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Grundlagen der psychiatrischen Diagnostik

Letzte Aktualisierung: 24.03.2022
Abstract
Das wichtigste Element der psychiatrischen Diagnostik ist das direkte Gespräch zwischen Ärzt:in und
Patient:in. Empathie, respektvoller Umgang und aktives Zuhören, aber auch Grenzensetzung und
Wahrung der Distanz sind entscheidend für eine gute therapeutische Beziehung. Diese ist essenziell
für einen langfristigen Therapieerfolg und trägt u.a. zur Diagnosestellung und damit auch wesentlich
zur richtigen Therapiewahl bei. Neben einer ausführlichen Anamneseerhebung und Erstellung
eines psychopathologischen Befundes gehört zu einer vollständigen psychiatrischen Diagnostik
eine körperliche Untersuchung, eine Labordiagnostik zum Ausschluss somatischer Grund- oder
Begleiterkrankungen sowie ggf. weitere apparative (EKG, EEG), bildgebende (MRT, CT)
oder testpsychologische Verfahren (Leistungsdiagnostik, Persönlichkeitsdiagnostik etc.).
Grundlagen des diagnostischen Gesprächs
Das diagnostische Gespräch hat eine zentrale Bedeutung in der psychiatrischen und
psychosomatischen Behandlung. Es trägt zum Aufbau einer stabilen Arzt-Patient-Beziehung bei und
ist Grundlage einer erfolgreichen Diagnostik und Therapie. Dauer und Struktur des Gespräches
können je nach Untersucher:in, Erkrankung und Behandlungszeitpunkt variieren.

Grundlagen
 Sich namentlich vorstellen und ggf. Rolle und Funktion erklären 
 Wertschätzend, empathisch und authentisch auftreten
 Klare und allgemeinverständliche Sprache benutzen 
 Offene und neutrale Fragen verwenden
 Suggestivfragen vermeiden 
Durch aktives Zuhören die Aufmerksamkeit und das Interesse demonstrieren (Bspw. kann man
durch Paraphrasieren, Nicken oder bejahende Lautäußerungen die Patient:innen in ihren Schilderungen
bestätigen)

 Die Patient:innen, wenn möglich, nicht unterbrechen und ihre Sicht der Dinge erklären lassen
 Gesamte Anamnese sollte nach Möglichkeit auf einem partnerschaftlichen Modell basieren als
Grundlage für das Shared Decision Making
 Fremdanamnese erheben, wenn möglich 
 Auf ärztliche Schweigepflicht hinweisen 
 Gesprächsende frühzeitig ankündigen
 Abschließend über weiteres Prozedere informieren 
 Für weitere, grundlegende Informationen siehe auch: Grundlagen der Anamneseerhebung

Aufbau und Dauer des Erstgesprächs


 Aufbau: Grobe Gliederung in 3 Teile
1. Offener, unstrukturierter Teil: Stellen offener Fragen, um Patient:in eine ausführliche
Schilderung der Beschwerden zu ermöglichen 
2. Strukturierter Teil siehe auch: Psychiatrische Anamnese
 Gezieltes Erfragen unklarer oder bisher nicht angesprochener, aber potenziell wichtiger
Aspekte
 Wenn möglich nach einem strukturierten Schema vorgehen
3. Abschluss: Zusammenfassen der ersten Eindrücke sowie Erläutern des weiteren diagnostischen
und therapeutischen Vorgehens
 Dauer: Max. 60 Min 

Nachfolgende Gespräche
 Aufteilung wie beim Erstgespräch, wobei der strukturierte Teil mehr Raum einnimmt
 Die Patient:innen sollten jedoch weiterhin das Gefühl haben, Probleme jederzeit ansprechen zu
können
Psychiatrische Anamnese
Der folgende Abschnitt dient als eine Orientierungshilfe für den strukturierten Teil
des Anamnesegespräches und kann bei Bedarf individuell angepasst werden.  [1]

Aktuelle Anamnese/Aufnahmeanlass
 Aktuelle psychische Symptomatik
Beginn und Verlauf der Symptomatik (Akut oder schleichend? Zeitweise auftretend oder durchgehend?)

Mögliche Auslöser oder verstärkende Faktoren der jetzigen Symptomatik (Bspw. Tod einer
nahestehenden Person, innerfamiliäre Konflikte, berufliche Probleme etc.)

Somatische Begleitsymptomatik (Bspw. Ein- und/oder Durchschlafstörungen, Müdigkeit, Appetitverlust,


Libidoverlust, gastrointestinale oder kardiorespiratorische Beschwerden)

 Aktueller Grund und Art der Vorstellung 


 Aktuelle ambulante Behandlung 

Psychiatrische Vorgeschichte
Beginn erstmaliger Symptome und deren Verlauf  (Ersterkrankungsalter? Gab es evtl. