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Abstract
Das Vorhofflimmern ist eine häufige Herzrhythmusstörung, die ca. 1–2% der Bevölkerung in
Deutschland betrifft und im Rahmen verschiedener kardialer oder extrakardialer
Grunderkrankungen auftreten kann. Klinisch bleibt das Vorhofflimmern häufig symptomarm,
es kann jedoch auch zu Palpitationen und Herzrasen führen. Bei Brady- oder
Tachyarrhythmien können Synkopen auftreten, während durch die fehlende Synchronität
zwischen Vorhof und Kammer auch Symptome einer Herzinsuffizienz hervorgerufen oder
verschlimmert werden können. Durch Bedingungen einer turbulenten Strömung im linken
Vorhof bei ineffektiver Kontraktion wird zudem eine Thrombenbildung begünstigt, was zu
einem deutlich erhöhten Risiko für Thromboembolien führt.
Du möchtest diesen Artikel lieber hören als lesen? Wir haben ihn für dich im Rahmen unserer
studentischen AMBOSS-Audio-Reihe vertont. Den Link findest du am Kapitelende in der
Sektion “Tipps & Links".
Epidemiologie
Prävalenz:1–2% in der Gesamtbevölkerung, somit häufigste
anhaltende Herzrhythmusstörung
o Altersabhängigkeit: Die Inzidenz des Vorhofflimmerns steigt mit dem
Alter erheblich an
o Geschlecht: ♂ > ♀
Epidemiologische Risikofaktoren
o Arterielle Hypertonie
o Adipositas
o Diabetes mellitus
o Chronische Niereninsuffizienz
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Primäres Vorhofflimmern (ca. 15%): Ohne zugrundeliegende strukturelle
Herzerkrankung („Lone Atrial Fibrillation“, „idiopathisches Vorhofflimmern“)
Sekundäres Vorhofflimmern: Durch zugrunde liegende epidemiologische
Risikofaktoren oder Erkrankungen ausgelöste Formen
o Kardiale Erkrankungen
Myokarditis
Mitralstenose und andere Klappenvitien (valvuläres
Vorhofflimmern, s.u.)
Koronare Herzkrankheit, insb. bei bereits
eingetretenem Myokardinfarkt
Chronische Herzinsuffizienz (inkl. der hypertensiven
Herzkrankheit als Komplikation der arteriellen Hypertonie)
Kardiomyopathien
Vorhofseptumdefekte und andere angeborene Herzfehler
Erkrankungen der Reizbildung und
Reizweiterleitung (z.B. Sick-Sinus-Syndrom, Präexzitationssyn
drome)
o Extrakardiale Erkrankungen
Hyperthyreose
Elektrolytstörungen (insb. Hypokaliämie)
Akute (z.B. Lungenembolie) und chronische
(Rechts-)Herzbelastung (z.B. COPD)
Rezidivierende oder chronische Hypoxien (z.B.
bei Schlafapnoe-Syndrom oder chronischen
Lungenerkrankungen)
Medikamentös-toxische Einflüsse
Holiday-Heart-Syndrom : Auftreten
von Herzrhythmusstörungen (insb. paroxysmales
Vorhofflimmern) bei Herzgesunden nach
Alkoholexzess (auch bei jungen Menschen)
Klassifikation
Einteilung nach Häufigkeit und Dauer des Auftretens
o Paroxysmales VHF: Spontan innerhalb von 48 h bis maximal 7 Tage in
den Sinusrhythmus konvertiertes Vorhofflimmern
o Persistierendes VHF: Dauert länger als 7 Tage an, konvertiert entweder
spontan oder wird durch Kardioversion (iatrogen!) beendet
o Lang anhaltendes persistierendes VHF: Dauert länger als 1 Jahr an,
bevor eine Entscheidung hinsichtlich einer
therapeutischen Rhythmuskontrolle erfolgt
o Permanentes Vorhofflimmern: Unmögliche Rhythmuskontrolle, somit
akzeptiertes Vorhofflimmern
Einteilung nach Vorhoffrequenz
o Vorhofflimmern → Vorhoffrequenz 350–600/Minute
o Vorhofflattern → Vorhoffrequenz 250–450/Minute (siehe auch:
Differenzialdiagnose)
Symptome/Klinik
Asymptomatische Verläufe: Häufig, bei bis zu ⅓ der Patienten!
