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Diana Iancu

Phlebothrombose

Synonyme: (tiefe) Beinvenenthrombose, TVT, TBVT


Englisch: phlebothrombosis, deep vein thrombosis, DVT

1 Definition
Unter dem Begriff Phlebothrombose versteht man einen thrombotischen Verschluss tiefer Venen, die
mit der Gefahr einer Lungenembolie oder der Entwicklung einer chronisch venösen
Insuffizienzeinhergeht.

2 Epidemiologie
Die Phlebothrombose ist ein häufiges Krankheitsbild. Da viele tiefe Thrombosen stumm verlaufen und
erst Jahre später diagnostiziert werden, kann über die wahre Häufigkeit nur schwer eine Aussage
gemacht werden. Die Unterschenkelregion, meistens links, ist Prädilektionsstelle.

3 Ätiologie und Pathogenese


Wie bei allen Thrombosen ist auch bei der Phlebothrombose die Kombination aus Verlangsamung der
Strömungsgeschwindigkeit, Wandveränderungen und Blutgerinnungsstörung (sogenannte Virchow-Trias)
entscheidend.
Immobilisierung des Patienten oder Traumatisierung der Vene führt zur Stase, die Gefäßwandschädigung
beruht auf Verletzungen, Operationen oder Entzündungen und als Ursache für die Gerinnungsstörung
kommen hämatologische und neoplastische Erkrankungen in Frage. Patienten, die sich einem
chirurgischen Eingriff im Bauch- oder Beckenbereich unterziehen mussten, sind in der postoperativen
Phase besonders gefährdet, eine Phlebothrombose zu entwickeln. Auch bei Wöchnerinnen ist das Risiko
erhöht.

4 Symptomatik
Kleinere Phlebothrombosen können asymptomatisch verlaufen. Typische Symptome bei ausgeprägten
Venenthrombosen sind:
● Ödeme am Fußknöchel, am Unterschenkel oder am ganzen Bein
● Gerötete und gespannte Haut, eventuell mit livider bis zyanotischer Verfärbung
● Spannungsgefühl und/oder Schmerzen in Fuß, Wade und Kniekehle, die sich bei Hochlagerung bessern
● Wärmegefühl und/oder Überwärmung des betroffenen Beins
Weitere Warnhinweise sind eine Erweiterung der oberflächlichen Venen am Unterschenkel,
ein Kletterpuls und subfebrile Temperaturen.

5 Komplikationen
In 10-30% der Fälle führt eine Phlebothrombose nachfolgend zur Lungenembolie, die selten tödlich endet
und in 50% der Fälle zum postthrombotischen Syndrom.

6 Sonderform
Die Phlegmasia coerulea dolens ist eine Sonderform der Phlebothrombose, die, durch Störung der
Mikrozirkulation, mit einer kompletten Verlegung des venöses Abflußes einer Extremität einhergeht. Die
betroffene Extremität ist schmerzhaft zyanotisch, nachfolgend entwickelt sich eine Gangrän, welche
unbehandelt zum lebensbedrohlichen Schock führt.

7 Diagnostik

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Die Diagnostik anhand der klinischen Untersuchung der Schmerzpunkte (z.B. Homans-Zeichen, Payr-
Zeichen, Meyer-Zeichen) kann Hinweise auf die Lokalisation der Phlebothrombose liefern, ist aber
unzuverlässig.
Zur Beurteilung eines Phlebothrombose-Verdachts der unteren Extremität hat sich in den letzten Jahren
der Wells-Score etabliert. Ergänzend erfolgt die Bestimmung des D-Dimers. Ein normales D-Dimer
schließt eine Phlebothrombose in der Regel aus, so dass sich weitere Untersuchungen erübrigen.
Umgekehrt kann aus einem erhöhten D-Dimer jedoch nicht automatisch auf das Vorliegen einer
Phlebothrombose geschlossen werden.
Durch die Duplex-Sonographie oder den Plasmintest mit radioaktivem Technetium, kann die Diagnose
gesichert werden. Die Phlebographiekann ebenfalls durchgeführt werden.

8 Differentialdiagnose
● Muskelriss
● Muskelzerrung
● Erysipel
● Phlegmone

9 Therapie
Um ein postthrombotisches Syndrom zu vermeiden, sollte bei frischen Thrombosen im Becken - und
Oberschenkelbereich eine frühzeitige Thrombolyse durchgeführt werden.
Anwendung finden dazu die Thrombolytika Streptokinase, Urokinase oder
rekombinante Plasminogenaktivatoren (rtPa). Die Behandlung dauert etwa 5 bis 7 Tage, anschliessend
erfolgt eine Thromboseprophylaxe mit Heparin oder Acetylsalicylsäure.

Periphere arterielle Verschlusskrankheit


(Weitergeleitet von PAVK)
Synonyme: pAVK, Schaufensterkrankheit
Englisch: peripheral arterial disease, PAD, peripheral arterial occlusive disease

1 Definition
Mit dem Begriff periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) bezeichnet man ein Krankheitsbild,
das durch eine fortschreitende Stenosierung bzw. den Verschluss (Okkludierung) der arteriellen Arm-
oder (häufiger) Beingefäße entsteht.

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siehe auch: Schaufensterkrankheit

2 Einteilung

2.1 ...nach Symptomatik
Die pAVK der Beingefäße wird anhand der Symptomatik nach Fontaine eingeteilt in:

Stadium   Symptomatik

Stadium I   symptomfrei, meist klinischer Zufallsbefund (z.B. fehlende periphere Pulse)

Stadium II   Claudicatio intermittens

  IIa beschwerdefreie Gehstrecke > 200m

  IIb beschwerdefreie Gehstrecke < 200m

Stadium III    Ruheschmerz

Stadium IV    Trophische Störungen (Nekrosen, Ulzera, Gangrän)

2.2 ...nach Lokalisation
● Ein-Etagen-Erkrankung
● Mehr-Etagen-Erkrankung
● pAVK vom Beckentyp ("B-Typ", aortoiliakal)
● pAVK vom Oberschenkeltyp ("O-Typ", femuropopliteal)
● pAVK vom Unterschenkeltyp ("U-Typ", auch: pAVK vom peripheren Typ)

2.3 ...nach Verlauf
● Akute pAVK
● Chronische pAVK

3 Epidemiologie
Die periphere arterielle Verschlusskrankheit ist eine relativ häufige Erkrankung. Die Prävalenz wird in
Deutschland mit bis zu 10% der Bevölkerung über 50 Jahren angegeben - allerdings wird die Erkrankung
nur in einem Drittel der Fälle symptomatisch. Männer sind rund viermal häufiger betroffen als Frauen.

4 Pathogenese

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Die pAVK entsteht zu über 90% auf dem Boden einer Arteriosklerose.

5 Diagnostik
● Typische Anamnese
● Körperliche Untersuchung
o Inspektion (Hautfarbe, Störungen der Trophik)
o Palpation (Pulsstatus)
o Auskultation (Maschinenartige Shunt-Geräusche distal der Stenose)
o Prüfung von Sensibilität und Hauttemperatur
● Klinische Funktionstests
o Gehversuch (Laufband)
o Ergometrie
o Lagerungsprobe nach Ratschow
o Faustschlussprobe
o Allen-Test
● Dopplersonographie
● Bildgebende Diagnostik
o Farbdopplersonographie
o Digitale Subtraktionsangiographie (DSA)
o CT-Angiographie (CTA)
o Magnetresonanzangiographie (MRA)
● Labor
o CRP
o MMP-9
o SEP

Hyperthyreose
Synonyme: Schilddrüsenüberfunktion, Hyperthyreoidismus 
Englisch: hyperthyroidism

1 Definition
Die Hyperthyreose bezeichnet eine Überfunktion der Schilddrüse. Die durch eine Hyperthyreose
bedingte Stoffwechselentgleisung nennt man Thyreotoxikose.
Das Gegenteil der Hyperthyreose ist die Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose).

2 Einteilung

2.1 ...nach Ort der Störung


Man unterscheidet:

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● primäre Hyperthyreosen: echte Schilddrüsenüberfunktion durch inadäquate Sekretion
von Schilddrüsenhormonen bei Störungen der Schilddrüse selbst, z.B. bei Autonomien und Morbus
Basedow
o manifest: Erhöhung der peripheren Schilddrüsenhormone und gleichzeitige TSH-Erniedrigung
o latent: isolierte TSH-Erniedrigung
● sekundäre Hyperthyreosen: überschießende Anregung durch eine erhöhte TSH-Aktivität, z.B. bei
hormonbildenden Tumoren der Hypophyse)

2.2 ...nach Symptomatik
Unabhängig davon ist die Unterscheidung in subklinische (asymptomatische) und klinische (mit
Symptomen behaftete) Hyperthyreosen.

2.3 ...nach Ätiologie
● Medikamenten-induzierte Hyperthyreose (Amiodaron-induzierte Hyperthyreose)
● Paraneoplastische Hyperthyreose

3 Ätiologie
Die häufigsten Ursachen einer Hyperthyreose sind eine Schilddrüsenautonomie und ein Morbus
Basedow. Seltener können u.a. auch eine Thyreoiditis oder ein Schilddrüsenkarzinom sowie -
hormonresistenz sein.

4 Symptome
Klinische Zeichen einer Hyperthyreose sind u.a.:
● Unruhe, Nervosität, Erregung und Hyperaktivität
● Schlafstörungen
● Wärmeintoleranz mit erhöhter Schweißneigung
● Arrhythmien, z.B. Vorhofflimmern und Sinustachykardien
● Arterielle Hypertonie, hohe RR-Amplitude
● feinschlägiger Tremor
● Gewichtsverlust mit großem Appetit
● Muskelschwäche
● Erhöhte Stuhlfrequenz bis hin zum Durchfall
● Menstruationsstörungen
● Alopezie
Die Symptomatik einer Hyperthyreose kann nach klinischen Gesichtspunkten mithilfe des Burch-
Wartofsky-Scores bewertet werden.

5 Diagnostik
Neben Anamnese (Medikamente, Kontrastmitteluntersuchungen) und körperlicher Untersuchung ist
eine Laboruntersuchung zur Diagnostik der Hyperthyreose unerlässlich. Additiv kommen zur weiteren
Abklärung auch Sonographie und Isotopenuntersuchungen (Szintigraphie) zum Einsatz.

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5.1 Laboruntersuchung
● Serumkonzentrationen der Hormone fT3 und fT4
● TSH-Spiegel erniedrigt (außer bei sekundärer Hyperthyreose und Schilddrüsenhormonresistenz)
● Schilddrüsen-Antikörper (TRAK, TPO-Ak, Tg-Ak)

5.2 Dopplersonographie
● Vergrößerte Schilddrüse (Struma)
● Vermehrte Vaskularisierung
● Inhomogenitäten

5.3 Szintigraphie
● Erhöhter Uptake von Isotopen (z.B. Technetium)
Bei latenter Hyperthyreose sind die Serumkonzentrationen der Schilddrüsenhormone noch
im Normbereich und es zeigt sich im Labor lediglich eine Erniedrigung des TSH. Von
einer manifestenHyperthyreose spricht man, wenn im weiteren Verlauf auch eine Erhöhung der
Schilddrüsenhormone nachweisbar ist. Das fT3 ist dann fast immer erhöht, fT4 in rund 90 % der Fälle.

6 Therapie
Die Therapie einer Hyperthyreose richtet sich nach ihrer genauen Ursache. Sie umfasst meist mehrere
Therapiemaßnahmen.

6.1 Medikamentöse Therapie
Eine Basismaßnahme ist die Senkung des erhöhten Hormonspiegels
mit Thyreostatika wie Thiamazol, Carbimazol oder Propylthiouracil. Sie hemmen
die Schilddrüsenhormonsynthese, wirken jedoch erst mit einer Latenz von etwa einer Woche. Wird die
Hyperthyreose durch eine Thyreoiditis ausgelöst, sind sie unwirksam, da sie die Freisetzung der in der
Schilddrüse gespeicherten Hormone im Rahmen der Entzündung nicht
beeinflussen. Adjuvant werden Betablocker (Propranolol) verabreicht, um die Symptomatik, v.a.
die Tachykardie, abzumildern.

6.2 Operative Therapie
Durch eine Strumaresektion oder Thyreoidektomie wird das hormonproduzierende Schilddrüsengewebe
reduziert oder entfernt. Voraussetzung ist eine präoperative Normalisierung der Hormonwerte. Nach
vollständiger Entfernung der Schilddrüse ist lebenslang eine Hormonersatztherapie mit Thyroxin zur
Vermeidung einer Hypothyreose erforderlich.

6.3 Radiojodtherapie
Eine Radiojodtherapie zerstört das Schilddrüsengewebe durch radioaktive Strahlung, die mithilfe
von Radiopharmaka zugeführt wird. Sie kann nach einer medikamentösen Normalisierung der Laborwerte
alternative zur Operation eingesetzt werden. Bei Schwangeren und in der Stillzeit ist sie kontraindiziert.

6.4 Therapie der thyreotoxischen Krise


Die Behandlung erfordert notfallmedizinische Maßnahmen und umfasst u.a:
● medikamentöse Therapie:
Thyreostatika, Natriumperchlorat, Glukokortikoide (Prednisolon), Gallensäurebinder
● Betablocker, Heparin (Thromboseprophylaxe)

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● sonstige Maßnahmen: Elektrolyt- und Flüssigkeitsersatz, Parenterale
Ernährung, Hyperthermiebehandlung (z.B. durch Eisbeutelpackungen), Antibiotikagabe bereits bei
Verdacht einer bakteriellen Infektion
● allgemeine pflegerische Maßnahmen: Dekubitusprophylaxe, Trachealtoilette

Hypothyreose
Synonym: Schilddrüsenunterfunktion 
Englisch: hypothyroidism

1 Definition
Hypothyreose ist der medizinische Fachausdruck für eine Unterfunktion der Schilddrüse.
Das Gegenteil der Hypothyreose ist die Thyreotoxikose bzw. die Hyperthyreose.

2 Einteilung

2.1 ...nach Ort der Störung


Man unterscheidet
● primäre Hypothyreosen: "echte" Schilddrüsenunterfunktionen, bei denen die Funktion der Schilddrüse
selbst gestört ist, und
● sekundäre Hypothyreosen: mangelnde Anregung durch eine reduzierte TSH-Aktivität, z.B. bei
Schädigungen der Hypophyse.
Seltene Formen der Hypothyreose sind tertiäre Störungen (z.B. bei Schädigungen
des Hypothalamusoder beim Pickardt-Syndrom, einer Unterbrechung der Portalgefäße zwischen
Hypothalamus und Hypophyse) sowie die Schilddrüsenhormonresistenz, eine angeborene Störung der
Rezeptoren für Schilddrüsenhormone.
Die primäre Hypothyreose wird wiederum in eine manifeste (Erniedrigung der
peripheren Schilddrüsenhormone und darauf zurückgehende TSH-Erhöhung) und eine latente Form
(isolierte TSH-Erhöhung bei noch normalen peripheren Schilddrüsenhormonen) unterteilt.
Es ist Gegenstand aktueller Kontroversen, ob die Obergrenze des TSH-Referenzbereichs abgesenkt
werden sollte, und ob die so definierten sublatenten Funktionsstörungen einen Krankheitswert besitzen.
Bei sekundären Hypothyreosen unterscheidet man eine partielle (erniedrigte oder niedrig normale
periphere Schilddrüsenhormone bei inadäquat niedriger, aber noch im Referenzbereich liegender TSH-
Aktivität) von einer kompletten thyreotropen Insuffizienz (Hypothyreose bei supprimierter TSH-Aktivität).

2.2 ...nach Symptomatik
Unabhängig davon ist die Unterscheidung in subklinische (asymptomatische) und klinische (mit
Symptomen behaftete) Hypothyreosen.

2.3 ...nach Zeitpunkt des Auftretens


● Angeborene Hypothyreose (kongenitale Hypothyreose)
● Erworbene Hypothyreose

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3 Ätiologie
Meist ist eine Autoimmunthyreopathie die Ursache für eine primäre Hypothyreose. Eine etwas seltenere
Ursache ist eine polyzystische Schilddrüsenerkrankung. Darüber hinaus kommen Hypothyreosen auch
nach Operationen oder Radiojodtherapien vor (thyreoprive Hypothyreose). Gelegentlich können sie
Symptome einer Vergiftung sein. Verhältnismäßig selten sind akute und subakute Thyreoiditiden. Unter
dem Begriff der idiopathischen Hypothyreose werden unterschiedliche Ätiologien, u.a. eine
abgelaufene Silent-Thyreoiditis und genetische Ursachen zusammengefasst.
Sekundäre und tertiäre Hypothyreosen sind durch Störungen der Hypophyse, des Hypothalamus oder
des hypothalamo-hypophysären Portalgefäßsystems bedingt. Ursachen hierfür können Neoplasien (z.
B. Hypophysenadenome), Infarkte (z. B. Sheehan-Syndrom), Operationen oder Schädel-Hirn-
Traumata sein. Ebenfalls zu den sekundären Hypothyreosen gehört die reversible thyreotrope
Adaptation im Rahmen eines Non-Thyroidal-Illness-Syndroms.
Eine Schilddrüsenhormonresistenz gehört ebenso wie Enzymdefekte in der Schilddrüse (dyshormogene
Struma) zu den angeborenen erblichen Krankheitsbildern.

4 Symptome
Typische Allgemeinsymptome der Hypothyreose sind Müdigkeit, Appetitlosigkeit und Gewichtszunahme.
Darüber hinaus sieht man:
● Trockene raue Haut
● Kälteintoleranz
● Haarausfall
● Bradykardie
● Myxödem
● Obstipation
● raue Stimme
● Fettstoffwechselstörungen (v.a. Hypertriglyceridämie)
Bei vielen Patienten kommt es zu einer Früharteriosklerose. Bei Patienten mit lange andauernder und
ausgeprägter Hypothyreose kann eine Herzinsuffizienz entstehen. Darüber hinaus ist das Auftreten eines
proteinreichen Perikardergusses möglich.
Eine schwere Hypothyreose kann in ein lebensbedrohliches Myxödemkoma münden, das auch heute
noch trotz intensivmedizinischer Behandlung eine hohe Letalität aufweist.

5 Therapie
Neben der Beseitigung der Ursache bei sekundären und tertiären Hypothyreosen besteht die Therapie in
der Hormonsubstitution (z.B. mit Levothyroxin).
Um die Lebensqualität der Betroffenen und ihre Prognose zu verbessern, können
zusätzlich supportiveMaßnahmen erforderlich sein. Bei gleichzeitig
bestehenden Fettstoffwechselstörungen wird beispielsweise seine dauerhafte lipidsenkende Therapie
empfohlen.
Trotz Therapie mit Levothyroxin und normaler TSH-Konzentration unter Substitution verbleiben bei etwa
10% der Betroffenen dauerhafte Einschränkungen der Lebensqualität.[1] Die Ursache dieses "Syndroms
T" ist unbekannt. Diskutiert werden u.a.[1][2][3]
● eine inadäquate Substitutionsdosis - durch mangelnde Adjustierung auf den individuellen Sollwert
der Schilddrüsenhomöostase),

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● eine verminderte Bildung von T3 und möglicherweise nicht klassischen Schilddrüsenhormonen bei einer
reinen Substitutionstherapie mit T4,
● immunologische Phänomene und
● psychologische Faktoren.

Ulcus ventriculi
Synonyme: Magengeschwür, Magenulkus, Ulkuskrankheit des Magens, peptisches Ulkus
Englisch: gastric ulcer

1 Definition
Das Ulcus ventriculi ist ein Geschwür (Ulkus) der Magenschleimhaut. Es handelt sich um eine Form
der gastroduodenalen Ulkuskrankheit.
siehe auch: Ulcus duodeni

2 Histologie
Der Schleimhautdefekt eines Ulcus ventriculi überschreitet die Lamina muscularis mucosae. Dadurch
heilt ein Ulcus ventriculi nicht narbenfrei ab. Es kann histopathologisch von außen nach innen in vier
Zonen eingeteilt werden:
● Außenzone mit Fibrin, Granulozyten und Zelltrümmern
● Eosinophile Quellungsnekrose
● Granulationsgewebe
● Zentrale Narbenzone
Die Lokalisation des Ulcus ventriculi entspricht weitgehend dem Befallsmuster der chronischen Gastritis.

2.1 Klassifikation nach Johnson


Basierend auf der Lokalisation des Ulkus findet eine Einteilung in drei Typen statt:
● Typ I: Ulkus an der kleinen Magenkurvatur, subazid (ca. 60%)
● Typ II: Kombiniertes Magen- und Duodenalulkus, normal oder hyperazid (ca. 20%)
● Typ III: Ulkus präpylorisch, meist hyperazid

3 Ätiologie
Die Ursachen sind vielfältig. Auslösende Erkrankungen sind u.a.:
● Gastritis vom Typ B
● NSAR, wie z.B. Acetylsalicylsäure, Indometacin oder Diclofenac
● Noxen (Nikotinabusus, Alkoholabusus)
● Zollinger-Ellison-Syndrom
● Hyperparathyreoidismus
● Psychische Faktoren (Stress)
Die familiäre Häufung der Erkrankung weist auf eine genetische Disposition hin.

4 Symptome

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Das klinische Bild kann variieren. Im Vordergrund stehen dumpfe oder
brennende Schmerzen im Epigastrium, die in der Regel im zeitlichen Zusammenhang mit der
Nahrungsaufnahme auftreten. In manchen Fällen wird der Schmerz durch die Nahrungsaufnahme
ausgelöst, in anderen wird er durch sie vermindert. Die Schmerzen können in
Richtung Sternum, Unterbauch oder auch in den Rückenausstrahlen. Weitere Symptome sind:
● Blähungen, Aufstoßen und Völlegefühl
● Übelkeit und Erbrechen
● Appetitlosigkeit
● Gewichtsverlust

5 Komplikationen
Kommt es zu einer stärkeren Blutung aus dem Ulkus, treten Kaffeesatzerbrechen (Hämatemesis)
und Meläna auf. Weitere Komplikationen sind
● Anämie
● Penetration bzw. Perforation des Ulkus mit Peritonitis
● Narbenbildung (Sanduhrmagen)
Das Risiko, an Magenkrebs zu erkranken, ist bei Patienten mit Ulcus ventriculi signifikant erhöht.

6 Diagnose
● Anamnese
● Endoskopie: Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD)
● Nachweis von Helicobacter pylori

7 Therapie

7.1 Medikamentöse Therapie
Die Therapie erfolgt medikamentös durch Säurehemmung mit einem Protonenpumpenhemmer (PPI), wie
z.B. Omeprazol oder Pantoprazol. Bei dem Nachweis von Helicobacter pylori sollte eine Helicobacter-
pylori-Eradikation mittels Triple-Therapie erfolgen. Zur Tripletherapie wird meist
ein Protonenpumpenhemmer (PPI) und zwei Antibiotika (v.a. Clarithromycin und Amoxicillin) eingesetzt.
Bei konsequent durchgeführter medikamentöser Therapie ist die Heilungsrate größer als 90 Prozent.
Allerdings muss mit Rezidiven gerechnet werden.

7.2 Operative Therapie
Operative Interventionen sind nur bei Komplikationen (z.B. Ulkusperforation) notwendig, die mit der
Ösophago-Gastro-Duodenoskopie nicht beherrscht werden können

Ulcus duodeni
Synonyme: Zwölffingerdarmgeschwür, Duodenalulkus
Englisch:  duodenal ulcer

1 Definition

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Das Ulcus duodeni ist ein Defekt der Duodenalschleimhaut, welcher die Lamina muscularis
mucosaedurchdringt (Ulkus). Es handelt sich um eine Form der gastroduodenalen Ulkuskrankheit.

2 Epidemiologie
Zur Häufigkeit des Duodenalulkus liegen keine gesicherten aktuellen (2018) Daten vor. Die Inzidenz in
Deutschland wird mit 100 bis 200 Fällen pro 100.000 Einwohner/Jahr geschätzt. Duodenalulzera treten
überwiegend im jüngeren und mittleren Lebensalter auf. Männer sind häufiger betroffen als Frauen (>
2:1). Durch die weite Verbreitung von Protonenpumpeninhibitoren in der Selbstmedikationwird insgesamt
von rückläufigen Zahlen ausgegangen.

3 Ursachen
In mehr als 80% der Fälle liegt eine Infektion mit dem Bakterium Helicobacter pylori vor. Andere
Ursachen sind die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), Ischämien oder chronisch
entzündliche Darmerkrankungen (z.B. Morbus Crohn). Eine Kombination von NSAR
mit Glukokortikoiden erhöht das Risiko eines Ulkus etwa um den Faktor 15. Pathophysiologisch zeigt sich
in diesem Fall eine verminderte protektive Prostaglandinsynthese. Psychosomatische Faktoren (Stress)
können bei der Entstehung ebenfalls eine Rolle spielen.
Bei multiplen oder rezidivierenden Duodenalulzera kann ein Zollinger-Ellison-Syndrom vorliegen.

