28

Abb. 7: Entscheidungsbaum für Auswahl des Problemlösungszyklus

Nach der Spezifikation des Problemumfangs auf der Grundlage der drei Krite-
rien lassen sich die drei Problemlösungszyklen von Lean Six Sigma – PDCA-,
Blitz-DMAIC und Standard-DMAIC-Zyklus – relativ eindeutig zuordnen:
• Der PDCA-Zyklus wird angewendet, wenn es sich um geringfügige Wertschöp-
fungsprobleme handelt, die leicht zu identifizieren und zu beheben sind. Die
Implementierung der Lösung(en) ist mit geringem Risiko verbunden.
• Der Blitz-DMAIC-Zyklus wird angewendet, wenn der Problemumfang von mitt-
lerer Ausprägung ist, d.h. das Problem ist für den Kunden relevant und bedarf
einer genaueren Analyse, da die Ursachen nicht offensichtlich sind.
• Der Standard-DMAIC-Zyklus wird angewendet, wenn das Problem eine hohe
Kundenrelevanz besitzt, die Ursachen des Problems kaum oder gar nicht be-
kannt sind und die Implementierung der Lösung mit Risiken verbunden ist.

9 Die Komplexität einer Problemstellung äußert sich – im mathematischen Sinn – in der


Größe des Suchraums. Mit zunehmender Größe des Suchraums steigt der Zeit- und Kos-
tenaufwand i.d.R. exponentiell, um die optimale Lösung mit Sicherheit zu finden.
130 Swen Günther, Bernd Garzinsky

Die Anwendung der drei Problemlösungszyklen erfolgt nach dem Eskalations-


prinzip. Konnte das Problem nicht mit dem favorisierten Zyklus zufriedenstellend
gelöst werden, dann wird das Problem erneut mit dem „nächst anspruchsvolleren“
Problemlösungszyklus bearbeitet. Wird also z.B. im ersten Schritt mit dem
PDCA-Zyklus kein zufriedenstellendes Projektergebnis erreicht, dann kommt im
zweiten Schritt der Blitz-DMAIC-Zyklus zur Anwendung usw. Im Fall, dass ein
Problem vorliegt, das sich selbst mit dem Standard-DMAIC-Zyklus nicht erfolg-
reich lösen lässt, ist ggf. auf Design for Six Sigma überzugehen.10
Wenn das Projekt erfolgreich abgeschlossen worden ist, wird entschieden, ob
eine weitere Schwachstelle im gleichen Wertstrom zu identifizieren bzw. zu besei-
tigen ist, oder ob ein anderer Wertstrom im Unternehmen betrachtet wird. Aus-
schlaggebend sind jeweils vorhandene Ressourcen und gesetzte Prioritäten. Zum
Teil können auch offene Punkte, die sich im Zuge des durchgeführten Projektes
ergeben haben, Ansatzpunkte für weitere Verbesserungsmaßnahmen liefern.
Unabhängig von der Wahl des Problemlösungszyklus stellt sich die Frage nach
dem problemadäquaten Methodeneinsatz. Hier ist zu beachten, dass beim Einsatz
von relativ einfachen Methoden, wie es bei Lean-Projekten der Fall ist, i.d.R. in
kurzer Zeit viele Lösungen generiert werden. Diese erfassen aber u.U. nicht den
Kern des Problems, so dass die vorgeschlagenen Lösungen am Ende nur zu einem
suboptimalen Projektergebnis führen (Quick and Dirty). Demgegenüber besteht
beim Einsatz von relativ komplexen Methoden, wie es bei Six Sigma-Projekten
üblich ist, die Gefahr, dass – bildlich gesprochen – „mit Kanonen auf Spatzen ge-
schossen wird“. Aufwand und Nutzen des Methodeneinsatzes (in Form von Er-
kenntniszugewinn) stehen dann in einem sehr ungünstigen Verhältnis.

3 Konsequenzen für die Konzeption und Umsetzung


von Lean Six Sigma-Trainings

Aufgrund des Einsatzes von unterschiedlichen Problemlösungszyklen in Abhän-


gigkeit vom identifizierten Problemumfang ergeben sich spezifische Anforderun-
gen an die Konzeption und Umsetzung von Lean Six Sigma-Trainings. Diese wer-
den in diesem Abschnitt kurz aufgezeigt. Als Ausgangspunkt für unsere
Darstellungen haben wir ein qualifiziertes Green Belt-Training gewählt, welches
auf dem Standard-DMAIC-Zyklus basiert und 10 Schulungstage umfasst. Auf die-
ser Basis entwickeln wir im Weiteren ein adaptiertes Schulungskonzept für den
Blitz-DMAIC-Zyklus mit verstärktem Fokus auf Lean-Werkzeugen.

10 Das Thema „Design for Six Sigma“ wird im gleichnamigen Beitrag von Töpfer/ Günther
in Kapitel A ausführlich behandelt.
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma 131

3.1 Ordentliches Six Sigma-Training auf Basis des Standard-


DMAIC-Zyklus

Der DMAIC-Zyklus, wie er in Abbildung 4 dargestellt wurde, ist Gegenstand je-


der Six Sigma-Schulung, allerdings mit stark unterschiedlichem inhaltlichen Tief-
gang. Die Schulung ist dabei jeweils modular im Hinblick auf inhaltliche Teile
und Bausteine (vgl. vor allem Töpfer/ Günther/ Garzinsky 2007). Dies bedeutet
mit anderen Worten, dass immer alle Phasen des DMAIC-Zyklus erläutert werden,
um das Gesamtverständnis für die Durchführung von Six Sigma-Projekten zu
schärfen und sicherzustellen. Die Kenntnisse über die Inhalte der einzelnen Pha-
sen entsprechen der späteren Rolle und Aufgabenstellung in der Six Sigma-
Organisation, wie sie im Beitrag von Töpfer in Kapitel A ausführlich vorgestellt
worden ist.
Damit ist zusätzlich auch die Stufenfolge der Qualifizierung in ihrer typischen
Reihenfolge als Green Belt, Black Belt und Master Black Belt modular aufgebaut.
Die Integration erfolgt dadurch, dass in Six Sigma-Kursen mit aufsteigendem
Qualifikationsniveau vertiefte Kenntnisse einzelner Phasen, Inhalte und Tools des
DMAIC-Zyklus geschult und ab dem Green Belt-Niveau auch Informationen und
Beispiele zu Lean Management und Design for Six Sigma (DFSS) vermittelt wer-
den. Dabei ist lediglich die Reihenfolge zwingend, so dass nur Master Black Belt
werden kann, wer eine mindestens 2-jährige Praxis als Black Belt mit einer aus-
reichend großen Anzahl an durchgeführten Projekten aufweist.
Empfehlenswert ist nach unseren Erfahrungen, Green Belt- und Black Belt-
Trainings nicht parallel für unterschiedliche Zielgruppen durchzuführen, sondern
vielmehr eine 2-stufige Vorgehensweide zu präferieren. Dies bedeutet, dass alle
ausgewählten Six Sigma-Akteure für ein Expertenniveau zunächst das Green Belt
Training absolvieren und danach – auf der Basis eines erneuten Auswahlprozesses
– ein Teil davon auch das Black Belt Training abschließt.
Abbildung 8 zeigt die typischen Inhalte eines 3-wöchigen M+M Green Belt-
Trainings im Umfang von 10 Tagen (3-3-4 Tage) auf der Basis des Standard-
DMAIC-Zyklus. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass nicht nur die
aufgeführten Inhalte und Methoden, sondern auch deren modulare Aufteilung
nach Inhaltsblöcken bis dato nicht standardisiert sind. Dies liegt vor allem im un-
terschiedlichen Anwendungsniveau von QM-Techniken/ -Konzepten in Unter-
nehmen begründet, das sowohl von Branche zu Branche als auch zwischen Pro-
duktions- und Dienstleistungsunternehmen stark variieren kann. Üblicherweise
sind die statistischen Methoden, z.B. ANOVA, in Produktionsunternehmen mehr
verbreitet und werden von den Trainingsteilnehmern stärker nachgefragt. Weiter-
hin wird von vielen Unternehmen ein projektbegleitendes Coaching gewünscht,
um die Methoden gleich von Anfang an „richtig“ einzusetzen.
Das Ziel ist es, die Teilnehmer des in sieben Blöcke aufgeteilten Trainings mit
der immer identischen Denkweise von Six Sigma vertraut zu machen. Wie in Ab-
schnitt 1.2 bereits angesprochen wurde, geht es darum, ein gravierendes Problem
in der Praxis genau zu beschreiben und zu messen (Define- und Measure-Phase)
sowie mit Hilfe der Messgrößen und Kennzahlen in seinem Ausmaß statistisch
genau zu determinieren. Anschließend besteht die Aufgabe darin, das „statistische
132 Swen Günther, Bernd Garzinsky

Problem“ mit geeigneten Methoden einzugrenzen, zu lösen und diese Lösung auf
die Realität zu übertragen. Die zentrale Phase des DMAIC-Zyklus ist deshalb die
Analyse der Problemursachen auf statistischer Ebene (Analyse-Phase). Die statis-
tische Lösung wird in der Improve-Phase ausgearbeitet, verfeinert und bewertet
sowie anschließend in der Control-Phase in die Realität überführt und, z.B. mithil-
fe von SPC und Prozessdokumentationen, qualitätsgesichert.

Woche 1 Woche 3
1 Einführung % Einführung in Design of Experiments (DOE)
1.1 Lean Six Sigma-Philosophie – Integration von Lean % Fallstudie: Katapult/ Papier-Rotor
Management und Six Sigm 4.4 Quantifizieren der Verbesserungsmöglichkeiten
1.2 Six Sigma-Projektorganisation und Qualifizierung % Potenzial-Analyse/ Net Benefit-Schätzung
von Akteuren für Lean Six Sigma 4.5 Fragenkatalog und Checkliste
1.3 Wesentliche Vorgehensmodelle – PDCA-Zyklus,
Standard- und Blitz-DMAIC-Zyklus 5 Improve-Phase

2 Define-Phase 5.1 Finden/ Entwickeln von Lösungen


% Brainstorming, 6-3-5-Methode
2.1 Erstellen/ Ausfüllen des Projektauftrags
% Lean-Methoden: 5 S, Kanban, Just-In-Time, Pull-
% Projektcharter
System, Supermarkt, FIFO, SMED, Heijunka
2.2 Darstellen des Prozesses auf „hoher Ebene“
5.2 Auswählen von Lösungen
% SIPOC-Analyse
% N/3-Methode/ Kosten-Nutzen-Analyse
2.3 Bestimmen der Critical to Qualities (CTQs)
5.3 Implementieren von Lösungen
% VOC-CTQ-Analyse
% Gantt-Diagramm/ Stakeholder-Analyse
2.4 Fragenkatalog und Checkliste
% Inhalte von Lean-/ 14 Toyota-Prinzipien
3 Measure-Phase 5.4 Fragenkatalog und Checkliste
3.1 Bestimmen der Messgrößen (Input/ Output) 6 Control-Phase
% Operationale Definition, Datensammlung
6.1 Überwachen des neugestalteten Prozesses
3.2 Visualisieren von (vorhandenen) Daten
% Statistische Prozesskontrolle (SPC)
% Histogramm, Boxplots, Einführung in Minitab
% Soll-Prozess nach Wertstromdesign
Woche 2 6.2 Erarbeiten von Verfahrungsanweisungen
3.3 Visualisieren von (vorhandenen) Prozessen % Verfahrensanweisungen/ Dokumentation
% Value Stream Mapping (VSM) % Visual Management, Andon-Tafel
3.4 Ermitteln der aktuellen Prozessleistung/ Sigma 6.3 Erstellen eines Reaktionsplans
% Fehlerrate/ -quote: PPM, DPMO, Ausbeute % Reaktionspläne/ Prozessmanagement
% Prozessfähigkeit: Cp, Cpk, Sigma % Vorbeugende Wartung (TPM)
3.5 Fragenkatalog und Checkliste 6.4 Ermitteln des Net Benefit (Projektbewertung)
4 Analyse-Phase 6.5 Einleiten von KVP-Maßnahmen (Kaizen)
6.5 Fragenkatalog und Checkliste
4.1 Identifizieren von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen
% Ishikawa-Diagramm, 5W-Methode, FMEA 7 Abschlusstest
4.2 Entwickeln einer detaillierten Prozessdarstellung 7.1 50 Fragen – Multiple Choice zu DMAIC-Zyklus
% Cross-funktionale Darstellung für Ist-Prozess 7.2 Präsentation der Projektergebnisse
% Wertstromanalyse/ -design (VSD)
4.3 Überprüfen von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen
% Datenanalyse/ Statistische Tests
% Regressions-/ Varianzanalyse © Prof. Dr. Armin Töpfer

Abb. 8: Trainingsinhalte des 3-wöchigen M+M Green Belt-Trainings auf Basis des Stan-
dard-DMAIC-Zyklus

Die typischen Inhalte eines 3-wöchigen M+M Black Belt-Trainings im Umfang


von 10 Tagen (3-3-4 Tage) – aufbauend auf den o.g. Inhalten des Green Belt-
Trainings – lassen sich tageweise wie folgt festhalten:
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma 133

1. Tag: Einführung in DFSS: DMADV-Zyklus – Überblick und Konzeption/ Un-


terschiede und Gemeinsamkeiten gegenüber dem DMAIC-Zyklus
2. Tag: Kundenanforderungen mithilfe des 1. House of Quality (HoQ) ermitteln
und bewerten sowie in Produktmerkmale übersetzen (QFD I)
3. Tag: Gestaltung des Deployment-Prozesses, Vernetzung der verschiedenen
Houses of Quality, z.B. Produkt-, Prozess- und Teilemerkmale (QFD II)
4. Tag: Widersprüche/ Konflikte zwischen Produktmerkmalen und Kundenan-
forderungen erkennen und durch den Einsatz von TRIZ beseitigen
5. Tag: Zielkostenbestimmung auf Teileebene mithilfe von Target Costing/ De-
kompositionelle Bewertung des Produktnutzens mit Conjoint-Analyse
6. Tag: Weiterführende statistische Verfahren/ Multivariate Statistik/ MANO-
VA/ Log. Regression/ Diskriminanzanalyse/ Response Surface-Metho-
den (DOE)
7. Tag: Lean Management-Methoden zur Ergänzung des Six Sigma-Toolsets:
Kaizen, Kanban, Wertstromanalyse, 5S, Just-In-Time, Pull-System,
FIFO etc.
8. Tag: Vernetzung von Six Sigma mit anderen Management-Konzepten (BSC,
EFQM)/ Projektauswahl und -steuerung mit Balanced Scorecard (BSC)
9. Tag: Soft-Skill-Training: Grundlagen der Kommunikation, Verhandlungs-
techniken, Konfliktlösung, Teammotivation und -steuerung, Präsentati-
onstechniken
10. Tag: Abschlusstest, Projektreview, ggf. Coaching, Projektpräsentation
Der Fokus des Trainings liegt hier auf den Phasen und Methoden des DMADV-
Zyklus, welcher im Rahmen von Design for Six Sigma (DFSS) zum Einsatz
kommt (siehe hierzu Beitrag von Töpfer/ Günther in Kapitel A). In diesem Zu-
sammenhang werden insbesondere die Konzeption und Inhalte von Quality Func-
tion Deployment (QFD), Widerspruchsorientierte Problemlösung (TRIZ) und wei-
terführende Methoden der Statistik/ Statistischen Versuchsplanung (DOE)
behandelt (siehe hierzu Beitrag von Streckfuss/ Günther in Kapitel B). Das Trai-
ning beinhaltet im Weiteren die Vermittlung von Kenntnissen im Bereich Lean
Management, z.B. Wertstromdesign, Projektauswahl/ -steuerung auf Basis der
BSC sowie Soft-Skills, z.B. Verhandlungs- und Präsentationstechniken. Letztge-
nannter Bereich wird insbesondere im 1-wöchigen M+M Master Black Belt-
Training weiter vertieft (siehe hierzu www.six-sigma-akademie.de).

3.2 Lean Six Sigma-Schulungskonzept auf Basis des Blitz-DMAIC-


Zyklus

Auf der Basis des Blitz-DMAIC-Zyklus in Abbildung 6 haben wir ein Lean Six
Sigma-Schulungskonzept entwickelt. Es folgt dem integrierten Ansatz von Lean
Six Sigma, also der Kombination von Lean Management- und Six Sigma-Akti-
vitäten (siehe hierzu den Beitrag von Töpfer in Kapitel A). Die Schulungsinhalte
sind für das Green Belt-Training entlang des Blitz-DMAIC-Zyklus strukturiert.
Wie in Abschnitt 2.1 ausgeführt worden ist, liegt der Fokus hier vor allem auf der
134 Swen Günther, Bernd Garzinsky

grafischen Problemanalyse und -lösung, weniger auf der datenbasierten. Infolge-


dessen ist der Schulungsumfang, der sich auf die Vermittlung von Methoden-
kenntnissen zur Datensammlung und -analyse bezieht, deutlich reduziert. Gleich-
zeitig ist das Tool-Set um einschlägige Lean Management-Methoden, z.B.
Wertstromanalyse/ -design, erweitert worden. In Abbildung 9 sind die Inhalte ei-
nes 3-wöchigen M+M Green Belt-Trainings im Umfang von 10 Tagen (3-3-4 Ta-
ge) auf der Basis des Blitz-DMAIC-Zyklus im Überblick dargestellt.

Woche 1 Woche 3
1 Einführung % Einführung in Design of Experiments (DOE)
1.1 Lean Six Sigma-Philosophie – Integration von Lean % Fallstudie: Katapult/ Papier-Rotor
Management und Six Sigm 4.4 Quantifizieren der Verbesserungsmöglichkeiten
1.2 Six Sigma-Projektorganisation und Qualifizierung % Potenzial-Analyse/ Net Benefit-Schätzung
von Akteuren für Lean Six Sigma 4.5 Fragenkatalog und Checkliste
1.3 Wesentliche Vorgehensmodelle – PDCA-Zyklus,
Standard- und Blitz-DMAIC-Zyklus 5 Improve-Phase

2 Define-Phase 5.1 Finden/ Entwickeln von Lösungen


% Brainstorming, 6-3-5-Methode
2.1 Erstellen/ Ausfüllen des Projektauftrags
% Lean-Methoden: 5 S, Kanban, Just-In-Time, Pull-
% Projektcharter
System, Supermarkt, FIFO, SMED, Heijunka
2.2 Darstellen des Prozesses auf „hoher Ebene“
5.2 Auswählen von Lösungen
% SIPOC-Analyse
% N/3-Methode/ Kosten-Nutzen-Analyse
2.3 Bestimmen der Critical to Qualities (CTQs)
5.3 Implementieren von Lösungen
% VOC-CTQ-Analyse
% Gantt-Diagramm/ Stakeholder-Analyse
2.4 Fragenkatalog und Checkliste
% Inhalte von Lean-/ 14 Toyota-Prinzipien
3 Measure-Phase 5.4 Fragenkatalog und Checkliste
3.1 Bestimmen der Messgrößen (Input/ Output) 6 Control-Phase
% Operationale Definition, Datensammlung
6.1 Überwachen des neugestalteten Prozesses
3.2 Visualisieren von (vorhandenen) Daten
% Statistische Prozesskontrolle (SPC)
% Histogramm, Boxplots, Einführung in Minitab
% Soll-Prozess nach Wertstromdesign
Woche 2 6.2 Erarbeiten von Verfahrungsanweisungen
3.3 Visualisieren von (vorhandenen) Prozessen % Verfahrensanweisungen/ Dokumentation
% Value Stream Mapping (VSM) % Visual Management, Andon-Tafel
3.4 Ermitteln der aktuellen Prozessleistung/ Sigma 6.3 Erstellen eines Reaktionsplans
% Fehlerrate/ -quote: PPM, DPMO, Ausbeute % Reaktionspläne/ Prozessmanagement
% Prozessfähigkeit: Cp, Cpk, Sigma % Vorbeugende Wartung (TPM)
3.5 Fragenkatalog und Checkliste 6.4 Ermitteln des Net Benefit (Projektbewertung)
4 Analyse-Phase 6.5 Einleiten von KVP-Maßnahmen (Kaizen)
6.5 Fragenkatalog und Checkliste
4.1 Identifizieren von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen
% Ishikawa-Diagramm, 5W-Methode, FMEA 7 Abschlusstest
4.2 Entwickeln einer detaillierten Prozessdarstellung 7.1 50 Fragen – Multiple Choice zu DMAIC-Zyklus
% Cross-funktionale Darstellung für Ist-Prozess 7.2 Präsentation der Projektergebnisse
% Wertstromanalyse/ -design (VSD)
4.3 Überprüfen von Ursachen-Wirkungs-Beziehungen
% Datenanalyse/ Statistische Tests
% Regressions-/ Varianzanalyse © Prof. Dr. Armin Töpfer

Abb. 9: Trainingsinhalte des 3-wöchigen M+M Green Belt-Trainings auf Basis des Blitz-
DMAIC-Zyklus

Sowohl für das (reine) Six Sigma-Training als auch das hier erläuterte Lean Six
Sigma-Training kommen der direkten Erfolgsmessung der Schulungsmaßnahmen
zum Abschluss als Grundlage für eine Zertifizierung als Green, Black oder Master
Problemlösungszyklen im Rahmen von Lean Six Sigma 135

Black Belt eine wesentliche Bedeutung zu. Hiermit werden Wissen, Verständnis
und Transferfähigkeit auf eine Problemsituation abgeprüft. In der M+M Six Sigma
Akademie® verwenden wir deshalb einen Katalog mit „500 Fragen zu Six Sigma“.
Sie sind nach unterschiedlichen Sachbereichen und Prozessphasen gegliedert und
in ihrem Schwierigkeitsgrad jeweils einem Qualifizierungsniveau zugeordnet. Es
gibt also spezielle Fragen für Green Belts, Black Belts und Master Black Belts,
wobei ein jeweils höheres Qualifikationsniveau alle Testfragen der darunter lie-
genden Qualifizierungsstufen einschließt (vgl. Töpfer/ Günther/ Garzinsky. 2007,
S. 267ff.).
Da alle Fragen mit allen Kennzeichnungen und den (richtigen und falschen)
Antworten für Multiple Choice-Tests elektronisch gespeichert sind, lassen sich für
einzelne Trainings am Schluss der Qualifizierung Tests im Umfang von 50 Fragen
nach dem Zufallsprinzip auswählen, die nach den einzelnen Sachbereichen und
Prozessphasen kombiniert sind, also z.B. je 45% Statistik- und Projekt-Fragen so-
wie 10% Soft Skills-Fragen für ein Green Belt Zertifikat. Der Test gilt als bestan-
den, wenn mehr als 50% der Fragen richtig beantwortet worden sind.

4 Literatur

Breyfogle, W.F. (2003): Implementing Six Sigma – Smarter Solutions Using Statistical Me-
thods, 2. Aufl., Hoboken, NJ 2003.
Deming, W.E. (1986): Out of the Crisis, 2. Aufl., Cambridge, Mass. 1986.
George, M.L. (2003): Lean Six Sigma for Service: How to Use Lean Speed and Six Sigma
Quality to Improve Services and Transactions, New York et al. 2003.
Huth, Ch. (2007): Konzeption eines Lean Six Sigma-Vorgehensmodells – Optimierung von
Zeit, Kosten und Qualität, Diplomarbeit an der TU Dresden 2007 (unveröffentlicht).
Leyendecker, B. (2007): Ableitung von Six Sigma Projekten aus den Unternehmenszielen,
in: Töpfer, A. (Hrsg.): Six Sigma – Konzeption und Erfolgsbeispiele für praktizierte
Null-Fehler-Qualität, 4. Aufl., Berlin/ Heidelberg 2007, S. 490-502.
Liker, J. (2004): The Toyota Way – 14 Management Principles from the World's Greatest
Manufacturer, New York 2004.
Lunau, S. (Hrsg.) (2006): Six Sigma + Lean Toolset – Verbesserungsprojekte erfolgreich
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Schipp, B./ Töpfer, A. (2007): Statistische Anforderungen des Six Sigma Konzepts, in: Töp-
fer, A. (Hrsg.): Six Sigma – Konzeption und Erfolgsbeispiele für praktizierte Null-
Fehler-Qualität, 4. Aufl., Berlin/ Heidelberg 2007, S. 196-204.
Töpfer, A./ Günther, S./ Garzinsky, B. (2007): Konzeption und Umsetzung von Six Sigma
Trainings in einem mehrstufigen Einführungsprozess, in: Töpfer, A. (Hrsg.): Six Sig-
ma – Konzeption und Erfolgsbeispiele für praktizierte Null-Fehler-Qualität, 4. Aufl.,
Berlin/ Heidelberg 2007, S. 250-277.
Womack, J.P./ Jones, D.T. (2004): Lean Thinking – Ballast abwerfen, Unternehmensge-
winne steigern. Frankfurt am Main/ New York 2004.
Zollondz, H.-D. (2006): Grundlagen Qualitätsmanagement – Einführung in Geschichte,
Begriffe, Systeme und Konzepte, 2. Aufl., München/ Wien 2006.
Schnelle und wirkungsvolle Verbesserungen des
gesamten Wertschöpfungsprozesses mit
Wertstromdesign

Lars Vollmer

Inhalt

1 Einführung ...............................................................................................137
2 Lean Management....................................................................................138
2.1 Toyoda’s Erbe ..........................................................................................138
2.2 Lean-Prinzipien ........................................................................................139
2.3 Verschwendung........................................................................................140
2.4 Prozess- versus System-Kaizen................................................................141
3 Durchführung des Wertstromdesigns.......................................................142
3.1 Definition und Abgrenzung......................................................................142
3.2 Ablauf in drei Schritten ............................................................................144
3.3 Ermitteln des IST-Wertstroms .................................................................145
3.4 Leitlinien für SOLL-Wertströme .............................................................149
3.5 Umsetzungsprinzipien..............................................................................156
4 Fazit .........................................................................................................158
5 Literatur....................................................................................................158

1 Einführung

Die wirtschaftlichen, politischen und auch sozialen Rahmenbedingungen fordern


Produktionsunternehmen nahezu aller Branchen heraus, ihre Wettbewerbsfähig-
keit durch eine zeit- und kostenoptimierte Fabrik stetig zu steigern. Der Wettbe-
werb wird insbesondere für klein- und mittelständische Unternehmen (KMU)
durch die weltweite Vernetzung von Produktions- und Dienstleistungsstrukturen
und der damit wachsenden Konkurrenz zwischen Fabrikstandorten noch ver-
schärft.
Für die Unternehmen, die schon immer ihre Kunden mit einem „Adelstitel“
versehen haben, bedeutet dies eine noch höhere Individualisierung der Produkte
und signifikante Beschleunigung der Auftragserfüllung. Immer mehr Unterneh-
men wird eine Kundenauftragsfertigung aufgezwängt, der sie sich nur noch in den
seltensten Fällen entziehen können. Trotzdem werden sinkende Herstellungskos-
ten gefordert.
Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, braucht es einen dazugehörigen
Werkzeugkasten. Wichtig dabei: die Methode Wertstromdesign, ein Basiswerk-
zeug des Lean Managements. Lean Management liefert ein geschlossenes Denk-
138 Lars Vollmer

modell und gehört zu den wenigen Managementprinzipien, die historisch entstan-


den sind und auch ihre langfristige Wirksamkeit unter Beweis gestellt haben.

2 Lean Management

2.1 Toyoda’s Erbe

Die Geschichte von Lean Management und der dazugehörigen Begriffsderivate


(Lean Production, Lean Manufacturing, Lean Office etc.) ist die Geschichte des
japanischen Automobilkonzerns Toyota, der durch seine schiere Größe und auf-
grund seiner inzwischen erreichten Branchen-Position an der Weltspitze genug
Anlass gibt, sich mit dem Managementsystem des Unternehmens zu beschäftigen.
Um die Erfolgsprinzipien dieses Systems zu verstehen, hilft es, einen kurzen
Rückblick auf die Geschichte zu werfen – dem Weg des Unternehmens Toyota
folgend.
Am Ende des 19. Jh. gegründet, gelang der ursprünglichen Fabrik für Webstüh-
le mit einer Bahn brechenden Innovation der Sprung in die Automobilindustrie.
Der Gründer Sakichi Toyoda entwickelte einen neuartigen Webstuhl, der automa-
tisch abschaltete, wenn ein Faden riss. Aus heutiger Sicht natürlich eine fast
selbstverständliche Funktion – damals jedoch eine weit vor ihrer Zeit liegende In-
novation, die auch heute noch im Jidoka-Prinzip des Toyota-Produktionssystems
Anwendung findet. Toyoda1 verkaufte seine Innovation an England und nutzte den
Gewinn, um eine Automobilfabrik aufzubauen. Damit erinnert die Geschichte von
Toyota durchaus an deutsche Industriellengeschichten, wie die von Gottlieb Daim-
ler oder Robert Bosch. Toyota entwickelte sein erstes Modell, das analog zum
Modell TT von Ford, Modell AA hieß. Dabei handelte es sich um ein sehr simples
Automobil – aber um ein aus damaliger Sicht komplexes Produkt in lediglich ei-
ner Variante, welche sich in den Folgejahren schrittweise verfeinerte.
Die Folgen des zweiten Weltkrieges waren für die Japaner dramatisch. Nach
Ende des Krieges gab es kein Kapital, keine Maschinen, kaum Industrie und kei-
nen Marshall-Plan zum Wiederaufbau der Industrie. Außerdem verfügte das schon
damals überbevölkerte Japan über sehr wenig Fläche.
Aus diesen Gründen konnte Toyota die Industriepolitik der amerikanischen Au-
tomobilunternehmen in keiner Weise kopieren. Das Prinzip der Massenproduktion
wäre zum Scheitern verurteilt gewesen. Im Gegenteil: Die Japaner waren gezwun-
gen, sehr viel mehr kundenindividuelle Produkte zu fertigen.
Unter diesen schwierigen Bedingungen entwickelte der Enkel des Gründers Eiji
Toyoda gemeinsam mit dem damaligen Produktionsleiter Taiichi Ohno das heute
als „Toyota Produktionssystem“ (TPS) bekannte Wertschöpfungsmodell, das in
seiner heutigen Entwicklungsstufe als Vorbild für weltweit nahezu alle ganzheitli-
chen Produktionssysteme dient.

1 Das ‚d’ im Namen wurde erst 1937 mit der Gründung der Toyota Motor Co. durch das ‚t’
ersetzt.
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign 139

Die Besonderheit dieses Systems spiegelt sich nicht nur in seiner Branchenu-
nabhängigkeit, sondern vor allem in seinem Ziel wider. Dieses äußert sich im un-
bedingten Willen, einen kontinuierlichen Fluss zu erzeugen und sämtliche Ver-
schwendungen zu vermeiden. Auf den ersten Blick wirkt der Inhalt dieser Aussage
nicht Aufsehen erregend. Ihr Stellenwert auf der obersten Zielebene aber ist weg-
weisend und prägend für den Lean-Gedanken. Denn neben reinen Ergebniskenn-
größen, wie Qualität, Kosten, Durchlaufzeit, sind auch Sicherheit oder Mitarbei-
termoral diesem Ziel untergeordnet.
Toyota folgt der Überzeugung, dass es durch die Anstrengungen zum Aufbau
eines kontinuierlichen Flusses der Wertschöpfungsprozesse und einer gleichzeiti-
gen konsequenten Eliminierung von Verschwendungen nicht nur automatisch ein
hochwirtschaftliches Unternehmen wird, sondern sich sogar zum Branchenführer
entwickeln kann (vgl. Drew/ McCallum/ Roggenhofer 2005).

2.2 Lean-Prinzipien

Was aber sind nun die Grundgedanken des Lean Production-Prinzips? Zum einen
sicherlich die Fokussierung auf die Wertschöpfung – definiert als diejenigen Tä-
tigkeiten, für die der Kunde bereit ist, Geld auszugeben. Alles andere ist in der
Folge Nicht-Wertschöpfung bzw. Verschwendung.
Es ist keine neue wissenschaftliche Erkenntnis, dass die Mitarbeiter in Produk-
tionsunternehmen oft nur 10% ihrer Zeit wertschöpfend sein können. Der Grund
liegt nicht im Wollen der Mitarbeiter. Vielmehr sind die Verschwendungen im-
manent in den Prozessen – ob geplant oder ungeplant – verborgen. Es ist harte Ar-
beit, sie wieder herauszubekommen.
Das zweite Grundprinzip besteht darin, Wertströme zu erkennen, und so dem
Systemgedanken zu folgen (siehe auch Kapitel 3.2). Das Ziel: Nicht wertschöp-
fende Prozesse, namentlich Verschwendungen, eliminieren.
Der unbedingte Wunsch nach Erzeugung eines kontinuierlichen Flusses und
der Einführung des Zieh- bzw. Pull-Prinzips steht an Stelle drei der Grundgedan-
ken.
Ein alter Lean-Grundsatz lautet: „Producing people before producing parts“.
Die Veränderung des Rollenverständnisses aller Mitarbeiter ist bei jeder Lean-
Transformation von enormer Bedeutung, da letztlich der einzelne Mitarbeiter die
Lean Maßnahmen umsetzt und tagtäglich Verbesserungspotenzial aufdeckt. Ande-
rerseits ist es ein fataler Fehler zu glauben, Lean-Bestrebungen kämen allein aus
der Mitarbeiterschaft. Lean Management – genauso wie Six Sigma – muss vor al-
lem eine vom Management getriebene Initiative sein. Alle anderen Versuche
scheitern meist kläglich.
Schließlich gilt für alle Säulen gerade im Bezug auf die Nachhaltigkeit des
schlanken Produktionssystems das ständige Streben nach Perfektion bzw. Verbes-
serung. Der jetzige Produktionsstand ist somit immer der schlechtest mögliche,
den es zu verbessern gilt. Auch wenn bereits maßgebliche Verbesserungen durch-
geführt wurden, darf der Verbesserungsprozess nicht zum Stillstand kommen. Das
140 Lars Vollmer

Produktionssystem ist eben weit mehr als eine Methode – es ist eine Unterneh-
mensphilosophie (vgl. Womack/ Jones/ Roos 1990).

2.3 Verschwendung

Die Lean Philosophie unterscheidet zwischen drei Grundtypen von Verschwen-


dungen: Muri (Überlastung), Mura (Unausgeglichenheit) und Muda. Unter letzte-
rem werden zumeist die so genannten sieben Arten der Verschwendungen ver-
standen (vgl. Womack/ Jones 2003), wie sie in Abbildung 1 zu sehen sind.

Abb. 1: Die sieben Arten von Verschwendung (Muda)

An erster Stelle steht die Verschwendung durch Überproduktion – immer ver-


bunden mit Verschwendung durch hohe Bestände. Beide nehmen zu Recht eine
Spitzenposition unter den 7 Verschwendungen ein, denn sie sind zum einen die
Ursache für alle anderen Arten der Verschwendung. Zum anderen – und das bleibt
der viel wesentlichere Grund, sie an die ersten beiden Stellen zu setzen – überde-
cken sie alle anderen Arten von Verschwendung. Hiermit lässt sich dann auch die
Aussage begründen, dass Überproduktion und hohe Bestände die „Wurzel allen
Übels“ verkörpern. Nicht ohne Grund sind beide Arten auch zentraler Betrach-
tungsgegenstand der Methode Wertstromdesign. Weitere Verschwendungsarten
sind: Verschwendung durch unnötige Transporte, unnötige Bewegungen, Warte-
zeiten, ungeeignete Prozesse, Fehler und Nacharbeit (vgl. Suzaki 1989).
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign 141

2.4 Prozess- versus System-Kaizen

Lean Management vollzieht seine Verbesserungsaktivitäten aus zwei Sichtweisen


heraus: der Prozess- und der Systemsicht (siehe Abb. 2). Dieses Prinzip verfolgen
grundsätzlich natürlich auch andere Managementansätze. Durch das Werkzeug
Wertstromdesign allerdings werden beide Sichtweisen konsequent und metho-
disch miteinander verbunden.

Prozess 2.1
Zulieferer

Prozess 1.3 Prozess 1.2


Kunde

Prozess 3.2 Prozess 3.1

System-
sicht

Prozess-
sicht

Abb. 2: Unterschied zwischen Prozess- und Systemsicht

Ein Prozess ist in dieser Terminologie eine Arbeitseinheit, in der kein Umlauf-
bestand entsteht. In der Praxis handelt es sich demnach zumeist um Arbeitsplätze
oder -bereiche. Auch Ressourcen mit einem festen Umlaufbestand, wie beispiels-
weise automatisierte oder hybride Montagestraßen, können als ein Prozess be-
trachtet werden. Das Lean Management umfasst eine Vielzahl von Werkzeugen
und Methoden, welche die Verbesserung von Prozessen im Sinne von Prozess-
Kaizen erreichen (siehe Abb. 3).
Die Systemsicht umfasst die Betrachtung des Flusses einer Wertschöpfung. Bei
einer Produktion erfolgt das typischerweise von der Belieferung der Rohmateria-
lien bis zum Versand der Fertigware an den Kunden. Gleichzeitig ist aber auch der
Gesamtablauf einer Auftragsabwicklung, also vom Auftragseingang bis zur Auf-
tragsfreigabe in der Produktion, oder ein Entwicklungsvorhaben zu betrachten.
Die Systemsicht umfasst immer die Material- sowie die Informationsflüsse des
Systems, bildet somit also auch die Logik der Steuerung ab. Das Wertstromdesign
und seine Gestaltungsregeln sind die zentralen Methoden der Systemsicht im Sin-
ne von System-Kaizen.
142 Lars Vollmer

Verbesserung des
Wertstroms (Fluss)
Methoden:
¬ Einzelstückfluss
¬ Supermarkt-Pull (Kanban)
Verbesserung der ¬ FIFO-Bahnen
Arbeitsschritte/ Ressourcen System-
System- ¬ Rhythmische Produktion
Kaizen im Takt
¬ Nivellieren der Produktion
Methoden:
¬ Minimierung der externen
¬ 5S Prozess-
Prozess- Steuerungsimpulse
¬ SMED (Rüstzeitreduzierung) Kaizen
¬ ...
¬ Standardisierung
¬ Autonomation
¬ OEE
¬ Poka Yoke
¬ Prozessverbesserung
¬ ...

Abb. 3: Methoden des Prozess- und System-Kaizens

3 Durchführung des Wertstromdesigns

3.1 Definition und Abgrenzung

Ein Wertstrom beschreibt den Durchlauf eines Produkts durch seine Hauptflüsse.
Das sind zum einen der Fertigungsstrom – vom Rohmaterial des Lieferanten bis
zum fertigen Produkt in den Händen der Kunden. Zum anderen der Entwicklungs-
strom – vom Produktkonzept bis zum Produktionsstart. Denkbar sind jedoch auch
andere Wertströme, wie beispielsweise die Auftragsabwicklung, das Rechnungs-
wesen oder andere administrative Prozesse. Ein Wertstrom ist letztlich sehr um-
fangreich, erstreckt sich vom Zulieferer des Zulieferers bis zum Kunden des Kun-
den und bildet die komplette Produktentstehung ab. Bezogen auf einen PKW wür-
de die Prozesskette mit dem Eisenerz in Südafrika beginnen und mit dem fertigen
Fahrzeug vor der Haustür des Kunden enden. Somit wird deutlich, dass viele Fab-
riken, Unternehmen oder Organisationen an einem einzelnen Wertstrom beteiligt
sind. Es gilt jedoch, zunächst das eigene Unternehmen zu fokussieren und in die-
sem den Entwicklungs- und/ oder Produktionsfluss zu gestalten (vgl. Halmosi/
Löffler/ Vollmer 2005). Darüber hinaus wird das Wertstromdesign auch für die
Entwicklung unternehmensübergreifender Prozessketten verwendet (vgl. Jones/
Womack 2002); die Funktionsweise der Methode ist dabei nahezu identisch, wie
im Folgenden beschrieben wird.
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign 143

Der Schwerpunkt der weiteren Ausführungen liegt eindeutig im Produktions-


fluss. Wo liegen hier die Vorteile des Wertstromdesigns?
Auf der einen Seite sind diese sicherlich im Perspektivenwechsel zu finden.
Denn das Wertstromdesign öffnet den Blick für den im Wertschöpfungsverlauf
wesentlichen Fluss. Dazu werden sämtliche Material- und Informationsflüsse auf-
genommen. Technische sowie hierarchische Details blendet das Wertstromdesign
nahezu vollständig aus. Insofern ist das Wertstromdesign eine integrative, aber auf
der anderen Seite auch eine systembeschreibende Methode. Die Handhabung die-
ser Methode gestaltet sich letztlich sehr simpel, auch wenn zu Beginn die Symbo-
lik ungewohnt erscheint. Die praktische Erfahrung zeigt, dass diese schon nach
kurzzeitiger Anwendung ein funktionell praktikables Arbeiten ermöglicht und
gleichzeitig ein gemeinsames Verständnis für den IST- und den SOLL-Zustand
vermittelt.
Der „große Clou“ des Wertstromdesigns besteht darin, die Ursachen von Ver-
schwendungen erkennen zu können. Besonders die gravierendsten Arten der Ver-
schwendungen, verursacht durch Überproduktion und hohe Bestände, können mit-
hilfe dieser Methode aufgedeckt werden. Zudem ist zu betonen, dass das Wert-
stromdesign vor allem lange Hebel für die Prozessoptimierung aufzeigt und Hand-
lungsprioritäten bestimmt. Das Wertstromdesign beantwortet so die entscheidende
Frage: Welche Maßnahmen sind zuerst durchzuführen, und welche haben den
größten Nutzen für das Gesamtsystem und den Kunden?
Genau diese Fragstellung taucht immer wieder in der Praxis auf. Es gibt zwar
eine Menge Ideen, einen bestimmten Prozess zu verbessern. Die Prozessverbesse-
rungen schaffen jedoch sehr häufig keine ausreichenden positiven Effekte aus der
Sicht des Kunden, weil ihnen die Systemauswirkung fehlt. Gerade hier liefert die
Methode des Wertstromdesigns Ansatzpunkte für Handlungsprioritäten und kann
wie ein Navigator durch eine Lean-Transformation leiten.
In der Praxis werden auch häufig Hallenübersichten und die darin ablaufenden
Materialflüsse verwendet, um vermeintliche Systemverbesserungen zu planen
(siehe Abb. 4). Diese Vorgehensweise weist aber gegenüber dem Wertstromde-
sign gravierende Nachteile auf, denn es blendet wesentliche Informationen aus,
welche die Systemsicht ausmachen:
• Die Übersicht fehlt.
• Die Informationsflüsse fehlen.
• Die Leistungsdaten der Prozesse fehlen.
• Und vor allem wird der Kunde nicht adäquat abgebildet – die Kundenforde-
rungen fehlen also.
Die fehlende Übersichtlichkeit von Verbesserungsvorhaben, abgebildet in Hal-
lenlayouts, lässt diese Vorgehensweise in der Praxis zudem wenig wertvoll und
zielführend erscheinen.
144 Lars Vollmer

Layouts sind für das Systemdesign nicht geeignet, denn wesentliche Informationen fehlen

Übersichtlichkeit fehlt

Informationsfluss fehlt

Leistungsdaten fehlen

Kundenforderung fehlt

Abb. 4: Nachteile der Materialflussdarstellung am Beispiel

3.2 Ablauf in drei Schritten

Ein Wertstromdesign wird immer nur für eine Produktfamilie erstellt. Diese aus-
zuwählen, stellt nach Rother/ Shook (2000) den ersten Schritt des Wertstromde-
signs dar. Alle Produktfamilien in einem Wertstrom erfassen zu wollen, ist nicht
nur viel zu komplex, es ist auch nicht im Sinne des Kunden, der sich üblicherwei-
se für ein spezifisches Produkt interessiert.
Eine Produktfamilie zeichnet sich dabei durch ähnliche Arbeitsvorgänge, also
durch einen ähnlichen Arbeitsablauf, sowie durch ähnliche Arbeitsinhalte aus.
„Eine Produktfamilie ist eine Gruppe von Produkten, die ähnliche Verarbeitungs-
schritte und Maschinenausrüstungen im flussabwärtigen Ende des Wertstroms
durchlaufen […]. Schreiben Sie Ihre ausgewählte Produktfamilie auf, aus wie vie-
len verschiedenen Endprodukten die Familie besteht, wie viel der Kunde davon
benötigt, und wie oft und welche Nachfrageschwankungen zu erwarten sind. Hin-
weis: Falls Ihr Produktmix sehr komplex sein sollte, können Sie eine Matrix
erstellen, wobei auf der einen Achse die Fertigungsschritte und die benötigte Aus-
rüstung, auf der anderen Ihre Endprodukte […] erscheinen“ (Rother/ Shook 2000,
S. 6).
Nach Bildung der Produktfamilie wird ein IST-Zustand gezeichnet und an-
schließend auf Basis dessen ein SOLL-Zustand entwickelt (siehe Abb. 5). In die-
sem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der Methode um
Wertstromdesign und nicht um eine Wertstromanalyse handelt. Wertstromdesign
ist nicht nur eine Analyseform, die Aussagen bezüglich des IST-Zustandes trifft,
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign 145

sondern vor allem eine Gestaltungsmethode, die es ermöglicht, nach den Grund-
prämissen des Lean Managements ausgerichtete SOLL-Wertströme zu entwickeln.
Dabei handelt es sich lediglich um ein Paper-Kaizen, der SOLL-Zustand ist also
lediglich auf dem Papier zu erkennen – und muss dann konsequent umgesetzt wer-
den.

Abb. 5: Ablauf des Wertstromdesigns

Die Erfahrungen zeigen, dass ein IST-Zustand in Kombination mit einem


SOLL-Zustand bei guter Vorbereitung und ein wenig Übung in wenigen Tagen,
zumindest für eine Produktfamilie, erstellt werden kann. Sicherlich gibt es Aus-
nahmen; die Datenverfügbarkeit ist häufig ein nicht zu unterschätzender Zeit-
Faktor. Dennoch lassen sich Wertströme relativ zügig aufnehmen, während die
anschließende schrittweise Umsetzung oft 15 bis 18 Monate dauern kann. Unter
Umständen ergeben sich im Laufe dieser Zeit immer wieder verschiedene Schlei-
fen, denn es entstehen natürlich über mehrere Perioden immer wieder neue SOLL-
Zustände.

3.3 Ermitteln des IST-Wertstroms

Wie wird ein Wertstrom nun praktisch erstellt, und wie gestalten sich die einzel-
nen Schritte des IST-Zustandes?
Ein praktisches Beispiel eines Wertstroms soll die Antwort an dieser Stelle ver-
anschaulichen. Das Modell-Unternehmen Connect Limited stellt Elektronikbautei-
le her, die in Computern verbaut werden. Der Kunde dieses Unternehmens ist die
Muttergesellschaft Connect Holding. Diese fragt 100.000 Stück dieser Produktfa-
milie pro Woche mit einer Schwankungsbandbreite von 70.000-150.000 Stück ab.
Die Ermittlung des IST-Wertstroms erfolgt in sieben Schritten (siehe Abb. 6):
1. Zu Beginn der Aufnahme des IST-Wertstroms sind die Kundeninformationen
festzustellen. Hierbei gilt es herauszufinden, welche „Last“ der Kunde auf das
146 Lars Vollmer

Unternehmen ausübt, also welche Mengen der Produktfamilie der Kunde be-
stellt und wie er diese abruft.
2. Der zweite Schritt wird durch einen schnellen Durchgang zur Identifizierung
der Reihenfolge aller hauptsächlichen Prozesse vollzogen. Dies erfolgt übli-
cherweise vom Kunden ausgehend rückwärts, also vom Versand bis zum Wa-
reneingang. Diese Vorgehensweise hat zwei Gründe: Zum einen bildet sie die
Sicht des Kunden durchgehend ab, die bei der gesamten Aufnahme des IST-
Zustandes beibehalten wird. Zum anderen zeigt sich besonders in der Praxis
durch die Umkehrung des normal üblichen Weges der positive Nebeneffekt ei-
ner genaueren und bewussteren Auseinandersetzung mit den Prozessen – gera-
de bei routinierten oder betriebsinternen Mitarbeitern.
Orientiert man sich am oben eingeführten Fallbeispiel, dann dient der erste
Durchgang dazu, die Prozesse zu identifizieren. Vom Kunden aus rückwärts
sind das namentlich der Versand, die Qualitätssicherung (QS), die Montage 2
sowie die Montage 1. Dabei wird die Montage 1 mit zwei Produktgruppen be-
liefert: zum einen Spritzgussteile, zum anderen gestanzte und galvanisierte Tei-
le. Es handelt sich also hier um einen zweistufigen Prozess.
3. Nun müssen die Prozesse spezifiziert und Bestandsdreiecke eingezeichnet wer-
den (siehe Abb. 6). Letztere sind Symbole in Form von Dreiecken, die sich
zwischen den Prozessen befinden.2 Die Dreiecke zeigen, wie viele Teile sich
zum Zeitpunkt der Aufnahme dort befunden haben. In der Praxis bedeutet dies
ein tatsächliches Zählen der Teile zwischen den einzelnen Prozessen. Auch die-
ses Vorgehen beinhaltet wieder zwei Nutzen. Erstens kann eine tatsächliche
Überprüfung der Zahlen erfolgen, und Zweitens ermöglicht das Beobachten auf
dem Shopfloor eine klarere Erfassung der wirklich ablaufenden Prozesse.
Der nächste und sicherlich auch umfangreichste Schritt des IST-Wertstroms be-
fasst sich mit der Detaillierung der Prozesse. Dabei spielen besonders logisti-
sche Kenngrößen, wie die Zykluszeit oder auch die Einzel- und Rüstzeit, Ver-
fügbarkeit, Ausbeute und Losgrößen eine entscheidende Rolle. Bei der Pro-
zessdetaillierung sollte immer mit Augenmaß vorgegangen werden, um die In-
formations- und Detailflut nicht unnötig in die Höhe zu treiben, sondern mehr
Wert auf Geschwindigkeit zu legen. Aufgrund dessen ist auch zu erklären, wa-
rum im Fallbeispiel die Details für QS und Versand nicht aufgenommen wor-
den sind. Sie haben für den Wertstrom letztlich keine Bedeutung, und auch im
SOLL-Zustand erfahren sie keinerlei Veränderung.
4. Beim vierten Schritt wird die Zulieferung näher betrachtet. Im Fallbeispiel er-
folgt diese durch den Blechlieferanten, wobei der Beispielwertstrom eine sehr
hohe Fertigungstiefe besitzt. Das bedeutet, dass nur wenige Rohmaterialien
dem Unternehmen von außen zugeführt werden. Auch an dieser Stelle sollten
Sie wieder mit Augenmaß vorgehen: Bestimmen Sie nur die wichtigsten Liefe-
ranten und haben Sie nicht den Anspruch, alle Lieferanten zu integrieren – Ge-
schwindigkeit vor Detailtreue! Im ersten Entwurf ist es sogar häufig sinnvoll,

2 In der ursprünglichen Entwicklung wurden von Toyota an dieser Stelle Grabsteine ver-
wendet. Mittlerweile hat sich aber die abgebildete Darstellung mit einem „I“ für Invento-
ry etabliert.
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign 147

vollständig auf die Lieferanten zu verzichten, um zunächst einmal die eigenen


Prozesse zu fokussieren. Lieferanten können dann in weiteren Schritten nach
und nach hinzugefügt werden. Auch hier wird das Symbol für eine externe
Firma/ ein externes Unternehmen genutzt, um darzustellen, wie dieser Blechlie-
ferant liefert.

Produktionssteuerung Kurzfristige Connect


Kundenaufträge
Holding
Monatlicher
Blech- Forecast 100.000 / Wo.
MRP für 2 Monate
lieferant Range: 70.000-
150.000 / Wo.
Produktionsplan

Spritzgießen
Lieferplan 2x
pro
Woche
Di
ZZ = ø4,4 s
(4-12s) 767.500
Montage 1 Montage 2 QS Versand
Tr = 120 m
V = 90%
=1 632.000 =1 2.100
14 Maschinen
Los=ø45.000 ZZ = ø2,45 s ZZ = ø2,6 s
Stanzen 3 Schichten Tr = ø38 m Tr = ø12 m
Legende:
V = 66% V = 70,2%
ZZ – Zykluszeit
= 1,5 Galvanik 464.000 OEE = 59% OEE = 63% Tr – Rüstzeit
Los=ø15.400 Los=ø2.060 s – Sekunden
ZZ=ø0,075 s 1.235.000 m – Minuten
= 2,5 3 Schichten 3 Schichten
Tr = ø 180 m V – Verfügbarkeit
11 Stationen 12 Stationen OEE – Overal Equipment Efficiency
V = 85% ZZ = 30-60 s
5 Maschinen pro Rolle
Los=ø122.000 Tr = 5-20 m
Durchlaufzeit
2 Schichten Los=ø20.000
116 Tage
61,8 Tage 23,2 Tage 31,6 Tage 0,1 Tage
Wertschöpf.-zeit
0,075 s 120 s 26,9 s 31,2 s ca. 2 s ~ 4 Minuten

Abb. 6: IST-Wertstrom des Modellbetriebs Connect Ltd.

5. Der Schritt fünf beschäftigt sich mit den Informationsflüssen. Letztlich geben
sie den Mitarbeitern vor, was sie produzieren sollen. Die Informationsflüsse
beginnen immer beim Kunden. Dieser gibt seinen Auftrag in irgendeiner Weise
an das (produzierende) Unternehmen weiter. Zur Abbildung dieses Vorgangs
wird ein neues Symbol der Funktionssteuerung PPS (Produktions-Planungs-
und -Steuerungs-System) eingeführt, welches nicht gleichzustellen ist mit einer
Abteilung, einem EDV-System oder einer Person. Vielmehr sind in diesem alle
Abläufe, Prozesse und Mitarbeiter gebündelt, die dafür sorgen, dass Auftragsin-
formationen verarbeitet und zu Fertigungsaufträgen umgewandelt werden.3
Der Abbildung zum Fallbeispiel ist zu entnehmen, dass es einen monatlichen
Forecast gibt, der jeweils für zwei Monate gilt. Zusätzlich werden kurzfristige
Kundenaufträge täglich quasi vom Kunden an die Produktionssteuerung gelei-

3 Natürlich kann ein Wertstrom auch präzisiert und um einen Wertstrom der Produktions-
steuerung ergänzt werden. Die Methodik ist dabei identisch, der Detaillierungsgrad kann
nach Belieben erhöht werden.
148 Lars Vollmer

tet. Letztere erarbeitet nun Produktionspläne, die an die Prozesse weitergeleitet


werden. Schließlich erhält der Versand noch einen eigenen Lieferplan. Die wei-
terhin dargestellten Brillensymbole kennzeichnen die Orte, an denen Mitarbei-
ter oder Führungskräfte, häufig Meister, die eingegangenen Produktionspläne
modifizieren. Es wird also nach gemeinsamer Absprache und mit bestem Wis-
sen eine manuelle Reihenfolgenänderung durchgeführt. Gleichzeitig vermerken
die Brillensymbole aber auch die Tatsache, dass Produktionspläne nicht
zwangsläufig gemäß Produktionssteuerung eingehalten werden.
6. Im vorletzten Schritt des Wertstromdesigns wird herausgearbeitet, an welchen
Stellen Material verschoben, wo also nach dem Push-Prinzip gearbeitet wird.
Anders gefragt: Wo wird auf Basis des Produktionsplanes produziert – ohne ein
explizites Feedback oder explizite Einbeziehung der Kapazität und der Produk-
tionsrate des nachfolgenden Prozesses? Bezogen auf das Fallbeispiel zeigt sich,
dass die Stanzerei gemäß Produktionsplan und ihren spezifischen Rüstzeiten
sowie Maschinenausfällen die Teile stanzt. Diese werden für ein Lager gefer-
tigt, aus dem sich die Galvanik bedient. Es gibt demnach keine formalisierte
Abstimmung zwischen Stanzen und Galvanik, sondern lediglich eine Prognose
auf Basis der zu erwartenden Kundenaufträge. Die gestreiften Pfeile symboli-
sieren daher die Push-Produktion auf Grund der im Produktionsplan enthalte-
nen Aufträge in Form von Standardlosgrößen und Forecasts.
7. Im letzten Schritt wird der Wertstrom durch die Zusatzinformation Durchlauf-
zeitkalkulation ergänzt. Die vorherigen sechs Schritte haben den Wertstrom be-
reits komplettiert, denn sämtliche Material- und Informationsflüsse sowie Lo-
gistik und logistische Details der Produktfamilie wurden in diesem vereint. Die
Grundlage für eine Diskussion ist demnach bereits vorhanden. Der letzte Schritt
dient lediglich dazu, eine Zusatzinformation zu generieren, die vor allem hilft,
den IST-Zustand besser mit dem SOLL-Zustand vergleichen zu können. Wei-
terhin kann im siebten Schritt das Potenzial des IST-Wertstroms anhand der
praktischen Aufnahme des Wertstroms klarer definiert werden. Das heißt, hier
wird eine Durchlaufzeit kalkuliert, die ihren Namen nicht ganz verdient. Logis-
tisch korrekt müsste es eine Reichweite sein, aber dieser in der Praxis nur recht
geringe Unterschied wird hier billigend in Kauf genommen. Das Prinzip funk-
tioniert wie folgt: Zunächst wird eine so genannte Zeitlinie unter den Wert-
strom gezeichnet. Jeder Prozess wird durch ein Tal, jeder Puffer durch ein Pla-
teau gekennzeichnet. In die Täler werden nun die jeweiligen Wertschöpfungs-
zeiten eingetragen und abschließend addiert.
In Bezug auf die Plateaus bedient man sich eines Tricks, denn der Bestand wird
zum durchschnittlichen Bedarf des Kunden ins Verhältnis gesetzt. Entweder
indem der Bestand durch den Bedarf geteilt oder mit dem Kundentakt multipli-
ziert wird. Die Werte der Täler und Plateaus werden abschließend zur Gesamt-
durchlaufzeit addiert. Im Fallbeispiel ergibt sich eine Gesamtdurchlaufzeit von
116 Tagen im Verhältnis zu einer Wertschöpfungszeit von circa 4 Minuten.
Hier zeigt sich auch, wie wenig bedeutsam es ist, die Werte hochgradig exakt
aufzunehmen. Das Verhältnis ist in jedem Fall verheerend und bietet einen An-
haltspunkt für das mögliche Potenzial eines IST-Wertstromes.
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign 149

3.4 Leitlinien für SOLL-Wertströme

Die Methode Wertstromdesign trägt ihren Namen nicht nur, weil sie sich mit der
Aufnahme eines Wertstroms beschäftigt und somit eine gewisse Art der Analyse
vorgibt. Wertstromdesign ist vor allem eine Gestaltungsmethode, die Leitlinien
zur Erstellung von SOLL-Wertströmen vorgibt. Diese setzen sich im Wesentli-
chen aus den folgenden sieben Punkten zusammen.
1. Produzieren nach Kundentakt
Die Grundlage einer fließenden Produktion stellt eine rhythmische Produktion dar.
Der Produktionsrhythmus, den es einzuhalten gilt, wird immer vom Kunden vor-
gegeben. Das heißt, die Produktion folgt diesem Rhythmus durch Einhaltung einer
Taktzeit. Im übertragenen Sinne gibt die Taktzeit den Zeitraum an, in dem ein
Produkt fertig gestellt werden sollte, um dem Kundenbedarf exakt zu entsprechen.
Aus diesem Grund wird dieser Zeitraum als Kundentakt bezeichnet. Berechnet
wird der Kundentakt anhand der verfügbaren Betriebszeit pro Zeiteinheit, dividiert
durch den Kundenbedarf pro Zeiteinheit. Sowohl zu langsames als auch zu schnel-
les Produzieren müssen unbedingt vermieden werden. Zu langsames Produzieren
bewirkt, dass der Kundenbedarf nicht gedeckt werden kann. Produktion unterhalb
des Kundentaktes hat zwangsläufig Überproduktion zur Folge.
In der Praxis ist die Einhaltung dieser Leitlinie unter Umständen ein sehr heh-
res Ziel. Die Taktzeit bleibt trotz alledem die wichtigste Kenngröße eines SOLL-
Wertstroms, dient daher immer als „Nordstern“ oder Richtschnur für den optima-
len Zustand. Erst eine Produktion, die exakt in der Taktzeit abläuft, entspricht ei-
nem idealen SOLL-Wertstrom und sicherlich in vielen Fällen auch einem tatsäch-
lich erreichbaren Wertstrom (siehe Abb. 7). Aber wie bei allen folgenden Leitli-
nien ist jeder kleine Schritt eine Verbesserung des Flusses – und damit immer ein
wichtiger Schritt auf dem Weg zum schlanken Unternehmen.

Der Kunde gibt den Produktionsrhythmus vor!


Das heißt: Die Produktion folgt diesem Rhythmus durch Einhaltung der Taktzeit.
Die Taktzeit gibt den Zeitraum an, in dem Sie ein Produkt fertig stellen
sollten, um dem Kundenbedarf genau zu entsprechen.

Verfügbare Betriebszeit pro Schicht


Kundentakt =
Vom Kunden verlangte Produktionsmenge pro Schicht

7,5 h = 27.000 s
Beispiel: = 60 Sekunden
450 Stück

Das heißt: • Der Kunde kauft dieses Produkt mit einer Rate von 1 Stück alle 60 s.
• Die Taktzeit sollte auch genau 60 s betragen.

Sowohl zu langsames als auch zu schnelles


Produzieren muss vermieden werden.

Abb. 7: Leitlinie 1 – Produzieren nach dem Kundentakt


150 Lars Vollmer

2. Einzelstückfluss, wann immer möglich


Konventionelle Arbeitsplätze und Abläufe werden einzeln betrieben. Das Rohma-
terial befindet sich vor dem Arbeitsplatz, der Arbeitsschritt wird isoliert durchge-
führt und die Teile in einem Zwischenlager gesammelt. Zur weiteren Bearbeitung
werden diese dann transportiert. Sämtliche weiteren Prozessschritte arbeiten eben-
falls nach diesem Prinzip, und schließlich verlassen die Teile nach mehreren Pro-
duktionsstufen das Unternehmen. Diese Arbeitsform ist durch ein hohes Maß an
Verschwendung gekennzeichnet, die aber durch hohe Bestände verdeckt wird. Ein
weiteres Charakteristikum ist der fehlende Fluss im Ablauf. So ist die Liege- bzw.
Wartezeit zwischen Prozessschritten und/ oder die Transportzeit deutlich höher als
die Bearbeitungszeit der Teile. Ein üblicher Wert im verarbeitenden Gewerbe liegt
bei 0,05 bis 1% Wertschöpfungszeitanteil an der Durchlaufzeit. Mit den hohen
Beständen geht das Problem der verzögerten Entdeckung von Qualitätsfehlern
einher. Damit dauert die Behebung oftmals sehr lange und die Flexibilität bei der
Reaktion auf sich kurzfristig ändernde Kundenwünsche ist ungenügend, weil das
System eine immanente Trägheit aufweist (siehe Abb. 8).
Dem entgegen steht das Ideal der schlanken Produktion – nämlich das Ideal des
Einzelstückflusses. Einzelstückfluss bedeutet, dass die Arbeit direkt ohne Losbil-
dung und Liegezeit von einer Stufe zur nächsten fließt. Es ist erst dann wirklich
von Fluss zu sprechen, wenn die Bestände auf ein Minimalmaß reduziert werden
konnten. Qualitätsfehler werden unmittelbar entdeckt. Damit steigt die Reaktions-
fähigkeit sehr stark an. In der Praxis ist dieses Idealbild sicherlich erst die Endstu-
fe einer mitunter jahrzehntelangen Evolution. Aber auch hier ist eben diese, wie
bei der Taktzeit, das angestrebte Entwicklungsmaß.

Isolierte
Arbeitsplätze

– Kein Fluss – Kein Feedback – Verschwendungen


– Viel Verschwendung – Keine Flexibilität bleiben unerkannt

Einzelstückfluss

+ Schneller Fluss + Direkter Kontakt + Verschwendungen


+ Geringe Bestände + Hohe Flexibilität werden sichtbar

Abb. 8: Leitlinie 2 – Einzelstückfluss, wann immer möglich


Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign 151

Insbesondere im deutschsprachigen Raum wird die Störungsanfälligkeit einer


solchen Produktion als wesentliches Argument der Ablehnung des Einzelstück-
flusses angeführt. Störungsanfälligkeit bedeutet dabei die Reaktion des Gesamt-
systems bei einem Zustand, der nicht dem Regelbetrieb entspricht. Dies könnten
beispielsweise länger anhaltende technische Anlageprobleme sein. In diesem Fall
würde das Gesamtsystem zum Stopp kommen. Die konventionelle Produktion
baut in einem solchen Fall immense Bestände zwischen den Prozessschritten auf,
aus denen bei Folgeausfällen gezehrt werden kann. Somit hangelt sich die konven-
tionelle Produktion gedanklich von einem Ausfall zum nächsten, deren Gründe
durch die Bestände verdeckt bleiben. Und hier liegt der Philosophieunterschied
zwischen dem Denken der Massenproduktion und dem der schlanken Produktion.
Denn in der schlanken Produktion sind nahezu alle Leitlinien und Regeln darauf
ausgerichtet, dass Fehler sowie Störungen sofort entdeckt werden, um diese
schnellstmöglich beseitigen zu können. In der Praxis muss hierbei wieder ein ge-
sundes Augenmaß entwickelt werden, ohne jemals vom Grundprinzip abzuwei-
chen und das Ziel aus dem Auge zu verlieren, das eine störungsfreie Produktion
anstrebt.
3. Einzelstückfluss zwischen Prozessen mittels FIFO-Bahnen
Diese Leitlinie stellt eine Abschwächung der vorherigen dar und ist somit als Lö-
sung 1b zur Kopplung von Prozessen zu verstehen (siehe Abb. 9).

Die Bildung von Produktions-Zellen mit Einzelstückfluss ist nur schwer realisierbar bei
¬ räumlich weit auseinander liegenden Prozessen
¬ schwankenden Zykluszeiten

Umsetzung von Einzelstückfluss zwischen Prozessen (Zellen)


mit FIFO-Bahn (First In – First Out)!

Logik einer
FIFO-Bahn STOP voll?

Prozess FIFO Prozess

max. 15 Stück
A B

¬ FIFO-Bahn kann nur eine festgelegte Teilemenge aufnehmen.


¬ Ist die FIFO-Bahn voll, so stoppt der Liefer-Prozess (hier: Prozess A),
bis der Verbraucher-Prozess min. 1 Teil verbraucht hat.
¬ FIFO-Bahnen behalten die Teile-Reihenfolge und ermöglichen so
Einzelstückfluss.
¬ FIFO-Bahnen beinhalten Bestände, daher Vorsicht vor Etablierung
eines unkontrollierten Lagers.

Abb. 9: Leitlinie 3 – Einzelstückfluss zwischen Prozessen mittels FIFO-Bahnen


152 Lars Vollmer

Sie sieht ebenfalls einen Einzelstückfluss vor, also die Abkehr von einer los-
weisen Produktion, erlaubt aber die Pufferung von Teilen zwischen zwei Prozes-
sen. Dies wird üblicherweise angewandt, wenn Prozesse räumlich weit auseinan-
der liegen und die Zykluszeiten, insbesondere bei variantenreicher Produktion,
zwischen den Prozessen schwanken. Die Kopplung der Prozesse findet in diesem
Fall durch eine FIFO-Bahn4 statt, die eine vorher festgelegte Menge an Teilen auf-
nimmt. Neben der rein logistischen Funktion des Einzelstückflusses handelt es
sich dabei vor allem auch um eine Managementfunktion. Die Regel lautet: Sobald
die FIFO-Bahn voll ist, stoppt der Lieferprozess, bis der Verbraucher- oder der
Kundenprozess mindestens ein Teil entnommen hat, so dass die FIFO-Bahn wie-
der Restkapazität aufweist. Vorteil dieser Leitlinie ist die Beibehaltung des Ein-
zelstückflusses sowie der Teilereihenfolge und damit der Aufrechterhaltung eines
kontinuierlichen Flusses. In der Praxis ist Vorsicht geboten, da FIFO-Bahnen im-
mer Bestände beinhalten und sich bei ungenügendem Management eines solchen
Prinzips ein unkontrolliertes Lager etablieren kann. Und damit wäre man wieder
bei einem klassischen Push-Lager, was den Leitlinien der schlanken Produktion
widerspricht.
4. Wann immer nötig und erforderlich: Verwendung von Supermarkt-Pull-
systemen
Die Leitlinie 4 berücksichtigt die Notwendigkeit einer Losproduktion, wie sie in
vielen Industrien vorhanden ist. Diese ist immer dann gegeben, wenn Prozesse mit
sehr hohen Schwankungen zwischen den Zykluszeiten der Prozessschritte auftre-
ten, z.B. Stanzen im Vergleich zu Montagetätigkeiten, wenn sehr hohe Rüstzeiten
vorhanden, Prozesse räumlich sehr weit entfernt oder wenn Prozesse hinsichtlich
Qualität und Verfügbarkeit sehr unzuverlässig sind (siehe Abb. 10). Allerdings
liegt das Bestreben der Prinzipien der schlanken Produktion darin, diese Restrikti-
onen Schritt für Schritt zu reduzieren. Zykluszeiten können – wenn auch häufig
nur mittel- bis langfristig – durch andere Maschinenkonzepte angepasst, Rüstzei-
ten beispielsweise mit der SMED-Methode kontinuierlich gesenkt werden. Prob-
leme im Bereich Qualität und/ oder der Anlagenverfügbarkeit können mit der Me-
thode Six Sigma analysiert und Abstellmaßnahmen definiert werden. Weiterhin ist
ein nach Materialflussgesichtspunkten aufgebautes Layout einzurichten und die
Zuverlässigkeit von Prozessen schrittweise zu erhöhen.
Das klare Ziel bleibt, die Gründe für die Leitlinie zu eliminieren. Insofern stellt
die Leitlinie 4 nur die Lösung 1 c dar. Die Idee dieser Leitlinie geht auf Taiichi
Ohno zurück, der sich bei der Toyota Motor Company mit der Entwicklung und
dem Aufbau des Toyota-Produktionssystems beschäftigt hat: „Es müsste doch
möglich sein, den Materialfluss in der Produktion nach dem Supermarktprinzip zu
organisieren – dass heißt, ein Verbraucher entnimmt aus dem Regal eine Ware be-
stimmter Spezifikation und Menge; die Lücke wird bemerkt und wieder aufge-
füllt“ (Taiichi Ohno). Das Prinzip des Supermarktes ist in der Praxis auch unter
dem Namen Kanban bekannt.

4 FIFO = First In - First Out.


Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign 153

Wann ist Produktion in Losen erforderlich?


¬ bei sehr schnellen oder sehr langsamen Zykluszeiten (z.B. Stanze, Spritzguss)
SMED ¬ bei räumlich zu weit entfernten Lieferanten-Prozessen
¬ bei hohen Rüstzeiten
t
¬ bei unzuverlässigen Prozessen Layou

TQM

Einsatz eines Supermarkt-Pull-Systems,


ohne Einsatz einer unabhängigen Steuerung!

Produktions-Kanban Entnahme-Kanban
Kundenprozess geht zum Supermarkt
1 und entnimmt, was er braucht, und
wann er es braucht.
Lieferprozess produziert, um das
Liefer- Kunden- 2 Entnommene wieder aufzufüllen.
prozess prozess
2 1
Ziel: Steuerung der Produktion
A Produkt Produkt B am Lieferprozess ohne
Supermarkt Produktionsplan

Abb. 10: Leitlinie 4 – Verwendung von Supermarkt-Pullsystemen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Nachproduktion nur bei


Verbrauch angetriggert wird. Daher wird diese Linie auch als Verbrauchssteue-
rung bezeichnet. In der Praxis sind verschiedenste Ausprägungsformen möglich,
so dass in nahezu allen Branchen und allen Technologieformen dieses Prinzip an-
gewendet werden kann. In der Praxis wird die flächendeckende Einführung ledig-
lich durch eine eventuell zu hohe Variantenzahl und die teilweise sehr hohen Be-
darfsschwankungen einer Produktfamilie begrenzt. Daraus resultieren in den meis-
ten Fällen hohe Bestände und unter Umständen hoher Flächenbedarf, was dem
Gedanken einer schlanken Produktion widerspricht.
5. Produktionssteuerung nur an einer Stelle im Wertstrom
Die Grundidee der Leitlinie 5 (siehe Abb. 11) entspricht dem grundsätzlichen Ge-
danken der Systemtheorie: Systeme lassen sich nur durch Impulse an einer Stelle
steuern. Das heißt für die Methodik des Wertstromdesigns: Zur Minimierung des
Steuerungsaufwands und somit zur Unterstützung eines effizienten und schnellen
Wertstroms wird die Steuerung nur an einer Stelle innerhalb des Wertstroms ange-
setzt. Dieser Ansatzpunkt wird Schrittmacher-Prozess oder Pacemaker genannt.
Die Produktion aller vorgelagerten Prozesse wird so anhand des Schrittmacher-
Prozesses gesteuert und kann entscheidenden Einfluss auf Bestand und Flächen-
bedarf der Supermärkte ausüben. Zudem legt der Pacemaker fest, welche Prozesse
des Wertstroms Bestandteil der Auftragsdurchlaufzeit werden. Auftragsdurchlauf-
zeit bedeutet dabei das Zeitintervall zwischen Auftragseinsteuerung und Fertig-
stellung des Auftrags.
154 Lars Vollmer

In Bezug auf die praktische Anwendung dieser Leitlinie ist es wichtig zu beto-
nen, dass dem Schrittmacher-Prozess flussabwärts keine Supermärkte nachgela-
gert sein können. Eine Ausnahme stellt ein Fertigwaren-Supermarkt dar. Aus die-
sem Grund liegt die Position des Schrittmacherprozesses möglichst weit vorne in
einem Wertstrom, der sich durch einen kontinuierlichen Fluss auszeichnet. Im
SOLL-Zustand wird der Schrittmacher-Prozess durch die eingehenden Kunden-
aufträge gelenkt.

Ein effizienter und schneller Wertstrom wird nur an einer Stelle


nach Termin und Menge gesteuert.

Dieser Steuerungspunkt wird „Schrittmacher-Prozess“


oder „Pacemaker“ genannt.

Beis
piel

Stanzen Pressen Endmtg. QS / Test Versand

Anmerkung:
Vom Schrittmacher-Prozess
»PULL« flussaufwärts flussabwärts kann kein Super-
»FLOW« flussabwärts markt mehr installiert werden.
Ausnahme: Fertigwaren

Abb. 11: Leitlinie 5 – Produktionssteuerung nur an einer Stelle im Wertstrom

6. Ausgleich des Produktionsmixes


Die sechste Leitlinie (siehe Abb. 12) – der Ausgleich des Produktionsmixes – er-
fordert ein besonders hohes Maß an Veränderung gegenüber der herkömmlichen
Produktion. Viele Firmen halten die Produktion in großen Losen für einfacher und
sinnvoller, um weitläufig planen und um Rüstvorgänge vermeiden zu können und
so die Auslastung des Systems auf hohem Niveau zu halten. Bezogen auf den
Wertstrom hat diese Art der Batch-Fertigung jedoch fatale Folgen. Die Produktion
von großen Losen im Hauptprozess bedeutet auch, dass sämtliche Komponenten
in dieser Menge vorrätig sein müssen, was wiederum hohe Bestände nach sich
zieht. Weiterhin ist es aufgrund der langfristigen Zusammenfassung von Aufträ-
gen und Produkttypen schwer, dem Kundenwunsch nachzukommen, wenn dieser
nicht gerade dem produzierten Los entspricht. Die Notlösung bedeutet oft, alle
Produktvarianten in einem großen Fertigwarenlager ständig verfügbar zu machen
oder den Kunden mit längeren Lieferzeiten zu konfrontieren. Beide Lösungsvari-
anten stellen keinen anzustrebenden Zustand im Sinne der schlanken Produktion
dar.
Um den Beständen entgegenzuwirken, gilt es, den Produktionsmix auszuglei-
chen. In der Praxis bedeutet das, dass die verschiedenen Varianten gleichmäßig
über einen Zeitraum verteilt produziert werden. Der Ausgleich des Produktions-
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign 155

mixes wird durch kleine Losgrößen erreicht, die es ermöglichen, schnell auf Kun-
denwünsche zu reagieren. Die Folge der Losgrößenreduktion ist ein Anstieg der
Rüstvorgänge. Das führt zu deutlicher Bestandsreduktion und kürzeren Durch-
laufzeiten. Als Maß für die mögliche Losgrößenreduktion kann die Kennzahl
EPEI (Every Part Every Intervall) herangezogen werden. Diese gibt das Zeitinter-
vall an, in dem es möglich ist, alle Produktvarianten bei gleichzeitiger Deckung
des Kundenbedarfs einmal zu produzieren. Daher folgt: je kleiner der EPEI ist,
desto besser kann der Ausgleich des Produktionsmixes erfolgen.