Mögliche Symptome
o Palpitationen und Herzrasen
o Unregelmäßiger Puls
o Schwindel, ggf. Synkope
o Angst, innere Unruhe
o Symptome der Herzinsuffizienz bzw. Auftreten einer kardialen
Dekompensation
o Zeichen von abgelaufenen systemischen Embolien, z.B. Hirninfarkte/TIA
Diagnostik
Anamnese und klinische Untersuchung
o Beginn des Vorhofflimmerns – sicher oder unsicher?
o Mögliche Auslöser des Vorhofflimmerns erfragen: Körperliche
Belastung, Alkohol, Infektionen
o Hinweise auf stattgehabte Embolien: Hirninfarkte/TIA, Niereninfarkte,
Milzinfarkte, Mesenterialinfarkte
o Palpation des Pulses: Unregelmäßige Herzaktion
o Pulsdefizit: Differenz zwischen peripher tastbarer Pulsfrequenz und
„hörbarer“ bzw. im EKG angegebener Herzfrequenz
o Wechselnde Lautstärke des 1. Herztons
Labordiagnostik
Differenzialdiagnosen
Vorhofflattern
Definition
Weitere
Supraventrikuläre Tachykardien inkl. Präexzitationssyndromen
Ventrikuläre Tachykardie, insb. bei Patienten mit einem Schenkelblockbild
Bei bekanntem oder vermutetem Präexzitationssyndrom und zusätzlichem Vorhofflimmern
oder Vorhofflattern keine negativ chronotrope Therapie mit Wirkung auf den AV-
Knoten (Adenosin, Betablocker, Digitalisglykoside, Verapamil) verabreichen, sondern
elektrisch kardiovertieren – ansonsten droht die Induktion von Kammerflimmern!
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf
Vollständigkeit.
Therapie
Score Frauen ≥3, Männer ≥2) soll eine unbefristete Blutverdünnung (orale Antikoagulation)
durchgeführt werden . (DGIM - Klug entscheiden in der Kardiologie)
Vorhofohrverschluss
Indikation: Möglichkeit einer Thromboembolie-Prophylaxe für Patienten, bei denen
eine Antikoagulationsbehandlung langfristig nicht möglich ist oder abgelehnt wird
Therapieprinzip:Ausschaltung des Vorhofohres am linken Vorhof („Left Atrial
Appendage“, LAA), das in den meisten Fällen Bildungsort eines Vorhofthrombus
ist
Frequenzkontrolle
Definition: Frequenzkontrolle bezeichnet einen Therapieansatz, bei dem darauf
verzichtet wird, das Vorhofflimmern zu beenden und
einen Sinusrhythmus herzustellen. Stattdessen wird ein normofrequentes
Vorhofflimmern angestrebt.
Indikation: Basistherapie bei jeder Form des tachykarden Vorhofflimmerns (TAA)
Ziel-Herzfrequenz: I.d.R. reicht eine moderate Frequenzkontrolle (<110/min) zur
Symptomkontrolle aus, eine strikte Frequenzkontrolle (<80/min) sollte nur bei
fortbestehenden Symptomen durchgeführt werden
Therapeutische Optionen
o 1. Wahl: Betablocker (z.B. Metoprolol)
o Alternative: Calciumantagonisten vom Verapamil-Typ bei
Kontraindikationen für Betablocker
o Bei Scheitern der Monotherapie: Kombination
von Betablocker oder Verapamil mit
Digitalisglykosid (z.B. Digoxin)
o Ultima ratio: Implantation
eines Herzschrittmachers und Katheterablation des AV-Knotens
Calciumantagonisten vom Verapamil-Typ dürfen nicht mit Betablockern kombiniert werden,
da AV-Blockierungen und eine Abnahme der Auswurfleistung zu befürchten sind!
Bradyarrhythmia absoluta
Definition:Eine bradykarde Herzfrequenz bei Vorhofflimmern wird
als Bradyarrhythmia absoluta bezeichnet, ggf. ist eine frequenzsteigernde
Behandlung notwendig.