4 Lokalisation
Die häufigsten Lokalisationen des Ulcus duodeni sind die Vorder- und Hinterwand der Pars superior
duodeni, also des Duodenalabschnitts, der unmittelbar an den Magen angrenzt.

5 Pathologie
Akute Duodenalulzera sind meist kreisrund und liegen im Schleimhauthautniveau. Der Ulkusrand ist
eingezogen. Chronische Duodenalulzera sind scharf vom Umgebungsgewebe abgesetzt. Der oralseitige
Ulkusrand kann einen überhängenden Randwall haben, während der aborale Rand treppenförmig
ausläuft. Histologisch entspricht das Ulcus duodeni weitgehend dem Ulcus ventriculi.

6 Symptome
Die Symptomatik ist relativ unspezifisch, so dass differentialdiagnostisch auch an andere pathologische
Prozesse im Bauchraum gedacht werden muss. Die Erkrankung kann auch asymptomatisch verlaufen.
Mögliche Symptome sind:
● Abdomineller Schmerz im Oberbauch
o Nüchternschmerz
o Nachtschmerz
o Besserung nach Nahrungsaufnahme
● Übelkeit
● Erbrechen
● Völlegefühl
● Gewichtsverlust

7 Diagnostik

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Die Verdachtsdiagnose kann aufgrund der anamnestischen Angaben und der klinischen
Untersuchunggestellt werden. Die Diagnosesicherung erfolgt endoskopisch:
● Ösophagogastroduodenoskopie mit Biopsieentnahme
● Testung auf Helicobacter pylori
Zum Ausschluss anderer Erkrankungen ist eine Oberbauchsonografie empfehlenswert.

8 Differentialdiagnose
● Ulcus ventriculi
● Cholelithiasis
● Pankreatitis
● Gastritis
● Magenkarzinom

9 Komplikationen
● Perforation in die Bauchhöhle
● Perforation ins Pankreas
● Obere gastrointestinale Blutung (OGIB)
● Narbige Stenose

10 Therapie

10.1 Basistherapie
Die Basistherapie besteht aus der Elimination von Noxen (Nikotin, Alkohol, Koffein) sowie der Einhaltung
einer krankheitsbezogenen Diät unter Vermeidung fettreicher und scharf gewürzter Speisen.

10.2 Medikamentöse Therapie
● Protonenpumpenhemmer für 4 Wochen, alternativ H2-Blocker
● Bei positivem Helicobacter-pylori-Befund erfolgt eine Helicobacter-pylori-Eradikation mit nachfolgender
Erfolgskontrolle.

10.3 Operative Therapie
Bei Versagen der konservativen Therapie ist ggf. eine operative Therapie notwendig. Aufgrund der
pharmakotherapeutischen Möglichkeiten wird diese Karte heute (2018) nur noch selten gezogen und
bleibt therapierefraktären Fällen vorbehalten. Mögliche Interventionen sind die selektive proximale
Vagotomie (SPV) oder eine Magenteilresektion.

Refluxkrankheit

(Weitergeleitet von Gastroösophagealer Reflux)


von lateinisch: reflux - Rückfluss
Englisch: gastroesophageal reflux disease, GERD

1 Definition

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Die Refluxkrankheit ist eine durch pathologischen Reflux von Mageninhalt ausgelöste entzündliche
Erkrankung der Speiseröhre (Ösophagus).

2 ICD10-Codes
● ICD-10-Code: K21.0: Gastroösophageale Refluxkrankheit mit Ösophagitis
● ICD-10-Code: K21.9: Gastroösophageale Refluxkrankheit ohne Ösophagitis

3 Epidemiologie
Die Prävalenz der Refluxkrankheit nimmt mit dem Alter zu. Sie beträgt in Deutschland ungefähr 25%. In
10% der Fälle entwickelt sich eine Refluxösophagitis.[1]

4 Pathophysiologie
Es bestehen eine Reihe von Schutzmechanismen gegen den ösophagealen Reflux:
● Zwischen Magen und Speiseröhre befindet sich der untere Ösophagussphinkter (UÖS). Es handelt sich
hierbei nicht um einen ringförmigen Sphinkter, wie beispielsweise im Duodenum, sondern um spiralig
angeordnete Muskelzüge um das untere Ende des Ösophagus herum. Der untere Ösophagussphinkter
besitzt einen Ruhetonus mit einem Druck von 18-24 mmHg. Das zeitgerechte Öffnen des
Sphinktermechanismus ist Bestandteil des Schluckakts.
● Der distale Anteil des Ösophagus (Pars abdominalis) liegt in der Bauchhöhle. Es herrschen dort die
selben Druckverhältnisse wie in der restlichen Bauchhöhle, sodass kein Überdruck vom Magen in
Richtung Ösophagus entstehen kann.
● Die Speiseröhre mündet spitzwinklig in den Magen. Dies verhindert rein mechanisch einen Reflux.
Jedoch bieten diese Schutzmechanismen keinen vollständigen Schutz.
Der Ruhetonus des unteren Ösophagussphinkters kann durch Einwirkung verschiedener Substanzen und
Gewohnheiten, die den Reflux fördern, gesenkt werden. Dazu gehören:
● Alkohol
● Nikotin (Rauchen)
● Essgewohnheiten ("Völlerei")
● Adipositas, Triglyzeride, Fettsäuren
● Medikamente
o Anticholinergika
o Calciumantagonisten
o Nitrate
Das Tragen von beengenden Hosen mit zu fest angelegtem Gürtel (Erhöhung
des intraabdominellenDruckes), sowie reichliches Essen vor dem Schlafengehen wirken sich ebenfalls
refluxfördernd aus.

5 Klinik
Die Refluxkrankheit äußert sich in einer Reihe von klinischen Symptomen, die anamnestischwegweisend
zu weiteren diagnostischen Maßnahmen sein sollten:
● Sodbrennen, saures Aufstoßen
● Dysphagie

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● retrosternaler Schmerz
● Verstärkung der Schmerzen postprandial, bei Verbeugung kopfüber und Liegen
Die Refluxkrankheit kann auch eine Reihe von extraösophagealen Symptomen verursachen, die man
unter dem Begriff laryngo-pharyngealer Reflux (LPR) zusammenfasst, z.B. Husten oder Heiserkeit.
Im fortgeschrittenen Stadium kann sich eine Anämie infolge von Blutungen aus dem Ösophagus
einstellen.

6 Komplikationen
Eine unbehandelte Refluxkrankheit kann zu ernsthaften bis lebensbedrohlichen Komplikationen führen:
● Refluxösophagitis
● Barrett-Syndrom (Präkanzerose)
● Blutungen
● Stenose und Striktur des Ösophagus
● Adenokarzinom
Auch extraösophageale Komplikationen wie Laryngitis, chronischer Husten und Zahnerosionen sind
beschrieben.
Durch Stenosierung kann das Lumen des Ösophagus vollständig verschlossen werden, so dass sich
durch fehlende Nahrungsaufnahme eine Kachexie ausbildet.

7 Diagnose
Standard in der Diagnostik ist die 24-Stunden-pH-Messung im Ösophagus.
Zusätzlich ist die Speiseröhre endoskopisch zu untersuchen, um das vorliegende Stadium
der Krankheit festzustellen.

8 Stadien
Die Refluxkrankheit wird nach Savary und Miller in mehrere Stadien eingeteilt. Als Grundlage für die
Einteilung dient der endoskopische Befund der Speiseröhre.
● Stadium 0: Refluxbeschwerden, jedoch endoskopisch keine Läsionen
● Stadium I: fleckförmige Läsionen
● Stadium II: streifige, longitudinal konfluierende Läsionen
● Stadium III: zirkulär konfluierende Läsionen
● Stadium IV: Komplikationen wie z. B. Barrett-Ösophagus oder Stenosen

9 Therapie
In den Stadien I und II ist eine konservative Therapie indiziert. Die Basis bildet die Vermeidung
refluxfördernder Nahrungs- (z.B. scharfer und/oder saurer Speisen) und Genussmitel (Alkohol, Nikotin)
sowie die Veränderung der Lebensgewohnheiten (Gewichtsreduktion, leichte Oberkörperhochlagerung
während der Bettruhe). Medikamentös erfolgt die Gabe
von Protonenpumpeninhibitoren (z.B. Pantoprazol). Sie kann ggf. durch H2-Rezeptor-
Antagonisten (z.B. Ranitidin) oder Antazida (z.B. Natriumbikarbonat) ergänzt werden.
Bei fehlendem Ansprechen auf konservative Therapie und ab Stadium III ist eine chirurgischeTherapie
indiziert. Sie umfasst die Anlage einer Fundusmanschette (Fundoplicatio) um das distale Ende des
Ösophagus und stellt eine mechanische Refluxbarriere her.

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Bei Versagen einer Therapie mit Protonenpumpenhemmern sollte auch an das Vorliegen
einer eosinophilen Ösophagitis gedacht werden.
In Stadium IV ist eine Bougierung durchzuführen. Eine Fundoplicatio oder Hemigastrektomie können
folgen. Eine Resektion des stenosierten Teilabschnittes des Ösophagus ist nur in seltensten Fällen
indiziert. Die Letalität bei der Resektion des Ösophagus ist zu hoch, um diesen Eingriff als Standard
rechtfertigen zu können.

Enterokolitis
(Weitergeleitet von Enterocolitis)
Synonym: Kolenteritis

1 Definition
Als Enterokolitis bezeichnet man eine kombinierte Entzündung des Dünndarms (= Enteritis) und
des Kolons (= Kolitis).

2 Ätiologie und Einteilung

2.1 Infektiöse Enterokolitiden
Erregerbedingte, infektiöse Enterokolitiden können u.a. verursacht werden durch:
● Bakterien
o Staphylokokken (siehe Staphylokokken-Enterokolitis)
o Yersinien (siehe Yersinien-Enterokolitis)
o Clostridien (häufiger Erreger der antibiotikaasoziierten pseudomembranösen Enterokolitis)
o Escherichia coli
o Salmonellen
o Shigellen
● Viren
o Enteroviren
o Adenoviren
● Parasiten
o Giardia lamblia
o Entamoeba histolytica
● Pilze
o Candida (Candidiasis bei Immunsuppression)

2.2 Nichtinfektiöse Enterokolitiden
● Nekrotisierende Enterokolitis bei Neugeborenen
● Eosinophile Enterokolitis
● Enterokolitis regionalis (Morbus Crohn)

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Diana Iancu
3 Symptome
Die Klinik der Enterokolitis ist je nach Ätiologie sehr unterschiedlich. Im Vordergrund stehen bei allen
Formen jedoch krampfartige Abdominalschmerzen ggf. in Kombination mit Diarrhoe (teilweise blutig z.B.
bei Infektionen mit Campylobacter, Shigellen, Amöben) Übelkeit, Erbrechen sowie
allgemeines Krankheitsgefühl.
Infektiöse Enterokolitiden gehen nach einer Inkubationszeit oft mit systemischen Symptomen wie Fieber,
Schwächegefühl und Schüttelfrost einher.

4 Diagnostik
Zur Differenzierung ist eine detaillierte Anamnese mit Dauer, Auftreten, Begleiterkrankungen und
Medikamentenanamnese sowie Reiseanamnese wichtig. Da der Großteil der Enterokolitiden
durch Erreger bedingt ist, steht dann die mikrobiologische Untersuchung des Stuhls im Vordergrund.
Aufgrund des teilweise sehr hohen Verlusts an Flüssigkeit und Elektrolyten ist die regelmäßige Kontrolle
dieser Parameter durch Laboruntersuchungen des Blutes indiziert.
Bei chronischer Symptomatik oder Verdacht auf eine Enterokolitis regionalis ist die Koloskopie die
Untersuchung der Wahl. Ergänzt werden kann sie je nach Fragestellung durch
eine Computertomographie, wodurch eine Affektion von benachbartem Gewebe dargestellt werden kann.

5 Therapie
Die Behandlung ist je nach Ursache sehr unterschiedlich. Bei unkomplizierten Verläufen reicht
eine symptomatische Therapie mit Flüssigkeitsersatz sowie regelmäßigen Elektrolytkontrollen und ggf.
Elektrolytsubstitution aus. Manche infektiöse Formen können im Verlauf durch Antibiotika verbessert
werden, diese sollte jedoch nicht im Vordergrund stehen, da einige Formen dadurch noch verschlechtert
werden können. Autoimmune Enterokolitiden werden mit Immunsuppressivabehandelt. Die
genauen Therapieschemata finden sich hierzu in den jeweiligen Flexikon-Artikeln.

Zenker-Divertikel
nach dem Pathologen Friedrich Albert von Zenker (1825-1898)
Synonyme: zervikales Divertikel, Hypopharynx-Divertikel, Grenzdivertikel, pharyngoösophageales
Divertikel
Englisch:  Zenker's diverticulum

1 Definition
Das Zenker-Divertikel ist ein zwischen Hypopharynx und Wirbelsäule liegendes Divertikel des Pharynx.
Es gehört zu den sogenannten falschen Divertikeln (Pseudodivertikel). Wegen seiner Lage wird es auch
als Grenzdivertikel bezeichnet.

2 Anatomie
Die übliche Lokalisation des Zenker-Divertikels ist das muskelschwache Dreieck (Killian-Dreieck)
zwischen der Pars fundiformis und der Pars obliqua des Musculus constrictor pharyngis inferior.

3 Pathogenese
Grundlage für die Entwicklung des Zenker-Divertikels ist eine pathologische, intraluminaleDruckerhöhung
des Pharynx durch eine Fehlregulation des Schluckakts oder einer Tonuserhöhung der Pars fundiformis

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Diana Iancu
des Musculus cricopharyngeus - auch unter dem Namen "Killian-Schleudermuskel" bekannt. Es handelt
sich um ein Pulsionsdivertikel.
Das Zenker-Divertikel zählt zudem zu den Pseudodivertikeln, da es lediglich zu einer Vorstülpung
von Mukosa und Submukosa durch eine muskuläre Lücke kommt und nicht zu einer Herniation aller
Wandschichten (echtes Divertikel).

4 Klassifizierung
Der Ausprägungsgrad eines Zenker-Divertikels wird nach der Brombart-Klassifikation wie folgt eingeteilt:

Grad Charakteristik

1 2-3 mm tiefe, nischenförmige Ausbuchtung

2 bis zu 8 mm lange, keulenförmige Aussackung

3 über 10 mm langes, konstantes Divertikel ohne Kompression des Ösophagus

4 Divertikel mit großer Aussackung und Kompression des Ösophagus

5 Klinik
Das Zenker-Divertikel verursacht Passagestörungen im pharyngo-ösophagealen Übergang. Betroffene
Patienten klagen zunächst über Dysphagie. Es kommt gehäuft zur Regurgitation und zum Hochwürgen
von unverdauten Speisen. Bei Größerwerden des Zenker-Divertikels kommt es zu einem Globusgefühl
im Hals. Manchmal kann zusätzlich ein intensiver Mundgeruch (Halitosis) auftreten.
Bei der körperlichen Untersuchung fällt in manchen Fällen eine Schwellung im lateralen Bereich des
Halses auf. Die definitive Diagnose ist mit einer Ösophaguspassage mit
dem Kontrastmittel Barium(Bariumbreischluck) zu stellen.
Die Durchführung einer Ösophagogastroduodenoskopie ist bei einer Via falsa in den Divertikelsack mit
einem Perforationsrisiko behaftet und sollte daher mit der nötigen Vorsicht durchgeführt werden. Hier
bietet sich die Untersuchung mit dem Divertikuloskop oder dem pneumatischen Ösophagoskop an.

6 Therapie

Die Therapie eines symptomatischen Zenker-Divertikels besteht in einer Operation. Bei der klassischen
offenen Operation wird eine extramuköse Myotomie des queren Anteils des Musculus cricopharyngeus
mit Fortführung des Schnittes auf den angrenzenden Teil der Ösophaguswand durchgeführt. Dadurch
wird die Fehlbelastung beim Schluckakt behoben. Das Divertikel kann bei kleiner Größe mit
einer Divertikulopexie (Hochnähen kleiner Divertikel) oder einer Divertikulektomie(Ausschneiden und
Entfernung großer Divertikel) versorgt werden.
Alternativ bietet sich die endoluminale Therapie mit dem starren Ösophagoskop (Divertikuloskop) mittels
CO2-Laser oder Nahtklammergerät an. Eine Durchtrennung über ein flexibles Endoskop ist noch wenig
gebräuchlich. Bei dem Eingriff wird die möglichst vollständige Durchtrennung des queren Anteils des
Musculus cricopharyngeus im Sinne einer "Schwellendurchtrennung" (Mukomyotomie) angestrebt.

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Diana Iancu
Dadurch wird das Divertikel Teil des Ösophagus. Der Schluckakt kann durch die Peristaltikder
Speiseröhre weiter ungehindert ablaufen.

Ösophaguskarzinom
Synonym: Ösophaguscarcinom, Ösophagus-CA
Englisch: esophageal cancer

1 Definition
Beim Ösophaguskarzinom handelt es sich um einen bösartigen Tumor (Krebs) in der Speiseröhre
(Ösophagus).
Man unterteilt Ösophaguskarzinome in:
● Plattenepithelkarzinome
● Adenokarzinome

2 Epidemiologie
Die Häufigkeit von Ösophaguskarzinomen beträgt zwischen 3-5:100.000 je nach Gebiet. Besonders
zahlreich sind sie in Süd-Ost-Asien. In Deutschland kommt es zu etwa 5.000 Neuerkrankungen/Jahr. [1]

3 Ätiologie
Was genau den Krebs verursacht, ist nicht bekannt. Eine erhöhte Inzidenz ist
bei Nikotinabusus, Alkoholabusus, sowie bei vermehrter Aufnahme von Nitrosaminen erwiesen.
Ein Ösophaguskarzinom entwickelt sich in der Regel aus einer Präkanzerose. Dazu gehören u.a.:
● Barrett-Ösophagus
● Achalasie
● Sklerodermie
● Verätzungen
● Plummer-Vinson-Syndrom

4 Pathologie
Etwa 2/3 der Ösophaguskarzinome
sind Plattenepithelkarzinome mit intramuralem, ulzerösen, polypösen oder
diffus infiltrierendem Wachstum.
1/3 der Ösophaguskarzinome sind Adenokarzinome; v.a. bei Vorliegen eines Barrett-Ösophagus. Selten
sieht man ein adenoidzystisches Adenokarzinom oder ein undifferenziertes kleinzelligesAdenokarzinom.
Zur Verteilung der verschiedenen Pathohistologien des Ösophaguskarzinoms gibt es in der Literatur sehr
unterschiedliche Angaben. Sie sind abhängig von der betrachteten Population (Region, Geschlecht usw.).
Die o.a. Zahlen beziehen sich auf Deutschland. Tendenziell hat der Anteil der Adenokarzinome in
westlichen Industrieländern in den letzten Jahrzehnten zugenommen [2], während in Schwellenländern
nach wie vor Plattenepithelkarzinome deutlich überwiegen.
Die Karzinome sind meist an den physiologischen Engen der mittleren oder distalen Speiseröhre
lokalisiert. Oft kommt es bei Ösophaguskarzinom zu einer lymphogenen Metastasierung der Krebszellen.

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Diana Iancu
5 Symptomatik
Zunächst hat der Patient unspezifische Dysphagie (Schluckbeschwerden beim Essen)
und/oder Pseudohypersalvation (Probleme mit dem Schlucken von Speichel). Meist kommt es zu einem
Gewichtsverlust. Mögliche weitere Symptome sind zudem retrosternale Schmerzen zervikale
Lymphadenopathie, selten Nervenlähmungen (z.B. Nervus laryngeus recurrens)

6 Diagnostik
Zur Diagnostik des Ösophaguskarzinoms und ggf. Bestimmung des Tumorstagings gehören u. a.:
● Endoskopie (mit Biopsie des entsprechenden Gewebes)
● Röntgen-Kontrastmittel-Untersuchung (Ösophagus-Breischluck)
● Ultraschalluntersuchung
● Computertomographie ggf. MRT
● Tumormarker (SCC, CEA, CA19-9) zur Verlaufskontrolle
● Skelettszintigraphie und PET-CT zum Ausschluss von Fernmetastasen
● evtl. Bronchoskopie und Mediastinoskopie

7 Therapie
● Endoskopische Resektion der Mukosa bei Frühkarzinomen
● Ösophagektomie (mit Lymphadenektomie) und Magenhochzug
● neoadjuvante Radiochemotherapie (Bestrahlung und Chemotherapie)
● falls proximal lokalisiert ggf. Pharyngektomie und/oder Laryngektomie
Palliativ kommen Radiochemotherapie (Cisplatin, 5-Fluorouracil) und die Implantation
eines Stentsoder Tubus in Frage.

8 Prognose
Die Prognose ist in der Regel schlecht. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei nur 20%. Bei
Palliativmaßnahmen beträgt die Überlebenszeit selten mehr als ½ Jahr.

Tonsillitis
(Weitergeleitet von Angina tonsillaris)
Synonyme: Angina tonsillaris, Tonsillopharyngitis, Amygdalitis, Rachenangina, Mandelentzündung,
Angina
Englisch: tonsillitis

1 Definition
Als Tonsillitis bezeichnet man eine Entzündung der Tonsillen. In der Praxis ist der Begriff für die
Entzündung der Gaumenmandeln (Tonsillae palatinae) reserviert.
 

2 Einteilung
Die Tonsillitis lässt sich nach mehreren Aspekten unterteilen:

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2.1 ...nach zeitlichem Verlauf
● akut (Tonsillitis acuta)
● chronisch (Tonsillitis chronica)
● rezidivierend

2.2 ...nach Lokalisation
● einseitige (unilaterale) Tonsillitis
● beidseitige (bilaterale) Tonsillitis

2.3 ...nach klinischem Aspekt


● katarrhalische Angina: Rötung und Schwellung der Tonsillen
● follikuläre Angina: Stippchen auf den Krypten der Tonsillen
● lakunäre Angina: Rötung und konfluierende fibrinöse Beläge (Angina lacunaris)

2.4 ...nach Schweregrad
● einfache Tonsillitis
● eitrige Tonsillitis
● nekrotisierende Tonsillitis

3 Ätiologie
Die Tonsillitis ist eine Infektionskrankheit. Die akute Form wird in den allermeisten Fällen durch Viren
(z.B. Adenoviren), selten durch Bakterien ausgelöst. Die chronisch rezidivierende Form ist dagegen
vorwiegend bakteriell bedingt. Typische bakterielle Erreger sind:
● Beta-hämolysierende Streptokokken ( v.a. Streptococcus pyogenes)
Daneben spielen eine Rolle:
● Staphylokokken
● Pneumokokken
● Haemophilus influenzae
● Moraxella catarrhalis
● Neisseria gonorrhoeae
Viele dieser Keime gehören zur residenten Mundflora. Die Infektion wird jedoch meist durch neue
Serotypen der Erreger ausgelöst, gegen die keine Immunität besteht. Als zusätzliche Faktoren können
ein reduzierter Allgemeinzustand oder eine Immunschwäche hinzutreten.
Bei chronischer Tonsillitis liegt meist eine Mischinfektion mit anaeroben und aeroben Erregern vor.

4 Symptome
Bei unkompliziertem Verlauf einer Tonsillitis dominieren in der Regel die Lokalsymptome. Dazu zählen
unter anderem:
● Geschwollene, gerötete Gaumenmandeln
● Schluckbeschwerden (Verengung des Isthmus faucium)
● Schleimhautulzerationen
● Eiter-, Fibrinbelag ("Stippchen")

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Diana Iancu
● Foetor ex ore
● Lymphknotenschwellung
Bei schwererem Verlauf können weitere Symptome hinzutreten:
● Allgemeinsymptome (Fieber, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit)
● Scarlatiniformes Exanthem
Bei chronischer Tonsillitis sieht man zusätzlich Detritus.