Losbildung führt zu Problemen:


¬ Die Flexibilität, kurzfristig auf sich ändernde Kundenwünsche zu reagieren, wird geringer.
¬ Es sei denn, Sie halten hohe Fertigwarenbestände vor ! sehr teuer und sehr riskant.
¬ Große Lose führen automatisch an den vorgelagerten Stufen zu aufgeblähten Lagerbeständen.
¬ Veränderungen in der Losbildung schaukeln sich flussaufwärts immer weiter auf.
¬ Durchlaufzeiten steigen drastisch an.

Deshalb: Produktmix ausgleichen, am Schrittmacher-Prozess


d.h. die Produktion verschiedener Produkt-Varianten wird
gleichmäßig über einen bestimmten Zeitraum verteilt

INTERVALL = Schlüsselkennzahl
auch: EPEI – Every Part Every Interval

Je kürzer das Intervall, desto ... aber: kurze Intervalle erfordern ...
¬ geringer die Bestände ¬ häufigeres Rüsten
¬ kürzer die Durchlaufzeiten ¬ daher kürzere Rüstzeiten
¬ höher die Flexibilität ¬ synchronisierten Einkauf
¬ weniger Verschwendung
¬ höher die Produktivität

Abb. 12: Leitlinie 6 – Ausgleich des Produktionsmixes

7. Ausgleich des Produktionsvolumens


Die Leitlinie 7, Ausgleich des Produktionsvolumens (siehe Abb. 13), ist mehr eine
Managementleitlinie als eine Gestaltungsregel und zielt auf den Aspekt der Pro-
duktionsplanung und -steuerung ab. Häufig wird der Schrittmacher-Prozess mit zu
großen Arbeitsvolumina in Form von Tages- oder Wochenplänen belastet. Bei ei-
ner derartigen Zuteilung von Arbeitsinhalten geht die Kundenorientierung verlo-
ren und somit der Pull-Effekt, da die Taktzeit fehlt. Somit werden Produktions-
probleme und ihre Ursachen nicht rechtzeitig erkannt. Zusätzlich besteht bei einer
großen Zahl von Aufträgen die Gefahr der Reihenfolgevertauschung durch die
Fertigung, was eine Erhöhung der Durchlaufzeit und damit der Lieferzeiten zur
Folge hat.
Der Ausgleich des Produktionsvolumens wirkt diesen Problemen entgegen, da
bei taktgebundener Freigabe am Schrittmacher-Prozess und bei Entnahme von
Fertigwaren regelmäßig (z.B. alle 5-60 Minuten) kleine Lose in den Schrittma-
156 Lars Vollmer

cher-Prozess eingesteuert werden und auf diese Weise zum kontinuierlichen Fluss
beitragen.

Zuteilung von großen Mengen am Pacemaker (Tages- oder sogar Wochenmengen)


ergeben Probleme, wie:
¬ Dem Schrittmacher-Prozess fehlt das Gefühl für die Taktzeit (Herzschlag).
¬ Arbeitsvolumen verteilt sich ggf. ungleichmäßig über die Zeit.
Täler und Hügel ergeben zusätzliche Belastung für Maschinen, Personal und Supermärkte.
¬ Transparenz fehlt; Produktionsprobleme werden meist erst am Ende der Periode erkannt.
¬ Werden große Mengen freigegeben, neigen die Prozesse dazu, eine eigene Reihenfolge zu bilden.

Deshalb: Produktionsvolumen ausgleichen durch Freigabe von kleinen,


gleichmäßigen Planungsinkrementen (15-120min).
Das Planungsinkrement wird auch "PITCH" genannt.

Je kleiner der Pitch, desto schneller können Sie auf Schwankungen reagieren.

Der Pitch visualisiert die Einhaltung des Taktes.

Abb. 13: Leitlinie 7 – Ausgleich des Produktionsvolumens

Toyota hat in diesem Zusammenhang den Begriff „Pitch“ geprägt. Pitch gibt
dabei das Intervall der Freigabe bzw. Entnahme an. Pitch orientiert sich i.d.R. an
einer Behältergröße (Stückzahl der Fertigwaren pro Behälter). Mit Hilfe der Mul-
tiplikation von Taktzeit und Behältergröße wird der Pitch berechnet, der dem
Schrittmacher-Prozess vorgibt, wann ein weiteres Los produziert bzw. ein fertiges
entnommen werden muss.5

3.5 Umsetzungsprinzipien

Erfolgreiche Wertstromdesign-Initiativen sind immer Teamprozesse. So wird der


IST- wie auch der SOLL-Wertstrom idealerweise von einem interdisziplinären
Team aus dem mittleren Management eines Unternehmens erstellt, das für Pro-
zess- und Systemverbesserungen verantwortlich ist. Dabei sollte man je nach Um-
fang und Komplexität des Wertstroms ca. 3-5 Tage zur Aufnahme des IST-
Wertstroms und eine ähnliche Zeit zur Ausarbeitung des SOLL-Wertstroms kalku-
lieren. Aber damit fängt die eigentliche Arbeit erst an – ein Wertstromdesign ohne
Umsetzung ist bloße Verschwendung von Zeit und Kosten.
Bei der Umsetzungsarbeit werden grundsätzlich zwei ineinander greifende An-
sätze verfolgt. Zum einen sind dies radikale Veränderungen (Kaikaku), wie bei-
spielsweise die Einführung neuer Produktionstechnologien oder der Aufbau neuer

5 Der Pitch liefert somit die Grundlage für die Produktionsplanung einer Produktfamilie
(vgl. Rother/ Shook 2000).
Verbesserungen des gesamten Wertschöpfungsprozesses mit Wertstromdesign 157

Fabrikgebäude. Zum anderen ist dies das viel diskutierte Kaizen, das eine Verän-
derung in kleinen, kontinuierlich ablaufenden Schritten verfolgt.
Kaizen ist kein ausschließlich auf Mitarbeiterengagement basierendes System.
Zielgerichtete Kaizen-Aktivitäten erfordern ein aktives Management. Ein erfolg-
reiches Kaizen-Management zielt auf die Beseitigung der am häufigsten auftre-
tenden Management-Verschwendungen bei Kaizen-Aktivitäten:
• Verschwendung durch fehlende Fokussierung entsteht immer dann, wenn es
dem Management nicht gelingt, die richtigen Ressourcen auf die wesentlichen
Probleme und Ziele zu konzentrieren.
• Verschwendung durch fehlende Struktur bezieht sich auf den Organisations-
grad der täglichen Arbeit aller Mitarbeiter, auf das Feedback in Form von Leis-
tungsmessung und auf die tägliche, strukturierte Kommunikation mit den Vor-
gesetzten.
• Verschwendung durch fehlende Disziplin tritt dann auf, wenn Fokussierung
und Struktur zwar vorhanden sind, die Mechanismen zur Leistungsmessung,
zur Kontrolle und zur Anerkennung und Wertschätzung von Leistung nicht
angewandt werden.
• Verschwendung durch fehlenden Verantwortungsbereich tritt dann auf, wenn
Kaizen zwar praktiziert wird, den Mitarbeitern aber nicht zugestanden wird,
ihr Arbeitsumfeld „in Besitz zu nehmen“ (Ownership) und nachhaltig zu ver-
ändern.
Das Kaizen-System unterscheidet vier Kaizen-Level:
• Level 4: Individualkaizen. Kaizen am Arbeitsplatz des Mitarbeiters, z.B. Ver-
kürzung der Wege zur Beschaffung von Werkzeugen und Vorrichtungen, 5S.
• Level 3: Gruppenkaizen. Kaizen auf Ebene der Arbeitsgruppe, z. B. Reduktion
von Rüstzeit durch Rüsthelfer.
• Level 2: Kaizen-Event. Meist gruppenübergeifend, z.B. Neuorganisation der
Teilebereitstellung, Layoutgestaltung des Teambereichs, Einführung von One-
piece-flow-Zellen.
• Level 1: Wertstromkaizen. Tiefgreifende Veränderung der System- und Pro-
zessablaufstruktur durch eine Serie von Maßnahmen, die ggf. Projektcharakter
annehmen.
Die Durchführung der Kaizen-Events stellt das Herz des Verbesserungsprozes-
ses dar. Üblicherweise dauern diese Events 3-5 Tage, und es wird mit einem Team
von 4-6 Personen eine definierte und klar abgegrenzte Themenstellung bearbeitet.
Dabei ist die Umsetzung der Maßnahme immer Bestandteil des Events. In diesem
Punkt steht die Workshoparbeit im Gegensatz zu eher projektorientierten Ansät-
zen.
158 Lars Vollmer

4 Fazit

Das Wertstromdesign hat sich als Basiswerkzeug des erfolgreichen Lean Mana-
gement-Ansatzes in der Industrie etabliert. Dabei besticht es vor allem als schnel-
ler und zielgerichteter Navigator für systemisch ausgerichtete Verbesserungspro-
zesse. Die Vorgehensweise und die resultierenden Maßnahmen sind vollständig
auf den Kundennutzen ausgerichtet, ohne die praktische Umsetzung aus den Au-
gen zu verlieren.
Die Vorteile einer Kombination des Ansatzes mit den Grundideen von Six
Sigma sind bestechend. So liefert das Wertstromdesign die Systemsicht, während
Six Sigma die Tools und die praktische Methodik zur Eliminierung von Ver-
schwendungen auf der Prozessebene ergänzt. Dies wurde im Kapitel A dieses Bu-
ches bereits ausführlich dargestellt.

5 Literatur

Drew, J./ McCallum, B./ Roggenhofer, S. (2005): Unternehmen Lean – Schritte zu einer
neuen Organisation, Frankfurt/ New York 2005.
Halmosi, H./ Löffler, B./ Vollmer, L. (2005): Wertstromdesign in der variantenreichen Pro-
duktion, in: ZWF Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb, 100. Jg. (2005), Nr. 1-
2, S. 47-52.
Jones, D.T./ Womack, J P. (2002): Seeing the whole – Mapping the extended value stream,
Cambridge 2002.
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QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden-
Kombination im Rahmen von Design for Six
Sigma

Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

Inhalt

1 Quality Function Deployment (QFD) – Systematische Umsetzung der


Kundenbedürfnisse/ -anforderungen in Produkt- und Prozessmerkmale .159
1.1 Ermitteln von Kundenanforderungen.......................................................160
1.2 Gewichten von Kundenanforderungen.....................................................163
1.3 Festlegen des technischen Konzepts ........................................................167
1.4 Festlegen von Funktionen, Bauteilen usw................................................170
1.5 Ermitteln der bauteilbezogenen Zielkosten ..............................................171
2 Design of Experiments (DOE) – Quantifizierung der Ursachen-Wir-
kungs-Beziehungen zur Optimierung von Produkten und Prozessen.......175
2.1 Festlegen der Ziel- und Einflussgröße(n) .................................................176
2.2 Screening der Einflussgrößen/ Faktoren ..................................................180
2.3 Durchführen von Bestimmungsversuchen ...............................................181
2.4 Durchführen von Optimierungsversuchen ...............................................185
3 TRIZ – Erfinderisches Problemlösen zum Generieren von Produkt-
und Prozessinnovationen im Entwicklungsprozess..................................189
3.1 Wahl der Aufgabe (Zielsuche & Problemformulierung)..........................190
3.2 Präzisieren der Aufgabe (Zielvorgabe & Problemtransformation) ..........190
3.3 Analytisches Stadium (System-/ Modellanalyse).....................................191
3.4 Operatives Stadium (Lösungssuche/ -eingrenzung) .................................193
3.5 Synthetisches Stadium (Ideales Resultat und Lösungsrealisierung) ........194
4 Fallstudie zur Vernetzung von TRIZ und QFD: Entwicklung eines
innovativen „Auto-Safe“ ..........................................................................195
4.1 Anwendung von QFD ..............................................................................196
4.2 Anwendung von TRIZ .............................................................................200
5 Literatur....................................................................................................203

1 Quality Function Deployment (QFD) – Systematische


Umsetzung der Kundenbedürfnisse/ -anforderungen
in Produkt- und Prozessmerkmale

Die Methoden QFD, DOE und TRIZ werden von immer mehr Unternehmen im
Rahmen der Produktentwicklung eingesetzt. Die Gründe hierfür liegen vor allem
in dem hohen Zielerreichungsgrad und der hohen Wirtschaftlichkeit, die mit der
160 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

„richtigen“ Anwendung der Methoden erzielbar sind. Im Kern geht es um die Si-
cherstellung eines wirkungsvollen Produktentwicklungsprozesses mit vertretba-
rem Zeit- und Kostenaufwand sowie schlanker Infrastruktur. In diesem Zusam-
menhang spielt der DMADV-Zyklus, wie er im Beitrag von Töpfer/ Günther in
Kapitel A vorgestellt worden ist, eine herausragende Rolle.
Die Ausführungen in diesem Beitrag fokussieren zunächst auf den isolierten
Einsatz von QFD, DOE und TRIZ, wie er in der Praxis vielfach anzutreffen ist.
Die Darstellung der einzelnen Methoden ist prozessbezogen. Nach Auflistung der
wesentlichen Schritte folgen jeweils detaillierte Ausführungen mit konkreten An-
wendungsbeispielen. Ziel ist es, die Konzeption und Inhalte der Methoden für
Praktiker gut nachvollziehbar darzustellen und dabei eine Entscheidungsgrundlage
für den wirksamen Einsatz von QFD, DOE und TRIZ zu liefern. Abschließend
wird eine Fallstudie zur Vernetzung von QFD und TRIZ kurz referiert.
Ziel von Quality Function Deployment (QFD) ist die integrierte Produktent-
wicklung für kundengerechte, qualitativ hochwertige Produkte in möglichst kurzer
Entwicklungszeit. QFD bildet dabei das Rahmenkonzept für die wirkungsvolle
Umsetzung von Design for Six Sigma (DFSS). Wie Erfahrungswerte zeigen, sind
mit QFD bezogen auf Anlaufprobleme bei der Produktion von Neuprodukten (Job
No. 1) sowie bezogen auf Fehlerkosten nach der Einführung erhebliche Verbesse-
rungspotenziale realisierbar. Bei der Anwendung, z.B. im Zuge des DMADV-
Zyklus, werden standardmäßig die folgenden fünf Schritte durchlaufen:1
1. Ermitteln von Kundenanforderungen
2. Gewichten der Kundenanforderungen
3. Festlegen des technischen Konzepts
4. Festlegen von Funktionen, Bauteilen usw.
5. Ermitteln der bauteilbezogenen Zielkosten.

1.1 Ermitteln von Kundenanforderungen

Aus marktorientierter Sicht beginnt die Gestaltung/ das Design der Unternehmens-
leistungen mit der Ermittlung der Anforderungen der Kunden. Diese können bei
Befragungen i.A. nicht direkt ermittelt werden, da aus der Sicht der Marketingfor-
schung die „Stimme des Kunden“ (VOC – Voice of the Customer) sowohl Forde-
rungen/ Anforderungen als auch Wünsche/ Bedürfnisse sowie Erwartungen um-
fasst. Eine genaue Abgrenzung in der Praxis gestaltet sich i.d.R. schwierig. Um
die Kundenstimme dennoch „richtig“ zu ermitteln und zu verstehen, existieren ei-
ne Vielzahl von Lösungsvorschlägen. Für QFD sind insbesondere die Kunden-
problemanalyse nach Shiba et al. sowie die 6W-Analyse relevant.
Ein verhaltensbasiertes Vorgehensmodell zur Spezifikation von Kundenanfor-
derungen schlagen Shiba et al. (1993) vor. Anstatt Kundenwünsche/ -bedürfnisse
zu analysieren, untersuchen sie Kundenprobleme. Als Grund für ihr Vorgehen ge-
ben sie an, dass explorative Befragungen von potenziellen Kunden nach ihren

1 Siehe hierzu auch Beitrag von Töpfer/ Günther in Kapitel A zu Design for Six Sigma.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 161

Wünschen/ Bedürfnissen i.d.R. wenig zielführend sind, da die Antworten dem Un-
ternehmen meistens schon bekannt und zudem oberflächlich sind. Fragt man die
Kunden direkt nach ihren Kaufmotiven, dann wird nur die „Spitze des Eisberges“
an Einflussgrößen offengelegt. Die ausschlaggebenden Gründe für den Kauf sind
häufig latenter Natur und bleiben im Hintergrund verborgen.
Eine Lösung für dieses Problem stellt allein die detaillierte Analyse der konkre-
ten Anwendungssituation beim Kunden dar. Nur so können für das Unternehmen
gehaltvolle und auswertbare Informationen für die Neugestaltung von Sach- und
Dienstleistungen gewonnen werden. Als Handlungsleitfaden zur Spezifizierung
der Kundenanforderungen legen Shiba et al. 4 Fragen zugrunde (vgl. hierzu und
im Folgenden Töpfer/ Günther 2007, S. 113ff.):
1. Kundenerwartung: Woran denken Sie, wenn Sie sich die Lösung dieses Prob-
lems durch ein Produkt oder eine Dienstleistung vorstellen?
2. Kundenzufriedenheit: Welche Erfahrungen, insbesondere im Hinblick auf Prob-
leme oder Schwächen, haben Sie bisher bei der Lösung dieses Problems ge-
macht?
3. Kundennutzen: An welche Eigenschaften und Kriterien denken Sie vor allem,
wenn Sie sich die Lösung des Problems durch ein Produkt oder eine Dienstleis-
tung vorstellen?
4. Zukünftiger Kundenvorteil: Über welche neuen Eigenschaften und Funktionen
muss die Problemlösung bzw. das neue Produkt/ die neue Dienstleistung verfü-
gen, um Ihre zukünftigen Anforderungen/ Bedürfnisse zu erfüllen?
Wie leicht nachvollziehbar ist, werden die Kundenanforderungen in 4 Dimen-
sionen gemessen, nämlich Kundenerwartung, -zufriedenheit, -nutzen und -vorteil.
Dadurch soll ein möglichst umfassendes Bild über das bestehende und zu lösende
Kundenproblem erreicht werden. Die Beantwortung der 1. Frage (durch den Kun-
den) gibt Hinweise auf den Anwendungsbereich/ -zweck beim Kunden, die Asso-
ziationen, die der Kunde mit der Nutzung des Produktes/ der Dienstleistung ver-
bindet, und, daraus abgeleitet, die wesentlichen Kaufgründe. Die Antworten des
Kunden auf die 2. Frage spiegeln die Zufriedenheit des Kunden mit der aktuellen
Problemlösung wider und geben Hinweise auf mögliche, bisher noch nicht er-
kannte Defizite. Mit der 3. Frage verbinden sich direkt die kritischen Qualitäts-
merkmale (CTQs), die aus der Sicht des Kunden vollständig erfüllt sein sollen.
Die Antworten zur 4. und letzten Frage beschreiben die Wünsche und Erwartun-
gen des Kunden für eine innovative Problemlösung in der Zukunft. Definitions-
gemäß werden sie im Moment von keinem bestehenden Anbieter in der ge-
wünschten Weise erfüllt (vgl. Sauerwein et al. 1996, S. 313ff.). Ein Kundenvorteil
entsteht dann genau dadurch, dass das Angebot des Unternehmens aus Kunden-
sicht besser beurteilt wird als entsprechende Vergleichsangebote.
Im Rahmen von QFD wird typischerweise die 6W-Analyse angewendet, um ei-
ne differenzierte Analyse der Kundenstimme vorzunehmen. Bei ihr werden die
wissenschaftlichen Aussagen zur Bestimmung von Kundenanforderungen sowie
das Fragenschema von Shiba et al. implizit zugrunde gelegt. Ziel der Analyse ist
es, die generellen Wünsche, Erwartungen und Anforderungen der Zielkunden be-
162 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

zogen auf eine beschriebene Situation und die angebotene Problemlösung zu er-
fahren. Dabei geht es i.d.R. noch nicht um ein konkretes Produkt, sondern viel-
mehr um den spezifischen Nutzen eines neuen Konzeptes, aus dem sich dann in
einem Konkretisierungsprozess Kundenanforderungen ableiten lassen.
In Abbildung 1 ist eine Beispielübersicht mit der Ableitung von Kundenanfor-
derungen auf der Basis einer 6W-Analyse skizziert. Wie ersichtlich ist, wird die
„konkrete“ Kundenstimme durch die Beantwortung der 6 Fragen Wer?, Was?,
Wo?, Wann?, Warum? und Wie viel? differenziert analysiert und in entsprechende
Kundenanforderungen übersetzt. Im Beispiel ist dies – vereinfacht dargestellt –
eine einzelne Aussage zur Beschaffenheit/ Gestaltung der Tür eines Küchenher-
des, die mithilfe der 6 Fragen in 3 Kundenanforderungen aufgelöst wird.

Customer Voice Table (6W)

Lfd. Kunden- Kunden-


stimme Wer? Was? Wo? Wann? Warum? Wie viel? anforde-
Nr.
rungen

1 Leicht zu Käufer, Leicht- Herdtür Beim Meist nur 1. Leicht von


bedienende Herdbe- gängige außen Kochen eine Hand außen zu
Herdtür nutzer Herdtür und frei, öffnende
Backen Angst vor Herdtür
- Privater
Haushalt
Verbren-
nungen 2. Leicht von
- Restaurant/
außen zu
Gaststätte
schließende
Herdtür

Max. 30ºC 3. Geringe


Wärme Temperatur
am Griff am Griff

Abb. 1: 6W-Analyse zur systematischen Ableitung von Kundenanforderungen

Die 6W-Analyse ist ein einfaches, teilstrukturiertes Fragenschema, mit dem ei-
ne Fokussierung auf die Erwartung, die Zufriedenheit, den Nutzen und den zu-
künftigen Vorteil für den Kunden erreicht wird, ohne jedoch sein Gedankenspekt-
rum als Möglichkeitsraum zu stark einzuschränken. Dies stellt sicher, dass zum
einen das Problem und seine Lösung nicht zu früh durch die „Brille des Unter-
nehmens“ betrachtet wird und zum anderen auf dieser Basis kreative Lösungs-
sichtweisen erhalten bleiben (vgl. Töpfer/ Günther 2007, S. 113f.).
Für eine umfassende Ermittlung der Kundenanforderungen empfiehlt es sich,
die 6W-Analyse sowohl mit internen Kunden/ Mitarbeitern als auch externen
Kunden/ Lieferanten durchzuführen. Neben der direkten Befragung der Kunden
kommen u.a. folgende Dokumente und Unterlagen als (indirekte) Informations-
quellen infrage, um die Kundenstimme zu erfassen: Verträge und Lastenhefte,
Benchmarking-Ergebnisse, Zulieferer-Daten, Reklamations-Statistiken. Weitere
wichtige kundenbezogene Anforderungen an ein Produkt ergeben sich z.B. aus in
der Vergangenheit durchgeführten Lean- und Six Sigma-Projekten.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 163

Bei der Anwendung der 6W-Analyse ist zu beachten, dass jeweils Kundenan-
forderungen bestimmt werden, und keine Lösungen. Kundenanforderungen sind
immer lösungsneutral. So soll nach Abbildung 1 die „Herdtür leicht von außen zu
öffnen“ sein, was grundsätzlich keine Lösungen beinhaltet. Dadurch wird die Ge-
fahr vermieden, dass andere, eventuell bessere Lösungen im Deployment-Prozess
nicht mehr betrachtet werden. Im Beispiel wäre ein Lösungsvorschlag – anstelle
einer Kundenanforderung – im Berichtsbogen dokumentiert, wenn aus ingenieur-
technischer Sicht feststeht, dass die „Herdtür horizontal schwenkbar zu öffnen“
ist, um dadurch den Bedienungsaufwand für den Kunden zu minimieren.
Neben der Ermittlung/ Ableitung erweist sich insbesondere die richtige Ge-
wichtung der Kundenanforderungen als wesentliche Voraussetzung für eine kun-
denorientierte Produktentwicklung. Diese Aufgabe wird in der Praxis häufig un-
terschätzt, obwohl gerade im Rahmen eines Deployment-Prozesses die Qualität
der Ausgangsgrößen maßgeblich von der Qualität der Eingangsgrößen abhängt.
Das heißt, fehlerhafte Eingangsgrößen können sich im Verlauf der Erstellung
mehrerer Beziehungsmatrizen zu „hochgradig“ fehlerhaften Ausgangsgrößen po-
tenzieren und damit u.U. zu schlechteren Ergebnissen führen als ohne die explizite
Bestimmung/ Ableitung der VOCs; in diesem Fall gilt: „Garbage in, garbage out“.

1.2 Gewichten von Kundenanforderungen

Der Zusammenhang zwischen der Erfüllung von Kundenanforderungen und dem


finanziellen Erfolg von Unternehmen wird i.A. über das hypothetische Konstrukt
der Kundenzufriedenheit hergestellt. In der Marketingforschung gilt die Kunden-
zufriedenheit seit Ende der 1970er Jahre als Schlüsselfaktor für den Unterneh-
menserfolg; sie gehört zu den bedeutendsten unternehmerischen Zielgrößen.2 Auf
abstraktem Niveau handelt es sich bei Kundenzufriedenheit um das Ergebnis einer
ex-post-Beurteilung des Kunden, welche auf zuvor gewonnenen Erfahrungen be-
ruht. Das heißt, es wird ein vorheriges, konkret erfahrenes Konsumerlebnis vor-
ausgesetzt. Im Hinblick auf das Konstrukt Zufriedenheit besteht darin Einigkeit,
dass es aus einem (individuellen) Vergleich von Soll- und Ist-Werten hervorgeht.
Eine direkte Verbindung zwischen Kundenanforderungen und Kundenzufrie-
denheit stellt u.a. das Kano-Modell her (vgl. Berger et al. 1993; Töpfer 2008, S.
196 ff.). Es differenziert dabei zwischen drei Arten von Anforderungen, die von
einem Produkt/ einer Dienstleistung erfüllt werden (müssen). In Abhängigkeit von
ihrem Erfüllungsgrad besitzen sie eine unterschiedliche Wirkung auf die Kunden-
zufriedenheit:

2 Über das konzeptionelle Verständnis von Kundenzufriedenheit liegt in der Betriebswirt-


schaftslehre bisher noch keine Einigkeit vor. Es existieren eine Reihe von z.T. konkurrie-
renden Erklärungskonzepten. Am weitesten verbreitet ist das Confirmation-/ Disconfir-
mation-Paradigma, bei dem die Kunden ein vergangenheitsorientiertes Zufriedenheitsur-
teil bilden (vgl. Töpfer/ Mann 2008, S. 43).
164 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

1. Basisanforderungen: Sie stellen eine Art „K.o.-Kriterium“ für das eigene Pro-
dukt/ die eigene Dienstleistung dar.3 Wenn sie nicht oder nur unzureichend er-
füllt sind, äußert sich dies in einer hohen Unzufriedenheit des Kunden. Eine
bessere Erfüllung der Basisanforderungen bedeutet zugleich, dass sich die Un-
zufriedenheit sukzessive reduziert. Das häufig erreichbare höchste Niveau be-
steht darin, dass der Kunde bezogen auf die Erfüllung der Basisanforderungen
„nicht unzufrieden“ ist, wenn nämlich die als selbstverständlich erachteten Ei-
genschaften des Produktes/ der Dienstleistung vollständig erfüllt sind. Durch
eine bessere Erfüllung der Basisanforderungen wird der Kunde also nicht zu-
friedener, sondern ist nur weniger unzufrieden (siehe hierzu Abb. 2).

Kunde zufrieden

Leistungsanforderungen
Begeisterungsanforderungen - artikuliert
- nicht artikuliert - spezifisch
- tailor-made - messbar
Versteckte Immer
- begeisternd - technisch
Chancen mehr

Anforderung Anforderung
nicht erfüllt erfüllt

Basisanforderungen
- implizit
- selbstverständlich K.o.-
- nicht artikuliert Kriterien
- offensichtlich

Kunde unzufrieden

Abb. 2: Kano-Modell der Kundenzufriedenheit

2. Leistungsanforderungen: Sie führen bei zunehmender Erfüllung zu einem pro-


portionalen Anstieg der Kundenzufriedenheit, d.h. eine bessere Erfüllung dieser
Anforderungen durch das Unternehmen erfüllt nicht nur die artikulierten Kun-
denbedürfnisse besser, sondern steigert zugleich die Kundenzufriedenheit. Der
Anstieg reicht dabei (linear) vom Zustand der „Völligen Unzufriedenheit“ bis
zum Zustand der „Völligen Zufriedenheit“ des Kunden. Bei Leistungsanforde-
rungen handelt es sich i.d.R. um Anforderungen, die vom Kunden explizit ge-
fordert werden und deshalb für das Unternehmen „gut“ messbar und technisch
umsetzbar sind, z.B. keine Verbrennungen an der Herdtür. Außerdem ist der
Ursachen-Wirkungs-Zusammenhang eindeutig spezifizierbar.

3 Z.B. Herdtür schließt so dicht ab, dass keine Wärme nach außen tritt.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 165

3. Begeisterungsanforderungen: Sie werden vom Kunden weder erwartet, noch


sind sie von ihm explizit formuliert. Mit zunehmender Erfüllung der Anforde-
rungen steigt das Niveau der Kundenzufriedenheit exponentiell an. Bei geringer
Erfüllung nähert sich die Zufriedenheit des Kunden asymptotisch der Abszisse,
d.h. durch die Nicht-Erfüllung von Begeisterungsanforderungen fällt die Zu-
friedenheit des Kunden niemals unter das Basisniveau. Vielmehr werden durch
das Erkennen und Umsetzen der Begeisterungsanforderungen die vom Kunden
(explizit) formulierten Anforderungen deutlich positiv übertroffen. Für das Un-
ternehmen ermöglichen sie eine Differenzierung vom Wettbewerb. Ihr Beitrag
zu den finanziellen Unternehmenszielen ist besonders hoch einzustufen, da
Kunden im Begeisterungsfall eher eine höhere Preisschwelle akzeptieren.
Eine weitere, stärker differenzierte Klassifikation der drei Gruppen von Anfor-
derungen ermöglicht das Maslow-Modell. Es wurde ursprünglich für die Bildung
von Motivklassen in der Mitarbeiterführung entwickelt, lässt sich aber auch gut auf
die Einteilung von Kundenbedürfnissen übertragen. In Abbildung 3 wird die Kun-
denbedürfnis-Differenzierung auf der Basis einer VOC-Analyse am Beispiel der
Anforderungen an einen Kochherd gezeigt.

Klassifikation Beispiel
Wachstumsmotive

Begeisterung

• Selbstverwirklichung • Vom Benutzer definierbarer


Kochablauf

• Wertschätzung/ Ich-Bedürfnis • Markenprestige


Reklamationen
Defizitmotive

• Soziale Bedürfnisse • Kommunikation zwischen


Benutzer und Backofen

• Sicherheitsbedürfnis • Bedürfnis nach sicherem


Kochablauf

• Grundbedürfnisse • Notwendigkeit zu Kochen

Abb. 3: Maslow-Pyramide der Kundenbedürfnis-Differenzierung

Die beiden untersten Motive entsprechen hierbei zum einen der notwendigen
Vorrichtung zum Kochen und zum anderen dem Anspruch eines sicheren Kochab-
laufs. Das dritte Motiv kennzeichnet die Anforderungen an die Kommunikation
zwischen dem Benutzer und dem Backofen, die sich – produktbezogen – in einer
entsprechend guten Bedienungsqualität, also dem leicht verständlichen und den-
noch umfassenden Bedienungskomfort, als kritischem Qualitätsmerkmal (CTQ)
niederschlägt. Es entspricht damit nicht mehr nur den Basisanforderungen, son-
dern ist ein eindeutiges Leistungskriterium des Produktes. Wenn die folgenden
166 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

Motivgruppen erfüllt werden, dann verlieren diese drei Stufen allerdings an Diffe-
renzierungsstärke und damit an kaufinduzierender Kraft. Sie sind deshalb so ge-
nannte Defizitmotive – ihre Nichterfüllung führt zu Unzufriedenheit, ihre Überer-
füllung aber nicht zu höherer Zufriedenheit.
Die zwei höherwertigen Motivklassen bergen die Chance in sich, als Begeiste-
rungsanforderungen gestaltet werden zu können. Die vierte Gruppe, die Ich-Be-
dürfnisse, werden unternehmensbezogen durch das Markenprestige des Produktes
aktiviert. Im Vergleich hierzu fassen die Bedürfnisse der Selbstverwirklichung die
letzten drei Motivklassen zusammen und fokussieren sie in diesem Wachstumsmo-
tiv. Dies ist dann auch in der Produktgestaltung und -positionierung entsprechend
zu berücksichtigen. Konkret gesprochen bedeutet dies, dass ein benutzerdefinierter
Kochablauf zur optimalen Zubereitung des Kochguts einerseits so einfach zu
handhaben ist, dass auch ein Laie gute Kochergebnisse erzielen kann. Andererseits
muss das Einstellungs- und Differenzierungsspektrum des Kochherdes so viel-
schichtig sein, dass genau diese optimale Zubereitung einer Mahlzeit sichergestellt
ist. Das dahinter liegende Motiv lässt sich durch das Gefühl einer hohen Professi-
onalität des Akteurs kennzeichnen.
Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse ist leicht nachvollziehbar, dass Rekla-
mationen und Beschwerden sich in verstärktem Maße auf die unteren drei Bedürf-
niskategorien beziehen. Begeisterung wird – wie ausgeführt – durch die oberen
Motivklassen ausgelöst. Die Klassifikation macht insgesamt deutlich, dass eine
Analyse der Kundenanforderungen (VOC) am besten im Rahmen eines Simulta-
neous Engineering, also in der Zusammenarbeit von Ingenieuren und Kaufleuten,
erfolgt. Hierdurch wird die Stimme des Kunden unverfälscht sowohl aus Sicht des
Marketings als auch aus Sicht der Entwicklung gehört und verstanden. Dies
kommt erfahrungsgemäß einer umfassenden Produktqualität unter gleichzeitiger
Verfolgung der Unternehmensziele zugute.
Entsprechend dem ursprünglichen Modell von Maslow gilt bei Kundenbedürf-
nissen, dass die unteren Kategorien erfüllt sein müssen, bevor höherwertige Moti-
ve durch ein Produkt erfüllt werden können. Diese Klassifizierung von Kunden-
bedürfnissen steht damit zugleich in direktem Bezug zu Kaufmotiven der Adressa-
ten. Diese haben entsprechend ihrem Niveau wiederum eine Beziehung zur Preis-
bereitschaft der Zielkunden. Dabei gilt: Je höher die Motivklasse, desto größer ist
generell die Preisbereitschaft.4 In diesem Zusammenhang wird bei QFD der
Customer Value, also der Wert für den Kunden, als weiterer „weicher“ Gewich-
tungsfaktor bestimmt. Insbesondere wird hier der Frage nachgegangen, ob die be-
sonders gute/ schlechte Erfüllung der Kundenanforderung einen direkten Einfluss
auf den materiellen Nutzen des Kunden hat (vgl. Töpfer 2008, S. 199ff.).

4 In der neueren Marketingforschung entspricht diese Differenzierung der Means-End-


Theorie (vgl. Herrmann 1996, S. 154f.). Sie leitet aus dem physischen und funktionalen
Nutzen eines Produktes dahinter liegende psychologische Beweggründe des Adressaten
als Motive und Triebfedern für sein Handeln ab. Auch hier gilt, dass die Fähigkeit, diese
psychologischen Motive zu erfüllen, dem Unternehmen einen Preisspielraum eröffnet.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 167

Für eine umfassende Bewertung der Kundenanforderungen werden verschiede-


ne „harte” und „weiche” Gewichtungsfaktoren ermittelt und anschließend aggre-
giert. Das konkrete Vorgehen wird am Beispiel in Abschnitt 2.2 erläutert.

1.3 Festlegen des technischen Konzepts

Nach Yoji Akao, dem „Ur-Vater“ des QFD, wird unter QFD die gezielte Planung
und Entwicklung der Qualitätsfunktionen eines Produktes/ einer Dienstleistung
entsprechend den vom Kunden geforderten Qualitätsmerkmalen verstanden (vgl.
Akao 1992, S. 15). Wie bereits aus den vorstehenden Ausführungen deutlich ge-
worden ist, besteht das 1. Unterziel von QFD darin, ein bereichsübergreifendes In-
strumentarium zur Ermittlung und Priorisierung von Kundenanforderungen bereit-
zustellen. Das 2. Unterziel der Anwendung von QFD ist, anschließend die Kun-
denanforderungen in innovative, zuverlässige, also robuste, und kostengünstige
Lösungen umzusetzen. Mit dieser Methode soll also sowohl die Qualität der ex-
ternen Marktleistung als Wertschöpfungsergebnis verbessert als auch die Qualität
und Ausrichtung der internen Wertschöpfungsphasen gesteuert werden. QFD wird
dadurch zu einem System, um Kundenanforderungen für jede Phase von der For-
schung über die Produktentwicklung und Fertigung bis hin zum Marketing und
Verkauf in entsprechende unternehmensspezifische Erfordernisse zu übersetzen
(vgl. ASI - American Supplier Institute 1989).
Mit einer derartigen Produkt- oder auch Dienstleistung, die nicht nur die tech-
nisch möglichen, sondern auch die vom Kunden gewünschten Qualitätsmerkmale
aufweist, können die folgenden zehn Ziele erreicht werden:
1. Kundenorientierte Produktentwicklung
2. Verkürzung der Entwicklungszeit
3. Steigerung der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit/ Produktivität
4. Verlustreduzierung im F&E-Prozess
5. Prozessorientiertes Denken und Handeln
6. Verbesserung der internen Kommunikation
7. Intensivierung der Zusammenarbeit
8. Bündelung des Wissens und Könnens
9. Klare und messbare Zielvorgaben
10.Verständliche(re) Dokumentation.
Ein wichtiges Werkzeug im Rahmen von QFD, um diese Ziele zu erreichen, ist
das so genannte House of Quality (HoQ). Konzeption und Inhalte des HoQ sind in
Abbildung 4 schematisch dargestellt. Ausgehend von den ermittelten und gewich-
teten Kundenanforderungen wird die eigene Wettbewerbsposition mit der von
maßgeblichen Konkurrenten verglichen. Hieraus wird das technische Konzept ab-
geleitet, und zwar über die Frage, wie das Unternehmen die Forderungen der
Kunden zukünftig erfüllt bzw. wie es sie konkret ausgestaltet. Dies ist die Basis
für die Festlegung des Zielniveaus und die konkrete Umsetzung einzelner Forde-
rungen.
168 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

Wie unschwer ersichtlich ist, wird mit Hilfe des HoQ die Sprache der Kunden
bzw. des Marktes als Horizontale in die Sprache der Techniker bzw. des Produktes
als Vertikale übersetzt. Man sagt auch: QFD ist ein Was-Wie-Spiel, also „Was for-
dert der Kunde?“ auf der einen Seite und „Wie sehen unsere Lösungen aus?“ auf
der anderen. Der Zusammenhang wird über eine Beziehungs- bzw. Korrelations-
matrix als „Kern des HoQ“ dargestellt. Dazu ist zum einen die Stärke der Bezie-
hung zwischen Qualitätsmerkmal und Kundenanforderung festzulegen. Im
deutschsprachigen Raum werden i.d.R. Zahlen verwendet, wobei 9 für starke, 3
für mittlere und 1 für schwache Beziehung steht. Zum anderen ist die Richtung der
Beziehung zwischen Qualitätsmerkmal und Kundenanforderung über die Korrela-
tionen der Wie´s zu bestimmen:
• Wenn die Optimierungsrichtung des Qualitätsmerkmals identisch mit der Rich-
tung der Kundenanforderung ist, dann ist der Beziehungswert positiv.
• Wenn die Optimierungsrichtung des Qualitätsmerkmals entgegengesetzt zur
Richtung der Kundenanforderung ist, dann ist der Beziehungswert negativ.

Korrelationen
der Wie‘s

Wie
erfüllen wir
die Forderungen?

Unterstützung/ Benchmarking
Produkt

Was Beitrag
Warum
Stimme der wollen die der Wie's zu wir verbessern
Kunden Kunden? den Was' wollen?
Kunde Vergleich mit
dem Wettbewerb

Wie viel
wollen wir bei
den Wie's erreichen?
Quelle: Saatweber 1997, S. 35

Abb. 4: Schematische Darstellung des House of Quality (HoQ)

Unter diesem Blickwinkel sind Qualitätsmerkmale Eigenschaften von Produk-


ten, Dienstleistungen oder Prozessen, die von dem jeweiligen Prozessverantwort-
lichen beeinflussbar sind und für den Kunden eine direkte Beziehung zu seinem
Qualitätsempfinden haben, also über den Verkaufserfolg entscheiden. Für die Ver-
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 169

wendung in QFD müssen folgende Anforderungen erfüllt sein: Die Qualitäts-


merkmale sind messbar, bestehen (meist) aus einem Wort, haben eine Optimie-
rungsrichtung, sind kunden- oder technikorientiert, können „weich“ sein (z.B. De-
sign) oder „hart“ (z.B. Gewicht). In der Sprache von Six Sigma handelt es sich um
Critical to Quality Characteristics (CTQs), die im Rahmen der F&E-Aktivitäten
vollständig und wirtschaftlich zu erfüllen sind. Der Zusammenhang zwischen den
Qualitätsmerkmalen wird im „Dach des HoQ“ analysiert. Analog zur Bezie-
hungsmatrix im Kern des HoQ werden hier sowohl die Stärke als auch die Rich-
tung der Wechselwirkung zwischen den Qualitätsmerkmalen einzeln bewertet.5
Wie in Abbildung 5 detaillierter nachvollziehbar ist, wird das HoQ in 9 Schrit-
ten erstellt.6 Sie verlaufen synchron zu den Planungsstufen der Entwicklung eines
Produktes oder einer Dienstleistung. Die Reihenfolge der Ziffern kennzeichnet die
Abfolge der einzelnen inhaltlichen Analyseschritte, auf die hier nicht näher einge-
gangen werden soll. Die Bedeutung im Rahmen des Design for Six Sigma wird
dennoch offensichtlich: Die Phase 1 entspricht der Aktivität Define im Rahmen
des DMADV-Zyklus. Die Phasen 2 und 3 korrespondieren mit der Aktivität Mea-
sure, da hier die CTQs in ihrer Ausprägung beim eigenen und bei Konkurrenzpro-
dukten bewertet werden. Die Phasen 4, 5 und 6 beinhalten die Aktivität Analyse.
Die Phasen 7, 8 und 9 sind die gedanklichen Vorarbeiten für die Aktivität Design.
Sie werden durch die abschließende Aktivität Verify nach einer konkreten Umset-
zung in ihren angestrebten Wirkungen überprüft.

Abhängigkeits-
6 analyse
(Wie beeinflussen sich die
einzelnen Konstruktionsmerkmale?)
Technische Anforderungen/Konstruktionsmerkmale
1 2 4 (Wie setzen wir die Kundenanforderungen
technisch um?) 3
Kundenwahrnehmung/
Kundenan-
forderungen
Gewichtung
(Wie wichtig
5 Ausprägung/Beziehungsmatrix
(In welchem Ausmaß können die Kunden-
Konkurrenzvergleich
(Benchmarking)
(Was verlangt (Wie gut sind wir im Vergleich
ist es?) anforderungen realisiert werden?)
der Kunde?) zu den Wettbewerbern?)
Maßeinheiten Technischer Vergleich
Maßstäbe
Objektive

(Wie schneiden wir tech-


Eigenes Produkt/
Konkurrenzprodukt
nisch im Detail gegenüber 7
Wettbewerbern ab?)
Techn. Schwierigkeiten Technische und wirtschaft-
Gewich-
Techn.

tung

liche Bewertung
Beigemessene
Wichtigkeit
(Wie werden die Verbes-
serungsmöglichkeiten
8
bewertet?)
Wirtsch.
Gewich-

Geschätzte
tung

Maßnahmenpriorität
Kosten (Welche Verbesserungen
wollen wir zuerst 9
Zielvorgaben realisieren?)
Quelle: Töpfer 2007, S. 120

Abb. 5: Vorgehensweise beim Erstellen des 1. HoQ

5 Die Stärke der Wechselwirkung wird in drei Stufen differenziert: 2 = stark, 1 = mittel
und 0 = schwach. Wenn sich die Optimierung des einen Qualitätsmerkmals günstig auf
die des anderen auswirkt, dann ist die Wechselwirkung positiv (z.B. +2), et vica versa.
6 Das Vorgehen zum Erstellen des 1. HoQ wird am Beispiel in Abschnitt 2.2 erläutert.
170 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

Wie bereits oben angesprochen, liegt der Haupteinsatz von QFD bei der Neu-
entwicklung oder Verbesserung von Produkten respektive Dienstleistungen. Die
Anwendung wird umso effektiver, je schwieriger handhabbar und in technische
Spezifikationen umsetzbar die Kundenanforderungen für das Unternehmen zu-
nächst sind. In jedem Fall sollte QFD so früh wie möglich im Produktentstehungs-
prozess (PEP) eingesetzt werden. Denn nur so können die oben angesprochenen
Ziele von QFD optimal erreicht werden. Potenzielle Missverständnisse, die sich
immer wieder im Zusammenhang mit dem Einsatz von QFD ergeben, sind gleich
zu Beginn des Deployment-Prozesses aus der Welt zu schaffen:
• QFD ist kein Modethema, sondern wird z.B. in Japan seit über 25 Jahren erfolg-
reich eingesetzt.
• QFD ist kein revolutionärer Ansatz, der gewaltige organisatorische Umgestal-
tungen oder Investitionen in Hardware und Software erfordert, sondern eine auf
Kundenorientierung und Teamarbeit basierende evolutionäre Verbesserung.
• QFD ist kein Ersatz für traditionelle Produktentwicklungsmethoden, sondern
ein Kommunikationsinstrument, das bewährte Verfahren integriert.

1.4 Festlegen von Funktionen, Bauteilen usw.

Nachdem die Kundenanforderungen in Qualitätsmerkmale mithilfe des 1. HoQ


übersetzt worden sind, werden im Weiteren – nach gleichem Vorgehensprinzip –
Funktionen, Bauteile usw. festgelegt. Vorab wird der Ableitungszusammenhang,
der in dem Wort Deployment bei QFD angesprochen ist, präzisiert und in seiner
Bedeutung für Null-Fehler-Qualität auf allen Ebenen des Wertschöpfungsprozes-
ses mit einem Retro-Engineering-Blickwinkel bewertet.
Das 1. HoQ ist jetzt – ausgehend von den Kundenanforderungen – nicht nur in
Produktmerkmale, sondern auch in Komponenten-, Fertigungsprozess- und Pro-
duktionsmittelmerkmale abzuleiten. Diese nahtlose Kaskadierung der Wertschöp-
fung, wie sie in Abbildung 6 beispielhaft angegeben ist, soll sicherstellen, dass
keine Friktionen gegeben sind und dadurch eine hohe Fehlerfreiheit erreicht wird.
Dies entspricht unmittelbar der Philosophie von DFSS. Die Anzahl der HoQs kann
aufgrund der jeweiligen Aufgabenstellung und des gewünschten Detaillierungs-
grades der Ergebnisse variieren. Nach unserer Erfahrung muss die Deployment-
Struktur dem Problem/ der Aufgabenstellung jeweils angepasst werden, und nicht
umgekehrt. Das 1. HoQ ist immer zu erstellen; jedoch sind die nächsten Schritte,
also die weiteren HoQs, meistens erst „nutzbringend“.
Durch die Verwendung des HoQ als zentralem Werkzeug im Deployment-
Prozess wird das Verbesserungsteam angehalten, alle für die Planung notwendigen
Informationen zu beschaffen. Die z.T. großen Informationsmengen werden durch
die Erstellung der HoQ systematisch erfasst, strukturiert, verdichtet, in miteinan-
der verknüpften Matrizen dargestellt und schließlich bewertet und priorisiert.
In DFSS-Projekten kommt i.d.R. dem Black Belt die Rolle des Moderators im
Deployment-Prozess zu. Sie wird umso effizienter, je mehr sie auf der Basis eines
IT-gestützten Tools durchgeführt wird. Denn hierdurch können unterschiedliche
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 171

Spezifikationen in den einzelnen Analyseschritten durchgespielt werden und so re-


lativ schnell aus Kunden- und Unternehmenssicht optimale Kombinationen her-
ausgefiltert werden. Unabhängig von der Art der Anwendung von QFD und der
problemspezifischen Ausgestaltung des Deployment-Prozesses ist der Ausspruch
von Yoji Akao zu beherzigen: „Copy the Spirit, not the Form!“

Konzepte
merkmale
Produkt-

2. QFD-
Matrix

Produkt- Bauteile/ Fertigungs-


merkmale -gruppen prozesse
anforderungen

Funktionen

-gruppen
Bauteile/
Kunden-

5. QFD-
1. QFD- 4. QFD-
Matrix
Matrix Matrix

Funktionen
merkmale
Produkt-

3. QFD-
Matrix

Abb. 6: Beispiel für einen Deployment-Prozess

Deployments, die i.d.R. leicht umzusetzen und in der Praxis weitläufig aner-
kannt sind, betreffen zum einen die Auswahl von Konzepten, Szenarien, Lieferan-
ten usw. Zum anderen ist die Bestimmung von Funktionen, sofern diese im Unter-
nehmen „bekannt“ sind, im Rahmen eines 3-dimensionalen Deployments verbrei-
tet. Darüber hinaus ist das Festlegen von Bauteilen und Kostenstrukturen ein ge-
wünschter und zugleich anerkannter Outcome von QFD. Deployments, die auf-
grund von Kosten-Nutzen-Überlegungen in der Praxis eher schwierig umzusetzen
sind, betreffen u.a. die Optimierung von Fertigungsprozessen7, die Durchführung
von Wertanalysen8 und die Bestimmung von Risikopotenzialen9.

1.5 Ermitteln der bauteilbezogenen Zielkosten

Bei der erforderlichen differenzierten Analyse der Kundenanforderungen ist es


wichtig, produktbezogen die von der Zielgruppe präferierten Kombinationen zu
erkennen und vor allem mit der jeweiligen Preisbereitschaft zu verbinden. Dies

7 Zu diesem Zweck gibt es eigenständige Methoden, z.B. Prozessanalyse.


8 QFD wird in diesem Zusammenhang häufig als „Konkurrenz“ zu anderen Methoden be-
trachtet, z.B. Wertstromanalyse.
9 Hier existieren bessere Methoden, wie z.B. FMEA.
172 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

läuft auf die Anwendung des Conjoint Measurement zur Bestimmung von Nut-
zenbündeln mit präzisen Wert-/ Preisvorstellungen hinaus. Sie sind dann intern
mit den aus der Analyse sich ergebenden Ist-Kosten für dieses Produkt zu verglei-
chen. Üblicherweise sind die Kosten höher als die Preisbereitschaft der Adressa-
ten. Damit ist unmittelbar der Ansatz für Target Costing-Aktivitäten gegeben.
Häufig werden sie, um Fehler im Produktdesign und dadurch nicht erkannte Risi-
ken zu vermeiden, mit der Konstruktions-FMEA im Verbund eingesetzt.10
Ist der Deployment-Prozess bis auf die Komponenten-/ Bauteilebene vorange-
trieben worden, dann lassen sich auf Basis von QFD die bauteilbezogenen Ziel-
kosten bestimmen. Das QFD-Netz, also die einzelnen HoQ´s, spiegeln dabei die
gesamte Wertschöpfungskette wider. Über sie wird die Aufspaltung der Ziel-
Kosten festgelegt. Ein vereinfachtes Vorgehen zur Bestimmung der Ziel-Kosten
mit QFD ist in Abbildung 7 nachvollziehbar. Hier sind in einer Matrix die kriti-
schen Qualitätsmerkmale direkt den wesentlichen Komponenten des Kochherdes
gegenübergestellt.11 Wie zu sehen ist, hat der Anschaffungspreis eine relative
Wichtigkeit von 35%, der Reinigungsaufwand von 30%, die Nutzungszeit von
15%, die Leistungsfähigkeit ebenfalls von 15% und die Energieeffizienz von 5%.

Bauteile/ Komponenten
Vergleich zum Wettbewerb
Backröhre

Elektronik
Kochfeld
Gehäuse

Unternehmen
Herdtür

Wettbewerber A
G
ew

Wettbewerber B
ic
htu

1 2 3 4 5
n
g

Anschaffungspreis 35% 0,15 0,35 0,30 0,05 0,15


Kritische Qualitäts-
merkmale (CTQs)

Nutzungszeit 15% 0,15 0,40 0,30 0,05 0,10


Wettbewerbs-
Reinigungsaufwand 30% 0,15 0,35 0,30 0,20
analyse
Energieeffizienz 5% 0,45 0,45 Be 0,10
i sp
iel
Leistungsfähigkeit 15% 0,60 0,40
Nutzenanteile (in %) 12 40 32 9 7
Drifting Costs (in €) 100 180 90 30 50 450
Kostenanteile (in %) 22 40 20 7 11
Allowable Costs (in €) 48 160 129 34 29 400

Abb. 7: Bestimmung der Allowable Costs mit QFD

10 Auf die Kombination dieser Instrumente mit der QFD wird in den folgenden Ab-
schnitten noch einmal eingegangen. Erkennbar wird hier jedoch bereits die zweck-
mäßige Vernetzung dieser Methoden im Rahmen von DFSS, um sowohl die Anfor-
derungen der Kunden als auch die Ziele des Unternehmens zu erreichen.
11 Beim 3-dimensionalen Deployment, wie es in der Unternehmenspraxis üblich ist, werden

aus den Kundenanforderungen zunächst die Qualitätsmerkmale und anschließend die


Funktionen ermittelt. Diese werden dann den Bauteilen gegenübergestellt.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 173

Vergleicht man nicht nur aus Kundensicht das Profil der kritischen Qualitäts-
merkmale (CTQs) des eigenen Produktes mit denen der maßgeblichen Wettbe-
werber, sondern bewertet zusätzlich aus Unternehmenssicht die Bedeutung der
einzelnen Bauteile für das jeweilige Merkmal, dann lassen sich auf der Basis die-
ser Gewichtung hieraus in einer QFD-Analyse die gewichteten Nutzenanteile in %
für jedes Bauteil ermitteln. Ihnen sind die derzeit prognostizierte Kosten (Drifting
Costs als Ist-Kosten) und die aus heutiger Sicht zulässigen Kosten (Allowable
Costs als Ziel-Kosten) – basiert auf den jeweiligen Nutzenanteilen – für jedes
Bauteil gegenüber zu stellen. Hieraus ist dann unmittelbar der notwendige Hand-
lungsbedarf abzulesen. Im Beispiel ergeben sich die bauteilbezogenen Nutzenan-
teile als Skalarprodukt, z.B. beträgt der relative Nutzenanteil von „Gehäuse“ in
Summe 12% = (35% ⋅ 0,15) + (15% ⋅ 0,15) + (30% ⋅ 0,15).
Die in der Unternehmenspraxis entscheidende Frage ist nun, wie im Rahmen
eines DFSS-Projektes bei einem geplanten Umsatz und Zielgewinn die „Schere“
zwischen Allowable Costs und Drifting Costs geschlossen werden kann. Eine
Target Costing-Analyse wird typischerweise in folgenden 8 Schritten durchgeführt
(vgl. auch Buggert/ Wielpütz 1995, S. 41ff.):
1. Leistungsmerkmale des neuen Produktes (Abstimmung mit Strategie) festlegen
und gewichten (z.B. Conjoint Measurement)
2. Potenziellen Marktpreis und Produktzielkosten (Allowable Costs) ermitteln
(Rohentwurf des Produktes)
3. Leistungsmerkmale mit Produktkomponenten verknüpfen (Funktions-/Kom-
ponenten-Matrix) und Nutzenanteil der Produktkomponenten ermitteln
4. Allowable Costs nach Produktkomponenten und evtl. Leistungsmerkmalen zer-
legen (Kostenspaltung für Zielkostenbestimmung)
5. Mit Kosten bei momentan verfügbaren Leistungstechnologien (Drifting Costs)
für jede Produktkomponente vergleichen12
6. Zielkosten der Produktkomponente an Nutzenbeitrag anpassen (siehe hierzu
auch Zielkosten-Kontrolldiagramm in Abb. 8)
7. Kostensenkungsprogramme einleiten, z.B. Make or Buy-Programme, Prozess-
gestaltung, Wertgestaltung und Wertzuwachskurve
8. Standardkosten für Kalkulation festlegen.
Durch ein Zielkosten-Kontrolldiagramm, wie es in Abbildung 8 beispielhaft
dargestellt ist, lässt sich das Ergebnis des Target Costing gut nachvollziehen. Im
Diagramm werden die relativen Nutzen- und Kostenanteile der einzelnen Bauteile
gegenübergestellt. Über die Angabe eines Zielkosten-Korridors ist es möglich zu
entscheiden, ob die Kosten für ein Bauteil bereits dessen Nutzenbeitrag entspre-
chen und damit Zielkostenniveau erreicht haben. Der Optimierungsprozess ist da-
mit klar bestimmt. In unserem Beispiel „Kochherd“ ist das Gehäuse in der Relati-
on Kostenanteil zu Nutzenanteil „zu aufwändig“ (ZI < 1) und die Backröhre bei

12 Die Berechnung basiert auf folgendem Vorgehen: Nutzenanteil als Allowable Costs pro
Bauteil dividiert durch die Summe der Allowable Costs geteilt durch den Kostenanteil als
Drifting Costs pro Bauteil dividiert durch die Summe der Drifting Costs.
174 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

dieser Bewertungsgrundlage „zu einfach“ (ZI > 1). Das Kochfeld trifft genau das
Zielkostenniveau mit ZI = 1. Elektronik und Herdtür liegen im zulässigen Zielkos-
ten-Korridor; hier besteht ebenfalls kein Handlungsbedarf.

Zielkostenindex Kosten-
anteil %
Nutzenbeitragi
(ZI) =
Kostenanteil Kochfeld
40
ZI = 1 „Ideallinie“; d.h.
Kostenanteil = „zu aufwändig“
Nutzenanteil
30
ZI < 1 „zu aufwändig“; d.h.
Kostenanteil >
Nutzenanteil Gehäuse
Backröhre
ZI > 1 „zu einfach“; d.h. 20
Kostenanteil <
Nutzenanteil Y1 „zu einfach“
Fokussierung auf Komponenten 10 Elektronik
außerhalb des Zielkostenkorri-
dors (Parameter q):
Herdtür Y2
1/2 1/2
Y1 = (x2 – q2) ; Y2 = (x2 + q2)
0
0 10 20 30 40 Nutzen-
Quelle: Deisenhofer (1993), S.104 beitrag %

Abb. 8: Zielkosten-Kontrolldiagramm als Deployment-Ergebnis

Die Auswertung des Zielkostenkontroll-Diagramms und die Einleitung von


Kostensenkungsprogrammen sollte jeweils bauteilspezifisch erfolgen. D.h. um
Fehlinterpretationen und -entscheidungen zu vermeiden, sind die Produktkompo-
nenten mit hohen Abweichungen von der „Ideallinie“ im Projektteam einzeln zu
analysieren. Zum Beispiel lässt sich nur so feststellen, ob die Einordnung des Ge-
häuses als „zu aufwändig“ bereits in der Erfüllung von Begeisterungsanforderun-
gen entsprechend des o.g. Kundenzufriedenheits-Modells begründet liegt.
In der Unternehmenspraxis gibt es nicht selten massive Vorbehalte gegen eine
QFD-Anwendung in F&E. Sie beziehen sich u.a. auf die vermeintlich ungünstige
Kosten-Nutzen-Relation, den organisatorischen Aufwand bei der Durchführung
und die erforderliche, z.T. umfangreiche Daten- und Informationssammlung. Alle
diese Einwände sind grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Sie machen
vielmehr noch einmal deutlich, dass der Einsatz von QFD im Rahmen von DFSS
bezogen auf die Vor- und Nachteile genau abzuwägen ist. Unternehmensspezi-
fisch sind dann die in Abbildung 9 aufgeführten Punkte zu bewerten.
Das häufigste Argument, der hohe Zeitaufwand, ist nicht absolut zu werten.
Vielmehr muss die Relation zwischen dem Zeitaufwand für QFD auf der einen
Seite und der damit verbundenen Komplexität sowie der Zeitdauer des gesamten
Entwicklungsprozesses und den aufgedeckten oder verborgenen Risiken bei der
Entwicklung, Produktion und dem Einsatz eines Produktes auf der anderen Seite
gebildet werden. Wenn man sich die Erfahrungswerte bezogen auf Anlaufproble-
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 175

me bei der Produktion von Neuprodukten (Job No. 1) (vgl. Hauser/ Clausing
1988, S. 63ff.) und bezogen auf Fehlerkosten nach der Einführung von Produkten
(vgl. Töpfer 1997, S. 3f.) bzw. bei Rückrufaktionen (vgl. Töpfer 2006, S. 381f.)
vor Augen hält, dann kehren sich die Wertungen schnell um. Dennoch praktizie-
ren die meisten Unternehmen, die dieses Instrument anwenden, ein „Lean QFD“
in der Weise, dass lediglich das erste House of Quality durchgeführt wird.

+ -
• Bereichsübergreifende Kunden- • Hoher Zeitaufwand
orientierung vor allem geeignet für technisch
• Ganzheitliche Wettbewerbs- anspruchsvolle Produkte
orientierung • Ungeeignet für Innovationen, bei
• Verbesserung der Kommu- denen nicht genau bestimmbare
nikation Bedürfnisse von Zielkunden erfasst
werden sollen
• Reduzierung von Fehlerkosten
• Kopplung mit Target Costing
und FMEA
• Transparenz komplexer
Entwicklungsprozesse

Abb. 9: Bewertung von QFD

2 Design of Experiments (DOE) – Quantifizierung der


Ursachen-Wirkungs-Beziehungen zur Optimierung
von Produkten und Prozessen

Bei der Neuproduktentwicklung besteht ein Hauptproblem darin, in einer ausrei-


chenden Anzahl von Experimenten die technologische Konzeption des Produktes,
das Zusammenwirken der einzelnen Bestandteile/ Baugruppen und insbesondere
das Erreichen der kunden- und unternehmensbezogenen Anforderungen – auf ei-
nem weitgehend fehlerfreien Niveau – sicherzustellen. Genau dies wird mit De-
sign of Experiments (DOE) als statistischer Versuchsplanung angestrebt. Es wer-
den standardmäßig die folgenden 4 Schritte durchlaufen:13
1. Festlegen der Ziel- und Einflussgröße(n)
2. Screening der Einflussgrößen/ Faktoren
3. Durchführen von Bestimmungsversuchen
4. Durchführen von Optimierungsversuchen.

13 Siehe hierzu auch Beitrag von Töpfer/ Günther in Kapitel A zu Design for Six Sigma.
176 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

2.1 Festlegen der Ziel- und Einflussgröße(n)

In diesem Abschnitt werden zunächst einige leicht verständliche, grundsätzliche


methodisch-statistische Aussagen zu DOE gemacht, um dem hierauf nicht spezia-
lisierten Leser den Ansatz und die Zweckmäßigkeit von statistischer Versuchspla-
nung zu verdeutlichen. In Abbildung 10 ist hierzu eine Prinzipdarstellung von
DOE zu sehen, welche die grundsätzliche Philosophie widerspiegelt:
Jede Tätigkeit ist ein Prozess, der ein Outputergebnis besitzt, dessen Qualität wie-
derum von unterschiedlichen Einflussfaktoren abhängt.
So hängt z.B. die Qualität des Kochherdes, also ohne Variation aller anderen
Einflussgrößen, sowohl von den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Unter-
nehmen als auch von deren Qualifikationen sowie der Qualität der vorgefertigten
Teile der Zulieferer ab. Allgemein lässt sich dieser Sachverhalt als Funktion be-
schreiben: Die Qualität des Kochherds als Zielgröße ist yi = f(Arbeitsbedingungen
(x1i), Qualifikationen der Mitarbeiter (x2i), Qualität der Zulieferteile (x3i), ... , Zu-
fall/ Fehlerterm (xni)). i kennzeichnet dabei die Ausprägungen der n Merkmale zu
einem bestimmten Zeitpunkt und der dadurch erzeugten Produktqualität. Die Ab-
leitung der Zielgröße(n) ist i.d.R. ein eigenständiger Prozess. Für ein aussagefähi-
ges DOE sind folgende Eigenschaften von Zielgrößen wünschenswert:
• Vollständigkeit, d.h. alle wichtigen Produkteigenschaften sind erfasst.
• Verschiedenheit, d.h. es existiert mindestens eine Zielgröße pro Eigenschaft.
• Relevanz, d.h. es besteht ein klarer Bezug zum übergeordneten Projektziel.
• Linearität, d.h. die Beziehung zu den Einflussgrößen ist möglichst linear.
• Quantifizierung, d.h. die Zielgröße ist möglichst stetig veränderbar/ messbar.
Der Output von Prozessen sind Produkte, unter die – nach dem generischen
Produktbegriff – der gesamte, dem Kunden vom Unternehmen angebotene Nutzen
in Form von Dienst- und/ oder Sachleistungen subsumiert wird. Der Produktnut-
zen ist um so höher, je höher die aus den Eigenschaften des Produktes resultieren-
de Bedürfnisbefriedigung des Kunden ist. Einsatz-/ Inputfaktoren sind im Grunde
genommen alle Faktoren bzw. Größen, die zur Produktrealisierung beitragen, ins-
besondere Arbeit, Material, Maschinen und Informationen. Im Hinblick auf ihre
Plan- und Steuerbarkeit lässt sich folgende Unterscheidung treffen:
• Steuergrößen können physisch gesteuert, d.h. auf einen bestimmten Wert ein-
gestellt und gehalten werden (Signal). Die Einstellung der Steuergrößen ist so
vorzunehmen, dass das Rauschen minimiert wird.
• Störgrößen sind hingegen unkontrollierbar und folglich auch nicht steuerbar;
sie verursachen das Grundrauschen im Prozess (Noise) und sollten im Rah-men
von Prozessoptimierungen möglichst ausgeschaltet werden.
Grundlage für Prozessverbesserungen ist das Messen und Analysieren von
funktionellen Zusammenhängen der Form y = f(x) + e, wobei y die Ergebnisvari-
able(n) (Merkmal eines Prozesses oder Produktes), x die Steuergröße(n) und e die
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 177

Störgröße(n) sind.14 Bei x > 1 gilt es zunächst die Steuergrößen zu finden, die sig-
nifikant sind und zu verbesserten Werten der Ergebnisvariable y führen. Die An-
zahl von Einflussfaktoren, deren optimale Werte zu bestimmen sind, ist i.d.R. sehr
groß. Zudem ist ihr Einfluss auf die Produkt-/ Prozessqualität häufig nicht linear,
was die Offenlegung der funktionellen Zusammenhänge erschwert. Darüber hin-
aus wirken die Parameter meist nicht unabhängig voneinander, d.h. sie befinden
sich in einem Zustand gegenseitiger Wechselwirkung.

(Factors)
Einstellgrößen x

Störgrößen, Prozess
Messfehler
unbekannte (Black Box)
+ bekannte ±σ
f(x1...n)

e e
Zielgrößen y
(Responses)

?
y = f(x) + e

Abb. 10: Prinzipdarstellung von DOE

Von der Regressionsanalyse zur statistischen Versuchsplanung


Wenn alle Einflussvariablen für die definierte Qualität eines Produktes oder einer
Dienstleistung bekannt sind, was in der Praxis aufgrund der zu großen Anzahl
weitgehend unmöglich ist, stellt sich die Frage, wie groß der Einfluss der einzel-
nen Variablen auf das Output- bzw. Gesamtergebnis ist. Ohne dieses Wissen ist
eine zufriedenstellende Schätzung und nachhaltige Beeinflussung der Qualität des
Outputergebnisses nicht möglich. Der Einfluss der einzelnen Faktoren bzw. Vari-
ablen variiert dabei zwischen 0 und 100%, d.h. die Qualität eines produzierten
Kochherds kann im Extremfall – entsprechend der obigen Funktion – nur von ei-

14 Durch zufällige natürliche Abweichungen sowie nicht völlig ausschließbare Messfehler


ist die Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung nicht ausschließlich determinis-
tisch, sondern auch als stochastische Größe auffassbar.
178 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

nem Faktor, z.B. den Arbeitsbedingungen im Unternehmen, abhängen. Im anderen


Extremfall, der in der Praxis eher wahrscheinlich ist, haben alle beschriebenen
Faktoren, z.B. Qualifikation der Mitarbeiter, Qualität der Zulieferteile, einen mehr
oder weniger großen Einfluss auf die Qualität des Prozessergebnisses. Die Frage
ist demnach, wie sich die relevanten Einflussfaktoren für einen Produktionspro-
zess bestimmen und optimal miteinander kombinieren lassen.
In diesem Zusammenhang ist jedoch zusätzlich zu beachten, dass die Kombina-
tionen aller erfassten Einflussfaktoren in Summe einen Einfluss auf die Qualität
zwischen 0 und 100% besitzen. In der Unternehmenspraxis ist es aber eher selten,
dass alle Variablen umfassend und eindeutig beschrieben werden können und
folglich eine 100-prozentige Abhängigkeit in Form einer Qualitätsfunktion ableit-
bar ist. Die Differenz zu 100% Soll- bzw. Null-Fehler-Qualität ist der ungeklärte
bzw. nicht erklärbare Einfluss (Zufallsterm), der sich als Residuum (Restwert)
durch das Auftreten von Störgrößen und/ oder Messfehlern im Produktionsprozess
ergibt. Es kommt deshalb darauf an, dass ein oder mehrere Einflussfaktoren bei
der Analyse im Rahmen von DFSS nicht unterschlagen werden, vor allem wenn
sie einen signifikanten Einfluss auf die Prozessqualität besitzen.
Um die verschiedenen Einflussfaktoren auf ein Prozessergebnis zu identifizie-
ren und insbesondere deren Einflussstärke zu bestimmen, wird häufig eine Analy-
se von Prozessdaten in Form einer linearen oder ggf. auch nicht-linearen Regres-
sionsanalyse durchgeführt. Dabei werden die durch den Prozess angefallenen und
archivierten Daten regressiert: Im einfachsten Fall, wenn der Output lediglich von
einem Einflussfaktor abhängt, wird also analysiert, um wie viel sich der Output Y
im Durchschnitt ändert, wenn sich der Input X als unabhängige Variable um eine
Einheit erhöht. Der Vorteil der Regressionsanalyse gegenüber anderen statisti-
schen Methoden, z.B. Statistische Versuchsplanung, besteht insbesondere darin,
dass ein laufender Prozess nicht verändert wird und nur die „nebenbei“ anfallen-
den Daten zur Auswertung genutzt werden. Generell können dadurch statistische
Ergebnisse/ Aussagen zu relativ geringen Kosten erzielt werden.
Diesem Vorteil steht der Nachteil gegenüber, dass bei der Auswertung von Be-
obachtungsdaten u.U. „Datenwolken“ mit einem sehr geringen Bestimmtheitsmaß
regressiert werden, d.h. die ermittelte Regressionsgerade (Tendenzgerade) erklärt
die Input-Output-Beziehung nicht bzw. nur sehr begrenzt. Ein weiterer Nachteil
der Regressionsanalyse besteht darin, dass u.U. wichtige Einflussfaktoren unbe-
rücksichtigt bleiben, wenn die normale Variabilität der Faktoren in dem zu unter-
suchenden Experiment aufgrund unzureichender Datenlage zu gering ist und die
Faktoren unter mathematisch-statistischen Gesichtspunkten als nicht signifikant
erkannt werden. So ist z.B. die Qualität der Büroausstattung als Ursache für die
Höhe der Mitarbeiterzufriedenheit in einem bestimmten Unternehmensbereich nur
schwierig zu messen, da sich das Inventar kurz-/ mittelfristig kaum verändert.
Diese kurzen grundsätzlichen Ausführungen belegen die begrenzte Aussagefä-
higkeit von zeitreihenbasierten Regressionsanalysen und machen die Notwendig-
keit eines in der Aussagefähigkeit weitergehenden Instrumentes, also der DOE,
deutlich (vgl. hierzu und im Folgenden Kleppmann 2003).
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 179

Paradigmenwechsel: Von der Beobachtung zum experimentellen Versuch


Im Zusammenhang mit experimenteller Statistik wird oft ein Ausspruch von
George Box zitiert: „Will man herausfinden, wie sich ein System verhält, wenn
man es verändert, dann muss man es verändern“ und es nicht nur passiv beobach-
ten (vgl. Breyfogle 2003, S. 409). Bezogen auf DFSS-Projekte bedeutet dies, dass
Konstruktionen und Prozesse, die verbessert werden sollen, immer auch verändert
werden müssen. Um Prozesse und Abläufe zu beeinflussen bzw. zu optimieren,
wird in der experimentellen Statistik dazu übergegangen, die einzelnen Einfluss-
faktoren „aktiv“ zu verändern. Es tritt dabei jedoch das Problem auf, dass nicht
nur die Hauptfaktoren Einfluss auf das Output-Ergebnis besitzen, sondern auch
zumeist die Kombinationen aus zwei oder mehr Faktoren (multiplikative Ver-
knüpfung). So besteht beispielsweise eine höhere Unfallwahrscheinlichkeit, wenn
man – in der Kombination – unter Alkoholeinfluss mit dem Auto unverhältnismä-
ßig schnell fährt, als wenn man nur zu schnell oder nur alkoholisiert unterwegs ist.
Infolgedessen müssen bei der Analyse die Wechselbeziehungen zwischen den
Hauptfaktoren ebenfalls berücksichtigt werden, was dazu führt, dass die Anzahl an
Versuchsanordnungen für ein Experiment überproportional gegenüber der Erhö-
hung der Anzahl von Faktoren steigt. Der Grund hierfür ist, dass der Umfang und
die Komplexität eines Experiments maßgeblich von der Anzahl an Ausprägungen
eines Faktors abhängen. In diesem Zusammenhang werden drei verschiedene
Ausprägungsarten bei Einflussfaktoren unterschieden:
1. Dichotome Faktorausprägungen: z.B. ja – nein/ männlich – weiblich
2. Ordinale Faktorausprägungen: z.B. viel – wenig oder differenzierter: viel – mit-
tel – wenig/ erster – zweiter – dritter
3. Metrische Faktorausprägungen: z.B. 0 – 100%/ -278 – 1.000 °C
Neben der Art und Anzahl der Faktorausprägungen ist auch die „absolute“ An-
zahl an Hauptfaktoren mitentscheidend für die „Größe“ eines Versuches. Aus der
Anzahl an Faktoren und deren Ausprägungen ergibt sich die Menge aller mögli-
chen Faktorkombinationsmöglichkeiten, z.B. Ak mit A als Anzahl an Ausprägun-
gen und k als Anzahl an Einflussfaktoren, wobei – vereinfachend – alle Faktoren
die gleiche Anzahl an Ausprägungen besitzen. Die Anzahl von durchzuführenden
Experimenten bzw. zu realisierenden Versuchsanordnungen bei einer vollfakto-
riellen Versuchsplanung, bei der alle Hauptfaktoren auf zwei Faktorstufen mit al-
len Wechselwirkungen untersucht werden, beträgt demnach:
• 2 Faktoren ! 4 Versuchsanordnungen
• 3 Faktoren ! 8 Versuchsanordnungen
• 4 Faktoren ! 16 Versuchsanordnungen
• 5 Faktoren ! 32 Versuchsanordnungen
• usw.
Um die Anzahl der Versuche nach oben hin zu begrenzen, empfiehlt sich eine
gezielte Vorauswahl von Einflussgrößen (Faktoren). Wichtige Methoden, die in
diesem Zusammenhang gute Informationen liefern und sich in der Unternehmens-
praxis als leicht umsetzbar bewährt haben, sind:
180 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

• Ursachen-Wirkungs-Analyse (Ishikawa-Diagramm)
• Fehler-Möglichkeits- und -Einfluss-Analyse (FMEA)
• Output-/ Prozess-/ Input-Messgrößenanalyse (Tool 3)
• Ergebnisse von Varianz- und Regressionsanalysen.
Bei komplexen Produkten/ Prozessen kann darüber hinaus ein vereinfachtes
DOE zum Screening der Einflussgrößen/ Faktoren zum Einsatz kommen. Die
Konzeption und Inhalte des Screenings werden im Folgenden kurz beschrieben.