Therapieoptionen zur Frequenzsteigerung
o Atropin
o Orciprenalin
o Anlage eines temporären Herzschrittmachers, ggf. mit Anschluss einer
definitiven Herzschrittmacher-Implantation
o Kardioversion
Rhythmuskontrolle (Kardioversion)
Definition:Rhythmuskontrolle bezeichnet einen Therapieansatz, bei dem versucht
wird, das Vorhofflimmern in den Sinusrhythmus zu konvertieren und in der Folge
den Sinusrhythmus zu erhalten.
Indikation:
Bei Symptompersistenz trotz Frequenzkontrolle bzw. bei Aussicht auf
lange Rezidivfreiheit nach Kardioversion
o Notfallindikation: Tachyarrhythmia absoluta mit kardialer
Dekompensation und hämodynamischer Instabilität, i.d.R.
als elektrische Kardioversion.
o Elektive Kardioversion: Bei hämodynamisch stabilen, aber durch das
Vorhofflimmern beeinträchtigten Patienten stellen eine elektrische oder
eine medikamentöse Kardioversion therapeutische Optionen dar.
o Langfristige Rhythmuskontrolle: Zur Reduktion symptomatischer
Vorhofflimmer-Rezidive; die langfristige Rezidivfreiheit ist mit
allen Antiarrhythmika nur eingeschränkt möglich. Die Häufigkeit
von Rezidiven und die Dauer von Vorhofflimmer-Episoden können
jedoch reduziert werden. Potenziell proarrhythmische Effekte sind bei der
Indikationsstellung zu beachten, insb. bei Patienten mit strukturellen
Herzerkrankungen.
Eingeschränkte Erfolgsaussichten bei:
o Vorhofflimmern >12 Monate (Richtwert)
o Fortgeschrittene strukturelle Herzerkrankung
o Dilatation des linken Vorhofs (Durchmesser >50 mm in
der Echokardiografie)
o Valvuläre Genese (insb. Mitralstenose)
o Unzureichend behandelte zugrunde liegende Ursache
(z.B. Hyperthyreose)
Therapeutische Optionen
ElektrischeKardioversion: Nach Sedierung des Patienten durch eine mit der
Herzaktion synchronisierte transthorakale Applikation von
biphasischem Gleichstrom über einen Defibrillator – es erfolgt ein
kontinuierliches EKG-Monitoring.
Medikamentöse Rhythmuskontrolle: Gabe eines zur Rhythmuskontrolle geeigneten
antiarrhythmischen Wirkstoffs unter Beachtung spezifischer Kontraindikationen
o Klasse-Ic-Antiarrhythmika
Flecainid und Propafenon (i.v. oder p.o.)
o Klasse-III-Antiarrhythmika
Amiodaron (i.v. oder p.o.)
Dronedaron (nur p.o.)
Sotalol (nur p.o.)
o „Pill in the pocket“-Konzept:
Ambulante medikamentöse Kardioversion in Eigenregie des Patienten
Katheterablation:Herzkatheteruntersuchung mit elektrischem Mapping der
Erregungsleitung und -ausbreitung, nach Identifikation von Bildungszentren für ein
Vorhofflimmern erfolgt eine Ablation
Chirurgische Techniken: Maze-Operation
Komplikationen
Thromboembolie
Thrombenbildung (insb. im linken Vorhofohr)
o Abgang als Embolus
Gehirn (ischämischer Schlaganfall)
Nieren- oder Milzinfarkt
Verschluss der Beinarterien (akuter arterieller Verschluss)
Mesenterialinfarkt
Die drei wichtigsten Embolieorgane sind Gehirn, Niere und Milz!
Akronym Risikofaktor
D Diabetes mellitus
S
2 Schlaganfall/TIA/Thromboembolie
CHA DS VASc-Score
2 2 Schlaganfallrisiko/Jahr
1 ca. 1%
2 ca. 2%
3 ca. 3%
4 ca. 4%
5 ca. 7%
6 ca. 10%
HAS-BLED Kriterium
H Hypertonus
S Schlaganfall
Auswertung
Ein hoher HAS-BLED-Score schließt die Möglichkeit einer Antikoagulation nicht aus –
Patienten mit einem hohen Score erfordern jedoch bei Einstellung und Überwachung einer
Antikoagulation besondere Sorgfalt!
HAS-BLED-Score (Rechner)
Weitere Komplikationen
Insb. durch eine unkontrollierte Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern kann die
Herzleistung kurz- oder langfristig eingeschränkt sein – es resultiert die Klinik
einer Herzinsuffizienz.