5 Diagnose
Die Diagnose erfolgt in der Regel aus dem typischen klinischen Bild (Inspektion). Zur Sicherung der
Diagnose gegebenenfalls zusätzlich:
● Streptokokken-Schnelltest
● Bakterienkultur aus Rachenabstrich
● Antikörper-Nachweis (Antistreptolysintiter; Achtung: Anstieg erst nach Wochen)

6 Therapie
Die Therapie ist abhängig von der Ursache und vom Verlauf der Tonsillitis. In der Regel wird eine
Kombination aus Lokal- und Allgemeinbehandlung eingesetzt.
Bei akuter Tonsillitis:
● Antibiotika (Penicillin)
● Analgetika (z.B. ASS, Ibuprofen)
● Rachenspülungen und Gurgeln mit Desinfizientien
● Pinselungen mit Antiseptika (z.B. Pyoktaninlösung)
● Schleimhautanästhetika, Mundpflege
● Bettruhe
● Halswickel (kalt, feucht)
Bei chronischer Tonsillitis:
● Antibiotikagabe
● Tonsillektomie

7 Differentialdiagnostik
Die Differentialdiagnostik sollte angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Tonsillitis eher um eine
Bagatellerkrankung handelt, nicht vernachlässigt werden. Eine falsche Diagnose, z.B. das Verkennen
einer Diphterie kann ggf. schwerwiegende Konsequenzen haben. Zu den wichtigsten DD zählen:
● Angina Plaut-Vincenti (einseitige, nekrotisierende Tonsillitis)
● Mononucleosis infectiosa
● Diphtherie
● Scharlach
● Syphilitischer Primäraffekt
● Herpangina

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Diana Iancu
● Agranulozytose
● Tonsillenkarzinom
● Tuberkulose

8 Komplikationen
Die Komplikationen der Tonsillitis werden meist durch regionale Ausbreitung der Erreger in benachbarte
anatomische Räume (Logen), durch hämatogene Streuung oder durch
überschiessende Immunreaktionen verursacht. Typische Komplikationen sind:
● Peritonsillarabszess
● Retropharyngealabszess
● Sepsis
● rheumatisches Fieber, Chorea minor
● Endokarditis, Myokarditis, Perikarditis
● Glomerulonephritis

Pfeiffersches Drüsenfieber
(Weitergeleitet von Infektiöse Mononukleose)
nach dem deutschen Kinderarzt Emil Pfeiffer (1846-1921)
Synonyme: Pfeiffer-Drüsenfieber, Infektiöse Mononukleose, Mononucleosis infectiosa
Englisch: infectious mononucleosis, "kissing disease"

1 Definition
Das Pfeiffersche Drüsenfieber, auch infektiöse Mononukleose genannt, ist eine Infektionskrankheit,
die durch das Epstein-Barr-Virus (EBV) verursacht wird.
ICD10-Code: B27.-

2 Epidemiologie
Das Pfeiffersche Drüsenfieber ist weltweit sehr verbreitet. Es handelt sich um eine nicht saisonale
Krankheit. Alleiniges Erregerreservoir ist der Mensch. Die Übertragung erfolgt durch Tröpfcheninfektion,
typischerweise durch das Küssen. Die Erkrankung wird deshalb im englischsprachigen Raum auch als
"kissing disease" bezeichnet.

3 Symptome
Zum Krankheitsbild gehören meist:
● hohes Fieber, Gliederschmerzen
● fauliger Mundgeruch
● Pharyngitis
● zervikal betonte Lymphadenopathie
● Angina tonsillaris
Es können jedoch eine Reihe weiterer Symptome assoziiert sein. So kann es z.B. im Verlauf zu einem
generalisierten Exanthem, oraler Haarleukoplakie, einem Ikterus, einer Splenomegalie oder
zu Hepatomegalie kommen.

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Diana Iancu
4 Diagnostik
Der eindeutige Nachweis der Infektion erfolgt serologisch durch den Nachweis von EBV-Antikörpern. Hier
stehen verschiedene Testverfahren zur Verfügung, u.a.:
● EBV-Schnelltest (Paul-Bunnell-Reaktion, Latexagglutinationstest)
● ELISA: EBV-(VCA)-IgM und EBV-(VCA)-IgG
● EBV-Western Blots (IgG/IgM)
o Virus-Kapsid-Antigen (VCA)
o EBV-spezifisches nukleäres Antigen (EBNA)
o Early Antigen (EA)
Im Blutbild kommt es häufig zu einer auffälligen Leukozytose mit mononukleären Zellen (daher der Name
Mononukleose). Ein Teil der Lymphozyten sind atypisch.
Die Leberwerte sind in vielen Fällen erhöht.

5 Differentialdiagnosen
● maligne Lymphome, akute Leukämien
● andere virale Infektionen (CMV, HIV, virale Hepatitis)
● bakterielle Infektionen (Diphtherie, Streptokokkenangina, Toxoplasmose, Angina Plaut-
Vincenti, Bartonellen, Listerien)
● Agranulozytose

6 Komplikationen
Seltene Komplikationen des Pfeifferschen Drüsenfiebers sind:
● Virusenzephalitis
● Blutbildveränderungen
o autoimmunhämolytische Anämie
o Granulozytopenie bzw. Agranulozytose
o Thrombozytopenie
● Organvergrößerungen
o Hepatomegalie ggf. mit Ikterus
o Splenomegalie
● Pneumonie
● Myokarditis
● Nephritis
Patienten mit geschwächtem Immunsystem sind besonders gefährdet. Bei ihnen kann die Erkrankung
einen letalen Verlauf nehmen.
Eine seltene Folge der Splenomegalie ist die Milzruptur. Sie tritt in etwa 0,1 - 0,5% der Fälle auf.

7 Spätfolgen
Das auslösende Epstein-Barr-Virus steht im Verdacht, Burkitt- und Hodgkin-Lymphome auszulösen.[1]In
westlichen Industrieländern lassen sich im Tumorgewebe von Hodgkin-Lymphomen in 20 bis 50% der

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Fälle Virusgene nachweisen. In Entwicklungsländern liegt der Anteil noch höher. [2] Am häufigsten treten
EBV-Gene beim MC-Subtyp des Hodgkin-Lymphoms auf.[2]
EBV spielt auch eine entscheidende Rolle in der Pathogenese anaplastischer Nasopharynxkarzinome, da
in diesen Tumoren fast durchgängig EBV-DNA nachgewiesen werden kann.

8 Therapie
Die Therapie erfolgt symptomatisch. Hohes Fieber und Schmerzen können durch die Gabe
von Paracetamol oder NSAR günstig beeinflusst werden. Eine Behandlung mit Antibiotika ist
kontraindiziert. Insbesondere bei Gabe von Amoxicillin kommt es zu einem generalisierten Exanthem.
Bei einer klinisch relevanten Milzvergrößerung sollte nach Abklingen der Symptome für einen Zeitraum
von 3-4 Wochen kein Belastungssport betrieben werden.

9 Prophylaxe
Eine Impfung gegen infektiöse Mononukleose ist zur Zeit (2018) nicht verfügbar, aber Gegenstand der
Forschung.[3]

Herzinsuffizienz
Synonym: Herzschwäche
Englisch: congestive heart failure, heart failure

1 Definition
Eine Herzinsuffizienz liegt vor, wenn das Herz unfähig ist, das vom Organismus
benötigte Herzzeitvolumen bei normalem enddiastolischen Ventrikeldruck bereit zu stellen.
Nach WHO ist die Herzinsuffizienz als verminderte körperliche Belastbarkeit aufgrund einer ventrikulären
Funktionsstörung definiert.
Es handelt sich um ein klinisches Syndrom unterschiedlicher Ätiologie.

2 Ursachen

2.1 Häufige Ursachen
● KHK (Myokardinfarkt, Ischämie)
● Arterielle Hypertonie
● Vorhofflimmern

2.2 Seltenere Ursachen
● Kardiomyopathien (dilatativ: toxisch, z.B. Alkohol, Medikamente, Drogen; hypertroph, mit oder
ohne Obstruktion; restriktiv)
● Herzklappenfehler (angeboren/erworben),
● High-Output-Failure (Anämie, Thyreotoxikose, AV-Fisteln)
● Perikarderkrankungen
In einigen Fällen bleibt die Ursache der Herzinsuffizienz unbekannt.

3 Einteilung

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3.1 ...nach Schweregrad
Eine Herzinsuffizienz wird nach ihrem klinischen Schweregrad in 4 NYHA-Stadien eingeteilt:
● NYHA I: Diagnostizierte Herzkrankheit ohne Symptome und ohne Einschränkung der Belastbarkeit.
● NYHA II: Leichte Einschränkung der Belastbarkeit. Keine Symptome in Ruhe sondern erst bei stärkerer
Belastung.
● NYHA III: Starke Einschränkung der Belastbarkeit. Keine Symptome in Ruhe, jedoch bereits bei leichter
Belastung.
● NYHA IV: Persistierende Symptomatik auch in Ruhe.
Weiterhin kann die Herzinsuffizienz nach der AHA (American Heart Association) in 4 Stadien eingeteilt
werden:
● Stadium A: Hohes Herzinsuffizienzrisiko, da Faktoren vorliegen, die stark mit der Entstehung einer
Herzinsuffizienz assoziiert sind; keine strukturelle Herzerkrankung, noch nie Herzinsuffizienzsymptome.
● Stadium B: Strukturelle Herzerkrankung, die eng mit der Entstehung einer Herzinsuffizienz assoziiert ist,
bisher keine Herzinsuffizienzsymptome.
● Stadium C: Frühere oder derzeitige Herzinsuffizienzsymptome bei struktureller Herzerkrankung.
● Stadium D: Fortgeschrittene strukturelle Herzerkrankung und schwere Herzinsuffizienzsymptome in
Ruhe trotz maximaler medikamentöser Therapie (spezielle Therapie erforderlich, z. B.
Herztransplantation, Katecholamine i. v., Kunstherz)
Eine etwas gröbere Einteilung erfolgt in:
● Kompensierte Herzinsuffizienz: Verursacht Beschwerden nur unter Belastung
● Dekompensierte Herzinsuffizienz: Verursacht Ruhebeschwerden

3.2 ...nach Lokalisation
Je nachdem, welcher Teil des Herzens betroffen ist, unterscheidet man:
● Rechtsherzinsuffizienz: Rechte Herzkammer betroffen
● Linksherzinsuffizienz: Linke Herzkammer betroffen
● Globalinsuffizienz: Beide Herzkammern betroffen

3.3 ...nach Krankheitsverlauf
● Akute Herzinsuffizienz: Entwickelt sich im Verlauf von Stunden/Tage:
o Myokardiales Pumpversagen, z.B. Akutes Koronarsyndrom durch
kritische Hauptstammstenose, Herzinfarkt, hypertone Krise, Myokarditis
o Akut auftretende Insuffizienz- oder Shuntvitien, z.B. Ventrikelseptumdefekt bei Infarkt,
o Mechanische Behinderung der Ventrikelfüllung, z.B. Perikardtamponade
o Tachykarde oder bradykarde Herzrhythmusstörungen
● Chronische Herzinsuffizienz: Entwickelt sich im Verlauf von Monaten/Jahren

3.4 ...nach Pathomechanismus
● Systolische Herzinsuffizienz: Verminderte Ejektionsfraktion
● Diastolische Herzinsuffizienz: Herabgesetzte Relaxationsfähigkeit des Ventrikels, behinderte
Ventrikelfüllung in der Diastole (z.B. durch Kammersteifigkeit)

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3.5 ...nach Pathophysiologie
● HF-pEF (engl.: heart failure with preserved ejection fraction >50%)
● HF-rEF (engl.: heart failure with reduced ejection fraction <40%)

4 Pathogenese
Eine Herzinsuffizienz entsteht, wenn die Pumpleistung nicht mehr ausreicht, um sich selbst und
extrakardiale Organstromgebiete adäquat mit Blut, Sauerstoff und Substraten zu versorgen.
Kompensatorisch werden verschiedene Adaptationsmechanismen angeschaltet, mit denen es gelingt,
vorübergehend das erforderliche Herzminutenvolumen aufrechtzuerhalten. Bei chronischer Aktivierung
tragen diese Mechanismen jedoch zur Progression der Herzinsuffizienz, wobei ein Circulus
vitiosus entsteht.
Die chronische Herzinsuffizienz wird in den meisten Fällen durch eine Verminderung
des kontraktilenHerzmuskelgewebes verursacht. Histologisch sieht man einerseits ein krankhaftes
Wachstum einzelner Herzmuskelzellen (myozytäre Hypertrophie), andererseits einen gesteigerten
Zellverlust (myozytäre Apoptose).

5 Kompensationsmechanismen

5.1 Neuroendokrine Aktivierung
5.1.1 Sympathikusaktivierung und Katecholaminausschüttung
Sympathikusaktivierung und Katecholaminausschüttung führen anfangs zur Steigerung der Herzfrequenz
und der Kontraktionskraft. Mit zunehmender Herzinsuffizienz steigt der Noradrenalinspiegel an.
Gleichzeitig vermindert sich die Zahl der kardialen Betarezeptoren(Downregulation). Noradrenalin wirkt
dadurch am Herzen immer weniger inotrop, erhöht aber den peripheren Widerstand (Afterload).
5.1.2 Aktivierung des RAA-Systems
Die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems führt über eine erhöhte Produktion
von Angiotensin II zur Vasokonstriktion und damit zur Erhöhung der Vorlast. Dieser Effekt wird
durch Aldosteron verstärkt, das eine Natrium- und Wasserretention bewirkt.
5.1.3 ADH-Aktivierung
Die Aktivierung von ADH (Vasopressin) führt ebenfalls zu einer Wasserretention und damit zu einer
Erhöhung der Vorlast.
In späteren Krankheitsstadien führen diese hilfreichen neuroendokrinen Kompensationsmechanismen
allerdings zu einer Verschlechterung der hämodynamischen Situation der Herzinsuffizienz und somit zu
einem "Circulus vitiosus", welcher therapeutisch unterbrochen werden muss.
5.1.4 Freisetzung der natriuretischen Peptide
Die Natriuretischen Peptide (NP) sind die wichtigsten Gegenspieler des Renin-Angiotensin-Aldosteron-
Systems (RAAS). Mit ihrer Hauptfunktion, der Reduktion des Plasmavolumens und der Senkung
des Blutdrucks, schützen sie das gesunde Herz vor einer übermäßigen Volumen- und Druckbelastung.
NPs werden z.B. bei erhöhtem Druck und durch Überdehnung der Vorhöfe ausgeschüttet. BNP ist daher
bei Herzinsuffizinz ein guter Parameter zur Diagnosesicherung und Prognoseabschätzung. Dieser Wert
kann allerdings auch durch andere Faktoren vermehrt (Adipositas mit BMI > 30) oder vermindert
(Niereninsuffizienz, COPD, Myokarditis) sein. Deswegen sind immer Anamnese, Klinik und Echobefund
mit zu beurteilen.
● ANP (atrial natriuretic peptide) - Stimulierung der Natriurese
● BNP (brain natriuretic peptide) - Stimulierung der Natriurese, bei höheren Konzentrationen Stimulierung
des renalen Blutflusses und der GFR (Glomeruläre Filtrationsrate)
● CNP (C-type natriuretic peptide)- Regulation Gefäßtonus (Vasodilatation)

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Diana Iancu
● DNP (dendroaspis natriuretic peptide) - Hemmung der tubulären Natriumrückresorption
● Urodilatin - Hemmung der tubulären Natriumrückresorption

5.2 Remodelling
Unter Remodelling versteht man molekulare, biochemische und zelluläre Mechanismen, die nach einer
Schädigung des Herzens seine Struktur und Funktion verändern.

5.3 Herzhypertrophie
● Die akute Herzinsuffizienz führt zu einer Dilatation des Herzens.
● Bei chronischer Herzinsuffizienz spielt die Art der Belastung eine Rolle:
o Volumenbelastung (z.B. Klappeninsuffizienz) führt zu exzentrischer Hypertrophie (Hypertrophie mit
Dilatation)
o Druckbelastung (z.B. Klappenstenosen, Hypertonie) führt zu konzentrischer Hypertrophie (Hypertrophie
ohne Dilatation)

6 Symptome
Die Symptomatik der Herzinsuffizienz ist vielseitig. Unter anderem zählen dazu:
● Dyspnoe (Belastungs-, Ruhedyspnoe, Orthopnoe, paroxysmale nächtliche Dyspnoe);
● Müdigkeit, inadäquate Erschöpfung nach Belastungen, Schwäche, Lethargie
● Flüssigkeitsretention (Bein- oder Bauchschwellung, Gewichtszunahme), Nykturie
● Trockener Husten ("Herzhusten"), besonders nachts
● Schwindel, Palpitationen, Synkopen
● Inappetenz, Übelkeit, Völlegefühl, Meteorismus, Obstipation, abdominelle Schmerzen, u.U.
Gewichtsabnahme, Gedächtnisstörungen, Verwirrtheitszustände, kognitive Beeinträchtigung.
● Hitzewallungen, Schwitzen, Nachtschweiß
Betroffene schlafen häufig auf Grund von Atembeschwerden in einer erhöhten Kopflage.

7 Diagnostik

7.1 Körperliche Untersuchung
● Erhöhter Jugularvenendruck (Füllungszustand bei 45° Oberkörperhochlagerung und leicht rekliniertem
Kopf)
● positiver hepatojugulärer Reflux, Hepatomegalie
● Verlagerter (und verbreiterter) Herzspitzenstoß, vorhandener 3. Herzton
● Pulmonale Rasselgeräusche, die auch nach Husten fortbestehen
● Tachykardie (Herzfrequenz > 90-100/Min.), irregulärer Puls, Tachypnoe (> 20/Min.)
● Periphere Ödeme (Knöchel, Unterschenkel, bei bettlägerigen Patienten auch sakral – ausgeprägt
als Anasarka, Pleuraerguss, Aszites, Gewichtszunahme)

7.2 Ursachendiagnostik
● Koronare Herzkrankheit: Diagnostik durch Belastungs-EKG, Stress-Echokardiographie, Kardio-
MRT, Koronarangiographie (Herzkatheter-Untersuchung) mit der Möglichkeit einer Erweiterung eventuell
erkennbarer Gefäßengen (PTCA, Ballondilatation und ggf. Stenteinlage).

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Diana Iancu
● Herzklappenerkrankungen: Herzecho (Echokardiographie) zur Erkennung und Abschätzung des
Schweregrades.
● Kardiomyopathie (Erkrankung der Muskulatur des Herzens ohne adäquate koronare
Minderdurchblutung): Erkennung durch Herzecho unter Belastungsbedingungen, Kardio-MRT, wenn
erforderlich Myokardbiopsie. Eine koronare Herzkrankheit muss ggf. durch Koronarangiographie
ausgeschlossen werden.

7.3 Diagnostik der Folgen


Diagnostik einer eventuellen
● Überwässerung (klinische Untersuchung: Ödeme bis Anasarka, Aszites)
● Lungenstauung (klinische Untersuchung: Atemnot, beidseitige Rasselgeräusche; Röntgenbild der Lungen
mit Stauungszeichen?)
● Herzleistungsschwäche (klinische Untersuchung: Blutdruck zu niedrig? eingeschränkte Belastbarkeit?
Herzecho: linksventrikuläre Auswurffraktion = Ejektionsfraktion erniedrigt?)
● Sauerstoffuntersättigung des Bluts (Blutgasanalyse)

7.4 Labordiagnostik
Blutuntersuchungen werden nur benötigt, um Ursachen und Komplikationen der Herzinsuffizienz
(z.B.Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz oder Elektrolytstörungen) und mögliche Nebenwirkungen der
Therapie erkennen zu können.
Seit Anfang des 21. Jahrhunderts steht mit der Bestimmung der Plasmakonzentration des brain
natriuretic peptide (BNP bzw. NT-proBNP) ein Test zur Verfügung, der auch in der Alltagsroutine für die
Diagnostik einer Herzinsuffizienz hilfreich sein kann. Je nach Ausmaß der Herzinsuffizienz sind die Werte
mäßig bis stark erhöht, während niedrig normale BNP- oder NT-proBNP-Spiegel bei einem
unbehandelten Patienten eine Herzinsuffizienz weitgehend ausschließen. Der Normbereich ist vom Alter
und Geschlecht abhängig. Die Messung des BNP zur Differentialdiagnose und Verlaufskontrolle der
Herzinsuffizienz ist inzwischen in die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für
Kardiologie und Kinderkardiologie eingeflossen.
Außerdem steigt mit zunehmender Herzinsuffizienz der Plasmaspiegel des Noradrenalin an und korreliert
mit einer Prognoseverschlechterung.
7.4.1 Empfohlene Laboruntersuchungen bei V.a. Herzinsuffizienz

Untersuchungsverfahren Begründung

Blutbild ● Anämie kann Herzinsuffizienz auslösen oder verschlimmern

Harnstoff und Kreatinin ● Niereninsuffizienz kann mit Herzinsuffizienz verwechselt werden


● Herzinsuffizienz kann Niereninsuffizienz verschlimmern
● Nierenfunktion muss ggf. bei ACE-Hemmereinnahmeüberwacht
werden

Elektrolyte ● Hypokaliämie: kann als Folge von Diuretikagabe eintreten


● Hyponatriämie: kann als Folge anhaltender Diurese und im
Endstadium der Herzinsuffizienz einsetzen; Prognoseindikator, der
ein schlechtes Outcome voraussagt; Warnung für mögliche ACE-

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Diana Iancu
Hemmer-Intoleranz (überschießender RR-Abfall bei max.
aktiviertem RAA-System)

y-GT (ggf. GOT, GPT) ● Erhöhung kann auf sekundäre Leberschädigung hinweisen

TSH ● Hyper- oder Hypothyreose können eine Herzinsuffizienz auslösen


oder verschlechtern

Gesamteiweiß, Albumin ● Niedrig bei nephrotischem Syndrom und Leberinsuffizienzbzw. –


versagen
● Kann durch kardial bedingte Kachexie oder Leberstauungverändert
sein

Blutuntersuchungen, die für seltenere und speziellere Fragestellungen eingesetzt werden können:

Glucose ● Diagnose eines Diabetes mellitus

CK, LDH, Troponin ● Ausschluss eines Myokardinfarkts

Cholesterin, HDL, LDL ● Bei Patienten mit KHK führt das Absenken des Cholesterins zu
einer Reduzierung des Infarktrisikos und damit ggf. zur
Progredienzverlangsamung einer Herzinsuffizienz

Virustiter ● Bei Verdacht auf z.B. CMV, Herpesvirus-, Coxsackie


B- oder Epstein-Barr-Viren als Ursache einer Myokarditis

Autoantikörper ● Bei Verdacht auf Vaskulitis oder Kollagenose

Ferritin ● Bei Verdacht auf Hämochromatose (sehr selten)

8 Therapie

8.1 Risikokontrolle
● Kontrolle einer arteriellen Hypertonie; Myokardrevaskularisation bei Nachweis von
ischämischem Myokard
● Therapie eines Herzklappenfehlers (Op, Ballonvalvuloplastie)
● Schrittmachertherapie bzw. antiarrhythmische Therapie bei arrhythmieinduzierter Herzinsuffizienz
● Therapie von Schilddrüsenfunktionsstörungen
● Anämiediagnostik und -korrektur
● Alkoholentzugsbehandlung bei alkoholtoxischer Kardiomyopathie

29
Diana Iancu
● Therapie von Perikarderkrankungen

8.2 Basistherapie
Die nicht-medikamentöse Basistherapie der Herzinsuffizienz besteht aus einer Reihe von
Allgemeinmaßnahmen, die die Arbeitslast des Herzens reduzieren bzw. eine weitere Schädigung des
Myokards verhindern sollen:
● Gewichtsreduktion
● Kochsalzreduktion
● Limitierung der Flüssigkeitszufuhr
● Limitierung bzw. Restriktion des Alkohol- und Tabakkonsums
● Reduktion kardiovaskulärer Risikofaktoren (CVRF)
● An die Herzinsuffizienz angepasste körperliche Bewegung

8.3 Arzneimitteltherapie
Die Therapie mit Medikamenten erfolgt in Abhängigkeit vom Schweregrad der Herzinsuffizienz. Darüber
hinaus sind die Symptomatik (z.B. Ödeme) sowie das Vorhandensein von Begleiterkrankungen
(z.B. Hypertonie) wichtige Faktoren für die Festlegung der genauen Medikation. Als häufigste
Wirkstoffgruppen werden verwendet:
● ACE-Hemmer, ab NYHA I Mittel der Wahl, da sie die Gesamtmortilität (bis zu 25%) senkt und die
Prognose verbessern. Bei Unverträglichkeit kommen alternativ AT1-Rezeptorantagonisten (Sartane) zum
Einsatz.
● Aldosteronantagonisten bzw. Mineralkortikoid-Rezeptorantagonisten (MRAs)
wie Spironolacton und Eplerenon, bei NYHA II bis IV
● Diuretika
● Betarezeptorenblocker, bei NYHA I nach Myokardinfarkt, und NYHA II-IV (Bisoprolol, Carvedilol oder
Metoprololsuccinat)
● Herzglykoside (nur bei tachykardem Vorhofflimmern – ansonsten nur noch Reservemedikament bei
therapierefraktärem NYHA III- und IV-Stadium!)
● Phosphodiesterase-III-Hemmstoffe die ISDN oder Hyhydralazin bei NYHA II – IV und
Intoleranz/Kontraindikation für ACE-Hemmer und AT1-Blocker (in Absprache mit Kardiologen)
Darüber hinaus wird der Neprilysin-Inhibitor Sacubitril in Kombination mit Valsartan zur Therapie der
Herzinsuffizienz eingesetzt. In klinischer Prüfung befinden sich Myosin-Aktivatoren, z.B. Omecamtiv-
Mecarbil.
Der medikamentöse Eingriff in den Wasser- und Elektrolythaushalt erfordert
tägliche Gewichtskontrollen des Patienten.

8.4 Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD)


Ein implantierbarer Kardioverter-Defibrillator (ICD) ist indiziert bei Patienten mit maligner
Herzrhythmusstörung und/oder fortgeschrittener Herzinsuffizienz mit einer Ejektionsfraktion <30%.