2.2 Screening der Einflussgrößen/ Faktoren

Bereits in einem frühen Stadium von F&E-Projekten können statistische Ver-


suchspläne aufgestellt werden, um die Wirkungen (Effekte) von vermuteten wich-
tigen Merkmalen (Faktoren) zu quantifizieren. Bei der Planung des DOE wird zu-
nächst davon ausgegangen, dass keine allzu starken Wechselwirkungen zwischen
den Faktoren vorherrschen. Unter diesen Gegebenheiten kommt vorzugsweise das
Screening-Design nach Plackett/ Burman (1946) zum Einsatz. Mit diesem ist es
möglich, mit einem Minimum an Versuchen eine Information über einen mögli-
chen Einfluss von (sehr) vielen Faktoren zu erhalten.
Beim Plackett-Burman-Design handelt es sich um eine Fraktion eines vollstän-
digen faktoriellen Designs mit 2 Faktorstufen (vgl. hierzu und im Folgenden
Kleppmann 2003, S. 147ff.). Während man für ein vollständiges faktorielles De-
sign 2k Versuche benötigt, um k verschiedene Parameter zu untersuchen, sind bei
dieser speziellen Art des Screening-Designs – im günstigsten Fall – nur k Experi-
mente notwendig. Aufgrund der starken Reduzierung der Anzahl von durchzufüh-
renden Experimenten sind mit diesem Design jedoch nur Haupteffekte abschätz-
bar, d.h. Nebeneffekte bzw. Wechselwirkungen bleiben außen vor.
Ziel des Screening-Designs ist es, eine Vorauswahl geeigneter Parameter zu
treffen, die dann in ausführlicheren Untersuchungen, z.B. mithilfe von vollfakto-
riellen Versuchsplänen, weiter optimiert werden können. Das Grundprinzip von
solchen stark reduzierten Versuchsplänen besteht darin, dass alle ermittelten
(Haupt-) Effekte mit einem Grundversuch verglichen werden, bei dem sich alle
Faktorstufen (Merkmalsausprägungen) auf dem unteren Niveau befinden. Da die
Ergebnisse des Grundversuches außerordentlich stark in das Gesamtergebnis ein-
fließen, empfiehlt es sich, bei diesem Versuch besonders genau zu arbeiten und
mehrere Wiederholungen der einzelnen Versuchanordnungen vorzusehen.
Die Plackett-Burman-Designs, die am häufigsten verwendet werden, haben ei-
ne Auflösung von III (vgl. Minitab R15). In diesem Fall sind 2-Faktoren-Wechsel-
wirkungen (2FWW) mit den Effekten der Faktoren zu einem gewissen Grad ver-
mengt. Für die Überprüfung des Einflusses von 8 Merkmalen wird ein Versuchs-
plan mit insgesamt 12 Versuchen und 1 Wiederholung vorgeschlagen (siehe Abb.
11). Dabei ist die Faktorstufenkombination des ersten Versuches nicht frei wähl-
bar, sondern abhängig von der Größe des Gesamtversuchsplanes. Die Faktorstu-
fenkombinationen der restlichen Versuche ergeben sich dann aus der Anordnung
für den ersten Versuch, und zwar in der Weise, dass die Vorzeichenserie (+ / -)
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 181

jeweils eine Spalte nach links gerückt wird. Die Auswertung von Plackett-
Burman-Plänen erfolgt analog zu den voll-/ teilfaktoriellen Versuchsplänen, auf
die an späterer Stelle in diesem Kapitel noch näher eingegangen wird.

Factors Response
Nr.
x1 x2 x3 x4 x5 x6 x7 x8 y
1 + - + - - - + + 0,28
2 + + - + - - - + 0,88
3 - + + - + - - - 0,42
4 + - + + - + - - 0,70
5 + + - + + - + - 0,93
6 + + + - + + - + 0,35
7 - + + + - + + - 0,02
8 - - + + + - + + 0,45
9 - - - + + + - + 0,17
10 + - - - + + + - 0,22
11 - + - - - + + + 0,13
12 - - - - - - - + 0,85

Abb. 11: Plackett-Burman-Versuchsplan mit Ergebniswerten

2.3 Durchführen von Bestimmungsversuchen

Aus analytischer Sicht hat, wie oben angesprochen, die Statistische Versuchspla-
nung gegenüber der Regressionsanalyse und anderen Verfahren den Vorteil, dass
sich mithilfe von faktoriellen Designs neben den Haupteffekten, die aus der Zu-/
Abschaltung von Faktoren resultieren, Nebeneffekte untersuchen lassen, die das
Ergebnis von Wechselwirkung mehrerer Faktoren sind. Folglich wird bei der Su-
che der Koeffizienten für Potenzfunktionen n-ter Ordnung nicht nur eine additive
Verknüpfung der einzelnen Faktoren/ Variablen unterstellt (= Haupteffekte), son-
dern auch eine multiplikative Verknüpfung (= Nebeneffekte).
Die Prognosefunktion für ein 2-faktorielles Versuchsdesign unter Berücksichti-
gung der Haupt- und Nebeneffekte hat z.B. die folgende Form:
r
y = f(x) = c 0 + c1 ⋅ x1 + c 2 ⋅ x 2 + c12 ⋅ x1 ⋅ x 2 (1)

wobei y die abhängige Variable (Response), c0 das Basisniveau bzw. den Schnitt-
punkt mit der y-Achse, c1 und c2 die Regressionskoeffizienten der unabhängigen
Variablen (Factors) und c12 den Regressionskoeffizient der Wechselwirkung von
x1 und x2 darstellt. Liegen keine Wechselwirkungen vor, dann ist c12 = 0 und der
Term c12 ⋅ x1 ⋅ x2 in Gleichung (1) entfällt. In diesem Fall handelt es sich um ein 2-
faktorielles lineares Regressionsmodell (s.o.).
182 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

Die Anzahl der Terme in der Prognosefunktion beschreibt die minimale Anzahl
von notwendigen experimentellen Versuchen, um die Koeffizienten des Regressi-
onsmodells zu schätzen. Handelt es sich z.B. um eine Funktion mit vier Termen,
wie in Gleichung (1) gegeben, dann sind mindestens 4 experimentelle Versuche
mit unterschiedlichen Einstellungen für x1 und x2 notwendig. Um die Koeffizien-
ten zu ermitteln, werden in einem 2-stufigen DOE die Einstellungen für die Fakto-
ren x1 und x2 abwechselnd „hoch“ (+1) und „niedrig“ (-1) gewählt.
Übertragen auf unser Beispiel Kochherd führt dies zu folgenden Wirkungsbe-
ziehungen sowie mathematischen Zusammenhängen. Dabei wird bewusst ein ver-
einfachtes und exemplarisches Beispiel zugrunde gelegt, da das Erklären der Me-
thode und nicht das Lösen dieses „Alltagsproblems“ im Vordergrund steht.
Es sei das Ziel vorgegeben, das Erhitzen von Wasser mit einem Kochherd
quantitativ, d.h. mit Hilfe einer metrischen Skala, zu bewerten und in der Folge zu
optimieren. Im Beispiel wird vereinfacht davon ausgegangen, dass mit dem E-
Herd jeweils 1 Liter Wasser in einem Standardgefäß (∅ Kochtopf = ∅ große
Herdplatte) in kürzester Zeit zum Kochen gebracht werden soll (Response). Wei-
terhin wird vereinfacht angenommen, dass die Dauer zum Erhitzen (Kochzeit in
Minuten) nur von zwei Einflussgrößen abhängt: Zum einen, ob der Kochtopf mit
Wasser auf einer kleinen oder großen Heizplatte erhitzt wird, und zum anderen, ob
ein Topfdeckel aufgesetzt wird oder nicht. Es werden ceteris paribus zunächst kei-
ne weiteren Einflussfaktoren (Factors) in Betracht gezogen. Außerdem werden in
diesem Experiment die benannten Größen als dichotom behandelt, d.h. es wird
z.B. nur berücksichtigt, ob und nicht wie der Topfdeckel auf dem Kochtopf auf-
liegt.
Im folgenden Experiment werden die zwei Einflussfaktoren (A = Herdplatte
und B = Topfdeckel) und die beschriebene Wechselwirkung aus ihnen (AB =
Herdplatte x Topfdeckel) in allen möglichen Kombinationen jeweils auf + gesetzt,
was bedeutet, dass der Faktor auf hohem Niveau bzw. aktiv ist (z.B. Topfdeckel
liegt auf), oder auf –, der Faktor ist also auf niedrigem Niveau bzw. inaktiv (z.B.
Topfdeckel ist abgenommen). Da die k = 2 Faktoren dichotom sind, haben diese A
= 2 Ausprägungen. Daraus ergibt sich, dass Ak = 22 = 4 Versuchsanordnungen not-
wendig sind, um ein vollfaktorielles Experiment durchzuführen. Vollfaktoriell be-
deutet hierbei, dass alle Faktorkombinationen der angenommen Einflussgrößen
experimentell getestet werden. Für die verschiedenen Versuchsanordnungen ergibt
sich jeweils ein separates Outputergebnis, was in diesem Fall der Dauer bis zum
Kochen des Wassers entspricht. Für eine übersichtliche Darstellung wird der Ver-
suchsplan – wie in Abbildung 12 zu sehen – in Matrizenform als Designmatrix
abgebildet. In der Praxis werden dabei jeweils mehrere Messreihen mit Mittel-
wertbildung zugrunde gelegt, was einerseits das Ergebnis stabilisiert, andererseits
aber zusätzlich den Aufwand erhöht.
Im Experiment erhalten wir beispielsweise in der dritten Versuchsanordnung,
bei der sich der 1l-Wassertopf mit Deckel auf der kleinen Heizplatte befindet, eine
Kochzeit von 14 Minuten. Der inaktive Einfluss der Faktorwechselwirkung zwi-
schen Herdplatte und Topfdeckel ergibt sich aus der Multiplikation der beiden
Faktorausprägungen (– = – · +). Die mittlere Kochdauer der Versuchsreihe beträgt
nach Spalte 5 13,3 Minuten. Aus den in Abbildung 12 aufgeführten Messergebnis-
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 183

sen lässt sich im Weiteren der Effekt der einzelnen Einflussfaktoren sowie deren
Wechselwirkungen abschätzen. So ergibt sich z.B. der Wert für den Hauptein-
flussfaktor „A Herdplatte“ mit -2,5 = (13+11)/2 – (15+14)/2 und für den Einfluss-
faktor „B Topfdeckel“ mit -1,5 = (14+11)/2 – (15+13)/2. Dies bedeutet, dass sich
die Kochzeit im Durchschnitt um zusätzlich 1,5 bis 2,5 Minuten verringert, wenn
der Wasserkochtopf auf der großen Heizplatte erhitzt und mit einem Topfdeckel
verschlossen wird.

AB Ergebnis Geschätzte
Versuchs- A B Residuum
Herdplatte* (Kochzeit Kochzeit
anordnung Herdplatte Topfdeckel (Restwert)
Topfdeckel in min) (in min)
1 - - + 15,0 14,5 -0,5
2 + - - 13,0 12,0 -1,0
3 - + - 14,0 14,5 0,5
4 + + + 11,0 12,0 1,0
Effekt -2,5 -1,5 -0,5 13,3 13,3

Abb. 12: Designmatrix für einen vollfaktoriellen 22 Versuchsplan

Nach Abbildung 12 ergibt sich bezogen auf die Verringerung der Kochzeit ein
zusätzlicher positiver Effekt in Höhe von -0,5 infolge der Wechselwirkung zwi-
schen den Faktoren A und B. Wechselwirkung bedeutet hierbei, dass Änderungen
in der Wirkung des einen Faktors von der Aktivierung des anderen Faktors abhän-
gen. Das heißt, es besteht ein grundsätzlicher Unterschied, ob man den Kochtopf
auf die kleine Herdplatte stellt und mit dem Topfdeckel verschließt oder ob man
ihn mit Deckel auf der großen Heizplatte erhitzt. Dieser Sachverhalt ist in der fol-
genden Abbildung 13 noch einmal grafisch aufbereitet. Dabei ist im linken Dia-
gramm zu erkennen, dass sich durch das Auflegen des Topfdeckels die Kochzeit
bei Nutzung der kleinen Herdplatte um 1 Minute und bei Nutzung der großen
Herdplatte um 2 Minuten verringert. Nach dem rechten Diagramm verkürzt sich
die Wasserkochzeit bei Nutzung der kleinen Herdplatte von 15 auf 14 Minuten,
bei Nutzung der großen Herdplatte von 13 auf 11 Minuten.
Auf Basis der Wirkungsanalyse der Faktoren A und B sowie der Wechselwir-
kung AB lässt sich in einem weiteren Schritt ein (einfaches) Vorhersagemodell
ableiten. Im Beispiel wird ausgehend von dem Kochzeit-Mittelwert in Höhe von
13,3 Minuten sowie der durchschnittlichen Wirkung des Haupteinflussfaktors „A
Herdplatte“ die Kochzeit wie folgt geschätzt (vgl. Spalte 6, 1. Zeile in Abb. 12):
14,5 = 13,3 + (-1) · (-2,5)/2. Der angegebene Restwert (Residuum) ergibt sich als
Differenz aus der gemessenen und geschätzten Kochzeit und dient i.d.R. zur Kon-
trolle/ Bestätigung des Schätzmodells. Mit Hilfe des bekannten Normalvertei-
lungsdiagramms kann geprüft werden, ob das Modell die gemessenen Ergebnisse
gut abbildet und ob die gemessenen Ergebnisse aus einem vorhersagbaren/ be-
schreibbaren Prozess stammen (vgl. Magnusson et al. 2001, S. 146f.).
184 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

18,0 18,0
16,0
Kochzeit (in min)
16,0

Kochzeit (in min)


15,0 15,0
14,0 14,0 14,0 14,0
13,0 13,0
12,0 12,0
11,0 11,0
10,0 10,0
8,0 8,0
-1 +2 -1 +2
Topfdeckel Herdplatte
Herdplatte - Herdplatte + Topfdeckel - Topfdeckel +

Abb. 13: Ergebnisplots zur Wirkung der Einflussfaktoren

Gegenüber vollfaktoriellen Versuchsplänen wird bei der Anwendung von teil-


faktoriellen davon ausgegangen, dass die Wechselwirkungen zwischen drei und
mehr Faktoren (z.B. ABC) kaum noch nennenswerten Einfluss auf das Outputer-
gebnis besitzen. Aus diesem Grund werden diese Spalten aus der Designmatrix e-
liminiert oder durch andere wesentliche Einflussfaktoren ersetzt. Letzteres hat zur
Folge, dass bei gleichem Experimentumfang mehr Einflussfaktoren beachtet wer-
den können. In der Unternehmenspraxis hat sich gezeigt, dass der Einfluss von
Einzelfaktoren den Einfluss von Wechselbeziehungen auf ein Prozessergebnis
i.d.R. weit übertrifft. In der folgenden Abbildung 14 ist ein teilfaktorieller Ver-
suchsplan für das Beispiel „Wasserkochen“ wiedergegeben. Dabei wird als weite-
re kontrollierte Variable der Faktor C = Leitungswasser eingeführt.
Im Beispiel wird dann die Wechselbeziehung zweiten Grades AB durch den
neuen Einflussfaktor C Leitungswasser ersetzt. Dieser ist auf hohem Niveau (+),
wenn zum Kochen bereits warmes Leitungswasser abgefüllt wird. In den Ver-
suchsanordnungen, bei denen die Wechselbeziehung AB inaktiv bzw. auf niedri-
gem Niveau (–) war, wird der neue Faktor ebenfalls auf niedriges Niveau gesetzt;
andernfalls wird C „aktiviert“. Damit bleiben die Vorzeichen in der Spalte C = AB
unverändert. Die Überlagerung einer Wechselbeziehung/ -wirkung mit einem wei-
teren Einflussfaktor wird als definierte Gleichung bezeichnet (vgl. Magnusson et
al. 2001, S. 155). Auf diese Weise können die Effekte/ Wirkungen der 3 Faktoren
A, B und C mit lediglich 4 Versuchen bestimmt werden.

C (AB) Ergebnis Geschätzte


Versuchs- A B Residuum
Leitungs- (Kochzeit Kochzeit
anordnung Herdplatte Topfdeckel (Restwert)
wasser in min) (in min)
1 - - + 14,5 14,3 -0,3
2 + - - 13,0 11,8 -1,3
3 - + - 14,0 14,3 0,3
4 + + + 10,5 11,8 1,3
Effekt -2,5 -1,5 -1 13,0 13,0

Abb. 14: Designmatrix für einen teilfaktoriellen 23-1 Versuchsplan


QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 185

Diesem Vorteil steht der Nachteil gegenüber, dass die Ergebniswirkungen von
C und AB vermischt sind. Man kann nicht mehr genau sagen, ob der Effekt auf
die Kochzeit durch das Leitungswasser allein oder in Verbindung mit der Wech-
selwirkung von Herdplatte und Topfdeckel hervorgerufen wird. Für den teilfakto-
riellen Versuch ist in Abbildung 15 die relative Stärke der Auswirkungen der drei
Einflussfaktoren Herdplatte, Topfdeckel und Leitungswasser in Form eines Ku-
chendiagramms dargestellt, das auf den Werten der Abbildung 14 basiert.
Die Anzahl an Versuchsanordnungen bei teilfaktoriellen Experimenten lässt
sich also allgemein wie folgt bestimmen: Ak-d mit A als Anzahl an Ausprägungen,
k als Anzahl an Einflussfaktoren, wobei alle Faktoren die gleiche Anzahl an Aus-
prägungen besitzen, und d als Anzahl an definierten Gleichungen.

C (AB)
Leitungs-
wasser
20%

A
Herdplatte
50%
B Topf-
deckel
30%

Abb. 15: Relative Bedeutung der Einflussfaktoren im Beispiel Kochherd

2.4 Durchführen von Optimierungsversuchen

Analog zur „klassischen“ Regressionsanalyse wird bei DOE zum einen die Höhe
des Einflusses der einzelnen Faktoren sowie ihres Zusammenwirkens auf die Er-
gebnisvariable geschätzt. Zum anderen wird ermittelt, wie signifikant sich eine
Änderung der Einstellung von x1 und/ oder x2 auf y auswirkt. Dabei liegt die An-
nahme zugrunde, dass zwischen der Änderung der Einstellung der Faktoren von -1
auf +1 und der Änderung der Ergebnisvariable jeweils ein linearer Zusammen-
hang besteht. Für die Bestimmung von lokalen Extrema ist diese Eigenschaft un-
geeignet, so dass sich die Frage nach zweckmäßigeren Ansätzen stellt.
Um die Plausibilität/ Validität der Linearitätsannahme zu überprüfen, werden in
DOE-Versuchspläne mit k Faktoren und jeweils 2 Faktorstufen so genannte Zent-
ralpunkte (Center points) eingefügt, welche sich aus der mittleren Einstellung der
verschiedenen Einflussgrößen ergeben. Die Nichtlinearität ist bedeutsam, wenn
die Lage eines Maximums, z.B. Ausbeute, oder eines Minimums, z.B. Fehlerrate,
gesucht wird. In vielen Fällen verwendet man ein quadratisches Modell zur empi-
rischen Beschreibung der Abhängigkeit der Zielgröße y von den k Faktoren.
186 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

Die Linearitätsprüfung resultiert aus folgender Überlegung: Sind die Faktor-


ausprägungen symmetrisch und mit den diskreten Stufen -1 und +1 codiert, dann
liegen die Werte der Faktorausprägungen des Zentralpunktes bei Null. Im Fall,
dass die Linearitätsannahme nicht zutreffend ist, differiert der Ergebniswert für
die Zentraleinstellung signifikant von dem durchschnittlichen Ergebniswert über
alle Faktoreinstellungen, der sich im Rahmen des 2k-Versuchsdesigns ergibt.
Konkret bedeutet dies, dass der Regressionsansatz nach Gleichung (1) zur exakten
Beschreibung der funktionalen Zusammenhänge zwischen Einflussgrößen (Fac-
tors) und Ergebnisvariable (Response) nicht ausreicht. Anstelle eines Polynoms 1.
Grades ist ein Polynom 2. oder höheren Grades als Prognosefunktion zu wählen
(vgl. Breyfogle 2003, S. 644); sie besitzt folgende Struktur:
r
y = f(x) = c 0 + c1 ⋅ x1 + c 2 ⋅ x 2 + c12 ⋅ x1 ⋅ x + c11 ⋅ x12 + c 22 ⋅ x 22 2 (2)
Während durch die Funktion nach Gleichung (1) eine ebene Fläche im Raum auf-
gespannt wird, beschreibt die Funktion nach Gleichung (2) eine elliptisch ge-
krümmte (Reaktions-)Fläche im Raum. In Abbildung 16 ist beispielhaft eine sol-
che Fläche für einen 2-faktoriellen Versuch mit einem Polynom 2. Grades als adä-
quater Regressionsfunktion abgebildet. Die Aufgabe besteht darin, in einem che-
mischen Prozess die Faktoren Zeit (x1) und Temperatur (x2) so einzustellen, dass
ein maximale Ausbeute (y) erzielt wird. Als dichotome Einstellwerte für die zwei
Faktoren werden gewählt: Zeit: x1 ∈ [50; 70] und Temperatur: x2 ∈ [150; 180].
Aus der mittleren Einstellung beider Faktoren wird zusätzlich ein Zentralpunkt
generiert mit Z[60; 165]. Darüber hinaus gehen vier Sternpunkte mit Extremaus-
prägungen der zwei Faktoren Zeit und Temperatur in das Analysemodell ein. Da-
zu wird jede Faktorstufe auf einem um über 40% nach oben und unten erweiterten
Ausprägungsniveau „abgefahren“. Im Ergebnis liegen die Ausbeuten im Bereich
von 72% bis 82%, wobei sich die maximale Ausbeute bei einer mittleren Einstel-
lung von Zeit und Temperatur einstellt.

3D-Oberflächen-Plot für empirische Daten 3D-Oberflächen-Plot für approximierte Daten


y = Ausbeute y = Ausbeute

81 80
Ausbeute (in %)

Ausbeute (in %)

78 75

75 70

180 180
72 170 ur 65 170 r
160 at tu
50 er ) 50 160 ra
60 150 p
m °C 60 150 pe C)
70 T e (i n 70 em °
Zeit (in s) Zeit (in s) T (in

Abb. 16: 3D-Oberflächen-Plots für empirische und geschätzte y-Werte auf der Basis eines
Polynoms 2. Grades mit einem lokalen Maximum (Beispiel)
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 187

Die Reaktionsflächen-Methodik (RSM – Response surface methodology) wird


neben dem DFSS auch in der Improve-Phase von DMAIC-Projekten genutzt. Der
Vorteil von RSM liegt insbesondere darin, dass mit seiner Hilfe die Identifikation
von nicht-linearen Zusammenhängen möglich ist. Bei einer gegebenen Anzahl von
Einflussfaktoren steht jedoch der Nachteil gegenüber, dass (deutlich) mehr Versu-
che als bei einem 2-stufigen vollfaktoriellen Versuchsdesign notwendig sind, um
die Prognosefunktion zu spezifizieren. Aus diesem Grund sind im Vorfeld die we-
sentlichen Einflussfaktoren durch die Anwendung von „klassischem“ DOE mit 2
Faktorstufen zu eruieren (vgl. Breyfogle 2003, S. 645ff.). Um die Koeffizienten
von Polynomen 2. Grades mittels RSM zu schätzen, wird in der Praxis häufig auf
die folgenden zwei Designs zurückgegriffen (siehe Abb. 17):

Ausgangspunkt: Erweiterung 1: Erweiterung 2:


Voll-/ teilfaktorieller Definition von Definition von
Versuchsplan 2k-p Sternpunkten Zentralpunkt

(0, +α)
(-1, +1) (+1, +1)

Faktor 2 (-α, 0) (+α, 0)

(-1, -1) Faktor 1 (+1, -1)

(0, -α)
Basis: Breyfogle 2003, S. 645

Abb. 17: Herleitung der Versuchsanordnung für Central-Composite-Design (CCD) bei


zwei unabhängigen Faktoren

• Central-Composite-Design (CCD) sind zentral zusammengesetzte Versuchs-


pläne, bei denen neben einem Zentralpunkt und den 4 Eckpunkten eines Wür-
fels zusätzlich vier Sternpunkte definiert werden. Die Sternpunkte sind so zu
wählen, dass man ein orthogonales und rotierbares Versuchsdesign erhält. „Or-
thogonal“ bedeutet, dass sich die einzelnen Effekte im Rahmen eines 2k-
Versuchsplans eindeutig trennen und zuordnen lassen. „Rotierbar“ heißt, dass
sich die Varianz der zu prognostizierenden y-Werte in jedem Punkt als Funkti-
on des Abstandes des gewählten Punktes zum Zentralpunkt ergibt. Zur Ermitt-
lung der Stern- bzw. Axialpunkte15 ist ein Abstandsfaktor α zu berechnen, der
in jeder Dimension den Abstand des Sternpunkts zum Zentralpunkt angibt. Der
Vorteil von CCD ist vor allem darin zu sehen, dass auf der Basis der Ergebnisse
eines voll-/ teilfaktoriellen Versuchplans zusätzlich Sternpunkte für jeden Fak-

15 Der Abstandsfaktor zur Bestimmung der Stern-/ Axialpunkte beträgt i.d.R. α = 1,682.
Detaillierte Darstellungen der o.g. Versuchsanordnungen sowie weiteren finden sich u.a.
in Breyfogle 2003 und Box et al. 1978.
188 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

tor definiert werden können, deren Realisierung zur Ermittlung der Koeffizien-
ten c11 und c22 führt.
• Box-Behnken-Design (BBD) ist eine alternative Methode zu CCD, um die quad-
ratischen Terme im Rahmen eines Regressionsmodells zu bestimmen. Die Ver-
suchsanordnungen nach Box/ Behnken (1960) sind nicht zwingend rotierbar
und orthogonal. Auf Optimierungsversuche nach BBD wird i.d.R. zurückge-
griffen, wenn physikalische Beschränkungen vorliegen, die eine Realisierung
der Sternpunkte nicht erlauben. Aus diesem Grunde erfolgt eine Verlagerung
der Axialpunkte nach innen, d.h. pro Faktor werden drei Merkmalsausprägun-
gen definiert (-1, 0, 1). Jede zusätzliche Faktorausprägung besitzt eine äquidis-
tante Entfernung zur unteren und oberen Faktorstufe sowie zu dem definierten
Zentralpunkt (in der Mitte des Würfels). Aufgrund der Tatsache, dass pro Fak-
tor jeweils nur drei Stufen anstelle von fünf realisiert werden, erfordert das
BBD deutlich weniger Versuche als CCD. Diesem Vorteil steht der Nachteil
gegenüber, dass mit BBD die Koeffizienten des Regressionsmodells mit einer
höheren Ungenauigkeit geschätzt werden.
Abschließend soll auf der Basis dieser kurzen Erläuterungen wiederum eine
Bewertung von DOE vorgenommen werden (siehe Abb. 18). Die Haupteinschrän-
kung der Methode liegt darin, dass keine Aussagen mit 100%-Wahrschein-
lichkeit, also Sicherheit, getroffen werden können. Im Hinblick auf die erzielbare
Zeit- und Kosteneinsparung sowie die noch gute Übersichtlichkeit von Versuchs-
reihen ist hierin allerdings zugleich ein relativer Vorteil zu sehen. Unter diesem
Blickwinkel ist auch der Nachteil eines möglichen Informationsverlustes zu wer-
ten, da nicht alle Kombinationen geprüft werden. Offensichtlich sind jedoch der
Statistikaufwand und damit evtl. verbundene Probleme bei der Statistik-Anwen-
dung.

+ -
o Zeiteinsparung o Eventuell Informationsverlust,
o Kosteneinsparung da nicht alle Kombinationen ge-
prüft werden
o Bei vielen Faktoren ist der Ver-
such nur mit DOE möglich o Statistik-Aufwand und ggf.
Probleme bei der Statistik-
o Übersichtlichkeit
Anwendung
o Möglichkeit, den Test nach der
o Die Aussage ist nicht mit 100%
Durchführung eines Unter-
Wahrscheinlichkeit sicher
suchungsdesigns abzubrechen,
wenn ausreichende Ergebnisse
vorliegen, oder aber mit dem
zweiten Design fortzusetzen

Abb. 18: Bewertung von DOE


QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 189

Bei einer großen Anzahl von Faktoren und Ausprägungen sind Versuche je-
doch nur auf der Basis von DOE mit einem reduzierten Design möglich. Darüber
hinaus besteht immer die Möglichkeit, auf der Basis gewonnener Erkenntnisse ei-
ne Versuchsreihe vorzeitig abzubrechen und die zweite Versuchsanordnung be-
reits zu beginnen. Insgesamt ist also die Wertung: Screening-Versuche sowie Teil-
faktorielle Versuche besitzen den Vorteil, eine hohe Anzahl an Faktoren durch ei-
ne moderate Anzahl an Experimenten untersuchen zu können.

3 TRIZ – Erfinderisches Problemlösen zum Generieren


von Produkt- und Prozessinnovationen im
Entwicklungsprozess

Das Akronym TRIZ16 stammt aus dem Russischen und steht im Deutschen für die
„Theorie des erfinderischen Problemlösens“. Im englischsprachigen Raum ist
hierfür auch die Bezeichnung TIPS für „Theory of Inventive Problem Solving“
geläufig. Die Theorie wurde maßgeblich in der früheren UdSSR von Genrich S.
Altschuller (1926-1998) und seinen Kollegen entwickelt. Auf der Basis der Analy-
se unzähliger Patente, kamen sie zu der Erkenntnis, dass erfolgreiche Erfindungen
auf sehr ähnlichen bzw. gleichen Denkstrategien beruhen. Er formulierte deshalb
die Hypothese, dass jeder Idee und jeder Erfindung ein systematischer Prozess vo-
rangeht, welcher durch universelle Grundregeln zu erklären ist. Durch die Kennt-
nis und Anwendung dieser Regeln ist es dann möglich, den Erfindungsprozess ge-
zielt zu steuern und damit „wirkliche“ Innovationen systematisch zu erzeugen.
Dabei sind die folgenden 5 Schritte zu durchlaufen, die in der einschlägigen Lite-
ratur unter dem Akronym ARIZ17 bekannt sind:
1. Wahl der Aufgabe (Zielsuche & Problemformulierung)
2. Präzisieren der Aufgabe (Zielvorgabe & Problemtransformation)
3. Analytisches Stadium (System-/ Modellanalyse)
4. Operatives Stadium (Lösungssuche/ -eingrenzung)
5. Synthetisches Stadium (Ideales Resultat & Lösungsrealisierung).
Wie leicht nachvollziehbar ist, ähnelt die Philosophie und Vorgehensweise von
TRIZ damit sehr stark der grundsätzlichen „Denkweise von Six Sigma“: In beiden
Konzepten werden mit der Realitäts- und der Abstraktionsebene 2 Ebenen der
Problemlösung unterschieden. Bei Six Sigma wird das reale Problem in ein statis-
tisches transformiert und gelöst; bei TRIZ führt eine konkrete Problemstellung zu
einer abstrakten Lösungssuche. Erst wenn eine zufriedenstellende Lösung auf der
Abstraktionsebene gefunden worden ist, erfolgt die Rück-Transformation in die
Realitätsebene, d.h. die Umsetzung der statistischen (abstrakten) Lösung in ein re-
ales Lösungskonzept (vgl. Töpfer/ Günther 2007, S. 157).

16 Russ.: Theorija Reshenija Izobretatjelskich Zadacz.


17 Russ.: Algoritm Reshenije Izobretatjelskich Zadacz.
190 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

3.1 Wahl der Aufgabe (Zielsuche & Problemformulierung)

Im ersten Schritt ist zu klären, welches Ziel erreicht bzw. welches Problem gelöst
werden soll. Dazu ist das „ideale Endresultat“ zu definieren und – über einen Ver-
gleich mit der aktuellen Situation – der konkrete Verbesserungsbedarf abzuleiten.
Wird das Problem von vornherein als schwierig zu lösen eingestuft, ist über eine
Umkehrung der Aufgabenstellung nachzudenken, da diese u.U. leichter zu bear-
beiten ist als die Originalaufgabe, z.B. „Motor von Auto startet auf keinen Fall“
anstelle von „Motor startet bei jeder Witterungslage“. Gleichzeitig kann dadurch
der Kern des Problems besser erfasst werden.
Bereits an dieser Stelle sei hervorgehoben: TRIZ unterscheidet sich von den
klassischen Kreativitätstechniken, z.B. Synektik und Bionik, zum einen durch sei-
ne technisch-naturwissenschaftliche Basis, d.h. die Methode nimmt gezielt Anleh-
nung an der Thermodynamik, Mechanik, Elektrotechnik und Chemie, um durch
das Erkennen synergetischer Effekte innovative Produktlösungen zu generieren.
Zum anderen führt sie auf direktem Wege zur so genannten wahren, idealen Lö-
sung eines Problems, weil widersprüchliche Anforderungen des Ausgangsprob-
lems gezielt aufgelöst und „psychologische Denkbarrieren“ der Beteiligten über-
wunden werden. Dadurch sollen Kompromisse als Ergebnis, wie sie bei anderen
intuitiven und systematischen Methoden eher die Regel als die Ausnahme sind,
vermieden werden.
Aufgrund der Verbindung von Kreativität und Systematik mit Widerspruchs-
orientierung hilft TRIZ technisch-wissenschaftliche Aufgabenstellungen metho-
disch und systematisch zu entwickeln sowie ohne Kompromisse in „robuste“ Lö-
sungen zu überführen (vgl. Günther 2004, S. 1). Nach Jantschgi/ Shub (2003) be-
steht das Ziel der TRIZ-Methodik – per definitionem – darin,
• technische und/ oder physikalische Widersprüche aufzudecken,
• diese kreativ und ohne Kompromisse mit vorhandenen Ressourcen (Wissen)
• einer präzisen, strukturierten Problemanalyse zu unterziehen und danach
• zielorientiert in Richtung Erhöhung des Idealitätsgrades zu verbessern.

3.2 Präzisieren der Aufgabe (Zielvorgabe & Problemtransformation)

Im zweiten Schritt geht es darum, abstrakte Modellformulierungen, z.B. „Von Ort


A nach Ort B kommen“, zu finden, da Fachtermini das Denken in Richtung kon-
ventioneller Lösungsansätze „kanalisieren“. Zu diesem Zweck ist z.B. mittels Pa-
tentrecherche zu eruieren, ob und wie ähnliche Aufgaben in der Fach- bzw. Pa-
tentliteratur gelöst worden sind. Aufgrund des Vergleichs des eigenen Problems
mit bereits gelösten Problemen ist es i.d.R. möglich, die Aufgabe ohne gängige
Fachtermini zu beschreiben. Dadurch können vergleichbare Patent-/ Problemlö-
sungen direkt auf die konkrete Aufgabenstellung übertragen werden.
Auf der Basis der Analyse einer hohen Anzahl von Patenten kamen Altschuller
und Kollegen zu der Erkenntnis, dass erfolgreiche Erfindungen auf sehr ähnlichen
bzw. gleichen Denkstrategien beruhen. Er formulierte deshalb die Hypothese, dass
jeder Idee und jeder Erfindung ein systematischer Prozess vorangeht, welcher
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 191

durch universelle Grundregeln zu erklären ist. Durch die Kenntnis und Anwen-
dung dieser Regeln ist es dann möglich, den Erfindungsprozess gezielt zu steuern
und damit „wirkliche“ Innovationen systematisch zu erzeugen.18
Als zentrale Kenn- bzw. Optimierungsgröße wird der Idealitätsgrad definiert,
der sich – bezogen auf ein System – als Quotient aus der Summe „nützlicher“ Ef-
fekte (Nutzen) geteilt durch die Summe „schädlicher“ Effekte (Kosten) ergibt. Das
Ziel besteht nun darin, den Idealitätsgrad entsprechend dem generellen Extre-
mumprinzip durch Minimierung der Kosten und Maximierung des Nutzens zu op-
timieren. Anhand der Änderung des Idealitätsgrades durch eine Neuerung im Sys-
tem lässt sich der Innovationsgrad einer bestimmten Entwicklung/ Erfindung ab-
leiten. Je größer die Änderung des Idealitätsgrades ist, desto höher ist also auch
der Innovationsgrad einer neuen Lösung.19

3.3 Analytisches Stadium (System-/ Modellanalyse)

Mit dem dritten Schritt wird das analytische Stadium des Problemlösungsprozes-
ses erreicht. Ziel ist es, auf abstrakter Ebene eine ideale Lösung für das Problem
zu beschreiben. Dabei sind die Erkenntnisse aus bisherigen Optimierungsversu-
chen zu berücksichtigen, wobei u.a. zu klären ist, warum bisherige Lösungsansät-
ze versagten. Im Weiteren ist der Kernkonflikt herauszuarbeiten, welcher der
wahrscheinliche Schlüssel zur Lösungsfindung ist. Das Standardvorgehen besteht
darin, administrative in technische Widersprüche umzuwandeln und diese an-
schließend mithilfe der Widerspruchstabelle von Altschuller zu lösen.
Altschuller, der bereits im Jahr 1946 eine Stiftung für TRIZ gründete, erkannte,
dass sich alle möglichen technischen Anforderungen mit Hilfe von 39 (allgemein-
gültigen) Parametern beschreiben lassen. Des Weiteren fand er heraus, dass alle
denkbaren Widersprüche (max. 1.482) zwischen zwei technischen Anforderungen
mit Hilfe von „nur“ 40 (allgemeingültigen) Innovations-Prinzipien gelöst werden
können. Die 40 Prinzipien technischer Konfliktlösung zusammen mit den 39 Pa-
rametern technischer Systembeschreibung sind in Altschuller´s Widerspruchsta-
belle zusammengefasst dargestellt (siehe Auszug der Tabelle in Abb. 19). Dabei
wird der TRIZ-Anwender zielgerichtet von seinem speziellen technischen Prob-
lem über die allgemeinen Parameter auf die geeigneten innovativen Prinzipien ge-
leitet, die zu seiner Aufgabenstellung passen.20
Die Anwendung von TRIZ basiert auf einer Vielzahl von Methoden und In-
strumenten, von denen die Widerspruchstabelle/ -analyse die bekannteste darstellt.

18 Zwischen 1946 und 1996 wurden zur Erforschung dieser Zusammenhänge mehr als 2,5
Millionen Patente analysiert (allein 40.000 durch Genrich S. Altschuller).
19 Bei seinen Patentrecherchen stellte Altschuller u.a. fest, dass nur etwa 1% aller Erfin-

dungen einen hohen Innovationsgrad aufweisen und damit als wirkliche Innovationen
gelten. Hingegen handelt es sich bei ca. drei Viertel aller so genannten Innovationen um
„einfache“ Problemlösungen, die i.d.R. mit keinem besonderen Methoden- und Wissens-
hintergrund verbunden sind (vgl. Mazur 1995, S. 5f.).
20 Hierzu gibt es eine Reihe von Software-Lösungen, die von unterschiedlichen Unterneh-

men angeboten werden, wie z.B. Invention Machine, Ideation und Trisolver.
192 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

13

14

15
10

11

12

16

17
Technischer Parameter

Haltba rke it eine s station ären


Technischer Parameter

Haltbarkeit eines bewegten


Volumen eines stationären
Gew icht eine s station ären
Nicht erwünschte

Volumen e in es bewe gten


Gewich t e in es bewegte n

Fläche eine s station ären

Stabilität eines Objektes


Länge eine s station ären

Fläche e in es bewegte n
L än ge eines bewegte n
Veränderung

Druck oder Spannung


(Konflikt)

Geschwindigkeit

Tempera tu r
Festig keit
Objektes

Ob jektes

Objekte s

Objektes

Ob jektes

Objekte s
Objektes
Objektes

Objektes

Obje ktes
Zu verbessernder

Form
Kraft
Parameter
Gewicht eines bewegten 1 5, 8, 29 , 1 7, 29 , 2 , 2, 8, 8, 1 0, 10, 3 6, 10, 14, 1, 35,
6, 20, 28, 27, 5, 34,
1 Objektes 29, 34 38, 34 40, 28 15, 38 18 , 37 37, 40 35, 40 1 9, 39
4, 38 18, 40 31, 35
Gewicht eines stationären 10, 1, 35, 30, 5, 35, 8, 1 0, 13, 2 9, 13, 10, 26 , 3 9,
2 8, 19, 28, 2, 2, 2 7,
2 Objektes 29 , 35 13, 2 14, 2 19 , 35 10, 18 29, 14 1, 4032, 22 10, 27 19, 6
8, 15, 15 , 1 7, 7, 17 , 1 7, 10, 1, 8, 1, 8,
1 0, 15, 8, 35,
3 Länge eines bewegten Objektes
29, 34 4 4, 35
13, 4, 8
4
1, 8, 35
10, 29 1 5, 34 19 29, 34
19

Länge eines station ären 3 5, 28 , 17, 7, 35, 8, 1, 14, 13, 14, 39 , 3 7,


1, 4 0, 3, 35, 15, 14,
4 Objektes 40, 29 10, 40 2, 1 4
28 , 10
35 15 , 7 35 35 38, 18 28, 26
Fläche eines bewegten 2, 17, 14, 15, 7, 14 , 29, 30, 1 9, 30, 10, 1 5, 5 , 34, 11, 22, 15, 3, 15,
5 Objektes 29, 4 18, 4 17, 4 4, 34 35, 2 36, 28 29 , 4 1 3, 39 16 40, 14
6, 3

Fläche eines stationären 30, 2, 26, 7, 1, 1 8, 10, 1 5, 2, 1 0, 3 5, 39,


6 Objektes 14, 18 9, 39 35 , 36 36, 37
2, 38 40
19 , 3 0 38
Volu men eines bewegten 2, 26, 1, 7, 4, 1, 7, 4, 29, 4, 1 5, 35, 6, 35, 1 , 15,
28 , 1 0, 9, 14, 3 4, 39,
7 Objektes 29, 40 35 17 38, 34 36 , 37 36, 37 29 , 4
1, 39 15, 7
6, 35 , 4
10, 18
Volu men eines station ären 3 5, 10 , 35, 8, 2, 1 8, 34 , 2 8, 9, 14, 35, 34,
8 Objektes 19, 14
19, 14
2, 14 37
24, 35 7 , 2 , 3 5
3 5, 40 17, 15 38
35, 6, 4
2, 8,
13, 14, 29 , 3 0, 7, 29 , 1 3, 28, 6, 18, 35, 15, 28 , 3 3, 8, 3, 3, 19, 2 8, 30,
9 Geschwindig keit 28, 13,
8 34 34 15 , 19 38, 40 18, 34 1, 18 26, 14 3 5, 5 36, 2
38
8, 1, 1 8, 13 , 17, 19, 19 , 1 0, 1, 18, 15 , 9 , 2, 36, 13, 28, 18, 2 1, 10, 35, 35 , 1 0, 35, 10, 3 5, 10,
10 Kraft 37,18 1 , 2 8 9, 36
28 , 10
15 36, 37 12, 37 18, 37 15, 12 11 40, 34 21 14, 27
1 9, 2
21
10, 36, 1 3, 29 , 35, 10, 35, 1, 10 , 1 5, 10, 15, 6, 35 , 6, 35, 3 6, 35, 3 5, 4, 35 , 3 3, 9, 18, 19, 3, 3 5, 39,
11 Druck oder Spannung 37, 40 10, 18 36 14 , 16 36, 25 35, 37 10
35, 24
36 21 15, 10 2, 40 3, 40 27 19, 2
8, 10, 1 5, 10 , 29, 34, 13, 14, 5, 34, 14 , 4 , 35, 15, 3 5, 10, 34, 1 5, 33 , 1, 30, 14, 1 4, 26, 2 2, 14,
12 Form 29, 40 2 6, 3 5, 4 10, 7 4, 10 15, 22
7, 2, 35
34, 18 37 , 40 10, 14 18, 4 10, 40 9 , 2 5 19, 32
21, 35, 2 6, 39 , 13, 15, 2, 11, 28, 10, 3 4, 28 , 33, 15, 1 0, 35, 2, 35, 2 2, 1, 17, 9, 1 3, 27, 39, 3, 35, 1,
13 Stabilität eines Objektes 2, 39 1, 40 1, 28
37
13
39
19, 39 35, 40 28, 18 21 , 16 40 18 , 4 15 10, 35 35 , 2 3 32
1, 8, 4 0, 26 , 1 , 15, 15, 14, 3, 34, 9, 40, 10, 15, 9, 14, 8, 13, 1 0, 18, 10, 3, 10, 30, 13 , 1 7, 27, 3, 3 0, 10,
14 Festig keit
40, 15 2 7, 1 8, 35 28 , 26 40, 29 Innovationsprinzipien 28 14, 7 17, 15 26, 14 3, 14 18, 40 35, 40 35 26 40
Haltbarkeit eines bewegten 19, 5, 3, 17, 10 , 2 , 19, 2, 19, 3, 14, 26, 13 , 3, 27, 3, 1 9, 35,
15 Objektes 34, 31
2, 19, 9
19 19, 30
3, 35, 5
16 27 28, 25 35 10 39
Haltbarkeit eines st ationären 6, 27, 1, 10, 3 5, 34 ,
39 , 3, 1 9, 18,
16 Objektes 19, 16 35 38
3 5, 23 36, 40
36, 22, 2 2, 35 , 15, 19, 15, 19, 3, 35, 34, 39, 2, 28, 3 5, 10, 35, 3 9, 14, 22, 1, 35, 10, 30, 1 9, 13, 19, 18,
17 Temperatur 6, 38 32 9 9 39, 18
35, 38
40, 18
35, 6 , 4
36, 30 3, 21 19, 2 19, 32 32 22, 40 39 36 , 4 0

Abb. 19: Altschuller´s Widerspruchstabelle (Auszug)

Vor allem im deutschsprachigen Raum ist die Einteilung der Methoden und In-
strumente in die vier Gruppen „Systematik“, „Wissen“, „Analogie“ und „Vision“
geläufig (siehe Abb. 20).

TRIZ

1 Systematik 2 Analogie 3 Wissen 4 Vision


Strukturierung Erkenntnisse aus Problemorien- Weiterentwicklung
von Problemen anderen Bereichen tierte Prinzipien des Systems
• Innovationscheckliste • Widerspruchs- • Effekte-Lexikon • S-Kurve
• Ressourcencheckliste analyse: • Evolutions-
• Internetrecherche
• Problemformulierung • Administrativer Wider- gesetze
• Idealität spruch („Problem“) • Patentrecherchen
• Innovations-
• Funktionen-/ Objekt- • Technischer Wider- ebenen
Modellierung spruch („Konflikt“)
• Trimmen • Physikalischer Wider-
• Operator MZK spruch („Widerspruch“)
• Zwerge- Modellierung • Stoff-Feld-Modell mit
• Inverte Fehlererkennung 76 Standardlösungen
• 40 Innovationsprinzipien
• 4 Separationsprinzipien
• ARIZ

Antizipierende Fehlererkennung Direkte Entwicklung

Basis: Herb/ Kohnhauser 2000, S. 50f.


Innovative Problemlösung

Abb. 20: Konzeption und Inhalte der 4 TRIZ-Säulen


QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 193

Diese vier Gruppen werden auch als die 4 TRIZ-Säulen bezeichnet, da sie die
elementaren Eigenschaften kennzeichnen, die einen „guten“ Entwickler auszeich-
nen. Auf die Beschreibung der einzelnen Methoden wird an dieser Stelle nicht nä-
her eingegangen; sie werden in der einschlägigen Literatur ausführlich behandelt
(vgl. z.B. Orloff 2002; Herb et al. 2000).

3.4 Operatives Stadium (Lösungssuche/ -eingrenzung)

Im 4. Schritt von ARIZ werden die den 4 TRIZ-Säulen zugeordneten Methoden


und Instrumente systematisch angewendet, um eine Lösung des Problems auf abs-
trakter Ebene herbeizuführen. Der Einsatz richtet sich dabei nach der Art des in
Kap. 3.3 beschriebenen Problems. Handelt es sich um einen technischen Wider-
spruch (z.B. Geschwindigkeit hoch/ niedrig), dann kann versucht werden, die 40
innovativen Grundprinzipien auf das Problem anzuwenden. Liegt hingegen ein
physikalischer Widerspruch vor (z.B. Gewicht hoch/ niedrig), dann ist über eine
Variation des Arbeitsmediums, der Umgebung und/ oder der mit dem Objekt zu-
sammenwirkenden Verfahren nachzudenken.21
In Abbildung 21 ist der Algorithmus zur Lösungsfindung mit TRIZ am Beispiel
„Milchkochen“ mit dem Kochtopf auf einem E-Herd dargestellt.

(38) Automatisierungsgrad ↑ (18) Mechanische Schwingungen


(13) Stabilität des Objektes – (01) Segmentierung/ Zerlegung

• Widerspruch auf Basis • Lösungsansätze auf


2 der 39 technischen Basis der 40 innova- 3
Parameter tiven Prinzipien
Abstrakte Lösungssuche Abstrakte
Problemstellung Problemlösung
Spezifikation

Abstraktions-
Abstraktion

ebene
Realitäts-
ebene
Barriere

Konkrete Konkrete
1 4
Problemstellung Problemlösung
• Problem/ Konflikt • Lösungsansatz aus-
umgangssprachlich wählen und konkret
beschreiben umsetzen
Beim Kochen von Milch muss
ich ständig umrühren, damit sie Ein Keramikobjekt beim
nicht überkocht und verbrennt! Milchkochen in Kochtopf legen

Basis für Widerspruchsmatrix: Herb et al. 2000

Abb. 21: Lösungsfindung mit TRIZ am Beispiel „Milchkochen“

21 Im Hinblick auf die Idealität der Lösung ist jeweils zu prüfen, ob es Umkehrmöglich-
keiten gibt, die dazu führen, dass z.B. etwas Schädliches in etwas Nützliches oder etwas
Gefährliches in etwas Harmloses verwandelt wird.
194 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

Hier wird das konkrete Problem, dass Milch zum Erhitzen regelmäßig über-
kocht und verbrennt, wenn nicht ständig per Hand umgerührt wird, abstrahiert auf
die zwei technischen Parameter (13) und (38). Durch das Umrühren mit einem
Löffel wird die Stabilität des Objektbestands sichergestellt (d.h. die Milch „geht“
nicht hoch), was einer Verbesserung entspricht. Gleichzeitig kommt es hierdurch
aber zu einer Verschlechterung des Niveaus der Automatisierung (d.h. eine Person
muss ständig umrühren). Zur Lösungsfindung auf der Abstraktionsebene ist nun in
die Widerspruchsmatrix von Altschuller zu gehen. Hier stehen folgende innovati-
ve Grundprinzipien als Lösungsansätze zur Auswahl (vgl. Orloff 2002, S. 321f.):
(01) Segmentierung/ Zerlegung – Ein Objekt in unabhängige Teile zerlegen/ Ein
Objekt zerlegbar machen und den Grad der Zerkleinerung erhöhen
(18) Nutzung mechanischer Schwingungen – Ein Objekt in Schwingungen verset-
zen/ Wenn eine solche Bewegung bereits abläuft, ihre Frequenz erhöhen.

3.5 Synthetisches Stadium (Ideales Resultat und


Lösungsrealisierung)

Die endgültige Lösung, die sich auf die konkrete Problemstellung bezieht, wird im
5. Schritt festgelegt. Durch die Rücküberführung der abstrakten Lösung in die rea-
le Welt wird das synthetische Stadium des TRIZ-Algorithmus erreicht. Liegen
mehrere Lösungsansätze vor, ist die „beste“ Lösung mit dem höchsten Zielerfül-
lungsgrad auszuwählen. Bei der Umsetzung/ Implementierung der Lösung ist zu
prüfen, ob sich weitere Veränderungen/ Optimierungen empfehlen und/ oder ob
das grundlegend veränderte System/ Objekt möglicherweise ganz neue Anwen-
dungsmöglichkeiten beinhaltet.
Am oben angeführten Beispiel „Milchkochen“ sieht die Spezifikation der abs-
trakten Problemlösung und die Überführung in ein konkretes Lösungskonzept wie
folgt aus: Zum Erhitzen von Milch wird in den Kochtopf eine (nicht plane und
nicht symmetrische) Keramikscheibe mit einem Durchmesser von ca. 10 cm und
einer Höhe von ca. 1 cm gelegt. Wird der Topf mit Milch warm, bildet sich unter
der Scheibe, die auf dem Boden liegt, ein Luftpolster. Entsprechend dem „Dampf-
kessel-Prinzip“ wird die Keramikscheibe von Zeit zu Zeit angehoben und die er-
hitzte Luft kann entweichen. Durch diesen Effekt kommt es zur Vibration des Ke-
ramikkörpers im Topf mit der Folge, dass die Milch in Bewegung bleibt und nicht
(sofort) am Topfboden anbrennt und „überkocht“.
Eine abschließende Bewertung von TRIZ ist in Abbildung 22 vorgenommen.
Generell bietet sich die Anwendung der Methodik in DFSS-Projekten an, wenn
genau umrissene, auf der Basis bisheriger Denkmuster schwierig zu lösende Prob-
leme bei der Konzepterstellung aufgedeckt worden sind.
Als widerspruchsorientiertes Erfindungskonzept ist sein Einsatz insbesondere
im Zusammenhang mit QFD gerechtfertigt, um Konflikte und Widersprüche auf-
zulösen, die in einer Dimension, z.B. zwischen unterschiedlichen Produktfunktio-
nen (im „Dach“ des HoQ), und/ oder in mehreren Dimensionen, z.B. zwischen
Kundenanforderungen und Produktfunktionen (in der „Matrix“ des HoQ) offenge-
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 195

legt worden sind (siehe hierzu Kap. 2). Im Zusammenhang mit DOE unterstützt
TRIZ bei der Aufgabenstellung, unerwünschte Wechselwirkungen zwischen ver-
schiedenen Einflussfaktoren auf das Zielkriterium zu beseitigen, beispielsweise:
„Die Wahl von Herdplatten-Größe und Kochtopf-Durchmesser dürfen keinen Ein-
fluss auf die Kochzeit-Dauer haben.“ Unabhängig davon, welcher Art das Ent-
wicklungsprojekt ist und welchen Umfang es besitzt, führt das Vorgehen nach
ARIZ mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu innovativen Lösungsansätzen.

+ -
• Auflösung von technischen/ • Zur Beherrschung sind umfang-
physikalischen Widersprüchen reiche Schulungen mit vielen prak-
aufgrund von Abstraktion und tischen Beispielen notwendig
Spezifikation • Ohne Softwareunterstützung und
• Generierung von innovativen Moderator als Experten kaum wir-
Problemlösungsansätzen mit kungsvoll realisierbar
Hilfe von ARIZ
• Einsparung von Zeit und Kosten • Hoher Recherche- und Aktualisie-
im Produktentstehungsprozess/ rungsaufwand von Daten und Wis-
in DFSS-Projekten durch hohe sen
Synergieeffekte mit Six Sigma • TRIZ benötigt kreative Mitarbeiter
Methoden mit einem hohen Abstraktionsver-
• Erhöhte Motivation der Akteure mögen
durch methodengestützte Fokus-
sierung des kreativen Denkens

Abb. 22: Bewertung von TRIZ

4 Fallstudie zur Vernetzung von TRIZ und QFD:


Entwicklung eines innovativen „Auto-Safe“

Ausgangssituation: Für PKW-Nutzer ist es in bestimmten Situationen erforderlich,


Wertsachen in ihrem Fahrzeug aufzubewahren und auf herkömmliche Siche-
rungsmechanismen eines PKW gegen Diebstahl zu vertrauen. Dabei ist es jedoch
fraglich, ob diese Sicherung hinreichend ist. Beispielsweise kann ein gut sichtbar
auf dem Beifahrersitz abgelegtes Notebook durch schnelles Aufbrechen der Auto-
tür einfach herausgenommen und gestohlen werden.
Ausgehend von den Anforderungen der Kunden an ein mögliches Produkt soll
im Folgenden mit Hilfe der QM-Methoden QFD und TRIZ eine Lösung zur siche-
ren Verwahrung von Wertgegenständen in Fahrzeugen gefunden werden. Zu die-
196 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

sem Zweck wird im ersten Schritt das HoQ erstellt. Im zweiten Schritt wird ver-
sucht, die ersichtlichen Konflikte respektive Widersprüche mit TRIZ zu lösen.22

4.1 Anwendung von QFD

Wie im 1. Kapitel ausgeführt, geht es im Rahmen von QFD insbesondere darum,


anhand von Kundenbedürfnissen konkrete Konstruktionsmerkmale für ein Produkt
abzuleiten. Hierzu wird ein Qualitäts-Plan (siehe Abb. 23) für das Produkt „Auto-
Safe“23 erstellt, der zunächst Kundenbedürfnisse und deren Gewichtung erfasst. In
der Praxis empfiehlt sich die Anwendung eines Makro-gestützten Excel-Files, mit
dem sich die Daten einfach und schnell aufbereiten lassen.

Abb. 23: Q-Plan und Kundenbedürfnisse (Auszug)


Die Gewichtung der Kundenbedürfnisse (siehe Abb. 24) zeigt einen „guten
Verlauf“, da sich die Kundenbedürfnisse grob in drei Gruppen (sehr wichtig,
wichtig, weniger wichtig) unterteilen lassen. Wie in der Abbildung leicht nach-
vollziehbar ist, sind den Kunden die beiden Bedürfnisse „Aufmerksamkeit bei
Diebstahl“ und „Schwer aufzubrechen“ mit Abstand am wichtigsten. Durch diese
Kenntnis ist es dem Hersteller möglich, bereits durch wenige, aber bedeutsame
Änderungen in der Produktgestaltung die Kundenzufriedenheit deutlich zu erhö-
hen.

22 Die hier referierten Ergebnisse basieren auf einem Seminar zum Thema „QM-Methoden
in der Produktentwicklung“, welches von den Autoren an der TU Dresden im Winterse-
mester 2007/ 08 durchgeführt worden ist. Wir danken den Studierenden Martin Berndt,
Marcus Krause, Stefan Schütze und Stefan Schwesig für ihre Zuarbeit.
23 Der Produktname „Auto-Safe“ wird lediglich vereinfachend verwendet. Er steht stellver-

tretend für die diebstahlsichere Verwahrung von Gegenständen in einem Kfz und bedeu-
tet keine Einschränkung der möglichen Lösungen auf einen Safe-Schrank.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 197

Abb. 24: Gewichtung der Kundenbedürfnisse

Zur Beurteilung der Kundenbedürfnisse muss berücksichtigt werden, dass so-


wohl „harte“ als auch „weiche“ Faktoren eine Rolle spielen. Die Darstellung in
einem Portfolio (siehe Abb. 25) zeigt jedoch, dass die harten Faktoren (rational)
gegenüber den weichen (emotional) deutlich überwiegen.

20,0

18,0 Aufmerksamkeit bei Diebstahl

16,0

14,0
Harte Faktoren

12,0

10,0

8,0

6,0

4,0
Leicht zu öffnen
2,0

0,0
0 10 20 30 40 50 60 70 80

Weiche Faktoren

Abb. 25: Portfolio zum Erkennen von harten und weichen Faktoren
198 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

Die größte Gewichtung erzielt die Anforderung „Aufmerksamkeit bei Dieb-


stahl“, während bei den Gefühlsfaktoren das Kriterium „Leicht zu öffnen“ am
wichtigsten ist. Der „leere“ rechte obere Bereich des Portfolios bedeutet, dass mit
keinem Kundenbedürfnis gleichzeitig sowohl harte als auch weiche Motivationen
in hohem Maße befriedigt werden. Eine Entscheidung, worauf im weiteren F&E-
Prozess mehr Wert gelegt wird, ist deshalb zunächst erforderlich.
Nachdem die verschiedenen Anforderungen an das neue Produkt „Auto-Safe“
ermittelt wurden, können im Q-Plan deren Wechselwirkungen mit Qualitäts-
merkmalen geprüft werden. Dadurch ist es möglich, das Produkt gezielt nach den
Wünschen der Kunden zu entwickeln.
Wie Abbildung 26 zeigt, ergibt sich z.B. eine positive Korrelation zwischen
dem Bedürfnis „Schweres Aufbrechen“ und den Eigenschaften „Material“,
„Bruchkraft“ und „Bruchzeit“. Problematisch sind hingegen Qualitätsmerkmale,
welche zu einem Zielkonflikt führen. So stehen z.B. „Bruchzeit“ und „Öffnungs-
bzw. Schließzeit“ in einem konträren Verhältnis zum Bedürfnis „Leichtes Öff-
nen“.

Abb. 26: House of Quality (Auszug)

Die Übersicht gibt außerdem Aufschluss über Kundenbedürfnisse, die nicht


hinreichend durch ein Qualitätsmerkmal erfasst werden. So wird z.B. die Anforde-
rung „Großes Fassungsvermögen“ von keiner Produkteigenschaft voll erfüllt (feh-
lende Zuordnung einer „9“ in der entsprechenden Zeile im HoQ, siehe Abb. 23).
Hier besteht somit noch Handlungsbedarf.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 199

Wie im vorstehenden Kapitel ausgeführt, werden bei der Anwendung von TRIZ
(physikalische) Widersprüche von (technischen) Konflikten unterschieden:24
• Widersprüche befinden sich in der Beziehungsmatrix des HoQ. Dabei wird für
jedes Qualitätsmerkmal normalerweise nur eine Optimierungsrichtung darge-
stellt; die Beziehungswerte in der Matrix werden mit unterschiedlichen Vorzei-
chen versehen – Optimierung in Richtung Verstärkung (+), Optimierung in
Richtung Widerspruch (-). Dies hat den Vorteil, dass bei der Summenbildung
(als „Bedeutung“) alle positiven und alle negativen (konfliktbehafteten) Merk-
male getrennt ermittelt und beurteilt werden, einschließlich der Gewichtung der
Kundenbedürfnisse aus dem Q-Plan des HoQ.
• Konflikte in TRIZ sind die Merkmale, die (a) eine Abhängigkeit voneinander
haben und (b) eine gegenläufige Optimierungsrichtung: Wenn ein Merkmal
verbessert wird, verschlechtert sich das andere oder umgekehrt. Wie bereits an
anderer Stelle ausgeführt, werden die Korrelationen der (Qualitäts-) Merkmale
untereinander im „Dach des HoQ“ abgebildet. Nach dem Prinzip des paarwei-
sen Vergleichs lautet die Frage hier, wie sich das Merkmal X bei Optimierung
des Merkmals Y verändert (positiv oder negativ).
Mithilfe des Diagramms in Abbildung 27 – Bedeutung der Qualitätsmerkmale
– lassen sich Aussagen über die positiven bzw. negativen Auswirkungen der er-
mittelten Qualitätsmerkmale treffen. So besitzt z.B. das Merkmal „Material“ nur
positive Einflüsse auf die zu untersuchenden Kundenbedürfnisse. Die „Öffnungs-
bzw. Schließzeit“ hat aber sowohl einen positiven Einfluss auf das Bedürfnis

Abb. 27: Bedeutung der Qualitätsmerkmale

24 Weiterführende Ausführungen zur Verbesserung eines House of Quality (QFD) mit


TRIZ befinden sich im Artikel von Streckfuss (2006).
200 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

„Leichtes Öffnen“, als auch einen negativen Einfluss auf die Anforderung
„Schwer aufzubrechen“. Hier besteht somit ein Interessenkonflikt, welcher mithil-
fe des innovativen Problemlösens (TRIZ) gelöst werden kann. Hierauf wird im
folgenden Abschnitt kurz eingegangen.

4.2 Anwendung von TRIZ

Beim Entwickeln von Produkten gemäß der Markt- und Kundenanforderungen er-
geben sich nahezu immer Anforderungspaare, die sich gegenseitig ausschließen
und bei denen – nach verbreiteter Auffassung – ein technischer Kompromiss ge-
funden werden muss. TRIZ ist ein Verfahren zum Auflösen solcher Wider-
sprüche durch Finden einer neuen technischen Lösung oder Innovation, welche
die widersprüchlichen Anforderungen gleichzeitig erfüllen kann.
Im Beispiel ergab sich infolge der Analyse des HoQ, dass das Bestreben nach
einer kürzeren Öffnungs- und Schließzeit im Widerspruch zu einer Erhöhung der
Bruchkraft und -zeit steht (im HoQ durch die unterschiedlichen Vorzeichen er-
kennbar, siehe Abb. 23). Wenn also die Bedienzeit durch den Kunden verringert
werden soll, dann nimmt die Widerstandsfähigkeit des Produktes (Auto-Safe) ge-
gen den gewaltsamen Zugriff durch Fremde i.d.R. ab. Dieses Problem soll nun
durch eine mit TRIZ gefundenen Innovation aufgelöst werden. Dazu ist zunächst
das Ausfüllen der Innovations-Checkliste empfehlenswert:
1. Systembezeichnung
Zur Aufbewahrung von Wertgegenständen im PKW soll eine diebstahlsichere
Verwahrungsmöglichkeit, genannt Auto-Safe, entwickelt werden.
2. Problembeschreibung
Ausgehend von den ermittelten Kundenforderungen sollen eine hohe Bedien-
freundlichkeit durch schnelles/ leichtes Öffnen und Schließen bei gleichzeitig
hoher Einbruchsicherheit des Auto-Safe erzielt werden.
3. Funktionen, Aufgaben
Hauptaufgabe:
• Sicherung der Gegenstände vor Diebstahl
Nebenfunktionen:
• Bewahren der Gegenstände vor Beschädigungen
• Bedienfreundlichkeit
• Leichte Zugänglichkeit
• Unsichtbarkeit von Außen
• Einbaubarkeit in verschiedene Kfz-Typen
4. Umfeld des Systems
Keine Behinderung anderer Funktionen im Fahrzeug durch den Auto-Safe
5. Energiearten
• Elektrische Energie (Autobatterie)
• Thermische Energie (Motorabwärme)
• Kinetische Energie (Kfz-Fortbewegung)
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 201

6. Weitere Detail-Informationen zum Problem


Zur Gewährleistung des Sicherheitsniveaus ist eine massive Bauform not-
wendig. Ein entsprechender Öffnungs- und Schließmechanismus kostet den
Kunden relativ viel Zeit beim Verwahren der zu schützenden Gegenstände.
7. Grenzen, feste Vorgaben des Systems
Das Sicherheitsniveau des Safes darf nicht reduziert werden. Die Gesetze und
Normen zur Kfz-Sicherheit sind einzuhalten.
8. Ähnliche Lösungen
• Elektrozaun
• Militärtechnik:
- Flugabwehrsysteme (Feindfrüherkennung und gezielte Eliminierung)
- Tarnungen (Nichtauffinden durch Feind)
9. Qualitätsmerkmale
• Soll Aufmerksamkeit bei Einbruch erregen
• Schwer aufzubrechen
• Inhalt darf nicht beschädigt werden
• Leichte Zugänglichkeit
• Unterteilung (z.B. Fächer)
• Darf Funktionalität des Kfz nicht beeinflussen
• Hohes Fassungsvermögen
• Von außen unsichtbar
10. Idealität ID: Erwünschte Funktionen / Unerwünschte Funktionen
Erwünschte Funktionen:
• Sichern
• Kfz-Einbau in alle Typen
Unerwünschte Nebenfunktionen:
• Gewicht
• Öffnungs-/ Schließzeit
• Platz
• Beeinträchtigung des Kfz
Das ideale System sichert 100% gegen Diebstahl. Es hat kein Gewicht; der
Zugriff auf die Gegenstände erfordert keine zusätzliche Zeit. Das System lässt
sich in alle gängigen PKW-Typen einbauen.
11. Bisherige Lösungsvorschläge
• Abschließbares Handschuhfach
• Kofferraum
• Baumarktsafe im Kofferraum installiert
12. Lösung
Ein Gerät soll installiert werden, welches beim Abschließen des PKW ein
Hochspannungsfeld vor dem Aufbewahrungsfach (i.A. Handschuhfach) auf-
baut, welches den Dieb bei versuchtem Zugriff elektrifiziert.
202 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

Für die Lösungsfindung wurden die 40 Innovativen Prinzipien nach Altschuller


verwendet. Als zu verbessernder Parameter wurde der „Zeitverlust“25 angegeben.
Dieser sollte bei der Bedienung des Auto-Safes minimal sein. Als nicht erwünsch-
te Veränderung wurde der „Verlust von Inhalt (Substanz)“26, also das Wegkom-
men der zu sichernden Gegenstände, gewählt.
Nach der Widerspruchsmatrix ergeben sich die folgenden Innovationsansätze:
• Nr. 10 Vorgezogene Aktion: Die erforderliche Wirkung ist vorher zu erzielen
(vollständig oder auch teilweise).
• Nr. 24 Mediator, Vermittler: Es ist ein Zwischenobjekt zu benutzen, das die
Wirkung überträgt, weitergibt oder auf sich nimmt.
• Nr. 35 Eigenschaftsänderung: Hierzu gehören nicht nur einfache Übergänge,
z.B. vom festen in den flüssigen Zustand, sondern auch die Übergänge in
„Pseudo- oder Quasizustände“, z.B. die Quasiflüssigkeit und in Zwischenzu-
stände, z. B. die Verwendung elastisch fester Körper.
Als vorgezogene Aktion ist z.B. eine Alarmsicherung des PKW möglich. Bei
Berührung gibt diese einen Alarmton von sich, wodurch der Dieb abgeschreckt
wird und flüchtet. Das System wäre klein, leicht und ließe sich beim Aufschließen
des Fahrzeugs automatisch deaktivieren, so dass kein Zeitverlust für die Bedie-
nung auftritt. Ansonsten könnte der PKW wie zuvor genutzt werden. Die Gegen-
stände lassen sich bei dieser Lösung in einem herkömmlichen Handschuhfach ver-
stauen. Leider existieren solche Systeme schon in zahlreichen Varianten am Markt
und eine Marktneueinführung wäre wenig aussichtsreich.
Auch das Umrüsten des Handschuhfaches als vorgezogene Aktion ist denkbar.
Beim Schließen des PKW wird vor dem Fach automatisch ein Hochspannungsfeld
aufgebaut. Kommt der Dieb in die Nähe des Faches wird er elektrifiziert. Analog
zu den in der Innovations-Checkliste unter 8. erwähnten (bisherigen) Lösungen,
würde eine solches System den Dieb also eher direkt angreifen, als sich vor die-
sem zu verteidigen. Der Vorteil liegt auch hier darin, dass der herkömmliche Nut-
zen des PKW kaum verändert wird und sich das Gerät in alle Kfz einbauen lässt.
Es würde kein zusätzlicher Aufwand für den Bediener entstehen, und ein solches
Gerät wäre zudem leicht und platzsparend. Im Vergleich zu den bisherigen Lö-
sungsvarianten hätte ein solches System bessere Marktchancen, aber nur unter der
Voraussetzung, dass das Problem der Energiezufuhr gut gelöst ist.
Als Mediator könnte z.B. eine herkömmliche Einkaufstüte eines Discounters
dienen. Diese beherbergt die zu schützenden Gegenstände und steht einfach auf
dem Beifahrersitz. Sie vermittelt dem Dieb den Anschein von Wertlosigkeit (Ei-
genschaftsänderung) und wird selbst bei Einbruch in den PKW nicht mitgenom-
men. Der Zugriff durch den Kunden kann schnell und einfach geschehen. Es ist
aber davon auszugehen, dass sich ein solches Produkt nur schwer vermarkten lie-
ße.

25 Parameter (25): Zunehmender Zeitbedarf zur Erfüllung einer vorgegebenen Funktion.


26 Parameter (23): Abnahme oder Verschwinden von Material, insbesondere wenn nicht ge-
arbeitet oder produziert wird.
QFD, DOE und TRIZ als wirkungsvolle Methoden im Rahmen von DFSS 203

Als Eigenschaftsänderung wäre eine scheinbare Änderung von „sichtbar“ in


„unsichtbar“ denkbar. Beim Öffnen des Handschuhfaches oder einer ähnlichen
Verwahrungseinheit durch den Dieb, wird ein künstliches Bild visuell eingeblen-
det oder durch einen LCD-Bildschirm angezeigt. Dieses täuscht dem Eindringling
ein leeres Fach vor, woraufhin dieser den PKW wieder verlässt, ohne die tatsäch-
lich im Fach befindlichen Gegenstände mitzunehmen. Auch hier besteht das Prob-
lem allerdings darin, dass sich die Technik schnell herumsprechen würde.
Abschließend bleibt festzuhalten: Mit TRIZ wird das Ideenspektrum anhand
definierter Verfahrensschritte und Kriterien systematisch erweitert. Eine prakti-
kable und ideale Lösung fällt einem dabei aber nicht zu. Der Vorteil liegt vielmehr
darin, dass Lösungsprinzipien, die bisher unvereinbar erschienen, auf dieser Basis
systematisch abgeglichen und abgemildert werden können, so dass die innovative
Leistung in der Kombination bisher widersprüchlicher Lösungskomponenten be-
steht.

5 Literatur

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204 Gerd Streckfuß, Swen Günther, Armin Töpfer

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Kapitel C

– Umsetzung von und Erfolge mit Lean


Management, Lean Six Sigma und
Design for Six Sigma –
Lean Manufacturing als Grundlage für die konti-
nuierliche Verbesserungsarbeit bei AMD Saxony

Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

Inhalt

1 Das Unternehmen Advanced Micro Devices (AMD) ..............................207


2 Lean Manufacturing in der Halbleiter-Industrie.......................................208
3 Einführung von Lean Manufacturing bei AMD .......................................209
4 Beispiele der Verbesserungsarbeit bei AMD Saxony ..............................216
4.1 Optimierung und Standardisierung der Arbeitsorganisation ....................216
4.2 Steigerung der Anlagenverfügbarkeit durch Wartungsoptimierung.........221
4.3 Test und Einführung von Flow und Takt für die Produktionssteuerung ..225
5 Wirkungen der Aktivitäten und nächste Schritte......................................229
6 Abschließende Betrachtung der kritischen Erfolgsfaktoren .....................230
7 Literatur....................................................................................................232

1 Das Unternehmen Advanced Micro Devices (AMD)

Advanced Micro Devices Inc. ist einer der führenden, global tätigen Hersteller
von innovativen Prozessoren für Computing, Grafik und Consumer Electronics.
AMD wurde 1969 gegründet und steht für innovative Computing-Produkte, die
Kunden weltweit in ihrer Position stärken. Mit Entwicklungs- und Fertigungs-
standorten in den USA, Deutschland und Asien ist das Unternehmen weltweit ver-
treten. In Deutschland ist AMD einer der größten internationalen Investoren des
vergangenen Jahrzehnts. AMD konzentriert seine Frontendaktivitäten der Mikro-
prozessorenfertigung in der sächsischen Landeshauptstadt. In den Standort Dres-
den mit seinen Halbleiterwerken Fab 30/ Fab 38 und Fab 36 (siehe Abb. 1) sowie
den Entwicklungszentren Dresden Design Center (DDC) und Operating System
Research Center (OSRC) wurden bis Ende 2006 mehr als 5 Mrd. US-$ investiert.
AMD produziert in den Halbleiterwerken Fab 30 und Fab 36 seine erfolgrei-
chen Prozessor-Familien für Desktop- und Mobile-Anwendungen, Server und
Workstations, z.B. AMD Opteron und AMD Athlon. Zurzeit arbeiten rund 3.000
hochqualifizierte Ingenieure, Techniker und Spezialisten in den beiden Halblei-
terwerken sowie im Dresden Design Center, dem europäischen Zentrum von
AMDs Produktentwicklung, und dem Operating System Research Center. Das
OSRC optimiert künftige Generationen von Mikroprozessoren auf die Anforde-
rungen modernster Betriebssysteme.
Die Halbleiterindustrie ist charakterisiert durch hoch volatile Nachfrage- und
Konjunkturzyklen, welche die Planung, Marktvorhersagen und Investitionsrisiken
beeinflussen.
208 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

Fab 30
AMDs Fab 30 gilt weltweit als eines der führenden Halbleiterwerke zur Herstellung von Mikro-
prozessoren auf 200 mm-Wafern. Seit Produktionsstart im Jahr 1999 hat Fab 30 regelmäßig zu-
kunftsweisende Technologien in die Volumenfertigung überführt und den Ruf von AMD als ein an-
erkannter Technologieführer gestärkt

Fab 36
Die zweite Großinvestition von AMD in Dresden baut auf den Erfolg von Fab 30. Ende 2003 wurde
der Grundstein für Fab 36, AMDs erstem Werk für 300 mm-Wafer, gelegt. Ende 2005 nahm die
hochautomatisierte Fabrik ihre Produktion von Mikroprozessoren in 90 nm-Technologie auf. Erste
Lieferungen an den Markt erfolgten planmäßig im ersten Quartal 2006. Derzeit fertigt Fab 36 in 65
nm-Technologie

Fab 38
AMDs neuestes Halbleiterwerk wird den Namen Fab 38 tragen. Es entsteht derzeit durch eine
grundlegende Neugestaltung des bisherigen 200 mm-Werkes Fab 30. Die Ausrichtung der Pro-
duktion auf 300 mm-Wafer erlaubt, mehr als doppelt so viele Prozessoren auf einem Wafer zu fer-
tigen

Abb. 1: Halbleiterwerke von AMD in Deutschland

Das wirtschaftliche Umfeld von AMD ist geprägt durch ein hohes Innovations-
tempo, einen schnellen Preisverfall für aktuelle Produkte und einen marktbeherr-
schenden Konkurrenten (Intel Corp.). Das erfordert die kontinuierliche Entwick-
lung neuer Produkte und Technologien innerhalb kurzer Zeitintervalle. Die einge-
setzten Fertigungsanlagen und -methoden sind zum Zeitpunkt der Installation
i.d.R. noch nicht vollkommen ausgereift und werden mit hohem Tempo an den
De-facto-Bedarf von AMD kontinuierlich angepasst und weiter verbessert.
Die Fertigung ist hochkomplex und hochautomatisiert. Die Wafer durchlaufen
mehrere hundert Bearbeitungsschritte; die Durchlaufzeiten bis zur Auslieferung an
die Kunden liegen dabei in der Größenordnung von nahezu einem Quartal. Die
Anlagenverfügbarkeiten befinden sich in der Größenordnung von 70-95%. Die
Fertigung läuft ohne Ruhezeiten im Vollschicht-System 24 Stunden pro Tag an 7
Tagen in der Woche.

