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Regenerative Endodontie:
Die Revitalisierung von Zähnen
Regenerative endodontische Behandlungsverfahren für Zähne mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachs-
tum nach Pulpanekrose fanden in den letzten Jahren zunehmend Einzug in die zahnärztliche Praxis.
Durch die sogenannte Revitalisierung kann nicht nur eine Ausheilung periapikaler Läsionen, sondern
gegebenenfalls auch ein Abschluss des Wurzelwachstums erreicht werden. Damit einhergehende bio-
logische und mechanische Vorteile führen letztlich zum längeren Überleben dieser Zähne, weshalb die
Revitalisierung eine vielversprechende Behandlungsmöglichkeit bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem
Wurzelwachstum darstellt.
Wissenschaftliche Evidenz
Die erfolgreiche Revitalisierung von Zähnen wurde erstmalig
von Iwaya et al. sowie Banchs und Trope in den frühen 2000er
Jahren beschrieben [8, 9]. Es handelt sich um die regenerati-
ve Behandlung von wurzelunreifen Zähnen mit nekrotischer
Zahnpulpa und apikaler Parodontitis durch Erzeugung eines
Blutkoagulums im Wurzelkanal.
Hierbei spielen mesenchymale Stammzellen eine wichtige
Rolle, die in der sogenannten apikalen Papille beheimatet sind
(Abb. 1a). Diese multipotenten Vorläuferzellen können selbst 1 // a In der apikalen Papille wurzelunreifer Zähne liegen mesen-
längere Entzündungsphasen überstehen [10, 11] und durch eine chymale Stammzellen vor (Stern). Die gestrichelte Linie markiert die
provozierte Einblutung ins Kanalsystem transportiert werden Grenze zum Pulpagewebe (Masson-Trichrom-Färbung). b Durch
(Abb. 1b) [12, 13]. Ausgehend von den Stammzellen dieser Regi- eine Einblutung können diese Zellen in den Wurzelkanal trans-
on kann es letztlich zur Bildung von neuem Weich- und Hart- portiert werden.
gewebe im Wurzelkanal und zur vollständigen Ausbildung der →→ Präparation des primären und sekundären Kanalzuganges
Zahnwurzel kommen. →→ Vorsichtige Entfernung nekrotischer Gewebeanteile, wobei
Die Möglichkeiten der pulpalen Regeneration wurden mittler- eine mechanische Bearbeitung der Wurzelkanalwände ver-
weile in einer Vielzahl von Fallberichten, Fallserien und Über- mieden werden soll
sichtsartikeln hinreichend beschrieben. Erste prospektive, ran- →→ Bestimmung der Wurzelkanallänge bis zu vitalen Gewebe-
domisierte und kontrollierte Studien bestätigen für die Revitali- anteilen durch klinische Darstellung unter dem Operations-
sierung ähnliche klinische Erfolgsraten wie für die Apexifikation mikroskop und Schmerzrückmeldung durch den Patienten
[14, 15]. Somit sollten Zahnärzte bei geeigneten Fällen regenera- →→ Spülung mit 1,5 bis 3% Natriumhypochlorit (20 ml für
tive Möglichkeiten als Alternative zur konventionellen Therapie 5 min), wobei Spülkanülen mit seitlichen Öffnungen emp-
in Betracht ziehen. Um sich über den aktuellen Kenntnisstand fohlen sind und bis 2 mm an das vitale Gewebe heran-
zu informieren, stehen Stellungnahmen der Fachgesellschaften geführt werden sollten. Eine Verlängerung der Spülzeit
zur Verfügung (European Society of Endodontology/ESE, Ame- kann bei persistierender Blutung bzw. Exsudation not-
rican Association of Endodontists/AAE) [16, 17]. Zudem bietet wendig sein.