8.5 Kardiale Resynchronisation (CRT)


Die kardiale Resynchronisation durch biventrikuläre Schrittmachersysteme ist indiziert bei Patienten mit
einer Ejektionsfraktion <35 %, erhaltenem Sinusrhythmus und Linksschenkelblock.

8.6 Weitere unterstützende Therapien


Ventrikelreduktionsplastik, mechanische Unterstützungssysteme

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Diana Iancu
8.7 Herztransplantation
Ist die Ultima ratio, wenn andere Therapieoptionen versagen.

8.8 Überblick
Die Therapie der Herzinsuffizienz richtet sich primär nach der auslösenden Ursache. Die folgende Tabelle
gibt eine Übersicht über potenzielle Therapieansätze.

Ursachen Mögliche therapeutische Ansätze

KHK

1. Chronisch ischämische Herzerkrankung Ggf. Revaskularisation

2. LV-Remodelling nach Myokardinfarkt Konservativ-medikamentös

3. Hibernating myocardium(vitales Myokard mit chron.


Baldige Revaskularisation
Ischämie)

Hypertonie, hypertensive Herzkrankheit mit LV-


Einstellung der Hypertonie
Hypertrophie

Kardiomyopathien (CMP)

Körperliche Schonung, Medikamente,


1. Dilatative Kardiomyopathie (DCM, idiopathische
Alternative Therapien
Form)
und HTX erwägen

Strikte Alkoholkarenz; strikte
Drogenkarenz (insbes. Kokain);
2. DCM infolge toxischer Schädigung durch Alkohol,
Überprüfung und ggf. Änderung der
Drogen, Medikamente
Medikation (z.B. NSAR, Zytostatika,
etc.)

Medikamentös hochdosiert Verapamil;
Diskussion: DDD-Schrittmacher;
3. Hypertrophe CMP mit Obstruktion (HOCM) kathetertechn. Ablation der
Septumhypertrophie oder
operative Myektomie

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Diana Iancu
4. Hypertrophe CMP ohne Obstruktion Hochdosiert Verapamil

5. Restriktive CMP, idiopathische Form Diskussion HTX

Symptomatisch und Behandlung der


6. CMP Grunderkrankung, z.B.
bei Speicherkrankheit(Amyloidose, Hämochromatose) Chemotherapie bei Plasmozytom,
Aderlässe bei Hämochromatose

Rhythmusstörungen

Tachykarde Formen

Medikamentöse
Frequenznormalisierung; ggf.
Chronisches oder akutes Vorhofflimmern
Rhythmisierung
(elektrisch/medikamentös)

Typisches Vorhofflattern Kathetergesteuerte HF-Ablation

Supraventrikuläre Tachykardienmit Reentry-
Mechanismus (z.B. WPW-Syndrom)

ICD (implantierbarer Cardioverter
Anhaltende ventrikuläre Tachykardien Defibrillator), Antiarrhythmika, ggf.
HF-Ablation

Arrhythmogene rechtsventrikuläre Cardiomyopathie Antiarrhythmika; ICD (führt nur selten


(ARVCM) zur Herzins.)

Bradykarde Formen

Sinus- oder AV-Knotenerkrankungen ggf. DDD(R)-Schrittmacher

Überprüfung der Medikation; ggf.


Bradyarrhythmia absoluta bei chron. Vorhofflimmern
VVI(R)-Schrittmacher-Implantation

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Diana Iancu
Operativer Klappenersatz oder
Herzklappenerkrankungen
Valvuloplastie

Entzündliche Herzerkrankungen

1. Akute Myokarditis Symptomatisch

2. Akute Endokarditis mit hämodyn. bedeutsamer


Operative Sanierung (Klappenersatz)
Klappendysfunktion

3. Akutes rheumatisches Fieber Antibiotika

Operative Sanierung
4. Konstriktive Perikarditis
(Perikardektomie)

Immunsuppressive Therapie der
Herzbeteiligung bei Vaskulitiden und
Grunderkrankung; symptomorientierte
anderen Autoimmunerkrankungen
Therapie

Herzbeteiligung bei endokrinologischen und Ausgleich der hormonellen und


Stoffwechselerkankungen metabolischen Faktoren

Hypo-/Hyperthyreose

Diabet. autonome Neuropathie

Anämie Transfusion und Ursachenklärung

Niereninsuffizienz Ggf. Dialyse

9 Pharmaka, die bei Herzinsuffizienz vermieden werden sollen


● Kalziumantagonisten vom Nifedipin-, Verapamiltyp und Diltiazem vermeiden; bei symptomatischer KHK
mit Angina pectoris-Beschwerden und/oder schlecht kontrollierter arterieller Hypertonie ggf.
langanflutende Dihydropyridine (z.B. Amlodipin) verwenden
● Nichtsteroidale Antirheumatika inkl. COX-2-Hemmer (cave Selbstmedikation!); Ausnahme: niedrig
dosierte Acetylsalicylsäure in der Prophylaxe von KHK bzw. pAVK

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Diana Iancu
● Antiarrhythmika Klasse I und III2 (Ausnahme Amiodaron), andere
negativ inotrope Substanzen: Carbamazepin, trizyklische Antidepressiva, Itraconazol und Alpha-Blocker
● Bei NYHA III – IV: Metformin (erhöhte Gefahr der Laktatazidose), Thiazolidindione (Glitazone)
● Phytopharmaka und Nahrungsergänzungsstoffe (cave Selbstmedikation!)

Angina pectoris
von lateinisch: angina - Enge; pectus - Brust
Synonyme: Brustenge, Stenokardie, Herzbräune, AP
Englisch: angina pectoris, chest pain

1 Definition
Als Angina pectoris ("Brustenge"), abgekürzt AP, bezeichnet man einen häufig anfallsartig
auftretenden, thorakalen bzw. retrosternalen Schmerz, der durch eine Ischämie des Herzensausgelöst
wird. Die Angina pectoris ist das Kardinalsymptom der koronaren Herzkrankheit (KHK).
Als Adjektiv wird in der Medizinischen Umgangssprache gern der Begriff "pektanginös" verwendet.

2 Einteilung
Die Einteilung der Angina pectoris in klinische Schweregrade erfolgt nach der CCS-Klassifikation, die von
der Canadian Cardiovascular Society entwickelt wurde:

 Stadium  Symptome

  0 Keine Beschwerden bzw. stumme Ischämie

  I Angina pectoris nur bei schwerer körperlicher Belastung

  II Geringe Beeinträchtigung durch Angina pectoris bei normaler körperlicher


Belastung

  III Erhebliche Beeinträchtigung durch Angina pectoris bei normaler körperlicher


Belastung

  IV Angina pectoris bereits bei geringer körperlicher Belastung oder in Ruhe (dann
instabil)

3 Ätiologie
Meist beruht die Durchblutungsstörung, die der Angina pectoris zugrunde liegt, auf
der Stenosierung(Verengung) einer Koronararterie. Sie entsteht häufig auf dem Boden einer

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Diana Iancu
(generalisierten) Arteriosklerose. Weitere Ursachen für eine Verengung sind Vasospasmen der
Koronararterien (Prinzmetal-Angina) oder allergische Reaktionen (Kounis-Syndrom).

4 Formen
Die Angina pectoris lässt sich nach verschiedenen Aspekten unterteilen:

4.1 ...nach Auftreten
● De-novo-Angina: Angina pectoris, die erstmalig auftritt (de novo)
● Belastungsangina: Brustschmerz unter Belastung
● Ruhe-Angina: Angina pectoris, die in Ruhe aufritt
● Angina nocturna (nächtliche Angina)
● Angina decubitus (Angina im Liegen)
● Präinfarktangina: Angina pectoris im Vorfeld eines Myokardinfarkts
● Postinfarktangina: Angina pectoris, die innerhalb von zwei Wochen nach einem Myokardinfarkt auftritt
● Walking-Through-Angina
Die Prinzmetal-Angina, eine vasospastische Variante der Angina pectoris, tritt in Ruhe ohne äussere
Provokation, mit ST-Hebungen im EKG und ohne Troponinanstieg auf. Die EKG-Veränderungen sind
jedoch reversibel, die körperliche Leistungsfähigkeit ist gut. Die Patienten zeigen koronarangiografisch
oft Koronarstenosen, in deren Bereich es zu passageren Koronarspasmen kommen kann. Es besteht ein
erhöhtes Risiko für ein akutes Koronarsyndrom.

4.2 ...nach Verlauf
● stabile Angina pectoris
● instabile Angina pectoris
o Crescendo-Angina: Angina pectoris mit stärker werdendem Beschwerdebild, z.B. in Bezug auf
Anfallshäufigkeit, Schmerzintensität oder Anfallsdauer
Außerhalb der Fachliteratur begegnet man auch dem Begriff der "stummen Angina pectoris". Das ist
insofern irreführend, als dass das typische Merkmal der Angina pectoris ja gerade der Schmerz ist. Statt
dessen sollte der Ausdruck "stumme Myokardischämie" verwendet werden.

4.3 ...nach Pathologie
● Mikrovaskuläre Angina pectoris

5 Symptome
Die Symptome der Angina pectoris können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Die meisten Patienten
klagen weniger über einen ausgewiesenen, stechenden Brustschmerz, als vielmehr über
ein retrosternal lokalisiertes Unwohlsein, das sich mit unterschiedlicher Ausprägung als
● dumpfer Schmerz,
● Druck,
● Schweregefühl,
● Brennen oder
● Erstickungsgefühl
bemerkbar machen kann. Die Beschwerden können in Epigastrium, Rücken, Nacken, Schultern oder
sogar in die Kiefergegend ausstrahlen.

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Diana Iancu
Typischerweise wird die Angina pectoris durch körperliche Anstrengung, Kälteexposition oder
emotionalen Stress ausgelöst. Ein häufiger Trigger sind auch große Mahlzeiten. Der Schmerz dauert
etwa 1-5 Minuten an und lässt sich durch Applikation von Nitroglycerin lindern. Ein sekundenweise
auftretender, kurzer Brustschmerz ist in der Regel keine Angina pectoris.
Beim Herzinfarkt kommt es oft zu einer besonders schweren und länger anhaltenden Angina pectoris, oft
verbunden mit einer Ausstrahlung in den linken Arm (s. Nervus ulnaris, Dermatom, Head'sche Zone)

6 Diagnostik
Die Diagnostik ist auf den direkten oder indirekten Nachweis koronarer Gefäßstenosen
bzw. myokardialer Minderperfusion mittels invasiver oder nicht-invasiver Verfahren gerichtet:

6.1 nicht-invasiv
● Ruhe-EKG
● Belastungs-EKG (Ergometrie)
● Langzeit-EKG
● Stressechokardiografie
● PET
● Myokardperfusionsszintigrafie
● Kardio-CT
● Kardio-MRT
● Stress-MRT

6.2 invasiv
● Koronarangiografie
● Intravaskulärer Ultraschall (IVUS)
● Koronarangioskopie
● Intrakoronare Dopplerflussmessung

7 Differentialdiagnose
Das Leitsymptom der Angina pectoris, die retrosternalen Beschwerden, ist vieldeutig. Nur in rund 1/5 der
Fälle wird die Symptomatik durch pathologische Veränderungen der Koronararterien verursacht. Als
Differentialdiagnosen kommen u.a. in Frage:
● Andere kardiovaskuläre Erkrankungen
o Herzinfarkt
o Aortendissektion
o Perikarditis
o Myokarditis
● Erkrankungen des oberen Gastrointestinaltrakts
o Gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD)
o Gastritis
o Cholezystitis
o Achalasie

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Diana Iancu
o Ulcus ventriculi bzw. Ulcus duodeni
● Erkrankungen des Skelettsystems
o Intercostalneuralgie
o BWS-Syndrom
● Lungenerkrankungen
o Lungenembolie
o Pleurodynie
o Pleuritis
o Pneumothorax
● Psychische Erkrankungen
o Somatoforme Störung
o Kardiophobie
siehe auch: retrosternaler Schmerz

8 Therapie

8.1 Konservativ
● Ruhe
● Meidung von starker körperlicher oder seelischer Belastung
● Sauerstoffgabe
● Medikamente
o Nitroglycerin
o Amlodipin
o Langzeitnitrate
o Beta-Blocker
o Beruhigungsmittel
o Acetylsalicylsäure
o Statine

8.2 Interventionell
● Koronarangioplastie (Aufdehnung eines Kranzgefäßes)

8.3 Chirurgisch
● Bypassoperation
Eine Angina pectoris, die auf keine therapeutischen Maßnahmen anspricht, bezeichnet man
als therapieresistente Angina pectoris.

Instabile Angina pectoris

1 Definition

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Diana Iancu
Als instabile Angina pectoris, kurz IAP, bezeichnet man eine Form der Angina pectoris, deren Symptomatik nicht
konstant ist, oder eine Form des akuten Koronarsyndroms (ACS).

● ICD10-Code: I20.0

2 Hintergrund
Die Verwendung des Begriffes "instabile Angina pectoris" ist nicht einheitlich. Er dient meist als
Symptombeschreibung und bezeichnet dann eine Angina pectoris mit inkonstanter Symptomatik. Als instabil werden
dabei folgende Angina-pectoris-Formen gewertet:

● De-novo-Angina: Angina pectoris, die erstmalig auftritt (de novo)


● Postinfarkt-Angina: Angina pectoris, die innerhalb von zwei Wochen nach einem Myokardinfarktauftritt
● Ruhe-Angina: Angina pectoris, die in Ruhe aufritt
● Crescendo-Angina: Angina pectoris, deren Beschwerdebild sich ändert (Crescendo-Symptomatik), z.B. in Bezug auf
Anfallshäufigkeit, Schmerzintensität oder Anfallsdauer
● Angina nocturna: Auch Angina decubitus genannt. Thoraxschmerzen, die vor allem nachts im Liegen auftreten.
Daneben wird der Begriff auch als Entität des akuten Koronarsyndroms aufgefasst. In diesem Fall handelt es sich
dann um eine Diagnose, die gestellt werden kann, wenn eine infarkttypische Symptomatik für mindestens 20 Minuten
besteht, jedoch keine elektrokardiographischen und serologischen Veränderungen bestehen, die auf
einen Myokardinfarkt hinweisen.

3 Pathophysiologie
Einer instabilen Angina pectoris liegt eine Koronare Herzkrankheit (KHK)
mit Arteriosklerose der Koronararterien zugrunde. Der primäre Pathomechanismus der Ruheischämie ist meist eine
kurz zuvor eingetretene Ruptur von atherosklerotischen Plaques in den Herzkranzgefäßen, die zu einer Bildung
von Plättchenthromben und zur Freisetzung von Vasokonstriktoren führt. Dies führt zu einer teilweisen Verlegung und
reflektorischen Verengung der Arterien durch Vasospasmus. Der Thrombus kann das Koronargefäß verlegen und
dadurch einen akuten Myokardinfarkt auslösen.

4 Einteilung
Der Schweregrad einer instabilen Angina pectoris wird nach Braunwald unterteilt in:

Klasse I neu aufgetretene schwere oder akzelerierte Belastungs-AP in den


letzten 2 Monaten

Klasse II Ruhe-AP in den letzten 2 Monaten

Klasse
Ruhe-AP in den letzten 48 Stunden
III

5 Diagnostik
Die instabile Angina pectoris gilt als Vorbote eines drohenden Herzinfarktes (Präinfarktangina) und bedarf der
zeitnahen kardiologischen Abklärung und Überwachung. Zur Basisdiagnostik gehören:

● Ruhe-EKG
● Laboruntersuchungen (Herzmuskelenzyme wie Troponin, Kreatinkinase, GOT)
● Echokardiographie
Zur weiterführenden Diagnostik zählt die Koronarangiographie, die mit einer PTCA verbunden werden kann.

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Diana Iancu

6 Therapie
Initiale Therapiemaßnahmen sind u.a.:

● Oberkörperhochlagerung
● Sauerstoffgabe per Nasensonde oder Maske (4-8 l/min), wenn die Sauerstoffsättigung kleiner 90% ist
● Sublinguale oder intravenöse Gabe von Nitraten (Cave bei systolischem RR < 90 mmHg)
● Analgesie (z.B. Morphin 3-5 mg intravenös oder subkutan bei starken Schmerzen)
Die weitere Therapie ist von den Ergebnissen der Diagnostik, vom klinischen Verlauf und vom individuellen
Risikoprofil des Patienten abhängig. Ein dringliches invasives Vorgehen (PTCA) ist z.B. notwendig bei

● Therapiefraktärer instabiler Angina pectoris (Hinweis auf einen sich entwickelnden Myokardinfarkt)
● Wiederkehrender Angina pectoris mit ST-Streckensenkung (≥2 mm) oder tief negativen T-Wellen
● hämodynamischer Instabilität (kardiogener Schock)
● lebensbedrohlichen Arrhythmien (Kammerflimmern, Kammertachykardie)

Stabile Angina pectoris


von lateinisch: angina pectoris - Brustenge

1 Definition
Die Angina pectoris gehört zum Formenkreis der sog. "Koronaren Herzkrankheit" (KHK). Eine stabile Angina
Pectoris liegt vor, wenn in Ruhe Beschwerdefreiheit besteht und die Symptomebelastungsinduziert auftreten, z.B.
bei emotionaler oder körperlicher Belastung, bei Kälte oder nach schweren Mahlzeiten. Die Belastungsgrenze ist
dabei individuell unterschiedlich.

2 Ursachen
Der stabilen Angina pectoris liegt häufig eine mehr als 70%ige Stenose von mindestens einem
bedeutenden Koronargefäß zugrunde.

3 Einteilung
Die Einteilung der stabile Angina pectoris in klinische Schweregrade erfolgt nach der CCS-Klassifikation, die von der
Canadian Cardiovascular Society entwickelt wurde.

Migräne
von lateinisch: migrare - umherziehen oder griechisch: hemikrania - Halbschädel
Synonym: Hemikrania
Englisch: migraine

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Diana Iancu
1 Definition
Die Migräne ist eine in Episoden anfallsartig auftretende Form des chronischen Kopfschmerzes.

2 Epidemiologie
Die Prävalenz der Migräne wird in verschiedenen Quellen unterschiedlich hoch angegeben und liegt bei 2-10%.
Untersuchungen deuten an, dass die Prävalenz der Migräne in den Industrieländern seit 1970 um den Faktor 2-3
zugenommen hat. Frauen sind etwa dreifach häufiger betroffen als Männer. Die Migräne tritt häufig bei jungen bis
mittelalten Patienten auf. Frauen berichten oft über ein Verschwinden der Migräneattacken nach Eintritt
der Menopause.
Bei Kindern und Jugendlichen liegt die Prävalenz der Migräne bei 4 - 5%. Migräne tritt in sozial schwachen Schichten
häufiger auf als im Bevölkerungsschnitt. Bei Ärzten (Kopfschmerzspezialisten), die schwerpunktmässig Migräne
behandeln, liegt die Prävalenz der Migräne bei über 60%.
Migräne hat eine Komorbidität mit Depressionen. Die Migräne ist eventuell ein Risikofaktor für junge Frauen, einen
Schlaganfall zu erleiden, sofern die Migräne mit Aura vergesellschaftet ist, sowie bei gleichzeitigem Konsum von
Nikotin, und Ovulationshemmern.
Ebenfalls kennt man seit neuestem die Komorbidität mit dem offenen Foramen ovale. Es gibt hingegen keine
Komorbidität mit der Epilepsie.

3 Ätiologie
Die Erkenntnisse über die Ursache und den Entstehungsweg der Migräne sind derzeit (2005) nicht vollständig. Es
existieren lediglich Hypothesen, die einer weitergehenden Validierung und Ergänzung bedürfen. Auf Grund der in den
letzten Jahrzehnten beobachteten starken Zunahme der Migräneprävalenz in den Industrieländern scheinen
Lebensstilfaktoren eine Rolle zu spielen.
Ein fortgeschrittener Erklärungsansatz ist die durch Serotoninfreisetzung vermittelte Entstehung der Migräne.
Ausgangspunkt ist dabei die Freisetzung von Serotonin aus Axonendigungen der Dura materbzw. Thrombozyten.
Das freigesetzte Serotonin führt einerseits an den Blutgefäßen der Dura mater zur Synthese
und Sekretion von NO (Vasodilatation, pulsierender Kopfschmerz). Andererseits werden durch die Serotoninwirkung
als Entzündungsmediatoren wirksame Neuropeptide (zum Beispiel CGRP) freigesetzt.
Durch Erregungsausbreitung werden zudem Strukturen des ZNS angeregt, wodurch die Entstehung von Symptomen
wie Schmerz, Übelkeit und Erbrechen erklärbar werden.

4 Symptomatik
Der durch Migräne bedingte Kopfschmerz tritt in Form von Attacken auf, deren Dauer zwischen 4 Stunden und 3
Tagen schwankt. Eine über 3 Tage hinaus bestehende Migräneattacke wird als Status migraenosus bezeichnet.

4.1 Phasen
Durch klinische Beobachtungen und Erfahrungen lassen sich im Ablauf der Migräne drei Phasen unterscheiden. Zu
betonen ist jedoch, dass diese drei Phasen nicht bei jedem Migräneanfall regelhaft ablaufen und auch ganz fehlen
können.

● Prodromalstadium: Dem Anfall gehen verschiedene, für den Patienten als Warnzeichen erkennbare Symptome
voraus. Dies kann beispielsweise eine depressive Verstimmung oder Übererregbarkeit sein.
● Aura: Unmittelbar vor dem Schmerz oder den Schmerz begleitend äußert sich die Aurabeispielsweise in Form sehr
unterschiedlicher neurologischer Störungen wie z.B. Gesichtsfeldausfälle, Parästhesien und Paresen.
● Kopfschmerz: Der von Betroffenen meist als einseitig pochend beschriebene Kopfschmerz wird in der Regel durch
körperliche Aktivität verschlimmert und ist je nach Form und Ausprägung der Migräne von vegetativen und
neurologischen Symptomen begleitet. Behinderung der Nasenatmungund Nasenlaufen gehören häufig zum
Krankheitsbild der Migräne, denn die Stimulation der autonomen Nerven (Äste des Nervus trigeminus) kann beide
Symptome verursachen. Dadurch besteht die Verwechslungsgefahr mit einer Rhinosinusitis.

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Diana Iancu
5 Formen
Die Migräne wird klinisch in eine einfache, klassische und komplizierte Form eingeteilt. Die International Headache
Society hat darüber hinaus eine international gültige Klassifikation der Kopfschmerzen im Allgemeinen und der
Migräne im Speziellen ausgearbeitet.
Einige Autoren teilen die Migräne auch nach dem Vorhandensein einer Aura in "mit Aura" und "ohne Aura" ein.

5.1 Einfache Migräne
Die einfache oder gewöhnliche Migräne zeichnet sich durch vegetative Begleitsymptome wie Übelkeit, Erbrechen,
audiovisuellen Missempfindungen (Photophobie, Phonophobie), Palpitationen und Diarrhöen aus. Die visuelle Aura
ist gekennzeichnet durch Fortifikationen.

5.2 Klassische Migräne
Bei der klassischen Migräne, auch Migräne mit Aura genannt, werden die Kopfschmerzen zusätzlich von meist kurz
andauernden und nach Anfallsende abklingenden neurologischen Defiziten begleitet. So sind beispielsweise für
die ophthalmische Migräne Gesichtsfeldausfälle in Form von sog. Flimmerskotomen typisch, auf welche oft Lichtblitze
folgen. Bei Lidschluss leuchten die Lichtblitze intensiv bläulich-gelb wie ein Feuerwerk. Dem folgt ein
Halbseitenkopfschmerz mit Rötung der Gesichtshaut der betroffenen Seite. Ätiologisch verantwortlich ist
wahrscheinlich eine temporäre Blutzirkulationsstörung im Bereich der Arteria cerebri posterior, die aus der Arteria
basilaris abzweigt. Diese Art der Migräne betrifft meist jüngere Patientinnen zwischen 10 und 30 Jahren.

5.3 Komplizierte Migräne
Die bei der komplizierten Migräne, auch als Migraine accompagnée bezeichnet, auftretenden neurologischen
Störungen dauern länger als bei der klassischen Migräne und können den einzelnen Anfall auch überdauern.
Beispiele für die komplizierte Migräne sind:

● Hemiplegische Migräne, mit Halbseitensymptomatik wie beispielsweise Hemiparese


● Basilaris-Migräne, mit neurologischen Störungen des Hirnstamms, symptomatisch in Form von Schwindel,
Gangstörungen, Paresen und Sehstörungen
● Ophthalmoplegische Migräne mit Paresen im Versorgungsgebiet des Nervus oculomotorius
Eine Sonderform der Migraine accompagnée ist die mit isoliertem Sprachverlust bzw. Sprachstörungen
einhergehende Variante.