2 Lean Manufacturing in der Halbleiter-Industrie

Das Organisationskonzept Lean Manufacturing hat einerseits in Literatur und Pra-


xis vielfach den Ruf eines methodischen „Jobkillers“. Andererseits glorifizieren
zahlreiche Autoren wiederum Lean Manufacturing als ultimatives Mittel zum
nachhaltigen unternehmerischen Erfolg. Die sagenhafte Erfolgsstory von Toyota
zu kopieren, scheint allerdings nicht trivial zu sein. Selbst branchengleiche Unter-
nehmen tun sich teilweise schwer, die „Rezepte“ in die jeweilige Organisation zu
transferieren.
Lean Manufacturing bei AMD Saxony 209

Eine Branche, in der es bislang sehr wenige Bestrebungen gab, diese Ansätze
aufzugreifen, ist die Halbleiterindustrie. Hier gilt bzw. galt aufgrund erheblicher
Investitionskosten für Anlagen, hoch anspruchsvoller Technologien und komple-
xer Produktionsaufgaben bislang die oberste Priorität der möglichst hohen Anla-
genauslastung. Die Herstellung von Prozessoren erfordert ein ausgeprägtes „Fin-
gerspitzengefühl“. Es ist eine Gratwanderung zwischen Finanzierbarkeit und tech-
nologischer Spitzenleistung, zwischen Zuverlässigkeit in der Kundenlieferung und
Kontinuität in der radikalen Weiterentwicklung, z.B. in Form von regelmäßigen
Produktinnovationen.
Diese Herausforderungen führten in der Vergangenheit dazu, in den AMD-
Standorten den Fokus auf die Anlagenauslastung und -verfügbarkeit zu richten.
Gleichzeitig arbeitete das Unternehmen mit relativ hohen Beständen an Material-
und Personalressourcen. Die Gesamtdurchlaufzeit, die als eine der wichtigsten
Messgrößen im Rahmen von Lean Manufacturing zählt, ist in dieser Konstellation
nur eine von vielen Kenngrößen.
Das Bewusstsein, Durchlaufzeiten zu reduzieren, die neben wertschöpfenden
auch nicht-wertschöpfende Zeiten wie Wartezeiten, Transport oder Lagerung
beinhalten, stand in dieser Phase nicht im Vordergrund. Mit Hilfe der Denkweise
von Lean Manufacturing sollte hier angesetzt werden und die Organisation im
Hinblick auf kürzere Durchlaufzeiten und niedrigere Bestände optimiert werden.
In den folgenden Kapiteln gehen wir auf die Ausgangslage bei AMD Saxony in
2004/ 05 ein, stellen die Prinzipien und die Vorgehensweise der Einführung von
Lean Manufacturing in der Halbleiterindustrie vor und zeigen auf, welche Heraus-
forderungen sich im Laufe des Einführungsprozesses ergaben und wie wir ansetz-
ten, um diese zu meistern. In Beispielen wird beschrieben, welche Vorgehenswei-
se wir zur schrittweisen Organisationsveränderung gewählt haben und welche
Wirkungen, Erfahrungen und ersten Ergebnisse dabei erzielt wurden. Da unsere
„Lean Journey“ gerade erst begonnen hat, ist diese Darstellung ein Zwischenbe-
richt einer fortschreitenden Umgestaltung.

3 Einführung von Lean Manufacturing bei AMD

Vor zehn Jahren startete AMD eine Initiative, genannt „Journey to Excellence“.
Diese strategische Entwicklung beeinflusste u.a. wesentlich die Organisationsge-
staltung in dem 1999 in Betrieb genommenen Werk in Dresden. Als eine häufig
hervorgehobene Säule des Erfolgs bei AMD Saxony gilt das von Beginn an etab-
lierte Konzept der Teamarbeit in der Produktion. Diese Organisationsform ermög-
licht einen relativ hohen Grad an Selbstständigkeit der Mitarbeiter und damit ver-
bunden ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein und Flexibilität.
Bei der Einführung der Teamarbeit baute man auf standardisierte Arbeitsaufga-
ben auf. Die eigentliche Teamorganisation und die Arbeitsteilung in den Teams
hat sich unterschiedlich entwickelt, so dass in den vergleichbaren Teams verschie-
dener Schichten sich keine gleiche Arbeitsorganisation etabliert hat. Hier gab es
Freiräume, die individuell genutzt wurden.
210 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

Im Rahmen dieser Einführung der Teamarbeit wurden auch erste Verbesse-


rungsprojekte in den Arbeitsgruppen durch Zielvereinbarung der Schichtleiter mit
den Teams initiiert (siehe Abb. 2). Diese konzentrierten sich anfangs vor allem auf
die Teamentwicklung, die Weiterqualifikation und die Abstimmung innerhalb der
Teams. Im zweiten Schritt wurden Projekte in den Arbeitsgruppen bearbeitet, die
als Zielstellungen Kosteneinsparungen, Durchlaufzeitverkürzungen und bessere
Anlagenverfügbarkeiten verfolgten.

Production Metrics
Visuali-
Produktionsorientiertes
Kennzahlensystem sierung

Flexible Teamziele
Ziele der Fab
Zielvereinbarungs- und Umsetzungsprozess Erhöhung der
30, des Produktivität
Modules Umsetzen/Verbessern

Ideen-
Management

Abb. 2: Flexible Teamziele zur Erhöhung der Produktivität

Im Gegensatz zu Verbesserungsaktivitäten in anderen Unternehmen war der


Nachweis der tatsächlich eingesparten Kosten eine relativ einfache Aufgabe.
Schwieriger gestaltete sich die Bewertung von Verringerungen von Prozesszeiten,
Wartezeiten oder Arbeitsaufwänden in einzelnen Produktionsschritten. Selbst mit
einer gemeinsam definierten Berechnungsmethode ließ sich die Gesamtwirkung
nur als Abschätzung aufzeigen.
Der Fokus auf Kosteneinsparungen förderte die Beschäftigung mit ausschließ-
lich lokalen Optimierungen, die nicht selten auch mit der Begründung fehlender
Beeinflussbarkeit einhergingen. So ist etwa die Materialkostenoptimierung durch
konzentrierte Fahrweise von Anlagen (Chargenfertigung) bisweilen losgelöst von
deren Wechselwirkung mit einem stabilen Produktionsfluss betrachtet worden.
Die Konkurrenz zwischen Kennzahlen wie Kosten und Cycle Time mündete in
konfligierende Prioritäten, z.B. stellte sich die Frage, ob eher Testwafer gespart
oder schnellere Durchläufe als Zielgröße erreicht werden sollten.
Bei den Verbesserungsprojekten hat man sich oft nur auf eine Zielgröße kon-
zentriert, z.B. Kosteneinsparung, und dabei ausgeklammert, dass u.U. andere Leis-
Lean Manufacturing bei AMD Saxony 211

tungskennzahlen durch die Aktivität negativ beeinflusst werden. So wurden mit-


unter lokale Verbesserungen erreicht mit dem Nebeneffekt der Verschlechterung
von Produktionsparametern in anderen Bereichen. Die Frage nach unerwünschten
Wirkungen im Gesamtbild blieb eher wenig beleuchtet. Erst mittels der Prinzipien
des Lean Manufacturing gelang es, einen Orientierungsrahmen zu etablieren. Die-
ser ermöglicht es, lokale Optimierungen in den Bereichen ohne Beachtung even-
tueller unerwünschter Nebenwirkungen oder die Beschäftigung mit Personal- oder
Teamentwicklungen ohne eine übergreifende Zielstellung zu vermeiden.
Ein erster Test dieser „gesteuerten Verbesserungsarbeit“ wurde im Rahmen der
Teamarbeit in 2002 als Pilot in einer Abteilung gestartet. Hier wurde, so wie es in
vielen Lean-Beispielen beschrieben wird, mit der bekannten 5A-Methode1 begon-
nen. Sie zielt zunächst formal auf die Schaffung eines geordneten und durchdach-
ten Arbeitsumfeldes als Basis für effektives und effizientes Arbeiten (siehe Abb.
3). Langfristig wird der Mitarbeiter durch kontinuierliche Audits indirekt ange-
regt, sich immer wieder intensiv mit seinem Arbeitsumfeld zum Zwecke der Fo-
kussierung auf Verbesserungspotenziale auseinanderzusetzen.

Die 5A Aktion
Self-
Self-discipline
Alle Punkte einhalten und
stä
stäby
Sustain ndig verbessern
making 5A second nature

Standardize
Anordnungen Sort
Aussortieren
Makezur Regel
routine and
standard for what
Remove unnecessary
items from the
oughtmachen
to be workplace

Angenehmer
Agreeable
Arbeiten
Working

Sweep
Arbeitsplatz Straighten
Aufrä
Aufräumen und Ordnung
Locate everything close
sauber
Clean halten
and eliminate
the sources of filth sichtbar machen
to the point of use
© Kaizen Institute

Abb. 3: Inhalte der 5A-Methode

Die Vorteile der 5A-Methode sind: geringere Suchzeiten von Werkzeugen, Tei-
len und Verbrauchsmitteln, weniger Platzbedarf, da unnötige Teile aussortiert
werden, solidere Basis für Routineaufgaben, denn alle benötigten Werkzeuge und
Betriebsmittel liegen bereit. In diesem Sinne bildet die 5A-Methode eine gute Ba-
sis für weiterführende Verbesserungen, wie beispielsweise die Wartungsoptimie-

1 Im engl. oder jap. Sprachraum auch unter 5S-Methode bekannt.


212 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

rung. Abbildung 4 zeigt die Vorher-/ Nachher-Bilder von einem Materialschrank,


dessen Ablagesystem mithilfe der 5A-Methode optimiert worden ist. Die Gefahr,
die falschen Teile oder Werkzeuge zu greifen, wurde hier deutlich verringert.

Abb. 4: Vorher-/ Nachher-Bilder von einem mit 5A optimierten Materialschrank

Ein weiterer Schritt in die strukturierte, methodisch begleitete Verbesserungs-


arbeit erfolgte mit der Entwicklung einer Vorgehensweise zur Optimierung von
Wartungsarbeiten. Hierbei stand die unter dem SMED-Akronym2 oder auch Rüst-
zeitoptimierung bekannte Methodik nach Shigeo Shingo (1992, S. 119) Pate. Die
Übertragung dieser Denkweise auf Wartungsvorgänge etablierte einen Orientie-
rungsrahmen für Verbesserungsprojekte, welche durch Reduktion des Wartungs-
aufwandes die Anlagenverfügbarkeit deutlich verbesserte. Die Methode wurde pi-
lotiert und aufgrund des Erfolges sowie zahlreicher stattgefundener paralleler Er-
fahrungsaustauschrunden innerhalb von zwei Jahren in allen Produktionsabteilun-
gen zum Einsatz gebracht.
Für eine stärkere Wirksamkeit und die Erarbeitung der methodischen Struktu-
rierung der Verbesserungsarbeit wurde bereits Ende 2003 in Operations eine
Stabsstelle geschaffen. Aber das „systematische Verbesserungsgeschäft“ stand zu
diesem Zeitpunkt noch nicht im Vordergrund, um die strategischen Ziele des Un-
ternehmens zu erreichen (siehe Abb. 5).
Organisationswissenschaftler, insbesondere Vertreter der Population Ecology
Perspective wie Hannan/ Freeman (1989), argumentieren, dass Organisationsver-
änderungen durch externe Kräfte, z.B. krisenartige Umweltveränderungen, er-

2 Single-Minute Exchange of Die – Umrüsten in weniger als 10 Minuten.


Lean Manufacturing bei AMD Saxony 213

zwungen werden. Eine solche Organisationsveränderung erfuhr AMD in 2003, als


die Nachfrage nach Halbleiterprodukten stark zurückging.

Abb. 5: Strategische Ziele von AMD 2005-2007

Die Anfang 2005 gestartete Lean Manufacturing-Initiative wurde durch einen


Vertreter des oberen Managements eingefordert und geleitet. Er betrachtete die
Einführung von Lean Manufacturing und des Toyota-Produktionssystems als das
geeignete Vehikel zur Zielerreichung und trieb infolgedessen diesen Ansatz mit
hohem Engagement voran. Die gesamte Initiative wurde
• bereichsübergreifend aufgesetzt,
• mit einem langfristigen Zielhorizont gesteuert,
• ausreichend mit internen und externen Ressourcen3 ausgestattet und
• zielorientiert konzentriert vorangetrieben.
Innerhalb weniger Monate gelang es dadurch, die Initiative, die unter dem Titel
KVP@AMD bekannt ist, zu einem erfolgreichen Programm der Verbesserungsar-
beit zu gestalten. Bereits in 2005 wurde die Durchlaufzeit (Cycle Time) signifi-
kant reduziert bei gleichzeitiger Erhöhung des Produktionsergebnisses (Wafer
Starts) und bei nur minimalen Investitionen.
Eine wichtige Quelle für Anregungen, wie diese Veränderung angegangen
werden konnte, lieferten die Ausführungen von Womack/ Jones (2004, S. 290-
299). Sie beschreiben in vielen einzelnen Fallstudien, wie Lean Manufacturing-
Projekte erfolgreich organisiert und umgesetzt wurden (siehe Abb. 6).

3 Zeitweise Begleitung durch japanische Berater.


214 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

• Finden Sie einen Change Agent


• Beschaffen Sie sich das Wissen über Lean Manufacturing
• Setzen Sie den Hebel bei einer Krise an
• Vergessen Sie für einen Augenblick die große Strategie
• Beginnen Sie so bald wie möglich mit einer wichtigen und
sichtbar-erfolgreichen Aktivität
• Erfassen Sie die Wertströme
• Bestehen Sie auf sofortigen Resultaten
• Erweitern Sie den Radius
Quelle: Womack und Jones, 2004

Abb. 6: Empfehlungen für die Startphase von Lean Manufacturing

Die Lean-Leitgedanken wurden in einer Startveranstaltung vorgestellt und im


Managementkreis diskutiert (siehe Abb. 7; vgl. hierzu auch Abb. 4 im Artikel zu
Lean Management und Six Sigma von Töpfer in Kap. A.). Danach bildeten sie die
Grundlage für jeden der über 50 in 2005 durchgeführten mehrtägigen
KVP@AMD-Workshops.

Abb. 7: Die fünf Leitgedanken von Lean als Basis für KVP@AMD
Lean Manufacturing bei AMD Saxony 215

Neben dem kontinuierlich wachsenden Pool von Verbesserungsbeispielen aus


der eigenen Firma wurde in Expertenteams an strategischen Themen, u.a. der Pro-
duktionssteuerung nach Takt- und Pull-Prinzipien, Kommunikation des Verände-
rungsprozesses, interner Methodenentwicklung und Moderatorenausbildung oder
auch Veränderungen des Führungsverhaltens gearbeitet. So entstand ein immer
breiterer Kreis von „qualifizierten Verbesserern“. Parallel hierzu wurden strate-
gisch wichtige Themen der Veränderung aufgegriffen.
Die Konzernspitze entschied im Frühjahr 2006, Fab 30 auf neue Technologien
und 300 mm-Wafer umzurüsten. Die Konvertierung der Fab 30 zu Fab 38 war die
dritte Milliardeninvestition in den Standort Dresden innerhalb eines Jahrzehnts.
Gleichzeitig wurden die vorher für das Lean-Programm eingesetzte „Energie“ nun
in das Konvertierungsprojekt umgelenkt.
Gleichzeitig wurde, angeregt von den in Dresden erzielten Erfolgen, eine stand-
ortübergreifende, globale Lean-Initiative gegründet – das ADVANCE Office. In
Zusammenarbeit mit Porsche Consulting beschrieb und analysierte das Team den
gesamten Wertfluss und definierte geeignete Ansatzpunkte für weitere Verbesse-
rungen. Außerdem wurden in diesem Rahmen AMD Lean-Prinzipien erarbeitet,
welche als Richtlinie für die weitere Entwicklung und als Unternehmensstrategie
verankert wurden (siehe Abb. 8).
ADVANCE-Initiative
AMD ist durch sechs Lean Prinzipien geprägt

Unser Verständnis von Wertschöpfung


KUNDEN wird ausschließlich durch unsere Kunden
ORIENTIERUNG definiert damit wir fertigungsgerechte und
hochinnovative Lösungen liefern können.

Material und Informationen fließen in


definierten und verschwendungsfreien
FLUSS Prozessen, ohne Unterbrechung und
Verzögerung durch die gesamte
Wertschöpfungskette.
red
Ausrichtung auf die Kundenanforderung owe
durch Synchronisation aller internen P by
n
Le a
TAKT Aktivitäten und Prozesse in der
Wertschöpfungskette auf den Kunden-
TAKT.

Wir entwickeln und produzieren


ausschließlich Produkte aufgrund von
PULLPRINZIP
Kundenanforderung und Nutzen unsere
Kunden.

Akzeptiere keine Fehler !


Produziere keine Fehler !
NULL FEHLER
Gib keine Fehler weiter !
Null-Fehler sind unser Ziel

Kontinuierliche Verbesserung liegt uns im


KONTINUIER- Blut. Unsere Unternehmenskultur ist darauf
LICHE ausgelegt, alle Mitarbeiter aktiv
VERBESSERUNG einzubeziehen um eine hohe
Kundenzufriedenheit sicher zu stellen.

Abb. 8: Die 6 AMD Lean-Prinzipien


216 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

So wurde der Lean-Gedanke in Projekten bei asiatischen Standorten auf den


Produktentwicklungsprozess und andere Bereiche übertragen. Auch hier konnten
in 2006 bemerkenswerte Erfolge verzeichnet werden.
Im Rahmen der Einführung von Lean Manufacturing wurde besonders Wert da-
rauf gelegt, nicht nur Tools und Methoden zur Erhöhung der Effizienz von einzel-
nen Organisationseinheiten anzuwenden, sondern eine umfassende Umsetzung des
Konzeptes zu initiieren. In der Literatur findet sich ein breites Spektrum an Me-
thoden und Werkzeugen zur konkreten Verbesserungsarbeit, wie sie beispielswei-
se von Toyota Motors verwendet werden. Aber erst die Einbindung in ein konkre-
tes Programm, die Vorgabe von strategischen Zielen und die kontinuierliche Ver-
knüpfung mit den Rahmenbedingungen führte zu der gewünschten „neuen Quali-
tät“.
In den o.g. KVP@AMD-Workshops wurden daher auf der Basis eines umfas-
senden Masterplans Verbesserungsprojekte initiiert, die konkret an die definierten
3-Jahres-Ziele ankoppelten (siehe hierzu Abb. 5). Im Fertigungsbereich ergaben
sich drei große Schwerpunkte der Verbesserungsarbeit:
1. Optimierung und Standardisierung der Arbeitsorganisation
2. Steigerung der Anlagenverfügbarkeit
3. Test und Einführung von Flow und Takt.
Zusätzlich wurden im administrativen Bereich in zahlreichen Projekten die 5A-
Methode sowie die bereichsübergreifende Prozessoptimierung realisiert. In allen
Verbesserungsprojekten war das Thema „Standardisierung“ ein zentraler Ansatz-
punkt. Dadurch konnte zum einen für die anstehenden Verbesserungen eine Basis
geschaffen werden und zum anderen die Nachhaltigkeit umgesetzter Optimierun-
gen gewährleistet werden.
Im Folgenden wird anhand von drei Beispielen aufgezeigt, wie die drei großen
Themenkomplexe – Arbeitsorganisation, Anlagenverfügbarkeit/ Wartungs-opti-
mierung (Preventive Maintenance – PM) und Einführung eines kontinuierlich flie-
ßenden und getakteten Materialflusses – in Workshops adressiert und mittels
Lean-Werkzeugen verbessert wurden.

4 Beispiele der Verbesserungsarbeit bei AMD Saxony

4.1 Optimierung und Standardisierung der Arbeitsorganisation

Die bei AMD eingeführte Teamarbeit war für ein junges engagiertes und stetig
wachsendes Team gut angelegt. Der hohe Freiheitsgrad in der Arbeitsverteilung
und -ausgestaltung der Arbeitsteams in der Produktion führt häufig zu sehr unter-
schiedlichen Arbeitsweisen in den Schichten.
Im Rahmen der Produktivitätssteigerungsprojekte war es vorgesehen, gemein-
sam mit den Mitarbeitern durch Arbeitsplatzanalysen die Produktivität der Mitar-
beiter anschaulich zu machen und schichtübergreifend eine optimierte Arbeitsor-
Lean Manufacturing bei AMD Saxony 217

ganisation zu schaffen. Aus ersten Testrunden entwickelte sich schnell eine struk-
turierte Vorgehensweise, welche mittlerweile in über 20 Workshops zum Thema
„Arbeitsorganisation“ Anwendung findet. Die Optimierung wurde i.d.R. in zwei
Schritten vollzogen.
Ein erster Workshop fokussiert auf die Analyse der bestehenden Tätigkeiten
und beschäftigt sich intensiv mit der Umverteilung von Aufgaben. Ziel ist es, die
Aufgaben im Team neu zu verteilen, so dass sich die vorher auf mehrere Mitarbei-
ter verteilten Pufferzeiten auf eine oder zwei Personen konzentrieren und damit
weniger Personal gebunden ist. Hierfür wurden mit den Mitarbeitern die zum ge-
samten Arbeitspaket gehörenden Tätigkeiten erfasst und analysiert, und zwar nach
Häufigkeit, Dauer und Verteilung auf die verschiedenen Qualifikationen im Team,
die Belastung der einzelnen Mitarbeiter mit diesen Tätigkeiten auf anonymisierter
Basis und deren Gesamtauslastung pro Schicht.
Ein zweiter Workshop, meist ein paar Monate später, beschäftigt sich dann
hauptsächlich mit der Frage, wie einzelne Tätigkeiten und Arbeitspakete in sich e-
liminiert, vereinfacht, kombiniert oder umgruppiert werden können. Detailabläufe
von Arbeiten werden hinsichtlich ihres Wertschöpfungsanteils auf den Prüfstand
gestellt. Mit geeigneten Maßnahmen werden Verschwendungen aus diesen ent-
fernt. Als gutes Hilfsmittel für derartige detaillierte Analysen von Tätigkeiten er-
wies sich die mehrfache Dokumentation von Tätigkeiten in verschiedenen Schich-
ten durch Videoaufnahmen. Das Erkennen von unterschiedlichen Vorgehenswei-
sen, indem die Filme wieder und wieder betrachtet und im Team diskutiert wur-
den, führte in vielen Fällen zu Verbesserungsideen.
Die Entscheidung, dass Einsparungen personalneutral durchgeführt werden,
war eine wesentliche Voraussetzung für die aktive Mitwirkung der Mitarbeiter zur
Optimierung ihrer Arbeitsplätze. AMD war in 2005/ 06 in der günstigen Lage, al-
len Mitarbeitern im Falle der „Wegrationalisierung“ eine attraktive Alternative
anzubieten; das neu entstehende Werk Fab 36 suchte dringend qualifizierte Kräfte.
Diese Option half, die notwendigen Veränderungen zu realisieren.4
Die Workshops hatten eine Dauer von drei bis vier Tagen und erforderten eine
Vorbereitungszeit von ca. vier bis sechs Wochen. Es nahmen jeweils 10 bis 16
Mitarbeiter teil. Hauptakteure waren Vertreter aus den Schichten – die Mitarbeiter
der Produktion. Außerdem waren das Management und Moderatoren, Wartungs-
personal und zum Teil die Kollegen aus unterstützenden Abteilungen, wie Indus-
trial Engineering und Production Control sowie Prozessingenieure vertreten.
In Vorbereitungsmeetings wurde das Workshopteam mit dem Vorgehen ver-
traut gemacht. Außerdem vereinbarte man das Vorgehen und den Zeitraum zur
Zeiterfassung von Tätigkeiten (siehe Abb. 9).

4 Dieser Aspekt ist sehr wichtig, denn die Einführung des ganzheitlichen Konzeptes „Lean
Manufacturing“ mit dem darunter liegenden Gedanken der intensiven Einbeziehung der
Mitarbeiter und der Verankerung einer von den Mitarbeitern unterstützten kontinuier-
lichen Verbesserung wäre gescheitert, wenn die Mitwirkung der Mitarbeiter zu Nachtei-
len geführt hätte. Nicht umsonst haben Unternehmen wie Toyota eine Arbeitsplatz-
garantie für die Mitarbeiter, um sicherzustellen, dass eine maßgebliche Beteiligung er-
folgt (wobei das nicht gilt für temporäre Mitarbeiter wie Saisonkräfte, Aushilfen etc.).
218 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

Abb. 9: Formblatt zur Erfassung von Tätigkeiten

Hierbei sammelten die Teilnehmer zunächst im Brainstorming alle denkbaren


Aufgaben der Gruppe. Anschließend wurde in vom Zeitaufwand her planbare und
Lean Manufacturing bei AMD Saxony 219

undefinierte Aufgaben (Sondertätigkeiten) unterschieden und für die zeitlich


messbaren Aufgaben eine Zeitschätzung vorgenommen bzw. eine verbindliche
Zeitmessung als Ausgangsdatum vereinbart.5 Teil der Vorbereitung auf den Work-
shop war dann die Tätigkeiten-Datensammlung aller Mitarbeiter anhand von Da-
tenblättern, die über einen definierten Zeitraum (meist zwei bis drei Schichttage je
Schicht) per individueller Aufschreibung dokumentiert wurden. Für zeitlich defi-
nierte Tätigkeiten wurden teilweise pro Toolgruppe per Strichlisten Häufigkeiten
erfasst und die Sondertätigkeiten in ihrem zeitlichen Umfang notiert.
Die Aggregation dieser Einzelerfassungen pro Mitarbeiter und Schicht wurde
durch die Workshopteilnehmer vorgenommen. Auf diese Weise konnte mit den
Daten gearbeitet werden, welche die Mitarbeiter selber erzeugt und ausgewertet
hatten.
Im Workshop wurden zunächst die Ist-Daten präsentiert und diskutiert. Auf
dieser Basis ist anschließend die Mitarbeiter-Auslastung berechnet worden. Die
Umverteilung der Arbeiten wurde mit dem Ziel vorgenommen, eine höhere Aus-
lastung der Mitarbeiter zu erreichen. Ein Beispiel aus dem Bereich Lithography
Metrology NWG ist in Abb. 10 zu sehen. Zusätzlich wurde versucht, als Investiti-
on in die Zukunft, Einfach-Arbeitsplätze zu definieren, um die Grundlage für eine
hohe Flexibilität bei wechselnden Arbeitsvolumina oder Zeiten mit Bedarf an ex-
ternem, geringer qualifiziertem Personal zu schaffen.

Abb. 10: „Schnipselchart“ zur Umverteilung von Arbeitsaufgaben

Hier kommt ein Arbeitsteilungs-Modell zum Tragen, bei dem direkt wertschöp-
fende Arbeiten an den Produktionsmaschinen getrennt wurden von indirekten Tä-
tigkeiten, wie Reparaturen, Qualifikationen, Transporten, Sonderaufgaben etc.
Daraus resultiert eine gemeinsam definierte Arbeitsverteilung und -organisation

5 Teilweise wurden die Zeiten heftig diskutiert. Hilfreich erwies sich an dieser Stelle das
Aufschlüsseln der Aufgaben in einzelne Tätigkeiten, die zeitlich schätzbar oder messbar
waren. Da diese Absprachen über die Qualität der gesamten Datenbasis des Workshops
entschied, war es wichtig, hier zu Zahlen zu kommen, die von allen Beteiligten akzeptiert
wurden.
220 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

für die Teams aller Schichten. Diese wurde durch Regeln6, welche von den Mitar-
beitern selbst erarbeitet worden sind, verankert und unterstützt. Nach der Optimie-
rung gab es einheitliche Vorgaben und Standards für die Arbeitsorganisationen in
den verschiedenen Schichten.
Der Workshop schloss mit einer von den Mitarbeitern erarbeiteten Umset-
zungs- und Kommunikationsstrategie und mündet regelmäßig in eine definierte
Testphase, in der die neue Arbeitsorganisation ausprobiert wird. Während dieser
Phase wird intensiv beobachtet, ob und wie die im Workshop definierte Arbeitsor-
ganisation funktioniert. Auftretende Probleme werden erfasst und im vereinbarten
Review adressiert. In den meisten Fällen sind diverse Korrektur-Maßnahmen not-
wendig.7
Die Ziele der insgesamt 12 Workshops zu diesem Thema allein in 2005 wurden
erreicht bzw. sogar übertroffen. Zusätzlich konnte im gleichen Zeitraum das Pro-
duktionsvolumen in der „alten Fabrik“ gesteigert werden.
Dem Workshop „Arbeitsorganisation 1“ schloss sich die Workshopreihe „Ar-
beitsorganisation 2“ an, in der die einzelnen Arbeitsabläufe mithilfe von Video-
aufnahmen im Detail analysiert und auf Verschwendung untersucht wurden. Hier-
bei handelte es sich um von den Mitarbeitern selbst durchgeführte Analysen der
Arbeitsabläufe. Sie wurden im Hinblick auf „Wertschöpfung“ und „Nicht-Wert-
schöpfung“ mit Aufnahme der Zeitanteile der jeweiligen Arbeitsschritte unter-
sucht.
Für die aus den Analysen identifizierten Verbesserungspotenziale wurden Maß-
nahmen, Umsetzungspläne und ggf. organisatorische Anpassungen in den Ar-
beitsgruppen definiert sowie zum größten Teil nach den Workshops – unter Be-
gleitung von regelmäßigen Projekt-Reviews – etabliert. Dank dieser Vorgehens-
weise entwickelte sich ein aktives KVP-Verständnis.
Obwohl in den Workshops unmittelbar die Einsparpotenziale in Bezug auf den
Ressourceneinsatz quantifiziert wurden, fiel die konkrete Auswertung der Resulta-
te aus den Verbesserungen schwer, da über einen längeren Zeitraum die Ursachen-
Wirkungs-Zusammenhänge in einem von vielfältigen Veränderungen, wie Pro-
dukt- und Prozessänderungen, Personalveränderungen, geprägten Bereich „ver-
schwammen“ und keine weitere aufwändige Analyse durchgeführt wurde. Es lässt
sich aber annehmen, dass die weitere Steigerung des Produktionsvolumens durch
die entstandenen Produktivitätsgewinne maßgeblich ermöglicht wurde.
Es kamen auch Workshops zum Einsatz, die eine Kombination von Arbeitsor-
ganisation 1 und 2 darstellten. Dabei wurden die Detailabläufe zunächst optimiert,
die Ressourcen-Einsparungen abgeschätzt und dann in ein neues Auslastungsmo-
dell eingerechnet, um eine Anpassung an gesteigerte Produktionsvolumina sicher-
zustellen.

6 Regeln betreffen u.a. die Pausen- und Urlaubs- und Krankheitsvertretung, ggf. Rotations-
regeln und Koordinationsaufgaben/ Kommunikation bei Schichtübergabe sowie Eskalati-
onswegen.
7 In diesem Stadium ist es sehr wichtig, mit „Fingerspitzengefühl” die Überprüfung einer-
seits zielorientiert, aber anderseits möglichst ergebnisoffen zu diskutieren, um die Akzep-
tanz der Arbeitsorganisation im Team zu stützen.
Lean Manufacturing bei AMD Saxony 221

4.2 Steigerung der Anlagenverfügbarkeit durch Wartungs-


optimierung

Der Anlagenpark einer Halbleiterfertigung ist gekennzeichnet durch hochkomple-


xe, i.d.R. vollautomatisierte Anlagen, in denen der Wafer in Form von Abschei-
dungen auf der Oberfläche, Herausätzen von Strukturen und Veränderungen der
chemischen oder physikalischen Eigenschaften der auf dem Wafer vorhandenen
Materialien bearbeitet wird. Die dabei ablaufenden Prozesse spielen sich zum Teil
im atomaren Bereich ab. So wird das so genannte Gate Oxyd in Schichtdicken von
ca. acht bis neun Atomlagen-equivalenten SiO2 abgeschieden. Abweichungen von
mehr als 0,3 Atomlagen sind hier nicht mehr tolerabel.
Durch den Einsatz von teils marginalen Prozessen in engen Prozessfenstern und
der Vielzahl von Parametern, welche die Prozesssteuerung beeinflussen, sowie der
hohen Komplexität der Anlagen beträgt die Verfügbarkeit der Maschinen im
Durchschnitt ca. 80%. Dazu trägt auch bei, dass in der Halbleiterfertigung rund
um die Uhr gefertigt wird. Wartungsarbeiten finden daher stets in der Produkti-
onszeit statt, während sie z.B. in der Automobilindustrie im Allgemeinen. außer-
halb der Produktionsschichten erfolgen und somit rechnerisch nicht in die Anla-
genverfügbarkeit einfließen.
Diese Verfügbarkeiten stellen eine Herausforderung dar – zum einen in der Be-
schränkung der Produktionskapazitäten bei gleichzeitig sehr hohem Kapitalbedarf
für Neuanlagen8, zum anderen in der Beeinflussung des stetigen Materialflusses
durch die Produktion und somit der Erzeugung von Invariabilitäten im Verlauf der
Wertschöpfungskette. Mit anderen Worten: Es werden „Wellen“ an Inventar in
der Linie erzeugt.
Die methodische Grundüberlegung ist, zunächst den Zeitaufwand für Betriebs-
unterbrechungen planbar und möglichst kurz zu gestalten. Auf diese Weise lässt
sich die Auslastung verbessern, und es verringert sich der negative Einfluss auf
den kontinuierlichen Materialfluss mit minimalen Beständen und schnellen Durch-
laufzeiten. Ein wichtiger Fokus dabei ist, die geplanten Stillstandzeiten kurz zu
halten, selbst wenn die Anzahl der Stillstände dabei zunehmen sollte, sowie diese
gleichmäßig zu verteilen. So kann eine extensive Ansammlung von Produktions-
material vor den Anlagengruppen verhindert werden, die sowohl für die abschlie-
ßende Abarbeitung Überkapazitäten an den Anlagen und den folgenden Produkti-
onsschritten erforderlich macht (Investment, Produktionskapazitätsausnutzung) als
auch zur weiteren Flexibilität in der Linie beiträgt. Daneben ist auch der Aspekt,
dass eine Wartung möglichst innerhalb einer Schicht erfolgen sollte, von Bedeu-
tung, um Effizienzverluste durch Schichtübergaben zu vermeiden.
Hierbei konzentriert man sich i.d.R. auf die sog. Engpassanlagen, welche die
Gesamtkapazität der Produktion limitieren. In der Halbleiterfertigung können die
Engpassanlagen sich allerdings, meist in Abhängigkeit vom Produkt- und Techno-
logie-Mix, ändern, so dass eine permanente Erfassung und Auswertung entspre-
chender Daten notwendig ist, um die Maschinen zu identifizieren, die in erster Li-
nie einer Optimierung bedürfen.

8 Je nach Anlage liegen die Kosten im ein- bis zweistelligen Euro-Millionenbetrag.


222 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

Als Basis wird die bereits erwähnte Methode „Best PM“ für die Optimierung
geplanter Anlagenstillstände angewendet (siehe Abb. 11). Kern dieses Vorgehens
ist die Klassifizierung aller anfallenden Wartungsarbeiten nach dem Kriterium in-
tern/ extern. Interne Wartungsarbeiten können bei laufender Anlage durchgeführt
werden, während bei externen die Anlage stehen muss, um diese Tätigkeit auszu-
führen.

Sortieren Aussortieren Verändern


Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3
Vor Best PM Separierung von Konvertierung Optimierung
internen und Von internen zu aller
externen Externen Zeiten Arbeitsschritte
Zeiten

Intern Intern
Intern
Extern Intern

Intern

Intern
Extern
Extern
Extern Extern
Extern

Abb. 11: Best-PM Methodik (nach Shigeo Shingo’s Single-Minute Exchange of Die)

Das Thema wird nach einer Vorbereitungs- und Datensammlungsphase in ei-


nem 3-4-tägigen Workshop erarbeitet und dient der Erhöhung der Anlagenverfüg-
barkeit durch Verringerung von Wartungszeiten. Beteiligte sind die Techniker,
welche die Wartung ausführen, der für die Anlage verantwortliche Ingenieur und –
zumindest zeitweise – der Prozessingenieur sowie ggf. der Anlagenlieferant. Zu-
nächst erfolgt eine detaillierte Datenanalyse der Dauer und Häufigkeit der einzel-
nen verschiedenen Wartungen, deren Anteil an der gesamten Stillstandzeit, Varia-
bilität in der Dauer und deren Gründe etc.
Die periodisch zeit- oder mengengesteuerten Wartungen werden in ihre Einzel-
einheiten zerlegt und gleichmäßig zu neuen Wartungsintervallen und -inhalten zu-
sammengefügt. Wie in Abbildung 12 dargestellt ist, werden hierfür zunächst alle
Tätigkeiten in Reihenfolge und mit zugehörigem Zeitaufwand und Häufigkeit do-
kumentiert und nach intern/ extern klassifiziert.
In einem zweiten Schritt werden dann die Sinnfälligkeit, die Dauer (Art und
Weise der Ausführung) und die geschätzte Notwendigkeit der Häufigkeit (gemes-
sen am Ausfallrisiko) der Tätigkeiten diskutiert. Um in dieser schnell sehr kom-
plex werdenden Diskussion die Übersicht zu behalten, erwies sich die Arbeit mit
Lean Manufacturing bei AMD Saxony 223

Papierstreifen, auf denen die einzelnen Tätigkeiten notiert sind, und einer Magnet-
tafel als hilfreich.

Frequenz

Dauer

Abb. 12: Dokumentation von einzelnen Tätigkeiten der Wartung und deren Umgruppie-
rung (Beispiel aus dem Bereich Etch)

Sofern in der Diskussion Unsicherheiten über den tatsächlichen Zeitaufwand


einzelner Tätigkeiten auftreten, werden durch das Workshopteam mittels Video-
aufnahme „live“ in der Fab der Ablauf, der Zeitaufwand sowie auftretende Prob-
leme und ggf. Lösungsideen dokumentiert (siehe Abb. 13). Die Vor-Ort-Analyse
kostet zwar einigen Aufwand, ist aber in jedem Fall zweckmäßig. Diverse Details
aus der direkten, konzentrierten Beobachtung verhelfen der Diskussion zu einer
konstruktiven Ausrichtung.
Im Anschluss an die Videodokumentation führt das Team eine Auswertung
hinsichtlich Verschwendung, Ineffizienz und möglicher Optimierungen im Ablauf
durch. Dabei wird besonderer Wert auf die Identifizierung von Arbeiten gelegt,
die bereits während der Anlagenlaufzeit erfolgen können (SMED).
Zur Beantwortung der Fragen, welche die Wahrscheinlichkeit des Auftretens
bestimmter Fehler bzw. der Notwendigkeit, bestimmte Tätigkeiten auszuführen
oder Teile zu wechseln, betreffen, sind entweder die Erfahrungen des Anlagenlie-
feranten oder eigene Ausfallstatistiken notwendig.
Auch das in Kapitel 2 erwähnte Thema 5A mit Bezug auf Werkzeuge, Materia-
lien und Hilfsmittel für die Wartung spielt hier eine maßgebliche Rolle. Die Er-
gebnisse der Analyse führen in einen zeit- und ressourcenoptimierten Arbeitsab-
lauf für die Wartungsmaßnahme, welcher in Checklisten und Spezifikationen or-
ganisatorisch verbindlich verankert ist.
224 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

Abb. 13: Vor-Ort Analyse der Wartungstätigkeiten mittels Zeitaufnahme, Videodokumen-


tation und Wegediagramm (Beispiel aus dem Bereich Etch, Plasmaätzanlagen)

Der Workshop endet mit der Erarbeitung eines Maßnahmenplanes für die Op-
timierung sowie der Definition von Schlüsselparametern zur Überwachung des Er-
folges9. Abschließend wird, wie in jedem Workshop, ein Umsetzungs- und Kom-
munikationsplan erarbeitet sowie der im Workshop entstandene Maßnahmenplan
verabschiedet. Der Fortschritt der Maßnahmen wird in regelmäßigen Reviews mit
den Projektbeteiligten gemessen.
Erhöhungen der Anlagenverfügbarkeit im Rahmen von 5-7% pro Maschine
sind hier möglich. Das bedeutet z.B., dass bei 20 vorhandenen Anlagen dieser Art
entweder 5% mehr Produktionsvolumen möglich wären, oder bei einer Expansion
eine Maschine weniger beschafft werden müsste. Diese „Best PM“-Maßnahmen
waren sehr erfolgreich.

9 Es mag trivial klingen, aber wir haben gelernt, dass ein einfacher Maßnahmenplan –
möglichst immer im gleichen Format – zum Nachhalten der definierten Aktivitäten für
die Veränderung von großer Bedeutung ist. Teilweise wurde dies in Bereichen zu mehre-
ren, überschneidenden Themen durchgeführt. Besonders in dieser Situation zeigt sich der
Nutzen eines Standard-Maßnahmenplans.
Lean Manufacturing bei AMD Saxony 225

4.3 Test und Einführung von Flow und Takt für die Produktions-
steuerung

Maßgebliche Elemente des Toyota-Produktions-Systems (TPS) sind die Wert-


schöpfung in einem Fluss (Flow), mit einem vom Kunden her bestimmten („gezo-
genen“) Produkt-Mix (Pull) und mit einer definierten Geschwindigkeit (Takt), die
durch die Kundennachfrage gesteuert ist. Durch diese Art der Produktionssteue-
rung wird eine geringstmögliche Durchlaufzeit bei minimalem Inventar sowie eine
hohe Flexibilität bei sich ändernden Kundenanforderungen erreicht.
Traditionellerweise ist der Anlagenpark in der Halbleiterfertigung in Funktions-
Clustern angeordnet. Es stehen also i.d.R. gleiche oder ähnliche Anlagen in einem
räumlichen Zusammenhang, um eine möglichst optimale Verteilung auf die Anla-
gen und eine höchstmögliche Anlagennutzung bei gleichzeitig minimiertem In-
vestment zu ermöglichen. Das daraus folgende Layout entspricht in etwa einer
traditionellen Werkstattfertigung, in der die verschiedenen Bearbeitungsschritte
räumlich isoliert sind. Der Prozessfluss gestaltet sich nicht als linearer Prozess,
sondern durchläuft schleifenförmig wieder und wieder die gleichen Operationen.
Einzelne Anlagen „sehen“ also ein und dasselbe Produkt in mehreren Entwick-
lungsstufen wieder.
Eine Umstellung von Anlagen, wie oft in Lean-Projekten praktiziert, um die
Wertschöpfung in einem Fluss anzuordnen, verbietet sich in vorhandenen Halblei-
terfertigungen, da eine Verlagerung den Umzug von Maschinen, größere Umbau-
ten der Medien und eine umfassende Re-Qualifikation zur Folge hätte, die sich in
einer Größenordnung von 100.000 bis 500.000 EUR bewegt. Das gleiche gilt für
die Ausfallzeit. Durch eine Verlagerung von Maschinen ergäbe sich eine signifi-
kante Einschränkung der Produktionskapazität für mehrere Wochen. Allerdings
kann es durchaus sinnvoll sein, die Planung einer neuen Fab an dem Wertfluss der
wichtigsten Produktfamilie auszurichten.
Die ersten Schritte in Richtung Flow und Takt wurden daher in Produktionsbe-
reichen gestartet, in denen die im Prozessfluss aufeinander folgenden Maschinen
in einem räumlichen Zusammenhang stehen. Ziele waren hier die Minimierung
von Inventar, die Senkung der Durchlaufzeiten und die Standardisierung von Ar-
beitsabläufen, orientiert am Produktionstakt. Die Zielwerte, z.B. die Reduzierung
der Durchlaufzeit um xy, wurden vor dem Workshop definiert. Die o.g. Produkti-
onsbereiche wurden als Pilot gewählt, da hier ausreichend Anlagenkapazität10 be-
stand, so dass Totalausfälle nahezu ausgeschlossen werden konnten.
Die Thematik wurde in drei- bis viertägigen Workshops bearbeitet, an denen
neben den Maschinenbedienern aller Schichten Wartungspersonal, Ingenieure und
Mitarbeiter aus Produktionskontrolle und Industrial Engineering teilnahmen. Ins-
gesamt waren 10 bis 14 Teilnehmer involviert. Im Vorfeld zum Workshop wurden
umfangreiche Daten gesammelt, um eine Bewertung des jetzigen Standes des Pro-
duktionsabschnittes zu erarbeiten, einschließlich aller Besonderheiten, wie z.B.
prozessbestimmte maximale Wartezeiten, erforderliche Wartungs- und Monitorar-
beiten sowie Anlagenkapazitäten für parallel auf der gleichen Anlage laufende

10 Jeder Anlagentyp ist mindestens zweifach vorhanden.


226 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

Operationen und Stillstandszeiten aufgrund von Fehlern. Dadurch wurde eine ef-
fektive Grundlage für die Optimierung in Richtung Flow und Takt geschaffen.
Im Workshop selbst wurden die Daten zunächst in Bezug auf die Durchlaufzei-
ten von Losen und deren Variabilität, die Verfügbarkeiten von Anlagen und deren
Charakteristika sowie des Zusammenhangs des Materialflusses im betrachteten
Produktionsbereich ausgewertet. Es wurde möglichst viel visualisiert, um die teils
komplexen Zusammenhänge verständlich erfassen zu können.
Im nächsten Schritt wurden die Taktzeiten der einzelnen Produktionsschritte
erarbeitet und ins Verhältnis zur Taktzeit der Fab gestellt, orientiert am geplanten
idealisierten Produktionsvolumen pro Zeiteinheit, insbesondere wöchentlich vor-
gesehener Produktionsausstoß (siehe Abb. 14). Modifikationen sind an den Zeiten
für die Prozesse nicht möglich im Vergleich zu einer vorwiegend manuellen Ferti-
gung. Aus diesem Grund wurden diese Zeiten – ohne Optimierungsanstrengungen
– als Arbeitsgrundlage genutzt.

250

200

2/4 Lose - 1
Tool
Time(Los) in min

150

2/4 Lose - 2
Tools (where
available) 100

Fab-Takt
Los/min [2/4er
batch] 50

0
Step 1 Step 2 Step 3 Step 4 Step 5 Step 6 Step 7 Step 8 Step 9 Step 10 Step 11

2/4 Lose - 1 Tool 46 26 68 84 30 68 118 48 28 197 80


2/4 Lose - 2 Tools (where available) 46 26 46 42 30 34 153 48 28 172 80
Fab-Takt Los/min [2/4er batch] 86 86 86 86 86 86 172 172 172 172 172
Process-Step

Abb. 14: Takt- und Prozesszeiten-Chart für Fab- vs. Tool-Takt (Beispiel aus dem Bereich
C4 Polyimide)

Aus der Taktzeit, der Orientierung an den Einzelprozesszeiten sowie speziellen


Charakteristika wie Batch-Prozessen, Kapazitätsverlusten durch Nicht-Einhaltung
von Kaskadierung u.Ä. wurde der Fluss des Materials nach Takt in einem Gantt-
Chart dargestellt (Soll). Anschließend wurden Regeln erarbeitet, die einzuhalten
sind, damit ein kontinuierlicher Fluss im Takt erfolgen kann (teils bestandsorien-
tierte Kanban-Regeln).
Unter Berücksichtung der Regeln ließ sich eine standardisierte Arbeitsfolge
(siehe Abb. 15) für den jeweiligen Anlagenbediener ableiten, welche einem wie-
derkehrenden Zyklus folgt. Diese wurde in anlagenbezogenen Standard-Arbeits-
Lean Manufacturing bei AMD Saxony 227

blättern dokumentiert, die vor Ort dem Anlagenbediener alle Informationen zum
„Produzieren nach Takt“ liefern.

Arbeitsschritt A Anlage X

Abb. 15: Formblatt zum Arbeitsstandard an Anlagen (Beispiel aus dem Bereich C4 Poly-
imide)

Das neue System wurde bereits während des Workshops eingeführt und für ei-
nen Tag getestet, um die Auswirkungen bewerten zu können. Als Taktgeber fun-
gierte dabei ein Alarmtimer mit Rückstellfunktion (siehe Abb. 16). Zur Sicherstel-
lung der Einhaltung von Taktzeiten wurden im Einführungsstadium Tabellen er-
stellt, in denen der Mitarbeiter die Ausführung der jeweiligen Operation zu quittie-
ren hatte. Obwohl eine derartige Auswertung auch über die Produktionssteu-
erungssoftware Workstream möglich gewesen wäre, sprach die erzieherische Wir-
kung für diese manuelle Eingabe.
228 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

Abb. 16: Der „Taktmacher“ (Beispiel aus dem Bereich C4 Polyimide)

Sämtliche durch die Inventarreduzierung nicht mehr benötigten Lagereinrich-


tungen wurden aus dem Produktionsbereich entfernt bzw. als gesperrte Flächen
markiert. Die Taktregeln und der Taktfluss wurden in der Linie visualisiert (siehe
Abb. 17). Alle Mitarbeiter wurden entsprechend eingewiesen.

Abb. 17: Visualisierung der Taktzeiten in Form eines Gantt-Chart (Beispiel aus dem Be-
reich C4 Polyimide)

Tatsächlich stellte sich bereits am ersten Tag der Einführung eine Durchlaufzeit
nahe der prognostizierten und gleichzeitig angestrebten Zielzeit ein. Die Regeln
und Vorgehensweisen wurden am letzten Tag des Workshops noch angepasst so-
Lean Manufacturing bei AMD Saxony 229

wie eine Testphase mit zu beobachtenden Parametern für eine Auswertung defi-
niert.
Ähnlich wie in den zuvor beschriebenen Workshops wurde die erarbeitete Ver-
änderung durch einen Maßnahmenplan sowie einen ausführlichen Kommunikati-
ons- und Umsetzungsplan vervollständigt. Im Weiteren wurden in regelmäßigen
Kontrollmeetings die umgesetzten Maßnahmen sowie die Zielerfüllung in gemein-
samen Lagebesprechungen bewertet. Da jedes Anlagenproblem oder auch
Schwankungen im Materialfluss der Linie11 Auswirkungen auf den Takt hatten,
war hier viel Geduld und Ideenreichtum gefragt, um diese Arbeitsweise zum Er-
folg zu führen.

5 Wirkungen der Aktivitäten und nächste Schritte

Im gleichen Zeitraum, in dem die Lean Manufacturing-Aktivitäten durchgeführt


wurden, erfolgten Technologieveränderungen, Neuprodukteinführungen und Ka-
pazitätserhöhungen bezogen auf die Einspeisung von Wafern. Trotz der Vielzahl
der sich daraus ergebenden Wirkungszusammenhänge ist nachgewiesen, dass die
beachtlichen Ergebnisse auf die durchgeführten KVP-Initiativen zurückzuführen
sind.
Jeder einzelne Workshop hatte sich konkrete Ziele gesetzt, die im überwiegen-
den Fall (> 90 % Erfolgsrate) auch erreicht oder sogar überboten werden konnten.
Wir hatten Anlagenverfügbarkeitsziele bzw. Dauern von Wartungsarbeiten, wel-
che in vielen Fällen eine große Herausforderung darstellten. Die darauf bezogenen
Ziele wurden mehrheitlich erreicht. Für die Takt- und Flow-Workshops wurden
Durchlaufzeitverkürzungen und Inventarmengeneinsparungen im Segment als
Zielgrößen vereinbart. Auch diese Ziele wurden erreicht.
Bezogen auf den Gesamtbereich messen wir Cycle Time (in Tagen pro Ebene),
Kosten (Kosten pro Wafer), Produktionskapazität (Waferstarts pro Woche), Pro-
zessfähigkeit (CPK) und Produktqualität (Anzahl Wafer, die den definierten Quali-
tätsstandards entsprechen). Die „Abrechnung“ für das Jahr 2006 zeigt, dass sich
AMD in allen dargestellten Kenngrößen deutlich verbessert hat. Zugleich weist
die AMD-weite Ausdehnung der Lean-Initiative darauf hin, dass die bei AMD Sa-
xony praktizierte Vorgehensweise als Vorbild diente und aufgrund der nachgewie-
senen Erfolge eine konzernübergreifende Initiative generierte.
Eine Herausforderung der zukünftigen Lean Manufacturing-Arbeit liegt vor al-
lem darin, das Programm fest in der Kultur des Unternehmens zu verankern. Die
Weichen dafür sind konzernweit gestellt.
Kritische Stimmen mögen argumentieren, dass die Verdichtung und Standardi-
sierung von Arbeit eine negative Wirkung auf die Motivation der Mitarbeiter hat.
Dies stimmt so nicht. Vielmehr ist die Art und Weise der Einführung von Stan-
dards entscheidend für den langfristigen Erfolg. Die Einführung auf Basis der Ein-
sicht in die Notwendigkeit stärkt die (Selbst-)Verantwortung der Mitarbeiter. An-

11 Insb. vorgelagerte Operationen oder Zielgrößenänderungen.


230 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

dernfalls lassen sich Standards nur durch erhöhten Kontrollaufwand beibehalten.


Eine interne Studie (vgl. Ziegenhorn 2007) zeigt, dass die Mehrheit der von den
Arbeitsorganisations-Workshops „betroffenen Mitarbeiter“ in Operations Fab 30
sich positiv über die eingeführten Standards äußerte. Die Initiative wird von vielen
Mitarbeitern getragen und mit viel Engagement, z.T. auch mit Stolz, unterstützt.
Diese grundsätzliche Bereitschaft ist eine fruchtbare Basis für die weitere Etab-
lierung des Lean Manufacturing. Die Inbetriebnahme des Bump Test-Bereiches ist
ein gutes Beispiel, wie Lean-Gedanken von Anfang an integriert werden können.
Bereits in der Planung werden – gleichrangig neben dem Aufbau von Anlagen, der
Prozessentwicklung und der Personalqualifikation – die Themen Wartung/ War-
tungsorganisation und die Implementierung von Lean-Prinzipien und Methoden
berücksichtigt.
Ein sehr interessantes Untersuchungsfeld ergibt sich im Hinblick auf das Span-
nungsfeld Verschlankung vs. Automatisierung. Aufgrund des anspruchsvollen
Prozesses in der Halbleiterfertigung gibt es starke Tendenzen zu einer weiteren
Automatisierung. Dies entspricht allerdings eher dem Verständnis von innovativer
Veränderung und nicht dem Verständnis von Lean Manufacturing, das primär auf
standardisierte Arbeit und kontinuierliche Verbesserung, getrieben durch die Mit-
arbeiter, setzt.
Die visionäre Zielsetzung (siehe Kapitel 3) bildet für das Unternehmen einen
Orientierungsmaßstab. Daraus sind Unterziele für Teams und konkrete Vorge-
hensweisen abgeleitet worden, z.B.: Verkürzung der gesamten Durchlaufzeit !
gezielte Verringerung der Cycle Time von Linienabschnitten ! Workshops zur
Einführung von Takt und Flow ! Erarbeitung konkreter Steuerungsregeln und
Standards. Diese Verknüpfung erscheint logisch, wird aber nur in wenigen Fällen
wieder zurückverfolgt. Die Etablierung eines dazu notwendigen Kennzahlensys-
tems ist in die Wege geleitet, jedoch muss die Verbindlichkeit, z.B. durch regel-
mäßige Management-Reviews, noch deutlich erhöht werden.

6 Abschließende Betrachtung der kritischen Erfolgs-


faktoren

Schon in der Vergangenheit war die kontinuierliche Verbesserung ein Bestandteil


der Arbeit jedes Mitarbeiters bei AMD. Man ist sich einig, dass nicht alleine Lean
Manufacturing die ultimative, „out-of-the-box“ Lösung aller Herausforderungen
ist. Und doch ist schon etwa zwei Jahre nach Start der Initiative KVP@AMD eine
spürbare Dynamik in die Veränderungsarbeit gekommen. Was waren bzw. sind
die Erfolgsfaktoren? Aus unserer Perspektive zeigen sich fünf, die von besonders
hoher Bedeutung sind:
1. Führung: „Der Schwache zweifelt vor der Entscheidung, der Starke danach.“
(Karl Kraus)
Zu Anfang des KVP-Prozesses hat es sich gezeigt, dass es unverzichtbar ist, einen
Vertreter des oberen Managements zu haben, der mit viel Energie und Leiden-
Lean Manufacturing bei AMD Saxony 231

schaft für Lean Manufacturing, aber auch mit Detailwissen, Ausdauer und Konse-
quenz den Prozess anschiebt und vorantreibt. Hierbei ist es wichtig, dass dieser
Treiber der Initiative für alle Mitarbeiter sichtbar und erreichbar ist und maßgeb-
lich zur Überzeugungsarbeit beiträgt.
2. Ressourcen: „Der Prophet gilt wenig im eigenen Lande.“ (Bibelspruch)
Zeitlich und personell sind mit der Lean Manufacturing-Initiative deutlich mehr
Ressourcen als in der Vergangenheit für das Thema KVP bereitgestellt worden.
Neben externen Ressourcen – wir haben uns hier von Erfahrungen anderer Unter-
nehmen leiten lassen und auf Unterstützung japanischer Experten gesetzt – sind
auch hausinterne Ressourcen in Vollzeit für das Thema bestellt worden. So wur-
den z.B. mehrstündige bis mehrtägige Workshops als Pflichtveranstaltung für
Produktionsmitarbeiter aller Schichten, Ingenieure und Manager unterstützt und
organisiert.
3. Vorgehensweise: „Besser einen Spatz in der Hand als eine Taube auf dem
Dach.“ (Deutsches Sprichwort)
Mit Lean Manufacturing arbeiteten wir fokussierter in Workshops, teilweise mit
Beraterunterstützung und Interesse des Top-Managements in unternehmensweiten
(Abschluss-)Präsentationen – was die Zeit in verschiedener Hinsicht noch wert-
voller machte. Zugleich gelang es, durch die thematisch-methodische Steuerung
der KVP@AMD-Arbeitspakete sowie einer breiten Kommunikation der Ergebnis-
se eine stärkere Wirkung im Unternehmen zu erzielen. So werden Suboptimierun-
gen verringert und zugleich Synergien im Vorgehen zwischen den Bereichen ge-
neriert.
Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die „große Abschluss-
präsentation“. Hier stellen die Projektmitarbeiter ihre Ergebnisse dem versammel-
ten Managementkreis vor. Durch diese persönliche Präsentation verstärkte sich für
alle Beteiligten die Verbindlichkeit, die erarbeiteten Lösungen auch umzusetzen.
Dieses Vorgehen half zugleich, den KVP-Gedanken auch über die aktuell aktiven
Abteilungen hinaus zu tragen. Außerdem hatte das Top-Management auf diesem
Weg eine gute Gelegenheit, sich öffentlich für die Arbeit zu bedanken und somit
weitere Signale in die Organisation zu senden, dass dieser Weg den gesetzten Er-
wartungen entspricht.
Sowohl die Wirkung der Präsentation als auch die Kaizen-Faust-Formel „60%
sofort umgesetzt ist besser als 100% geplant“ verpflichten alle Beteiligten, klare
Ergebnisse vorzuweisen. In der Realität zeigte sich schnell, dass selbst bei einer
intensiveren Datenauswertung oder größeren Planungstiefe keine besseren Ergeb-
nisse erzielbar gewesen wären.
4. Orientierungsrahmen und Zielstellung: „Wer nicht weiß, in welchen Hafen er
segeln will, für den ist kein Wind ein günstiger.“ (Seneca)
Erstmals wurde nicht nur eine jährliche Zielvorgabe im Rahmen des konzernwei-
ten Planungsprozesses veröffentlicht, sondern ein Dreijahresziel, inklusive eines
strategischen Plans für das Werk Fab 30, definiert. Darüber hinaus ist es infolge
der Anwendung der Lean Manufacturing-Prinzipien gelungen, ein umfassenderes
232 Frank Ziegenhorn, Christian Ziemer-Popp

Bild über die Entwicklungsrichtung des Unternehmens zu vermitteln. Diese mit-


telfristige Orientierung hilft, das Gesamtbild nicht aus den Augen zu verlieren und
bildet einen konsistenten Argumentationsrahmen für die Veränderungsarbeit. Die
logisch schlüssige Ableitung von Arbeitsfeldern und eine deutliche Priorisierung
bildet die Basis für einen effizienten Einsatz von Ressourcen.
5. Breitenwirkung: „Tue Gutes und sprich darüber!“ (Erich Kästner)
KVP ist ein permanentes Thema in allen betriebsinternen Kommunikationskanä-
len. Mit Hilfe weiterer Ressourcen, der Integration aller Bereiche des Unterneh-
mens sowie einer umfassenden mündlichen und schriftlichen Kommunikation ü-
ber betriebliche Infoblätter, Wandzeitungen, Intranet, Mitarbeitermagazin gelingt
es, das Thema in den Blickpunkt zu stellen und auch zu halten. Die direkte Veran-
kerung in die Führungsarbeit eines jeden Managers bringt zudem äußere Wahr-
nehmung und konkrete Arbeitsaufgabe in Einklang. Es entsteht somit für jeden
Einzelnen das Bild eines konsistenten Vorgehens.
Die bereits angedeutete größte Aufgabe wird es nun sein, „den Zug am Fahren
zu halten“, und zwar im Sinne eines organisationalen Lernens.

7 Literatur

Hannan, M.T./ Freeman, J.H. (1989): Organizational Ecology, Cambridge 1989.


Liker, J.K. (2004): The Toyota Way – 14 Management Principles from the World’s Great-
est Manufacturer, New York 2004.
Shingo, S. (1992): The Shingo Production Management System – Improving Process Func-
tions, Cambridge 1992.
Womack, J.P./ Jones, D.T. (2004): Lean Thinking – Ballast abwerfen, Unternehmensge-
winne steigern. Frankfurt/ M./ New York 2004.
Ziegenhorn, F. (2007): Studie zum Thema Standardisierung von Arbeit in Fab30 Operati-
ons im Rahmen einer Diplomarbeit, AMD intern.
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für
Business Process Excellence (BPE) in einem
Pharmaunternehmen

Thomas Habermann, Jörg Doch

Inhalt

1 BPE-Initiative bei Boehringer Ingelheim.................................................233


2 Strategischer Kontext – Von der Vision zur konkreten Umsetzung.........234
3 Prozess zur Auswahl von geeigneten Projekten.......................................235
4 Projektportfolio und Entscheidungsprozess .............................................241
5 Identifikation von Projektpotenzialen ......................................................243
6 Process Life Cycle-Management..............................................................246

1 BPE-Initiative bei Boehringer Ingelheim

Boehringer Ingelheim gehört weltweit zu den 20 führenden forschenden Arznei-


mittelherstellern. Seit mehr als 100 Jahren ist Boehringer Ingelheim – gegründet
1885 von Albert Boehringer (1861-1939) in Ingelheim am Rhein – ein erfolgrei-
ches Unternehmen in Familienbesitz. Ziel des Unternehmens ist es, der Mensch-
heit durch die Erforschung von Krankheiten und die Entwicklung und Herstellung
neuer innovativer Arzneimittel mit hohem therapeutischem Nutzen zu dienen.
Boehringer Ingelheim hat weltweit mehr als 39.800 Mitarbeiter und erzielte im
Geschäftsjahr 2007 Gesamterlöse von 10.952 Mio. EUR.
In der deutschen Gesellschaft des Unternehmensverbands, der Boehringer In-
gelheim Pharma GmbH & Co. KG, wurde im Bereich der Wirkstoffherstellung im
Jahr 2002 die Six Sigma-Initiative zur Analyse und Verbesserung von Geschäfts-
prozessen als Pilotprojekt eingeführt. Diese hat seitdem ihre Leistungsfähigkeit in
einer Vielzahl von erfolgreichen Verbesserungsprojekten unter Beweis gestellt.
Zum Aufbau von methodischem Know-how zur Prozessoptimierung wurden am
Standort Ingelheim bisher mehr als 50 Green Belts sowie 11 Black Belts und 1
Master Black Belt qualifiziert.
Der Six Sigma-Pilot wurde zur BPE (Business Process Excellence)-Initiative
weiterentwickelt. Dabei werden auf dem Weg zu besseren Geschäftsprozessen im
Wesentlichen drei methodische Ansätze verwendet (siehe Abb. 1):
• Gestaltung schlankerer und schnellerer Geschäftsprozesse durch Lean
• Beseitigung von Problem-/ Fehlerursachen in Prozessen durch Six Sigma
• Implementierung neuer Prozesse durch Design for Six Sigma (DFSS).
234 Thomas Habermann, Jörg Doch

BPE
„Bessere Prozesse Entstehen“
KVP KVP KVP

neue Prozesse etablieren


DFSS
Six Sigma
Problemursachen beheben
Lean
schlanke Prozesse gestalten

D
M
DMAIC

DMAIC
A
I
C

Tools
Projektmanagement
Lead & Learn

Abb. 1: Aufbau und Inhalte des BPE-Hauses von Boehringer Ingelheim

Bei allen genannten Ansätzen werden zusätzlich die Methoden und Vorge-
hensweisen des Projektmanagements angewendet. Im Anschluss an ein BPE-
Projekt wird jeweils ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) initialisiert.

2 Strategischer Kontext – Von der Vision zur konkreten


Umsetzung

„Werte schaffen durch Innovation“ ist die Vision von Boehringer Ingelheim und
zugleich der Motor der Unternehmenskultur. Dabei beschreibt der konzeptionelle
Baustein „Lead & Learn“ die grundlegenden Bedingungen für die Zusammenar-
beit bei Boehringer Ingelheim, um Werte durch Innovation zu schaffen. Lernen
(Learn) bedeutet, neue und vor allem bessere Wege zu finden, die Ideen umzuset-
zen. In diesem Sinne sind alle Mitarbeiter bei Boehringer Ingelheim aufgefordert,
ihre derzeitigen Vorgehensweisen zu hinterfragen und Verbesserungsmöglichkei-
ten zu finden. Damit ist die Grundlage, nämlich Stimmigkeit mit der Unterneh-
mensvision und -kultur, gelegt, um eine BPE-Initiative zu starten.
Zur weiteren Festlegung des Rahmens für BPE sind in der „Policy for Business
Process Excellence in Operations“ die Merkmale und wesentlichen Bestandteile
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE) 235

der Geschäftsprozesse in den operativen Einheiten definiert. Die Vorgabe und


Steuerung der Ziele für BPE sind in der Balanced Scorecard für den Unterneh-
mensbereich Wirkstoffherstellung über vier KPI´s (Key Performance Indicators)
festgelegt. Die BSC für den Bereich „Chemicals“ mit Angabe von KPI´s für BPE
ist beispielhaft in Abbildung 2 skizziert.

Finanz-
Perspektive

Kunden-
Perspektive

Verbesserung der Verbesserung Durchführung


Launchfähigkeit der Geschäfts- effizienter und
Prozess- prozesse stabiler Prozesse
Perspektive - - FMEA`s
-- Senkung -- BPE Projekte - SPC
-- RPZ - PE-Index

Streben nach
Lern-/ BPE
Kultur- - Einsparungen
Perspektive durch BPE

Abb. 2: Balanced Scorecard als Basis für die Steuerung von BPE (Beispiel)

Für den KPI „Verbesserung der Launchfähigkeit“ sind Risikoanalysen nach der
FMEA-Methode für alle Produkte, die in die klinische Phase III kommen, durch-
zuführen. Die dabei erkannten Produkt- und Prozessprobleme sind durch geeigne-
te Maßnahmen zu beheben, was sich in einer Reduzierung der Risikoprioritätszahl
(RPZ) ausdrückt. Die „Verbesserung der Geschäftsprozesse“ wird mit der Durch-
führung von BPE-Projekten umgesetzt. Das Ziel „Durchführung effizienter und
stabiler Prozesse“ wird einerseits durch Statistical Process Control (SPC) über-
prüft, und andererseits werden durch die Ermittlung eines PE (Process Excel-
lence)-Index Potenziale für Verbesserungen aufgezeigt (siehe auch Kapitel 5).
Das Zielsystem der BPE-Initiative birgt also ein Spannungsfeld, da sowohl stra-
tegisch wichtige Projekte – die nach der internen Richtlinie zur Ermittlung der
BPE-Einsparungen keinen finanziellen Effekt haben – als auch finanziell ertrag-
reiche Projekte durchgeführt werden müssen. Unter dieser Voraussetzung ist ein
Prozess zur Auswahl der „richtigen“ Projekte besonders wichtig.

3 Prozess zur Auswahl von geeigneten Projekten

Um innerhalb des Zielsystems der BPE-Initiative diejenigen Projekte auszuwäh-


len, die einen möglichst hohen Beitrag zur Zielerfüllung erbringen, wurde ein
236 Thomas Habermann, Jörg Doch

strukturierter Prozess zur Projektbewertung und -auswahl entwickelt. Maßgeblich


für die Gestaltung dieses Prozesses war die Berücksichtigung der folgenden Rah-
menbedingungen:
• Die Projektbewertung muss sich an den KPIs der BPE-Initiative orientieren und
dem Spannungsfeld zwischen strategischer Bedeutung und monetären Einspa-
rungen Rechnung tragen.
• Unterschiedliche Projekttypen (Lean, Six Sigma, Design for Six Sigma) müs-
sen durch eine geeignete Standardisierung und Operationalisierung der Bewer-
tungskriterien vergleichbar gemacht werden.
• Einzelne Projekte können untereinander inhaltliche Abhängigkeiten aufweisen,
die bei der Projektauswahl zu berücksichtigen sind.
• Für die Projektdurchführung stehen in den beteiligten Organisationseinheiten
begrenzte Ressourcen zur Verfügung, um die ggf. mehrere Projekte konkurrie-
ren.
• Die in Verbindung mit der BPE-Initiative eingeführten Rollen (Prozesseigner,
Sponsor, Projektleiter, Coach) müssen in geeigneter Weise in den Prozess ein-
gebunden werden.
• Die operative Durchführung des Prozesses wird von einem Projekt Manage-
ment Office (PMO) innerhalb des BPE Support Centers wahrgenommen; die
Entscheidung über die Projektpriorisierung und -freigabe trifft ein zentrales
Managementgremium.
Ausgehend von diesen Rahmenbedingungen und dem Ergebnis einer Kunden-
befragung (Voice of the Customer) mit den Mitgliedern des Managementgremi-
ums wurde ein Projektbewertungs- und Auswahlprozess etabliert, der einem stan-
dardisierten Ablauf folgt (siehe Abb. 3).
Startpunkt des Prozesses ist die Identifikation einer Projektidee, die unter-
schiedliche Quellen haben kann: Einerseits hat jeder Prozesseigner die Möglich-
keit, ein BPE-Projekt zur Optimierung eines Geschäftsprozesses in seinem Ver-
antwortungsbereich zu initialisieren. Andererseits führt die systematische Über-
prüfung der Prozessleistung im Rahmen des SPC-Ansatzes zu Hinweisen auf Ver-
besserungspotenziale. Daneben können auch Problemstellungen, die im Rahmen
des KVP-Prozesses identifiziert worden sind, den Ausgangspunkt der weiter unten
beschriebenen Projektanfrage bilden.
Die Projektideen werden zunächst durch das PMO auf inhaltliche Abhängigkei-
ten zu anderen, bereits laufenden oder geplanten Projekten überprüft. Mögliche
Ausprägungen von Abhängigkeiten sind:
• Synergien
Konsequenz: Zusammenfassung mehrerer Einzelprojekte zu einem Projekt.
• Überschneidungen
Konsequenz: Überprüfung und Anpassung der Projektabgrenzung.
• Inhaltliche Abhängigkeiten (Ergebnis von Projekt A ist Voraussetzung für B)
Konsequenz: Anpassung bzw. Überarbeitung der Projektreihenfolge.
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE) 237

Vom Prozesseigner Ergebnisse


aus Statistical Problemstellung
festgestellter Opti-
aus KVP
mierungsbedarf Process Control
Inhaltliche
Abhängigkeiten
prüfen
Mögliche Auslöser für BPE-Projektanfragen
Richtlinie zur Monetären Nutzen
Ermittlung von (Einsparpotenzial)
BPE-Einsparungen abschätzen

Kritrienkatalog zur Strategischen


Ermittlung des Nutzen
Strateg. Nutzens abschätzen

Eingangsgrößen für Erfahrungswerte aus Arbeitsaufwand


Projektbewertungs- abgeschlossenen und Projektkosten
und Auswahlprozess Projekten ermitteln

Ressourcen-
Ressourcensituation
Budget für
BPE-Projekte prüfen

Durch andere BPE-


Projekte bereits Benötigte Lösung
belegte Ressourcen Lösungfür
für
Ressourcen Ressourcenkonflikt
verfügbar? Ressourcenkonflikt
nein suchen
suchen
ja Projek tkos ten
[ T€ ] auf
sehr gering

(bi s 3 T€/a)

(bis 9 d)
3 Jah re ge ring
verteilt

Projekt im
(>3 - 8 T €/a )
[Zeitaufwa nd
(> 9 - 24 d)
al le r MA (mi t
m itte l
45 €/h un d

Projektportfolio
(> 8 - 16 T€/a )
7,5 h/ d)
(>2 4 - 47 d)
+ schon
abzus ehen de hoch

positionieren
In ve stitione n] (> 16 T€/a)
(>47 d)

s ehr g ering gering m ittel hoc h

( bis 10 T€/a) (>10 - 5 0 T€/a) ( >50 - 1 50 T€/ a) ( >15 0 T€/a )

Legende:
E inspa rp oten tial pro Jahr [T€/a]

Verantwortlich: ! Monetärer Nutzen Projekt priorisieren,


Projektmanagement-Office + Prozesseigner
! Strateg. Nutzen Entscheidung Projektauftrag
Verantwortlich: bezüglich Projekt-
Managementgremium
! Aufwand/ Kosten
Durchführung treffen

Abb. 3: Projektbewertungs- und Auswahlprozess

Im nächsten Schritt des Bewertungsprozesses wird der monetäre Nutzen des


Projektes ermittelt. Grundlage dieser Abschätzung ist eine für den Unternehmens-
bereich Wirkstoffherstellung gültige Richtlinie (Saving Guideline), welche die
Standards zur Ermittlung von Einsparungen aus BPE-Projekten vorgibt. Durch
diese Richtlinie wird eine vergleichbare Nutzenbewertung für alle BPE-Projekte
im Bereich Wirkstoffherstellung sichergestellt, unabhängig von Projektinhalt, an-
gewandter Methodik und betroffenem Standort. Die anfallenden Nutzeneffekte
werden in vier Kategorien eingeteilt und nach klaren Vorgaben bewertet:
• Cost Reduction: Reduzierung der auf Kostenstellen-Ebene anfallenden, variab-
len Kosten, z.B. durch geringeren Rohmaterialeinsatz infolge Ausbeutesteige-
rung oder durch Reduktion von Supportkosten; bewertet auf Basis der einge-
sparten Materialkosten und/ oder externen Kosten.
• Cost Increase Avoidance: Vermeidung von geplanten Investitionen; bewertet
mit den jährlichen Abschreibungen der vermiedenen Investition sowie ggf. den
Personalfolgekosten bei Durchführung der Investition.
238 Thomas Habermann, Jörg Doch

• Improved Efficiency: Einsparung von Personalkapazität durch Beseitigung von


nicht wertschöpfenden Prozessschritten; bewertet mit standardisierten Stun-
densätzen für Personal und Labor-Equipment.
• Capacity Increase/ Growth: Freisetzung von Anlagenkapazität durch Prozess-
optimierung mit der Folge zusätzlicher Kapazitätsreserven oder erhöhter Aus-
bringungsmenge; bewertet mit den Maschinen-Stundensätzen der jeweiligen
Anlage bei Kapazitätseinsparung bzw. den Deckungsbeiträgen des Produktes
bei erhöhter Ausbringung.
Der monetäre Nutzen wird jeweils für ein Jahr berechnet. Abbildung 4 veran-
schaulicht den Prozess der Nutzenermittlung auf der Grundlage der o.g. Katego-
rien.