die AAE auf Grundlage veröffentlichter Fallbeschreibungen im →→ Spülung mit steriler physiologischer Kochsalzlösung (5 ml)
Internet Behandlungsempfehlungen an, die kontinuierlich wei- zur Neutralisation des zytotoxischen Natriumhypochlorits
terentwickelt und aktualisiert werden (www.aae.org). und Trocknung mit Papierspitzen
→→ Spülung mit 17% EDTA (20 ml für 5 min)
Fallselektion →→ Homogene Applikation eines Calciumhydroxid-Präparates
Gerade bei Zähnen mit nicht abgeschlossenen Wurzelwachs- in den Wurzelkanal
tum und Pulpanekrose stellen Revitalisierungsmaßnahmen eine →→ Adhäsiver koronaler Verschluss in ausreichender Mindest-
wertvolle Behandlungsoption dar. Selbst bei endodontischen schichtstärke
Infektionen mit apikaler Parodontitis kann das Verfahren ein-
gesetzt werden und zur Ausheilung führen. Von einer Revita- Zweite Sitzung nach 2 bis 4 Wochen
lisierung ist jedoch abzusehen, wenn keine absolute Trockenle- Bei persistierenden Entzündungszeichen sollte der Zahn erneut
gung sichergestellt werden kann oder wenn aufgrund eines aus- mit einer medikamentösen Einlage versorgt werden. Eine
gedehnten koronalen Hartsubstanzverlustes eine Restauration Begleittherapie mit systemischen Antibiotika kann erwogen wer-
ohne zusätzliche Verankerungselemente wie Wurzelkanalstifte den, falls allgemeinkörperliche Beeinträchtigungen wie Fieber
nicht möglich wäre. Bei wurzelunreifen replantierten Zähnen
nach Avulsion ist die Indikation ebenfalls zurückhaltender zu
stellen, da hier eine selbstständige Revaskularisation aufgrund
des meist weit offenen Foramen apicale möglich ist. Empfehlun-
gen zur Revitalisierung von Zähnen mit Luxationsverletzungen
können mangels ausreichender klinischer Evidenz nicht gegeben
werden. Ebenso stellen konventionelle Behandlungsansätze bei
Patienten mit schweren allgemeinmedizinischen Beeinträch-
tigungen (mindestens ASA 3 gemäß ASA-Klassifikation) die
vernünftigere Wahl dar.
Aufklärung
Die Patienten bzw. die Eltern oder Erziehungsberechtigten müs-
sen nachvollziehbar und verständlich über allgemeine und spe-
zielle Aspekte der geplanten Behandlung aufgeklärt werden:
→→ Vorhandenes Krankheitsgeschehen
→→ Regenerative Möglichkeiten und einhergehende Vorteile, aber
auch Risiken im Vergleich zu klassischen Therapieansätzen
→→ Behandlungsalternativen
→→ Zeitlicher Ablauf der Behandlung und notwendige Termine
zur Nachkontrolle
→→ Behandlungsziel und Erfolgsprognose
→→ Anwendung verschiedener Werkstoffe und Medikamente
5 // Bei der Revitalisierung wird durch gezieltes Überinstrumentie- 6 // Revitalisierung des Zahnes 21 bei Pulpanekrose nach Frontzahn-
ren eine Einblutung in den Wurzelkanal provoziert. Es bildet sich trauma. a Das Ausgangsröntgenbild zeigt eine periapikale Osteolyse
ein Blutkoagulum aus, das mit einer Kollagenmatrix bedeckt wird. und ein nicht abgeschlossenes Wurzelwachstum. b Auf dem Kont-
Der Wurzelkanal wird mit einem bioaktiven Zement verschlossen rollröntgenbild nach 18 Monaten sind keinerlei Entzündungszeichen,
und die Kavität adhäsiv gefüllt. jedoch fortgeschrittenes Wurzelwachstum erkennbar.
Follow-up fahrens auf und legt so die Grundlagen für eine routinemäßige
Nachkontrollen sind nach 6, 12, 18 und 24 Monaten empfohlen, Anwendung in der zahnärztlichen Praxis.
wobei diese anschließend im jährlichen Rhythmus für 5 Jahre
weitergeführt werden sollten. Hierbei werden alle klinischen und Literatur beim Verlag (djz@springernature.com)
radiologischen Parameter kontrolliert. Falls, wie häufig, eine Dieser Artikel erschien bereits in einer längeren Version in:
kieferorthopädische Therapie geplant ist, muss berücksichtigt Der Freie Zahnarzt 1/2018, S. 60
werden, dass revitalisierte Zähne aufgrund ihrer Vorgeschichte
anfälliger für Entzündungen sowie apikale Resorptionsprozesse
sind [21]. Deshalb ist bei revitalisierten Zähnen eine knöcherne
Ausheilung vor Behandlungsbeginn abzuwarten und ein engeres
Kontrollintervall zu wählen (Abb. 6). Korrespondenzadresse
Dr. Matthias Widbiller //
Fazit Universitätsklinikum Regensburg
Insbesondere bei Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wur- Franz-Josef-Strauß-Allee 11
zelwachstum stellt die Revitalisierung eine vielversprechende 93053 Regensburg
Behandlungsalternative zum MTA-Plug dar [22]. Die zuneh- Email: matthias.widbiller@ukr.de
mende klinische Evidenz zeigt die Möglichkeiten dieses Ver-