5.4 Sonderformen
Die kindliche Migräne geht meistens mit kürzeren Migräneanfällen als beim Erwachsenen einher. Die vegetativen
Begleitsymptome stehen hier im Vordergrund (Übelkeit, Aura), oft auch mit unspezifischen Schmerzen. Die Kinder
ziehen sich typischerweise vom Spielen zurück und schlafen nicht selten im Verlauf einer Migräneattacke ein, um
nach kurzem Schlaf weitgehend beschwerdefrei aufzuwachen.
Bei Migräne (ohne Aura) deutet ein erhöhter Methylmalonsäurewert hin auf einen Vitamin B12 Mangelals Ursache.
Die Behandlung (i.m. Verabreichung des Vitamins) der Ursache ist dabei oft erfolgreich.
Der medikamenteninduzierte Dauerkopfschmerz kann im Rahmen einer Migräne durch zu häufige Einnahme von
Schmerzmitteln, Mutterkornalkaloiden oder Triptanen zustandekommen. Es kommt dabei zu einer Zunahme der
Migräneattacken. Auch die Einnahme
von Tranquillizern(Benzodiazepinen), Nitropräparaten und Antibiotika (z.B. Aminoglykoside) können zu
Kopfschmerzen führen.
Die vestibuläre Migräne ist die häufigste Ursache von spontan rezidivierenden Schwindelattacken im mittleren
Lebensalter. Es zeigen sich Kopfschmerzen sowie Dreh- und Schwankschwindel mit Zeichen einer peripher- oder
zentral-vestibulären Störung. Zusätzlich zur Migränetherapie (s.u.) können bei dieser
Form Antivertiginosa wie Dimenhydrinat eingesetzt werden.

6 Therapie
Die Therapie der Migräne ist vielschichtig und umfasst neben der medikamentösen Behandlung eine Reihe
psychotherapeutischer, physiotherapeutischer und alternativer Heilverfahren.

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Diana Iancu
6.1 Medikamentöse Therapie des akuten Anfalls
Die medikamentöse Therapie ist dann erfolgreich, wenn sie im Beginn der Migräne eingesetzt wird. Die Deutschen
Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft sieht in ihrer Leitlinie eine schrittweise und bedarfsgerechte Medikation vor:

● Gegen Übelkeit und Erbrechen: Verabreichung eines Antiemetikums (z.B. Metoclopramid, (10-20 mg p.o., 10 mg


i.v.),
● Gegen Schmerzen:
o Analgetika bei Atacken mit leichteren Schmerzen (z.B. Ibuprofen, Paracetamol, ASS); Notfallmässig Metamizol (bis
1000 mg, p.o.)
o Triptane (z.B. Sumatriptan ( 50 mg - 100 mg p.o., 10 mg - 20 mg Nasenspray) oder Ergotaminderivate
(z.B. Ergotamintartrat), bei Bedarf zusätzlich ASS i.v. (1000 mg)
o Migränestatus (Migräneattacken, die mehr als 72 Stunden dauern): Cortison 250 mg i.v., oder 60 mg - 100 mg p.o.,
an 2 folgenden Tagen
● Kindliche Migräne: Paracetamol, 15 mg/kg KG, oder Ibuprofen, 10 mg /kg KG; bei Kindern unter 10 J. gegen
Übelkeit Domperidon (20 - 30 mg p.o.); oft hilft bei kleineren Kindern schon ein kurzer "Mittagsschlaf" , um die
Migräne-Attacke zu beenden.

6.2 Einsatz von Triptanen


Mittelschwere Migräneattacken sollten individuell einem spezifischen Migränemanagement mit Ergotaminen und
Triptanen unterworfen werden. Von den Triptanen gibt es mittlerweile (2006) in der BRD 23 verschiedene
Darreichungsformen mit unterschiedlichen pharmakokinetischen Eigenschaften, die auf (fast) alle Besonderheiten
der Patienten eingehen (Zolmitriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan).
Bei Migräne mit Aura sollten die Triptane erst nach Abklingen der Aura und mit Einsetzen der Kopfschmerzen
verabreicht werden (wegen der vasokonstriktorischen Wirkung). Triptane dürfen nicht bei bestehender koronarer
Herzerkrankung und in der Schwangerschaft (Ausnahme: Sumatriptan) angewandt werden. Alle Triptane können wie
Ergotamin bei zu häufiger Einnahme zu einer Erhöhung der Attackenfrequenzen und letztlich zu
medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz führen.

6.3 Einsatz homöopathischer Mittel


Für die Homöopathie liegen randomisierte, placebokontrollierte Studien vor, die keine signifikante Wirksamkeit
belegen.

6.4 Medikamentöse Anfallsprophylaxe
Bei der medikamentösen Migräneprophylaxe sollte mit dem Medikament der ersten Wahl begonnen und bei
Nichtwirksamkeit auf das nächste Medikament umgestiegen werden; die Dosierung sollte langsam, einschleichend
erfolgen.

● Betablocker (Wirksamkeit erwiesen für Metoprolol, 50 mg - 200 mg / Tag, Propranolol, 40 mg - 240 mg /


Tag), Bisoprolol, 5 mg - 10 mg / Tag), langsam einschleichende Dosierung; Einnahme abends, um die Blutdruck
senkende Wirkung zu "verschlafen".
● Flunarizin 5 - 10 mg, abends eingenommen, mit antidopaminerger, antihistaminerger, und antiserotonerger Wirkung
(Calciumantagonist)
● diverse Antiepileptika wie Valproinsäure (500 mg - 600 mg / Tag) oder Topiramat (50 mg - 100 mg / Tag, Dosierung
langsam steigern mit 25 mg/ Woche)
● Pizotifen oder Methysergid (5HT-Antagonisten)
Bei Versagen anderer Prophylaxemedikamente können CGRP-Inhibitoren,
wie Erenumab, Fremanezumab oder Galcanezumab eingesetzt werden.
Spezielle Prophylaxeschemata gibt es bei

● Menstrueller Migräne: Naproxen 500 mg / Tag (4 Tage vor und 3 Tage nach der Periode), und/oder Östradiol 100
Mikrogramm/Tag (oder Östrogenpflaster), wirksam auch langwirksame Triptane wie Naratriptan, (2,5 mg /
Tag), Frovatriptan, (2,5 mg / Tag).

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● Schwangerschaftsmigräne: Magnesium (300 mg / Tag, p.o.), Paracetamol (1 g, p.o. oder als Suppositorium) oder
Betablocker (nicht in der Stillzeit).

6.5 Weitere Maßnahmen
Die Entstehung von Migräneanfällen wird häufig durch Stressituationen, ungeregelte
Schlafgewohnheiten, Hypoglykämie und ausgelassene Mahlzeiten, bestimmte Nahrungsmittel und
Lebensmittelzusätze, Bewegungsmangel, Alkoholkonsum und Passivrauchen gefördert. Dem Patienten sollte diese
Problematik erläutert werden. Ein selbst geführtes Anfallstagebuch kann Hinweise auf ein gehäuftes Auftreten von
Anfällen unter bestimmten Bedingungen geben. Dadurch können für den Patienten Impulse zur Veränderung der
Lebensführung resultieren.
Psychotherapeutische Verfahren, bei denen der Patient durch Verhaltenstherapie (autogenes Training, Biofeedback)
erlernt, sich bei anbahnenden Schmerzen in einen Trance-ähnlichen Zustand zu versetzen, können den Umgang mit
der Migräne erleichtern. Ebenso wirksam ist das Ausüben aerober Ausdauersportarten, wie Nordic-Walking,
Schwimmen, Inline-Skating.

Migräne mit Aura


Synonym: klassische Migräne

1 Definition
Unter einer Migräne mit Aura versteht man eine Migräne, die durch reversible neurologischeSymptome - meist in
Form von Sehstörungen - gekennzeichnet ist.

2 Hintergrund
Die Aura leitet typischerweise den Migränekopfschmerz ein bzw. geht ihm in einem Abstand von bis zu 60 Minuten
voraus. Die anschließende Kopfschmerzphase kann jedoch auch vollständig fehlen. Bei den Erscheinungen der Aura
handelt sich um reversible Störungen, die im Durchschnitt 20–30 Minuten, selten länger als eine Stunde anhalten.
Der Kopfschmerz selbst kann wiederum von den typischen Begleitsymptomen, wie Nausea, Erbrechen, sowie
gesteigerter Licht- und Geräuschempfindlichkeit begleitet sein kann.
Die Aura kann interindividuell sehr unterschiedliche Formen annehmen. Häufig
treten Gesichtsfeldausfälle, Skotome, Lichtblitze, Flimmern oder abstrakte Farb- und Formwahrnehmungen auf.
Daneben werden Sensibilitätsstörungen in Form von Dysästhesien mit Kribbeln oder Taubheitsgefühl beschrieben.
Gelegentlich kann es auch zu Sprachstörungen und motorischen Störungen mit Lähmungserscheinungen kommen.

3 Diagnosekriterien
Nach den Kriterien der International Headache Society (IHS) wird von einer Migräne mit Aura gesprochen, wenn die
folgenden Kriterien erfüllt sind:

● Auftreten vollständig reversibler Seh-, Gefühls- oder Sprachstörungen


● Langsame Entwicklung der Aurasymptome mit einer Dauer von 5-60 min.

Epilepsie
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Diana Iancu
Synonyme: Epilepsia, Fallsucht, Krampfleiden 
Englisch: epilepsy

1 Definition
Epilepsie ist eine Sammelbezeichnung für eine Gruppe von Funktionsstörungen des Gehirns, die durch ein
Zusammenspiel aus pathologischer Erregungsbildung und fehlender Erregungsbegrenzung in
den Nervenzellverbänden des ZNS entstehen.

1.1 Definition der ILAE


Nach der Definition der ILAE von 2014 liegt eine Epilepsie vor, wenn eine der folgenden Bedingungen zutrifft:[1]

● Mindestens zwei nicht provozierte Anfälle ("seizures") im Abstand von mehr als 24 Stunden


● Ein nicht provozierter Anfall und eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 60% für einen weiteren Anfall in den nächsten
10 Jahren.
● Diagnose eines Epilepsie-Syndroms

2 Nomenklatur
Die Begriffe "Anfall" und "Epilepsie" lassen sich wie folgt unterscheiden:

● Ein Anfall ist ein isoliertes klinisches Ereignis.


● Epilepsie ist die Erkrankung, die mit spontan wieder auftetrenden Anfällen assoziiert ist. Sie liegt vor, wenn
mindestens zwei nicht provozierte, einzelne Anfallsereignisse vorgefallen sind.

3 Epidemiologie
Etwa 2 bis 4% aller Menschen erleiden in ihrem Leben einen einzelnen, isoliert auftretenden epileptischen Anfall.
Rund 0,5 bis 1% entwickeln eine manifeste Epilepsie. Die genaue Inzidenz ist abhängig vom Lebensalter. Bei
Kindern überwiegen generalisierte Epilepsien, während bei Erwachsenen fokale Epilepsien dominieren.
Das Auftreten eines einzelnen tonisch-klonischen Anfalls steigert die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten weiterer
Anfälle deutlich.

4 Pathophysiologie
Die genauen neurobiologischen Zusammenhänge, die zu einer Epilepsie führen, sind zur Zeit (2018) nur
unvollständig bekannt. Man nimmt an, dass ein auslösender Mechanismus eine mangelnde Koordination von
Erregung und Hemmung der Neuronen in ihren jeweilgen Verbänden, den neuronalen Netzen, ist. Mögliche Trigger
sind veränderte Membraneigenschaften der Nervenzellen (z.B. defekte Ionenkanäle) oder Fehler in der
Erregungsübertragung zwischen den Neuronen durch ein Ungleichgewicht oder ein falsche Zusammensetzung
der Neurotransmitter.
Auf biochemischer Ebene besteht bei der Epilepsie wahrscheinlich ein Ungleichgewicht zwischen
erregender Glutamat- bzw. Aspartat-Wirkung und hemmender GABA-Wirkung auf Neurone, das
zu paroxysmalen Depolarisationsstörungen eines einzelnen Hirnrindenareals oder der gesamten Hirnrinde (Cortex)
führt. Je nachdem welcher Gehirnbereich betroffen ist, kommt es klinisch
zu sensiblen, sensorischen und/oder motorischen Störungen.
In der Modellvorstellung überwiegt die fokale Exzitation zunächst in einer einzelnen Kolumne, die auf andere
Nervenzellkolumnen übergeht und damit generalisiert. Die genauen Ausbreitungsmechanismen in der
Mikroarchitektur des Gehirns sind jedoch unbekannt.

5 Klassifizierung
Nach der ILAE-Klassifikation der Epilepsien von 2017 werden Epilepsien auf 3 Ebenen klassifiziert.[2]Dieser Mulitlevel-
Ansatz soll den verschiedenen diagnostischen Möglichkeiten gerecht werden, die dem diagnosestellenden Arzt im
konkreten Fall zur Verfügung stehen. Das Optimum stellt dabei eine Einordnung auf allen 3 Ebenen dar.

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Diana Iancu
5.1 Level 1: Anfallstyp
Epileptische Anfälle werden nach der Form ihrer Ausbreitung unterteilt in fokale Anfälle, bei denen die Übererregung
auf ein Areal beschränkt bleibt, generalisierte Anfälle, bei denen sich die Anfallszeichen über
beide Hemisphären erstrecken, und Anfälle mit unbekannter Ausbreitung.
5.1.1 Fokale Anfälle
Fokale Anfälle sind auf eine bestimmte Gehirnregion beschränkt. Sie lassen sich optional in Anfälle
ohne Bewusstseinsstörung und Anfälle mit Bewusstseinsstörung unterteilen - nach älterer Terminologie "einfach-
fokal" und "komplex-fokal". Die zentrale Differenzierung erfolgt im Hinblick auf das Vorhandensein motorischer
Störungen:

● Fokale Anfälle mit motorischen Störungen


o Automatismen
o atonische Anfälle
o klonische Anfälle
o epileptische Spasmen
o hyperkinetische Anfälle
o myoklonische Anfälle
o tonische Anfälle
● Fokale Anfälle ohne motorische Störungen
o autonome Anfälle
o Arrest-Anfälle
o kognitive Anfälle
o emotionale Anfälle
o sensorische Anfälle
Desweiteren gibt es fokale Anfälle mit Entwicklung zu bilateral tonisch-klonischen Anfällen, die früher als "sekundär
generalisierte Anfälle" bezeichnet wurden.
5.1.2 Generalisierte Anfälle
Generalisierte Anfälle werden analog den fokalen Anfällen in Anfälle mit und ohne motorische Störungen unterteilt:

● Generalisiert beginnende Anfälle mit motorischen Störungen


o tonisch-klonische Anfälle
o klonische Anfälle
o tonische Anfälle
o myoklonische Anfälle
o myoklonisch-tonisch-klonische Anfälle
o myoklonisch-atonische Anfälle
o atonische Anfälle
o epileptische Spasmen
● Generalisiert beginnende Anfälle ohne motorische Störungen (Absencen)
o typische Absencen
o atypische Absencen
o myoklonische Absencen
o Absencen mit Lidmyoklonien
Tonisch-klonische Anfälle wurden früher als "Grand mal", Absencen als "Petit mal" bezeichnet.

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Diana Iancu
Anfälle, die wegen unzureichender oder unvollständiger Daten nicht klassifiziert werden können bzw. bei denen eine
Zuordnung unmöglich ist, werden als "nicht klassifizierbare epileptische Anfälle" bezeichnet.

5.2 Level 2: Epilepsietyp
Die Zuordnung zu einem Epilepsietyp setzt eine Epilepsiediagnose im Sinne der ILAE-Definition von 2014 voraus.
Man unterscheidet:

● fokale Epilepsien
● generalisierte Epilepsien
● kombinierte generalisierte und fokale Epilepsien
● Epilepsien unbekannten Typs

5.3 Level 3: Epilepsie-Syndrom
Die dritte Ebene der ILAE-Klassifikation bilden die Epilepsie-Syndrome. Darunter versteht man Epilepsien, die sich
durch eine typische Konstellation verschiedener klinischer Befunde auszeichnen. Dazu zählen u.a. Anfallsauslöser,
Anfallsformen, EEG-Verläufe oder Befunde in der Bildgebung sowie Prädilektionsalter, Komorbiditäten oder
die Prognose. Die verschiedenen Symdrome werden in der ILAE-Klassifikation selbst nicht aufgeführt oder
strukturiert. Beispiele sind:

● Benigne familiäre Neugeborenenkrämpfe (BFNS)


● Benigne Neugeborenenkrämpfe
● Benigne myoklonische Epilepsie des Kleinkindalters
● Absence-Epilepsie des Kindesalters
● Juvenile Absence-Epilepsie (JAE)
● Juvenile myoklonische Epilepsie (Janz-Syndrom)
● Aufwach-Grand-mal-Epilepsie (AGME)
● Reflexepilepsie (z.B. photosensitive Epilepsie)
● West-Syndrom
● Lennox-Gastaut-Syndrom
● Dravet-Syndrom
● Aphasie-Epilepsie-Syndrom

6 Ätiologie
Epilepsien sind ein multifaktorielles Geschehen: diskutiert werden genetische und epigenetischeFaktoren,
Umwelteinflüsse sowie Intoxikationen und bestimmte Vorerkrankungen. Ein einzelnes oder mehrere einzelne Gene,
deren knock-out eine bestimmte Epilepsieform auslösen, konnten bisher nicht identifziert werden.
Tritt eine Epilepsie als eigenständige Erkrankung auf, spricht man von einer primären Epilepsie. Ist sie Folge einer
anderen Erkrankung, liegt eine sekundäre (symptomatische) Epilepsie vor.

6.1 Primäre Epilepsien
Ursachen primärer Anfälle sind:

● kryptogen (v.a. bei fokalen Anfällen)


● idiopathisch (fokal und generalisiert)
● genetische Disposition

6.2 Sekundäre Epilesien
Sekundäre Anfallsleiden werden wiederum nach intra- und extrakraniellen Ursachen untergliedert.
Ursachen intrakranieller Art sind:

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Diana Iancu
● Hirngewebsfehlbildungen (z.B. fokale kortikale Dysplasien)
● Zerebrale Gefäßmissbildungen (Aneurysmen, Hämangiome)
● Raumfordernde Prozesse (Tumoren)
● Schädel-Hirn-Traumata
● vaskuläre Enzephalopathien im Rahmen einer Arteriosklerose
● infektiöse Enzephalitiden (z.B. Meningokokken, Masern, Hepatitis C, FSME, Lyme-Borreliose)
● Degenerative Hirnerkrankungen
Extrakranielle Ursachen sind:

● Hypoxien
● Hypoglykämien
● Drogenentzug
Sowohl primäre als auch sekundäre Formen können, je nach Veranlagung und bei Vorliegen der entsprechenden
Voraussetzungen, durch bestimmte Faktoren getriggert werden. Dazu zählen Schlafentzug,
Flackerlicht, Fieber (insbesondere bei Kindern), Absetzen von Antikonvulsiva sowie Alkoholexzesse. Sowohl die
genannten Ursachen als auch die möglichen Trigger sind nicht abschließend geklärt. Weitere Ursachen bzw.
Auslöser werden diskutiert.

7 Diagnose
Im EEG zeigen ablaufende Anfälle spezifische Muster.
Charakteristisch für einen fokalen Anfall sind "scharfe Wellen" (sharp waves). Diese zeigen sich an der Ableitung des
Areals, in dem das Anfallsleiden auftritt.
Generalisierte Anfälle zeigen "spitze Welle" Komplexe (spikes and waves). Diese treten an allen Ableitungen auf und
sind von ähnlicher Amplitude wie sharp waves, jedoch mit deutlich höherer Frequenz. Sie sind in aller Regel
(hochgradig) synchron ablaufend.

8 Differentialdiagnose
● Synkopen
● Psychogene Anfälle
● Hyperventilationstetanie
● Transitorisch-ischämische Attacken
● Tremorsyndrome
● Drop Attack
● Paroxysmale Dyskinesien
● Migräne
● Narkolepsie
● Kataplexie

9 Therapie

9.1 Akutversorgung
Im Vordergrund steht die Lagerung mit dem Ziel des Schutzes vor Eigengefährdung und dem Freihalten
der Atemwege. Im Zuge eines v.a. muskulären Krampfanfalles können diese unbeabsichtigt verschlossen oder durch
eigene ungewollte Bewegungen erhebliche Selbstverletzungen zugefügt werden. Die Entfernung von Zahnersatz,
Schmuck und sonstigen Gegenständen kann zur Verringerung solcher Verletzungen beitragen.

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Diana Iancu
Herzaktion und Atmung müssen überwacht werden, da durch die unfreiwillige und teils
wahllose Kontraktion verschiedener Muskelgruppen ein hochgradig unnatürliches Zusammenspiel von Bewegungen
zustande kommt, bei dem Herz, Gefäße und Extremitäten enormen Belastungen ausgesetzt werden können. Bei
heftigen Kontraktionen der Brustmuskulatur kann es zu unnatürlichen Kontraktionen kommen, welche Druck auf
die Lunge ausüben.
Die Notfallversorgung besteht in der Gabe von Antikonvulsiva (z.B. Diazepam).

9.2 Medikamentöse Therapie
Die langfristige Medikation zielt primär auf zwei funktionelle Aspekte ab: die Erhöhung der Inhibition(insbesondere
Glutamat-Hemmung bzw. GABA-Wiederaufnahme-Hemmung) und/oder die Verringerung der Exzitation (v.a. durch
Glutamat-Hemmung).
Die medikamentöse Therapie ist abhängig von der Form und Ursache der Epilepsie und versucht eine Anfallsfreiheit
zu erreichen. Unterschieden wird dabei zwischen "klassischen" AED (anti epilepsy drug) und "neuen" AED.
Klassische AED sind:

● Barbiturate
o Phenobarbital
o Primidon
● Diphenylhydantoine
o Hydantoin
o Mephenytoin
● Carbamazepin
● Valproat (= Valproinsäure)
● Succinimide
o Ethosuximide
o Methosuximide
Zu den neueren AED zählen:

● Vigabatrin
● Lamotrigin
● Oxcarbazepin
● Topiramat
● Tiagabin
● Gabapentin
● Levetiracetam
Bei ansonsten therapieresistenten Formen kommt Felbamat zum Einsatz. Auf Grund seines extrem
schweren Nebenwirkungsprofils ist es ein Mittel letzter Wahl, das erst bei Versagen aller anderen medikamentösen
Therapieformen in Betracht kommt.

9.3 Begleitende, nichtmedikamentöse Versorgung


Abhängig von der Ursache kommen auch nichtmedikamentöse Therapien zum Einsatz. Diese begleiten jedoch
häufig die medikamentöse Versorgung ergänzend. Einheitliche Empfehlungen gibt es nicht.
Da die meisten Epilepsieformen idiopathisch bzw. kryptogen sind, erfolgt auch die nichtmedikamentöse Therapie
symptomatisch. Diskutiert werden dabei:

● ketogene Diäten (wobei der genaue Wirkmechanismus noch nicht bekannt ist), welche das Auftreten von weiteren
Anfallsleiden verringern können

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Diana Iancu
● Psychotherapie zur Unterstützung des Patienten im Umgang mit seiner Erkrankung und zur besseren Kontrolle im
Fall eines Anfallsleidens
Keine der nichtmedikamentösen Therapien erzeugt in randomisierten und doppelverblindeten Studien durchweg
zufriedenstellende Ergebnisse.

9.4 Chirurgische Intervention
Bei der neurochirurgischen Therapie wird darauf abgezielt, das auslösende Gehirnareal der Anfälle zu entfernen und
so weiteren Anfällen vorzubeugen. Mögliche Eingriffe sind:

● Selektive Entfernung von Hippocampus und Amygdala (Amygdalahippocampektomie)


● Temporallappenresektion
● Läsionektomie (Entfernung des Epilepsie-auslösenden Areals)
Als weitere invasive Verfahren stehen zur Verfügung:

● Vagusnervstimulation
● Tiefe Hirnstimulation des anterioren Thalamus

10 Prognose
Die Prognose ist abhängig von den Ursachen. Bei idiopathischen und kryptogenen Formen ist eine konkrete
Prognose schwer zu stellen.
Sind die Ursachen bekannt und können sie beseitigt werden, verschwinden Anfallsleiden oft auf Dauer. Dies ist
jedoch nicht in jedem Falle garantiert.
Die beste Prognose haben benigne partielle Epilepsien der Adoleszenz mit fokalen Anfallsleiden. Sie sind
medikamentös gut einstellbar und bedürfen nur geringer weiterer Intervention.
Die schlechteste Prognose ergibt sich bei frühkindlichen myoklonischen Epilepsien mit enzephalopathischem
Charakter. Dort liegen häufig noch zahlreiche weitere klinische Erscheinungen vor, welche im Gesamtbild die
Lebenserwartung herabsetzen oder eine normale Lebenserwartung mit deutlich eingeschränkter Lebensqualität
vorhersehen lassen.

Bandscheibenvorfall
(Weitergeleitet von Diskusprolaps)

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Diana Iancu
Synonyme: Prolapsus nuclei pulposi, Prolaps disci, Diskusprolaps, Diskushernie, auch Bandscheibenprolaps, BSP,
BSV
Englisch: spinal disc herniation, herniation of intervertebral disk

1 Definition
Unter einem Bandscheibenvorfall versteht man die plötzlich oder langsam zunehmende Verlagerung, bzw. den
Austritt von Gewebe des Nucleus pulposus der Bandscheibe, nach dorsal oder zu den Seiten. Dabei kann es zu
einer Kompression des Rückenmarks oder der Nervenwurzelnkommen.