Type of Benefits

Project Opportunities not visible Financial Benefits


BPE Benefits in financial statements Key
Opportunities parameters

Material
Costs
1 (Consumption)
Cost
Cost Estimated
External
Reduction
Reduction Savings
Cost

2 Depreciation
Cost Cost Yes In No, but in mind Estimated Estimated
Increase Avoidance Budget Benefit Savings Personnel
Avoidance Cost
Yes

3
Reduction
Improved of non value Yes Freed Yes
Efficiency added process Resources
steps Personnel
Estimated Estimated Cost
No
Benefit Savings
No financial calculation

4
Capacity Freed
Capacity Yes Yes Estimated Estimated Estimated VTR
Increase / Increase
Capacity is Idle
Benefit Savings increased
Growth Capacity Laboratory
margin,
Cost
due
No additional Additional
business Margin
No, and additonal
business

€€ €€

Abb. 4: Ermittlung des monetären Nutzens von BPE-Projekten

Die Abschätzung des monetären Nutzens nach dem beschriebenen Verfahren


führt der Prozesseigner gemeinsam mit Controlling und BPE Support Center
durch. Im Bedarfsfall können weitere Prozessexperten hinzugezogen werden.
Neben ihrem monetären Nutzen leisten BPE-Projekte i.d.R. auch einen Beitrag
zur Erfüllung der strategischen Ziele des Bereiches bzw. der Auftrag gebenden
Organisationseinheit. Um eine standardisierte Bewertung des strategischen Nut-
zens zu ermöglichen, wurde ein Kriterienkatalog entwickelt, der zentrale Aspekte
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE) 239

des strategischen Nutzens umfasst. Hierzu gehören Markt- und Kundenvorteile


wie auch Verbesserungen von Qualität, Compliance oder Sicherheit. Die Überein-
stimmung der Projektziele mit der Strategie der Organisationseinheit, die Erfolgs-
chance des Projektes sowie mögliche Auswirkungen auf die Mitarbeiterzufrieden-
heit gelten ebenfalls als Kriterien, die den strategischen Nutzen eines Projektes
bestimmen. Die Abbildung 5 zeigt den verwendeten Kriterienkatalog zur Bewer-
tung des strategischen Nutzens eines BPE-Projektes.

Abb. 5: Kriterienkatalog zur Bewertung des Strategischen Nutzens

Jedes Kriterium ist mit einem festen Gewichtungsfaktor zwischen 1 und 10 ver-
sehen, der sich aus dem Ergebnis einer vorausgegangenen Managementbefragung
ableitet. Die Bewertung der Kriterien für ein konkretes Projekt nimmt der Pro-
zesseigener in Abstimmung mit dem BPE Support Center vor. Dazu steht eine
Skala von 0 (= kein Beitrag des Projektes zur Erfüllung des jeweiligen Kriteriums)
bis 10 (= sehr hoher Beitrag) zur Verfügung.
Durch Aufsummieren der Produkte aus Bewertung und Gewichtung für alle
Nutzenfaktoren wird die Gesamtpunktzahl des jeweiligen Projektes errechnet (sie-
he Spalte „Ergebnis – nicht normiert“ in Abb. 5). Dividiert durch die maximal er-
reichbare Punktzahl von 650 ergibt sich ein Prozentwert, der auf einer Skala von
240 Thomas Habermann, Jörg Doch

0% bis 100% den strategischen Nutzen des Projektes angibt (siehe rechte Spalte
„Strategischer Nutzen – auf 100% normiert“).
Im Anschluss an die Nutzenabschätzung erfolgt die Ermittlung von Arbeitsauf-
wand und Projektkosten. Als Anhaltspunkt für eine erste, grobe Aufwandsabschät-
zung dienen Erfahrungswerte aus abgeschlossen Projekten. Für Six Sigma Green
Belt- und Black Belt-Projekte sowie für die Erstellung von FMEAs wurden über
einen längeren Zeitraum die durchschnittlichen Bearbeitungsaufwände ermittelt;
für weitere Projekttypen im Verantwortungsbereich des BPE Support Centers
(z.B. Lean-Projekte) werden diese Werte nach und nach ebenfalls ermittelt. Um zu
einer projektspezifischen Aufwandsabschätzung zu gelangen, werden die Durch-
schnittswerte anhand individueller Einflussfaktoren nach oben oder unten korri-
giert. Typische Einflussfaktoren sind beispielsweise der zu erwartende Aufwand
für die Datenerhebung, die Anzahl der Prozessschritte des untersuchten Ge-
schäftsprozesses und die Anzahl der beteiligten Organisationseinheiten. Eine Ab-
weichung dieser Parameter vom Durchschnitt des jeweiligen Projekttyps führt zu
einer entsprechenden Anpassung der Aufwandsabschätzung.
Zur Ermittlung der Projektkosten werden die geschätzten Zeitaufwände (in h)
mit den standardisierten Personal-Stundsätzen bewertet, die auch für die Berech-
nung des monetären Nutzens gelten. Für Kosten und Nutzen besteht somit eine
einheitliche Bewertungsgrundlage.
Investitionskosten, die bei Projektbeginn absehbar sind, fließen ebenfalls in die
Kostenkalkulation ein. Da in BPE-/ Six Sigma-Projekten gemäß DMAIC-Zyklus
die Identifikation und Bewertung von Lösungsalternativen als Bestandteil der Im-
prove-Phase erfolgt, können zum Zeitpunkt der Projektinitiative i.d.R. noch keine
Investitionskosten beziffert werden. Wenn im weiteren Projektverlauf Investitio-
nen als notwendiger Bestandteil von Improve-Maßnahmen erkennbar werden, ist
die Kostenkalkulation anzupassen. Die Kosten-/ Nutzen-Relation des Projektes
kann sich dadurch verschieben.
Um die zeitliche Verteilung des Anfalls von Nutzen und Kosten zu berücksich-
tigen, wird eine typische Nutzenperiode von drei Jahren für BPE-Projekte zugrun-
de gelegt.1 Die ermittelten Projektkosten werden deshalb linear auf drei Jahre ver-
teilt, so dass ein Kosten-Nutzen-Vergleich auf Jahresbasis durchgeführt werden
kann.
Vor der abschließenden Bewertung und Freigabe eines Projektes muss noch
geprüft werden, ob die Organisation im geplanten Zeitraum die zur Projektdurch-
führung notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen kann. Das zentrale Res-
sourcenmanagement nimmt das BPE Support Center in seiner Funktion als Pro-
jekt Management Office wahr. Ausgangspunkt des Ressourcenmanagement-
Prozesses sind die Ressourcenbudgets, die von den Organisationseinheiten auf
Jahresbasis für die Durchführung von BPE-Projekten bereitgestellt werden. Die
Budgets geben die prozentuale Verfügbarkeit der benannten Mitarbeiter oder Mit-
arbeitergruppe für den Einsatz in BPE-Projekten an. Durch eine Gegenüberstel-

1
Erfahrungen aus abgeschlossenen Projekten zeigen, dass optimierte Prozesse aufgrund
der dynamischen Rahmenbedingungen in ihrem Umfeld nach durchschnittlich drei Jah-
ren eine erneute Anpassung benötigen.
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE) 241

lung von verfügbaren Ressourcen und geschätztem Projektaufwand prüft das


PMO, ob für ein geplantes Projekt genügend freie Ressourcen vorhanden sind o-
der ein Ressourcenkonflikt zu erwarten ist. Für den Fall eines Ressourcenkonflik-
tes sieht der Prozess unterschiedliche Lösungsstrategien vor:
• Das geplante Projekt wird zurückgestellt und erst dann gestartet, wenn alle
„Engpass-Ressourcen“ genügend Kapazität zur Verfügung stellen können; be-
zogen auf einen Beispiel-Mitarbeiter wäre das beispielsweise frühestens im Mai
der Fall.
• Die Aufgaben des überlasteten Mitarbeiters werden einem anderen Mitarbeiter
zugeordnet, der noch genügend freie Kapazität hat und über eine entsprechende
Qualifikation zur Bearbeitung der jeweiligen Aufgabenstellung verfügt.
• Es werden zusätzliche Ressourcen bereitgestellt. Dies kann entweder durch
Aufstockung der budgetierten Kapazität des betroffenen Mitarbeiters (bei ent-
sprechender Reduzierung seiner Verfügbarkeit für Linienaufgaben) oder durch
Aufnahme weiterer Mitarbeiter in das Ressourcen-Budget geschehen.
• Andere Projekte im Projektportfolio werden zunächst zurückgestellt.
Die Auswahl einer Konfliktlösungsstrategie erfolgt unter Führung des PMO in
enger Abstimmung mit den betroffenen Mitarbeitern und ihren Vorgesetzten (Li-
nienmanagement). Der Vorschlag zur Lösung des Ressourcenkonfliktes fließt in
den Entscheidungsprozess der Projektauswahl ein.2

4 Projektportfolio und Entscheidungsprozess

Nachdem für eine Projektidee alle oben beschriebenen Aspekte bewertet worden
sind, entscheidet das zuständige Managementgremium über die Projektdurchfüh-
rung. Im Hinblick auf die übergeordnete Zielsetzung, eine optimale Projektaus-
wahl zu erreichen, muss die Projektidee allen übrigen, laufenden und geplanten
Projekten gegenübergestellt werden. Hierzu dient ein Projektportfolio, das die
Eckdaten aller Projekte bzw. Projektideen zusammenfasst. Neben den oben be-
schriebenen Bewertungskriterien werden in diesem Projektportfolio auch Informa-
tionen zu Problem- und Zielsetzung, Projektorganisation (Zuordnung von Pro-
zesseigner, Sponsor, Projektleiter, Coach), inhaltlichen Abhängigkeiten, Risiken,
aktueller Projektphase sowie weitere Projekteigenschaften abgebildet.
Die Pflege des Projektportfolios ist Aufgabe des PMO im BPE Support Center.
Im Zuge der Projektinitiative stellt der Prozesseigner die für das Portfolio notwen-
digen Informationen zur Verfügung. Nach der Freigabe eines Projektes ist der je-
weilige Projektleiter dafür verantwortlich, das PMO über Änderungen der Portfo-

2 Das PMO untersucht derzeit, ob die im Unternehmen vorhandene Multi-Projektmanage-


ment Software “Changepoint“ von Compuware zur Unterstützung des Ressourcen-
management-Prozesses für BPE-Projekte eingesetzt werden kann. Durch die Nutzung
dieser Software soll die Transparenz des Ressourceneinsatzes in BPE-Projekten weiter
gesteigert werden.
242 Thomas Habermann, Jörg Doch

liodaten seines Projektes zu informieren. Dies gilt z.B. für Verschiebungen des
geplanten Abschlusstermins, Kostenüberschreitungen oder Anpassungen der Pro-
jektorganisation.
Als Instrument zur Visualisierung der im Projektportfolio enthaltenen Projekte
bzw. Projektideen unter Kosten-/ Nutzen-Aspekten dient ein Bubble Chart, in dem
folgende Dimensionen berücksichtigt werden:
• Projektkosten p.a. (y-Achse)
• Einsparpotential p.a. (x-Achse) und
• Strategischer Nutzen (Größe des Symbols).
Zusätzlich wird anhand der Farbgebung unterschieden zwischen laufenden Pro-
jekten, zu denen bereits ein unterschriebener Projektauftrag vorliegt, und Projekt-
ideen bzw. Projektanfragen, die zur Freigabe anstehen. Die Zusammenführung
beider Kategorien in einem gemeinsamen Chart ermöglicht es, die relative Positi-
onierung eines geplanten Projektes gegenüber laufenden Projekten zu erkennen.
Auf diese Weise eignet sich das Diagramm auch als Hilfsmittel für Priorisierungs-
entscheidungen zwischen laufenden und geplanten Projekten, die z.B. infolge ei-
nes Ressourcenkonflikts notwendig werden können. Der Aufbau des Bubble
Charts ist in Abbildung 6 exemplarisch veranschaulicht.

gering FMEA2 Nr. Projekt


FMEA4 FC1 Ausbeutesteigerung
bis 8T€/a FMEA1 <Produkt A>
FMEA6 FMEA5
bzw. FMEA5 FC2 Vermeidung von un-
QM3 FMEA5 geeigneten Chargen
bis 24d FC3 FMEA3
? an <Produkt B>
Projekt-
Projekt- QM1 ? FMEA7 ?
QM1 FC4 FC3 NBD Opportunity
Kosten mittel QM2 Assessment
p.a. [T€
[T€ / a] PuT1 FC4 Analyse Kostenfaktoren
8 - 16 T€/ a im FC-Geschäft
VE1 FC1 FC2
Gesamt- bzw. PuT2 PuT4 PuT1 Zeitplanung Produkt-
wechsel Synth.betrieb
kosten verteilt 24 - 47d QS1
PuT2 Reduktion Equipment
auf 3 Jahre, Failure Synthesebetrieb
ermittelt aus SCM1
hoch PuT3 PuT3 Reduzierung Cycle
Zeitaufwand Time <Produkt C>
aller MA 16 - 24T€/ a Noch nicht bewertete PuT4 Optimierung Personal-
(mit 45€/h bzw. Projektideen einsatz in Synth.betrieb
47 - 71d QM1 Optimierung <Labor A>
und 7,5 h/d) Nr. Projekt Qualitätskontrolle
+ bereits FC5 Wertstromanalyse QM2 Optimierung Abläufe
abzusehende sehr hoch <Produkt L> für Analytische Labore
Investitionen >24T€/ a FC6 Reduktion Cycle QM3 Optimierg. Kostenstruk-
<Produkt M> tur u. Kostenallokation
bzw. Qualitätskontrolle
FC7 Wertstromanalyse
>71d <Produkt N> QS1 Optimierung SOP-
System GFB Chem.
SCM1 Optimierung Chargen-
gering mittel hoch sehr hoch abwicklung / Prüflose
(<20 T€) (20 - 100T€) (100 - 300T€) (>300T€) VE1 Optimierung von
Phasentrennprozessen
Einsparpotential pro Jahr [T€
[T€ / a] FMEA1 <Produkt E>
FMEA2 <Produkt F>
Legende FMEA3 <Produkt G>
Aktives Projekt, Aktives Projekt, Aktives Projekt, FMEA4 Suppy Chain-FMEA
geringer strateg. Nutzen mittlerer strateg. Nutzen hoher strateg. Nutzen <Produkt H>
(0% – 33%) (34% – 66%) (67% – 100%) FMEA5 Prozess-FMEA
<Produkt I>
Potentielles Projekt, Potentielles Projekt, Potentielles Projekt, FMEA6 Supply Chain-FMEA
geringer strateg. Nutzen mittlerer strateg. Nutzen hoher strateg. Nutzen <Produkt J>
(0% – 33%) (34% – 66%) (67% – 100%) FMEA7 Prozess-FMEA
<Produkt K>

Abb. 6: Bubble Chart zur aggregierten Projektbewertung (Beispiel)


Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE) 243

Die Entscheidung zur Freigabe von BPE-Projekten trifft das Managementgre-


mium des Bereiches im Rahmen seiner regelmäßigen Sitzungen. Das BPE Support
Center stellt als Entscheidungsgrundlage eine standardisierte Kurzdarstellung der
wesentlichen Projektdaten sowie das oben gezeigte Bubble Chart zur Verfügung
und nimmt an der Diskussion im Managementgremium teil. Bei ressourcenkriti-
schen Projekten kann zusätzlich ein Vorschlag zur Re-Priorisierung anderer Pro-
jekte eingebracht werden.
Ein Projekt wird üblicherweise dann freigegeben, wenn es mindestens ein mitt-
leres Einsparpotential oder einen mittleren strategischen Nutzen aufweist und kein
anderes Projekt mit besserer Kosten-Nutzen-Relation um dieselben Ressourcen
konkurriert. Auf feste Entscheidungsregeln – etwa im Sinne einer zwangsläufigen
Freigabe von Projekten, die sich in bestimmten Quadranten des Bubble Charts be-
finden – wurde bewusst verzichtet, da durch eine derartige Vorgabe niemals sämt-
liche Aspekte der komplexen Entscheidungssituation erfasst werden könnten.
Nach einer positiven Entscheidung des Managementgremiums wird der Pro-
jektauftrag unterzeichnet und die Projektbearbeitung beginnt. Im Projektverlauf ist
die Positionierung des Projektes im Portfolio regelmäßig zu überprüfen und muss
bei Bedarf angepasst werden. Dies kann unter Umständen zu einer Revision der
ursprünglich getroffenen Entscheidung bis hin zur Konsequenz eines Projektab-
bruchs führen. Meilensteine, an denen die Überprüfung der Positionierung erfolgt,
sind bei Six Sigma-Projekten die Phasenabschlüsse des DMAIC, welche die Funk-
tion von „Toll Gates“ für den Übergang in die nächste Phase übernehmen und
gleichzeitig den Projektleiter zur Überprüfung der Portfoliodaten verpflichten.

5 Identifikation von Projektpotenzialen

Um das in Kapitel 4 beschriebene BPE-Projektportfolio kontinuierlich mit Ideen


zu füllen, sind Ansätze zur systematischen Identifikation von Projektpotenzialen
notwendig. Im Folgenden werden zwei Vorgehensweisen anhand eines Beispiels
beschrieben:
• Durchführung von Dachprojekten/ Potenzialstudien
• Ermittlung eines PE (Process Excellence)-Indices
Für die zielgerichtete Durchführung eines Dachprojektes bzw. einer Potenzial-
studie sollte im Kontext von Business Process Excellence zunächst eine geeignete
Vision formuliert werden. So wurde beispielsweise eine Potenzialstudie mit der
Vision "Optimale Nutzung der vorhandenen Produktionskapazität" im Bereich der
Wirkstoffherstellung durchgeführt. Bei der Analyse der Ist-Situation zeigte sich,
dass die Gesamt-Produktionsanlagenkapazität in wertschöpfende (value added)
und nicht-wertschöpfende (non value added) Zeiten aufgeteilt werden kann. Wie
in Abbildung 7 ersichtlich, bildet sie die Basis für die Zuordnung von BPE-
Projekten.
244 Thomas Habermann, Jörg Doch

BPE-Projekte
Optimierung des Wartungs-
Leerkapazität/ Wachstumsreserve Stillstandes

Non value added


Reduktion der Ausschuss-
Andere Ausfallzeiten
Gesamtkapazitätsangebot (-zeit)

rate

Reduktion der technischen


Maschinenbezogene Ausfallzeit Störungen

Reduktion Reinigungs- und


Produktwechselzeit Rüstzeiten
Längere Kampagnien

Reduktion der Durchlaufzeit


De-bottlenecking
Produktionszeit Verbesserte Ausbeute
(Value added)

Abb. 7: Aufteilung der Gesamt-Anlagenkapazität und Zuordnung von BPE-Projekten

Die zur Verfügung stehende Gesamtzeit teilt sich in folgende Bereiche auf:
• Wertschöpfende Produktionszeit
• Produktwechselzeit, die sich im Wesentlichen aus der Anlagenreinigungszeit
und der Anlagenumrüstzeit für die Folgeproduktion zusammensetzt
• Nicht-wertschöpfende Ausfallzeiten
• Strategisch gewünschte Leerkapazität als Wachstumsreserve.
Um der Vision der „optimalen Nutzung vorhandener Produktionskapazitäten“
näher zu kommen, muss der Anteil der wertschöpfenden Produktionszeit erhöht
werden. Hierzu wurden geeignete BPE-/ Six Sigma-Projekte identifiziert und an-
hand des in Kapitel 3 beschriebenen Projektbewertungs- und Auswahlprozesses in
das Projektportfolio aufgenommen. Auf diese Weise ergaben sich mehrere
Schwerpunktthemen für BPE-Projekte:
• Um die notwendige Produktionszeit zur Herstellung eines Produktes zu verrin-
gern, wurden Verbesserungsprojekte zur Reduktion der Durchlaufzeit, zur Ent-
schärfung von Engpässen in der Produktionsanlage und zur Verbesserung der
Produktausbeute durchgeführt.
• Für die Minimierung der Produktwechselzeit sind Six Sigma-Projekte zur Ver-
ringerung der Reinigungs- und Rüstzeiten sowie zur Optimierung des Ablaufs
beim Produktwechsel initiiert worden.
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE) 245

• Die nicht-wertschöpfenden Ausfallzeiten wurden durch einzelne Projekte, wie


z.B. „Reduktion der technischen Störungen“ und „Optimierung des Wartungs-
stillstandes“, verringert.
In Summe mündeten die Six Sigma-Aktivitäten in eine deutliche Effizienz- und
Kapazitätssteigerung. Es konnte eine zusätzliche Produktionszeit zur Verfügung
gestellt werden, die mit neuen Produkten gefüllt wurde. Die erzielten Einsparun-
gen summierten sich im Jahr 2005 auf ca. 3 Mio. EUR. Die höhere Anlagenauslas-
tung eröffnete zusätzlich eine Möglichkeit, Neuinvestitionen zu vermeiden/ zu
verzögern und dadurch weitere Kosten in Höhe von ca. 30 Mio. EUR zu verhin-
dern.
Eine weitere Möglichkeit, um an Projektpotenziale zu kommen, ist die Imple-
mentierung eines PE-Index. Für den Index werden die im Rahmen der statisti-
schen Prozesskontrolle (SPC) erhobenen Daten verwendet. Dabei werden die drei
Dimensionen Qualität, Durchlaufzeit und Produktausbeute betrachtet.
Bei der Berechnung des PE-Index werden die Daten in einem halbjährigen
Rhythmus mit einem definierten Zielwert, dem sogenannten „Aspiration Level“
verglichen. Letztgenannter berechnet sich nach folgender Formel: 3
Aspiration Level = (Median + Best demonstrated Practice) / 2
Nur wenn sich daraus ein Verbesserungspotenzial für eine der drei Dimensio-
nen (Qualität, Durchlaufzeit, Ausbeute) ableitet, wird ein Projekt gestartet, in des-
sen Verlauf die Daten systematisch analysiert werden. Das nachfolgende Beispiel
veranschaulicht diese Vorgehensweise:
Die SPC-Daten für die Zwischenstufe eines Wirkstoffes zeigten einerseits, dass
der Prozess bezüglich der Durchlaufzeit eine hohe Streuung aufweist, und ande-
rerseits, dass Werte erreicht werden, die deutlich unter dem Mittelwert von 23,2
Stunden lagen (siehe oberes Diagramm in Abb. 8: Individual Values bis zur Char-
ge 1.259).
Der Median des zu verbessernden Prozesses lag bei 22,1 Stunden und die „Best
Demonstrated Practice“ bei 16,7 Stunden. Nach der oben angegebenen Formel er-
gibt sich ein „Aspiration Level“ von 19,4 Stunden, der deutlich unterhalb des o.g.
Mittelwertes liegt. Es zeigt sich also ein signifikantes Verbesserungspotenzial.
Folgerichtig wurde ein Six Sigma-Projekt mit zwei Projektzielen gestartet:
• Zentrierung des Prozesses hinsichtlich seiner Durchlaufzeit
• Reduzierung der mittleren Durchlaufzeit von 23,2 h auf 19,4 h (-16%).
Aus der daraus freigesetzten Anlagenkapazität errechnet sich ein finanzieller
Nutzen von ca. 485.000 EUR pro Jahr. Im Rahmen des Six Sigma-Projektes konn-
te über mehrere Verbesserungsmaßnahmen (siehe die Abschnitte 2 – 4 im oberen
Diagramm der Abb. 8: ab Charge 1.259, ab Charge 1.288 und ab Charge 1.322)
eine signifikante Reduktion der Durchlaufzeit (Cycle Time) auf einen Mittelwert
von 19,8 Stunden bei gleichzeitiger Reduktion der Streuung (siehe unteres Dia-
gramm in Abb. 8: Moving Range) erreicht werden.

3
Der Median wird verwendet, da dieser robust gegen Ausreißer ist.
246 Thomas Habermann, Jörg Doch

I-MR Chart of Cycle Time by Charge


1203 1259 1288 1322
1
40
Individual V alue

1
30 1

U C L=24,55
2
_
20 X=19,77
2
LC L=14,98

10
1203 1215 1234 1255 1269 1281 1293 1305 1318 1330 1342
C har ge

1203 1
1259 1288 1322
16 1
1
M ov ing Range

12 1

1
8
U C L=5,88
4
2 __
M R=1,80
0 2 LC L=0
1203 1215 1234 1255 1269 1281 1293 1305 1318 1330 1342
C har ge

Abb. 8: Entwicklung der Durchlaufzeit für die Zwischenstufe eines Wirkstoffes

6 Process Life Cycle-Management

Der vorstehend beschriebene Prozess der Projektauswahl ist eingebettet in einen


Process Life Cycle (PLC), der alle Entwicklungsstufen der Geschäftsprozesse von
der Aufnahme ihres Ist-Zustandes über die Erkennung von Optimierungsbedarfen
bis hin zur Verbesserung der Prozessleistung im Rahmen von BPE-Projekten um-
fasst. Wie in Abbildung 9 nachvollziehbar, untergliedert sich der PLC in 3 Ebe-
nen, nämlich Prozessbeschreibung, -messung und -optimierung.
Ebene 1: Prozessbeschreibung
Ausgangspunkt des Process Life Cycle ist die Erfassung der Ist-Abläufe für alle
Geschäftsprozesse. Die Erfassung erfolgt im Rahmen eines eigenständigen Projek-
tes (PROMPT), das bis zum Ende des Jahres 2007 eine vollständige Prozess-
Landkarte lieferte, in der alle Führungs-, Wertschöpfungs- und Unterstützungs-
prozesse des Bereiches in einer standardisierten Notation (ARIS-Modell von IDS
Scheer) abgebildet sind.
Im Zuge der Prozessaufnahme werden die von den Modellierern und Prozess-
experten erstellten Ablaufbeschreibungen vor ihrer Freigabe durch den jeweiligen
Prozesseigner überprüft. Bei der inhaltlichen Prüfung der Ablaufbeschreibungen
kann der Prozesseigner ggf. unmittelbar Verbesserungsbedarfe feststellen, weil der
Ablauf offensichtliche Schleifen, Prüfschritte, Fehlerkorrekturen oder andere nicht
Projektauswahlprozess als Erfolgsfaktor für Business Process Excellence (BPE) 247

wertschöpfende Arbeitsschritte aufweist. In diesem Fall hat der Prozesseigner die


Möglichkeit, über eine Projektanfrage an das BPE Support Center das oben be-
schriebene Verfahren zur Projektauswahl zu starten und so eine systematische Op-
timierung des Prozesses mit BPE-Mitteln (Six Sigma, Lean) zu veranlassen.

P roc es s Life C yc le, E be ne 1:


P R O Z ES S B E S C H R E IB U N G
P rozes sb esc hreibu ng P ro zes s-
V e ra ntw ortlic h: ers telle n und freigebe n bes chreibung
P rojekt PR O M P T
(P roz ess erfas su ng) +
P roz es sei gner
ja O ptim ierun gs-
beda rf ?
ne in

P roc es s Life C yc le, P P Is


E b ene 2: P ro zes sleis tung
m es sen (S oll / Ist)
P R O Z ES S M ES S U N G
V e ra ntw ortlic h:
P roz es sei gner
O ptim ierun gs- ne in A bs ch lus s Life
beda rf ? C yc le-P roz ess

ja

P roce ss Life C y cle, E bene 3: F reiga be


P rojektb ew ertung
P R O Z E S S O P T IM IE RU N G B PE -P roje kt
und -aus w ah l
V eran twortl ich :
P roze ss eigne r +
B P E S uppo rt Cen ter op tim ie rt er
B P E -P roje kt
d urch führen P roz ess

A npa ss ung ne in A bs chl uss Life


Pr oze ss besc hre ib ung
erford erlich ? C ycle-P roze ss

ja

Abb. 9: Process Life Cycle als Flussdiagramm

Ebene 2: Prozessmessung
Parallel dazu haben die Prozesseigner die Verpflichtung, für alle Geschäftsprozes-
se in ihrem Verantwortungsbereich geeignete Kennzahlen zur Messung der Pro-
zessleistung (PPIs – Process Performance Indicators) zu definieren und deren
Werte kontinuierlich zu überwachen. Typische PPIs sind Taktzeiten der Produkti-
248 Thomas Habermann, Jörg Doch

on, Ausbeuten, Fehlerraten oder Durchlaufzeiten von administrativen Prozessen.


An einer Abweichung der gemessenen PPI-Werte vom jeweiligen Zielwert oder
einer Verschlechterung im Zeitablauf kann der Prozesseigner ebenfalls (akuten)
Handlungsbedarf zur Verbesserung seines Prozesses erkennen. Auch in diesem
Fall wird über eine Projektanfrage der Projektauswahlprozess angestoßen.
Ebene 3: Prozessoptimierung
Wenn der in Abbildung 3 visualisierte Projektauswahlprozess zu der Entscheidung
führt, den betreffenden Geschäftsprozess im Rahmen eines BPE-Projektes zu op-
timieren, entsteht – in Abhängigkeit von den gewählten Improve-Maßnahmen –
i.d.R. ein Soll-Prozess, der sich hinsichtlich seines Ablaufs von dem ursprüngli-
chen Prozess unterscheidet (= optimierter Prozess). Die Veränderung des Ablaufs
muss in der Prozesslandkarte dokumentiert werden. Der PLC schließt sich, wenn
der optimierte Prozess durch den Prozesseigner verabschiedet und die zugehörige
Ablaufbeschreibung in der Prozesslandkarte auf den aktuellen Stand gebracht ist.
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-
Konzeptes zu Lean Six Sigma in einem
Unternehmen der chemischen Industrie

Klaus Weckheuer, Michael Hennes

Inhalt

1 Die Unternehmenssituation nach 7 Jahren Six Sigma..............................249


2 Programm-Integration: Six Sigma und Lean Management......................251
3 Anwendungsbeispiele ..............................................................................254
3.1 Prozesskategorisierung als Ausgangspunkt für Lean Six Sigma-
Projekte .................................................................................................255
3.2 Engpassanalyse zur Kapazitätssteigerung ................................................257
3.3 Ermittlung von Zeitprofilen zur Verkürzung von Batchzeiten.................259
3.4 5S-Workshop zur Optimierung der Prozessleittechnik ............................261
4 Zusammenfassung und Ausblick .............................................................262
5 Literatur....................................................................................................263

1 Die Unternehmenssituation nach 7 Jahren Six Sigma

Dieser Beitrag zeigt, mit welchen Überlegungen, Methoden und Maßnahmen die
Integration von Lean Management in ein Six Sigma-Programm in einem Unter-
nehmen der chemischen Industrie durchgeführt wurde. Die Basis bildet ein seit
mehreren Jahren etabliertes Six Sigma-Programm. Es werden sowohl spezifische
Anwendungen als auch organisatorische und personelle Maßnahmen der Weiter-
entwicklung des Six Sigma-Programms vorgestellt.
Das Beispielunternehmen1 ist eine größere US-amerikanische Aktiengesell-
schaft. In Deutschland bestehen mehrere Standorte, wobei am größten Standort ca.
900 Mitarbeiter beschäftigt sind.
Die Six Sigma-Initiative wurde im Jahr 1999 gestartet. Die Einführung von Six
Sigma in diesem Unternehmen war bereits Bestandteil verschiedener Veröffentli-
chungen (vgl. u.a. Weckheuer 2007; Snee/ Hoerl 2003; McElhiney 2002). Die
Schwerpunkte und Erlebnisphasen des zeitlichen Ablaufs der Programmentwick-
lung sind in Abbildung 1 im Überblick dargestellt.
Das Programm war und ist seit seiner Einführung vor allem in den produkti-
onsnahen Bereichen etabliert und hier – aus Sicht der Autoren – sehr erfolgreich.
Die Anwendungsmöglichkeiten der Six Sigma-Methodik in der chemischen Pro-
duktion sind vielfältig, und es wurde ein signifikanter Beitrag zur Produktivitäts-
steigerung realisiert.

1 Hersteller anorganischer Spezialchemikalien.


250 Klaus Weckheuer, Michael Hennes

Zeitskala Schwerpunkte Erlebnisphasen


Jahr 0 Erste Information über Six Sigma Überraschungsphase
Vorstandstraining
Start mit weltweitem Champion-Training Abwartephase

Suche nach Black Belts und Six Sigma-Projekten Schmunzelphase


Ausbildung und Projektstart (1. Welle) 1. Projektphase

Jahr 1 Abschluss der ersten Projekte


Start der 2. Black Belt-Welle in der Produktion Erste Erfolgsphase
Start mit Green Belt-Ausbildung
Weitere Projekte in der Produktion und erste Durchhaltephase
Projekte außerhalb der Produktion

Jahr 2 Start der 3. Black Belt-Welle in der Produktion Konsolidierungsphase


Fortführung Green Belt-Ausbildung
Start mit Yellow Belt-Ausbildung

Jahr 3 Programmerweiterung auf andere Bereiche Hochphase der Anwendung


(z.B. Forschung, Anwendungstechnik, Marketing)

Jahr 4 Konsolidierung des Programms in der Produktion


Fortführung der Green Belt-/ Yellow Belt-Ausbildung

Jahr 5 Start der 4. Black Belt-Welle Routinephase


Übertragung von Six Sigma in das operative Tages-
geschäft

Jahr 6 Start der Lean Management-Implementierung Wendephase


(Produktion und Administration)
Neuorganisation des Six Sigma-Programms

Jahr 7 Lean Management-Anwendung Erneute Konsolidierung


Start der 5. Black Belt-Welle

Abb. 1: Schwerpunkte und Erlebnisphasen des Six Sigma-Programms

Trägt man die Phasen im zeitlichen Verlauf gegen einen subjektiven Faktor
„Programmintensität“ auf, der sich aus Methodenanwendung, Schulung, Präsenz
im Unternehmen etc. konstituiert, so ergibt sich ein „Programm-Lebenszyklus“
der Initiative. Dieser ist beispielhaft in Abbildung 2 visualisiert.
Nach dem Start der Six Sigma-Initiative und einer Programm-Konsolidierung
folgte zunächst eine ein- bis zweijährige Phase, die rückblickend als eine „Hoch-
phase“ des Six Sigma-Programms zu bezeichnen ist: Viele erfolgreiche Projekte,
viele Schulungen und intensive Nutzung der Werkzeuge sind nur einige der Kenn-
zeichen.
Entscheidend ist, dass in dieser Hochphase bereits, analog zum Produktlebens-
zyklus, neue Impulse für die Weiterentwicklung des Programms gegeben werden,
da sonst eine Sättigung oder ein Rückgang der Programmintensität eintritt. Dieser
Rückgang wird insbesondere durch den Übergang von einer Initiative zur betrieb-
lichen Routine hervorgerufen, welcher zum einen die Emotionen aus dem Pro-
gramm nimmt. Zum anderen kommt es zum Fehlen neuer Anreize, wenn alle Pro-
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma 251

zesse bereits mehrfach mit Six Sigma-Werkzeugen untersucht und verbessert


worden sind. Diese „Innovationskrise“ darf nicht unterschätzt werden.

Programm-
intensität

Hochphase

Routinephase
Konsolidierungsphase Erneute
Konsolidierung

Durchhaltephase Wendephase
Six Sigma Lean Six Sigma ? ?
1. Projektphase

Überraschungs-
& Schmunzel-
phase

0 1 2 3 4 5 6 7 Jahre

Ständige Prozess- und Produktverbesserung

Abb. 2: Programmlebenszyklus (idealtypisch)

Der Übergang zur Routine ist zwar im Grunde genommen zu begrüßen, da Six
Sigma nun etabliert ist. Jedoch muss man sich darüber im Klaren sein, dass das
Programm gepflegt, entwickelt und durch neue Ansätze erweitert werden muss,
um langfristig zu bestehen. Im Beispielunternehmen wurde zu diesem Zeitpunkt
global mit der Einführung von Lean Management begonnen und damit eine Wen-
dephase eingeleitet. In diesem Zusammenhang ist das Programm grundlegend ü-
berarbeitet worden.

2 Programm-Integration: Six Sigma und Lean


Management

Die Einbindung von Lean Management in das Six Sigma-Programm wurde von
der amerikanischen Zentrale aus global gesteuert. Wesentliche Elemente dieses
Prozesses waren einerseits methodisch/ verfahrensorientiert und andererseits or-
ganisatorisch/ verhaltensorientiert (siehe Abb. 3).
252 Klaus Weckheuer, Michael Hennes

Methodische/ verfahrensorientierte Elemente Organisatorische/ verhaltensorient. Elemente

• Einführung von Lean Management-Metho- • Veränderung der Planungs- und Kon-


den in der Produktion trollinstrumente im Produktionsbereich
• Erweiterung des Lean Six Sigma-Ansatzes • Änderung der globalen Zuständigkeiten/
auf administrative Bereiche Positionen im „Productivity Program“
• Umbenennung und Erweiterung des Six • Zentralisierung der Analyse und Be-
Sigma-Programms in ein „Productivity wertung von Erfolgskennzahlen
Program“ i.S.v. Lean Six Sigma
• Schaffung neuer Stellen zur Einführung
• Veränderung der Trainingsinhalte für Black von Lean Management
Belts und Green Belts
• Kommunikation der veränderten
Schwerpunkte im Unternehmen

Abb. 3: Wesentliche Elemente zur Programmintegration von Six Sigma und Lean Manage-
ment

Parallel zu diesen globalen Veränderungen mussten auf lokaler Ebene Überle-


gungen angestellt werden, wie die Programmintegration vor Ort erfolgen und eine
dauerhafte Lösung erreicht werden kann. Dazu waren die Besonderheiten der ein-
zelnen Standorte mit den Erwartungen und Vorgaben der Zentrale in Einklang zu
bringen. Ausgangspunkt für diesen Prozess war eine Beurteilung der Stärken und
Schwächen des Six Sigma-Programms sowie der erwarteten Stärken und Schwä-
chen der Lean Management-Methoden. Zunächst wird in Abbildung 4 stichpunkt-
artig die (interne) Beurteilung des Six Sigma-Programms dargestellt.

Stärken Schwächen
• Klassischer Top-Down-Ansatz • Sehr starker Fokus auf den Produktions-
bereich
• Nachvollziehbare Resultate (sowohl quali-
tativ als auch finanziell) • Fokussierung auf Einzelpersonen (die
Belts) und kleine Teams
• Eindeutiges und funktionierendes Rollen-
modell mit Vollzeit-Black Belts in den Pro- • Ggf. zu technokratische Abwicklung und
duktionsbereichen Überbetonung der Messbarkeit
• Einheitliche Terminologie und Vorgehens- • Ggf. Gefahr der Innenfokussierung auf
weise im Unternehmen Fehlerbeseitigung
• Klares Projektmanagement • Gefahr der Kurzfristigkeit, wenn zu sehr
das Einzelprojekt und nicht das Gesamt-
system betrachtet wird

Abb. 4: Stärken-Schwächen-Profil des Six Sigma-Programms

Die wesentlichen Vorteile von Six Sigma werden in dem klaren Rollenmodell
und dem Projektmanagement, gepaart mit der strukturierten Vorgehensweise
(DMAIC-Zyklus) und der Verbindung zu finanziellen Kenngrößen, gesehen. Als
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma 253

Nachteile erscheinen das zu starke Fokussieren auf einzelne Projekte, die Hervor-
hebung einzelner Positionen (Belts) und eine ggf. zu technokratische Abwicklung.
Die Lean Management-Methoden waren zum Zeitpunkt der Einführung nur
wenigen Experten vertraut. Zwar gab es auch schon innerhalb des Six Sigma-Pro-
gramms erste Schritte im Hinblick auf die Nutzung von Lean-Methoden, z.B. bei
Workshops zur Rüstzeitreduzierung oder Materialflussoptimierung, aber es gab
nur wenige praktische Erfahrungen in größerem Umfang. Vor diesem Hintergrund
wurde das Stärken-Schwächen-Profil für den Einsatz von Lean Management-
Methoden erarbeitet (siehe Abb. 5).

Stärken Schwächen
• Erfassung und Analyse von Wertströmen • Wurzeln in asiatischer Kultur, die nicht
(„von Rampe zu Rampe“) ohne Weiteres in internationale Unter-
nehmen übertragen werden können
• Einsatz von „Kaizen“ als Ansatz zur Ein-
beziehung von mehr Mitarbeitern • Keine Vorgaben an Rollen und Orga-
nisation
• Aktive Förderung eines Prozesses der
kontinuierlichen Verbesserung (weniger • Gefahr des Missbrauchs und der
punktuelle Projekte) „Magersucht“ (negatives Image)
• Neue Methoden zur Optimierung des Fak- • Fehlende Erfahrung in der Anwendung
tors „Geschwindigkeit“ bei Prozessen der chemischen Industrie
• Methoden interdisziplinär und in größerem
Maße auch außerhalb der Produktion
einsetzbar, z.B. Verwaltung

Abb. 5: Stärken-Schwächen-Profil von Lean Management-Methoden

Auf drei Aspekte soll in diesem Zusammenhang kurz eingegangen werden:


1. Im Unterschied zu Six Sigma, wo einzelne Prozessabschnitte optimiert werden,
steht bei Lean Management der gesamte Wertstrom im Blickpunkt. Dabei soll
die Verschwendung aus diesem Wertstrom eliminiert werden, um die Durch-
laufzeit zu verkürzen und den Kundenwert zu erhöhen. Die Erstellung und
Analyse der Wertströme ist Kernelement und Schlüsselwerkzeug des Lean Ma-
nagement-Ansatzes. Die Wertstromanalyse ist universell einsetzbar, nicht an
Industriebereiche gebunden und bietet – aus Sicht der Autoren – eine wir-
kungsvolle Erweiterung des Six Sigma-Toolkastens an.
2. Eine besondere Bedeutung im Zusammenhang mit Lean Management besitzt
der Begriff „Kaizen“. Kaizen2 ist seit Jahren zum Schlagwort für den kontinu-
ierlichen Verbesserungsprozess geworden. Ziel von Kaizen ist es, quasi täglich,
in kleinen Schritten Verbesserungen in den Arbeitsabläufen zu erzielen und
sich niemals mit dem Status quo zufrieden zu geben: „Kaizen ist jedermanns
Angelegenheit“ (Imai 1998). In der Ausgestaltung des Begriffs Kaizen im Un-

2 jap.: Veränderung zum Besseren.


254 Klaus Weckheuer, Michael Hennes

ternehmen liegt der Schlüssel für die Akzeptanz von Lean Management und
anderen Verbesserungsaktivitäten durch die Mitarbeiter.
3. Die Anwendung der Lean-Methoden in der Teilefertigung ist seit Jahren fester
Bestandteil vieler Produktionssysteme und somit nicht neu. Anwendungen in
der Prozessindustrie, z.B. Chemie, Lebensmittel und Pharma, sind bisher noch
die Ausnahme (vgl. Grethlein 2006). Hier müssen z.T. geeignete „Übersetzun-
gen“ gefunden werden. Allerdings hat sich gezeigt, dass viele der Methoden
anwendbar sind oder sich in andere Konzepte, z.B. Komplexitätsmanagement
(vgl. Schuh 2005), leicht einbinden lassen.
Zusammenfassend ergeben sich aus den vorstehenden internen Stärken-
Schwächen-Profilen eine Reihe von Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Six
Sigma und Lean Management, die in Abbildung 6 aufgeführt sind.

Gemeinsamkeiten Unterschiede

Beide Konzepte ... • Six Sigma bietet den Vorteil eines star-
ken organisatorischen Ansatzes mit ein-
• legen einen starken Fokus auf die Anwen-
deutigem Rollenverständnis und klarer
dung von Problemlösungsmethoden
Projektstruktur
• haben ihren Anwendungsschwerpunkt in
• Lean Management fördert hingegen die
der Produktion; dies führt zu potenziellen
Einbeziehung möglichst vieler Mitarbei-
Akzeptanz-Schwierigkeiten außerhalb des
ter durch die „Kaizen-Ausrichtung“
technischen Bereichs
• Produktionsseitig bieten sich Six Sigma-
• besitzen ein eindeutig finanziell geprägtes
Werkzeuge in idealer Weise zur Optimie-
Entscheidungsinstrumentarium und wollen
rung chemischer Prozesse an
nicht „Qualität um der Qualität willen“
• Für die Anwendung von Lean Manage-
• helfen, vorhandenes Betriebskapital effi-
ment-Methoden müssen z.T. noch ge-
zienter zu nutzen. Sie sind daher insb. in
eignete Adaptionen gefunden werden,
reifen Märkten von großer Bedeutung, um
damit die aus der Teilefertigung bekann-
kostenintensive Investitionen zu vermeiden
ten Werkzeuge in der Prozessindustrie
respektive zu verringern
anwendbar sind

Abb. 6: Gemeinsamkeiten/ Unterschiede von Six Sigma und Lean Management

Es geht somit bei der Integration nicht um ein „besser oder schlechter“, auch
nicht um die Definition eines „Meta-Problemlösungs-Ansatzes für alle Prozesse“,
der das gesamte Methodenspektrum umfasst, sondern um den problembezogenen
Einsatz ausgewählter Methoden. Dies wird im Folgenden anhand von vier An-
wendungsbeispielen gezeigt.

3 Anwendungsbeispiele

Dieser Abschnitt beginnt mit einer Darstellung der Vorgehensweise zur Prozess-
kategorisierung, die als wichtiger Ausgangspunkt für Lean Six Sigma-Projekte
gilt. Darauf aufbauend werden verschiedene Methoden und Analysetechniken
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma 255

vorgestellt, die im Beispielunternehmen im Rahmen von Lean Six Sigma ange-


wendet werden. Hierzu gehören u.a. die Engpassanalyse zur Kapazitätssteigerung,
die Ermittlung von Zeitprofilen zur Verkürzung von Batchzeiten und die Durch-
führung von 5S-Workshops zur Optimierung der Prozessleittechnik.

3.1 Prozesskategorisierung als Ausgangspunkt für Lean Six Sigma-


Projekte

In diesem Unterkapitel wird eine einfache, aber sehr effektive Methode darge-
stellt, mit deren Hilfe Prozesse auf ihr Optimierungspotenzial durch Lean Six
Sigma-Methoden untersucht werden können. Grundlage hierfür sind die Wert-
stromanalyse und das so genannte „Glenday Sieb“.
Mit dem Begriff „Wertstrom“ bezeichnet man die gesamten Material- und In-
formationsflüsse im Unternehmen, die notwendig sind, um ein Produkt herzustel-
len und zu vertreiben.3 Da Unternehmen in aller Regel eine Vielzahl von Wert-
strömen zu realisieren und zu optimieren haben, muss ein methodischer Rahmen
bereitgestellt werden, mit dessen Hilfe eine Kategorisierung dieser Wertströme er-
folgen kann. Eine Möglichkeit hierzu bietet das Glenday Sieb, welches auf fol-
gendem Schema basiert (vgl. Glenday 2005):
Die Produkte einer organisatorischen Einheit werden kategorisiert, z.B. nach
ihrem Umsatz- und/ oder Mengenvolumen. Die Kategorisierung erfolgt in vier
Gruppen (siehe auch Abb. 7):
a) Grüne Produkte ergeben bis zu 50% des kumulierten Volumens
b) Gelbe Produkte ergeben bis zu 95% des kumulierten Volumens
c) Blaue Produkte ergeben bis zu 99% des kumulierten Volumens
d) Rote Produkte ergeben das letzte 1% des kumulierten Volumens.
Nach dem Konzept von Glenday werden die „grünen“ Produkte in einem fest
wiederkehrenden Produktionsplan/ -system nach dem Prinzip „Every Product, E-
very Cycle“ hergestellt. Voraussetzungen für das Funktionieren dieses festen Sys-
tems sind eine ausreichende Basisstabilität der Produktion (vgl. Smalley 2006),
eine exakte Nachfrageanalyse und -optimierung sowie ein „Schutz“ des festen
Plans vor Planänderungen. Das System wird als „green stream“ bezeichnet.
Unabhängig von diesem Produktionsplanungsansatz kann das Glenday Sieb
helfen, Schwerpunkte für die Anwendung von Lean Six Sigma-Verbesserungen zu
identifizieren. So bietet es sich an, die „grünen“ Produkte mit Hilfe der Wert-
stromanalyse zu erfassen. Diese Analyse ist interdisziplinär und beinhaltet die
Ziele, den Prozess zu beschreiben, mit Kennzahlen zu erfassen und Optimierungs-
potenziale herauszuarbeiten. Neben den klassischen Lean-Kenngrößen, z.B.
Durchlaufzeiten, Taktzeit, Lagerbestände und Push-Pull-Überlegungen, sind auch
die üblichen Six Sigma-Kennzahlen sinnvoll, wie z.B. Cp- und Cpk-Werte, oder ei-

3 Für eine ausführliche Darstellung der Wertstromanalyse und des Wertstromdesigns sei
auf den Beitrag von Vollmer in Kapitel B verwiesen.
256 Klaus Weckheuer, Michael Hennes

ne Beurteilung der Prozessstabilität anhand von Regelkarten. Der Umfang der A-


nalyse richtet sich dabei nach der Komplexität des untersuchten Prozesses.

Kumulierte Anzahl der % Anteil des kum. % Anteil Farb-


Prod.-Menge % Produkte Portfolios d. Portfolios kodierung
50% grün
95% gelb
99% blau
letztes 1% rot
Summe

Abb. 7: Schema für das Glenday Sieb

Als Ergebnis der Wertstromanalyse und der Erfassung der Kennzahlen ergeben
sich Optimierungspotenziale für die Hauptvolumenträger des Unternehmens, sei
es in Bezug auf den Faktor „Zeit“ (Rüstzeiten, Durchlaufzeiten, Lagerreichwei-
ten), den Faktor „Kosten“ und/ oder den Faktor „Qualität“ (Produkt-/ Prozessqua-
lität). Die erkannten Potenziale müssen anschließend im Rahmen der Projektbear-
beitung realisiert werden.
Der von Glenday geprägte Begriff des green streams eignet sich in diesem Zu-
sammenhang sehr gut, um zu beurteilen, wie gut die Hauptvolumenströme durch
das Unternehmen „fließen“, oder eben nicht. Auch wenn am Standort keine An-
passung der Produktionsplanung an das Glenday-Schema vorgenommen wurde, so
hat sich die Kategorisierung als geeigneter Ausgangspunkt für die Projektfindung
erwiesen. Wesentlich ist, dass es sich nicht um eine reine „Produktionsangelegen-
heit“ handelt, sondern um einen interdisziplinären Prozess mit Bereichen, die der
Produktion vor- und nachgelagert sind.
In weiteren Schritten können auch für die verbleibenden Produktkategorien
Lean Six Sigma-Anwendungen definiert werden. Bei den „blauen“ Produkten
können z.B. Methoden des Komplexitätsmanagements angewendet werden. In
dieser Kategorie wird nach Möglichkeiten der Standardisierung, z.B. in Bezug auf
Rohstoffe, Verpackungen und Produktionswege, und/ oder der Reduzierung der
Variantenzahl gesucht. Bei den „roten“ Produkten ist zu entscheiden, welchen
Wert sie für den Kunden und für das Unternehmen darstellen. Wenn sie einen
Wert für den Kunden bieten, ist über die Preisgestaltung nachzudenken, damit
zumindest die internen Komplexitätskosten aufgefangen werden. Ziel ist es, diese
Produkte nicht aus dem Portfolio zu eliminieren, sondern sie für das Unternehmen
zu Wertbringern weiterzuentwickeln.
In Abbildung 8 sind die Ergebnisse des Glenday Siebes für die interne Erfas-
sung von drei Standorten eines Teilbereichs des Unternehmens wiedergegeben:
Der prozentuale Anteil der „grünen“ Produkte, also der Hauptvolumenträger (50%
des Volumens) liegt bei allen drei Standorten zwischen 11% und 14%. Im Gegen-
satz dazu sind an allen Standorten ca. 40-50% des Produkt-Portfolios für nur 5%
der Gesamtmenge verantwortlich bzw. 18-25% der Produkte für nur 1% des Vo-
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma 257

lumens. Dieses Ergebnis ist nicht untypisch und deckt sich mit den Ergebnissen
aus anderen Branchen. Für die „grünen“ Produkte kann nun mit Hilfe der Wert-
stromanalyse eine Detailuntersuchung erfolgen, wie sie im nächsten Abschnitt
beispielhaft gezeigt wird.

Standort 1
Kumulierte Anzahl % Anteil Kumulierter %-Anteil Farb-
Produktionsmenge [%] Produkte des Portfolios des Portfolios code
50% 10 13,3 13,3 grün
95% 36 48,0 61,3 gelb
99% 14 18,7 80,0 blau
Last 1 % 15 20,0 100,0 rot
sum 75

Standort 2
Kumulierte Anzahl % Anteil Kumulierter %-Anteil Farb-
Produktionsmenge [%] Produkte des Portfolios des Portfolios code
50% 9 14,5 14,5 grün
95% 31 50,0 64,5 gelb
99% 11 17,7 82,3 blau
Last 1 % 11 17,7 100,0 rot
sum 62

Standort 3
Kumulierte Anzahl % Anteil Kumulierter %-Anteil Farb-
Produktionsmenge [%] Produkte des Portfolios des Portfolios code
50% 12 11,3 11,3 grün
95% 45 42,5 53,8 gelb
99% 23 21,7 75,5 blau
Last 1 % 26 24,5 100,0 rot
sum 106

Abb. 8: Glenday Sieb für drei Produktionsstandorte (Beispiel)

3.2 Engpassanalyse zur Kapazitätssteigerung

Mithilfe von Lean Six Sigma-Werkzeugen wurde eine Produktionslinie unter-


sucht, um Schwachstellen und Engpässe entlang des gesamten Wertstroms für ei-
ne Kapazitätserweiterung zu erfassen. Dabei wurde die folgende sechsstufige
Vorgehensweise gewählt:
1. Durchführung einer Produktkategorisierung mit Hilfe des Glenday-Schemas
zur Erfassung der wesentlichen Produkt- und Kundengruppen.4 Daraus wurde
der „green stream“ für diesen Geschäftsbereich abgleitet.
2. Auswahl der kritischen Produktfamilien sowie der Haupt- und Subherstel-
lungsprozesse für eine Detailuntersuchung. Ein Schema für die Identifikation
von Haupt- und Subprozessen ist beispielhaft in Abbildung 9 gegeben.
3. Statistische Detailanalyse des Kunden-Bestellverhaltens und der Verpa-
ckungsvarianten für diese Produktfamilie mithilfe von Six Sigma-Werkzeugen,

4 Eine typische Frage in diesem Zusammenhang ist: Wie viele Produktfamilien ergeben
50% des Gesamtvolumens und welche Kunden erhalten diese?
258 Klaus Weckheuer, Michael Hennes

z.B. Pareto-Analysen oder Zeitreihen-Analysen, sowie Beurteilung der Basis-


stabilität der Produktfamilien anhand von Regelkarten und Cpk-Werten.

Basismaterial- Hauptprozess Hauptprozess


herstellung A B

Mech. Mech.
Behandlung Behandlung Verladen
Silo 1 A Silo 2 B Silo ´3

Abb. 9: Schema für Haupt- und Sub-Prozesse

4. Erstellung von Wertstromdiagrammen mit Darstellung der „Current state map“


für die verschiedenen Produktfamilien sowie Verpackungs-/ Ladevarianten, in-
klusive Detailanalysen zu Taktzeiten. In Abbildung 10 ist ein schematisches
Wertstromdiagramm zur Analyse des Ist-Prozesses exemplarisch aufgeführt.
Ebenfalls wurde das Konzept des „One Piece Flow“ angewendet; als Losgröße
i.S.v. 1 diente ein Silozug oder eine LKW-Ladung.

Abb. 10: Beispiel für eine Wertstromanalyse


Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma 259

5. Gemeinsame Erarbeitung von Verbesserungspotenzialen zur gezielten Eng-


passbeseitigung, z.B. in Form von Six Sigma-Projekten, als Investitionsmaß-
nahmen oder als Aktivitäten zur Vereinfachung und Fehlervermeidung, z.B. in
Form von Poka Yoke.
6. Zusammenfassung der Maßnahmen in einer Aktionsliste und Darstellung in der
„Future State Map“ (Soll-Zustand).
Der Aufwand zur erstmaligen Erfassung der Wertströme war erheblich. Aller-
dings stellt die detaillierte Ausarbeitung eine gute Grundlage für zukünftige Ana-
lysen und Projekte dar.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass ein wichtiger Faktor die abtei-
lungsübergreifenden Teams sind. Durch die gemeinsame Erstellung des Wert-
stromdiagramms kommt es zum Erfahrungs- und Wissensaustausch der Verant-
wortlichen aus verschiedenen Bereichen. Somit verbessert sich die Kommunikati-
on entlang der Wertschöpfungskette.

3.3 Ermittlung von Zeitprofilen zur Verkürzung von Batchzeiten

Das Glenday Sieb wird im Wesentlichen als ein Werkzeug zur Projektfindung und
Prioritätensetzung genutzt. Auf dieser Basis ist im Folgenden ein Beispiel für eine
konkrete Optimierung im Produktionsbereich dargestellt. Bei diesem wird ein
Produktionsprozess mithilfe einer Zeitanalyse „zerlegt“ und anschließend sukzes-
sive optimiert.
Wie bereits erwähnt, liegt das wesentliche Ziel der Lean-Methodik in der Ver-
meidung von Verschwendung (Muda) in den Wertströmen. Der Begriff der Ver-
schwendung umfasst dabei nicht nur Fehler, sondern auch Wartezeiten, Trans-
portvorgänge, Überbearbeitung oder nicht notwendiges Inventar.5 Anhand der Ü-
berlegungen zur Verschwendung lassen sich nicht nur übergeordnete Wertströme
analysieren, sondern der Anwender kann mittels dieses Schemas relativ leicht
auch interne Abläufe erfassen, um z.B. Durchlaufzeiten zu reduzieren oder zusätz-
liche Kapazitätsmöglichkeiten zu schaffen.
Im Beispielunternehmen wurde ein einfaches Datenblatt (vgl. Remy 2005) ge-
nutzt, um Zeitprofile von Produktionschargen zu erstellen. Im Prinzip erfolgt da-
mit eine Einteilung der verschiedenen Tätigkeiten in die o.g. Verschwendungsar-
ten, inklusive einer Abschätzung der Zeiten oder Entfernungen. Die Erfassung
dient als Grundlage für die Ableitung von Verbesserungsmaßnahmen. Das prinzi-
pielle Vorgehen soll an einem Beispiel in Abbildung 11 gezeigt werden.6
Anhand der Tabelle in Abbildung 11 werden die verschiedenen Prozessschritte,
die gemäß definierter Rezepturen und Herstellungsanweisungen ablaufen, deut-
lich. Wesentlich ist dabei zum einem die Zeiterfassung sowie zum anderen die

5 Im Englischen werden die Verschwendungsarten oft mit dem Akronym TIMWOOD =


Transportation, Inventory, Motion, Waste, Overproduction, Overprocessing, Defect ab-
gekürzt.
6 Die reale Prozesswelt ist vielfach komplizierter; für den Artikel soll beispielhaft ein stark
vereinfachtes Schema aufgezeigt werden.
260 Klaus Weckheuer, Michael Hennes

Einteilung in die verschiedenen Verschwendungsarten. Dadurch wird relativ


schnell deutlich, an welchen Stellen eine Optimierung möglich ist. Im Beispiel
sind dies die Verbesserung der Dosierprofile und Rührvorgänge, die Verkürzung
von Analysezeiten und/ oder die Optimierung des Chargenwechsels mit Reini-
gungstätigkeiten, Prüfvorgängen, Dokumentationen etc. Während die chemische
Reaktion i.d.R. aufgrund der Reaktorgeometrie und der chemisch-physikalischen
Gesetzmäßigkeiten definiert ist, ergeben sich viele Verbesserungspotenziale in
den Aktivitäten, die um den eigentlichen „Prozess herum“ ablaufen.

Beispiel eines Akuell Vorschlag Einsparung


Chargenprozesses Schritte Zeit Schritte Zeit Schritte Zeit

Vorgang 1 300 1 300 0 0

Transport 4 90 3 55 -1 -35
Prüfung 3 65 3 45 0 -20
Verzögerung 3 90 3 45 0 -45
Lagerung 0 0 0 0 0 0
Entfernung
Zeit 545 445 -100
Verzögerung

Entfernung

Menge (kg)
Lagerung
Transport

Zeit (min)
Vorgang

Prüfung

Prozess-Schritte Kommentare
(m)

Vorlage 15

Dosierung Material A 20 Paralleldosierung


A und B
Dosierung Material B 20

Rühren 30 Reduzierung Rührzeit

Reaktion 300

Rühren 30 Reduzierung Rührzeit

Beprobung 5

Messergebnis abwarten 50 Reduzierung Mess-Zeit

Behälter entleeren 35 schnelleres Entleeren

Behälter reinigen 30 alternative


Reinigungstechnik
Vorbereitung Folgebatch 10

1 4 3 3 0
Anzahl Schritte
300 90 65 90 0
Zeit (Minuten)

Abb. 11: Zeitprofil für vereinfachten Batchprozess in der chemischen Industrie


Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma 261

3.4 5S-Workshop zur Optimierung der Prozessleittechnik

Als letztes Beispiel wird auf die 5S- bzw. 5A-Workshops Bezug genommen. Wie
eingangs ausgeführt, ist eine wesentliche Stärke des Lean-Ansatzes die direkte
Einbeziehung vieler Mitarbeiter in die Problemlösung – im Gegensatz zu den eher
kleinen Projektteams bei den Six Sigma-Anwendungen. Um dies zu erreichen,
werden verschiedene 5S-Workshops im Unternehmen durchgeführt, insbesondere
in der Produktion und im Labor. Die generelle Vorgehensweise ist in Abbildung
12 ersichtlich. Die Workshops werden vom Lean Master sowie den Black Belts
moderiert und haben zum Ziel, Abläufe zu verbessern, Gehwege zu verkürzen so-
wie das allgemeine Arbeitsumfeld weiter zu verbessern.
Die Struktur der 5S-Vorgehensweise wurde gewählt, um im Rahmen der Work-
shops auch andere Themengebiete zu bearbeiten. Als Beispiel dient hier ein
Workshop mit dem Ziel, ein Prozessleitsystem zu optimieren. Mithilfe von kom-
plexen Prozessleitsystemen wird in einem Chemiebetrieb der gesamte Prozess ge-
steuert: von der Reaktorbefüllung/ -entleerung über die Rezeptursteuerung bis hin
zur Prozess- und Anlagenüberwachung. Prozessleitsysteme sind sozusagen das
Herz der Anlagen. In den meisten Betrieben sind diese Leitsysteme zusammen mit
neuen Anlagenteilen historisch „mitgewachsen“, so dass im Laufe mehrerer Jahre
es immer wieder zu Programmunterschieden bei an sich gleichen Reaktortypen
kommt. Diese Unterschiede erhöhen die Komplexität der Aufgaben in der Leit-
warte. Sofern nicht ein völliges „Re-Engineering“ der Programme stattfindet,
muss man sich im Betrieb mit kleinen Schritten helfen, um die Arbeit in der Leit-
warte zu vereinfachen.

1. S Sort Worin unterscheiden sich Aggregate und Programme?


(Sortieren)
2. S Straighten Was ist gut und sollte behalten werden?/ Was ist ggf.
(Aufräumen) überflüssig?

3. S Shine Welche Programmschritte/ Alarme/ Messages kann man


(Säubern) weglassen oder anders gestalten?

4. S Standardize Welche Programmschritte kann man vereinheitlichen?


(Standardisieren)
5. S Sustain Was ist für einen reibungslosen Betrieb notwendig?
(Erhalten)

Abb. 12: Fragen im Rahmen der 5S-Analyse

Im Beispielunternehmen wurde eine Betriebserweiterung als Ausgang für eine


5S-Analyse des Prozessleitsystems gewählt. Ziel war es, die Programme für die
bestehenden Komponenten zu analysieren und daraus eine standardisierte und op-
timierte Programmfahrweise – für den neuen und den alten Betriebsteil gleicher-
maßen – zu erstellen, um dem steigenden Arbeitsaufwand in der Leitwarte besser
262 Klaus Weckheuer, Michael Hennes

gerecht zu werden. Der Workshop wurde nach folgendem vier Punkte-Schema


durchgeführt:
1. Zunächst wurde eine Checkliste zur Analyse der Prozessleittechnik-Program-
me nach den 5S-Gesichtspunkten erstellt (siehe auch Abb. 12).
2. Jeder Teilnehmer musste sich anhand der Fragen in Abbildung 12 im Voraus
im Detail mit den Programmen befassen, um Unterschiede, Verbesserungsmög-
lichkeiten und bestehende (sehr gute) Lösungen für die verschiedenen Aggrega-
te zu erarbeiten, z.B. in Bezug auf das Prozessanfahren/ -abfahren, den
Normalbetrieb und den Umgang mit potenziellen Störungen und Alarmfre-
quenzen.
3. Im eigentlichen 5S-Workshop wurden dann die Vorschläge zusammengestellt,
mit den Fachleuten aus der Prozessleittechnik diskutiert und die notwendigen
Maßnahmen definiert.
4. Die Umsetzung der Programmierarbeit und die Kontrolle der Maßnahmen er-
folgt sukzessive im laufenden Betrieb.
Wesentliche Erfolgskriterien waren die detaillierte Vorbereitung der Teilneh-
mer, die Einbeziehung von Mitarbeitern aus allen Schichten sowie die am Ende
erstellte und definierte Verbesserungsliste inklusive Umsetzungskontrolle.

4 Zusammenfassung und Ausblick

Damit eine Integration von Lean Management in ein Six Sigma-Programm erfolg-
reich ist, müssen verschiedene Management-Themenbereiche geklärt werden. Da-
zu gehören insbesondere die Bereiche „Organisation und Struktur“, „Methoden
und Programm-Management“ sowie „Verhalten und Kultur“. Die hierauf bezoge-
nen Änderungen werden für das Beispielunternehmen zusammengefasst.
Im Themenbereich Organisation und Struktur wurde das Six Sigma-Modell im
Wesentlichen beibehalten:
• Die Struktur des Six Sigma-Programms mit einer zentralen Steuerung in der
Holding und dezentral agierenden Black Belts in den Produktionsbereichen
blieb unverändert, genauso wie das Six Sigma-Steering-Committee.
• Eine neue, zentrale Stelle „Lean Master“ wurde geschaffen, um auf diese Weise
schneller Lean-Wissen/ -Erfahrung zu sammeln.
Im Themenbereich Methoden und Programm-Management ergaben sich fol-
gende Änderungen und Erweiterungen:
• Die Lean Six Sigma-Projekte und -Erfolgskennzahlen wurden in das operative
Planungs- und Kontrollsystem eingebunden. Damit ist eine laufende Umset-
zungs- und Erfolgskontrolle sichergestellt.
• Die Methode der Wertstrom-Analyse wird verstärkt genutzt, um – basierend
auf der Prozesskategorisierung – für wesentliche Prozesse Projekte zu finden.
Erfolgreiche Weiterentwicklung des Six Sigma-Konzeptes zu Lean Six Sigma 263

• Die Vorgehensweise für die Projektfindungs-Workshops wurde durch Lean-


Methoden erweitert.
• Die Durchführung klassischer Six Sigma-Projekte blieb bzw. bleibt überall dort
beibehalten, wo es sinnvoll ist.
Im Themenbereich Verhalten und Kultur war es ein Hauptanliegen des Unter-
nehmens, ein „positives Image“ des Lean-Ansatzes zu erreichen. Dies wurde
durch folgende Punkte unterstützt:
• Um mehr Mitarbeiter in das Programm einzubeziehen, werden verstärkt Kai-
zen- und 5S-Workshops eingesetzt.
• Die Ausbildung von Lean-Yellow Belts wurde beschleunigt. Insbesondere auf-
grund der guten Erfahrungen bei der Six Sigma-Einführung, wurde diesmal
sehr schnell eine große Anzahl von Lean-Yellow Belts geschult.
• Zur Unterstützung der Aktivitäten in den administrativen Bereichen wurden
neue Green Belt-Kurse für „Lean Six Sigma in transactional areas“ erarbeitet.
Bei allen Schulungen sollte aber klar sein, dass die Einbeziehung der Mitarbei-
ter vor Ort und die Konsequenz der Umsetzung die wesentlichen Hebel für die
Akzeptanz der Lean Management-Methoden sind.
• Die Fortschritte und Erfolge des Programms werden regelmäßig veröffentlicht.
Weiterhin erfolgt die systematische Vermittlung von Lean Six Sigma-
Werkzeugen als Weiterbildung in Form von Intranet-Auftritten, Bekanntma-
chungen, Newslettern etc.
Folgt man der Überlegung des „Programm-Lebenszyklus“, so befindet sich das
Lean Six Sigma-Programm (in der Produktion) zurzeit erneut in einer Phase der
Konsolidierung. Abzuwarten bleibt, welche Themen in ein paar Jahren das Ver-
besserungsprogramm erweitern und voranbringen und welche Elemente erhalten
bleiben. Spätestens dann wird man sich wieder Gedanken zum Thema „Integrier-
tes Management“ machen müssen (vgl. Bleicher 2004).

5 Literatur

Bleicher, K. (2004): Das Konzept Integriertes Management – Visionen, Missionen, Pro-


gramme, 7. Aufl., Frankfurt am Main 2004.
Glenday, I. (2005): Breaking Through to Flow, Ross on Wye 2005.
Grethlein, E. (2006): Signifikante Verbesserungen durch Lean Management, in: http://
www.lean-management-Institut.de/fileadmin/downloads/Fachartikel_Process_f_r_
Web.pdf, Zugriff: 11.07.2006.
Imai, M. (1998): Kaizen, 8. Aufl., Frankfurt am Main et al. 1998.
McElhiney, G. (2002): Hüben wie drüben – Six Sigma sollte nicht blind aus Amerika über-
nommen werden, in: QZ Qualität und Zuverlässigkeit, 47. Jg. (2002), Nr. 2, S. 300-
302.
Remy, R. (2005): Lean Six Sigma in Transactional Areas, Internes Seminar, Oppenheim
2005.
264 Klaus Weckheuer, Michael Hennes

Schuh, G. (2005): Produktkomplexität managen – Strategien, Methoden, Tools, 2. Aufl.,


München/ Wien 2005.
Smalley, A. (2006): Basic Stability is basic to Lean Manufacturing Success, in: http://www.
leanuk.org/articles/achieving_basic_stability.pdf, Zugriff: 11.07.2006.
Snee, R./ Hoerl, R. (2003): Leading Six Sigma, Upper Saddle River 2003.
Weckheuer, K. (2007): Einführung von Six Sigma in der chemischen Industrie: Erfahrun-
gen, Vergleich Amerika-Europa, Anwendungsmöglichkeiten, in: Töpfer, A. (Hrsg.):
Six Sigma – Konzeption und Erfolgsbeispiele für praktizierte Null-Fehler-Qualität, 4.
Aufl., Berlin/ Heidelberg 2007, S. 415-429.
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur
und Überholung (R&O) im Bereich Aerospace

Jürgen Bremer

Inhalt

1 Lean Six Sigma bei Honeywell................................................................265


1.1 Kurzporträt des Unternehmens.................................................................265
1.2 Der Wartungs- und Reparaturprozess ......................................................266
1.3 Qualität, Zeit und Kosten in der Ausgangssituation.................................268
2 Verbesserungsprojekt im Bereich Turbo Fan Engines .............................268
2.1 Produktions- und Transportlosgrößen als Verbesserungsansatz ..............269
2.2 Durchlaufzeitenreduzierung durch modulare Bauweise...........................272
2.3 Hohe Liefertreue durch Festlegen der „richtigen“ Prioritäten..................275
3 Wesentliche Projekterfolge und -ergebnisse ............................................278

1 Lean Six Sigma bei Honeywell

Der Beitrag beschreibt, wie in einem Betrieb für Reparatur und Überholung1 von
Flugzeugtriebwerken Lean-Konzepte erfolgreich umgesetzt wurden. Diese Lean-
Konzepte sind Teil der Six Sigma-Philosophie des Unternehmens und folgen
grundsätzlich dem DMAIC-Verbesserungsansatz. Auf dieser Basis konnte die
Durchlaufzeit um über 60% gesenkt werden. Während sich die Six Sigma-Black
Belts mit den Ursachen für Streuung sowie deren Beseitigung beschäftigten, fo-
kussierten die Six Sigma-Lean Experts – ebenfalls dem DMAIC-Ansatz folgend –
auf Wartezeiten und nicht wertschöpfende Prozessschritte.

1.1 Kurzporträt des Unternehmens

Die Firma Honeywell ist ein international agierendes Unternehmen mit amerikani-
schen Wurzeln. Es generiert mit ca. 122.000 Mitarbeitern weltweit ca. 34,6 Mrd.
US-$ Umsatz2. Honeywell gliedert sich in die vier Business Groups: Aerospace,
Automation and Control Solutions, Transportation Systems und Specialty Materi-
als und kann damit als Mischkonzern bezeichnet werden.
Das Projekt wurde am deutschen Standort Raunheim durchgeführt, der sich
ganz in der Nähe des Frankfurter Flughafens befindet. Der Standort gehört inner-
halb der Business Group Aerospace zum Bereich Aftermarket Services. Es ist

1 In Engl.: Repair and Overhaul, kurz R&O.


2 In 2007.
266 Jürgen Bremer

weltweit der größte Honeywell Standort für Repair and Overhaul (R&O) außer-
halb der USA.
Den größten Geschäftsbereich innerhalb des Standortes stellen die so genannten
Auxiliary Power Units (APU) dar, gefolgt von den Propulsion Engines. Der um-
satzmäßig kleinste, jedoch volumenmäßig größte Bereich ist System Components
and Accessories Service (SCAS). Eine APU ist eine Gasturbine, die im Flugzeug
im Heck unterhalb des Seitenruders eingebaut ist und häufig nur am Abgasrohr
erkannt wird (siehe Abb. 1). Die Turbine generiert Strom für die gesamte Board-
Elektrik und -elektronik sowie Druckluft für die Klimaanlage und das Starten der
Flugtriebwerke (Propulsion Engines). Da während des Fluges diese Funktionen
von den Flugtriebwerken übernommen werden, läuft eine APU meist nur, wäh-
rend sich das Flugzeug am Boden befindet sowie während Start und Landung.

Abb. 1: Auxiliary Power Unit (APU) im ein- und ausgebauten Zustand

Propulsion Engines sind die Flugtriebwerke, die für den Vorschub des Flug-
zeuges sorgen. Man unterscheidet zwischen Turbo Fan Engines (TFE, Düsen-
triebwerke) und Turbo Prop Engines (TPE, Propellertriebwerke). Honeywell pro-
duziert Propulsion Engines ausschließlich für kleinere Maschinen im Bereich Re-
gional & Business Aviation (siehe Abb. 2).
Das im Folgenden beschriebene Verbesserungsprojekt war zunächst begrenzt
auf den Bereich TFE. Die Konzepte wurden später in Anschlussprojekten auf die
Bereiche APU und SCAS in ähnlicher Form übertragen.

1.2 Der Wartungs- und Reparaturprozess

Turbo Fan Engines sind vorwiegend in kleinen Jets eingebaut, die – wenn über-
haupt – in einer sehr kleinen Flotte fliegen. Die Eigentümer verfügen meist nicht
über einen eigenen Service, der die Triebwerke zerlegen kann. Daher werden
Wartungs- und Reparaturarbeiten von so genannten Servicegesellschaften durch-
geführt, die an den Flughäfen ansässig sind. Die Servicegesellschaften bauen
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O) 267

Abb. 2: Business Aviation Jet mit TFE-Triebwerk (oben links), Turbo Fan Engine 731-60
von Honeywell (oben rechts), Regional Jet mit TPE-Triebwerk (unten links) und Honey-
well TPE 331-1 (unten rechts)

die Triebwerke aus und schicken sie in Kisten verpackt per Lastwagen zu Repara-
turbetrieben wie etwa Honeywell Raunheim.
In Raunheim wird ein Triebwerk nach dem Auspacken und Aufhängen in ei-
nem so genannten Build Stand einer Eingangsinspektion unterzogen. Mechaniker
stellen dabei die Seriennummern aller wichtigen Bauteile fest und inspizieren den
Motor auf offensichtliche Schäden. Teils wird ein Eingangstest in der Testzelle
durchgeführt, teils mit dem Boroskop in das Innere der Maschine gesehen. Nach
Absprache der Befunde mit dem Overhaul Engineering und z.T. auch mit dem
Kunden wird die Maschine entsprechend des Workscopes zerlegt.
Der Workscope (Zerlegungsgrad) richtet sich nach der Laufleistung (kleine o-
der große Inspektion) und den festgestellten Schäden, z.B. Undichtigkeiten, man-
gelnde Leistung, Bird Strike. Alle abgebauten Teile werden sorgfältig auf bis zu
vier Teilewagen abgelegt, bevor die Teile in einer separaten Reinigungsabteilung
gründlich gereinigt werden. Anschließend werden alle Teile in der Parts Inspecti-
on visuell auf Schäden überprüft. Einige Teile werden darüber hinaus vermessen
und einem Non Destructive Test (NDT) mittels Penetrationsverfahren bzw. Eddy
Current-Verfahren unterzogen.
Die beschädigten Teile können nur z.T. in Raunheim repariert werden. Diejeni-
gen Teile, die nicht vor Ort repariert werden können, werden mit einem Paketser-
vice zum Lieferanten geschickt – meistens andere Honeywell-Werke in den USA,
wo sie innerhalb von max. 48 Stunden ankommen. Alle anderen, nicht beschädig-
268 Jürgen Bremer

ten Teile des Triebwerkes werden in Raunheim eingelagert, wo sie auf die Rück-
kehr der Reparaturteile aus Übersee bzw. dem hausinternen Rework-Shop warten.
Nach Rückkehr des letzten Reparaturteiles werden die bis zu vier Teilewagen
in die Montage verschoben, und die Engine wird dort wieder zusammengebaut.
Der Zusammenbau kann unter „normalen Umständen“ bis zu einer Woche dauern.
Im Anschluss wird die Maschine auf Leistung, Vibrationen und Dichtigkeit getes-
tet, wofür noch einmal fast ein Tag benötigt wird. Nach dem Testen werden die
Schraubverbindungen mit Drähten gesichert (Lock Wiring). Bevor das Triebwerk
verpackt und verschickt wird, werden alle zugehörigen Dokumente von einem
Prüfer des Luftfahrtbundesamtes (LBA) gründlich geprüft und abgenommen.
Der Zeitraum vom Erhalt des Triebwerks bis zum Versand der Reparaturteile
wird Gate 1 oder Front End genannt. Das Warten auf die Rückkehr des letzten
Reparaturteils wird als Gate 2 bezeichnet. Die Zeit der Montage bis zum Versand
des fertigen Motors zum Kunden heißt schließlich Gate 3 oder Back End.

1.3 Qualität, Zeit und Kosten in der Ausgangssituation

Neben den möglichst geringen Kosten und einer 100%-igen Qualität sind für die
Kunden, d.h. sowohl für Service-Gesellschaften als auch für Flugzeugeigentümer,
kurze Lieferzeiten wichtig. Die so genannte Turn Around Time (TAT), die vom
Eingang in Raunheim bis zum Versand an den Kunden gemessen wird, ist ein
Faktor, der über die Vergabe von Reparatur-Aufträgen entscheidet. Kunden for-
dern für eine Reparatur von normalem bis großem Umfang eine TAT von maxi-
mal 30 Tagen. Vor Beginn des Lean-Projektes lag die TAT im Durchschnitt bei 54
Tagen.
Für eine kurze TAT ist es entscheidend, dass die Lieferanten die beschädigten
Teile möglichst schnell erhalten. Die zugehörige Messgröße ist die Front End
TAT, die bei durchschnittlich 5 Tagen liegen sollte. Vor Projektbeginn lag sie auf
einem Niveau von durchschnittlich 23 Tagen.
Mit einer langen Durchlaufzeit ging üblicherweise ein hoher Bestand von 20
bis 30 Maschinen einher. Zwar handelt es sich hier um Kundeneigentum, und de-
ren Werte zählen nicht zum Bestand der Raunheim GmbH, wohl aber die zurück-
gelaufenen Reparaturteile, die zum einen sehr teuer sind, zum anderen für mehrere
Monate vorfinanziert werden müssen. Die lange Durchlaufzeit verursacht eine
sehr schlechte Liefertreue, und daraus wiederum folgt eine niedrige Kundenzu-
friedenheit.

2 Verbesserungsprojekt im Bereich Turbo Fan Engines

Die Umsetzung des Lean-Konzeptes gliedert sich entsprechend dem für Six Sigma
typischen Vorgehen in die Phasen Define (D), Measure (M), Analyse (A), Impro-
ve (I) und Control (C). Im DMAIC-Zyklus kommen die üblichen Techniken wie
Process Mapping oder Value Stream Mapping zur Anwendung. Dies gibt den
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O) 269

Lean-Projekten bei Honeywell eine feste Struktur und ermöglicht ein systemati-
sches Vorgehen. Für den letztendlichen Erfolg und die hervorragenden Ergebnisse
des im Folgenden beschriebenen Projektes ist jedoch die Umsetzung einiger
grundsätzlicher Prinzipien ausschlaggebend gewesen. Sie sollen im Fokus der
weiteren Betrachtung stehen. Die angesprochenen Prinzipien sind dem Lean-Bau-
kasten entnommen und auf viele Prozesse sofort und direkt anwendbar.3

2.1 Produktions- und Transportlosgrößen als Verbesserungsansatz

Bei der Betrachtung von Losgrößen und ihrem erheblichen Einfluss auf den Mate-
rialfluss und die Bestände muss man grundsätzlich zwischen Produktions- und
Transportlosgrößen unterscheiden. Eine Produktionslosgröße ist die Anzahl der
zwischen zwei Rüstvorgängen produzierten Stücke. Eine Transportlosgröße ist
die Anzahl der auf einmal transportierten Stücke. Beide Größen als abhängig zu
betrachten, ist oft ein Gedankenfehler, der einen Großteil der Produktionsproble-
me ausmacht.4 Gleichzeitig ist es eine typische „Out-of-the-box“-Lösung, beide
Losgrößenarten getrennt zu betrachten, wie auch im hier beschriebenen Fall.
Transportlosgrößen
Früher wurde eine Engine ausschließlich als komplettes Los von Ressource zu
Ressource transportiert, z.B. von der Disassembly zur Reinigung und weiter zur
Parts Inspection. Die Konsequenz ist, dass das erste Teil auf das letzte Teil warten
muss, bis es weiterverarbeitet wird. Genauso muss das letzte Teil warten, bis alle
anderen Teile auf den Teilewagen verarbeitet sind, bevor es an der Reihe ist. Der
Grund für dieses Vorgehen war, dass Teile entsprechend der Richtlinien der Luft-
fahrt rückverfolgbar sein müssen und auf gar keinen Fall verwechselt werden dür-
fen. Abbildung 3 zeigt die zeitliche Auswirkung, die diese traditionell gewachsene
Verhaltensweise, Transportlos gleich Produktionslos, mit sich brachte.
Trennt man Produktionslos (1 Engine) und Transportlos (1 Teilewagen) und
transportiert das Transportlos zur nächsten Ressource bzw. zum nächsten Prozess-
schritt, sobald es fertig ist, erhält man eine so genannte überlappende Produktion.
In Abbildung 4 ist ersichtlich, wie das Cleaning bereits nach einem Viertel der
Zeit beginnt (1. von 4 Teillieferungen) statt nach Komplettierung der Disas-
sembly. Gleiches geschieht mit Parts Analytical.
Mit anderen Worten: „Große (Transport-)Losgrößen sind die leistungsfähigste
Bremse der Produktion.“5 Eine Reduzierung der Losgröße bewirkt eine Steigerung

3 Für eine umfassende Darstellung der Lean-Prinzipien und -Techniken sei auf die Beiträ-
ge in Kapitel A verwiesen.
4 Da dies auch für administrative Prozesse gilt, sollte man richtigerweise von „Problemen
des Prozessmanagements“ sprechen.
5 Richtigerweise müsste man wieder „Produktion“ durch „Prozessmanagement“ ersetzen.
Aber um es als Slogan zu benutzen, sollte sich der Produktioner der Praxis sofort ohne
nachzudenken darin wieder erkennen. Mit „Prozessmanagement“ assoziiert er jedoch
nicht sofort seine Produktion.
270 Jürgen Bremer

des Materialflusses. Die gute Nachricht dabei ist, dass keine andere Veränderung
vorstellbar ist, die
1. einen größeren positiven Einfluss auf Bestände und Durchlaufzeiten hat,
2. schneller und leichter umsetzbar ist und
3. weniger kostet.

Abb. 3: Frühere Sichtweise: Transportlos gleich Produktionslos

Abb. 4: Neuere Sichtweise: 1 Produktionslos besteht aus 4 Transportlosen (hier gekenn-


zeichnet durch Teilstriche)

Umso erstaunlicher ist es, dass nicht jedes Unternehmen damit beginnt, die ei-
genen Losgrößen zu reduzieren.
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O) 271

Produktionslosgrößen
Die Größe der Produktionslose wurde im Fallbeispiel nicht verändert. Es blieb bei
der Größe von einer Engine. Der Vollständigkeit halber soll aber die Konsequenz
von einer Veränderung der Produktionslosgröße beschrieben werden. Eine Ver-
ringerung bedeutet einen Zuwachs von Materialfluss-Geschwindigkeit. Man führe
sich den Rohbau in der Automobilproduktion vor Augen. Dort wurden früher für
einige Tage Motorhauben produziert, bevor für einige Tage Kofferraumdeckel
produziert wurden. Es folgten einige Tage Dächer und Türen, bevor der Zyklus
von Neuem begann. Je häufiger gerüstet wird, desto kleiner werden das Produkti-
onslos und damit die Bestände und die Durchlaufzeit. Es wäre folglich erstre-
benswert, häufiger zu rüsten. Schon ein- oder zweimal mehr Rüsten würde den
Materialfluss drastisch erhöhen und die Bestände deutlich senken. Allerdings ver-
bietet es die Kostenrechnung, denn rüsten kostet ja bekanntlich Geld.
Ist das wirklich so? Einmal angenommen, eine Werkzeugmaschine wird tat-
sächlich einmal oder zweimal pro Auftrag mehr gerüstet, gibt damit die Firma xy
einen einzigen Euro mehr aus? Kostenrechnerisch, kalkulatorisch ja, tatsächlich
aber nein! Sicherlich ist das im Einzelfall zu prüfen. Der Tausch eines Galvanik-
Bades verursacht zweifelsohne Rüstkosten. In den meisten Fällen spielt einem a-
ber die Kostenrechnung einen Streich und verhindert – unter dem Vorwand der
Effizienzsteigerung – eine Senkung der Umlaufbestände und der Durchlaufzeit-
verkürzung.
Ein zusätzlicher Rüstvorgang ist nämlich nur in einem Fall schädlich, wenn es
sich um eine Engpassmaschine6 handelt. Alle Nicht-Engpässe lassen sich prob-
lemlos häufiger rüsten. Sie dürfen nur nicht durch den zusätzlichen Rüstvorgang
zum neuen Engpass werden.
Durchlaufzeit versus Kapazität
Durch die Reduzierung der Losgrößen lassen sich erhebliche Durchlaufzeitredu-
zierungen erreichen. Eine sehr weit verbreitete Annahme ist, dass damit mehr pro-
duziert werden kann. Das ist falsch! Durchlaufzeit und Kapazität sind zwei unab-
hängige Dimensionen wie etwa Länge und Durchmesser eines Rohres. Ein Rohr
lässt nicht plötzlich mehr Wasser hindurch, nur weil es kürzer ist. Der Durchfluss
wird – bei konstantem Druck – allein durch den Durchmesser bestimmt. Werden
mehrere Rohre mit unterschiedlichem Durchmesser hintereinander verlegt, dann
determiniert das Rohr mit dem geringsten Durchmesser den Durchfluss.
Im Unternehmensumfeld gilt entsprechend: Die Kapazität einer Produktionsli-
nie wird durch ihre kapazitiv schwächste Ressource, den so genannten Engpass
oder Flaschenhals (Bottleneck), bestimmt. Sofern an dieser Kapazität nichts ver-
ändert wird, produziert die gesamte Linie nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die
Änderung, die eine Losgrößenreduzierung herbeiführt, ist eine Reduzierung der
Wartezeit vor einzelnen Prozessschritten. Das hat nichts mit Kapazität am Eng-
pass zu tun, auch dann nicht, wenn es die Wartezeit vor dem Engpass betrifft.

6 Engpassmaschine = Ressource mit der geringsten Kapazität von allen.


272 Jürgen Bremer

2.2 Durchlaufzeitenreduzierung durch modulare Bauweise

Üblicherweise werden bei Prozessabläufen Arbeitsschritte sequenziell durchge-


führt. Gegenüber einer parallelen Durchführung, die in vielen Fällen möglich wä-
re, ist sie mit einer längeren Durchlaufzeit verbunden. Eine konsequente Doku-
mentation der Prozesslandschaft zeigt, wo Arbeitsschritte voneinander unabhängig
sind, in Module unterteilt und schließlich parallel bearbeitet werden können. Dar-
über hinaus wird deutlich, welche Arbeitsschritte auch tatsächlich kritisch hin-
sichtlich des Liefertermins sind.
In der Vergangenheit hat man bei Honeywell mit Eintreffen des letzten Bauteils
die zerlegte Maschine aus dem Lager geholt, in Regale geräumt und dabei noch
einmal die Vollständigkeit der Teile geprüft. Darüber hinaus sortierten die Me-
chaniker die Teile, um während der anschließenden Montage nicht lange suchen
zu müssen.
Im Rahmen der Projektarbeit wurde der komplexe Montageprozess neu aufge-
nommen. Dabei wurden insbesondere die Abhängigkeiten zwischen den Arbeits-
schritten notiert, der Grad der Parallelarbeit maximiert, die unabhängig montierba-
ren Module definiert und den einzelnen Arbeitschritten Ressourcen zugewiesen.
Die Kritische-Pfad-Methode des Projektmanagements7 wurde ebenfalls angewen-
det, um die kritische Abfolge von Arbeitsschritten zu markieren sowie Puffer ein-
zubauen. Es entstand für jeden Maschinentyp und jeden Workscope ein eigener
Ablaufplan, der den Mechanikern vorgibt, wann sie was wie lange zu tun haben.

Abb. 5: Typischer Ablaufplan mit Kennzeichnung von Reihenfolge, Dauer und Bearbeiter

7 Auch bekannt als „Kritische Kette nach Goldratt“.


Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O) 273

Die treppenstufenartigen Kästchen in Abb. 5 zeigen die einzelnen Arbeits-


schritte in ihrer zeitlichen Dauer. Die Mechaniker sind durch entsprechende farb-
liche Markierungen visualisiert. Über den Treppen sind lange Balken mit kleinen,
nach unten weisenden Dreiecken zu sehen. Sie kennzeichnen die einzelnen Modu-
le (hier 8 Stück), die unabhängig voneinander montierbar sind, sowie die Dauer,
die ein Mechaniker zum Montieren benötigt. Alle Pläne liegen farbig ausgedruckt
und laminiert in jedem Montage-Dock aus. Schließlich wurde das Shop-Layout an
die modulare Bauweise angepasst, d.h. aus einigen Docks wurden Werkbank-
Arbeitsplätze, wo die Mechaniker viel bequemer als in den Docks Module vor-
bauen können. Spezialwerkzeug wurde in unmittelbarer Nähe griffbereit ange-
bracht (siehe Abb. 6).

Abb. 6: Werkbank-Arbeitsplatz zur Unterstützung der modularen Bauweise

Um das langwierige Umräumen und Sortieren von den Teilewagen in die Rega-
le zu vermeiden, wurde für jedes einzelne Bauteil eines jeden Maschinentyps ein
fester Platz auf dem Teilewagen definiert und visualisiert. Zu jedem der meistens
vier Einlegeböden der Teilewagen gibt es ein laminiertes Blatt (siehe Abb. 7), die
alle gut erreichbar außerhalb des Wagens angehangen werden. Darauf wird mit ei-
nem trocken abwischbaren White Board Marker abgehakt, welche Teile auf dem
Wagen liegen, so dass Fehlteile unmittelbar erkennbar sind. Dies geschieht erst-
malig, wenn der Parts Inspector die Teile nach der visuellen Inspektion als unbe-
274 Jürgen Bremer

schädigt auf dem Teilewagen ablegt, und dann kontinuierlich bis zum Eintreffen
des letzten Bauteils während des gesamten Gate 2-Prozesses.

Abb. 7: Visualisierung der Anordnung der Teile auf dem Einlegeboden des Teilewagens
sowie deren Verfügbarkeit

Darüber hinaus wird der Status der Fertigstellung bzw. Teileverfügbarkeit jedes
einzelnen Moduls aller Aufträge zentral visualisiert (siehe Abb. 8). In den Zeilen
stehen die Aufträge, in den Spalten deren Module. Die dunklen Magnete (grün)
zeigen an, welche Module bereits fertig montiert sind. Die hellen (gelb) zeigen an,
welche zur Montage bereit oder in Arbeit sind. Rot deutet auf fehlende Teile hin.
Module, die aufgrund des Workscopes nicht zerlegt werden mussten, sind schwarz
markiert.
Ein weiterer Vorteil der modularen Bauweise ist, dass nach dem Eintreffen des
letzten Bauteils meist alle anderen Module bereits fertig gestellt sind. D.h., es ist
oft nur noch die Montage dieses einzelnen Moduls sowie die Endmontage not-
wendig, was natürlich viel schneller geht, als eine komplette Engine von Anfang
bis Ende durchzubauen.
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O) 275

Abb. 8: Board zur Visualisierung des Fertigstellungsgrades der Module aller Aufträge

2.3 Hohe Liefertreue durch Festlegen der „richtigen“ Prioritäten

In der Praxis stehen die Leiter bzw. Mitarbeiter einer Abteilung, z.B. Dreherei,
Cleaning, Kundendienst, mehrmals täglich vor der Entscheidung, welchen Auftrag
sie als nächstes bearbeiten. Meistens werden Aufträge nach dem „First in First
out“-Prinzip (FIFO) oder dem Liefertermin (Fertigstellungstermin) priorisiert.
Dies ist aber nur dann sinnvoll, wenn alle Aufträge die gleiche oder zumindest
ähnlich lange Liefer- bzw. Durchlaufzeit haben, was in der Praxis selten ist. Mit
anderen Worten: Ein Auftrag A, der in 3 Tagen fertig werden soll, würde unter
normalen Umständen einem Auftrag B vorgezogen, der in 6 Tagen fertig werden
muss (siehe Abb. 9). Die Priorisierung ergibt sich nach der absoluten Restlaufzeit
(in Tagen): Liefertermin – heutiges Datum.
Gilt diese Priorität noch immer, wenn Auftrag A, der in 3 Tagen fertig werden
muss, und eine mit dem Kunden vereinbarte Durchlaufzeit von 4 Tagen, z.B. En-
gine Test Only, hat und Auftrag B mit dem Liefertermin in 6 Tagen, aber eine ver-
traglich vereinbarte Durchlaufzeit von 30 Tagen (üblich für Repair) hat?
Im Fall A beträgt die relative Restlaufzeit bis zum Liefertermin noch 75%
(3/4), im Fall B nur noch 20% (6/30). Folglich ist der zweite Auftrag (B) dringen-
der, trotzdem er später fertig werden muss (siehe Abb. 10). Dabei ist unbedingt zu
bemerken, dass dies (fast) unabhängig vom Fertigstellungsgrad ist, da die reine
276 Jürgen Bremer

Bearbeitungszeit nur ein Bruchteil der Durchlaufzeit ist. Die Bearbeitungszeit


wird meistens in Minuten oder Stunden gemessen, die Durchlaufzeit in Tagen o-
der Wochen.

Auftrag A 1. Priorität

Auftrag B 2. Priorität

heute 2 4 6 Tag

Abb. 9: Traditionelle Priorisierung der Aufträge (absolut in Tagen)

Abb. 10: Veränderte Priorisierung der Aufträge bei Berücksichtigung ihrer Durchlaufzeit
(relativ in %)

Eine solche Prioritätszahl (in %) errechnet sich aus:


Liefertermin – heutiges Datum
Relative Restlaufzeit =
Durchlaufzeit

Je kleiner die Restlaufzeit, desto dringender ist der Auftrag. Bei negativer Pro-
zentzahl ist der Liefertermin bereits verstrichen.
Im Alltag ist es nicht praktikabel, erst die Prozentzahl zu bilden, bevor man
Prioritäten setzt, zumal dies für alle Aufträge zu tun ist und sich die Prioritäten je-
den Tag verschieben. Im hier beschriebenen Projekt wurden deswegen anfangs für
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O) 277

jeden Auftrag mit Excel eine kleine Karte mit einer Tabelle angelegt und ausge-
druckt, die für jeden Tag die Prozentzahl ausweist (siehe Abb. 11). Zur Ermittlung
der Restlaufzeit wird das aktuelle Datum gesucht, z.B. 30.11., und die dazugehö-
rige Restlaufzeit abgelesen (hier 63%). Die rote Markierung visualisiert die benö-
tigte Zeit für beschleunigte Bearbeitung, die gelbe steht für Vorwarnung. 8

Abb. 11: Excel-basierte Auftragskarte mit tagesgenauer Restlaufzeit

Aus Erfahrung ist zum einen bekannt, dass Liefertermine gelegentlich geändert
werden. In dem Moment, in dem der Termin im System eingegeben wird, ist auch
die Prozentzahl angepasst und die Priorität verschoben. Zum anderen werden Auf-
träge mit Verspätung eingelastet oder bleiben irgendwo im Prozess aus verschie-
denen Gründen liegen. Die Konsequenz ist, dass diese Aufträge eine geringere
prozentuale Restlaufzeit bekommen und automatisch im weiteren Prozessverlauf
anderen Aufträgen vorgezogen werden. Folglich steuert sich das System selbst,
sofern die Verantwortlichen nicht aus anderen Notwendigkeiten heraus eingreifen.

8 Die praktische Anwendung hat gezeigt, dass diese Lösung etwas umständlich und un-
übersichtlich ist, zumal dazu übergangen wurde, die Produktionsplanung per Computer
zu machen. In einem späteren Projekt wurde daher die automatische Generierung und
Ausweisung der Prozentzahl für die Restlaufzeit in das computergestützte Produktions-
planungssytem integriert und eine Sortierung der Aufträge nach Größe der prozentualen
Restlaufzeit ermöglicht. Dieses Feature ist inzwischen für den gesamten Standort ver-
fügbar.
278 Jürgen Bremer

3 Wesentliche Projekterfolge und -ergebnisse

Nachdem die Mitarbeiter angewiesen wurden, die Teilewagen nicht mehr ge-
schlossen in einem Auftrag dem nächsten Arbeitsschritt zu übergeben, sondern
einzeln und sobald sie komplett waren, sank einerseits unmittelbar die Durchlauf-
zeit im Gate 1. Andererseits reduzierte sich die Streuung der Durchlaufzeiten.
Während es anfangs durchschnittlich 23 Tage dauerte, bis eine Maschine zerlegt,
gereinigt, inspiziert und die defekten Teile verschickt waren (Front End oder Gate
1), waren es schon im darauf folgenden Monat Dezember signifikant weniger. Der
Durchschnitt über die folgenden 1,5 Jahre betrug 8,5 Tage, was einer Reduzierung
von über 63% gleichkommt (siehe Abb. 12 oberes Diagramm).

Abb. 12: Reduzierung der Durchlaufzeit (TAT)

Trotz der erheblichen Durchlaufzeitreduzierung wurde das eingangs formulierte


Gate 1-Ziel von 5 Tagen nicht erreicht, wohl aber das für den Kunden relevante
Ziel der Gesamt-Durchlaufzeit von maximal 30 Tagen.
Im Back End führte das Vorbauen einzelner Module und das parallele Abarbei-
ten möglichst vieler Montageschritte zu einer Reduzierung von vormals durch-
schnittlich 9,1 Tage auf 3,1 Tage, was einer Reduzierung von über 66% entspricht
(siehe Abb. 12, unteres Diagramm).
Viele dieser Änderungen wurden im Anschluss an das Projekt auch auf die an-
deren Bereiche des Standortes Raunheim sehr erfolgreich übertragen. Die dort er-
Umsetzung von Lean-Konzepten in Reparatur und Überholung (R&O) 279

reichten Verbesserungen und die Konstanz der guten Ergebnisse sind ein Hinweis
auf die Richtigkeit der Prinzipien. Insgesamt fanden die Projektergebnisse eine
hohe Resonanz und konzernweite Anerkennung.
Die Six Sigma-Kultur bei Honeywell hat eine lange Tradition. Gute Ergebnisse
erfahren viel Aufmerksamkeit durch das Management und werden mit dem Quest
for Excellence, der bisher einmal im Jahr stattfand, oder dem nun vierteljährlich
verliehenen Team Performance Award gefeiert. Das jeweilige Gewinner-Team
wird zur Award-Verleihung zu den so genannten Satellite Broadcasts eingeladen,
in denen der CEO seine Belegschaft u.a. über Quartalsergebnisse, Highlights und
Ziele informiert, und eben auch Teams für ihre herausragenden Projektergebnisse
auszeichnet. Damit wird zum einen den Projektmitarbeitern Anerkennung und
Dank ausgesprochen. Zum anderen werden deren Kollegen angespornt, sich eben-
falls an Verbesserungsmaßnahmen zu beteiligen.
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox

Jutta Jessenberger

Inhalt

1 Einführung und Überblick........................................................................281


2 Strategische Zielsetzung zur Einführung von Lean Six Sigma ................282
3 Lean Six Sigma bei Xerox .......................................................................284
4 Erfolgsfaktoren für die nachhaltige Umsetzung.......................................287
4.1 Engagement von Unternehmensführung und Management .....................287
4.2 Bereitstellung von Ressourcen .................................................................288
4.3 Auswahl geeigneter Projekte....................................................................292
4.4 Disziplin bei der Umsetzung ....................................................................296
5 Lean Six Sigma in Deutschland – Planung und Umsetzung ....................299
6 Lessons Learned.......................................................................................301

1 Einführung und Überblick

Xerox Lean Six Sigma wurde bei der Xerox Corporation im Jahr 2002 weltweit
initiiert und hat seit dem ersten Jahr positiv zum Geschäftserfolg beigetragen.
Der vorliegende Beitrag soll dem Leser das Programm selbst sowie den von
Xerox gewählten Weg zur Einführung nahe bringen. Er stellt die kritischen Er-
folgsfaktoren vor und erläutert, wie sie bei Xerox in der Vergangenheit sinnvoll
erfüllt wurden; sicherlich nicht immer in perfekter Ausführung, aber ohne grund-
legende Fehler, die zu einem Scheitern des Programms geführt hätten. Wir hoffen,
dass der Leser diese Informationen und Ratschläge auch bei ähnlichen Program-
men in seinem Unternehmen erfolgreich anwenden kann.
Im nachfolgenden Kapitel 2 soll zunächst die Zielsetzung zur Einführung von
Lean Six Sigma bei Xerox vorgestellt werden. Außerdem wird kurz erläutert,
weshalb Lean Six Sigma und nicht andere Konzepte/ Methoden als passender An-
satz zur Erreichung der Ziele gewählt wurde. Kapitel 3 erklärt das Xerox-
spezifische Lean Six Sigma-Programm und geht auf die Philosophie hinter der
Kombination von „Lean“ und „Six Sigma“ ein. Weiterhin wird erläutert, wie Xe-
rox Lean Six Sigma im Spannungsfeld zwischen Kunden, Ergebnissen, Strategie
und Prozessen im Tagesgeschäft aufgestellt ist. In Kapitel 4 werden die vier we-
sentlichen Erfolgsfaktoren zu einer erfolgreichen Einführung von Lean Six Sigma
benannt und beschrieben. Im Einzelnen sind dies
• Engagiertes Management
• Dedizierte Ressourcen
• Sinnvolle Projektauswahl und
• Disziplinierte Durchführung.
282 Jutta Jessenberger

Alle diese Faktoren müssen vorhanden sein, um eine schnelle und gewinnbrin-
gende Lean Six Sigma-Einführung sowie eine erfolgreiche zukünftige Organisati-
on zu gewährleisten. Die Einführung bei Xerox Deutschland wird in Kapitel 5 ge-
nauer beschrieben, und Kapitel 6 stellt abschließend die „Lessons Learned“ dar.

2 Strategische Zielsetzung zur Einführung von Lean Six


Sigma

Die Xerox Corporation mit Stammsitz in Stamford/ Connecticut, USA, ist welt-
weit im Drucker-, Kopierer- und Dienstleistungsbereich tätig. Sie wurde 1906 in
Rochester, New York, gegründet und hielt als damalige „The Haloid Company“
das erste Patent zum Schutz der Xerographie, dem damals ersten und einzigen
Verfahren zur automatischen Herstellung von fast layout- und satzidentischen Ko-
pien gedruckter Originale. Die Xerox Corporation hält zum gegenwärtigen Zeit-
punkt 19.732 Patente weltweit; die Forschungszentren in Palo Alto, Kalifornien,
und Grenoble, Frankreich, genießen Weltruf.
Heute bietet Xerox das umfassendste Portfolio von Technologie und Dienstleis-
tungen in Dokumentenmanagement und -produktion. Dazu zählen der klassische
„Bürokopierer“ ebenso wie die digitalen Buchpressen für den Einsatz in professi-
onellen Produktionsumgebungen. Die angebotenen Dokumentendienstleistungen
reichen von kreativer Unterstützung bis zur Übernahme ausgelagerter Druckzent-
ren oder dem Management des gesamten Dokumentenflusses bei Kundenunter-
nehmen. Xerox ist global in 160 Ländern mit 57.400 Mitarbeitern vertreten und
weist einen Umsatz von 17,2 Mrd. US-$ bei einem Gewinn von 1,1 Mrd. US-$ auf
(Stand: Geschäftsjahr 2007).
Zur Einführung des Lean Six Sigma-Programms entschloss sich die Xerox
Corporation im Jahr 2002, nachdem weltweit die „Operation Turnaround“ mit ein-
schneidenden Maßnahmen zur Kostenreduktion und Konsolidierung der Unter-
nehmensergebnisse erfolgreich abgeschlossen worden war. Zu diesem Zeitpunkt
wurde gleichzeitig über die weitere Wachstumsstrategie „Good to Great“ ent-
schieden. In diesem Zusammenhang waren die strategischen Zielsetzungen des
Lean Six Sigma-Programms klar: Der Kundennutzen sollte optimiert, Wachs-
tumschancen ergriffen, Kosten reduziert und die Produktivität gesteigert werden.
Die eigentliche Herausforderung bestand allerdings darin, alle vier Ziele gleichzei-
tig und nachhaltig zu erfüllen.
Der Fokus lag zunächst auf den wirtschaftlichen Ergebnissen: Profitabilität,
Wachstum und Entwicklung neuer Geschäftsfelder, die ihrerseits durch einen ver-
änderten Führungsstil getrieben werden sollten, nämlich ein gemeinsames Ge-
schäftsverständnis und eine Mentalität des kontinuierlichen Lernens. Zu einer
nachhaltigen Erfüllung von Zielen reicht jedoch eine neue Führungsriege und/ o-
der ein neuer Führungsstil allein nicht aus. Vielmehr muss die zukünftige Ausrich-
tung vom gesamten Unternehmen und von allen Menschen in diesem Unterneh-
men getragen werden. Daher sollte der zukünftige Weg auch einen Kulturwandel
bewirken hin zu einer kundenfokussierten Sichtweise, zu einer fakten- und daten-
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox 283

Abb. 1: Qualitätshistorie der Xerox Corporation


284 Jutta Jessenberger

basierten Entscheidungsfindung, zu einem Abbau von Bürokratie und zu einer


Verbesserung von Teamwork und Zusammenarbeit.
Als wesentlicher Beitrag zum zukünftigen Geschäftserfolg wurde nach einer
unternehmensweiten Strategie gesucht, die zur Bewältigung der folgenden Her-
ausforderungen beiträgt:
• Verstehen der Kundenbedürfnisse
• Positionieren für weiteres Wachstum
• Verbessern von Prozessen durch faktenbasierte, disziplinierte Entscheidungen
und messbare Ergebnisse sowie
• Umgestalten der Xerox-Unternehmenskultur.
Dies war die Zielsetzung für die zukünftige Arbeitsweise innerhalb des Kon-
zerns, zusammengefasst durch den Slogan „The way we work“. Dass die Lösung
dieser Aufgabenstellung in einem Qualitätsmanagement-Ansatz gefunden wurde,
war aufgrund der langjährigen Erfolge von Xerox im Qualitätsbereich nahe lie-
gend. Abbildung 1 stellt die lange Qualitätstradition von Xerox dar. Viele Begriffe
und Methoden waren bereits bekannt, auf die man bei der Einführung von Lean
Six Sigma zurückgreifen und eine entsprechende Organisation aufbauen konnte.
Im Kontext der anderen strategischen Maßnahmen wurde Lean Six Sigma so zu
einem wichtigen Baustein zum weiteren Wachstum von Xerox. Anne Mulcahy,
Chairman und CEO Xerox Corporation, führte hierzu aus:
„I’m convinced that Xerox Lean Six Sigma is a way to rebuild value in our
company because it is about substance, not form; it’s about discipline and infra-
structure so projects can produce business results.“

3 Lean Six Sigma bei Xerox

Lean Six Sigma ist – im Gegensatz zu Six Sigma – ein relativ neuer und noch
nicht allgemein gebräuchlicher Begriff. Viele verstehen darunter ein „verschlank-
tes Six Sigma” oder ein Konglomerat aus Lean- und Six Sigma-Methoden, die in
einen gemeinsamen Werkzeugkasten „geworfen“ werden, aus dem sich der Pro-
jektleiter bedienen kann. Beide Aspekte sind letztendlich für das richtige Ver-
ständnis von Lean Six Sigma von Bedeutung.
Während Six Sigma traditionell eher bekannt ist als Werkzeug zur Verbesse-
rung und Steuerung der Qualität, wird Lean Manufacturing primär dazu verwen-
det, Geschwindigkeit und Kosten zu optimieren. Eine Verbindung beider Ansätze
hat bereits aus reiner Methodensicht den Vorteil, dass sich beide Methoden gegen-
seitig ergänzen. Eine hohe Qualität, d.h. eine hohe Übereinstimmung der Produkte
oder Dienstleistungen mit den Vorgaben, ermöglicht eine Verringerung der Kos-
ten durch Vermeidung von Nacharbeiten oder durch Vermeidung von Verschrot-
tung und Neuproduktion. Eine hohe Prozessgeschwindigkeit mit niedrigen Kosten
ermöglicht schnellere und kostengünstigere Design- und Optimierungszyklen und
trägt damit ebenfalls zu einer Erhöhung der Qualität bei. Abbildung 2 stellt diesen
Synergieeffekt schematisch dar.
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox 285

Lean Speed ermöglicht Six Sigma Qualität


(Schnellere Versuchs-/Lernzyklen)

Lean Six Sigma


Geschwindigkeit &
Kultur & Qualität
geringe Kosten

Six Sigma Qualität ermöglicht Lean Speed


(Weniger Fehler verringern die Nacharbeitszeit)

Abb. 2: Synergieeffekt zwischen Lean- und Six Sigma-Methoden

Dieser Vorteil ist an sich schon ein starkes Argument für die Verbindung beider
Ansätze. Im reinen Projektgeschäft – sowohl intern als auch extern – werden bei
Xerox Methoden aus beiden Werkzeugsammlungen verwendet, wobei die Six
Sigma-Projektphasen Define, Measure, Analyse, Improve, Control (DMAIC) bzw.
Define, Measure, Explore, Design, Implement (DMEDI) den Projektablauf vorge-
ben und innerhalb der Phasen die Instrumente entsprechend angewandt werden.
Infolgedessen fallen beliebige Methoden je nach Nutzen in der jeweiligen Phase
quasi „natürlich“ in den vorgegebenen Rahmen.
Über die reine Projektdurchführung hinaus fasst Xerox Lean Six Sigma als
Managementansatz zur Steuerung taktischer und strategischer Initiativen auf. Im
Tagesgeschäft verzahnt Lean Six Sigma den Kunden mit Strategie, Geschäftser-
gebnis und Prozess. Abbildung 3 zeigt die Verbindungen zwischen dem Kunden
und den Geschäftsergebnissen sowie die einzelnen Komponenten des Lean Six
Sigma-Programms.
Der Anstoß zur Initiierung des Lean Six Sigma-Prozesszyklus kommt direkt
aus dem Geschäftsumfeld, also z.B. aus den Resultaten zur Optimierung der Ge-
schäftsergebnisse aus unterschiedlichen Bereichen, aus dem operativen Geschäft
zum Design neuer Prozesse in neuen Geschäftsfeldern oder aus den unterstützen-
den Bereichen zur Verbesserung der Infrastruktur.
Im Projektauswahlprozess werden mögliche Projekte identifiziert. Dabei wer-
den anhand von den vier Schlüsseldimensionen Kunde, Strategie, Finanzen und
bestehende Prozesse Projektideen generiert, die positiv zum Unternehmenserfolg
beitragen können. Im Allgemeinen sind diese Projektideen noch sehr generell und
umfassend, so dass ein unstrukturiertes Bearbeiten dieser Ideen zum Scheitern
verurteilt wäre. Daher werden sie über einen Selektionsprozess im Hinblick auf
Projektumfang, Dauer und zu erreichende Ziele präzisiert und zu Projekten verfei-
nert. Diese Projekte können dann in etwa drei bis fünf Monaten durchgeführt wer-
286 Jutta Jessenberger

den. Sie werden mit Hilfe einer so genannten „Project Charter“ beschrieben, ei-
nem Auftragsblatt, das dem jeweiligen Projektleiter übergeben wird und in dem
Problembeschreibung, Zielvereinbarung, Zeit- bzw. Terminplan, Projektteam und
der erwartete finanzielle Erfolg festgehalten sind. Alle möglichen Projekte werden
hinsichtlich Durchführbarkeit, Kosten und Nutzen bewertet.

Kunde

Ergebnisse

Strategie Prozess

Business

Projektdurchführung Projektauswahl

Lean Six Sigma

Abb. 3: Verbindung von Kunde, Business und Lean Six Sigma

Obwohl das Ziel darin besteht, den Beitrag der Projekte möglichst monetär
messbar zu machen, werden bei dieser Projektauswahl auch Projekte mit strategi-
scher Bedeutung berücksichtigt, bei denen der finanzielle Nutzen nicht ohne Wei-
teres bestimmbar ist bzw. bei dem der Erfolg des Projektes nicht unmittelbar an
einem Beitrag zum Unternehmensergebnis ablesbar ist.
Im Anschluss wird dann die Reihenfolge der Abarbeitung der ausgewählten
Projekte, auch im Hinblick auf die Verfügbarkeit entsprechender Projektleiter und
der vorhandenen Ressourcen, bestimmt.
Zur Projektdurchführung werden die Aufträge an die Projektleiter vergeben,
welche die Projekte unter Anwendung von Six Sigma- und Lean-Methoden steu-
ern und umsetzen. Die Erfolgsmessung geschieht dabei anhand des Beitrags eines
Projekts zur Ergebnisverbesserung und anhand der Steigerung der Kundenzufrie-
denheit, die entweder direkt oder indirekt (am Unternehmenserfolg) abgelesen
werden kann.
Der wichtigste Punkt beim Xerox Lean Six Sigma-Ansatz ist die Einbindung in
den Managementprozess des Unternehmens bei der Projektauswahl. Projektideen
werden anhand der strategischen und taktischen Unternehmensziele in Verbindung
mit den Anforderungen, die durch die Kunden an Xerox herangetragen werden,
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox 287

generiert. Die Projektideen, die sich in der „Projektpipeline“ befinden, werden


während regelmäßig stattfindender Reviews bewertet, und wenn notwendig, wer-
den neue Priorisierungen vergeben. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass auch
bei wechselnden Unternehmens- und Umweltanforderungen jeweils die wichtigs-
ten Projekte durchgeführt werden.
Wie erfolgreich das Lean Six Sigma-Programm ist, lässt sich anhand der Tatsa-
che ablesen, dass bereits während des Einführungsjahres der Break Even-Point er-
reicht wurde und Lean Six Sigma in den folgenden Jahren durchweg positiv zum
Ergebnis des Unternehmens beitrug und weiterhin beiträgt.

4 Erfolgsfaktoren für die nachhaltige Umsetzung

Ein solches positives Ergebnis kann allerdings nur mit einer schnellen und erfolg-
reichen Einführung erzielt werden, bei der sichergestellt ist, dass das Programm
weltweit mit denselben Kriterien sowie mit Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit in
den Managementstandard aufgenommen wird. Zu Beginn der Einführung wurden
dazu vier kritische Erfolgsfaktoren identifiziert, die im Folgenden kurz ausgeführt
werden. Bereits in der Startphase des Programms zeigte sich, dass nur ein Einhal-
ten aller dieser Faktoren gleichzeitig zum gewünschten Erfolg führt. War nur ein
Faktor ungenügend erfüllt, so führte dies zwar nicht zum Scheitern des Lean Six
Sigma-Ansatzes, aber eine stringente Projektarbeit und eine Durchdringung der
entsprechenden Organisation stellte sich umso schwieriger dar.

4.1 Engagement von Unternehmensführung und Management

Von Beginn an war die Unterstützung des Managements zur Einführung des Xe-
rox Lean Six Sigma-Programms gegeben. Die oberste Geschäftsleitung, das Ope-
rations Committee, nahm Lean Six Sigma in die Agenda auf und thematisierte es
immer wieder in der weltweiten Firmenkommunikation – intern wie extern.
Dieses Bekenntnis zum Lean Six Sigma-Programm manifestierte sich dann
praktisch anhand von drei Kernpunkten. Zunächst wurde eine weltweite Manage-
mentschulung durchgeführt, in der alle oberen und mittleren Führungsebenen über
das Ziel und die Vorgehensweise im Lean Six Sigma-Programm informiert wur-
den. Gleichzeitig fand eine ausführliche, weltweite Kommunikation über die neue
Initiative statt, bei der Lean Six Sigma bei allen Mitarbeitern mithilfe von Vorträ-
gen, Bereichsmeetings, Videos und Newslettern bekannt gemacht wurde. Nicht
zuletzt garantierte die Geschäftsleitung, dass die notwendigen Ressourcen zur
Verfügung stehen würden, die zu einer erfolgreichen Einführung notwendig sind.
Ein weiterer wichtiger Faktor war die Nachhaltigkeit und Ernsthaftigkeit bei
dieser Einführung, um zu verhindern, dass das Programm als „flavour of the
month“, also nur als eine neue Managementmode aufgefasst würde. So legte das
Operations Committee großen Wert darauf, dieses Programm tagtäglich vorzule-
ben und immer wieder die Überzeugung zu betonen, dass dieses Programm ein
288 Jutta Jessenberger

wichtiger Baustein für den zukünftigen Geschäftserfolg ist. Das ging soweit, dass
in der Zwischenzeit auch Mitglieder der Geschäftsleitung eine weitergehende
Lean Six Sigma-Schulung absolviert haben und einige sogar als Lean Six Sigma-
Projektleiter zertifiziert sind.

4.2 Bereitstellung von Ressourcen

Zur Selbstverpflichtung der Geschäftsleitung gehörte auch die Bereitstellung von


Ressourcen. Von Anfang an wurde dabei viel Wert auf die Fokussierung der
„richtigen“ Organisation(en) und Funktionen, das entsprechende Training und die
Auswahl der am besten geeigneten Mitarbeiter gelegt.
Die wesentlichen Lean Six Sigma-Funktionen sind bei Xerox Master Black
Belts, Black Belts und Green Belts sowie Deployment Manager. Projektmitglie-
der, Projektsponsoren und die Geschäftsleitung spielen ebenfalls eine Rolle auf-
grund ihrer Beteiligung an einzelnen Projekten bzw. der Vorgabe der allgemeinen
Ausrichtung des Lean Six Sigma-Programms. Abbildung 4 stellt die verschiede-
nen Funktionen im Überblick dar.

Zentrale • Vision
Koordination Geschä
Geschäfts-
fts- • Commitment
& Training leitung

Projekt-
Projekt- Deployment
sponsoren Manager
• Vollzeit
• Teilzeit im Projekt • Projektauswahl
• Projekt ”Owner” • LSS Ressourcen
Alle Mitarbeiter
• Vision verstehen
Green Belts • Konzepte im Master
Tagesgeschäft anwenden Black Belts
• Teilzeit in Projekten • Vollzeit
• Arbeitet im eigenen Bereich • Coaching
Projektteam-
Projektteam-
mitglieder Black Belts

• Teilzeit in Projekten • Vollzeit in Projekten


• Spezialisten • Projektleitung

Abb. 4: Funktionen im Lean Six Sigma-Programm von Xerox

Zu Beginn der Einführung wurden zunächst die Deployment Manager benannt,


die zentral durch eine Stabsstelle in den USA koordiniert werden. Dort wurden
und werden auch die notwendigen Trainings, der Ablauf und die Zertifizierungs-
richtlinien festgelegt und gesteuert. Deployment Manager sind i.d.R. in Vollzeit
für das Lean Six Sigma-Programm tätig; je nach Größe der Region oder des Ge-
schäftsbereiches gibt es allerdings auch Teilzeitstellen.
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox 289

Aus den einzelnen Organisationen wurden dann Black Belts und Master Black
Belts benannt, die in Vollzeit Projekte leiten. Master Black Belts führen umfang-
reichere Projekte als Black Belts durch, koordinieren evtl. mehrere Black Belt-
Projekte und coachen zusätzlich die ihnen zugeordneten Black Belts. In den ein-
zelnen Regionen wurden im ersten Jahr zunächst 0,5% der Mitarbeiter für Lean
Six Sigma eingesetzt. Ziel ist jetzt, ein „Fließgleichgewicht“ von ca. 1% der Mit-
arbeiter als Black Belts zu erhalten. Die Anzahl der Master Black Belts richtet sich
dabei nach der Führungsspanne in den einzelnen Tochterunternehmen und der
damit verbundenen Reisetätigkeit.
Green Belts sind Projektleiter in Teilzeit und werden vorwiegend in ihren eige-
nen Bereichen zur Prozessverbesserung eingesetzt. Sie stellen etwa 20-30% ihrer
Zeit für die Projektarbeit zur Verfügung und werden von Black Belts betreut. Et-
wa 3,5% der Mitarbeiter sollen zu jedem Zeitpunkt als Green Belts trainiert und
als Projektleiter aktiv sein. Green Belts, Black Belts und Master Black Belts müs-
sen für die Zertifizierung sowohl das Training mit einem damit verbundenen Test
als auch eine gewisse Anzahl von Projekten mit definiertem (finanziellem) Erfolg
erfolgreich absolvieren.
Das Ziel war immer, Lean Six Sigma und die damit verbundenen Begriffe in-
nerhalb des gesamten Unternehmens bekannt zu machen. Für alle Mitarbeiter
wurde aus diesem Grund zusätzlich zu den bekannten Green und Black Belts der
Grad des Yellow Belt eingeführt. Im entsprechenden Training werden die wesent-
lichen Vorgehensweisen, Begriffe und einige Methoden des Programms vermit-
telt, so dass nach und nach eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Ver-
ständnis entstehen. Ziel ist es, möglichst alle Mitarbeiter an einem Yellow Belt-
Training teilnehmen zu lassen. Dazu wurden während der Einführung gestaffelte
Zielquoten pro Jahr vergeben.
Projektsponsoren und -mitglieder sind Mitarbeiter aus dem Unternehmen, die
für jeweils wichtige Projekte identifiziert werden und dann am jeweiligen Projekt
teilnehmen. Der Sponsor ist dabei der Auftraggeber des Projektes, in dessen Ver-
antwortungsbereich der zu optimierende Prozess liegt und der aus diesem Grund
der wichtigste Nutznießer des Projekterfolgs ist. Die Projektmitglieder sind i.d.R.
Experten aus dem Bereich des zu optimierenden Prozesses oder aus angrenzenden
Bereichen und werden ebenfalls in dieser Kombination nur zu einem bestimmten
Projekt herangezogen. Der Zeitbedarf im Projekt beträgt für sie in etwa 10-30%
der Arbeitszeit.
Projektsponsoren kommen üblicherweise aus dem Bereich des mittleren bzw.
höheren Managements und werden ebenfalls in den Grundzügen des Lean Six Sig-
ma-Programms sowie speziell in der Rolle des Projektsponsors trainiert.
In einem stringenten Auswahlprozess, der im Fall von Black Belt- bzw. Master
Black Belt-Positionen bis in die amerikanische Konzernzentrale reicht, werden
Kandidaten für die verschiedenen Funktionen bestimmt. Die erfolgreichen Kandi-
daten durchlaufen dann die entsprechenden Trainings, auf die besonderer Wert ge-
legt wird und deren weltweit einheitlicher Ablauf regelmäßig überarbeitet wird.
So gibt es neben den Trainings für Yellow, Green und Black Belts ebenso Trai-
nings für die Geschäftsleitungen der einzelnen Regionen und Ländergesellschaf-
290 Jutta Jessenberger

ten, für Sponsoren sowie für Repräsentanten des Finanzbereiches, die den finan-
ziellen Erfolg der einzelnen Projekte bestätigen müssen (siehe Abb. 5).

Funktion Ausbildung Zertifizierung

Leadership • Leading Xerox LSS mit Simulation (2 Tage) Keine


• Executive Green Belt (3 Tage) Zertifizierung
• Sponsor Workshop (2 ½ Tage)

Sponsoren • Leading Xerox LSS mit Simulation Keine


• Sponsor Rolle/ Verantwortlichkeiten Zertifizierung
2 ½ Tage Präsenztraining bzw. 1 Zusatztag
zum Leadership-Training

Financial • Finanztraining Keine


Representative 1 ½ Tage Zertifizierung

Deployment • Leading Xerox LSS mit Simulation (2 Tage) Keine


Manager • Deployment Manager-Training (3 Tage) Zertifizierung
• Sponsor-Training (1 zusätzlicher Tag)
• Green Belt-Training (40 Stunden online, 1
Woche Präsenztraining)
• Team Accelerator (1 Woche, empfohlen)

Yellow Belt • Grundtraining Teilnahmebe-


• Problemlösungstechniken scheinigung
Onlinetraining 12-15 Stunden

Green Belt • ½ Tag Team Accelerator Zertifizierung


• Simulation (Test/ 1 Projekt)
• DMAIC (Service)-Projekt
Onlinetraining 40 Stunden, 1 Woche
Präsenztraining

Black Belt • Team Accelerator - 1 Woche Zertifizierung


• Lean Six Sigma/ DMAIC- 4 Wochen (Test/ 2 Projekte
• Xerox Enrichment Modules mit finanziellen
5 Wochen Präsenztraining Zielen)

Master Black • Fortgeschrittene LSS Konzepte (2 Wochen) Zertifizierung


Belt • Train-The-Trainer (zusätzliche
2 Wochen Präsenztraining, 4 Wochen mit Projekte)
Beobachtern

DMEDI • Developing optimal processes


2 Wochen Präsenztraining

DfLSS • (Product) Design for Lean Six Sigma


2 Wochen Präsenztraining

Abb. 5: Lean Six Sigma Trainings, Dauer und Zertifizierung


Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox 291

Für die Ausbildung der Black Belts und Green Belts wurden in den ersten zwei
Jahren externe Trainer eingesetzt. Inzwischen können alle Trainings intern mit
Xerox-eigenen Master Black Belts durchgeführt werden.
Bei Xerox gibt es im Lean Six Sigma-Programm zwei wesentliche Projekttypen
– auf der einen Seite handelt es sich um Projekte zur Prozessverbesserung, die mit
dem Projektzyklus DMAIC durchgeführt werden. Auf der anderen Seite existieren
Projekte zur Neugestaltung eines Prozesses, wenn z.B. der betrachtete Prozess
noch nicht existiert bzw. wenn der existierende so ineffizient ist, dass ein komplet-
tes Re-Design notwendig ist. Letzteres wird bei Xerox mit DMEDI durchgeführt.
Weiterhin sind. so genannte DfLSS-Projekte (Design for Lean Six Sigma) be-
kannt, bei denen es sich um Projekte zum Produktdesign handelt, mit deren Hilfe
zusätzlich zur Optimierung oder Neuentwicklung eines Produkts auch der Herstel-
lungsprozess berücksichtigt und möglichst nach der Lean Six Sigma-Philosophie
gestaltet wird.
Die Lean Six Sigma-Grundausbildung für alle Xerox-Mitarbeiter und die zu-
künftigen Projektleiter stützt sich hauptsächlich auf den DMAIC-Zyklus als Basis
zur Erklärung und Vermittlung der Lean Six Sigma-Prinzipien. DMEDI- und
DfLSS-Methoden werden nach erfolgreichem Abschluss der DMAIC-Ausbildung
zusätzlich geschult. Abbildung 5 gibt einen Überblick über die einzelnen Trai-
nings, ihre Dauer und die jeweilige Zertifizierung bei Xerox.
Neben der mit dem Training verbundenen Weiterbildung war und ist eine wei-
tere wichtige Motivation für die Projektleiter in spe das Aufzeigen der weiteren
Karrieremöglichkeiten nach der Tätigkeit als Green oder Black Belt. Eine Zertifi-
zierung wird in der Personalakte vermerkt und trägt – bei internen Besetzungen –
positiv zur Mitarbeiterauswahl bei. Außerdem wird darauf Wert gelegt, dass Mit-
arbeiter auf Managementpositionen zumindest die Green Belt-Schulung absolviert
haben und möglichst auch zertifiziert sind.
Black Belt-Positionen sind per Vorgabe befristet und werden nur mit so ge-
nannten „High Potentials“ besetzt. Ein Mitarbeiter wird als Black Belt ausgebildet
und ist dann ca. 2-3 Jahre als Projektleiter tätig. Danach geht er zurück in das ope-
rative Management. Auf diese Weise wird das eingangs angegebene Ziel des Um-
baus der Xerox-Kultur nachhaltig erreicht.
Neben der sorgfältigen Auswahl der passenden Ressourcen und der dazugehö-
rigen hochwertigen Ausbildung ist ferner die Einbindung der Funktionen in die
Organisation ein wichtiger Faktor für den Erfolg des Lean Six Sigma-Programms.
Abbildung 6 stellt die derzeitige Lean Six Sigma-Organisation von Xerox dar. Sie
wird direkt vom Chief Financial Officer (CFO) des Konzerns gesteuert.
Die einzelnen Deployment Manager der Regionen berichten an den Vice Presi-
dent Corporate Lean Six Sigma Deployment, der seinerseits an den CFO berichtet.
Wie aus der Abbildung deutlich wird, gibt es Regionen, in denen zusätzliche
Deployment Manager aus den einzelnen Ländern oder Business Units an den je-
weiligen Deployment Manager der Region berichten. Dies ist typischerweise dann
der Fall, wenn die Region sehr groß ist und die Tätigkeit eines einzelnen Deploy-
ment Managers mit entsprechend viel Reisetätigkeit verbunden wäre bzw. wenn
aufgrund kultureller oder sprachlicher Unterschiede eine Steuerung direkt vor Ort
effektiver und effizienter ist. Die Region Europa ist ein solches Beispiel, bei der
292 Jutta Jessenberger

sich aufgrund der Vielzahl der Länder und Kulturen eine regionale Steuerung mit
ländereigenen Deployment Managern bewährt hat.

Anne Mulcahy
Chairman / CEO

VP, Corporate Lean Six


Sigma Deployment mit
Chief Financial direkter Berichtslinie zum
Business Business Business
Leader Leader Leader Officer CEO während LSS-
Einführung

VP, Corporate Lean


Six Sigma
Deployment

Business Business Business Deployment


Leader Leader Leader Managers
BBs
Deployment
BBs
Team
Deployment Deployment Deployment Deployment
Manager Manager Manager Managers
BBs
BBs
BBs
Master BBs
Sponsors Sponsors

BBs BBs BBs


BBs BBs
BBs BBs BBs BBs
MBBBBs
/ BBs MBBBBs
/ BBs BBs BBs
BBs

Abb. 6: Lean Six Sigma-Organisation von Xerox

Die Master Black Belts sind disziplinarisch zunächst noch im Corporate


Deployment Team „aufgehängt“; einzelne berichten jedoch auch an die Deploy-
ment Manager in der jeweiligen Region. Durch die Einbindung der Deployment
Manager in die einzelnen regionalen Organisationen und ihre direkte Berichtslinie
an die Regions-Geschäftsleitung wird außerdem die Verzahnung von Lean Six
Sigma mit dem operativen Geschäft gewährleistet.
In Bezug auf die Einführungsphase des Lean Six Sigma-Programms ist noch
hervorzuheben, dass während des ersten Jahres der Vice President Corporate Lean
Six Sigma Deployment direkt an die Geschäftsleitung, in diesem Fall an den CEO
berichtete. Auf diese Weise wurde auch aus der Organisation deutlich, welchen
Stellenwert das Operations Committee der Einführung von Xerox Lean Six Sigma
zuordnete. Mit einer solchen Aufstellung im Hinblick auf Organisation, Funktio-
nen und Training sind alle Voraussetzungen von der Ressourcen-Seite für einen
erfolgreichen Lean Six Sigma-Start erfüllt. Der nächste Erfolgsfaktor ist dann eine
sinnvolle Projektauswahl.

4.3 Auswahl geeigneter Projekte

Der beste Projektleiter ist zum Scheitern verurteilt, wenn der ihm übertragene Pro-
jektauftrag nicht klar definiert und strukturiert ist und wenn der zu erzielende Er-
folg nicht klar messbar und zudem schlecht abgegrenzt ist. Ein grundlegender und
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox 293

immer wieder gemachter Fehler besteht darin, Projekte zu groß oder zu unbe-
stimmt zu wählen. Klassische Beispiele dafür sind Projekte mit dem Ziel einer all-
gemeinen Umsatzsteigerung oder Kostenreduzierung – sie werden auch gerne als
„Welthungerhilfeprojekte“ bezeichnet, da sie so groß sind, dass sie kaum abgear-
beitet werden können. Die Krux bei solchen Projekten besteht darin, dass weder
der Erfolg noch der Misserfolg wirklich direkt auf das entsprechende Projekt zu-
rückgeführt werden kann.
Gerade bei der heute bestehenden Komplexität in vielen Unternehmen und
Branchen wird es nur sehr schwer möglich sein, monokausal ein Projekt für eine
Umsatzsteigerung oder eine Kostenreduzierung im Gesamtunternehmen verant-
wortlich zu machen. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, eine Methodik zur Ver-
fügung zu stellen, die aus den in jedem Unternehmen vorhandenen „Welthunger-
hilfeprojekten“ (Teil-)Projekte macht, die in einem angemessenen Zeitraum, mit
einem überschaubaren Projektrahmen und mit definierten Erfolgsmesskriterien
abzuarbeiten sind. Xerox verwendet dazu einen Prozess mit den fünf Schritten:
1. Ansatzpunkte bestimmen (Projektgenerierung)
2. Mögliche Projekte konkretisieren (Projektkonkretisierung)
3. Projekte bewerten (Projektbewertung)
4. Projekte definieren (Projektdefinition) und
5. Projekte priorisieren (Projektpriorisierung).
Während des ersten Schrittes Projektgenerierung werden Ansatzpunkte aus den
Bereichen Kunde, Strategie, finanzielle Ergebnisse und Prozess gewählt. Aus die-
sen Kategorien werden mögliche Projektideen formuliert, die zu diesem Zeitpunkt
u.U. noch den Charakter von „Welthungerhilfeprojekten“ haben.
Die oben angeführten Beispiele einer Umsatzsteigerung oder Kostenreduktion
fallen in den Bereich der finanziellen Ergebnisse. Aus der Kategorie Kunde könn-
te z.B. ein Problem in Bezug auf die (mangelnde) Kundenzufriedenheit oder die
(zu kleine) Wiederkäuferrate identifiziert worden sein, wohingegen aus dem Be-
reich Prozess Unzulänglichkeiten in der Supply Chain oder im Kundendienst auf-
fällig geworden sein könnten. Man wird versuchen, diese unterschiedlichen Berei-
che zu priorisieren. In einer Phase, in der die Resultate weit hinter allen Erwartun-
gen zurückbleiben, wird man sich auf den Bereich der finanziellen Ergebnisse
konzentrieren, dagegen in einer Phase relativer Stabilität und guter Gewinne das
Augenmerk eher auf strategische Fragestellungen richten, um entsprechend gute
Ergebnisse auch in Zukunft sicherstellen zu können.
Während des zweiten Schrittes Projektkonkretisierung geht es darum, mögliche
Projekte aus den einzelnen Bereichen zu skizzieren und die erhofften Ergebnisse
zu konkretisieren. Dazu gibt es verschiedene Methoden – bei einem allgemein er-
gebnisorientierten Ansatz würde man den value tree (Wertbaum) vom Ertrag über
Umsatz und Kosten und die jeweils nachgelagerten Ergebnis- bzw. Kostentreiber
bis auf Kontenebene (wenn notwendig) verfolgen und die Zweige mit den größten
Problemen fokussieren. Stellt sich z.B. heraus, dass der Umsatz eines bestimmten
Produktes oder einer bestimmten Produktgruppe weit hinter den Erwartungen zu-
rückbleibt, wäre dies die erste Konkretisierung. Im Weiteren könnte dann auffällig
sein, dass Marge und Kosten zwar stimmen, aber die verkaufte Menge in einer be-
294 Jutta Jessenberger

stimmten Region nicht ausreicht. Die Nachfrage beim Controller ergibt, dass bei-
spielsweise die Aufträge vorhanden sind, jedoch nicht der Nachfrage entsprechend
abgearbeitet werden können. An dieser Stelle ist wahrscheinlich – je nach Größe
der Region und der Vertriebsstruktur im Unternehmen – ein ausreichender Detail-
lierungsgrad für ein potenziell erfolgreiches Projekt erreicht.
Im zweiten Schritt, der Projektkonkretisierung, versucht man also in jedem Fall
den Teilbereich mit der anteilig größten negativen Wirkung herauszufiltern und
entsprechend das Projekt darauf zu fokussieren. Dies ist nicht in jedem Fall ein-
fach und erfordert häufig bereits vorgelagerte Arbeiten und evtl. vorbereitende
Analysen. Diese Phase ist also durchaus aufwändig und wird deshalb gerne um-
gangen, woraus sich u.a. erklärt, weshalb „Welthungerhilfeprojekte“ so beliebt
sind, die ohne diese Analysearbeit „definiert“ werden können. Output dieses
Schrittes ist eine Reihe von Projektideen, die nun im dritten Schritt des Prozesses
im Hinblick auf Aufwand und Nutzen bewertet werden können.
Im dritten Schritt Projektbewertung werden alle vorhandenen Projektideen
meist mithilfe einer so genannten Kosten-Nutzen-Matrix grob eingeordnet, und
zwar für Aufwand und Nutzen in den Ausprägungen gering, mittel und hoch. Mit-
hilfe der Kosten-Nutzen-Matrix ist es möglich, alle Projektideen schematisch dar-
zustellen und sich einen schnellen Überblick über alle anstehenden Projekte zu
verschaffen. Meist sind die zur Verfügung stehenden Ressourcen begrenzt, so dass
nicht alle Projekte gleichzeitig durchgeführt werden können. Ein sinnvoller Ansatz
zur Projektauswahl ist dann, möglichst alle Projekte mit geringem Aufwand und
hohem Nutzen als erste durchzuführen, um mit geringstem Einsatz das Bestmögli-
che zu erreichen. Im folgenden kommt man dann zu den nächst teureren Projek-
ten.
Bei strategisch wichtigen Projekten stößt dieser Ansatz allerdings an seine
Grenzen, da diese Projekte „fast naturgemäß“ einen großen Einsatz, bei allerdings
auch großem Erfolg, erfordern. Die Projektauswahl kann also nicht rein mechanis-
tisch anhand der erwarteten Beiträge und Kosten erfolgen, sondern muss genauso
strategische Aspekte der identifizierten Projektideen abwägen. Am Ende dieser
Phase steht dann eine Liste von Projektideen, die im Weiteren möglichst komplett
abgearbeitet werden.
Erst im vierten Schritt, der Projektdefinition, findet die eigentliche Ausgestal-
tung des Projektes und des Projektauftrages statt. Die ausgewählten Projektideen
werden an die jeweiligen Sponsoren übergeben und diese definieren dann den ge-
nauen Projektauftrag (Projektcharter) mit den Punkten:
• Geschäftserfolg (Business impact)
• Problem/ Chancen (Problem/ Opportunity statement)
• Ziel (Goal statement)
• Projektumfang (Scope)
• Team und
• Projektplan.
In der Praxis hat es sich als sinnvoll erwiesen, gerade während der Einfüh-
rungszeit von Lean Six Sigma den Projektauftrag in Zusammenarbeit zwischen
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox 295

Projektsponsor und Deployment Manager zu erstellen, um die inhaltliche Gestal-


tung möglichst zu vereinheitlichen. Insbesondere bei den Punkten Ziel und Ge-
schäftserfolg sind nämlich zu Beginn die inhaltliche Abgrenzung und das Ver-
ständnis für die Unterschiede erfahrungsgemäß schwierig, da der Projektsponsor
häufig nur am erwarteten (monetären) Business Impact und weniger am Ziel der
konkreten Prozessoptimierung im Goal Statement interessiert ist.
Bei der Erstellung eines Projektauftrages stellte sich als bestmöglicher Ansatz
heraus, zunächst das erkannte Problem oder die erwarteten Chancen festzuhalten,
dann das Ziel zu definieren und erst anschließend den erwarteten (monetären) Bei-
trag zu bestimmen. Projektumfang, Team und Projektplan ergeben sich daraufhin
automatisch.
Bei einem zurückgehenden Absatz für eine bestimmte Produktgruppe könnten
Probleme beispielsweise wie folgt skizziert werden: „Seit vier Quartalen in Folge
ist der Absatz des Produktes xy in den Regionen West und Süden zurückgegan-
gen. Marge und direkte Kosten sind weitgehend konstant geblieben, aber insbe-
sondere im Bereich der „over the counter“-Verkäufe konnten weder die Umsätze
des letzten Jahres noch die Vorgaben erzielt werden. Die prozentuale Umsatzdif-
ferenz zwischen letztem und diesem Jahr beträgt 25%, zwischen dem Erreichtem
und den Vorgaben 15%. Anzahl und Umfang der Aufträge ist in etwa auf dem
Vorjahresniveau, allerdings ist die Auslieferungsquote um ca. 20% zurückgegan-
gen. Der Absatz in den anderen Regionen verläuft planmäßig.“
Dabei gilt als Grundregel, so viele Details und Fakten festzuhalten wie irgend
möglich, um das Problem respektive die Chance(n) konkret zu machen. Zu diesem
Zweck sind die folgenden Fragen zu beantworten:
• Was ist das Problem?
• Seit wann besteht es?
• In welchem Ausmaß und wo ist das Problem aufgetreten?
Als nächstes sollte das Ziel bestimmt werden. Wichtig hierbei ist, dass sich das
zu definierende Ziel auf den zugrunde liegenden Prozess bezieht und nicht auf den
erwarteten Erfolg. Aus diesem Grund sollte auch in der Zieldefinition der Prozess
mit Anfang und Ende sowie die ihn beeinflussenden Größen benannt werden. Zum
Beispiel: „Der zu betrachtende Prozess umfasst die Schritte Auftragseingang, Auf-
tragsbearbeitung und Auslieferung der Produkte. Start ist der Eingang der Bestel-
lung bei Team A, Ende ist der Zeitpunkt, an dem das bestellte Produkt verladen
und der Umsatz verbucht wird. Ziel ist, die Auslieferungsquote wieder auf das
Vorjahresniveau zu bringen, also eine Steigerung um 20%.“
Erst zu diesem Zeitpunkt macht es Sinn, den Geschäftserfolg zu definieren,
z.B.: „Durch eine Steigerung der Auslieferungsquote um 20% wird mit dem be-
stehenden Produktmix in der Produktgruppe durchschnittlich ein Umsatzwachs-
tum von 25% erzielt. Nach Abzug der Projektkosten wird ein Beitrag zum Ge-
schäftsergebnis in Höhe von 350.000 EUR erwartet.“
Der Projektumfang ist durch die Problemstellung weitestgehend vorgegeben.
Dieses Projekt wird sich auf die genannte Produktgruppe, die Regionen West und
Süden und den o.g. Prozess beschränken. Wichtig ist hier noch festzustellen, wel-
296 Jutta Jessenberger

che Befugnisse das Projektteam hat, etwa in Bezug auf Budget, auf eine Verände-
rung der bestehenden Prozesse, auf Kunden- oder Lieferantenverträge usw.
Auch die Zusammensetzung des Teams ist nahezu komplett aus den definierten
Anforderungen abzulesen. Dabei sollte man an dieser Stelle zunächst die Funktio-
nen der Teammitglieder spezifizieren. Die namentliche Nennung erfolgt erst im
fünften Schritt der Projektgenerierung, da erst dann mögliche zeitliche Einschrän-
kungen oder Verfügbarkeiten bekannt sind. Sinnvoll ist weiterhin eine Vorgabe
des voraussichtlichen Zeitbedarfs der Teammitglieder, um den Aufwand auch für
das operative Management transparent zu machen. Der Projektplan wird ebenfalls
an dieser Stelle in den Grundzügen mit der vorgesehenen Dauer der einzelnen Pro-
jektphasen festgelegt.
Insgesamt zeichnet sich ein guter Projektauftrag durch möglichst viele Details
und eine konkrete, messbare Aufgabenstellung aus. Dabei ist allerdings zu berück-
sichtigen, dass er auch ein „lebendes“ Dokument darstellt. Änderungen im Verlauf
des Projektes sind normal, z.B. durch Bekanntwerden neuer Informationen, Ände-
rungen im Projektteam oder eine notwendige Anpassung der vorhergesagten Re-
sultate.
Der fünfte und letzte Schritt in der Projektauswahl ist die Projektpriorisierung.
In diesem Schritt werden die konkreten Projektvorschläge in einem Projektplan
zur Abarbeitung zeitlich eingeplant, und zwar unter Berücksichtigung der Wich-
tigkeit der einzelnen Projekte und der verfügbaren Ressourcen. Hier kann eben-
falls noch einmal eine Bewertung der einzelnen Projekte nach bestimmten Krite-
rien erfolgen und der Kosten-/ Nutzen-Beitrag daraufhin neu bestimmt werden.
Am Ende des Projektauswahlprozesses steht eine „Projektpipeline“ mit fertig
ausformulierten Projektaufträgen und einem Plan zu deren Umsetzung. Natürlich
ist diese Projektpipeline nicht statisch, sondern ebenso wie die Projektcharter ein
„lebendes“ Objekt. Durch Veränderungen im Unternehmen, in der Branche, im
Umfeld oder durch neue Vorgaben werden immer wieder neue Projektideen und
Projekte entstehen, die in die Pipeline einzuordnen sind. Es werden evtl. bereits
bestehende und geplante Projekte wieder eingestellt, da sie nicht länger von der
ursprünglich bestimmten Wichtigkeit sind. Der Prozess der Projektauswahl ist al-
so ein zyklischer Vorgang, der sich jeweils an die sich möglicherweise ändernden
Erfordernisse und Gegebenheiten anpassen muss.

4.4 Disziplin bei der Umsetzung

Der letzte Faktor für eine erfolgreiche Einführung von Lean Six Sigma besteht in
der stringenten und disziplinierten Umsetzung der definierten Projekte.
Insgesamt gibt es eine Reihe von Maßnahmen, welche die Disziplin und Aus-
führung von Lean Six Sigma-Projekten unterstützen. Die Strukturierung eines
Lean Six Sigma-Projekts in fünf Phasen DMAIC oder DMEDI gibt dabei schon
einen zweckmäßigen Rahmen zur Abarbeitung vor. Die Endpunkte dieser Phasen
werden jeweils mit erfolgreich bestandenen „Tollgate-Reviews“ abgenommen.
Zudem bieten ein Computersystem (Project Tracking System) sowie regelmäßige
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox 297

Reviews und Coaching weitergehende Unterstützung für die Projektteams und


Projektleiter. Diese Maßnahmen werden im Folgenden weiter ausgeführt.
Beim DMAIC-Zyklus1 mit dem Ziel der Verbesserung eines bestehenden Pro-
zesses sind die Phasen Define, Measure, Analyse, Improve und Control zu durch-
laufen. In der ersten Phase Define wird der Projektauftrag weiter präzisiert. Kun-
denanforderungen, Umfang, Projektplan und erwartete finanzielle Ergebnisse
werden ebenso angegeben wie die Verteilung der Aufgaben innerhalb des Projekt-
teams und eine Abgrenzung des Projektumfelds. Letzteres ist wichtig, um etwaige
Einflüsse des Projekts auf angrenzende Bereiche zu berücksichtigen und auch die
Projektkommunikation entsprechend aufzusetzen. Außerdem wird der Ist-Zustand
des zu verbessernden Prozesses bestimmt und ein grober Prozessfluss skizziert.
Während der Measure-Phase bestimmen die Projektteilnehmer die möglichen
Input-, Prozess- und Outputmessgrößen und untersuchen die derzeitige Fähigkeit
des Prozesses. Weiterhin wird der Prozessfluss, z.B. mithilfe einer Wertstromana-
lyse, dargestellt. Die Analyse-Phase dient dazu, die Messergebnisse miteinander in
Verbindung zu setzen und zu bestimmen, welche Inputgrößen maßgeblich auf die
Outputmessgrößen einwirken und wie diese einzustellen sind, damit der Prozess-
output optimal ist. Während der Improve-Phase optimiert das Projektteam die Ein-
stellung so, dass der Prozess nachhaltig die gewünschten Ergebnisse erreicht. Au-
ßerdem führt es einen Testlauf mit dem optimierten Prozess durch, um sicherzu-
stellen, dass das bestimmte Optimum auch in der Praxis die gewünschten Resulta-
te zeigt und dass keine wichtigen Faktoren übersehen worden sind.
Zum Abschluss, in der Control-Phase, übergeben die Projektteilnehmer den op-
timierten Prozess dem eigentlichen Prozesseigner im Tagesbetrieb. Sie entwerfen
u.a. Trainingsmaßnahmen und einen Kontrollplan, der den kontinuierlichen und
regelgerechten Betrieb sicherstellt. Während aller Phasen werden wiederholt Risi-
koanalysen durchgeführt und der erwartete (finanzielle) Erfolg aktualisiert. Auch
Veränderungen in der Projektumgebung werden berücksichtigt, um das Projekt,
d.h. die Projektcharter, ggf. anzupassen.
Für ein Projekt zum Neudesign eines benötigten Prozesses sind nach dem
DMEDI-Zyklus2 die folgenden fünf Phasen zu durchlaufen: Define, Measure,
Explore, Develop und Implement. Sie sind den Phasen aus dem DMAIC-Zyklus
ähnlich. Durch das Fehlen eines existierenden Prozesses, anhand dessen die Be-
ziehung zwischen Input-, Prozess- und Outputmessgrößen durch statistische Me-
thoden untersucht und die optimale Einstellung bestimmt werden kann, ist hier ei-
ne etwas andere Vorgehensweise erforderlich. Da der Status quo durch statistische
Methoden nicht gemessen werden kann, muss ein Beurteilungssystem erstellt wer-
den.
Define- und Measure-Phase konzentrieren sich auf eine möglichst genaue De-
finition der Kundenwünsche. In der Phase Explore entwickelt das Projektteam ein
System, mit dessen Hilfe es bewerten kann, wie gut mögliche Lösungen im Hin-
1 Eine detaillierte Darstellung des DMAIC-Zyklus befindet sich im Beitrag von Günther/
Garzinsky im Kapitel B.
2 Eine detaillierte Darstellung des DMADV-Zyklus als Alternative des DMEDI-Zyklus be-
findet sich im Beitrag von Töpfer/ Günther im Kapitel A.
298 Jutta Jessenberger

blick auf die Erfüllung der in der Measure-Phase bestimmten Kundenanforderun-


gen geeignet sind. Während der Develop-Phase geht es darum, möglichst viele un-
terschiedliche Lösungen zu generieren und die beste auf Basis des Beurteilungs-
systems zu identifizieren. In der Phase Implement wird dann die beste Lösung
konkretisiert. Es werden u.a. Organisations-, Prozess-, Layout- und Trainingsde-
signs erstellt, mit deren Hilfe ein Testlauf des neuen Prozesses durchgeführt wer-
den kann. Der neue Prozess wird nach erfolgreichem Test an den Prozesseigner
übergeben, zusammen mit der gesamten unterstützenden Dokumentation, wie z.B.
Trainingsunterlagen und Kontrollpläne. Abbildung 7 stellt die Phasen der zwei
Zyklen und die in ihnen erfolgenden Aufgaben schematisch dar.