2 Pathogenese
Der Bandscheibenvorfall ist eine Form der degenerativen Wirbelsäulenerkrankung.
Durch degenerative Veränderungen der Zwischenwirbelscheibe und anliegenden Strukturen
(Diskose, Spondylose, Bandscheibenprotrusion) kommt es zu Einrissen des Anulus fibrosus. Dadurch wird ein
Vorfallen des Gallertkerns (Nucleus pulposus) der Zwischenwirbelscheibe möglich.
Eine reine Vorwölbung der Zwischenwirbelscheibe bei sonst intaktem Anulus fibrosus wird
als Bandscheibenprotrusion bezeichnet und kann einen Bandscheibenvorfall vortäuschen. Die
Bandscheibenprotrusion ist jedoch im Gegensatz zum Bandscheibenprolaps voll rückbildungsfähig.

3 Klinik
Bandscheibenvorfälle entstehen meistens in klassischer Lokalisation in den unteren Abschnitten
der Lendenwirbelsäule und führen zu verschiedenen Ausprägungen eines Nervenwurzelsyndroms. Man
unterscheidet zum Beispiel nach der betroffenen Nervenwurzel:

● L4-Syndrom
● L5-Syndrom
Bei dorsolateralem Vorfall der Bandscheibe entwickelt sich eine Lumboischialgie, ein dorsomedialer
Bandscheibenvorfall führt zur Lumbago (Hexenschuss).
Eine deutlich seltenere Form des Bandscheibenvorfalls ist der Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule.

4 Diagnostik

4.1 Klinische Untersuchung
Basis der Diagnostik ist eine gründliche neurologische Untersuchung,
um Lähmungen, Taubheitsgefühle und Reflexdifferenzen erkennen können. Bei der klinischen Untersuchung werden
u.a. folgende klinische Zeichen überprüft:

● Lasègue-Zeichen
● Bragard-Zeichen
● Neri-Zeichen

4.2 Bildgebung
Eine Röntgenaufnahme oder Computertomografie des betroffenen Wirbelsäulenabschnitts gibt Aufschluss über
die knöchernen Strukturen und den Wirbelkanal.
Das wichtigeste Diagnoseverfahren ist die Kernspintomografie. Mit ihrer Hilfe können die Größe, Ausdehnung und
Form eines Bandscheibenvorfalles, sowie Informationen über die betroffenen Nerven gesammelt werden. Die
Schnittbilder ermöglichen auch die Beurteilung des Wirbelkanals und der Nervenkanäle.
Mit Hilfe des MRT lassen sich relativ genaue Aussagen über degenerative Veränderungen im Bereich der
Bandscheibe und der Wirbelgelenke treffen. Auch Tumoren sind gut erkennbar.

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Diana Iancu
5 Differentialdiagnose
● Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK)
● Stenosen
o Spinalkanalstenose
o Neuroforaminale Stenose
● Arthrosen
o Koxarthrose
o Iliosakralgelenksarthrose
o Facettengelenksarthrose
● Narbenbildung (postoperativ)
● Meningopolyneuritis (Bannwarth-Syndrom)

6 Therapie
Die meisten Bandscheibenvorfälle sind symptomlos und bedürfen keiner speziellen Behandlung. 80-90% der
Bandscheibenvorfälle lassen sich konservativ behandeln, wobei hier v.a. die
adäquate Schmerztherapie entscheidend ist.
In Fällen, in denen so genannte "Red-flag-Symptome" auftreten, besteht jedoch Handlungsbedarf. Zu den Red-flag-
Symptomen zählen:

● Progrediente neurologische Ausfälle
● Kauda-Syndrom ("Reithosenanästhesie")
● Schmerzverstärkung in der Nacht
● Nachlassende Schmerzen bei deutlicher Parese
● Miktionsstörungen (Harnverhalt, Überlaufblase, ggf. Inkontinenz)
● Z.n. aktuellem Unfall (V.a. Wirbelfraktur)
● Bekannte Osteoporose mit Bagatelltrauma
● Tumoranamnese
● Infektionen (V.a. Spondylodiszitis)
● Verdächtige Allgemeinsymptome (Fieber, Gewichtsverlust)

6.1 Operative Verfahren
Die operative Therapie eines Bandscheibenvorfalls wird heute in der Regel minimal-invasivdurchgeführt. Die
offene Diskektomie setzt man nur noch in besonderen Fällen ein. Mögliche Verfahren sind u.a.:

● Chemonukleolyse (CNL)
● manuelle perkutane Diskektomie (MPD)
● automatisierte perkutane lumbale Diskektomie (APLD)
● perkutane Laser-Diskus-Dekompression (PLDD)
● mikrochirurgischen offen Diskektomie (MCD)
● Nukleoplastie
● transforaminale endoskopische Nukleotomie
● interlaminäre endoskopische Nukleotomie

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Patellafraktur
1 Definition
Unter einer Patellafraktur versteht man einen Knochenbruch (Fraktur) im Bereich der Kniescheibe(Patella).

2 Epidemiologie
Patellafrakturen machen etwa 1% aller Frakturen aus.

3 Ätiopathogenese
In der Regel wird die Fraktur der Kniescheibe durch eine direkte Krafteinwirkung, meistens im Rahmen eines
Anpralltraumas (sog. "dashboard injury"), hervorgerufen. Indirekte Krafteinwirkungen sind nur selten Ursache der
Patellafraktur.
Es wird unterschieden zwischen einer Querfraktur, einer Längsfraktur, einer Schrägfraktur und einer
Mehrfragmentfraktur.

4 Klinik
Die betroffenen Patienten geben einen starken Druck- und Bewegungsschmerz über der Kniescheibe an. Gehen ist
in der Regel aufgrund der Schmerzen nicht mehr möglich. Im Kniegelenk kann keine Extension mehr durchgeführt
werden.
Häufig kommt es zur Ausbildung eines Gelenkergusses. In der Regel ist die Haut über der Patella aufgeschürft.

4.1 Begleitverletzungen
Verletzungen des Knorpels im Bereich der Kondylen treten häufig gemeinsam mit einer Patellafraktur auf. Auch
die Bursen im Bereich des Kniegelenks können verletzt sein.
Im Rahmen eines Anpralltraumas werden aufgrund der Kraftübertragung auch häufig Frakturen im Bereich
des Acetabulums oder des Femurschaftes sowie Hüftgelenkluxationen beobachtet.

5 Diagnostik
Im Rahmen der klinischen Untersuchung kann bereits der Verdacht auf eine Patellafraktur geäußert werden. Die
Diagnose wird anhand von Röntgenbildern gesichert. Vor allem bei Anpralltraumen sollten zusätzlich die
angrenzenden Gelenke geröntgt werden, um keine Begleitverletzungen zu übersehen.

6 Differenzialdiagnose
Eine Ruptur der Patellarsehne oder der Quadricepssehne kann ebenfalls zu einem Ausfall der Streckung im
Kniegelenk führen und sollte differenzialdiagnostisch bedacht werden.
Weiterhin sollte beim Betrachten des Röntgenbildes auch an eine Patella bipartita gedacht werden, bei der sich das
zweite Fragment häufig lateral-kranial befindet. Im Gegensatz zur Patellafraktur ist das Fragment durch einen
abgerundeten und nicht durch einen scharfkantigen Spalt von der Patella abgetrennt.

7 Therapie
Die Patellafraktur wird in der Regel operativ mittels Zuggurtungsosteosynthese und Kirschnerdrähtenbehandelt, da
über die Sehne des Musculus quadriceps femoris starke Zugkräfte auf die Frakturfragmente ausgeübt werden, die
häufig zu einer Dislokation führen und die Frakturheilung verhindern.
Eine postoperative Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin ist obligat.

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Diana Iancu
Nach der Operation werden zunächst Bewegungsübungen auf einer Motorschiene durchgeführt. Es folgen eine Teil-
und später auch die Vollbelastung des Beines.

8 Prognose
In den meisten Fällen ist die Patellafraktur nach acht Wochen ausgeheilt. Als Folge der Fraktur wird häufig
eine Retropatellararthrose beobachtet. Andere mögliche Folgen sind Schmerzen, eine Pseudarthrose, sowie Defizite
in der Flexion und der Extension.

Articulatio talocruralis
(Weitergeleitet von OSG)
Synonym: Oberes Sprunggelenk, OSG
Englisch:  talocrural joint

1 Definition
Die Articulatio talocruralis bzw. das obere Sprunggelenk, kurz OSG, ist das am
weitesten proximal gelegene Teilgelenk des Sprunggelenks.

2 Anatomie
In der Articulatio talocruralis artikulieren der Unterschenkel (Crus, bestehend aus Tibia und Fibula) mit
dem Talus des Fußes. Es zählt zu den Scharniergelenken und weist eine transversal verlaufenden Gelenkachse auf.

2.1 Proximaler Gelenkkörper
Der proximale Gelenkkörper ist die durch die distalen Epiphysen von Tibia und Fibula gebildete Malleolengabel.
Diese umfasst lateral und kranial die Trochlea tali. Aufgrund dessen wird das Körpergewicht ausschließlich vom
Rollendach auf die Trochlea übertragen.
Medialseitig endet die Tibia in einem massiven, distal stumpf endenden Knochenzapfen, der als Innenknöchel
(Malleolus medialis) bekannt ist. Er liegt seitlich medial mit seiner überknorpelten Innenfläche der Trochlea tali an.
Durch die distale Fibulaepiphyse wird der eher spitze Außenknöchel (Malleolus lateralis) gebildet, der innen die
laterale Gelenkfläche für die laterale Seite der Trochlea tali trägt.

2.2 Distaler Gelenkkörper
Der distale Gelenkkörper wird von der Trochlea tali (Gelenkrolle) gebildet und ist vorne etwa 4-5 mm breiter als
hinten. Die darauf befindliche Facies superior (artikuliert mit dem Rollendach der Tibia) weist annähernd die Form
eines Kreisbogens auf und besitzt in der Mitte eine Führungsrinne. Seitlich reicht der Gelenkknorpel der Facies
malleolaris lateralis weiter nach kaudal als der der Facies malleolaris medialis.

2.3 Gelenkkapsel
Mit Ausnahme des teilweise intraartikulär liegenden Collum tali ist die Gelenkkapsel des OSG an der Knorpel-
Knochen-Grenze angeheftet. Ventralseitig (zwischen den Kollateralbändern) ist sie dünn und schlaff,
sodass Gelenkergüsse ventral neben den Extensorensehnen vorwölben. Im Bereich der ventralen Kapsel sind die
Sehnenscheiden der Extensoren teilweise verwachsen.

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Diana Iancu
2.4 Bandapparat
Klinisch betrachtet werden die Bänder, welche in der Syndesmosis tibiofibularis die Malleolengabel verklammern,
zum Bandapparat des OSG gezählt:

● Ligamentum tibiofibulare anterius


● Ligamentum tibiofibulare posterius
Diese zwei Bänder verbinden das laterale Ende des Rollendachs (der Tibia) mit der Vorder- bzw. Hinterkante des
Malleolus lateralis fibulae. Durch ihren Faserverlauf (kranial an der Tibia schräg abwärts zur Fibula) setzen sie die
vorzugsweise Richtung der Fasern der Membrana interossea crurisnach kaudal fort.
Da das obere Sprunggelenk ein "typisches" Scharniergelenk ist, verfügt es über ausgeprägte Kollateralbänder. Sie
gehen von den Malleolen aus und strahlen in die nächstliegenden Fußwurzelknochen aus.
Jene Bänder, die vom Innenknöchel ausgehen, bilden eine sog. kollagen-faserige Platte. Ihre Form ist
namensgebend (Ligamentum deltoideum) und besteht aus vier Anteilen. Ihre Hauptaufgabe ist das Verhindern
einer Valgisierung des Fußes und gleichzeitiger Hemmung der Eversion bzw. Pronation. Anteilig ziehen auch Fasern
über das untere Sprunggelenk (Articulatio talotarsalis).

Kollateralbänder - OSG

3 Biomechanik
Über das Rollendach der Tibia wird das Körpergewicht im oberen Sprunggelenk auf die darunter liegende Trochlea
übertragen. Da es sich hierbei um ein typisches Scharniergelenk handelt, liegt die Achse in der Frontalebene und
geht durch die beiden Spitzen der Malleolen, sodass sie aus der Horizontalen um ca. 10° nach außen geneigt ist. Da
am Talus selbst keine Muskeln ansetzen, wirkt jede Muskelaktion auf beide Sprunggelenke. Das obere und untere
Sprunggelenk bilden daher eine funktionelle Einheit.
Die Trochlea tali ist vorne breiter als hinten, weshalb sie bei der Dorsalflexion in der Malleolengabel einkeilt. Die
Dorsalflexion (Dorsalextension) wird durch die Anspannung des Ligamentum anterius und posterius begrenzt. Man
spricht in diesem Fall auch von einer knöchern-ligamentären Gelenkhemmung. Beim dorsalextendierten Fuß ist
deshalb die Stabilität im OSG maximal.
Beim plantarflektierten Fuß ist die Malleolengabel zu weit für den schmalen hinteren Teil der Talusrolle, sodass die
Knochenführung ungenügend wird. Dies ist ein Hauptgrund, weshalb beim Bergabgehen Bänderverletzungen durch
Umknicken des Fußes entstehen. In der Plantarfexion sichern die Partes tibiotalaris anterius und tibionavicularis
des Ligamentum deltoideum sowie das Ligamentum talofibulare anterius das obere Sprunggelenk.
Bewegungsumfang im oberen Sprunggelenk:

● Dorsalflexion: 20-30°
● Plantarflexion: 40-50°

4 Klinik

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Diana Iancu
Die häufigste Verletzung des oberen Sprunggelenks ist das sog. Supinations-Inversions-Trauma als Folge eines
Umknickens des Fußes nach medial. Hierbei werden hauptsächlich die Außenbänder verletzt. Je nach Ausmaß des
Traumas variiert die Ausdehnung der Ruptur des Bandapparats. Werden ein oder zwei Bänder komplett rupturiert,
reicht in den meisten Fällen eine mehrwöchige Ruhestellung aus. Oft auch gehen Bänderrisse allerdings
mit Frakturen der Malleolen einher, v.a. des Malleolus lateralis. Dann wird eine chirurgische Therapie notwendig.

Polytrauma
Englisch:  polytrauma, multiple trauma
o 4.1 Präklinische Therapie
▪ 4.1.1 A - Airway
▪ 4.1.2 B - Breathing
▪ 4.1.3 C - Circulation
o 4.2 Klinische Therapie

1 Definition
Unter dem Notfallbild des Polytraumas versteht man eine gleichzeitig
entstandene Verletzungmehrerer Körperregionen oder Organsysteme, wobei mindestens eine der Verletzungen oder
eine Kombination aus zwei Verletzungen lebensbedrohlich ist.
Eine andere Definition fordert zudem einen Injury Severity Score (ISS) von mindstens 16 Punkten.

2 Hintergrund
Bis zum Beweis des Gegenteils muss ein Polytrauma angenommen werden bei:

● Hochgeschwindigkeitstrauma
● Tod eines Fahrzeuginsassen oder Unfallgegners
● Ejektion aus dem Fahrzeug
● Überrolltrauma
● Sturz aus großer Höhe (>3 Meter)
● Explosion

3 Bestandteile und Symptome


Als Polytraumen können unter anderem Beckenfrakturen, Wirbelsäulenverletzungen,
starke arterielleBlutungen, Schädel-Hirn-Traumata, Rippenserienfrakturen mit und ohne Hämatothorax einzeln oder
in Kombination - je nach Schweregrad der einzelnen Verletzung - angesehen werden.

4 Therapie

4.1 Präklinische Therapie
Ziele der primären Versorgung des Polytraumas durch das Rettungsdienstpersonal und den Notarztsind die
Sicherung der Vitalfunktionen, Herstellung der Transportfähigkeit sowie eine ausreichende Analgesie des Patienten.
Aufgrund der komplexen Verletzungsmuster mit Einbeziehung jeglicher Organsysteme gibt es keine allgemeingültige
Therapie, die immer anwendbar ist. Hilfe zur Orientierung und Behandlung bietet das ABCDE-Schema.

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4.1.1 A - Airway
Nach dem ABCDE-Schema steht die Sicherung der Atemwege an erster Stelle. Bei entsprechender Indikation stellt
die endotracheale Intubation den Goldstandard der Atemwegssicherung dar. Präklinisch spielen dabei jedoch auch
die Erfahrung des Arztes, die Umstände (z.B. Einklemmung), Transportzeit und Transportmittel eine Rolle. Neben der
endotrachealen Intubation können zudem supraglottische Atemwegshilfen (Larynxmaske, Larynxtubus) zum Einsatz
kommen.
4.1.2 B - Breathing
Bei der Beatmung wird für gewöhnlich eine Normoventilation anhand der Kapnometrie angestrebt. Folgendes
Phänomen kann sich jedoch trotz gesicherter Oxygenierung negativ auswirken: Bei der Spontanatmung nimmt
der intrathorakale Druck während der Inspiration ab, wodurch Luft in die Lunge gelangt. Der venöse Rückstrom zum
Herzen steigt an. Bei der Beatmung hingegen wird der intrathorakale Druck während der Inspiration erhöht (z.B.
durch IPPV, PEEP). Das vermindert den venösen Rückstrom und wirkt sich somit negativ auf den Kreislauf des
Patienten aus.
4.1.3 C - Circulation
Hypovolämie mit zugehöriger Schocksymptomatik ist ebenfalls ein wesentlicher Bestandteil des Polytraumas und
muss sofort behandelt werden. Die aktive Kontrolle von Blutungsquellen muss vor dem Verabreichen
von Infusionen erfolgen. Zu beachten ist, dass das Verletzungsmuster die Vorgehensweise
der Volumensubstitution bestimmt.
Steht beispielsweise im Rahmen eines Polytraumas ein Schädel-Hirn-Trauma im Vordergrund, wird
eine Normotonie angestrebt, während bei schwerem Trauma (besonders beim penetrierenden Trauma) das
Tolerieren hypotensiver Kreislaufparameter oder eine permissive Hypotonie vorteilhaft sein kann.
Bei Verbrennungstrauma kann sich anhand der Parkland-Formel orientiert werden.
Mögliche Folgen übermäßiger Infusionstherapie können sein:

● Förderung der Blutung aus den verletzten Gefäßen


● Behinderung der Hämostase und Gerinnung
● Begünstigung einer Hypothermie
● Verdünnung des Blutes inklusive zellulärer Bestandteile und Gerinnungsfaktoren
Als Grundregel der Infusionstherapie muss das Vermeiden weiteren Blutverlustes (auch durch Zeitmanagement) vor
dem "Auffüllen" des Gefäßsystems stehen.
In Folge der Schocksymptomatik kommt es auch zu dem sogenannten Kapillarlecksyndrom ("capillary leak
syndrome"), bei dem ein (zunächst noch reversibles) interstitielles Lungenödem entsteht. Bei weiter
bestehendem Schock kommt es dann nach einer Verdickung der Alveolarwand zu einem erhöhten Rechts-Links-
Shunt, woraus eine Hypoxie und Hyperkapnie durch mangelnden Gasaustausch resultiert. Daher droht bei einem
polytraumatisierten Patienten immer eine respiratorische Insuffizienz.

4.2 Klinische Therapie
Nach suffizienter und zügiger Erstversorgung muss der Transport in eine Klinik der Maximalversorgung erfolgen, da
das genaue Ausmaß des Polytraumas am Einsatzort häufig nicht eingeschätzt werden kann. In der Klinik erfolgt dann
die weitere Diagnostik und Versorgung durch ein Trauma-Team, das aus Ärzten verschiedener Fachrichtungen
(Anästhesie, Chirurgie, Radiologie, Orthopädie, Innere Medizin, Neurologie, Neurochirurgie) und entsprechendem
Fachpersonal zusammengesetzt ist.
Ein elementares Grundprinzip bei der Therapie ist dabei: "Treat first, what kills first". Lebensbedrohliche Verletzungen
werden mit Priorität versorgt, andere Verletzungen (z.B. Frakturender Extremitäten) werden zunächst provisorisch
versorgt, um dann in einem mehrzeitigen Vorgehen, adaptiert an die Belastbarkeit des Patienten, die weitere
Versorgung durchzuführen.
Weitere intensivmedizinische Probleme in den ersten Tagen nach einem Polytrauma sind die akute
Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz, Multiorganversagen, ARDS und Embolien.

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Milzruptur
Synonym: Milzriss
Englisch:  spleen rupture

1 Definition
Eine Milzruptur ist ein Trauma der Milz, bei dem ein Riss der bindegewebigen Milzkapsel vorliegt. Sie ist eine
häufige traumatische Verletzungsform der Milz.
ICD10-Code: S36.0

2 Ursachen

2.1 Traumatisch
Die Milzruptur ist meist Folge eines stumpfen abdominalen Traumas, z.B. im Rahmen eines Arbeits-, Verkehrs- oder
Sportunfalls. Bei polytraumatisierten Patienten ist die Milzruptur häufig die bedrohlichste Traumakomponente. Spitze
Traumen (z.B. Messerstich, Rippendurchspießung, intraoperative Verletzungen) führen ebenfalls zu einer Milzruptur.

2.2 Nicht-traumatisch
In seltenen Fällen kann eine Milzruptur auch aus anderen Gründen entstehen. Dazu zählen u.a.:

● Virusinfektionen (EBV-Infektion)
● Malaria
● Milztumoren (Lymphome)
● Pfortaderthrombose
● hämatologische Erkrankungen (Leukämien, Polycythaemia vera)

3 Formen und Schweregrade


Das Spektrum der Verletzungen reicht von einer leichten Quetschung mit Ödembildung bis zur Milzruptur mit
massiver Hämorrhagie in die Bauchhöhle.
Das Vollbild einer Milzruptur entspricht dem Einriss von Organkapsel und Parenchym mit Abriss des Gefäßstiels.
Davon zu unterscheiden ist der Parenchymriss bei intakter Kapsel mit Ausbildung eines Hämatoms.
Es werden klinisch fünf verschiedene Typen bzw. Schweregrade unterschieden:

● Typ 1: Isolierte Kapselrisse, subkapsuläres, nicht expandierendes Hämatom


● Typ 2: Verletzung von Kapsel und Parenchym ohne Verletzung des Milzhilus oder der Segmentarterien
● Typ 3: Verletzung von Kapsel und Parenchym, sowie Blutung aus den Segmentarterien
● Typ 4: Verletzung von Kapsel, Parenchym und Segment- oder Hilusgefäßen, Abriss des Gefäßstiels
● Typ 5: Organberstung bzw. Ausriss des Organs im Milzhilus mit Devaskularisation (Unterbrechung der
Gefäßversorgung)
Nach der akuten klinischen Symptomatik unterscheidet man:

● Einzeitige Milzruptur: Entwicklung einer hämorrhagisch bedingten Hypovolämie unmittelbar nach dem


traumatischen Ereignis.
● Zweizeitige Milzruptur: Entwicklung einer Hypovolämie nach mehreren Stunden bis Tagen, meist bei intakter
Kapsel und sekundärem Riss bzw. Ausdehnung des Hämatoms.

4 Symptomatik

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Diana Iancu
Die Patienten klagen über Abdominalschmerzen im linken, oberen Quadranten. Möglich sind auch eine Ausstrahlung
in die linke Schulter (Kehr-Zeichen) sowie eine Druckschmerzhaftigkeit des "Milzpunkts" links zwischen Musculus
scalenus anterior und Musculus sternocleidomastoideus (Saegesser-Zeichen).
Weiterhin stellt sich eine Abwehrspannung und Druckschmerzhaftigkeit im linken, oberen Quadranten
des Abdomens ein.
Bei starker Blutung kann ein hämorrhagisch/hypovolämischer Schock mit Tachykardie und Hypotonieentstehen.

5 Diagnose
In der Akutsituation ist bei der abdominellen Sonographie der Nachweis von freier Flüssigkeit an
den Nierenpolen möglich. Bei unauffälligem Befund aber klinisch weiter bestehendem Verdacht sollte die
Untersuchung engmaschig wiederholt werden. Damit wird sichergestellt, dass eine zweizeitige Ruptur oder ein
zunehmendes Kapselhämatom nicht übersehen wird. Eine sichere Diagnose ist - bei stabiler Kreislaufsituation -
durch Anfertigung eines Abdomen-CT möglich.
Die früher übliche Peritoneallavage wird wegen ihrer hohen Fehlerquote nicht mehr durchgeführt.