DMAIC DMEDI
Ziel: Verbesserung eines Ziel: Neuentwicklung eines benötigten
bestehenden Prozesses Define Prozesses
Define Define
! Definition des Projektinhalts, ! wie DMAIC
-umfangs und -dauer Measure
Measure Measure ! Messung/Bestimmung der
! Messung der aktuellen Kundenbedürfnisse/-wünsche
Prozeßkapazität Explore
Analyze Analyze/ ! Entwicklung von Beurteilungskriterien
! Analyse von Ursachen der Explore („design concepts“) zur Lösungserstellung
Prozeßprobleme an Hand von Develop
Daten
! Generierung von möglichen Lösungen,
Improve Improve/ Entwicklung und Optimierung eines detail-
! Verbesserung des Prozesses Develop lierten, neuen Prozeßdesigns im Sinne der
u.a. durch Verschlankung zuvor bestimmten Beurteilungskriterien
Control Implement
! Kontrolle des verbesserten Control/ ! Konzeption und Durchführung eines Piloten
Prozesses Implement zur Überprüfung des neuen Prozesses,
Aufsetzen von Kontrollmechanismen und
Einführung im täglichen Ablauf.

Abb. 7: Projektphasen von DMAIC und DMEDI im Überblick

Am Ende jedes Schrittes im Projektzyklus – unabhängig, ob DMAIC oder


DMEDI – werden so genannte Tollgates durchgeführt, um zu überprüfen, ob alle
die in der jeweiligen Phase zu erledigenden Aufgaben erfolgreich durchgeführt
worden sind. Während der Präsentation werden sowohl die einzelnen Ergebnisse
vorgestellt und diskutiert als auch die finanziellen Vorhersagen einer kritischen
Prüfung unterzogen. Weiterhin wird untersucht, welche Risiken für das Projekt
und für das Unternehmen bestehen, sowie abgewogen, ob ein Fortführen dieses
Projektes sinnvoll ist. Außerdem wird entschieden, ob sich während der entspre-
chenden Projektphase neue Erkenntnisse ergeben haben, die eine Konzentration
auf andere Projekte und Problemstellungen nahe legen.
Zum Ende des Tollgate-Reviews trifft der Sponsor die Entscheidung, ob das
Projekt weitergeführt werden soll und ob die entsprechende Phase erfolgreich ab-
geschlossen wurde. Ist dies der Fall, kann das Projekt in die nächste Phase eintre-
ten. Anderenfalls erteilt der Sponsor dem Projektleiter Auflagen, die zum erfolg-
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox 299

reichen Absolvieren des Tollgates erforderlich sind, und das Projektteam muss
entsprechende Nacharbeiten durchführen.
Einen weiteren Beitrag für eine disziplinierte Projektabwicklung bei Xerox
wird durch das so genannte Project Tracking System geliefert. In dieses IT-
gestützte System werden alle Lean Six Sigma-Projekte eingetragen, die weltweit
im Unternehmen Xerox durchgeführt werden. Erfasst werden dort die Projektauf-
träge mit den sechs Unterpunkten, finanzielle Resultate und Projektdokumentatio-
nen mit einer Suchfunktion, so dass es auch als Nachschlagewerk für ähnliche
Projekte verwendet werden kann. Gleichzeitig werden in das Project Tracking
System auch die Projektpläne eingetragen, so dass überprüfbar ist, in welchem
Status sich ein Projekt befindet. Den Deployment Managern dient das System als
Steuerungsinstrument und ist Grundlage für Business Reviews. Die Hauptaufga-
ben sind also:
• Verwaltung der Projektpipeline
• Überblick über bestehende Projekte mit deren Status und ihrem erwarteten fi-
nanziellen Beitrag
• Workflow-Funktionalität mit Benachrichtigungsfunktion und
• Operatives Reporting.
Natürlich gilt auch für dieses System, dass es nur so gut sein kann, wie die
Qualität der in ihm enthaltenen Daten. Aus diesem Grund ist eine disziplinierte
Datenpflege und ein Fokus auf korrekte Dateneingabe unerlässlich. Letztendlich
sind auch die turnusgemäß stattfindenden Coachings durch Master Black Belts,
Black Belts und Deployment Manager für alle Projektleiter eine Hilfestellung für
eine disziplinierte Ausführung der Projekte.

5 Lean Six Sigma in Deutschland – Planung und


Umsetzung

Das Lean Six Sigma-Programm wurde 2003 weltweit eingeführt, beginnend mit
den USA. Von Anfang an bestand das Ziel darin, Lean Six Sigma nicht nur in ei-
nigen Bereichen, sondern im gesamten Unternehmen „auszurollen“. Abbildung 8
zeigt die Bereiche für das unternehmensweite Deployment. Den Hintergrund bil-
dete dabei der Wunsch, die Methoden nicht nur als Werkzeuge zur Effizienzstei-
gerung einzusetzen, sondern sie entlang der gesamten Wertschöpfungskette und
der unterstützenden Bereiche als unternehmensweite Strategie zur Schaffung von
Mehrwert anzuwenden.
Inzwischen konnte Xerox so viel Erfahrung im Einsatz dieser Techniken sam-
meln, dass diese Methodik auch beim Kunden für den Kunden i.S.v. „At the
customer for the customer“ entweder im Rahmen eines mit Xerox abgeschlosse-
nen Druck-/ Dienstleistungsvertrags oder eigenständig sehr erfolgreich als Bera-
tungsleistung angeboten wird.
300 Jutta Jessenberger

Finanzen
Infrastruktur

Personal Vertrieb und


Marketing

Customer
Administration Xerox Communications

Operations Information
Technologies

Engineering Produktion

Abb. 8: Bereiche für das unternehmensweite Deployment von Lean Six Sigma

Bei der Einführung in Deutschland orientierte man sich verständlicherweise am


Roll-Out in den USA. In Abbildung 9 ist der Zeitplan für die Lean Six Sigma-
Einführung in den USA sowie z.T. parallel hierzu für die deutsche Tochtergesell-
schaft ersichtlich.

Nov 02 Jan - Feb 03 Jun 03 Nov 03 Mai 04 Dez 05


Start
Start USA – weltweit
Lean
Lean Six
Six Sigma
Sigma
Deutschland
Executive Launch
Leadership Training
Deployment
Deployment
Design
Design && Launch
Launch

Sponsor Training

Deployment

BB Training
GB Training
MBB Training
DFLSS

Lean
Lean Six
Six Sigma
Sigma – Steuerung
Steuerung

Abb. 9: Roll-out in den USA und in Deutschland

Während der Startphase Ende 2002 lag der Fokus zunächst auf einer unterneh-
mensweiten Kommunikation in den Führungsebenen. So fanden weltweit Leader-
ship Trainings statt mit dem Ziel, die Ideen und Konzepte und natürlich auch den
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox 301

Grund zur Einführung von Lean Six Sigma auf Geschäftsleitungsebene zu erklä-
ren. Kurze Zeit später, zur Vorbereitung auf die ersten Projekte, wurden die Lei-
tungsteams der Regionen, Länder und Geschäftsbereiche in einem Training für
Sponsoren über ihre Verantwortlichkeiten und Aufgabenbereiche geschult. Dieses
Sponsoren-Training wurde dann auf die zweite Führungsebene innerhalb der Län-
der ausgedehnt.
Im Januar 2003 startete das erste (US-)amerikanische Black Belt-Training, kur-
ze Zeit später gefolgt vom ersten europäischen Black Belt-Training, an dem Mit-
arbeiter aus allen großen europäischen Xerox-Gesellschaften teilnahmen. Im Juni
2003 fanden dann die ersten Green Belt-Trainings in Amerika statt; die ersten
deutschen Teilnehmer nahmen im Juni 2004 an europäischen Schulungen teil. Die
Zeittafel in Abbildung 10 vermittelt einen Eindruck über Trainings, Trainingsorte
und Teilnehmerzahlen in Deutschland.
Bei Xerox Deutschland befinden sich Ende 2006 11 trainierte Black Belts, von
denen einige bereits wieder ins operative Geschäft zurückgegangen sind, 60 Green
Belts und 20 Manager der höheren und mittleren Führungsebene, die an einer Le-
ader/ Sponsor-Schulung teilgenommen haben. Über 80% aller Mitarbeiter haben
ein Yellow Belt-Training absolviert.

Datum Training Sprache/ Ort


März 2003 3 Black Belts Englisch/ Europäisches Ausland
November 2003 2 Black Belts Englisch/ UK
Mai 2004 2 Black Belts Englisch/ UK
Juni 2004 3 Green Belts Englisch/ UK
Juli 2004 > 30 Green Belts Deutsch/ Deutschland
Januar 2005 1 Black Belt Englisch/ UK
Januar 2006 2 Black Belts Englisch/ UK
Juli 2006 > 30 Green Belts Deutsch/ Deutschland
Dezember 2006 1 Black Belt Englisch/ UK

Abb. 10: Lean Six Sigma-Trainings in Deutschland - Roll-Out-Phase

6 Lessons Learned

Die große Herausforderung bei Xerox bestand nicht darin, die in Kapitel 4 ge-
nannten Erfolgsfaktoren konstruktiv in die Einführung des Lean Six Sigma-Pro-
gramms mit einzubeziehen. Sie bestand vielmehr darin, sie von der Geschäftsfüh-
rung in den USA weltweit mit derselben Intensität in die einzelnen Regionen und
Länder zu bringen, und sie dann innerhalb der Länder durch die Hierarchiestufen
bis zum einzelnen Mitarbeiter weiterzugeben. Die Wichtigkeit einer stringenten
Kommunikationsstrategie kann hierbei nur unterstrichen werden. Erfolgreich war
302 Jutta Jessenberger

eine Kombination verschiedener Medien und Formate, z.B. Bereichsversammlun-


gen, Aufnahme in Geschäftsberichte, Erstellung von Newslettern und Gewinnspie-
len.
Eine weitere Erfahrung bei der Einführung war, dass in jedem Fall alle Fakto-
ren zum Erfolg des Programms bzw. der einzelnen Projekte beitrugen. War auch
nur eine der Voraussetzungen nicht gegeben, so war die Durchführung des betref-
fenden Projektes gefährdet, dauerte deutlich länger als geplant, konnte nicht wie
geplant umgesetzt werden und/ oder scheiterte komplett. Bei den Projekten, bei
denen nicht der erwünschte Erfolg erzielt wurde, konnte die Ursache immer auf
die Abwesenheit mindestens einer der vier Voraussetzungen zurückgeführt wer-
den. Eine der häufigsten Ursachen dafür, dass ein Projekt länger als geplant dauer-
te, lag zum einen an der mangelnden Bereitschaft, Ressourcen dafür abzustellen
sowie zum anderen am fehlenden Interesse des Projektsponsors, die Unterstützung
auch aus anderen Bereichen zu gewährleisten. Einige Projekte entwickelten sich
nach einem anfänglich gut abgegrenzten Projektauftrag zu „Welthungerhilfepro-
jekten“, da die Disziplin in der Ausführung fehlte.
Umgekehrt konnten alle Projekte mit einem gut definierten Projektauftrag, bei
denen zudem die Sponsorunterstützung und die passenden Ressourcen vorhanden
waren, stringent, schnell und i.d.R. sehr erfolgreich durchgeführt werden.
Allgemein kann man die Erfahrungen, die Xerox mit der Einführung des Lean
Six Sigma-Programms gemacht hat, so zusammenfassen: Während der ersten zwei
Jahre der Einführung sollte man einen guten und tragfähigen Business Case auf-
stellen und die Umsetzung auf allen Ebenen vorantreiben. Dabei hilft die Berück-
sichtigung folgender Punkte:
• Erstellung von Benchmarks inner- und außerhalb der eigenen Branche
• Sichtbare Selbstverpflichtung von CEO und Senior Leadership
• Executive Coaching außerhalb des Unternehmens
• Bereitstellung der benötigten Ressourcen
• Kommunikation der Vision und Werthaltigkeit des Programms sowie
• Aufbau von Glaubwürdigkeit durch übereinstimmende Botschaften und nach-
vollziehbare Erfolge.
Über die mittlere Zeitdistanz setzte sich bei Xerox die Erkenntnis durch, dass
eine begrenzte Einführung auch begrenzte Ergebnisse mit sich bringt. Aus diesem
Grund wurde insbesondere die Green Belt-Ausbildung zur Unterstützung der
Black Belts und der einzelnen Geschäftsbereiche verstärkt. Eine generelle Neube-
lebung des Programms gelang durch folgende Punkte:
• Beschleunigung der Einführung überall im Unternehmen
• Konzentration der Ressourcen auf wenige, strategische Probleme
• Wiederholung und Verstärkung der Selbstverpflichtung der Geschäftsleitung
• Design for Lean Six Sigma (DfLSS)
• Fokus auf Projektdauer und
• Beginn der Anwendung von Lean Six Sigma für Kunden.
Einführung von Lean Six Sigma bei Xerox 303

Während dieser Phase wurden übrigens einige Lean Six Sigma-Projekte durch-
geführt zur Verbesserung der Lean Six Sigma-Einführung, so dass das Programm
selbst die Instrumente für die eigene Optimierung zur Verfügung stellte.
Inzwischen befindet sich Xerox auf der „Langstrecke“, was die Einführung von
Lean Six Sigma betrifft. Die Herausforderung ist nun eher, die Konzepte und I-
deen weiter voran zu treiben, die Methodik immer weiter zu verbessern und neu
zu aktualisieren sowie die Anfangserfolge in nachhaltige Managementstrategien
zu wandeln. Dazu ist es wichtig, die Produktivität des Lean Six Sigma-Programms
zu erhalten, Mehrwert für den Kunden zu schaffen und damit auch das Wachstum
des Unternehmens zu beschleunigen. Dies geschieht durch
• Intensivierung der Kundenbeziehung durch gemeinsame Projekte,
• Fokus auf Innovation und
• Ausweitung der Lean Six Sigma-Prinzipien auf Lieferanten.
Seit seiner Einführung hat Lean Six Sigma bei Xerox seine Leistungsfähigkeit
und Wichtigkeit bewiesen. Bereits im ersten Jahr haben sich die Investitionen
durch die erzielten Resultate, welche erreicht wurden durch Lean Six Sigma, a-
mortisiert. In den folgenden Jahren hat das Programm wesentliche Beiträge zum
Geschäftserfolg geleistet. Natürlich gab es auch bei Xerox die eine oder andere
Schwierigkeit bei der Einführung. Insgesamt war aber die Einführung des Lean
Six Sigma-Programms sehr erfolgreich und ein wichtiger Beitrag für den Erfolg
des ganzen Unternehmens, wie auch das Zitat von Anne Mulcahy belegt:
„What I worry most about is how to return Xerox to greatness… Lean Six Sig-
ma is not the only answer, but it’s a significant part of the equation. Lean Six
Sigma is incredibly different ... “
Integration von Design for Six Sigma in den
Produktentstehungsprozess bei Siemens VDO

Achim Schmidt

Inhalt

1 Verständnis und Definition von Six Sigma bei Siemens VDO ................305
2 Six Sigma bei Diesel Systems..................................................................307
2.1 Das Piezo-Common-Rail-Einspritzsystem...............................................307
2.2 Implementierung von Six Sigma bei Diesel Systems...............................309
2.3 Systematische Umsetzung der Kundenanforderungen .............................310
3 Design for Six Sigma-Implementierung bei der Systementwicklung ......311
3.1 Entwicklungsprozess und Design for Six Sigma-Ansatz .........................312
3.2 Methodenbeschreibung für den operativen Einsatz..................................313
3.3 Anforderungsmanagement bei System-Projekten ....................................314
3.4 Die wichtigsten Werkzeuge im Pilotprojekt.............................................316
3.5 Ergebnisse des Pilotprojektes...................................................................319
4 Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige Etablierung von
Design for Six Sigma ...............................................................................320

1 Verständnis und Definition von Six Sigma bei


Siemens VDO

Siemens VDO Automotive ist einer der weltweit führenden Automobilzulieferer


für Elektronik, Elektrik und Mechatronik.1 Als Entwicklungspartner der Automo-
bilindustrie fertigt das Unternehmen Produkte rund um den Antriebsstrang, die
Motorsteuerelektronik und die Einspritztechnik, welche zusammen die Motorleis-
tung verbessern und Emissionen reduzieren. Für gesteigerten Fahrkomfort und
Bedienerfreundlichkeit sorgen Informations- und Car-Communication-Systeme
mit Instrumentierung, Audio- und Navigationsgeräten, Telematik- und Multime-
dia-Anwendungen bis hin zu kompletten Cockpits. Einen Beitrag zu mehr Sicher-
heit leisten Siemens VDO-Produkte für Chassis und Karosserie, wie Airbag-,
ABS- oder Zugangskontrollsysteme.
Zur Effizienzsteigerung des Unternehmens wird bei Siemens VDO das top+
WIP-Verbesserungsprogramm2 eingesetzt, das aus dem erprobten top+ Programm
der Siemens AG abgeleitet wurde. Das Verbesserungsprogramm teilt sich in die
vier Initiativen Qualität, Projektmanagement, System und Software sowie Design-

1 Dies gilt auch weiterhin, nachdem das Unternehmen Ende 2007 von der Continental AG
gekauft wurde und jetzt Bestandteil dieses Konzerns ist.
2 WIP = World Class Improvement Program.
306 Achim Schmidt

To-Cost auf. Six Sigma ist ein integraler Bestandteil der top+ Quality Initiative
mit dem Ziel einer stetigen und systematischen Verbesserung der Prozess- und
Produktqualität zum Vorteil der Kunden.
Zum Erreichen von einwandfreier Qualität bei hoch innovativen Produkten
wurde im Rahmen der top+Quality Initiative ein 6-Schritte Vorgehen eingeführt
(siehe Abb. 1). Hierbei handelt es sich um ein durchgängiges und systematisches
Konzept, anhand dessen Verbesserungen nachhaltig durchgeführt werden können.

Abb. 1: Das Siemens top+ Quality-Unternehmensprogramm

Bei den Schritten 1-3 des sechsstufigen Vorgehens werden die Verbesserungs-
ziele im Hinblick auf die Senkung der Fehlleistungskosten und die Steigerung des
Kundennutzens festgelegt. Dabei werden die Hauptproblemfelder identifiziert, die
Verbesserungshebel im Leitungskreis bestimmt und Verbesserungsprojekte mit
Prozesszielen initiiert. Im Rahmen der Schritte 4-5 erfolgt die systematische Erar-
beitung und Umsetzung von Maßnahmen auf Prozessebene. Hierzu werden Six
Sigma Verbesserungsprojekte durchgeführt (siehe Abb. 2). Bei Schritt 6 erfolgt
eine regelmäßige Überprüfung der Zielerreichung im Leitungskreis, und es wer-
den bei Bedarf die entsprechenden Konsequenzen eingeleitet.
Eine wichtige Basis für die erfolgreiche Umsetzung des 6-Schritte-Vorgehens
ist die aktive Gestaltung der drei Erfolgsfaktoren Transparenz, Unterstützung
durch das Management sowie Qualifizierung und Training.
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess 307

Abb. 2: Six Sigma – Ein elementarer Bestandteil des Siemens top+Quality-Unternehmens-


programms

2 Six Sigma bei Diesel Systems

Der Bereich Diesel Systems von Siemens VDO entwickelt hochwertige Produkte
und Systeme für Common-Rail-Motoren. Neben mehr Fahrspaß und Dynamik
steht hier auch der verantwortungsvolle Umgang mit der Umwelt im Vordergrund.
Mithilfe der innovativen Technik im Bereich der Motorsteuerelektronik, der Pie-
zo-Diesel-Einspritzung, Sensorik und Aktuatorik können die Motorleistung ver-
bessert und der Verbrauch sowie die Emissionen des Dieselmotors reduziert wer-
den. Das Piezo-Common-Rail-Einspritzsystem steht im Vordergrund der ersten
DFSS-Anwendungen bei Siemens VDO Diesel Systems.

2.1 Das Piezo-Common-Rail-Einspritzsystem

Bei der Common-Rail-Einspritzung werden alle Zylinder des Dieselmotors von


einer Hochdruckpumpe über eine gemeinsame Leitung, den so genannten „Com-
mon-Rail“, mit Kraftstoff versorgt. Das Siemens VDO-Piezo-Common-Rail-
System besteht aus den Komponenten Motorsteuerung (Electronic Control Unit),
Piezo Kraftstoff-Injektoren, Kraftstoff Sensor, Hochdruck Pumpe, Common-Rail,
und den Leitungen, die vom Common-Rail zu den Injektoren führen. Ein solches
308 Achim Schmidt

Dieseleinspritzsystem ist in Abbildung 3 dargestellt. Die Kraftstoffeinspritzung er-


folgt bei einem Druck von 1.800 bar. Der hohe Einspritzdruck bewirkt, dass sich
im Zylinder ein besonders feines Kraftstoff-Luft-Gemisch bildet, das effizient,
schnell und sauber verbrennt.
Für den Kraftstoff-Einspritzvorgang werden Injektoren verwendet, die durch
Piezo-Aktoren betätigt werden. Bei den Piezo-Aktoren wird eine elektrische Span-
nung an eine spezielle Keramik angelegt, deren Kristallstrukturen sich verändern.
Die Folge ist eine minimale geometrische Veränderung, die über ein hydraulisches
Element mechanisch die Öffnung der Einspritz-Düsennadel auslöst.

Abb. 3: Das Siemens VDO Piezo-Common-Rail-Einspritzsystem

Die Piezo-Einspritztechnik ermöglicht deutlich kleinere und exakt dosierbare


Einspritzmengen bei extrem kurzen Reaktionszeiten. Bei jedem Einspritztakt kön-
nen fünf oder mehr einzelne Kraftstoffportionen individuell gesteuert und dosiert
in die Zylinder eingebracht werden. Mehrere Piloteinspritzungen ermöglichen ein
sanften und gleichmäßigen Anstieg des Verbrennungsdruckes, was eine Verringe-
rung des klassischen "Dieselnagelns" bewirkt. Nach den Piloteinspritzungen er-
folgt eine Haupteinspritzung, die der Erzeugung thermischer Energie dient. In be-
stimmten Betriebsbereichen können durch eine geteilte Haupteinspritzung die
Stickoxidemissionen deutlich reduziert werden. Mehrere Nacheinspritzungen be-
wirken eine Verringerung der Rohemissionen und des Partikelausstoßes. Ein ho-
her Dieseleinspritzdruck, die Mehrfacheinspritzung sowie die exakte Piezo-Akto-
rik ermöglichen es, Dieselmotoren zu produzieren, welche die steigenden
Emissionsanforderungen auch in der Zukunft sicher erfüllen.
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess 309

2.2 Implementierung von Six Sigma bei Diesel Systems

Im Juni 2003 wurde Six Sigma bei Siemens VDO Diesel Systems implementiert.
Die Historie der Entwicklung von Six Sigma-Projekten bei Diesel Systems ist in
Abbildung 4 visualisiert. Zu Beginn der Six Sigma-Implementierung lag der Fo-
kus auf der Analyse und Verbesserung von Produktions- und Logistikprozessen.
Dabei standen Qualität, Kosten und Liefertreue im Vordergrund. Die Projekte
wurden mit der klassischen Six Sigma-DMAIC-Methodik abgearbeitet. Ein Jahr
nach der Einführung von Six Sigma bei Diesel Systems lag das Niveau der Ein-
sparungen bereits über dem Zehnfachen der Trainingskosten.

Abb. 4: Historie von Six Sigma-Projekten bei Siemens VDO Diesel Systems

Das erste Design for Six Sigma-Projekt bei Diesel Systems wurde im Sommer
2003 gestartet. Gegenstand des Projektes war die Entwicklung eines Messverfah-
rens für Piezo-Aktuatoren. Der Design for Six Sigma-Ansatz war bei diesem Pro-
jekt erforderlich, da es sich bei dem Messsystem um eine Neuentwicklung und
nicht um eine Verbesserung eines bestehenden Systems handelte. Seit Sommer
2004 wird die DFSS Methodik in der Entwicklung von Einzelkomponenten für
das Einspritzsystem eingesetzt. Der Schwerpunkt lag zunächst bei der Vermei-
dung von Produkt- oder Prozessproblemen und bei der Erstellung eines robusten
Designs, d.h. eines Designs, das besonders unanfällig gegenüber dem Auftreten
von Störgrößen ist.
310 Achim Schmidt

Die neuen Vorgaben, die durch gestiegene Kundenanforderungen sowie durch


die aktuellen und zukünftigen Vorgaben für die Grenzwerte3 bei Stickoxiden und
Feinstaubpartikeln entstehen, benötigen einen ganzheitlichen DFSS-Ansatz auf
Systemebene. Bei diesem Systemansatz muss sichergestellt werden, dass das Ge-
samtsystem die Kundenanforderungen und gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Die Op-
timierung einzelner Komponenten ist notwendig, aber i.d.R. nicht ausreichend.
Anhand eines DFSS-Pilotprojektes wurde eine Methodik entwickelt, welche die
Umsetzung der Kundenanforderungen bis hin zur Komponentenentwicklung er-
möglicht. Der bestehende Geschäftsprozess „Systementwicklung” wurde analy-
siert und entsprechend des DFSS-Ansatzes umgestellt bzw. ergänzt.

2.3 Systematische Umsetzung der Kundenanforderungen

Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg eines neuen Produkts ist die Um-
setzung der geforderten Produkteigenschaften. Funktionale Merkmale und Merk-
male, die im Zusammenhang mit der Sicherheit und Zuverlässigkeit stehen, wer-
den dabei besonders berücksichtigt. Die Anforderungen, Erwartungen und
Wünsche an das geplante Produkt werden in einem Lastenheft dokumentiert, das
aus Anwendersicht beschreibt, was und wofür das Produkt zu entwickeln ist.
Bei der Entwicklung von Produkten, die aus mehreren Komponenten4 bestehen,
werden üblicherweise zunächst bei der Komponentenentwicklung die Anforde-
rungen umgesetzt. Die Integration der Komponenten zu einem Gesamtsystem er-
folgt erst in einem nachfolgenden Schritt. Dieses klassische Vorgehen birgt die
Gefahr, dass jede Komponente nur für sich optimiert wird und Wechselwirkungen
zwischen den Komponenten nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt werden.
Dies hat zur Folge, dass das Gesamtsystem nicht die geforderten Funktions- und
Leistungsanforderungen erfüllt, oder aufgrund von Suboptimierungen einzelner
Komponenten einen unerwünscht hohen Komplexitätsgrad aufweist. Die Optimie-
rung des Gesamtsystems in Hinblick auf die vom Kunden geforderten Funktions-
und Leistungsanforderungen sowie die behördlichen und gesetzlichen Anforde-
rungen erfordern einen ganzheitlichen Ansatz.
Bei einem solchen Ansatz werden, wie in Abbildung 5 skizziert, die Kundenan-
forderungen zunächst in funktionale Anforderungen auf Systemebene umgesetzt.
Die Anforderungen, die nötig sind, um die gewünschten Systemfunktionen zu ge-
währleisten, werden vom Gesamtsystem an die jeweiligen Komponenten weiter-
gegeben. Auf Komponentenebene werden die Anforderungen genauer spezifiziert
und beim Design berücksichtigt. Die Funktion sowie das Zusammenspiel der
Komponenten des Gesamtsystems werden anschließend getestet und optimiert.
Schließlich wird geprüft, ob die Systemfunktionalität den Kundenwünschen ent-
spricht.

3 Grenzwerte bei Stickoxiden und Feinstaubpartikeln sind gemäß der europäischen und
amerikanischen Emissionsvorschriften Euro 5 und US Tier 2 einzuhalten.
4 Hardware, Software und/ oder Teilsysteme.
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess 311

Umsetzung von CT-Merkmalen*

Capability Flow-Up
* CT-Merkmale: CTS ... Critical to Satisfaction/ CTQ ... Critical to Quality

Abb. 5: Umsetzung der Kundenanforderung auf System- und Komponentenebene

Die Umsetzung der Kundenanforderungen beim oben beschriebenen Vorgehen


soll im Folgenden am Beispiel der Piezo-Common-Rail-Entwicklung verdeutlicht
werden. Eine Kundenanforderung an ein Piezo-Common-Rail-System beinhaltet
beispielsweise die Begrenzung durch die Euro 5 Emissionsrichtlinien. Zur Einhal-
tung der geforderten Emissions-Grenzwerte ist eine Mehrfacheinspritzung unum-
gänglich. Eine der Systemfunktionen, die sich aus der Mehrfacheinspritzung ablei-
tet, ist die Möglichkeit einer freien Konfiguration des Einspritzverlaufes. Diese
Systemfunktion stellt wiederum Anforderungen an die Komponenten und die
Software.
Beim Injektor muss zum Beispiel das Design des Piezo-Aktuators die notwen-
dige Performance sowie die Robustheit gegenüber Temperatureinflüssen aufwei-
sen. Bei der Software sind spezielle Algorithmen für die Erfüllung der System-
funktion ‚freie Konfiguration des Einspritzverlaufs’ erforderlich. Außerdem muss
das Design der hydraulischen Komponenten an die erhöhten Hochdruckanforde-
rungen angepasst werden.

3 Design for Six Sigma-Implementierung bei der


Systementwicklung

Nach einer Abgrenzung von Produktentstehungsprozess und Design for Six Sigma
wird in diesem Abschnitt näher auf die Konzeption und Inhalte des IDOV-Zyklus
eingegangen. Dabei handelt es sich um einen in der Literatur diskutierten und in
der Praxis genutzten DFSS-Problemlösungszyklus. Anhand des Pilotprojektes im
Bereich Diesel Systems werden wichtige Methoden und Werkzeuge aufgezeigt.
312 Achim Schmidt

3.1 Entwicklungsprozess und Design for Six Sigma-Ansatz

Eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Produktentwicklung ist das Vorhanden-


sein eines Produktentwicklungsprozesses (PEP). Dieser ist eine allgemeine, struk-
turierte Darstellung auf Makroebene, die beschreibt, wie neue Produkte entwickelt
und eingeführt werden sollen. Dieses Dokument definiert die Rollen, Aufgaben,
Kontrollpunkte und -kriterien, die zur Einführung neuer Produkte notwendig sind.
Design for Six Sigma ist kein zusätzlicher Ansatz, sondern eine positive Ergän-
zung zum Produktentwicklungsprozess. Während der PEP die Abläufe des Ent-
wicklungsprozesses beschreibt – wer was wann zu erledigen hat, beschreibt der
DFSS-Ansatz auch die Methodik und Werkzeuge – wie es gemacht wird. Durch
die Integration von DFSS in den Entwicklungsprozess wird vermieden, dass sepa-
rate, eventuell redundante DFSS-Einzelprojekte gestartet werden. Außerdem kann
eine deutliche Verbesserung des Informationsflusses erzielt werden, und es wer-
den unnötige Schnittstellen zwischen den Entwicklungsabteilungen vermieden.
Die Integration der DFSS-Methodik in den PEP erfolgt in drei Schritten:
Schritt 1: Analyse des PEP und thematische Zuordnung zu den DFSS-Phasen
Im Schritt 1 wird der bestehende Produktentwicklungsprozess analysiert, und die
Phasen des DFSS-Ansatzes werden den jeweiligen Phasen des Entwicklungspro-
zesses zugeordnet (siehe Abb. 6).
Im vorliegenden Fall wurde als DFSS-Ansatz die Design-Methodik IDOV ver-
wendet. Die Abkürzung IDOV ist definiert durch die Phasen Identify (Ermitteln),
Design, Optimize und Validate (Bestätigen).5 So wird beispielsweise die Phase
„Kunden- und Systemanforderung” der Identify Phase des IDOV-Zyklus zugeord-
net, da in der Identify-Phase die Umsetzung der Leistungsanforderungen sowie
der gesetzlichen Anforderungen erfolgt.
Schritt 2: Verknüpfung der DFSS-Methoden und -Werkzeuge untereinander
In Schritt 2 wird eine Verkettung der Werkzeuge und Methoden initiiert. Damit
durchgängige Informationspfade entstehen, werden die Ausgangsgrößen eines
Werkzeugs direkt als Eingangsgröße des nachfolgenden Werkzeugs verwendet.
Anschließend wird eine praxisnahe Methodenbeschreibung für den Anwender er-
stellt.
Schritt 3: Praxistauglichkeitstest und Durchführung eines Pilotprojektes
Die Praxistauglichkeit der Methodenbeschreibung sollte im Schritt 3 anhand eines
Pilotprojekts getestet werden. Ein solches Pilotprojekt ermöglicht eine direkte
Rückmeldung von Anwendern aus der Praxis, ob die richtigen Werkzeuge an der
richtigen Stelle eingesetzt werden und ob die Informationspfade funktionieren.
Anhand der aus dem Pilotprojekt gewonnenen Erfahrungen können der Einsatz
und die Verknüpfung der DFSS-Werkzeuge optimiert werden.

5 Ausführliche Erläuterungen zu diesem und anderen Problemlösungszyklen, die im Rah-


men von Design for Six Sigma zum Einsatz kommen, befinden sich im Beitrag von Töp-
fer/ Günther zum gleichnamigen Thema im Kapitel A.
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess 313

Abb. 6: Produktentwicklungsprozess und DFSS-Ansatz (IDOV-Zyklus)

3.2 Methodenbeschreibung für den operativen Einsatz

Die Methodenbeschreibung liefert dem Anwender eine Übersicht, welche Werk-


zeuge in welcher Phase des Produktentwicklungsprozesses angewendet werden
und wie der Informationsfluss innerhalb des Projekts erfolgen soll (siehe Abb. 7).
Außerdem enthält sie eine kurze Beschreibung der einzelnen Werkzeuge und Me-
thoden sowie deren Eingangs- und Ausgangsgrößen.

Abb. 7: DFSS-Methodenbeschreibung als integraler Bestandteil


314 Achim Schmidt

Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendung der DFSS-Werkzeuge und Me-


thoden ist ein bedarfsorientiertes Training und Coaching der Projektteams. Damit
bei Schulungs- oder Coaching-Bedarf schnell der richtige Ansprechpartner gefun-
den wird, z.B. Six Sigma-Spezialisten wie Black Belts und Master Black Belts
sowie Methodikexperten, werden in der Methodenbeschreibung Kontaktpersonen
zum Einsatz der jeweiligen Werkzeuge genannt. Die Vorlagen (Formblätter) zu
den entsprechenden Werkzeugen werden der Methodenbeschreibung beigefügt,
beispielsweise durch eine Verlinkung zu einer entsprechenden Intranet-Seite.

3.3 Anforderungsmanagement bei System-Projekten

Wie bereits in Abschnitt 2.3 erläutert wurde, ist eine der wichtigsten Vorausset-
zungen für den Erfolg von Entwicklungsprojekten die konsequente Umsetzung der
Anforderungen, die an das zu entwickelnde Produkt gestellt werden. Der Informa-
tionsfluss bezüglich der Anforderungen in den DFSS-Phasen Identify, Design,
Optimize und Validate ist exemplarisch in Abbildung 8 dargestellt. Abbildung 9
enthält einen Überblick über die in den Phasen Identify und Design verwendeten
Werkzeuge.

Abb. 8: Informationspfade beim Piezo-Common-Rail-Systemprojekt

Anforderungsmanagement in den Phasen Identify und Design


In der Phase Identify werden die Anforderungen an das System evaluiert. Bei den
Anforderungen werden neben den Kundenanforderungen auch allgemeine Markt-
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess 315

Abb. 9: Verwendete Werkzeuge in den Phasen Identify und Design

anforderungen sowie gesetzliche Vorgaben und Umweltschutzbestimmungen be-


rücksichtigt.
Zur Analyse der Kundenwünsche wird das Kano-Modell verwendet. Das Mo-
dell ermöglicht eine Einschätzung der Kundenwünsche und hilft, die wirklich
wichtigen Anforderungen zu identifizieren. Dabei erfolgt eine Einteilung der An-
forderungen bekanntlich in Basis-, Leistungs- und Begeisterungsanforderungen.6
Die mit Hilfe des Kano-Modells gesammelten Anforderungen sind oftmals
noch sehr allgemein und unspezifisch formuliert. Mittels eines Treiberbaums wer-
den die Anforderungen in kritische Qualitätsmerkmale (CTQs) übersetzt und in
messbare Größen mit Zielwerten (Outputmessgrößen) überführt. Anhand der Qua-
litätsmethode QFD (Quality Function Deployment), die in Kapitel B dieses Bu-
ches ausführlich erläutert wird, erfolgt eine Bewertung der Kundenanforderungen
und die Umsetzung in die notwendigen technischen Lösungen.
Dazu werden die im Treiberbaum dokumentierten spezifischen und messbaren
Merkmale als Eingangsgrößen für das 1. House of Quality (HoQ) verwendet. Die-
ses dient der Übersetzung der kritischen Merkmale in Systemfunktionen, die zur
Erfüllung der Leistungs- und Qualitätsanforderungen notwendig sind. Im 2. HoQ
werden diese Systemfunktionen dann in Anforderungen, die sich auf die verschie-
denen Systemkomponenten (Hardware und Software) beziehen, übersetzt.
Die Anforderungen des Systems an die Komponenten werden an die Kompo-
nentenentwicklung weitergeleitet. Dabei erfolgt eine Ermittlung von zusätzlichen

6 Eine ausführliche Darstellung des Kano-Modells im Zusammenhang mit QFD erfolgt im


Beitrag von Günther/ Streckfuss/ Töpfer in Kapitel B.
316 Achim Schmidt

komponentenspezifischen Anforderungen, die sich u.a. auf Kundenanforderungen,


Gesetzgebungen und Marktanforderungen beziehen.
Die Komponentenanforderungen werden mittels eines Treiberbaums genauer
spezifiziert, in messbare Größen überführt und in den Spalten der nachgeschalte-
ten Interaktionsmatrix eingetragen. Ziel der Interaktionsmatrix ist die Überführung
der Komponentenanforderungen in messbare Konstruktionsmerkmale. In den
Spalten der Interaktionsmatrix werden die technischen Parameter eingetragen und
gewichtet. Anschließend erfolgt analog zum HoQ eine Bewertung der technischen
Designparameter bezüglich des Einflusses auf die Kundenanforderungen.
Sofern eine Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen den technischen Pa-
rametern (Konstruktionsmerkmalen) erforderlich ist, sollte anstelle der Interakti-
onsmatrix ein HoQ verwendet werden. Als Ausgangsgröße liefern die Interakti-
onsmatrizen der Komponenten bzw. der Houses of Quality technischen
Designparameter, die nach Aufwand der Umsetzbarkeit und Einfluss auf die Kun-
denanforderung gewichtet sind. Unter Hinzunahme dieser gewichteten Designpa-
rameter werden verschiedene Designkonzepte erarbeitet, und mit Hilfe einer Kon-
zept-Matrix (Pugh Matrix) erfolgt eine Bewertung der alternativen Design-
Konzepte. Die optimale Variante wird ausgewählt und in die Konstruktion über-
führt.
Anforderungsmanagement in den Phasen Optimize und Validate
Die Design- und Optimize-Phasen beinhalten die Komponentenentwicklung und
die Systemintegration. In diesen beiden Phasen erfolgt eine Überprüfung, inwie-
weit die Anforderungen bei den Design-Parametern berücksichtigt werden. Die
Validate-Phase schließt eine Überprüfung, ob das System und die Komponenten
den Anforderungen entsprechen, ein.

3.4 Die wichtigsten Werkzeuge im Pilotprojekt

Im Rahmen eines Pilotprojektes wurde der Einsatz von Design for Six Sigma auf
Systemebene getestet. Bei diesem Pilotprojekt handelt es sich um die Entwicklung
eines Piezo-Common-Rail-Diesel-Einspritzsystems, das die gestiegenen Euro-5-
Abgasanforderungen erfüllen soll.
Eingesetzte Werkzeuge in den Phasen Identify und Design
In den Phasen Identify und Design des Projektes wurden die Kundenanforderun-
gen und die gesetzlichen Anforderungen in Systemfunktionen übersetzt. An-
schließend wurden die Anforderungen des Systems an die Komponenten Injektor,
Pumpe, Hochdruckleitung (Common-Rail), Hochdrucksensor und elektronische
Motorsteuerung (ECU) weitergeleitet.
Außer den in Abschnitt 3.3 beschriebenen Werkzeugen (Kano-Modell, CTQ-
Treiberbaum, House of Quality) wurden in den Phasen Identify und Design weite-
re Standardwerkzeuge des Entwicklungsprozesses wie beispielsweise FMEA,
Test, Simulation, Design to Target Cost und Benchmarking verwendet (siehe Abb.
10).
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess 317

Abb. 10: Eingesetzte Werkzeuge in den Phasen Identify und Design im Pilotprojekt

Eingesetzte Werkzeuge in den Phasen Optimize und Validate


Bei den DFSS-Phasen Optimize und Validate lag der Schwerpunkt auf Robust
Engineering, also der Entwicklung und Validierung eines Designs, das möglichst
unanfällig gegenüber inneren und äußeren Störfaktoren ist. Die Ausgangsfunktio-
nen des Systems, z.B. hohe Leistung und niedrige Emissionswerte, sollten relativ
unempfindlich gegenüber natürlicher, aber unvermeidbarer Streuung von den Ein-
gangsgrößen, Prozess- und Materialgrößen sein. In Abbildung 11 sind die beim
Pilotprojekt in den beiden Phasen eingesetzten Werkzeuge dargestellt.

Abb. 11: Eingesetzte Werkzeuge in den Phasen Optimize und Validate im Pilotprojekt
318 Achim Schmidt

Die Schlüsselwerkzeuge beim Robust Engineering sind das Boundary-


Diagramm, das Parameter Diagramm sowie die Reliability-and-Robustness-
Checklist (RRCL). Sie werden im Folgenden kurz vorgestellt.
Boundary-Diagramm
Das Boundary Diagramm ist eine graphische Darstellung der Schnittstellen zwi-
schen den Systemkomponenten. Es dient als Hilfsmittel zur Bestimmung von Ein-
flussgrößen, Materialflüssen und Informationsströmen, sowohl zwischen den
Komponenten des Systems untereinander als auch zwischen den Komponenten
und der Systemumgebung. Beim Piezo-Common-Rail-Pilotprojekt wurden bei-
spielsweise die elektrische Verbindung zwischen den Komponenten, die hydrauli-
sche Verbindung, die mechanische Last, der Kraftstofffluss, Vibration und Tem-
peratureinflüsse genauer betrachtet. Das Boundary-Diagramm lieferte wertvolle
Hinweise bezüglich möglicher Störeinflussgrößen, die im nachfolgend beschrie-
benen Werkzeug, dem Parameter Diagramm, Berücksichtigung finden.
Parameter-Diagramm
Das Parameter-Diagramm (auch p-Diagramm genannt) dient der Identifizierung
der Eingangs- und Ausgangsgrößen. Dazu werden folgende Parameter klassifiziert
und in einem Diagramm dargestellt (siehe Abb. 12):
• Eingangssignale des Systems (Xs)
• Ausgangsgrößen und ideale Ausgangsfunktion (Y)
• Steuergrößen bzw. beeinflussbare Parameter (Control Factors Xc)
• Fehlerhafte Zustände des Systems (Error States or Failure Modes Ye)
• Störgrößen (Noise Factors Xn).

Abb. 12: Schema für ein Parameter-Diagramm


Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess 319

Die Eingangssignale des Systems werden über die Steuergrößen in die ge-
wünschte Ausgangsgröße konvertiert. Die Steuergrößen sind typischerweise Pa-
rameter, die durch Design, Material oder Prozesse bestimmt werden. Fehlerhafte
Zustände sind unerwünschte Effekte und Zustände, die beim Betrieb des Produkts
auftreten können. Störgrößen sind Einflussfaktoren, die das Design beeinflussen,
aber nicht durch den Entwickler unter Kontrolle gebracht werden können. Hierzu
zählen beispielsweise folgende Faktoren: Teil-zu-Teil-Streuung, Änderung über
Zeit, Einsatz beim Kunden, externe Einflüsse (z.B. Umwelteinflüsse) und System-
einflüsse. Ein System ist dann robust, wenn die Störgrößen nur einen geringen
Einfluss auf die ideale Ausgangsfunktion haben.
Robustness-and-Reliability-Checklist (RRCL)
In der Validate-Phase erfolgt die Validierung der Produktqualität und der Prozess-
fähigkeit hinsichtlich der Erfüllung der Kundenanforderungen. Ein wichtiges
Werkzeug in der Validierungs-Phase ist die RRCL. Dieses Werkzeug zeigt die
Zusammenhänge zwischen der gewünschten Ausgangsfunktion und den Störgrö-
ßen sowie den fehlerhaften Zuständen auf. Das Werkzeug ist somit eine wertvolle
Grundlage zur Erarbeitung eines optimierten Versuchprogramms. Mithilfe der
RRCL werden die Zusammenhänge zwischen den Störgrößen, den fehlerhaften
Zuständen und den Verifikationsmethoden erarbeitet.
Dazu wird basierend auf den Ergebnissen des Parameter-Diagramms eine Mat-
rix erstellt. Diese Matrix enthält Informationen darüber, welche erwünschten
Funktionalitäten, Fehlfunktionen, Einflussgrößen sowie Wechselwirkungen in
welchen Tests untersucht werden können. Das Versuchsprogramm wird im Hin-
blick auf einen möglichst großen Informationsgehalt der Tests bei möglichst ge-
ringem Versuchsaufwand optimiert. Basierend auf den Ergebnissen der RRCL
wird ein Validierungsplan erstellt, der eine Beschreibung der Validierungstests in-
klusive Terminplan enthält.

3.5 Ergebnisse des Pilotprojektes

Die systematische Umsetzung der Leistungs- und Qualitätsanforderungen führten


beim Piezo-Common-Rail-Pilotprojekt zu einer besseren Erfüllung der Kundenan-
forderungen. Die Übersichtlichkeit der Dokumentation von Anforderungsverände-
rungen über die Projektlaufzeit wurde deutlich erhöht. Die transparenten, für den
Auftraggeber nachvollziehbaren Entwicklungsschritte ermöglichten eine engere
Einbeziehung des Auftraggebers in den Entwicklungsprozess.
Auch im Hinblick auf den Entwicklungsprozess wurden deutliche Verbesse-
rungen erzielt. So wurde der Systemansatz bis hin zur Komponentenentwicklung
durchgängig umgesetzt. Der verbesserte Informationsfluss führte zu einer Redu-
zierung der Informationsschnittstellen innerhalb des Entwicklungsprozesses. Die
Dokumentation wurde durch die verwendete Methodik, wie z.B. Voice of the
Customer, QFD und Robust Engineering, vereinheitlicht. Die Umstellung des Ent-
wicklungsprozesses auf DFSS führte zu einer Vermeidung von separaten, eventu-
ell redundanten Design for Six Sigma-Einzelprojekten.
320 Achim Schmidt

Für die Mitarbeiter entstand kein zusätzlicher Arbeitsaufwand, da das Training


der Methodik und Werkzeuge bedarfsgerecht durch "Training on the Job" erfolgte
und außerdem die Entwicklungsmethodik vereinheitlicht wurde. Die Qualifizie-
rung der Mitarbeiter ist zudem langfristig ausgerichtet.

4 Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige Etablierung von


Design for Six Sigma

Nach unseren Erfahrungen ist die Integration von Design for Six Sigma in den
Produktentwicklungsprozess der „richtige Weg“ zu einem robusten Design und
zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit.
Die Verkettung von DFSS-Methoden und -Werkzeugen ermöglicht einen lü-
ckenlosen Informationsfluss der Qualitäts- und Leistungsanforderungen vom Sys-
tem bis zu den einzelnen Komponenten. Mithilfe der Robust-Design-Methodik
wird das Design so optimiert, dass das Produkt weniger sensitiv gegenüber un-
vermeidbaren Streuungen von Eingangsgrößen ist und die Variabilität des Pro-
duktverhaltens verringert wird. Damit wird das Produktverhalten besser vorher-
sagbar. Anhand eines Validierungsprogramms wird jeweils abschließend
überprüft, ob das Produkt die Kundenwünsche erfüllt.
Bei der Einführung von Design for Six Sigma haben sich sechs Erfolgsfaktoren
herauskristallisiert, die im Folgenden kurz benannt werden:
1. Integration in den bestehenden Entwicklungsprozess
Die Komponenten- und Systementwicklung erfolgt anhand eines etablierten Ent-
wicklungsprozesses, der beschreibt, welche Maßnahmen in den jeweiligen Pro-
jektphasen durchgeführt und welche Ressourcen dafür benötigt werden. Design
for Six Sigma ist kein separater Prozess, sondern eine Ergänzung des Entwick-
lungsprozesses. Es liefert die für die Entwicklung notwendigen Werkzeuge und
verkettet diese in einer geeigneten Form miteinander. Die Bereitstellung von pra-
xiserprobten Werkzeugen erhöht die Akzeptanz bei den Anwendern.
2. Fokus auf den Nutzen des Kunden
Mit dem DFSS-Ansatz werden die Kundenanforderungen identifiziert und priori-
siert, bevor mit dem eigentlichen Design begonnen wird. Diese Anforderungen als
Critical-To-Satisfaction (CTS) und Critical-To-Quality (CTQ) werden mit den
Kostenfaktoren als Critical-To-Cost (CTC) kombiniert, damit eine kostenoptimale
Design-Lösung gefunden wird, die den Anforderungen entspricht.
3. Transparenz der Kundenanforderungen
Durch die Verknüpfung der Werkzeuge Kano-Modell, Treiberbaum, House of
Quality und Interaktionsmatrix ergibt sich ein durchgängiger und nachvollziehba-
rer Informationsfluss der Leistungs- und Qualitätsanforderungen, welcher vom
Gesamtsystem bis zu den einzelnen Komponenten reicht. Die Erhöhung der
Transparenz bei der Umsetzung der Kundenanforderungen und die engere Einbe-
Integration von Design for Six Sigma in den Produktentstehungsprozess 321

ziehung des Kunden in den Entwicklungsprozess wirken sich positiv auf die Kun-
denzufriedenheit aus.
4. Einheitliche und nachvollziehbare Dokumentation
Viele DFSS-Werkzeuge können direkt zur Dokumentation herangezogen werden.
Dadurch wird zusätzlicher Dokumentationsaufwand vermieden und die Dokumen-
tation wird vereinheitlicht. Letzteres erleichtert den Wissenstransfer, sowohl in-
nerhalb des Projektteams als auch von Projekt zu Projekt.
5. Effiziente Kommunikation, gemeinsame Sprache und Standards
Der Einsatz der DFSS-Werkzeuge erfordert nicht nur eine interdisziplinäre, son-
dern vor allem eine intensive Teamarbeit. Sie fördert die Kommunikation inner-
halb des Projektteams. Die durch den DFSS-Ansatz definierten Informationspfade
führen zu einer einheitlichen und effizienten Kommunikation.
6. Qualifizierung der Mitarbeiter durch Training-on-the-Job
Eine einmalige DFSS-Schulung kann Mitarbeitern des Projektteams zwar einen
groben Überblick verschaffen, aber für die Anwendung in der Praxis ist ein sol-
ches Training i.d.R. nicht ausreichend. Daher ist es notwendig, dass Six Sigma-
Spezialisten, wie z.B. Master Black Belts oder erfahrene Black Belts, Teilmodule
aus dem DFSS-Portfolio bedarfsgerecht schulen, die im konkreten Projekt ange-
wendet werden. Bei der Anwendung der Werkzeuge ist ein Coaching der Teams
durch (Master) Black Belts erforderlich. Durch kontinuierliches Lernen und stän-
dige Verbesserungen wird der durchschnittliche Wissensstand innerhalb der Orga-
nisation Schritt für Schritt angehoben.
Bedeutung und Messung der Unternehmens-
kultur für Lean Six Sigma bei Lilly Deutschland

Miriam Stache, Armin Töpfer

Inhalt

1 Interpendenzen zwischen Kultur und Lean Six Sigma.............................323


2 Ausgangssituation bei Lilly......................................................................326
3 Messung der Lean Six Sigma-Kultur bei Lilly.........................................328
4 Ergebnisse und Wirkungen der Kulturmessung .......................................337
5 Akzeptanz der notwendigen Veränderungen............................................348
6 Ausblick: Konsequenzen und nächste Schritte.........................................349
7 Literatur....................................................................................................350

1 Interpendenzen zwischen Kultur und Lean Six Sigma

Unternehmenskultur ist für das Bestehen und Funktionieren eines Unternehmens


maßgeblich. Als „unsichtbare Einflussgröße des Menschensystems“ (Sackmann
2004, S. 27) oder „kollektive Programmierung des menschlichen Verstandes“
(Hofstede 2001, S. 2) steuert Unternehmenskultur das Denken und Handeln aller
Mitarbeiter.
Die Rolle der Unternehmenskultur in Veränderungsprozessen wie Lean Six
Sigma wird immer noch kontrovers diskutiert. Es bleibt nach wie vor fraglich, ob
eine bestehende Unternehmenskultur aufgrund der Komplexität und Eigendyna-
mik bewusst beeinflusst werden kann, oder ob es sich um einen „Mythos der Steu-
erbarkeit“ (Matthäi 2005, S. 4; nach Berger 1993; vgl. auch Kotter 1996, S. 156;
Kompa 1990, S. 43) handelt.
Die Unternehmensphilosophie Lean Six Sigma als Verbindung von Lean Ma-
nagement und Six Sigma stellt einen massiven Veränderungsprozess für ein Un-
ternehmen dar. Die bewusste Beeinflussung und Formung der bestehenden Unter-
nehmenskultur ist ein zentrales Motiv bei der Einführung dieses Konzeptes. Nach
neuestem Verständnis wird Lean Six Sigma allgemein als „organization change
process“ (Schroeder et al. 2008, S. 550) definiert, der die Kultur eines Unterneh-
mens aktiv mitgestaltet. Eine wichtige Forschungspriorität von Lean Six Sigma
wird deshalb im Bereich „internal fit“ (vgl. Schroeder et al. 2008, S. 550) oder
„cultural gap“ (Töpfer 2007, S. 292), d.h. in der Eignung einer bestehenden Un-
ternehmenskultur für Lean Six Sigma, gesehen.
Durch die Verbindung von gesundem Menschenverstand und systematischer
Analyse befähigt Lean Six Sigma ein Unternehmen, sowohl die offensichtlichen
Probleme zu lösen als auch die tiefer liegenden Potentiale auszuschöpfen (vgl.
Smith 2003, S. 38). Diese Leistung ist auf die unterschiedlichen Wurzeln der zwei
324 Miriam Stache, Armin Töpfer

Konzepte Lean Management und Six Sigma zurückzuführen. Auf der einen Seite
zielt der Lean Management Ansatz auf eine Identifikation nicht wertschöpfender
Aktivitäten ab, um diese zu beseitigen und eine Steigerung der Wertschöpfung,
d.h. eine höhere Qualität und einen höheren Wert für den Kunden, herbeizuführen
(vgl. Arnheiter/ Maleyeff 2005, S. 11f.). Auf der anderen Seite strebt Six Sigma
nach einer Senkung von Abweichungen im Produktionsprozess, um die Produkt-
qualität zu perfektionieren und damit den Kundenbedürfnissen zu entsprechen.
Durch die Synthese von Lean Management und Six Sigma können die Schwä-
chen des jeweils anderen Konzeptes ausbalanciert und der größte Wettbewerbs-
vorteil für ein Unternehmen erzielt werden (siehe Abb. 1).

Niedrige Kosten

Unternehmens-
perspektive

Six Sigma
Lean Management
Lean Six Sigma
Hohe Kosten

Niedriger Wert Hoher Wert


Kundenperspektive

Basis: Arnheiter / Maleyeff 2005, S. 16

Abb. 1: Wettbewerbsvorteil durch Lean Six Sigma

Die Integration der beiden Konzepte ist ausführlich in den ersten beiden Arti-
keln dieses Buches angesprochen worden.
Für eine erfolgreiche Einführung der Kombination von Lean Management und
Six Sigma steigen die Anforderungen an die Unternehmenskultur. Eine Grundvor-
aussetzung aus dem Lean Management stellen unternehmerisch denkende und
handelnde Mitarbeiter dar. Damit die ganzheitliche Optimierung eines Unterneh-
mens – nicht nur einzelner Bereiche oder Prozesse – gelingt (vgl. Drew et al.
2004, S. 37; Springer/ Schulz 2007, S. 69), wird der Intellekt jedes einzelnen Mit-
arbeiter genutzt, um auftretende Probleme zu erkennen, unmittelbar zu lösen, Ri-
siken zu antizipieren und Verbesserungen sowie Innovationen unter Berücksichti-
gung der kritischen Kundenanforderungen (CTQs) hervorzubringen (vgl. Hamel
2006, S. 22f.).
Diese wesentliche Anforderung an die Unternehmenskultur alleine reicht je-
doch nicht, denn in der Kombination mit Six Sigma entstehen weitere Anforde-
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 325

rungen. Um Schwankungen in Prozessen zu identifizieren, wird eine Fehlerkultur


erwartet. Die Mitarbeiter müssen bereit sein, über mögliche Schwächen und Feh-
ler offen zu kommunizieren. Zur Aufdeckung von Prozessschwankungen ist ein
Prozessdenken unabdingbar, gepaart mit der Fähigkeit, analytische Instrumente
und statistische Auswertungen adäquat einzusetzen sowie Methoden des systema-
tischen Projektmanagements diszipliniert umzusetzen. So gibt der DMAIC Regel-
kreis (vgl. dazu den Artikel von Günther/ Garzinsky in diesem Buch) einen festen
Ablauf in Phasen vor, die jedes Lean Six Sigma-Projekt durchläuft, um eine sys-
tematische und faktenbasierte Projektarbeit zu ermöglichen (vgl. Lunau 2007, S.
11).
Der aus Lean Management resultierenden Kultur im Unternehmen fehlt aber
ein Six Sigma äquivalenter Ansatz. Denn die Beseitigung von Verschwendung
kann auch intuitiv erfolgen und nicht auf der Basis von Daten, Fakten und anderer
relevanter Messgrößen, wie es bei Six Sigma der Fall ist (vgl. Arnheiter/ Maleyeff
2005, S. 13). Nur durch systematische Messung und Prioritätensetzung kann eine
Fokussierung auf strategiefremde Aktivitäten vermieden werden (vgl. Breyfogle
2003, S. 857).
Insgesamt fordert Lean Six Sigma damit von jedem einzelnen Mitarbeiter ein
Potpourri an Kompetenzen, die den bestehenden Denk- und Handlungsmustern
möglicherweise widersprechen.
Je größer der angestrebte Kulturwandel mit Lean Six Sigma ausfällt, desto
mehr Teilschritte sind für die Erprobung und Verfestigung neuer Kompetenzen
nötig, um die „kollektive Erfolgserfahrung“ (vgl. Dierkes 1989, S. 21; Kotter
1996, S. 156) nicht zu gefährden und auch die tiefer liegende Schicht der Grund-
annahmen einer Kultur zu erreichen (siehe Abb. 2).

z.B. Sprache, Technologie,


Artefakte Rituale

z.B. Einstellungen,
Normen und Werte
Überzeugungen, Strategie

z.B. Soziale Beziehungen,


Grundannahmen Emotionen, Unbewusstes

Basis: Schein 2004, S. 26, Sackmann 2002, S. 27, i. V. m. Simon 1990, S. 10

Abb. 2: Ebenen der Unternehmenskultur bei Lean Six Sigma


326 Miriam Stache, Armin Töpfer

Diese tiefer liegende Schicht der Grundannahmen – als durch Lernprozesse ent-
standene Beziehungen zur Umwelt und zum sozialen Umfeld – besteht bei einer
Lean Six Sigma-Organisation vor allem aus dem Primat der Fehlerfreiheit in der
Wertschöpfung, dem Glauben an die Veränderungsfähigkeit und -notwendigkeit
von Organisationen sowie dem Verständnis, dass alle realen Phänomene Struktu-
ren aufweisen und deshalb ein Muster erkennen lassen (vgl. Töpfer 2007, S. 296).
Am Beispiel von Lilly in Deutschland soll im Folgenden aufgezeigt werden,
wie sich die Kultur eines Unternehmens in der pharmazeutischen Industrie dar-
stellt und wie die Kulturebenen gemessen werden können, um den Reifegrad für
die Einführung von Lean Six Sigma zu bestimmen.

2 Ausgangssituation bei Lilly

Die Entscheidung zur Einführung von Lean Six Sigma fiel im Lilly Konzern Ende
2004 und wurde durch den CEO Sidney Taurel und ein Benchmark mit ITT (In-
ternational Telephone and Telegraph Corporation), in dessen Aufsichtsrat Taurel
seit Ende der 90er Jahre wirkt, initiiert (vgl. Stein 2005, S. 67). Hauptmotive, die
in der Ausgabe des weltweiten „Focus magazine“ im dritten Quartal 2004 veröf-
fentlicht wurden, waren (vgl. Lilly 2004; Stein 2005, S. 68):
• Erhöhung der Qualität („elevating quality“)
• Abbau/ Beseitigung von Verschwendung („reducing waste“)
• Steigerung der Produktivität („increasing productivity“).
Diese drei Ziele wurden als Positionierung „Six Sigma is how we will con-
stantly improve our performance and more effectively serve the interest of the pa-
tient“ (Lilly 2005; vgl. Stein 2005, S. 70) formuliert. Insgesamt wurde Lean Six
Sigma damit als geeignetes Instrument für kontinuierliche Verbesserung der Wert-
schöpfung für den Kunden (hier: Patient) identifiziert, um die Lücke zu den ge-
planten langfristigen Gewinnzielen zu schließen. Die beiden kulturellen Dimensi-
onen Veränderungsbereitschaft und Kundenorientierung rückten in den
Vordergrund.
Da eine Unternehmenskultur bereits mit der Gründung eines Unternehmens
entsteht und die Ausdifferenzierung sich nach der Entwicklungsgeschichte richtet
(vgl. Sackmann 2004, S. 24), müssen neben der Ausgangssituation von Lilly bei
der Einführung von Lean Six Sigma auch historisch gewachsene Werte beleuchtet
werden. Denn die Kultur von Lilly als Gesamtkonzern hat sich aus vergangenen
Erfahrungen entwickelt und ist wie bei anderen Unternehmen auch geprägt durch
ihre Geschichte, Umwelt und einflussreiche Führungskräfte (vgl. Dierkes 1989, S.
19; zur Wirkungsmacht von Führungskräften vgl. auch Dorow 2007, S. 53).
Eli Lilly and Company wurde 1876 vom Colonel Eli Lilly in Indianapolis, Indi-
ana (USA), gegründet, dort wo sich noch heute die Firmenzentrale und die kultu-
relle Keimzelle befinden (vgl. Colville/ Murphy 2006, S. 664). Mit einer weltwei-
ten Belegschaft von rund 42.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 15,7 Mrd.
US Dollar (vgl. Lilly 2006, S. 1) ist Eli Lilly einer der weltweit größten Pharma-
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 327

konzerne mit führender Stellung in den Bereichen ZNS, Diabetes und Onkologie.
Zwei Säulen charakterisieren den Lilly-Konzern als „high performing, knowledge-
intensive global company“ (Colville/ Murphy 2006, S. 664):
• Innovationsfähigkeit: Entwicklung hochwertiger Arzneimittel, d.h. „develop-
ing a growing portfolio of best-in-class and first-in-class pharmaceutical prod-
ucts” (Lilly 2007a).
• Werte- und leistungsorientierte Unternehmenskultur: Insbesondere die
(Weiter-)Entwicklung der Mitarbeiter wird als kritischer Erfolgsfaktor für die
Zukunftsfähigkeit des Unternehmens gesehen.
Zu den wichtigen Meilensteinen der Firmengeschichte gehören Pionierarbeiten,
wie die Herstellung des ersten Humaninsulins in den 20er Jahren, Entwicklung o-
raler Antibiotika in den 40er Jahren, und die Entwicklung zu einer weltweit füh-
renden Pharmafirma im Bereich ZNS durch die Einführungen von Prozac®, Zy-
prexa®, Strattera® und Cymbalta® (in Anlehnung an Lilly 2007b; Lilly 2007c).
Lilly wird regelmäßig als vorbildlicher Arbeitgeber eingestuft, war 2005 bei der
Listung der FT Global 500 auf Platz 78 (vgl. FT 2005) und bringt den Anspruch
an Innovation und Exzellenz auch in zahlreichen Kooperationen mit anderen
Pharmaunternehmen und Forschungseinrichtungen zum Ausdruck (vgl. Colville/
Murphy 2006, S. 664). Doch wie hat Lilly diese Position erreicht?
Die (Weiter-)Entwicklung der Unternehmenskultur als Weg zum Erfolg wird
bei Lilly wesentlich durch die Führung beeinflusst und detailliert von Colville und
Murphy als „Leadership as the Enabler of Strategizing and Organizing“ gedeutet
(vgl. Colville/ Murphy 2006, S. 663ff.).
Durch die Klage eines generischen Herstellers verliert Lilly im Jahr 2000 in
den USA überraschend das Patent des bis dato stärksten Umsatzträgers Prozac®
(Antidepressivum), mit der Folge eines dramatischen Aktienkurseinbruchs. Seit
der Benennung im Jahr 1999 fokussiert der CEO Sidney Taurel auf eine Verände-
rung der für ihn zu kooperativen, risikoscheuen und intern fokussierten Führung.
Sein Aufruf an die Mitarbeiter, in Zukunft offener, proaktiver und dynamischer zu
wirken, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu erhalten, bekommt
mit dem Patentverlust eine neue Brisanz und gleichzeitig oberste Priorität. Durch
die Umsatzsteigerung der weiterhin patentgeschützten Produkte, verstärkte For-
schungsaktivitäten zur Ausdifferenzierung der Pipeline, durch eine Limitierung
des Personalbestandes und durch weitreichende Investitionen in die Führungskräf-
teentwicklung gelingt es Lilly, in den Folgejahren acht neue Moleküle auf den
Markt zu bringen, die zu den ersten oder besten ihrer Klasse gehören. Das Rezept,
um in drastischen Veränderungsprozessen die Strategie mit der Organisation zu
verbinden, besteht bis heute in klar definierten Verhaltensweisen der Führung
(Colville/ Murphy 2006, S. 667). Die Verhaltensweisen dienen als Rahmenwerk
für die Führung bei Lilly und reflektieren die drei Grundwerte der Lilly-Kultur:
„respect for people, excellence and integrity“ (Colville/ Murphy 2006, S. 668).
Dass die kulturelle Entwicklung des Lilly Konzerns durch eine starke Fokussie-
rung auf die Führungsqualität vorangetrieben wurde, birgt für die Einführung von
Lean Six Sigma sowohl Chancen als auch Risiken. Auf globaler Ebene wurden
328 Miriam Stache, Armin Töpfer

deshalb vor der Einführung elf bereits durchgeführte Veränderungsinitiativen un-


tersucht, um herauszufinden „why change fails at Lilly“ (vgl. Murphy 2005).
Als Ergebnis entstand ein sehr einprägsames Bild, das die fehlende Balance
zwischen geringem Vertrauen in systematische Methoden (Strukturen und Prozes-
se) auf der einen, und einem blinden Vertrauen in persönliche Beziehungen auf
der anderen Seite zeigte (siehe Abb. 3).

Führungsspitze

Managementprozesse
& -strukturen Kultur

Fehlendes Vertrauen Menschen Blindes Vertrauen


in formale Mechanismen in persönliche Beziehungen
Arbeitsprozess

Ergebnisse

Basis: Murphy 2005

Abb. 3: Ungleichgewicht in Veränderungsprozessen bei Lilly

Demnach wurden Ergebnisse bei Lilly bislang eher auf der Basis intuitiver zwi-
schenmenschlicher Zusammenarbeit erreicht, als durch eine disziplinierte Einhal-
tung formaler Mechanismen.
Dieses Ungleichgewicht liefert zwar einen ersten Aufschluss über mögliche
Konflikte zwischen bestehenden Lilly-Werten und der Lean Six Sigma-
Philosophie. Doch wie lassen sich die Unterschiede bzw. Konflikte genauer mes-
sen und damit systematischer identifizieren, um sie später zu überwinden?

3 Messung der Lean Six Sigma-Kultur bei Lilly

Zur groben Charakterisierung der bestehenden Lilly-Kultur kann eine einfache


Typologie mit den genannten Dimensionen Veränderungsbereitschaft und Kun-
denfokus (vgl. Töpfer 2007, S. 293 sowie Deal/ Kennedy 1982, S. 107ff.) heran-
gezogen werden (siehe Abb. 4).
Eine Lean Six Sigma-Kultur zeichnet sich durch eine hohe Veränderungsbereit-
schaft und starken Kundenfokus aus. Bei der Einführung von Lean Six Sigma wä-
re ein kultureller Schock umso größer, je geringer Veränderungsbereitschaft und
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 329

Kundenfokus in der bestehenden Unternehmenskultur ausgeprägt sind, d.h. eine


Bürokratenkultur ist am schwierigsten in eine Lean Six Sigma-Kultur umzuwan-
deln (vgl. auch Holtkötter 2006, S. 26).

Hoch

Entwicklungs-
(Lean) Six Sigma
getriebene
Kultur
Ingenieur-Kultur

Veränderungs-
bereitschaft

Marketing- und
Bürokraten-Kultur
Vertriebs-Kultur
Niedrig

Gering Stark
Kundenfokus
(intern und extern)

Quelle: Töpfer 2007, S. 293; Deal/ Kennedy 1982; S.107ff.

Abb. 4: Unternehmenskultur Typologie für Lean Six Sigma

Um den Reifegrad der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma differenzierter zu


bestimmen, bedarf es jedoch einer erweiterten unternehmensindividuellen Analyse
(in Anlehnung an Scholz 1990, S. 34; Sackmann 1990, S. 159f.). So wurden für
Lilly in Deutschland weitere relevante Kulturdimensionen hinzugefügt und in
messbare Faktoren überführt. Neben den Dimensionen „Veränderungsbereit-
schaft“ und „Kundenorientierung“ wurden zusätzlich die Dimensionen „Mitarbei-
terengagement“ und „Strukturiertes Vorgehen und Prozessdenken“ betrachtet.
Nach Rücksprache mit Schlüsselpersonen aus der Lean Six Sigma-Organisation
konnte in Anlehnung an die als unverzichtbar geltenden Kriterien einer Lean Six
Sigma-Kultur (Töpfer 2007, S. 298f.) ein Fragenkatalog entwickelt werden, um
die Einstellungen und Überzeugungen der einzelnen Mitarbeiter freizulegen und
ein multisubjektives Stimmungsbild zu erheben.
Aufgrund der hohen Motivation der Mitarbeiter zum Thema, die durch infor-
melle Gespräche im Vorfeld abgeklärt wurde, konnte bei Lilly in Deutschland eine
schriftliche Befragung durchgeführt werden, bei der mit einer hohen Rücklaufquo-
te zu rechnen war. Es sollte zudem vermieden werden, dass die Befragten wie bei
einer persönlichen Befragung durch den Projektleiter beeinflusst werden („Prinzi-
pal-Agenten-Problem“ oder „Interviewer-Bias“ (vgl. Kaya 2007, S. 52). Konkreter
definierte Faktoren der vier Kulturdimensionen wurden zur Messung in eine di-
daktisch sinnvolle Reihenfolge überführt, so dass der schriftliche Fragebogen wie
in Abbildung 5 aussah.
330 Miriam Stache, Armin Töpfer

FRAGEBOGEN
Frage 1:
Bitte beurteilen Sie, wodurch sich Ihrer Erfahrung nach das Konzept Lean Six Sigma auszeichnet.
Welche drei Aspekte des Konzeptes sehen Sie im Vordergrund?

1.) ______________________________________________________________________________

2.) ______________________________________________________________________________

3.) ______________________________________________________________________________

Frage 2:
Bitte nennen Sie drei für Sie wichtige Gründe, Lean Six Sigma bei der Lilly Deutschland GmbH
einzuführen.

1.) ______________________________________________________________________________

2.) ______________________________________________________________________________

3.) ______________________________________________________________________________

Frage 3:
Bitte nennen Sie die drei für Sie wichtigsten Stärken des Lean Six Sigma Konzeptes bei der Lilly
Deutschland GmbH.

1.) ______________________________________________________________________________

2.) ______________________________________________________________________________

3.) ______________________________________________________________________________

Frage 4:
Bitte nennen Sie drei für Sie relevante Hauptschwachpunkte des Lean Six Sigma Konzeptes bei
der Lilly Deutschland GmbH.

1.) ______________________________________________________________________________

2.) ______________________________________________________________________________

3.) ______________________________________________________________________________

Abb. 5a: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (1)
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 331

Frage 5:
Welche Maßnahmen würden Sie zur Verbesserung des Lean Six Sigma Konzeptes bei der Lilly
Deutschland GmbH ergreifen?

1.) ______________________________________________________________________________

2.) ______________________________________________________________________________

3.) ______________________________________________________________________________

Frage 6:
Lean Six Sigma ist seit ungefähr zwei Jahren bei Lilly Deutschland implementiert. Bitte beurteilen Sie
inwieweit die folgenden Aussagen bezüglich der Umsetzung von Lean Six Sigma zutreffen. Bitte
verwenden Sie eine Skala von „1 = trifft gar nicht zu“ bis „5 = trifft voll und ganz zu“.

trifft trifft Weiß


gar voll nicht
nicht und
zu ganz
zu

1 2 3 4 5 9
Die Ziele sind immer zu Beginn der Projekte
festgelegt worden
Die Anzahl (Scope) der Ziele waren immer
angemessen
Es wurde immer geprüft, ob die gesetzten Ziele
erreicht wurden
Bei der Auswahl der Teammitglieder wurde immer
auf die derzeitige Arbeitsauslastung geachtet
Die Arbeitsbelastung der Teammitglieder während
der Projekte wurde laufend geprüft und angepasst
Im Anschluss an jedes Projekt wurde immer ein
Aktionsplan verabschiedet
Die Einhaltung der Aktionspläne wurde regelmäßig
geprüft
Die Kommunikation der Aktionspläne geschah
äußerst zeitnah (max. 4 Wochen nach Abschluss)
Die Kommunikation der Aktionspläne war stets
verständlich, so dass unmittelbare Konsequenzen
für den Einzelnen immer ersichtlich waren
Es wurden Anreizsysteme für die Projektmitarbeit
geschaffen

Abb. 5b: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (2)
332 Miriam Stache, Armin Töpfer

Weiterhin zu Frage 6:

trifft trifft Weiß


gar voll nicht
nicht und
zu ganz
zu

1 2 3 4 5 9
Es wurden Anreizsysteme geschaffen, die
Ergebnisse der Projekte umzusetzen
Der Erfolg der Anreizsysteme wurde laufend
überprüft (d. h. wenn nicht vorhanden, wurden
relevante Anreize geschaffen)
Die Teams bestanden immer aus kompetenten
Mitgliedern
Verantwortlichkeiten waren in den Projekten
immer klar geregelt
Die Verantwortlichkeiten wurden immer
wahrgenommen
Aufwand und Nutzen der Projekte standen in
einem angemessenen Verhältnis zueinander

Frage 7:

Ganz unabhängig von Lean Six Sigma - bitte beurteilen Sie inwieweit die folgenden Aussagen die
derzeitige Unternehmenskultur von Lilly Deutschland beschreiben. Bitte verwenden Sie wiederum
eine Skala von „1 = trifft gar nicht zu“ bis „5 = trifft voll und ganz zu“.

trifft trifft Weiß


gar voll nicht
nicht und
zu ganz
zu

1 2 3 4 5 9
Veränderungen werden immer positiv
aufgenommen
Es fällt leicht neue Strategien zu implementieren
Man strebt nach ständiger Verbesserung
Alle Prozesse werden kritisch hinterfragt
Man hat immer ein gemeinsames Ziel vor Augen
Der Kunde steht im Fokus der täglichen Arbeit
Man versteht sich als Dienstleister für den Kunden
Kundenbedürfnisse werden stets in kundengerechte
Lösungen umgesetzt
Der Kunde fühlt sich im Umgang mit Lilly gut
aufgehoben

Abb. 5c: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (3)
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 333

Frage 8:
Bitte beurteilen Sie – ganz generell und unabhängig von Lean Six Sigma – die
Veränderungsbereitschaft der einzelnen Mitarbeiter bei der Lilly Deutschland GmbH heute im
Vergleich zu früher (vor 2 Jahren) und zukünftig (in 2 Jahren). Bitte verwenden Sie eine Skala von „1 =
sehr gering“ bis „5 = sehr hoch“.

Sehr Sehr
gering hoch

1 2 3 4 5
Veränderungsbereitschaft der Lilly
Mitarbeiter vor 2 Jahren
Veränderungsbereitschaft der Lilly
Mitarbeiter heute
Veränderungsbereitschaft der Lilly
Mitarbeiter in 2 Jahren

Frage 9:
Bitte beurteilen Sie die Veränderungsnotwendigkeit heute im Vergleich zu früher (vor 2 Jahren) und
zukünftig (in 2 Jahren). Bitte verwenden Sie auch hier eine Skala von „1 = sehr gering“ bis „5 = sehr
hoch“.

Sehr Sehr
gering hoch

1 2 3 4 5

Veränderungsnotwendigkeit vor 2 Jahren


Veränderungsnotwendigkeit heute
Veränderungsnotwendigkeit in 2 Jahren

Abb. 5d: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (4)
334 Miriam Stache, Armin Töpfer

Frage 10:
Bitte stufen Sie Lilly Deutschland (gegenwärtig) anhand folgender Eigenschaftspaare ein. Je weiter
Sie nach rechts ankreuzen desto eher stimmen Sie der rechten Eigenschaft zu und je weiter Sie nach
links ankreuzen der linken Eigenschaft.

Fehlertoleranz Null-Fehler-Anspruch
Denken in (hierarchischen) Denken in Prozessen
Strukturen
Steigerung des
Steigerung der Kundenzufriedenheit
Unternehmenswertes
Interne Vorgaben bestimmen die Externe Kundenbedürfnisse
Ausrichtung auf den Kunden bestimmen interne Standards
Bewahren / Beharren Veränderungsbereitschaft

Formalisierung Kreativität / Innovationen

Ausrichtung auf langfristige, Ausrichtung auf kurzfristige


nachhaltige Erfolge Erfolge

Zusätzliche Tätigkeit Tagesgeschäft

Kooperative Führung Autoritäre Führung

Insellösungen Unternehmensweite Initiative

Anweisungsorientiert Überzeugungsorientiert

Ganzheitlicher Ansatz Inkrementaler Ansatz

Individuelle Anweisung Standardisierung

Zentrale Organisation Dezentrale Organisation

Linientätigkeit Projekttätigkeit

Vermutungsorientiert Faktenorientiert

Informationsmonopole Informationstransparenz
Toolgetrieben, d.h. L6S Instrument Ergebnisgetrieben
geht vor

Abb. 5e: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (5)
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 335

Frage 11:
Bitte schätzen Sie nun ein, wie Lean Six Sigma Ihre Arbeit und Motivation beeinflusst. Bewerten Sie
hierzu folgende Aussagen auf der Skala von „1 = trifft gar nicht zu“ bis „5 = trifft voll und ganz zu“.

trifft trifft Weiß


gar voll nicht
nicht und
zu ganz
zu

1 2 3 4 5 9
Ich bin frustriert über die zusätzliche
Arbeitsbelastung, die Lean Six Sigma verursacht.
Lean Six Sigma hat mein Engagement und meine
Begeisterung für Lilly verstärkt.
Ich spüre durch die Ergebnisse der Projekte einen
direkten Nutzen.
Die Teilnahme an Lean Six Sigma Projekten
versuche ich soweit es geht zu vermeiden.
Die crossfunktionale Zusammenarbeit im Projekt
hat mein Verständnis zu anderen Funktionen
vertieft.
Lean Six Sigma wird benutzt, um Entscheidungen
zu rechtfertigen.
Ich habe das Gefühl durch Lean Six Sigma jetzt
stärker priorisieren zu können.
Lean Six Sigma passt nicht zu meinem Bild von
Lilly.
Ich habe durch Lean Six Sigma gelernt und mich
persönlich weiterentwickelt.
Ich bin sehr zufrieden mit der Anwendung von
Lean Six Sigma bei Lilly.

STATISTIK
A. Geschlecht: D. Alter in Jahren:
männlich
weiblich E. (bisher höchste) Lean Six Sigma
B. Funktion Funktion:
Teil der Geschäftsführung Sponsor
Leadership Community (Master-) Black Belt, Green Belt
Angestellter Core Team Member
C. Berufserfahrung in Jahren (insgesamt): Extended Team Member
keine direkte Projekterfahrung

Abb. 5f: Fragebogen zur Messung des Reifegrades der Lilly-Kultur für Lean Six Sigma (6)
336 Miriam Stache, Armin Töpfer

Um ein möglichst repräsentatives Stimmungsbild der Lilly-Mitarbeiter in


Deutschland gegenüber Lean Six Sigma zu erheben, wurden bei der Entwicklung
des Fragebogendesigns folgende Faktoren berücksichtigt:
• Sprachebene und Wortwahl richteten sich nach der Unternehmenssprache und
wurden so gewählt, dass die Inhalte von den befragten Mitarbeitern eindeutig
verstanden werden konnten (Vermeidung von Missverständnissen, Inkonsistenz
der Antworten sowie Verzerrung durch Autosuggestion) (vgl. Kaya 2007, S.
54; Berekoven et al. 1996, S. 100).
• Die Reihenfolge der Fragen wurde so gewählt, dass keine Frage auf die andere
abstrahlt (sogenannter „Halo-Effekt“) (vgl. Mayntz et al. 1978, S. 112; Kaya
2007, S. 54); allgemeine, offene Fragen wurden detaillierten, sachbezogenen
Fragen vorangestellt (vgl. Berekoven et al. 1996, S. 101).
• Zur Überprüfung der Konsistenz innerhalb eines beantworteten Fragebogens
wurden wichtige Dimensionen durch Mehrfach-Items abgefragt und in ver-
wandten Themenkomplexen sinnvoll gemischt (vgl. Mayntz et al. 1978, S.
112).
• Zur Erhöhung der Rücklaufquote bzw. Senkung der Abbruchrate wurde die
Länge des Fragebogens so gewählt, dass ein Beantwortungszeitraum von 15
Minuten nicht überschritten wurde (vgl. Mayntz et al. 1978, S. 111).
• Die Einhaltung dieser Faktoren wurde in der Woche vor der eigentlichen Be-
fragung anhand eines Pretests bei fünf Mitarbeitern validiert. Missverständliche
Aussagen konnten so noch umformuliert werden.
Um die Beantwortung der Fragen zu erleichtern und zu beschleunigen, erfolgte
die Messung der geschlossenen Fragen auf einer einheitlichen Skala, wie sie als
Standard in anderen Mitarbeiterbefragungen bei Lilly bereits eingeführt war. An-
hand der so genannten Likert-Skalierung erfolgte die Einstellungsmessung mit ei-
ner fünfstufigen Skala, wobei der negativen Einstellung („trifft gar nicht zu“) je-
weils der Wert 1, und der positiven Einstellung („trifft voll und ganz zu“) jeweils
der Wert 5 zugeordnet wurde. Für den Fall, dass der Befragte eine Frage nicht be-
antworten konnte, wurde jeweils eine Antwortrubrik („weiß nicht“) hinzugefügt,
um keine Bewertung zu erzwingen und hierdurch das Befragungsergebnis zu ver-
fälschen.
Der Fragebogen wurde in schriftlicher Form ohne Interviewerhilfe an eine zu-
fällige Auswahl von 100 Personen der Lilly Deutschland GmbH verteilt (nur In-
nendienst). Verglichen mit der Grundgesamtheit von 277 Personen, die sich auf 12
unterschiedlich definierte Funktionsbereiche erstreckte, kann unter der erzielten
Rücklaufquote von 64% (d.h. 64 der 100 ausgesandten Fragebögen wurden be-
antwortet) von einem repräsentativen Ergebnis ausgegangen werden.
Der Rücklauf erfolgte im Zeitraum vom 05. Juni 2007 bis 06. Juli 2007 inner-
halb nur eines Monats, was das große Interesse an dem Thema und die Akzeptanz
der Befragung unterstreicht. In ergänzenden Interviews und informellen Gesprä-
chen wurde der durch die Befragung erwartete Nutzen (sowohl persönlich als auch
für das Unternehmen) bestätigt.
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 337

Der Vergleich zwischen Grundgesamtheit und Stichprobe nach dem Struktur-


merkmal Lean Six Sigma-Funktion zeigte eine hohe interne und externe Validität
auf (siehe Abb. 6).

Anzahl Anzahl Anzahl


Personen Personen % Personen
Funktion in der Lean Six % von % von
Grund- % Brutto- % von realisierte %
Sigma Organisation 1 BS GG
gesamtheit Stichprobe GG Stichprobe
(GG) (BS) (RS)
Black Belt / Green Belt 6 2 6 6 100 6 9,4 100 100
Kernteammitglied³ 100 36 32 32 32 30 46,9 95 30
Erweitertes Teammitglied³ 50 18 16 16 32 10 15,6 63 20
Keine Projekterfahrung³ 109 39 35 35 32 6 9,4 17 6
Sponsor 12 4 12 12 100 12 18,8 100 100
Gesamt 277 100 100 100 36 64 100,0 64 23

1
geschätzt nach der Verteilung der Grundgesamtheit
³ geschätzt nach der Anzahl von 25 durchgeführten Projekte seit Einführung Ende 2005

Abb. 6: Strukturmerkmale der Grundgesamtheit und Stichprobe nach Lean Six Sigma
Funktion

Insbesondere die Mitarbeiter, die stark in die Lean Six Sigma Organisation ein-
gebunden waren, sind repräsentativ vertreten. Die Gruppe der Sponsoren sowie
Black Belts und Kernteam-Mitglieder sind in der Stichprobe fast komplett vertre-
ten, während nur wenige Mitarbeiter ohne direkte Projekterfahrung sich in der La-
ge fühlten, über Lean Six Sigma zu urteilen.

4 Ergebnisse und Wirkungen der Kulturmessung

Die Qualität und damit die Bedeutung der Ergebnisse aus offenen Fragen ist höher
als die der geschlossenen, da die Befragten aus ihrer Erinnerung selbst auswählen,
welche Aspekte ihnen am wichtigsten erscheinen (in Anlehnung an Mayntz et al.
1978, S. 108). Dadurch, dass die ersten fünf Fragen als offene Fragen formuliert
wurden, konnte das Verständnis von Lean Six Sigma daher zunächst unbeeinflusst
abgefragt und ein reales Stimmungsbild der befragten Lilly-Mitarbeiter erfasst
werden.
Die offenen Antworten wurden systematisch geordnet und gruppiert, um
Schwerpunkte in der Wahrnehmung zu identifizieren.
Die erste Frage ermittelte das grundsätzliche Verständnis, das die Lilly-Mitar-
beiter von Lean Six Sigma haben, d.h. welche Aspekte sie im Vordergrund sehen
und ob sich ihr Verständnis von der Konzeption Lean Six Sigma unterscheidet.
Der wichtigste Aspekt mit knapp 15% aller Nennungen (25 von insgesamt 173
Nennungen bei n=64 Befragten) wird in der Prozessoptimierung, d.h. einer Stan-
dardisierung bereichsübergreifender Arbeitsabläufe gesehen (siehe Abb. 7). Dicht
gefolgt von der analytischen Komponente von Lean Six Sigma (knapp 14% er-
338 Miriam Stache, Armin Töpfer

wähnen den Ersatz des Bauchgefühls durch Daten und Analyse), werden eine Ef-
fizienz- und Produktivitätssteigerung (11%) sowie spezieller die Prozessanalyse
(8,7%) und die im allgemeinen strukturierte Vorgehensweise und Methodik ge-
nannt (6,9%). Die Ergebniswirkungen und Ziele von Lean Six Sigma rangieren in
den Top 10 erst auf den hinteren Plätzen, d.h. beispielsweise nur etwa 3 bis 5%
der Nennungen beziehen sich auf Kosteneinsparung, Kundenorientierung und
Nachhaltigkeit. Damit stehen die „Mittel zum Zweck“ im Vordergrund: Die Vor-
gehensweise und unmittelbare Folgen wie Prozessoptimierung sind bei den Be-
fragten sehr präsent, während strategische Ziele weniger genannt werden.

"Bitte beurteilen Sie, wodurch sich Ihrer Erfahrung nach das Konzept Lean Six Sigma
auszeichnet. Welche drei Aspekte des Konzeptes sehen Sie im Vordergrund?"

Anzahl Nennungen (> 5) - Top 10


0 5 10 15 20 25 30

Prozessoptimierung / Standardisierung (crossfunktional) 25 (14,5%)

Daten & Analyse statt Bauchgefühl 24 (13,9%)

Effizienz / Produktivitätssteigerung 19 (11,0%)

Prozessanalyse / Root Causes identifizieren 15 (8,7%)

Strukturiertes Vorgehen / stringente Methodik 12 (6,9%)

Kosteneinsparung 10 (5,8%)

Ergebnis- / Lösungsorientierung 8 (4,6%)

Kundenorientierung 8 (4,6%)

Crossfunktionale Zusammenarbeit 7 (4,0%)

Nachhaltigkeit 6 (3,5%)

Abb. 7: Aspekte von Lean Six Sigma (freie Antworten, F1)

Interessant ist nun die Gegenüberstellung zu Frage 2, bei der nach den Gründen
für die Einführung von Lean Six Sigma bei Lilly in Deutschland gefragt wurde.
Die Mehrheit der Nennungen (17%, d.h. 28 von insgesamt 168 Nennungen bei
64 Befragten) kann der Gruppe Prozessoptimierung/ Standardisierung zugeordnet
werden (siehe Abb. 8). In Verbindung mit den Gruppen „Prozesse aufstellen/ do-
kumentieren/ Transparenz“ und „Prozessanalyse/ Root Causes identifizieren“ sieht
die Mehrheit der Befragten den Grund für die Einführung von Lean Six Sigma bei
Lilly in Deutschland in der Prozessorientierung. Damit einhergehend werden die
Bereiche „Effizienz/ Produktivitätssteigerung“ und „Kosteneinsparung“ genannt –
als Ergebniswirkungen von Lean Six Sigma zusammen 26% der Nennungen (ins-
gesamt 44 von 168 Nennungen). Kundenorientierung ist mit 5% aller Nennungen
analog zu den Antworten in Frage 1 weniger stark vertreten.
Dass die Gründe für die Einführung von Lean Six Sigma bei Lilly in den Au-
gen der Befragten keineswegs den Stärken entspricht, zeigen die Antworten aus
Frage 3 (siehe Abb. 9).
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 339

"Bitte nennen Sie drei für Sie wichtige Gründe, Lean Six Sigma
bei der Lilly Deutschland GmbH einzuführen."

Anzahl Nennungen (> 5) - Top 10


0 5 10 15 20 25 30

Prozessoptimierung / Standardisierung (crossfunktional) 28

Effizienz / Produktivitätssteigerung 26

Kosteneinsparung 18

Prozesse aufstellen / dokumentieren / Transparenz 11

Prozessanalyse / Root Causes identifizieren 10

Kundenorientierung 8

Daten & Analyse statt Bauchgefühl 6

Priorisierung / Effektivität 6

Betrachtung von "außen" / neue Sicht 6

Ergebnis- / Lösungsorientierung 5

Abb. 8: Gründe für Lean Six Sigma (freie Antworten, F2)

"Bitte nennen Sie die drei für Sie wichtigsten Stärken des
Lean Six Sigma Konzeptes bei der Lilly Deutschland GmbH."

Anzahl Nennungen (> 5) - Top 10


0 2 4 6 8 10 12 14 16

Commitment Führung / GL (Sponsoren) 14 (9,3%)

Strukturiertes Vorgehen / stringente Methodik 13 (8,6%)

Daten & Analyse statt Bauchgefühl 11 (7,3%)

Institutionalisierte Plattform m. Ressourcen 11 (7,3%)

Crossfunktionale Zusammenarbeit 11 (7,3%)

Prozessanalyse / Root Causes identifizieren 8 (5,3%)

Ergebnis- / Lösungsorientierung 8 (5,3%)

Prozessoptimierung / Standardisierung (crossfunktional) 7 (4,6%)

Priorisierung / Effektivität 7 (4,6%)

Betrachtung von "außen" / neue Sicht 6 (4,0%)

Abb. 9: Stärken von Lean Six Sigma (freie Antworten, F3)

Als wichtigste Stärke wird als ganz neuer Aspekt das Commitment der Führung
bei Lilly zu Lean Six Sigma gesehen (über 9%, d.h. 14 von insgesamt 151 Nen-
nungen). Neben einer Würdigung der strukturierten und analytischen Vorgehens-
weise (zusammen knapp 16% der Nennungen) wird auch die separate Lean Six
Sigma-Organisation als institutionalisierte Plattform und die crossfunktionale Zu-
sammenarbeit positiv bewertet (beide über 7% der Nennungen). Jeweils 4-5% der
Nennungen beziehen sich auf die Prozessorientierung und Ergebniswirkung.
340 Miriam Stache, Armin Töpfer

Als größte Schwächen bestätigten die Mehrzahl der offenen Nennungen auf
Frage 4 die Überlastung bzw. Überforderung der Teammitglieder in den Lean Six
Sigma-Projekten (13%, d.h. 22 von insgesamt 166 Nennungen, siehe Abb. 10).

"Bitte nennen Sie drei für Sie relevante Hauptschwachpunkte


des Lean Six Sigma Konzeptes bei der Lilly Deutschland GmbH."

Anzahl Nennungen (> 5) - Top 10


0 5 10 15 20 25

Überlastung / Überforderung Teammitglieder 22 (13,3%)

Nachhaltigkeit 19 (11,4%)

Projektauswahl / syst. Projektportfolio 13 (7,8%)

L6S Mißbrauch (Rechtfertigung Entscheidungen) 12 (7,2%)

zeitlicher Aufwand 9 (5,4%)

L6S Auslastung / "sinnlose" Projekte 9 (5,4%)

L6S Methodik / Analyse übertrieben angewandt 8 (4,8%)

Top-down Ansatz 7 (4,2%)

Transparenz Ergebnisse 7 (4,2%)

Ressourcen fehlen (zur L6S Durchführung) 6 (3,6%)

Abb. 10: Schwächen von Lean Six Sigma (freie Antworten, F4)

Problematisch bewertet werden neben einer fehlenden Nachhaltigkeit der Lean


Six Sigma-Initiativen (11,4%) auch die nicht nachvollziehbare Projektauswahl
(zusammen mit der Durchführung sinnloser Projekte über 13% der Nennungen)
und der Missbrauch von Lean Six Sigma für längst gefallene Entscheidungen (ü-
ber 7%). Ergänzend zur Arbeitsüberlastung werden mit 4-5% der Nennungen auch
der zeitliche Aufwand, die übertriebene Anwendung analytischer Methoden und
das Fehlen notwendiger Ressourcen sowie die mangelnde Transparenz der Ergeb-
nisse negativ bewertet.
Entsprechend den aufgezeigten Schwächen fordert die Mehrheit der Befragten
als Verbesserungsmaßnahmen für die Anwendung von Lean Six Sigma bei Lilly
eine systematische und nachvollziehbare Projektauswahl und eine adäquate Prü-
fung, Planung und Bereitstellung der Ressourcen (zusammen 24%, d.h. 36 von
insgesamt 155 Nennungen, siehe Abb. 11).
Auch die Schaffung von Transparenz über Ergebnisse (9%), eine zunehmende
Nachhaltigkeit (7%) und insgesamt einfach weniger Projekte (5%) spielen für die
Befragten eine wichtige Rolle zur Verbesserung der Lean Six Sigma-Anwendung
bei Lilly in Deutschland.
Nach dem Grundsatz des so genannten Fragetrichters wurden den offenen Fra-
gen geschlossene Formulierungen angeschlossen, um Antworthemmungen abzu-
bauen und die Antwortzeit zu beschleunigen (vgl. Mayntz et al. 1978, S. 112).
Nach einer Einstimmung in die Thematik Lean Six Sigma und in die subjektiv er-
lebten Stärken und Schwächen bei Lilly durch die fünf ausgewählten und im Pre-
test positiv bestätigten Kontakt- oder Eisbrecherfragen (vgl. Mayntz et al. 1978, S.
112) dienen die geschlossenen Antwortkategorien in den Fragen 6 bis 11 der sys-
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 341

tematischen Bewertung festgelegter Schwerpunkte aus den vier definierten Kul-


turdimensionen.

"Welche Maßnahmen würden Sie zur Verbesserung


des Lean Six Sigma-Konzeptes bei der Lilly Deutschland GmbH ergreifen?"

Anzahl Nennungen (> 5) - Top 5


0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20

Projektauswahl / syst.
18 (12%)
Projektportfolio

Ressourcen prüfen / planen /


18 (12%)
bereitstellen

Transparenz Ergebnisse 13 (9%)

Nachhaltigkeit 10 (7%)

Weniger Projekte 7 (5%)

Abb. 11: Verbesserungsmaßnahmen für Lean Six Sigma (freie Antworten, F5)

Die Ergebnisse aus Frage 6 zeigen, dass die notwendigen Bausteine für eine er-
folgreiche Lean Six Sigma-Anwendung in den Augen der Befragten bei Lilly in
Deutschland unterschiedlich stark erfüllt werden (siehe Abb. 12).

trifft gar nicht zu trifft voll und ganz zu

1 2 3 4 5

6.1: Ziele festgelegt? N=60 4,1


Ziele 6.2: Zielumfang angemessen? N=59 3,2 Ø = 3,6
6.3: Zielerreichung geprüft? N=51 3,5
6.4: Arbeitsbelastung beachtet? N=60 2,1
Ressourcen Ø = 2,1
6.5: Arbeitsbelastung überprüft / angepasst? N=59 2,1
6.6: Aktionsplan vorhanden? N=55 3,8 Ø = 3,4
Aktionspläne
6.7: Aktionsplan eingehalten? N=46 3,1
6.8: Aktionsplan zeitnah kommuniziert? N=52 3,4 Ø = 3,3
Kommunikation
6.9: Aktionsplan verständlich kommuniziert? N=50 3,1
6.10: Anreize für Projektarbeit? N=59 1,8
Anreize 6.11: Anreize für Umsetzung der Ergebnisse? Ø = 2,0
N=56 2,2
6.12: Anreize überprüft / angepasst? N=49 1,9

6.13: Kompetente Team? N=59 3,8

6.14: Klare Projektverantwortlichkeiten? N=58 3,9


Fertigkeiten Ø = 3,4
6.15: Verantwortlichkeiten eingehalten? N=56 3,3

6.16: Aufwand vs. Nutzen angemessen? N=57 2,7

*Mittelwert je Kategorie inkl. listenweisen Fallausschluss

Abb. 12: Erfüllungsgrad Lean Six Sigma Bausteine (geschlossene Antworten, F6)
342 Miriam Stache, Armin Töpfer

Zwar sind Zielsetzung und Aktionspläne vorhanden (Items 6.1 und 6.6), es gibt
jedoch keine Anreizsysteme für die Durchführung der Projekte oder das Leben der
Konsequenzen (Items 6.10 bis 6.12). Das Ressourcenmanagement weist niedrige
Werte auf, wonach die Arbeitsbelastung in den Projekten kaum beachtet und an-
gepasst wird (Items 6.4 und 6.5). In der Kategorie Fertigkeiten wird das Verhältnis
von Aufwand zu Nutzen gering eingeschätzt (Item 6.16).
Nach dieser Bewertung der Lean Six Sigma-Durchführung bei Lilly wurden
nach der Typologie von Deal/ Kennedy als Einstieg in die Unternehmenskultur bei
Lilly die beiden Dimensionen Veränderungsbereitschaft und Kundenorientierung
abgefragt (siehe hierzu Abb. 4). Für die Auswertung lassen sich die einzelnen Ant-
worten als Mittelwert eines Mehrfachantworten-Set zusammenfassen (siehe Abb.
13).

trifft gar nicht zu trifft voll und ganz zu


1 2 3 4 5

7.1: Veränderungen positiv? N=61 2,9

7.2: Neue Strategien leicht umzusetzen? N=60 2,9

7.3: Ständige Verbesserung? N=64 3,7 Ø = 3,1

7.4: Prozesse kritisch hinterfragen? N=64 3,0

7.5: Gemeinsames Ziel? N=62 3,1

7.6: Kundenfokus? N=63 3,1

7.7: Lilly = Dienstleister für Kunde? N=61 3,2


Ø = 3,1
7.8: Lösungen für Kundenbedürfnisse? N=60 2,9

7.9: Kunde gut aufgehoben bei Lilly? N=52 3,4

Abb. 13: Unternehmenskultur (geschlossene Antworten, F7)

Es fällt auf, dass im Mittel beide Dimensionen mäßig ausgeprägt sind, d.h.
stark von einer optimalen Lean Six Sigma-Kultur abweichen. Überträgt man die
Daten auf die grafische Darstellung nach Deal/ Kennedy, befindet sich Lilly an
der Schwelle des Quadranten für eine Lean Six Sigma-Kultur (siehe Abb. 14).
In Ergänzung wurden die Lilly-Mitarbeiter zur Entwicklung der Veränderungs-
bereitschaft (F8) und Veränderungsnotwendigkeit (F9) im Zeitablauf befragt (sie-
he Abb. 15), und zwar nach den drei Zeitpunkten „gestern“ (vor 2 Jahren), „heute“
und „morgen“ (in 2 Jahren). Der 2-Jahreszeitraum wurde gewählt, weil die Lean
Six Sigma-Einführung bei Lilly in Deutschland etwa vor 2 Jahren stattgefunden
hat (Anfang 2005).
Im Ergebnis schätzen die Befragten (n=64) beide Dimensionen „gestern“ ge-
ringer als „heute“ ein, und „morgen“ höher als „heute“. Die Veränderungsnotwen-
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 343

digkeit wurde in „persönlicher“ Einschätzung im Vergleich zur Veränderungsbe-


reitschaft schon vor 2 Jahren höher bewertet und steigt „heute“ und „morgen“
noch stärker an, so dass sich keine Überschneidung der beiden Entwicklungen er-
gibt, wie es bei einer definierten erfolgreichen Lean Six Sigma-Implementierung
der Fall wäre (vgl. Töpfer 2007, S. 294). Die Veränderungsbereitschaft ist somit
von dem Niveau einer idealen Veränderungsbereitschaft noch weit entfernt, d.h. es
fehlt der „Sogeffekt“, wie er durch eine von Lean Six Sigma begeisterte, zu stän-
dig neuen Veränderungen bereite Belegschaft entstehen würde.

Entwicklungs-
Veränderungsbereitschaft

(Lean) Six Sigma


4 getriebene
Kultur
Ingenieur-Kultur
Legende:
3 Lilly
3,1; 3,1 Ideal

Marketing- und
2 Bürokraten-Kultur
Vertriebs-Kultur

1
1 2 3 4 5
Kundenfokus

Abb. 14: Unternehmenskultur-Typologie für Lean Six Sigma bei Lilly

sehr gering sehr hoch


1 2 3 4 5

2,8 3,2
Gestern (vor 2 Jahren)

Heute 3,2 4,1

3,6 4,6
Morgen (in 2 Jahren)
Veränderungsbereitschaft
Veränderungsnotwendigkeit
Idealprofil Veränderungsbereitschaft
n = 64

Abb. 15: Veränderungsbereitschaft und -notwendigkeit (F8/9)


344 Miriam Stache, Armin Töpfer

Als Ergänzung zur eindimensionalen Skalierung der übrigen geschlossenen


Fragen und zur besseren Bestimmung des Reifegrades der Lean Six Sigma-Kultur
bei Lilly, wurde in Frage 10 ein mehrdimensionales Messinstrument eingesetzt
(vgl. Töpfer 2007, S. 300ff.). Vorteil ist hierbei, dass die Erfahrungen aus anderen
Unternehmen als Benchmarking mit den Einschätzungen bei Lilly verglichen wer-
den können. Zwar entstehen nur mehr oder weniger qualitative Bewertungen (vgl.
Töpfer 2007, S. 304), diese können aber strukturierter erfasst und Stolpersteine bei
Lilly damit besser identifiziert werden.
Die resultierende, mehr oder weniger genaue Bewertung stellt eine wichtige Er-
gänzung dar, um Tendenzen in den anderen Fragen zu bestärken oder zu entkräf-
ten.
Die Ergebnisse spiegeln große Lücken in fast allen abgefragten Bereichen wi-
der, was insgesamt eine Fülle an Erklärungs- und Diskussionsbedarf aufwirft. Im
Folgenden soll auf die wichtigsten drei Lücken eingegangen werden (siehe Abb.
16):

0 1 2 3 4 5
Fehlertoleranz Null-Fehler-Anspruch
Denken in (hierarchischen) Strukturen Rang 2 Denken in Prozessen
Steigerung der Kundenzufriedenheit Steigerung des Unternehmenswertes
Interne Vorgaben Rang 1 Externe Kundenbedürfnisse
Bewahren / Beharren Veränderungsbereitschaft
Formalisierung Kreativität / Innovationen
Zusätzliche Tätigkeit Rang 3 Tagesgeschäft
Toolgetrieben Ergebnisgetrieben
Insellösungen Unternehmensweite Initiative
Anweisungsorientiert Überzeugungsorientiert
Ganzheitlicher Ansatz Idealprofil Inkrementaler Ansatz
Individuelle Anweisung Lilly Standardisierung
Zentrale Organisation Dezentrale Organisation
Linientätigkeit Projekttätigkeit
Vermutungsorientiert Faktenorientiert
Informationsmonopole Informationstransparenz
n = 64
Listenweise n = 60

Abb. 16: Polaritätenprofil (F10)

Rang 1: Interne Vorgaben vs. Externe Kundenbedürfnisse (Philosophie und Stra-


tegie): Bei Lilly scheint das Erreichen intern festgelegter Standards entscheidender
zu sein, als sich auf die Bedürfnisse des Kunden auszurichten.
Rang 2: Strukturdenken vs. Prozessdenken (Philosophie und Strategie): Wird un-
terstellt, dass hierarchieorientiertes Strukturdenken der „natürliche Feind“ (Töpfer
2007, S. 300) von Lean Six Sigma ist, wird durch diese Lücke untermauert, dass
das Prozessdenken im Vergleich zum Ideal bei Lilly gering ausgeprägt ist.
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 345

Rang 3: Zusätzliche Tätigkeit vs. Tagesgeschäft (Führung und Umsetzung): Die in


den offenen Fragen am häufigsten genannte Schwäche der Überlastung bzw. Über-
forderung der Teammitglieder wird in dem Polaritätenprofil bestätigt. Lean Six
Sigma ist durch die fehlende Integration im Tagesgeschäft ein „Fremdkörper“
(Töpfer 2007, S. 302) bei Lilly, der zusätzlichen Aufwand verursacht, aber den
Nutzen im Tagesgeschäft nicht erkennen lässt. In Verbindung mit dem mangeln-
den Prozessdenken ist damit das Handeln und Denken nach Lean Six Sigma ins-
gesamt gefährdet.
Zuletzt wurden die persönlichen Einstellungen zu Lean Six Sigma, d.h. das per-
sönliche Mitarbeiterengagement, das Arbeitsverhalten und die Motivation abge-
fragt.
Im Profil der Mittelwerte (siehe Abb. 17) lassen sich Gruppen bilden. Während
Lean Six Sigma zum persönlichen Bild der Befragten von Lilly passt, die Bereit-
schaft zur Projektmitarbeit gegeben ist und die crossfunktionale Zusammenarbeit
geschätzt wird (Items 11.8, 11.4 und 11.5), liegen die Bewertungen zur Balance
zwischen Projektarbeit und Tagesgeschäft (Item 11.1), das Engagement für und
die Begeisterung durch Lean Six Sigma (Item 11.2) sowie der Nutzen durch Pro-
jektergebnisse (11.3) auf einem Mittelwert von rund 3. Die niedrigeren Werte die-
ser drei Aussagen (11.1 bis 11.3) finden sich inhaltlich sowohl in den Lücken des
Polaritätenprofils (z.B. zusätzliche Tätigkeit vs. Tagesgeschäft) als auch in den
aufgezeigten Schwächen der offenen Fragen wieder (Überlastung/ Überforderung
der Teammitglieder).

trifft gar nicht zu trifft voll und ganz zu

1 2 3 4 5

N=59 3,1
11.1: Balance Projektarbeit / Tagesgeschäft *

N=63 3,0
11.2: Engagement / Begeisterung durch L6S

11.3: Nutzen durch Ergebnisse der Projekte N=60 3,1

11.4: Bereitschaft Projektmitarbeit * N=60 4,0

11.5: Vertieftes Verständnis durch crossfunktionale Zusammenarbeit N=60 4,0

11.6: Keine Rechtfertigung von Entscheidungen * N=59 2,6

11.7: Stärkere Priorisierung durch L6S N=59 2,5

11.8: L6S passt zum Bild von Lilly * N=62 4,0

11.9: Persönliche Weiterentwicklung 3,5


N=62

11.10 Hohe Zufriedenheit mit L6S bei Lilly 2,8


N=63

* weicht von Fragebogen ab (Gleichrichtung der Skalierung)

Abb. 17: Arbeitsverhalten und Motivation durch Lean Six Sigma (F11)
346 Miriam Stache, Armin Töpfer

Die niedrigsten Werte in Frage 11 weisen die Items 11.6 und 11.7 auf. Mitar-
beiter haben das Gefühl, Lean Six Sigma dient der Rechtfertigung von Entschei-
dungen (Item 11.6). Die stärkere Priorisierung, die in den offenen Fragen als
wichtiger Grund und Stärke von Lean Six Sigma angesehen wurde, ist nicht erfüllt
(Item 11.7).
Damit werden in den Ergebnissen der Umfrage Einstellungen und Verhaltens-
weisen der Mitarbeiter erkennbar, die als Stärken und Schwächen für Lean Six
Sigma gedeutet werden können. Fasst man die von den Befragten dargestellten
Schwächen und Stärken zusammen, so kann ein vereinfachtes, modelltheoretisch
hier aber nicht überprüftes Kausalmodell in Bezug auf das Mitarbeiterengagement
aufgestellt werden (siehe Abb. 18).

Schwächen
Ressourcen
1 überlastet / überfordert
Stärken
1 Commitment der Führung 2 Fehlende Nachhaltigkeit

Strukturierte Methodik &


2 analytisches Vorgehen + Mitarbeiter- -- 3 (Willkürliche) Projektauswahl

Organisatorische
engagement Fehlende Kommunikation /
3 Rahmenbedingungen
4 Transparenz

Hohe Grundmotivation
4 (L6S passt zu Lilly / macht „Sinn“)
5 Niedrige Kundenorientierung

6 Niedrige Prozessorientierung

Abb. 18: Wirkung der Stärken und Schwächen auf das Mitarbeiterengagement

Passend zur führungsstarken Unternehmenskultur von Lilly wird als wichtigste


Stärke das Commitment der Führung angesehen. Das strukturierte und analytische
Vorgehen durch Lean Six Sigma und die neu geschaffene Projektorganisation las-
sen das Potenzial der Lean Six Sigma-Philosophie erkennen, so dass es als sinn-
volles Konzept akzeptiert wird.
Die Schwächen liegen eindeutig in der Umsetzung. Neben der bereits erwähn-
ten niedrigen Kunden- und Prozessorientierung wird als größtes Problem die er-
höhte Arbeitsbelastung bzw. das unzureichende Ressourcenmanagement gesehen.
Durch ein anscheinend immer noch fehlendes Vertrauen in formale Mechanismen
(siehe hierzu Abb. 3) fehlen strukturierte Analyse- und Kommunikationsinstru-
mente, die eine systematische Projektauswahl erkennen lassen und die Nachhal-
tigkeit der Projektergebnisse stützen.
Damit kann die geringe Erfüllung der Bausteine Ressourcen, Kommunikation
und Anreize bei Lilly in Deutschland zu Frustration, Ablehnung und einer gerin-
gen Veränderung durch Lean Six Sigma führen (siehe Abb. 19).
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 347

Die von den Befragten als mangelhaft eingeschätzte Projektauswahl durch Feh-
len eines übergeordneten Aktionsplanes kann darüber hinaus einen Fehlstart von
Lean Six Sigma verursachen.
Die Befragungsergebnisse decken wichtige Barrieren bei der Einführung von
Lean Six Sigma auf und liefern eine fundierte Datenbasis als Entscheidungsgrund-
lage für die Verbesserung der Lean Six Sigma-Implementierung bei Lilly in
Deutschland. Die Gefahr eines Kulturschocks und die These, dass Lean Six Sigma
auf größere Widerstände in der Belegschaft stößt, konnte empirisch überprüft und
in der Tendenz bestätigt werden. Wichtige Stärken und Schwächen konnten iden-
tifiziert und in einen ersten Zusammenhang mit dem Mitarbeiterengagement ge-
bracht werden. Hierfür wurden etablierte Instrumente (die Kulturtypologie nach
Deal/ Kennedy und das Polaritätenprofil von Töpfer) in eine individuell auf Lilly
zugeschnittene Analyse eingebettet.

Fertig- Aktions- Kommu- Erfolgreiche


Ziel + keiten + plan + Ressourcen + nikation + Anreize = Veränderung

√ +
Fertig-
keiten +
Aktions-
plan + Ressourcen +
Kommu-
nikation + Anreize = Verwirrung

Ziel + √ +
Aktions-
plan + Ressourcen +
Kommu-
nikation + Anreize = Angst


Fertig- Kommu-
Ziel + keiten + + Ressourcen + nikation + Anreize = Fehlstart

Fertig- Aktions- Kommu-


Ziel + keiten + plan + + nikation + Anreize = Frustration

Fertig- Aktions-
Ziel + keiten + plan + Ressourcen + + Anreize = Ablehnung

Fertig- Aktions- Kommu- Geringe


Ziel + keiten + plan + Ressourcen + nikation + =
Veränderung

√ = Gegeben = Eher nicht vorhanden

Basis: Töpfer 2007, S. 290 nach Seidenschwarz 1997, S. 124

Abb. 19: Erfüllung der Bausteine für eine erfolgreiche Lean Six Sigma Einführung bei Lilly

Der hohe Rücklauf und das große Interesse an der Befragung bestätigen, dass
vor allem die Anwendung einer unternehmensindividuellen Kulturanalyse eine
geeignete Methode ist, um Schwachstellen bei der Einführung von Lean Six Sig-
ma aufzudecken. Auch wenn sich die Befragung auf den ersten Blick auf eine
Einstellungs- und Verhaltensmessung, also die Ebene der Werte und Normen der
Lilly-Kultur beschränkt, können Teilsichten auf die Grundannahmen der Unter-
nehmenskultur, wie der Glaube an die Veränderungsfähigkeit und -notwendigkeit
(vgl. Töpfer 2007, S. 296f.), freigelegt werden.
348 Miriam Stache, Armin Töpfer

5 Akzeptanz der notwendigen Veränderungen

Die Forderung der Mitarbeiter nach verbesserter Kommunikation und erhöhter


Transparenz konnte bereits teilweise umgesetzt werden: In der September-
Ausgabe 2007 der Mitarbeiterzeitschrift „My Lilly“ erschien ein Artikel, der die
wichtigsten Ergebnisse der Umfrage wiedergibt und eine kurze Übersicht über
laufende Lean Six Sigma-Projekte enthält. Damit wird nicht nur der Nutzen von
Lean Six Sigma für die Mitarbeiter authentisch wiedergegeben, sondern auch das
Commitment der Geschäftsführung gestärkt, die Stimme der Mitarbeiter ernst zu
nehmen und Schwächen systematisch und kontinuierlich aus dem Weg zu räumen.
Als nächster Schritt ist ein Lean Six Sigma-Newsletter geplant, der von den
Black Belts erstellt wird. Die Akzeptanz für dieses Medium wird wesentlich da-
von abhängen, ob es sich auf eine Selbstdarstellung der Lean Six Sigma-
Organisation beschränkt oder einen klaren Überblick über Auswahl, Aufwand,
Ergebnisse und damit Stellenwert bestehender Projekte liefert, so dass jeder Mit-
arbeit den persönlichen Nutzen erkennen und die Frage „What’s in for me?“ leicht
beantworten kann.
Eine Beschränkung auf Aktivitäten zur Verbesserung der Kommunikation birgt
jedoch die Gefahr in sich, die eigentlichen Brennpunkte zu überspielen. Deshalb
wurden insbesondere Handlungsalternativen für das mangelhafte Ressourcenma-
nagement diskutiert, das in Zusammenhang mit einer fehlenden Integration von
Lean Six Sigma in das Tagegeschäft, mit einer fehlenden Nachhaltigkeit und einer
unzureichenden Projektauswahl auftritt.
Zur stärkeren Integration von Lean Six Sigma in das Tagesgeschäft sind die
Black Belts festgelegten Bereichen im Unternehmen zugeordnet worden. Dadurch
erhalten sie als Projektleiter einen tieferen Einblick in die spezifischen Anforde-
rungen des Tagesgeschäfts, können eine Balance zwischen Projektarbeit und Ta-
gesgeschäft für alle Beteiligten leichter herstellen und den Nutzen der Projekter-
gebnisse effektiver kommunizieren.
Die versperrte Sicht auf die Aktivitäten der Teammitglieder wird freigelegt
(siehe Abb. 20).

Black Belt Tagesgeschäft

L6S
TM 1 TM 2 Sponsor TM 3
Projekt

TM = Teammitglied

Abb. 20: Unsicherheit eines Black Belts bei fehlender Integration in das Tagesgeschäft
Bedeutung und Messung der Unternehmenskultur für Lean Six Sigma 349

Zur Verbesserung der Projektauswahl, sollte die Anwendung von Instrumenten


geschult und eingeübt werden, die eine Priorisierung nach Aufwand und Nutzen
zulassen, wie das bei Lilly schon vorhandene Instrument der „Project Selection
Matrix“ (vgl. Stein 2005, S. 71). Auch wenn pragmatische Ansätze für das Abern-
ten der tief hängenden Früchte bzw. „low hanging fruit(s)“ (Smith 2003, S. 37)
bisher ausreichte, zeigt das Feedback der Befragten die zunehmende Verwirrung
über die Auswahl der Projekte nach intuitiven Verfahren. Dieser Vorschlag wurde
bislang nicht umgesetzt, d.h. in der gegenwärtigen Situation sind Logik und Moti-
ve für die Projektauswahl nach wie vor intransparent.
Wichtige Maßnahmen zur direkten Erhöhung der Prozessfähigkeit und Kun-
denorientierung fehlen und müssen ergänzt werden, um ein ganzheitliches Lean
Six Sigma-Denken zu etablieren und den angestrebten Reifegrad einer Lean Six
Sigma-Kultur zu erreichen.
Andere Unternehmen kombinieren hierzu im Rahmen von Lean Six Sigma aus-
sagefähige CTQ-Analysen mit breit angelegten KVP-Programmen zur stärkeren
Fokussierung auf die verschwendungsfreie Gestaltung des Wertstromes in Prozes-
sen.

6 Ausblick: Konsequenzen und nächste Schritte

Der Erfolg der Lean Six Sigma-Implementierung bei Lilly hängt wesentlich von
den Einstellungen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter und damit der bestehen-
den Unternehmenskultur ab. Deshalb ist von den Führungskräften ein erhöhtes
Bewusstsein einzufordern, dass Mitarbeitermotivation und -engagement die kriti-
schen Erfolgsfaktoren für Lean Six Sigma sind.
Eine regelmäßige Wiederholung der aufgezeigten Kulturmessung kann als
Stimmungsbarometer genutzt werden, um schrittweise Erfolge und Misserfolge in
der Kulturveränderung aufzudecken und geeignete Maßnahmen für einen „Turn-
around“ in den Überzeugungen der Mitarbeiter voranzutreiben. Durch die syste-
matische Auseinandersetzung mit den Problemen im Umgang mit Lean Six Sigma
wird das Ignorieren von Misserfolgen vermieden und eine offene Fehler- und
Lernkultur gefördert.
Eine klare Trennung und Priorisierung zwischen kurz-, mittel- und langfristigen
Verbesserungsmaßnahmen für Lean Six Sigma kann helfen, Synergieeffekte zwi-
schen Transparenz, Akzeptanz und Nachhaltigkeit zu erzielen. Strategische, wohl-
überlegte Maßnahmen sollten aktionistische Handlungen vermeiden. Ein erhöhtes
Verständnis der Mitarbeiter, warum sie wann in welche Projekte eingebunden
sind, verpufft bei nur kurzfristigen Kommunikationsmaßnahmen, wenn die erhöh-
te Arbeitsbelastung nicht durch bewusste strategische Entscheidungen der Füh-
rungsebene abgemildert wird. Es entsteht sonst leicht der Eindruck, dass den Wor-
ten keine Taten folgen, d.h. die Führungsebene verliert an Glaubwürdigkeit und
Lilly damit eine wichtige Stärke der bestehenden Unternehmenskultur.
350 Miriam Stache, Armin Töpfer

7 Literatur

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Abkürzungsverzeichnis

5S/ 5A-Methode Japanisches Akronym: Seiri (Aussortieren), Seiton (Aufräumen),


Seiso (Anordnen), Seiketsu (Arbeitsplatz sauber halten) und
Shitsuke (Anordnung zur Regel machen)
5W-Methode Vorgehensweise zur vertieften Problemanalyse, die auf dem An-
satz basiert: Frage 5x hintereinander zum gleichen Problem
„Warum?“, um die Kernursachen eines Problems zu finden.
Abb. Abbildung
AMD Advanced Micro Devices
APU Auxiliary Power Units
Aufl. Auflage
ARIR Algoritm Reshenije Izobretatjelskich Zadacz (russ. Akronym)
BB Black Belt
BBD Box-Behnken-Design
BE Business Excellence
BKT Betriebskalendertage
BPE Business Process Excellence
BPM Business Process Management
BR Betriebsrat
BSC Balanced Scorecard, Balanced Score Card
bspw. beispielsweise
BVW Betriebliches Vorschlagwesen
bzgl. bezüglich
bzw. beziehungsweise
ca. circa
CCD Central-Composite-Design
CEO Chief Executive Officer
CFO Chief Financial Officer
CSI Customer Satisfaction Index
CTC Critical to Cost
CTS Critical to Satisfaction
CTQ Critical to Quality
d.h. das heißt
DDC Dresden Design Center
DFMA Design for Manufacturing and Assembly
DfLSS Design for Lean Six Sigma
DFSS Design for Six Sigma
DIN Deutsche Industrie Norm
DMADV Define Measure Analyse Design Verify
DMAIC Define Measure Analyse Improve Control
DMEDI Define Measure Explore Develop Implement
DOE Design of Experiments
354 Abkürzungsverzeichnis

DPMO Defects Per Million Opportunities/ Fehler pro eine Million


Fehlermöglichkeiten
EDV Elektronische Datenverarbeitung
EFQM European Foundation for Quality Management
ehem. ehemalig
EN Europäische Norm
EPEI Every Part Every Intervall
et al. et alii (lat. und andere)
etc. et cetera
EVA Economic Value Added
F Frage
F&E Forschung und Entwicklung
f. folgende
ff. fortfolgende
FIFO First In First Out
FMEA Failure Mode- and Effects-Analysis/ Fehler-Möglichkeits- und
Einfluss-Analyse
GB Green Belt
GE General Electric
ggf. gegebenenfalls
GuV Gewinn- und Verlustrechnung
GQM Ganzheitliches Qualitätsmanagement
h Stunde
HoQ House of Quality
Hrsg. Herausgeber
i.d.R. in der Regel
i.e.S. im engeren Sinn
IDOV Identify Design Optimize Validate
i.w.S. im weiteren Sinn
inkl. inklusive
ISO International Organization for Standardization
IT Informationstechnologie
ITT International Telephone and Telegraph Corporation
Jg. Jahrgang
JIT Just in Time
KBI Kundenbindungsindex
KPI Key Performance Indicators
KVP Kontinuierlicher Verbesserungsprozess
LSS Lean Six Sigma
LBA Luftfahrtbundesamt
MA Mitarbeiter
MBB Master Black Belt
MBNQA Malcolm Baldrige National Quality Award
MbO Management by Objectives
Mio. Million
mm Millimeter
Abkürzungsverzeichnis 355

Mrd. Milliarde
MT Manntage
OEM Original Equipment Manufacturer
o.g. oben genannt
PCI Process Capability Index
PDCA Plan, Do, Check, Act
PE Process Excellence
PEP Produktentstehungsprozess
PERT Project Evaluation and Review Technique
PLC Process Life Cycle
PPI Process Performance Indicators
PPM Parts Per Million/ Fehler pro eine Million Teile
PR Public Relations
P-Regelkarte Prozess-Regelkarte
QC Qualitätscontrolling
OEE Overall Equipment Efficiency
QFD Quality Function Deployment
QL Quality Leader
QM Qualitätsmanagement
QS Quality System
OSRC Operating System Research Center
QVP Qualitätsverbesserungsprozess
R&O Repair and Overhaul (Reparatur und Überholung)
RPZ Risikoprioritätszahl
RRCL Reliability-and-Robustness-Checklist
RSM Response Surface Methodology
s Sekunde
s. siehe
SCAS System Components and Accessories Service
SMED Single Minute Exchange of Dies
s.o. siehe oben
SIPOC Supplier Input Process Output Customer
SPC Statistical Process Control / Statistische Prozesskontrolle
TAT Turn Around Time
TPM Total Productive Maintenance
TPS Toyota-Produktionssystem
TQM Total Quality Management
TRIZ Theorija Reshenija Izobretatjelskich Zadacz (russ. Akronym)
u.a. unter anderem
u.U. unter Umständen
usw. und so weiter
vgl. vergleiche
VOC Voice of the Customer
vs. versus
VSD Value Stream Design
WBT Web Based Training
356 Abkürzungsverzeichnis

z.B. zum Beispiel


z.T. zum Teil
ZP Zielplanung
ZR Zyklusraum
ZV Zielvereinbarung
ZZ Zykluszeit
Autoren-Kurzbiographien

Jürgen Bremer, Dr.-Ing., ist Leiter Six Sigma des Bereiches Honeywell Building
Solutions in Europe, Middle East and Africa. Er studierte Maschinenbau an der
TU Berlin, promovierte 1998 am Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und
Konstruktionstechnik (IPK) in Berlin und schloss 2007 einen Executive MBA an
der Kellogg School of Management in Chicago sowie der WHU in Vallendar ab.
Nach einigen Jahren in der Beratung und Industrie wechselte er im Juli 2003 zu
Honeywell.
Jörg Doch ist Leiter des Projektmanagement Office im Geschäftsführungsbereich
Chemikalien der Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG. Er studierte
Technisch Orientierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Stuttgart. Seit
1996 ist er bei Boehringer Ingelheim in den Bereichen Projektmanagement und
Business Process Excellence tätig. Er ist als Projektmanager IPMA sowie als Six
Sigma Black Belt zertifiziert.
Bernd Garzinsky, Dipl.-Ing., ist Seniorberater und Mitglied der Geschäftsleitung
der M+M Six Sigma Group und der M+M Management + Marketing Consulting
GmbH in Kassel. Er ist Qualitätsfachingenieur, Six Sigma Master Black Belt so-
wie Assessor der European Foundation for Quality Management (EFQM). Vor
seiner Beratungstätigkeit war er als Führungskraft in namhaften internationalen
Konzernen tätig. Zu seinen Beratungsschwerpunkten gehören Six Sigma, Prozess-
optimierung/KVP, Qualitätsmanagement und Management von Veränderungen,
Business Excellence, Management von Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit,
Mess- und Steuerungsinstrumente/BSC. Er ist Lehrbeauftragter an der Universität
Kaiserslautern zum Thema Management von Kundenzufriedenheit sowie Dozent
an der Dresden International University (DIU). Als Six Sigma Master Black Belt
ist er Trainer und Coach bei der M+M Six Sigma Akademie® in offenen und un-
ternehmensinternen Schulungen.
Swen Günther, Dipl.-Wirtsch.-Ing., ist Berater und Six Sigma Black Belt bei der
M+M Six Sigma Group und der M+M Management + Marketing Consulting
GmbH in Kassel. Zu seinen Beratungsschwerpunkten gehören sowohl Industrie-
unternehmen, insb. im Automotive-Bereich, als auch Dienstleistungsunternehmen,
z.B. Banken und Krankenhäuser. Als Six Sigma Black Belt ist er Trainer bei der
M+M Six Sigma Akademie®. Zusätzlich ist er Dozent an der Dresden Internatio-
nal University (DIU). In einer neuen Funktion ist er Prozessmanager zur Optimie-
rung der Fertigungsabläufe bei einer Procter & Gamble Tochter.
Thomas Habermann ist Master Black Belt und Leiter von Business Process Excel-
lence (BPE) Deutschland bei Boehringer Ingelheim. Nach dem Studium der Ver-
fahrenstechnik begann er seine berufliche Laufbahn 1990 bei der Bayer AG, Le-
verkusen, als Betriebsingenieur/ Projektleiter. 1994 wechselte er zu Boehringer
Ingelheim, und übernahm dort verschiedene Aufgaben. Seit 2002 ist er verant-
wortlich für den Aufbau der Six Sigma/ BPE-Organisation.
358 Autoren-Kurzbiographien

Michael Hennes ist Productivity (Lean Six Sigma) Leiter EMEA sowie Lean Mas-
ter Operation Global für einen Geschäftsbereich eines amerikanischen Chemieun-
ternehmens. Er schloss sein Studium an der Hochschule für Technik und Gestal-
tung in Mannheim als Dipl. Ing. (FH) Maschinenbau mit Fachrichtung
Fertigungstechnik ab. Bevor er seine Ausbildung und Zertifizierung als Lean Six
Sigma Black Belt absolvierte, arbeitete er im Einkauf eines Fahrzeugherstellers
sowie im Automobilzulieferbereich eines amerikanischen Mischkonzerns.
Jutta Jessenberger, Dr., studierte Statistik an der Universität Dortmund und der
University of Sheffield (UK). Nach Tätigkeit bei der Mars GmbH, Viersen, pro-
movierte sie an der Universität Dortmund und durchlief danach verschiedene Ma-
nagement Positionen bei AC Nielsen, Hamburg, und bei der OnVista AG, Köln,
wo sie zuletzt als Director Content Services tätig war. Sie ist jetzt Prokuristin bei
der Xerox GmbH, Black Belt und Deployment Manager für das Xerox Lean Six
Sigma Programm in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Bert Leyendecker, Prof. Dr., ist Professor für Produktionswirtschaft und Operati-
ons Research sowie Projektmanagement und Kennzahlensysteme am Fachbereich
Betriebswirtschaft der Fachhochschule Koblenz. In diesen Fachgebieten arbeitet
er mit großen und mittelständischen Unternehmen bei der Einführung von Lean
Management, Six Sigma, Projektmanagement und Kennzahlensystemen zusam-
men. Zuvor war er zehn Jahre bei Johnson & Johnson mit den Tätigkeiten als Pro-
zess- und Projektingenieur, Six Sigma Black Belt, Projektmanagement Trainer,
Leiter Prozessoptimierung, Process Excellence Master Black Belt und schließlich
Leiter Process Excellence für mehrere europäische Produktionsstandorte.
Achim Schmidt ist seit 2003 als Six Sigma Master Black Belt und Programm Ma-
nager für das Unternehmen Siemens VDO tätig, das Ende 2007 an die Continental
AG verkauft wurde. Er studierte Elektrotechnik an der Technischen Universität
Braunschweig und an der Universität Erlangen. Nach seinem Studium war er meh-
rere Jahre in der Halbleiterindustrie in den Bereichen Technologietransfer, Pro-
dukttechnik und Prozessoptimierung tätig.
Miriam Stache ist European Demand Forecasting Manager der Lilly Deutschland
GmbH und externe Doktorandin am Lehrstuhl für Marktorientierte Unternehmens-
führung der TU Dresden mit dem Forschungsschwerpunkt Lean Six Sigma. Der-
zeit leitet sie die marktorientierte Unternehmensplanung in Europa.. Sie begann
ihre Laufbahn in der pharmazeutischen Industrie mit einer dualen Ausbildung zur
Dipl.-Betriebswirtin (BA). Zusätzlich studierte sie berufsbegleitend Betriebswirt-
schaft mit dem Schwerpunkt Controlling an der Hochschule Wismar mit dem Ab-
schluss Dipl.-Kauffrau (FH) sowie Health Care Management an der Dresden In-
ternational University/ TU Dresden mit dem Abschluss eines MBA. Seit 2004 ist
sie bei der Lilly Deutschland GmbH in unterschiedlichen Positionen tätig.
Gerd Streckfuß ist seit 1992 Partner am Institut für Qualitätsmanagement (IQM)
Dr. Weigang und Partner, Grossbottwar, und dabei verantwortlich für Methoden
im Bereich Entwicklungsmanagement. Zuvor war er Technischer Leiter bei der
Autoren-Kurzbiographien 359

Applicon GmbH in Frankfurt a.M. Danach Manager Business Development Euro-


pe bei Schlumberger Technologies GmbH. Außerdem ist er Mitbegründer und
Mitglied des QFD Institutes Deutschland e.V. und Mitglied des TRIZ-Centrums
Europe.
Armin Töpfer, Prof. Dr., leitet den Lehrstuhl für Marktorientierte Unternehmens-
führung an der Technischen Universität Dresden sowie die M+M Six Sigma
Group/Akademie® und die Forschungsgruppe Management+Marketing in Kassel.
Er ist Alleingesellschafter der M+M Consulting GmbH in Kassel. Frühere Statio-
nen waren an der Universität Freiburg, der E.A.P. Europäische Wirtschaftshoch-
schule in Düsseldorf, später Berlin, mit dem Hauptsitz in Paris und weiteren
Standorten in Oxford und Madrid, und der Schwerpunkt Management an der Uni-
versität Kassel. Er lehrt und forscht auf den Gebieten Management und Marketing
mit den Schwerpunkten Ganzheitliches Qualitätsmanagement/Business Excel-
lence, Geschäftsprozess-Optimierung/Six Sigma, Wertorientierte Unternehmens-
führung/Balanced Score Card, Dienstleistungsmarketing sowie Strategisches Mar-
keting. Auf diesen Gebieten arbeitet er mit großen und mittelständischen
Unternehmen zusammen. Er ist Vorsitzender oder Mitglied in Beiräten von In-
dustrie- und Dienstleistungsunternehmen.
Lars Vollmer, Dr.-Ing., ist geschäftsführender Partner der Vollmer & Scheffczyk
GmbH, einem unabhängigen Beratungs- und Serviceunternehmen für Lean Mana-
gement (Standorte Hannover/ Stuttgart). Er studierte an der Universität Hannover
Maschinenbau mit Schwerpunkt Umformtechnik und Produktionslogistik. Er hat
Lehraufträge an der Leibnitz Universität Hannover und der TU Braunschweig.
Klaus Weckheuer ist Betriebsleiter in einer europäischen Niederlassung eines a-
merikanischen Spezialchemikalienkonzerns. Nach Tätigkeiten im Bereich QM-
Systementwicklung absolvierte er die Ausbildung zum Black Belt in den USA.
Anschließend bearbeitete er mehrere Six Sigma Projekte in der Produktion, Logis-
tik sowie im R&D Bereich. Danach war er mehrere Jahre für das europäische
Qualitätsmanagement verantwortlich und begleitete dabei das Six Sigma Pro-
gramm sowie die Einführung von Lean Management Methoden.
Frank Ziegenhorn, Dipl. Kfm., M.A. Int’l Studies, MBA, arbeitet seit 2001 als
Organisationsspezialist und Senior-Projektkoordinator bei Advanced Micro Devi-
ces mit dem Schwerpunkt der Gestaltung der Verbesserungsarbeit für AMD Dres-
den. Zurzeit ist er für AMD Singapore tätig. Zuvor war er als freier Berater im Be-
reich Prozess- und Qualitätsmanagement tätig.
Christian Ziemer-Popp leitet seit 1995 das KVP-Büro bei AMD in Dresden. Er
war nach dem Studium des Chemieingenieurwesens als Planer und Betriebsinge-
nieur in der Halbleiterbranche bei der Siemens AG tätig. Dort durchlief er unter-
schiedliche Managementfunktionen. Seit 1996 ist er bei AMD in Führungspositio-
nen im Bereich Facility und der Produktion.
Stichwortverzeichnis

5S- (5A-) Methode zur Schaffung von Key Performance Indicators (KPI´s)
Ordnung und Sauberkeit am 101, 235
Arbeitsplatz 37, 118, 211, 261 Kriterienkatalog zur Bewertung des
5W-Methode 38, 118 Strategischen Nutzens 239
5-Sigma-Wand 74, 76 PE-Index 245
Process Life Cycle (PLC)-
6W-Analyse zur systematischen Management 246
Ableitung von Kundenanforderungen Process Life Cycle als
162 Flussdiagramm 247
Projektportfolio 241
7 Formen der Verschwendung (Muda) Siemens top+ Quality-Unternehmens-
28, 140 programm 306
strukturierter Prozess zur
Allowable Costs 82, 173 Projektbewertung und -auswahl
Bestimmung mit QFD 172 236
Andon-Tafel zur Produktionsüber- systematische Identifikation von
wachung 37, 118 Projektpotenziale 243
Arbeitsorganisation BSC (Balanced Scorecard) 101
Umgruppierung von Tätigkeiten 223 Business Assessment 101
Umverteilung von Arbeitsaufgaben Business Case 78, 120
219
Vor-Ort Analyse 224 CCD (Central Composite Design)
Workshops zur 217 123, 187
Autonomation 37, 117 Champions 93
Clusteranalyse 79
Badewannenkurve 72 Conjoint-Analyse 82
BBD (Box-Behnken-Design) 188 Cpk-Wert als Maß für die
Bearbeitungs- und Liegezeiten 35 Prozessfähigkeit 121
Bearbeitungszeit, wertschöpfende 34 Cp-Wert als Maß für die
Black Belts 93, 289 Prozessstreuung 121
Blended Learning 94 CTC (Critical to Cost) 320
Blitz-DMAIC-Zyklus 129 CTQ-Outputmessgrößen-Analyse 121
Boundary Diagramm 318 CTQs (Critical to Quality Characteris-
BPE (Business Process Excellence) tics) 3, 5, 46, 85, 121, 161, 173, 320,
Balanced Scorecard als Basis für die 324
Steuerung von 235 CTS (Critical to Satisfaction) 320
BPE-Haus von Boehringer Ingelheim
234 Datenanalyse 123
BPE-Projekte, Ermittlung des Design for Six Sigma (DFSS)
monetären Nutzens 238 6 Erfolgsfaktoren 320
BPE-Projekte, Freigabeentscheidung Anforderungsmanagement bei
243 Systemprojekten 314
Bubble Chart zur aggregierten Ansatzpunkte 8, 71
Projektbewertung 242 bei Siemens VDO Diesel Systems
Journey to Excellence (AMD) 209 307
362 Stichwortverzeichnis

Beitrag zur Erreichung der DPMO (Defects per Million


Unternehmensziele 88 Opportunities) 121
Einführungsanforderungen 91 Drifting Costs 82, 173
Integration in den PEP 312 Durchlaufzeit
Methodenbeschreibung 313 Priorisierung der Aufträge 276
Projektauswahl 92 Reduzierung der 272, 278
Qualitätskostenverlauf mit/ ohne 88 tagesgenaue Restlaufzeit 277
Tools 14 Durchlaufzeit vs. Kapazität 271
und (Lean) Six Sigma 75
verwendete Werkzeuge 315 EPEI (Every Part Every Intervall)
Wirkungen 86 155
Ziel 74 EVA (Economic Value Added) 89
DFMA (Design for Manufacturing and
Assembly) 70, 83 Fehlererkennung, selbstgesteuerte 37
DOE Design of Experiments Fehlerkosten, Auswirkungen auf die
4 Schritte des 175 Unternehmensziele 90
Festlegen der Ziel- und Fehlerniveau, in Kauf genommenes 11
Einflussgröße(n) 176 Fehlerquotient 50
Design Scorecards 85 FIFO-Bahnen 152
Design/ Entwicklung FIFO-Prinzip (First In First Out) 33, 37
Einfluss auf die Gesamtkosten 71 Fischgrätdiagramm 38
Design-Review 82 Flow-Prinzip 35
DfLSS-Projekte (Design for Lean Six FMEA Failure-Mode- and Effect-
Sigma) 291 Analysis/ Fehler-Möglichkeits- und
Diskriminanzanalyse 80 Einfluss-Analyse 43, 83, 122
DMADV-Zyklus 75, 77, 81, 83, 85, Fragebogendesign 336
160, 169
DMAIC-Zyklus 45, , 47, 58, 75, 118, Gage R&R 85, 108, 122
120, 297 Gesamtkapitalkostensatz (Weighted
Blitz-Version 127 Average Cost of Capital – WACC)
Grenzen des 75 91
Standard-Ansatz 120 Glenday Sieb 255
und Kaizen-Ansatz 104 Green Belts 93, 289
DMAIC- und DMADV-Zyklus
Entscheidungsbaum zum Einsatz 77
Heijunka 39
DMAIC- und DMEDI-Zyklus 298
HoQ (House of Quality) 80, 315
DOE (Design of Experiments)
Konzeption und Inhalte 167
3D-Oberflächen-Plots 186
Verknüpfung der HoQs 169
Beispiel „Wasserkochen“ 184
Vorgehensweise beim Erstellen 169
Bewertung 188
Durchführen von
IDOV-Zyklus 312
Bestimmungsversuchen 181
Durchführen von Innovationen
Auswirkung im Produkt/ Prozess 87
Optimierungsversuchen 185
Eigenschaften von Zielgrößen 176 Innovations-Checkliste 200
Wichtigkeit von 86
Prinzipdarstellung 177
Prognosefunktion 181, 186 Ishikawa-Diagramm 38, 43, 122
Screening der Einflussgrößen/ Ist-Situation
Analyse und Bewertung 101
Faktoren 180
und QFD 84
vollfaktorielles Experiment 182
Stichwortverzeichnis 363

Jidoka-Prinzip 138 und Six Sigma 59


Jishuken-Konzept 39 Wekzeuge 99, 105
Just-in-Time 116 Ziel 3, 7
Lean Management-Methoden
Kaikaku 114 Stärken-Schwächen-Profil 253
Kaizen 114, 253 Lean Manufacturing
8-Schritte-Methode 103 Empfehlungen für die Startphase 214
Kaizen-Level 157 in der Halbleiterindustrie 208
Kaizen-Workshops 114 kritische Erfolgsfaktoren 230
Prozess- vs. System-Kaizen 141 Lean Metrics 101
Ziele 157 Lean Prinzipien 139
Kanban 37, 118 Lean Projekt Turbo Fan Engines
Kano-Modell der Kundenzufriedenheit DMAIC-Zyklus 268
80, 164, 315 Durchlaufzeitenreduzierung 272
Keiretsu 39 Verbesserungsansatz 269
Kontinuierliche Verbesserung, 4 Schritte Visualisierung des
der 100 Fertigstellungsgrades 275
Kosteneinsparungen, Fokus auf 210 Lean Six Sigma 286
Kundenanforderungen Anforderungen an die
Priorisierung der 80 Unternehmenskultur 324
Umsetzung auf System- und Anforderungs-, Wirkungs- und
Komponentenebene 311 Gestaltungsfelder 15
Kundenbedürfnisklassifizierung nach Ansatzpunkte 8
Maslow 80 Bewertungskriterien 25
Motivklassen 165 Ebenen der Unternehmenskultur bei
Kundenerwartung 161 325
Kundennutzen 161 Engpassanalyse zur Kapazitäts-
Kundenproblemanalyse nach Shiba et al. steigerung 257
160 Erfolgsfaktoren der Einführung 281
Kundenprobleme 160 Gründe für 11
Kundenzufriedenheit 161, 163 im Rahmen von Management-
Basisanforderungen 164 Werkzeugen 14
Begeisterungsanforderungen 165 Inhalte 60
Leistungsanforderungen 164 integrierter Ansatz 5
KVP@AMD 213 kritische Erfolgsfaktoren 349
Missverständnisse/ Umsetzungsfallen
Lean DMAIC 58 62
Lean Management Optimierung im Produktionsbereich
5 Leitgedanken 214 (Beispiel) 259
6 AMD Lean-Prinzipien 215 Umsetzungsbausteine 64
Ansatzpunkte 8 Umsetzungstreiber 44
Bewertung 42 und Unternehmenskultur 323
Bewertungskriterien 25 Unternehmenskultur Typologie für
Erfolgsfaktoren 4 Lean Six Sigma 329
Geschichte (Toyota) 138 Vorreiterunternehmen 12
Gründe des Einsatzes 125 Wettbewerbsvorteil durch 324
handlungs-/ umsetzungsorientierte Wirkungsmechanismen 61
Ausrichtung 56, 118 Ziele 5, 326
Instrumente 14 Lean Six Sigma bei Lilly 323
Projektauswahl 92 Lean Six Sigma Rad 14
Umsetzungsbausteine 64
364 Stichwortverzeichnis

Lean Six Sigma Trainings 130 Net Benefit 48


Dauer und Zertifizierung 290 Netzplantechnik (PERT – Project
Trainingsinhalte 132, 134 Evaluation and Review Technique)
Lean Six Sigma-Methoden, 79
Prozesskategorisierung zur Null-Fehler-Qualität 5, 6, 45, 46, 90
Projektauswahl 255 Null-Messung 46
Lean Six Sigma-Programm bei Xerox
282 One-Piece-Flow 39
Lean Six Sigma-Projekte OEM (Original Equipment Manufac-
4 kritische Erfolgsfaktoren 287 turer) 40
Projektdurchführung 286
Lean Thinking Parameter-Diagramm 318
Prinzipien des 30 PDCA-Zyklus 116, 129
Lean- und Six Sigma-Methoden, Pitch 156
Synergieeffekt 285 Poka-Yoke 38, 117
Lean-Assessment 101 Polaritätenprofil 344
Lean-Management PPM (Parts Per Million) 10, 121
bei Toyota 28 Problemlösungszyklus, Entschei-
Inhalte 28 dungsbaum für Auswahl des 129
Konzeption 28 Process and Enterprise Maturity Model
Methoden und -Werkzeuge 117 (PEM-Modell) 27
Philosophie 28 Produktentstehungsprozess (PEP) 61
Ursprünge 28 Produktentwicklungsprozess (PEP) 312
Lean-Prinzipien 6 Produktfamilie 144
Lean-Projekt Turbo Fan Engines Produktionslosgröße 269, 271
Ausgangssituation 268 Produktionssteuerung
Ergebnisse 278 Gantt-Chart 228
Lieferantenmanagement Takt- und Prozesszeiten-Chart 226
von Toyota 39 Produktlebenszyklus 72
Likert-Skalierung 336 Produktzuverlässigkeit über die Lebens-
Logistik, integrierte 37 zeit 72
Programmintegration von Six Sigma
Magisches Dreieck der Betriebswirt- und Lean Management, Wesentliche
schaftslehre, erweitertes (Qualität - Elemente 252
Zeit - Kosten - Innovation) 3, 62, 87 Project Tracking System 299
Marktsegmente 79 Projekt Charter 46, 78, 120, 294
Maschinenfähigkeitsanalyse 85 Projektauswahlprozess, strukturierter 91
Master Black Belts 93, 289 Projektbewertungs- und Auswahlprozess
Materialflussdarstellung, Nachteile der 237
144 Projektplan (Multi Generational Plan)
Meilensteinplanung (Gantt-Diagramm) 78
79 Projektsponsoren 289
Messgrößen-Bestimmung, grundätz- Prozessanalyse 122
liches Vorgehen 46 Prozessausbeute (RTY-Wert) 85
Methoden-Know-how und Problem- Prozesse, standardisierte 5
Wissen 126 Prozesseigner (Champion) 86
Muda (Verschwendung) 28 Prozessfähigkeit (Cpk-Wert) 85
Mura (Variabilität) 29 Pull-System 36
Muri (Inflexibilität) 29
Stichwortverzeichnis 365

QFD (Quality Function Deployment) Gründe des Einsatzes 125


43, 80, 83 Philosophie 45
5 Schritte 160 Projektauswahl 92
Beispiel "Auto-Safe" 196 Qualitätsanspruch 10
Bewertung 175 Qualitätsniveau 9
Ermitteln der bauteilbezogenen Sigma-Wert 10, 50, 122
Zielkosten 172 Umsetzungsbausteine 64
Ermitteln der Kundenanforderungen Umsetzungstreiber 44
160 und Lean Management 59
Festlegen des technischen Konzepts Werkzeuge 14, 99, 106
167 Werkzeuge 99
Festlegen von Funktionen, Bauteilen Ziel 3, 7
usw. 170 Six Sigma und Lean Management
Ziele 167 Gemeinsamkeiten/ Unterschiede 254
QM-Methoden (Qualitätsmanagement-) Möglichkeiten der Kombination von
14, 38 57
QM-Tools (Qualitätsmanagement-), 43 Six Sigma-Akteure
Qualitäts- und Fehlerkosten 4 Gruppen 93
Spektrum der 70 inhaltliche Schulungsschwerpunkte
Qualitätsniveau 93
in dr deutschen Industrie 10 Six Sigma-Programm
Qualitätsverbesserungssysteme (QVS), Programmlebenszyklus (idealtypisch)
wesentliche Charaketeristika 115 251
Schwerpunkte und Erlebnisphasen
Rauschfaktoren (Noise) 84 250
Reaktionsflächen-Methodik (RSM – Stärken-Schwächen-Profil 252
Response Surface Methodology) 84, Six Sigma-Projekte
124, 187 Historie bei Siemens VDO Diesel
Regressionsanalyse 56 Systems 309
Reißleinen-Prinzip 117 Problemlösungsfluss 119
Risikoprioritätszahl (RPZ) 83 SMED (Single Minute Exchange of
Robust Engineering 318 Dies) 117, 212, 223
Robustheit von Produkten und Best-PM Methodik 222
Prozessen 73 SPC (Statistical Process Control) 43,
Robustness-and-Reliability-Checklist 124
(RRCL) 319 Standard-DMAIC-Zyklus 129
Statistische Prozessregelung (SPC) 85
S/N-Wert 84 Statistische Tests 46
Schrittmacher-Prozess (Pacemaker) 153 DOE (Design of Experiments) 43, 123
Signalfaktoren (Signal) 84 Steuergrößen 176
Simultaneous Engineering 86, 166 Stimme des Kunden (VOC) 86
SIPOC-Analyse (Supplier Input Process Störgrößen 176
Output Customer) 32, 108, 120 Supermarkt-Prinzip 37
Six Sigma Supermarkt-Pullsysteme 153
Ansatzpunkte 8 Supply-Chain-Management 32
Bewertung des Ansatzes 54
Bewertungskriterien 25 Taktzeit 35
Beispiel GE 48 Target Costing 83, 172
Denkweise 46, 119 8 Schritte der Target Costing-Analyse
Einführungsprozess 11 173
erkenntnisorientierter Ansatz 56, 118
366 Stichwortverzeichnis

Teamarbeit Versuchsplanung 180


in der Produktion 209 vollfaktorielle 179
Teamziele, flexible 210 Vorauswahl von Einflussgrößen 179
Tollgate-Reviews 298 VOC – Voice of the Customer 160
Total Cost of Ownership 71 VOC-CTQ-Analyse 80, 121
Total Productive Maintenance (TPM) VSM (Value Stream Mapping) 109,
117 101, 117
Toyoda, Sakichi 138
Toyota Produktionssystem (TPS) 29, Weibull-Verteilung 85
35, 138 Wertschöpfung 139
TPM-Konzept (Total Productive Wertschöpfungsanalyse 34
Maintenance) 37 Wertschöpfungsgebirge 34
Transportlosgröße 269 Wertstrom 142
TRIZ 61, 82 Wertstromanalyse 32, 101, 253
5 Schritte (ARIZ) 189 Beispiele 32, 145, 258
Altschuller´s Widerspruchstabelle IST-Wertstrom, 7 Schritte der
191 Ermittlung 145
Beispiel "Auto-Safe" 200 Kennzahlen 32
Bewertung 195 Schritte 33
Idealitätsgrad 191 Wertstromdesign 32, 33, 137, 143
Lösungsfindung am Beispiel Ablauf 144
„Milchkochen“ 193 Umsetzungsprinzipien 156
Methoden und Instrumente 192 SOLL-Wertströme, 7 Leitlinien für
Ziel der Methodik 190 149
Zielsuche & Problemformulierung) Ziele 33
189
Yellow Belt 289
Unternehmenskultur 323
Unternehmensziele, Definition der und Zehnerregel 70
Priorisierung der Aktivitäten 102 Zeiterfassung
Ursachen-Wirkungs-Analysen 122 von Tätigkeiten 217
Ursachen-Wirkungs-Beziehungen 46 Zellenfertigung 117
Zielkosten-Kontrolldiagramm 173
Verbesserungen in 3 Stufen 60 Zukünftiger Kundenvorteil 161
Versuchspläne 123

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