6 Therapie
Die Therapie richtet sich nach dem klinischen Schweregrad. Je nach Ausmaß der Blutung und
deren hämodynamischer Relevanz kann bei noch intakter Kapsel (Typ 1) konservativ (i.v.-Flüssigkeitsgabe
und/oder Bluttransfusion) behandelt und unter engmaschiger Kontrolle zugewartet werden.
Das operative Vorgehen zielt - vor allem bei Kindern und Jugendlichen - auf den Erhalt der Milz. Bei Typ 2 und 3
mittels lokaler Blutstillung (Infrarotkoagulation, Elektrokoagulation und/oder Fibrinkleber) oft eine Blutstillung erzielt
werden. Zusätzlich kann eine Netzkompression mit einem resorbierbaren Kunststoffnetz versucht werden. Bei Typ 4
und 5 ist meist eine Milzteilresektion oder eine totale Splenektomie notwendig.

Pneumothorax
Synonyme: Pneu, PTX
Englisch:  pneumothorax

1 Definition
Als Pneumothorax, kurz PTX, bezeichnet man den Eintritt von Luft in den Pleuraspalt.
Eine lebensbedrohliche Komplikation des Pneumothorax ist der Spannungspneumothorax.

2 Pathogenese
Durch den Eintritt von Luft zwischen die beiden Blätter der Pleura kommt es zur Aufhebung der Kapillarkräfte im
Pleuraspalt. Die Adhäsion von Pleura viszeralis und Pleura parietalis geht verloren, die Lunge folgt nicht mehr den
Thoraxbewegungen. Die Folge ist ein teilweiser oder vollständiger Kollaps des betroffenen Lungenflügels.
Die Luft kann dabei von außen (durch eine Verletzung) oder von innen (durch einen Riss des Lungengewebes)
eintreten. Prädisponiert für einen Pneumothorax sind besonders die Oberlappensegmente 1, 2 und 3, da diese bei
tiefer Inspiration verhältnismäßig am stärksten gedehnt werden.

3 Ursachen
Die Ursachen eines Pneumothorax sind vielfältig und lassen sich in vier große Gruppen einordnen:

3.1 Traumen
Ein Pneumothorax kann infolge stumpfer oder spitzer Thoraxtraumata auftreten, z.B. bei

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● Stichverletzung, Schussverletzung
● Rippenfraktur bzw. Rippenserienfraktur
● Ruptur des Lungengewebes
● Barotrauma

3.2 Ärztliche Interventionen
Iatrogen kann ein Pneumothorax z.B. bei Subclaviakatheter, Pleurapunktion, Überdruckbeatmung und Operationen
auftreten.
3.3 Lungenerkrankungen
Als mögliche Ursachen kommen u.a. in Frage:

● Asthma bronchiale
● Lungenemphysem
● Tuberkulose (Ruptur eine Kaverne)
● Lungenkarzinom
● Mukoviszidose
● Marfan-Syndrom
● Ehlers-Danlos-Syndrom
● Homocystinurie
● Alpha-1-Antitrypsin-Mangel

3.4 Idiopathisch
Idiopathisch, d.h. ohne erkennbare Ursache, tritt ein Pneumothorax vor allem bei jungen, schlanken Männern auf.

4 Einteilung

4.1 ...nach Pathogenese
● Geschlossener Pneumothorax (Innerer Pneumothorax): Keine äußere Verletzung des Brustkorbs. Luftaustritt aus der
Lunge durch die Pleura visceralis.
● Offener Pneumothorax (Äußerer Pneumothorax): Verletzung des Brustkorbs mit Lufteintritt durch die Brustwand und
die Pleura parietalis.

4.2 ...nach Umfang
● Partieller Pneumothorax: Teilweiser Kollaps der Lunge
● Totaler Pneumothorax: Vollständiger Kollaps der Lunge
● Bilateraler Pneumothorax: Doppelseitiger Pneumothorax

4.3 ...nach Lokalisation
● Spitzenpneumothorax: apikal im Bereich der Lungenspitze
● Mantelpneumothorax: mantelförmig um die Lunge herum

4.4 ...nach Begleiterguss
● Hämatopneumothorax: Pneumothorax mit Blutung
● Pyopneumothorax: Pneumothorax mit eitrigem Erguss
Von einem Spontanpneumothorax spricht man, wenn ein Pneumothorax ohne erkennbare äußere Ursache auftritt.

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4.5 ICD-10 Codes
Klassifikation nach ICD-10:

● J93.0 Spontaner Spannungspneumothorax


● J93.1 Sonstiger Spontanpneumothorax
● J93.2 Iatrogener Pneumothorax
● J93.8 Sonstiger Pneumothorax
● J94.2 Hämatopneumothorax
● S27.0 Pneumothorax, traumatisch
● S27.2 Hämatopneumothorax, traumatisch

5 Symptome
Typische Symptome eines Pneumothorax sind:

● plötzlich auftretende, stechende, evtl. atemabhängige Schmerzen in der betroffenen Thoraxhälfte


● Dyspnoe, Atemnot
● Hustenreiz, trockener Husten
● "Nachhängen" der betroffenen Thoraxhälfte bei der Atmung

6 Diagnostik

6.1 Anamnese
Die Anamnese sollte vorbestehende pulmonale Erkrankungen und mögliche Thoraxtraumen erfassen.

6.2 Inspektion
Die Inspektion des Thorax registriert evtl. bestehende Verletzungen. Ferner fallen Tachypnoe, asymmetrische
Atembewegungen und - vor allem bei Rippenserienfrakturen ggf. eine paradoxe Atmung auf. Die Haut über dem
betroffenen Areal kann aufgebläht erscheinen (Hautemphysem).

6.3 Auskultation
Bei der Auskultation lässt sich über dem betroffenen Lungenflügel ein abgeschwächtes oder
aufgehobenes Atemgeräusch feststellen. In bestimmten Körperpositionen (z.B. beim Vorbeugen) können beim Atmen
Blubbergeräusche auftreten. Sie sind auf das Wandern von Luftblasen im feuchten Pleuraspalt zurückzuführen.

6.4 Perkussion
Die Perkussion des Thorax ergibt im Seitenvergleich einen hypersonoren Klopfschall auf der Seite mit dem
kollabierten Lungenflügel ("Schachtelton").

6.5 Apparative Diagnostik
● Sonografie
● Röntgen-Thorax
● CT

7 Therapie
● Sauerstoffgabe
● Thoraxpunktion mit Anlegen einer Thoraxdrainage

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Rippenserienfraktur
Synonym: Rippenserienbruch
Englisch: multiple rib fractures

1 Definition
Eine Rippenserienfraktur ist eine Form der Rippenfraktur, bei der mindestens drei benachbarte Rippen einer
Thoraxseite betroffen sind.
ICD10-Code: S22.4

2 Klinik
Eine Rippenserienfraktur ist die Folge eines stumpfen Thoraxtraumas. Sie geht in der Regel
mit Schonatmung einher. Bei instabilem Thorax ("flail chest") können paradoxe
Atmung, Thoraxschmerzen und Dyspnoe auftreten. Aufgrund der Intensität der Verletzung sollten weitere
Begleitverletzungen z.B. der Thorax- und Bauchorgane, abgeklärt werden.

Distale Radiusfraktur
1 Definition
Unter der distalen Radiusfraktur versteht man einen Knochenbruch im Bereich des distalen Radius.

2 Epidemiologie
Die distale Radiusfraktur macht ein Viertel aller Frakturen aus. Es ist die häufigste Fraktur des erwachsenen
Menschen. Diese Fraktur betrifft häufig jüngere Männer und Frauen in der Postmenopause. In mehr als 80% der
Fälle handelt es sich um eine Extensionsfraktur und in ca. 20% um eine Flexionsfraktur.

3 Ätiopathogenese
Die distale Radiusfraktur kann durch indirekte und direkte Gewalteinwirkung hervorgerufen werden. Am häufigsten ist
die direkte Gewalteinwirkung durch einen Sturz auf die Hand.
Ist die Hand beim Sturz dorsalextendiert, resultiert eine Extensionsfraktur, die auch als Colles-Frakturbezeichnet
wird. Dabei kommt es zur Dislokation der Fragmente nach radial und palmar, sodass die typische Fehlstellung in
Form eines Bajonetts resultiert.
Eine Flexionsfraktur entsteht beim Sturz auf die palmarflektierte Hand und wird auch als Smith-Fraktur bezeichnet.
Bei dieser Form dislozieren die Fragmente nach radial und nach dorsal, und die Ulna tritt prominent hervor, sodass
die typische Fehlstellung in Form einer Gabel resultiert.
Die Kombination aus distaler Radiusfraktur und Luxation der Ulna im distalen Radioulnargelenk wird als Galeazzi-
Fraktur bezeichnet.

4 Historische Formen

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Fraktur Verletzungsmuster

Barton-Fraktur Intraartikuläre dorsale Zweifragmentfraktur

Chauffeur-
Intraartikuläre Fraktur mit Absprengung des Processus styloideus
Fraktur

Extensionsfraktur, Dislokation des distalen Bruchstücks


Colles-Fraktur
nach radial und dorsal

Extraartikuläre Fraktur (distale Schaftfraktur) mit Riss der Membrana


Galeazzi-Fraktur
interossea

Smith-Fraktur Flexionsfraktur, Dislokation nach palmar

5 Klassifikation
Die AO-Klassifikation unterscheidet zwischen extraartikulären Frakturen, partiellen Gelenkfrakturen und vollständigen
Gelenkfrakturen.

5.1 Extraartikuläre Frakturen
Man unterteilt:

● 23-A1: Fraktur der Ulna, Radius intakt


● 23-A2: einfache, impaktierte Fraktur des Radius
● 23-A3: mehrfragmentäre Fraktur des Radius

5.2 Partielle Gelenkfrakturen
Man unterscheidet:

● 23-B1: Fraktur in der Sagittalebene


● 23-B2: Fraktur der dorsalen Kante
● 23-B3: Fraktur der palmaren Kante

5.3 Vollständige Gelenkfrakturen
Man unterteilt:

● 23-C1: artikulär einfache, metaphysäre einfache Fraktur


● 23-C2: artikulär einfache, metaphysäre Mehrfragmentfraktur
● 23-C3: mehrfragmentäre Fraktur

6 Klinik

62
Diana Iancu
Die betroffenen Patienten haben starke Schmerzen. Häufig sieht man eine Fehlstellung (Fourchette-
Stellung oder Bajonett-Stellung), eine Schwellung und ein Hämatom.

6.1 Begleitverletzungen
Begleitende Weichteilverletzungen sind möglich. Ein Kompressionssyndrom des Nervus medianussowie die
Verletzung von anderen Nerven und der Arteria radialis können ebenfalls als Begleitverletzung auftreten.

7 Diagnostik
Die Klinik weist häufig schon auf die Diagnose hin. Im Rahmen der klinischen Untersuchung sollten
Durchblutung, Motorik und Sensibilität überprüft werden.
Anhand von Röntgenbildern in zwei Ebenen kann die Diagnose gesichert werden.

8 Therapie
Stabile extraartikuläre Frakturen sowie gering dislozierte intraartikuläre Frakturen können konservativ behandelt
werden. Die Reposition kann durch kontinuierlichen Zug in Mädchenfinger-Methodedurchgeführt werden. Nach
Reposition der Fraktur erfolgt eine Ruhigstellung in einer Gipsschiene über vier bis sechs Wochen. Die Gipsschiene
darf nur bis unterhalb des Ellenbogens reichen. Die Finger sollen zur Vermeidung von Steifigkeit frei beweglich sein.
Eine operative Behandlung ist indiziert bei Flexionsfrakturen, offenen Frakturen, bei instabilen Frakturen, irreponiblen
Frakturen, Trümmerfrakturen, dislozierten intraartikulären Frakturen und bei sekundär dislozierten Frakturen. Die
Fraktur wird dabei osteosynthetisch mittels Schraubenosteosynthese, Plattenosteosynthese, Kirschner-Drähte oder
ggf. primär auch durch einen Fixateur externe versorgt.

9 Prognose
Die Schwere der Fraktur bestimmt die Prognose. Bei einfachen Frakturen ist sie gut, bei komplizierten Frakturen mit
ausgeprägter Gelenkbeteiligung kann eine Funktionseinschränkung verbleiben.

Asthma bronchiale

1 Definition

Das Asthma bronchiale ist eine chronische, entzündliche Erkrankung der Atemwege, die durch


bronchiale Hyperreaktivität und eine variable Atemwegsobstruktion gekennzeichnet ist.

2 Epidemiologie
Asthma bronchiale beginnt in der Regel schon im Kindesalter und ist die häufigste chronische Erkrankung dieses
Lebensabschnitts. Zur Prävalenz des Asthma bronchiale in Deutschland gibt es divergierende Aussagen. Einige
Autoren geben 2-4%, andere Quellen sogar 6-10% an. Die Zahl der asthmabedingten Todesfälle in Deutschland
beträgt ca. 5.000/Jahr.

3 Ätiologie
Die Entstehung des Asthma bronchiale ist ein multikausaler Prozess, an dem neben exogenenFaktoren
(Umweltfaktoren) auch genetische Anlagen beteiligt sind. Der Verlauf der Erkrankung kann zusätzlich
durch Klimaveränderungen und psychische Faktoren beeinflusst werden. Wichtige exogene Auslöser sind:

● Allergene
o Umweltallergene (Hausstaub, Pollen)
o Allergene Arbeitsstoffe (z.B. Mehlstaub) bei berufsbedingtem Asthma (s.a. Berufskrankheit, Bäckerasthma)
o Nahrungsmittelallergene

63
Diana Iancu
● Toxine bzw. chemische Irritantien (s.a. Berufskrankheit, Reactive Airway Dysfunction Syndrome)
● Luftverschmutzung (Zigarettenrauch, Feinstaub)
● Atemwegsinfekte
● Pseudoallergische Reaktionen (PAR) auf Analgetika (Analgetikaasthma)
● Körperliche Anstrengung (Anstrengungsasthma, vor allem bei Kindern)
Patienten mit allergischem Asthma oder anderen atopischen Erkrankungen weisen eine polygenvererbte Anlage zur
überschießenden Immunglobulin E-Bildung auf. Leiden beide Elternteile an einer Atopie, haben die Kinder in 40-50%
der Fälle ebenfalls eine atopische Erkrankung. Diese Patienten weisen in ihrer Anamnese häufig eine Rhinitis
allergica auf, die dann im Sinne eines Etagenwechselsauf die unteren Atemwege übergreift.

4 Einteilung

4.1 ...nach Ätiologie
● Allergisches oder extrinsisches Asthma
● Nichtallergisches oder intrinsisches Asthma
● Mischformen
Bei der Mehrzahl der Asthmaanfälle handelt es sich um Mischformen. Wird Asthma durch psychische Faktoren
ausgelöst, spricht man von einem psychogenen Asthma.

4.2 ...nach Schweregrad
Die Symptomatik lässt sich gemäß den Empfehlungen der Deutschen Atemwegsliga in folgende Schweregrade
einteilen.
4.2.1 ...bei Erwachsenen

Schweregrad Kennzeichnung vor Behandlung Symptomatik Lungenfunktion


Erwachsene

I  Intermittierende Symptome am Tag (< 1 x/Woche) FEV1 ≥ 80 % des


Sollwertes 

Intermittierend Kurze Exazerbationen (von einigen Stunden bis zu


einigen Tagen) PEF ≥ 80 % des PBW 
Nächtliche Asthmasymptome ≤ 2 x/Monat PEF-Tagesvariabilität <
20 %

II  1 x/Woche < Symptome am Tag < 1 x/Tag FEV1 ≥ 80 % des


Sollwertes 

Geringgradig Nächtliche Symptomatik > 2 x/Monat


persistierend Beeinträchtigung von körperlicher Aktivität und PEF ≥ 80 % des PBW 
Schlaf bei Exazerbation PEF-Tagesvariabilität 20-
30 %

III  Tägliche Symptome FEV1 > 60% - < 80% des


Sollwertes

Mittelgradig Nächtliche Asthmasymptome > 1 x/Woche


persistierend Beeinträchtigung von körperlicher Aktivität und PEF 60-80 % des PBW 
Schlaf bei Exazerbation PEF-Tagesvariabilität >

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Diana Iancu
Täglicher Bedarf an inhalativen rasch wirksamen 30 %
Beta-2-Sympathomimetika

IV  Anhaltende Symptomatik hoher Intensität und FEV1 ≤ 60 % des


Variabilität Sollwertes oder 

Schwergradig
persistierend Häufig nächtliche Asthmasymptome Einschränkung PEF ≤ 60 % des PBW
der körperlichen Aktivität  PEF-Tagesvariabilität >
Häufige Exazerbation 30 %

4.2.2 ...bei Kindern und Jugendlichen

Schweregrad Kinder und Kennzeichnung vor Lungenfunktion


Jugendliche Behandlung Symptomatik

I  Intermittierender Husten, Nur intermittierend obstruktiv;


leichte Atemnot,
symptomfreies Intervall > 2
Intermittierend Monate Lungenfunktion oft noch normal: FEV1 >
(intermittierende, 80 % des Sollwertes MEF 25-75 bzw.
rezidivierende, bronchiale MEF 50 > 65 % 
Obstruktion) PEF-Tagesvariabilität < 20 % im Intervall
o. p. B

II  Intervall zwischen Episoden Nur episodisch obstruktiv,


< 2 Monate Lungenfunktion dann pathologisch: FEV1
< 80 % des Sollwertes und / oder MEF
Geringgradig persistierend 25-75 bzw. MEF 50 < 65 % 
(episodisch
symptomatisches Asthma)
PEF-Tagesvariabilität 20- 30 %
Lungenfunktion im Intervall meist noch o.
p. B.:
FEV1 > 80 % des Sollwertes u./o. MEF
25-75 bzw. MEF 50 > 65 % 
PEF-Tagesvariabilität < 20 %

III  An mehreren Tagen/Woche Auch im Intervall obstruktiv; FEV1 <


und auch nächtliche 80 % des Sollwertes u./o. 
Symptome
Mittelgradig persistierend
MEF 25-75 bzw. MEF 50 < 65 %
PEF-Tagesvariabilität > 30 %

IV  Anhaltende Symptome am FEV1 < 60 % des Sollwertes oder


Tag, häufig auch nachts

Schwergradig persistierend PEF < 60 % PBW


Tagesvariabilität > 30 %

1. FEV: Forciertes exspiratorisches Volumen

65
Diana Iancu
2. FEV1: Einsekundenkapazität (Forced Expiratory Volume in 1 second)
3. MEF 50 bzw. MEF 25-75: maximaler exspiratorischer Fluss bei 50 % bzw. 25-75 % der forcierten
exspiratorischen Vitalkapazität.
4. PEF: Peak expiratory flow
5. PBW: Persönlicher Bestwert
(Alle Prozentangaben beziehen sich auf die entsprechenden Sollwerte.)

4.3 ...nach therapeutischer Kontrolle


Nach den aktuellen Leitlinien der GINA wird nicht mehr nach klinischen Schweregraden unterschieden, sondern das
Asthma bronchiale nach seiner therapeutischen Kontrollierbarkeit in folgende Kategorien unterteilt:

● Grad 1: Kontrolliertes Asthma


● Grad 2: Partiell kontrolliertes Asthma
● Grad 3: Unkontrolliertes Asthma
Dabei fließen zur Beurteilung neben den bisherigen Symptomen tagsüber und nachts, die Lungenfunktion (Einteilung
vereinfacht, Grenze FEV1 < 80%) sowie zusätzlich die Einschränkung der körperlichen Aktivität, die
Anwendungshäufigkeit von inhalativen, kurzwirksamen Bronchodilatatoren("Reliever") und die Frequenz
der Exazerbationen mit ein.

4.4 ...nach anderen Kriterien


● Eosinophiles Asthma

5 Pathophysiologie
Genetische Disposition und exogene Noxen sind die Auslöser für drei pathophysiologische Abläufe, die für das
Asthma bronchiale charakteristisch sind:

5.1 Entzündung der Bronchien


Allergene oder Infekte lösen eine Entzündungsreaktion der Bronchialschleimhaut aus. Beim allergischen Asthma
kommt es unmittelbar nach Inhalation des Allergens zu einer IgE-vermittelten Reaktion vom Soforttyp (Typ-1-
Reaktion). Die in der Schleimhaut befindlichen Mastzellendegranulieren und setzen dabei Entzündungsmediatoren
wie Histamin, ECF-A, Bradykinin und Leukotriene frei ("immediate reaction"). Neben dieser Sofortreaktion gibt es
auch ein IgG-vermittelte Spätreaktion ("late reaction") nach 6-12 Stunden oder eine Kombination beider
Reaktionstypen ("dual reaction").
Das auslösende Allergen ist in der Regel nur im Frühstadium der Erkrankung identifizierbar. Im Laufe der Jahre
kommt es häufig zu einer Ausweitung des Allergenspektrums, so dass die Allergenvermeidung für den Patienten
immer schwieriger oder sogar unmöglich wird.

5.2 Bronchiale Hyperreagibilität
Bei nahezu allen Asthmatikern lässt sich eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität nachweisen. Die
Hyperreagibilität äußert sich durch eine zu starke Verengung der Bronchialwege bei Inhalation von Reizsubstanzen,
die sich mit Hilfe des Methacholintests, des Histamintests oder der Kälteprovokation objektivieren lässt.

5.3 Endobronchiale Obstruktion
Die endobronchiale Obstruktion ist sozusagen das erste klinisch wahrnehmbare "Endprodukt" der
pathophysiologischen Abläufe des Asthma bronchiale. Sie entsteht durch Verlegung des Lumens der Bronchialwege
infolge von Schleimhautödemen, vermehrter bzw. gestörter Sekretion
von Bronchialschleim (Hyperkrinie bzw. Dyskrinie) und Bronchospasmen (Bronchokonstriktion).
Die drei Faktoren Bronchospasmus, Schleimhautödem und Hypersekretion, die ursächlich für die Atemnot sind,
werden auch als Asthma-Trias bezeichnet.

6 Symptome

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Diana Iancu
Die Symptome des Asthma bronchiale können sporadisch, saisonal oder ganzjährig auftreten. Die Leitsymptome
sind:

● Atemnot mit exspiratorischem Stridor
● Ausgeprägter Hustenreiz
● Tachykardie
Beim Asthmaanfall sitzt der Patient typischerweise schwer atmend (dyspnoisch) auf einem Stuhl oder auf dem Bett
und stützt dabei die Arme auf, um auch die Atemhilfsmuskulatur in Anspruch zu nehmen. Diese Haltung wird auch
als Kutschersitz bezeichnet. Dabei ist die Ausatmungsphase (Exspiration) deutlich verlängert. Bei Erschöpfung des
Patienten kann es zusätzlich zum so genannten respiratorischen Alternans kommen.
Als weitere Symptome können bei einem schweren Asthmaanfall ("Status asthmaticus") auch noch folgende
Krankheitszeichen auftreten:

● Zyanose, z.B. bläulich verfärbte Lippen


● Überblähter Thorax
● Erschöpfung
● Verwirrtheit
● Rastlosigkeit

7 Diagnostik
Die Diagnose "Asthma bronchiale" kann man häufig schon aus der typischen Symptomatik ableiten. Die
diagnostischen Maßnahmen umfassen unter anderem:

7.1 Körperliche Untersuchung
● Inspektion: Fassthorax, Zyanose
● Auskultation: Giemen, Brummen, Pfeifen, verlängertes Exspirium. Bei schwerer Obstruktion ist das Atemgeräusch
sehr leise.
● Perkussion: Überblähung, hypersonorer Klopfschall
Bei schwerer Atemnot (v.a. im Kindesalter) sieht man thorakale Einziehungen, v.a. im Bereich des Jugulum,
der Interkostalräume und epigastrisch.

7.2 Lungenfunktionsdiagnostik
Die Lungenfunktionsdiagnostik umfasst typischerweise:

● Spirometrie: Die Darstellung der vollständigen Fluss-Volumen-Kurve ist die Basis der Funktionsdiagnostik. Das
Verfahren ist von der Mitarbeit des Patienten abhängig. Der höchste Wert aus mindestens drei Bestimmungen wird
verwendet. Ggf. sind zusätzlich weniger mitarbeitsabhängige Methoden heranzuziehen (z.B. Bodyplethysmographie).
● Pulsoximetrie
● Bodyplethysmographie
o Bei Patienten mit nachgewiesener Atemwegsobstruktion soll zur Bestätigung der Diagnose zunächst ein
Reversibilitätstest mit kurzwirkenden Beta-2-Sympathomimetika (SABA) durchgeführt werden.
o Im Falle eines Nichtansprechens auf SABA soll die Reaktion der FEV1 auf inhalative Glukokortikoide (ICS) in einer
stabilen Phase der Erkrankung durch eine zweimal tägliche Inhalation einer hohen ICS-Dosis über mindestens vier
Wochen geprüft werden.

7.3 Allergiediagnostik
Allergien stellen die häufigste Ursache des Asthmas im Kindes- und Jugendalter dar und sind auch im
Erwachsenenalter häufig. Deshalb soll in allen Altersgruppen bei allen Asthmapatienten mit positiver Anamnese
eine allergologische Stufendiagnostik durchgeführt werden. Die allergologische Stufendiagnostik besteht bei Asthma
aus:

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Diana Iancu
● Allergieanamnese, einschließlich Berufsanamnese (ggf. Fragebogen).
● Nachweis der allergenspezifischen, Immunglobulin E (IgE) vermittelten Sensibilisierung mittels
o Prick-Hauttest oder
o Bestimmung des spezifischen IgE
o ggf. allergenspezifischen Organprovokationstests (nasal, bronchial, arbeitsplatzbezogen).

7.4 Röntgendiagnostik
● Röntgen-Thorax

7.5 Labor
● Differentialblutbild
● Immunglobuline
● C-reaktives Protein
● BSG
Die laufende Überprüfung der Lungenfunktion kann anhand des PEF-Wertes auch durch den Patienten selbst mit
Hilfe eines Peak-Flow-Meters erfolgen.

8 Differentialdiagnose
● COPD
● Alpha-1-Antitrypsin-Mangel
● Gastroösophageale Refluxkrankheit
● Sarkoidose
● Obstruktion durch Fremdkörper (vor allem bei Kindern)
● Weitere Erkrankungen mit dem Symptom Dyspnoe

9 Therapie
Neben der Allergenkarenz, die aber nur selten praktisch durchführbar ist, umfasst die Behandlung des Asthma
bronchiale vor allem medikamentöse Maßnahmen. Während früher die Bronchodilatation der wichtigste Fokus war,
ist heute das primäre Ziel, die Entzündungsreaktion so zu minimieren, dass die pathophysiologischen
Umbauvorgänge in der Lunge verzögert werden. Als Medikamente kommen zum Einsatz:

● Glukokortikoide (inhalativ)
● Betasympathomimetika (inhalativ)
● Methylxanthine (Theophyllin)
● Leukotrienantagonisten
● Mastzellstabilisatoren (Cromoglicinsäure, Nedocromil, Lodoxamid) (seltener)
In den leichteren Krankheitsstadien werden die Medikamente meist in Form von Dosieraerosolenappliziert. In
späteren Stadien der Erkrankung ist oft zusätzlich die orale Gabe oder - vor allem im Asthmaanfall - die i.v.-
Applikation notwendig.
siehe auch: Asthma-Stufentherapie, Asthma bronchiale bei Kindern

10 Leitlinien

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Diana Iancu
● Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und
Beatmungsmedizin e.V. (DGP), 2017
● Systematische Leitlinienrecherche und -bewertung sowie Extraktion neuer und relevanter Empfehlungen für das
DMP Asthma bronchiale des IQWiG (Vorläufiger Berichtsplan, 09.07.2012)
● Nationale Versorgungs-Leitlinie Asthma der BÄK, KBV, AWMF (Stand 2011)

Pneumonie
Synonym: Lungenentzündung
Englisch:  pneumonia

1 Definition
Eine Pneumonie ist eine akut oder chronisch verlaufende Entzündung des Lungengewebes. Ursache einer
Pneumonie können Bakterien, Viren, Pilze, Aspiration von Magensaft, Parasiten, Gifte(beispielsweise durch
Einatmen ätzender Gase) und andere Faktoren sein.

 Einteilung

2.1 ...nach pathologischen Gesichtspunkten


Nach klinisch-pathologischen Gesichtspunkten unterteilt man Pneumonien in
2.1.1 Alveoläre Pneumonie
Bei der alveolären Pneumonie spielt sich die Entzündung innerhalb der Lungenbläschen (Alveolen) ab. Man kann sie
weiter in zwei Unterformen unterteilen:

● Bronchopneumonie: Bronchopneumonien sind multifokale Herdpneumonien, bei denen die Entzündung von


verschiedenen Infektionsherden der Bronchien auf das Lungengewebe übergreift. Die Entzündung kann ein oder
mehrere Lungenläppchen betreffen und tritt meist in mehreren Lungenlappen gleichzeitig auf. Eine
Bronchopneumonie kann endobronchial, peribronchial oder hämatogen entstehen.
● Lobärpneumonie: Ein ganzer Lungenlappen ist von der Entzündung betroffen. Diese Form ist durch einen Ablauf in
typischen Stadien charakterisiert und ist im Gegensatz zur Bronchopneumonie territorial gebunden. Man
unterscheidet nach dem Sitz der Infektion weiter in:
o Unterlappenpneumonie
o Mittellappenpneumonie
o Oberlappenpneumonie
2.1.2 Interstitielle Pneumonie
Die interstitielle Pneumonie betrifft nicht die Alveolen, sondern das Interstitium, d.h. die
schmale Bindegewebsschicht zwischen den Alveolen und den Blutgefäßen. Die Ursachen - soweit sie überhaupt
identifizierbar sind - können unterschiedlich sein. Unter anderem kommen Infekte und inhalative Noxen
(z.B. Zigarettenrauch) in Betracht.
Interstitielle Pneumonien durch Infekte entstehen meist dadurch, dass Erreger von
den Alveolarmakrophagen aufgenommen und ins Stützgewebe verschleppt werden.
Interstitielle Pneumonien können nach ihrem Verlauf weiter unterteilt werden in:

● akute interstitielle Pneumonien (AIP)


● chronische interstitielle Pneumonien (z.B. Lipidpneumonie)

69
Diana Iancu
Interstitielle Pneumonien, deren Ursache unbekannt ist, werden als idiopathische interstitielle Pneumonien (IIP)
bezeichnet. Zu ihnen zählen unter anderem die bei Rauchern vorkommende desquamative interstitielle
Pneumonie (DIP) und die lymphoide interstitielle Pneumonie (LIP).

2.2 ...nach Ätiologie
Nach dem Ort der Ansteckung bzw. des Auftretens der Pneumonie unterscheidet man die

● ambulant erworbene Pneumonie: Außerhalb einer medizinischen Einrichtung erworben (auch: communitiy


acquired pneumonia, CAP)
● nosokomial erworbene Pneumonie: Durch Mikroorganismen hervorgerufene Erkrankung, die in zeitlichem
Zusammenhang mit dem Aufenthalt in einer medizinischen Einrichtung (z.B. einem Krankenhaus) steht
o Die im Krankenhaus erworbene Pneumonie heisst auch "hospital acquired pneumonia" (HAP).
o Eine weitere Untergruppe ist die "ventilator associated pneumonia" (VAP), im Deutschen als "beatmungsassoziierte
Pneumonie" bezeichnet.

2.3 ...nach Begleitumständen
Nach den Umständen des Auftretens unterteilt man Pneumonien in die

● Primäre Pneumonie: Tritt bei vorher Gesunden auf. Eine Sonderform der primären Pneumonie ist
die Neugeborenenpneumonie.
● Sekundäre Pneumonie: Tritt bei Personen mit vorliegenden Grundleiden auf. Gefährdet sind besonders Patienten mit
Erkrankungen, die das Immunsystem schwächen darunter
o angeborene Immundefekte (z.B. Severe Combined Immunodeficiency)
o erworbene Immundefekte (z.B. HIV-Infektion, Leukämie)
o Diabetes mellitus
o Herzerkrankungen (z.B. Herzinsuffizienz)
o Chronische Erkrankungen der Atemwege (z.B. COPD)
o Krebs
o Alkoholismus
o Bettlägerigkeit (verschlechtert Lungendurchblutung)
o Krankenhauspatienten, besonders beatmete Patienten auf Intensivstationen
● Retentionspneumonie: Pneumonie, die durch eine Verlegung der Atemwege hervorgerufen wird.

2.4 ...nach klinischem Verlauf


● typische Pneumonie (= alveoläre Pneumonie)
● atypische Pneumonie (= interstitielle Pneumonie)

3 Risikofaktoren
Faktoren, die das Entstehen einer Pneumonie begünstigen sind:

● Eingeschränkte Zilienfunktion (Zigarettenrauchen, Mukoviszidose)


● Erkrankungen mit Umbau des Lungengerüsts (COPD, Bullae, Alpha-1-Antitrypsinmangel)
● Osteomalazie (Instabilität der Knorpelspangen)
● Lungentumore mit Obstruktion der Atemwege (Atelektasenbildung)
● Aspiration
● Alter über 60 Jahre oder unter 1 Jahr
● Virusinfektionen der Luftwege (Bronchitis)

70
Diana Iancu
● Zustand nach Splenektomie
● Medikamente (Immunsuppressiva, Clomethiazol, Amiodaron, Busulfan u.a.)

4 Erreger
Die Kenntnis des Erregerspektrums der Pneumonie ist für den behandelnden Arzt wichtig, da im Rahmen der
Therapie einer Pneumonie noch vor der endgültigen Erregerdiagnose die Einleitung einer kalkulierten Therapie
mit Antibiotika notwendig sein kann.
Die verschiedenen Formen der Pneumonie unterscheiden sich bezüglich ihrer Erreger, die im Folgenden
zusammenfassend wiedergegeben werden.

4.1 Ambulant erworbene Pneumonien


Häufige Erreger einer ambulant erworbenen Pneumonie sind:

● Alveolär
o Streptococcus pneumoniae
o Haemophilus influenzae
o Streptococcus pyogenes
o Legionella pneumophila (Legionellen-Pneumonie)
o Moraxella catarrhalis
o Staphylococcus aureus
o Pseudomonas aeruginosa (insbesondere bei Vorliegen einer Mukoviszidose)
● Interstitiell
o Mycoplasma pneumoniae (siehe auch: Mykoplasmose)
o Respiratory Syncytial Virus (RSV)
o Influenzavirus, Parainfluenzavirus
o Chlamydia pneumoniae, Chlamydia psittaci (Ornithose)
o Adenovirus
o Coxiella burnetii (Q-Fieber)
o Legionella pneumophila
o Pneumocystis jirovecii (bei AIDS-Patienten)

Häufigkeit Erreger

sehr häufig (40 - 50 %) Streptococcus pneumoniae

gelegentlich (5 - 10 %) Haemophilus influenzae


Mycoplasma pneumoniae
Enterobacteriaceae
Respiratorische Viren: RSV, Adenoviren, Influenzaviren

selten (< 5 %) Legionellen


Staphylococcus aureus
Chlamydophila pneumoniae

71
Diana Iancu
ca. 20 - 25 % Erreger ungeklärt

4.2 Nosokomial erworbene Pneumonien


● Alveolär
o Escherichia coli und andere Enterobakterien(beispielsweise Klebsiella pneumoniae als Erreger der Friedländer-
Pneumonie)
o Acinetobacter baumannii
o Staphylococcus aureus
o Pseudomonas aeuruginosa
o Legionella pneumophila
● Interstitiell
o Cytomegalievirus und andere Viren
o Pneumocystis jirovecii
o Legionella pneumophila
o Pilze (Aspergillus fumigatus)
Bei den ambulant erworbenen Formen der alveolären Pneumonie ist Streptococcus pneumoniae der mit Abstand
häufigste Erreger. Mycoplasma pneumoniae ist der häufigste Erreger ambulant erworbener interstitieller
Pneumonien.
Bei nosokomial erworbenen Pneumonien sind Kenntnisse über das im jeweiligen Krankenhaus vorherrschende
Erregerspektrum nützlich.
Bei Neugeborenen sind die Serotypen D-K von Chlamydia trachomatis und B-Streptokokken(beispielsweise
Streptococcus agalactiae) häufige Erreger von Pneumonien. Kinder werden häufig durch das Respiratory Syncitial
Virus befallen. Bei Kindern und Jugendlichen treten gegenüber anderen Altersgruppen gehäuft Pneumonien durch
Mycoplasma pneumoniae und Haemophilus influenzae auf.
Bei beatmeten Patienten sind überproportional häufig gramnegative Stäbchen wie Pseudomonas aeuruginosa
verantwortlich.
Bei Aspirationspneumonien sind oftmals Anaerobier beteiligt.

5 Klinik
Durch das entzündliche Exsudat, das sich in den Alveolen ansammelt, kommt es zur Einschränkung
der Lungenfunktion mit resultierender Atemnot. Die Atemfrequenz steigt, der Patient hat Fieber und Husten. Der
Husten ist bei alveolären Pneumonien in der Regel produktiv. Im Gegensatz dazu ist bei interstitiellen Pneumonien
ein trockener Husten charakteristisch.
Auskultatorisch sind feuchte Rasselgeräusche typisch. Bei der Lobärpneumonie ist bei der Auskulation
das Bronchialatmen charakteristisch. Bei Perkussion ist über dem betroffenen Lappen
eine Klopfschalldämpfung bemerkbar. Der Stimmfremitus und die Bronchophonie sind hingegen verstärkt.
Bei entzündlicher Beteiligung der Pleura (Pleuritis) liegen abhängig von der Inspirationslage wechselnd
starke Schmerzen vor. Typisch ist eine Schonhaltung des Patienten mit zur betroffenen Seiten geneigtem Oberkörper
und flacher Atmung.
Zeigt eine Pneumonie auskultatorisch und perkutorisch nicht die typischen Symptome einer Lungenentzündung,
spricht man von einer atypischen Pneumonie.

6 Diagnostik
Zur Diagnose stehen neben der Anamneseerhebung und der körperlichen Untersuchung eine Reihe weiterer
Methoden zur Verfügung.

72
Diana Iancu
Zur Isolation und Identifizierung des Erregers
können Sputum, Blutkulturen, Pleurapunktate, Bronchialsekret und serologische Untersuchungen
aus Blut und Urin dienen. Bei komplizierten Fällen kann die Entnahme einer Biopsie notwendig sein.
Eine Röntgenaufnahme des Thorax kann Klarheit über
vorliegende Verschattungen, Rundherde und Atelektasen liefern.
Labormedizinische Untersuchungen tragen zur Sicherung der Diagnose bei.
Der Schweregrad einer ambulant erworbenen Pneumonie kann mit Hilfe des CRB-65-Indexabgeschätzt werden.

6.1 DD: Typische versus atypische Pneumonie

alveoläre (bakterielle) Pneumonie interstitielle (virale) Pneumonie

Akuter Beginn Subakuter Beginn

vorher gesund grippaler Infekt als Vorerkrankung

Fieber > 38,5°C, Schüttelfrost Fieber < 38,5°C, langsam steigend

Leukozytose mit Linksverschiebung, CRPund ESR erhö Lymphozytose, CRP und ESR im Referenzbereic
ht h

produktiver Husten trockener Husten

lobuläre und/oder lobäre Infiltrate im Röntgen-Thorax interstitielle und/oder lobuläre Infiltrate, flächige
bevorzugt basal milchglasartige Verschattung

Pleuritis häufig Pleuritis selten

Rasselgeräusche,bei lobärem Befall zusätzlich Rasselgeräusche sehr diskret bzw.


Klopfschalldämpfung auskultatorisch unauffällig

schweres Krankheitsgefühl, Tachypnoe, Tachykardie weniger starkes Krankheitsgefühl

6.2 Diagnostische Hinweise
In der Anamnese zu erfragende Umstände können den Verdacht auf bestimmte Erreger lenken:

● Bei einem bestehenden Diabetes mellitus sollte am ehesten an eine Infektion


mit Pneumokokkenoder Staphylococcus aureus gedacht werden.
● Bei Alkoholismus sollte Klebsiella pneumoniae als Erreger in Betracht gezogen werden.
● Bei einer COPD sind Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis häufige Erreger.

73
Diana Iancu
● Bei Patienten mit einer Splenektomie in der Vorgeschichte sind bekapselte Mikroorganismen, namentlich
Pneumokokken und Haemophilus influenzae zu erwarten.
● Bei einer Immunsuppression, beispielsweise durch HIV oder eine Chemotherapie vor kurzer Zeit, sollten alle
atypischen und oppurtunistischen Erreger berücksichtigt werden. Hierzu gehören neben
der Tuberkulose und Pneumozystose vor allem der Lungenbefall durch Cryptococcus neoformansund auch
die atypischen Mykobakteriosen.

7 Therapie
Allgemeine therapeutische Maßnahmen bei einer Pneumonie sind:

● Bettruhe
● Atemübungen
● Ausreichende Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr
● bei Fieber über 38,5° Antipyretika zur Fiebersenkung (beispielsweise Paracetamol)
● O2-Gabe per Nasensonde bei schweren Fällen der Atemnot
● Mukolytika
● Inhalation
● Physikalische Therapie zur Förderung der Resorption der Entzündung
Zur Therapie der bakteriell hervorgerufenen Pneumonien ist der Einsatz von Antibiotika sinnvoll. Hierbei ist wichtig
auf Grundlage des zu erwartenden Erregers frühzeitig eine breit wirksame kalkulierte Chemotherapie mit den
wahrscheinlich wirksamsten Antibiotika einzuleiten. Im Falle der ausbleibenden Besserung des Zustandes kann die
Therapie umgestellt werden. Bei Nachweis des Erregers kann bei Möglichkeit auf ein Antibiotikum mit schmalerem
Wirkungsspektrum zurückgegriffen werden.
Unter (1) und (2) sind Quellen mit weiteren Informationen zur Therapie der bakteriell hervorgerufenen Pneumonien
allgemein und nosokomialen Pneumonien im Speziellen zu finden.
Viral hervorgerufene Pneumonien können mit den vorliegenden Virostatika nur unzureichend behandelt werden. Die
Therapie umfasst daher neben den allgemeinen Maßnahmen symptomatische Behandlung der Entzündung.
Der Einsatz von Antibiotika bei Pneumonien viraler Genese ist zur Behandlung oder Prophylaxe einer bakteriellen
Superinfektion sinnvoll, kann aber bei Vorliegen einer rein viralen Form unter Kontrolle labormedizinischer
Entzündungsparameter (Blutbild, ESR, CRP) abgewartet werden.

Urolithiasis
Synonym: Harnsteinleiden
Englisch:  urolithiasis

1 Definition
Urolithiasis bezeichnet die Ausbildung bzw. das Vorkommen von Konkrementen (Harnsteinen) in
den Harnwegen (Nierenbecken, Ureteren, Harnblase, Urethra).

2 Einteilung
Die Urolithiasis kann nach Lokalisation des Steins weiter unterteilt werden in:

● Nephrolithiasis: Stein im Hohlsystem der Niere (Nierenstein)


● Ureterolithiasis: Stein im Harnleiter (Harnleiterstein)

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● Zystolithiasis: Stein in der Harnblase (Blasenstein)
● Urethralithiasis: Stein in der Harnröhre
Im klinischen Sprachgebrauch werden jedoch meist nur die Begriffe "Nephrolithiasis" und "Urolithiasis" verwendet.

3 Pathophysiologie
Die Harnsteinbildung wird durch eine Reihe von Zuständen begünstigt. Dazu zählen:

● Vorhandensein und Übersättigung des Urins mit steinbildenden Substanzen


o Hyperkalziurie (z.B. bei Hyperparathyreoidismus)
o Hyperoxalurie
o Hyperphosphaturie
o Hyperurikosurie (bei Hyperurikämie)
o Zystinurie
● Veränderungen des Urins, die eine Steinentstehung begünstigen
o Alkalisierung
o Säuerung
o Oligurie
o Harnkonzentrierung (hohes spezifisches Uringewicht)
o Hypomagnesiurie
o Hypozitraturie
o Renale tubuläre Azidose
● Anatomische Anomalien der Nieren und Harnwege, Stase, u.a. bei
o Zystennieren
o Harnleiterstenosen (z.B. subpelvine Stenose)
o ektope Nieren
o Hufeisennieren
o Vesikoureteraler Reflux
● Harnwegsinfekte
● Immobilisation
● Exsikkose
● Eiweißreiche Kost
Je nach den zugrundeliegenden Ursachen unterscheiden sich die Harnsteinarten:

● Calciumsteine (75-80%)
● Harnsäuresteine (10%)
● Struvitsteine (5%)
● Kalziumphosphatsteine (5%)
● Zystinsteine (<1%)
● Xanthinsteine (<1%)
● DHA-Steine (selten)

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4 Epidemiologie
In Deutschland liegt die Prävalenz der Urolithiasis bei etwa 6 %, Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Das
Erkrankungsalter liegt meistens zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr.
Die Prävalenz der Urolithiasis ist in trockenen und heißen Gegenden höher. Weiterhin gilt die Urolithiasis auch
als Zivilisationskrankheit, die durch eiweißreiche Kost begünstigt wird. In armen Ländern ist die Urolithiasis
bedeutend seltener.

5 Klinik
Harnsteine sind asymptomatisch, solange sie nicht zu einer Verlegung der Harnwege führen oder durch Loslösung
Schaden anrichten.
Leitsymptom des mobilisierten Steins ist die Harnleiterkolik. Dabei bestehen sehr starke, wehenartigeSchmerzen, die
meist im Unterbauch lokalisiert werden und in den Rücken und das Skrotum bzw. die Schamlippen ausstrahlen
können.
Begleitend kommt es häufig zu Erbrechen (schmerzbedingt), Subileus (reflektorisch) und Oligurie.
Bei Urolithiasis ohne Harnleiterkolik ist eine Hämaturie (meist Mikrohämaturie) der einzige wegweisende Befund,
wobei differentialdiagnostisch die vielfältigen Ursachen einer Hämaturie ausgeschlossen werden müssen.

6 Komplikationen
Die gängigste Komplikation einer Urolithiasis ist die Harnwegsinfektion. Bei Harnstau kann es
zur Nierenbeckenentzündung, Hydronephrose und Fornixruptur kommen. Die Urosepsis ist die Komplikation mit der
höchsten Letalität.

7 Diagnostik
Die Diagnostik umfasst die Ursachenforschung und Steinlokalisation.
Mit einem Urinteststreifen können unter anderem das spezifische Gewicht und eine Hämaturie nachgewiesen
werden. Im Urinsediment können unterschiedliche Kristalle sichtbar sein, die aber auch ohne Urolithiasis auftreten
können. Im Sammelurin können lithogene Substanzen
(Calcium, Harnsäure, Oxalat, Phosphat, Zystin, Dihydroxyadenin (DHA)) quantifiziert werden. Entsprechend können
aus dem Serum Calcium und Harnsäure bestimmt werden.
Eventuell abgegangene Steine können durch Infrarotspektroskopie untersucht werden.
Für die Steinlokalsiation eignen sich verschiedene bildgebende Verfahren:

● Sonographie
● Nierenleeraufnahme
● Computertomographie
● Urographie
Bei Kontraindikation gegen Kontrastmittel, welches für CT und Urographie benötigt wird, kann eine MR-
Urografie durchgeführt werden.

8 Therapie
Die Harnleiterkolik wird analgetisch und spasmolytisch behandelt. Therapeutische Alternativen
sind Diclofenac, Pethidin und Metamizol in Kombination mit N-Butylscopolamin. Steine unter 5 mm gehen häufig
spontan ab. Unter analgetischer Therapie, viel Flüssigkeit, Bewegung und Wärmeanwendung kann der Steinabgang

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zugewartet werden. Engmaschige Urinkontrollen sind hierbei unbedingt einzuhalten. Fieber oder eine Anurie sollten
Anlass zu aggressiveren Therapieformen sein.
Wenn die Kolik medikamentös nicht beherrschbar ist oder eine hochgradige Obstruktion mit
konsekutiver Harnstauungsniere und/oder steigenden Retentionswerten vorliegt, besteht die Indikation zur
Harnableitung. Sie kann durch die retrograde Einlage einer Harnleiterschiene oder eine perkutane
Nephrostomie erfolgen.
Die Steinentfernung selbst ist auf mehreren Wegen möglich:

● Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie
● perkutane Nephrolitholapaxie (v.a. bei Nierenbeckensteinen)
● Steinzertrümmerung mittels Zystoskopie/Ureteroskopie
● offene chirurgische Entfernung (bei sehr großen Steinen, z.B. Ausgussteinen)

9 Prophylaxe
Eine Urolithiasis rezidiviert in über 50 % der Fälle. Je nach Steinart- und Ursache kann eine
effektive Sekundärprophylaxe betrieben werden. Grundregeln sind:

● Viel trinken (Harnkonzentrierung vermeiden)


● Ernährung mit wenig tierischen Eiweißen, Kochsalz
● Gewichtsreduktion bei Adipositas
● Meiden von urinsäuernden Getränken (z.B. Apfelsaft, Grapefruitsaft)
Liegt eine Hyperkalziurie vor, kann diese mit der Gabe eines Thiazid-Diuretikums vermindert werden. Eine
diätetische Calciumrestriktion bringt keinen Nutzen, sondern eher Nachteile (Osteoporose).
Bei Uratsteinen sollte der Harn neutralisiert/alkalisiert werden, beispielsweise durch elektrolythaltigeCitratpräparate.
Citraptpräparate helfen in Kombination mit Magnesium auch bei Calciumoxalatsteinen. Eine oxalatarme Diät (wenig
Spinat, Eiskrem etc.) hilft nur bedingt, da Oxalate auch endogen anfallen.
Bei Struvitsteinen (oft infektbedingt) sollte ein bestehender Harnwegsinfekt austherapiert und der Harn angesäuert
werden (Apfelsaft). Hingegen wird bei Zystinurie eine Alkalisierung angestrebt (Citratpräparate).
Durch eine effektive Prophylaxe kann die Rezidivquote um ein Vielfaches gesenkt werden.

VIEL ERFOLG!!!
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Diana Iancu
Vorbereitung auf die Fachsprachprüfung, 2019
Quelle: DocCheck
Eine Liste mit den häufigsten Prüfungsfällen 2019

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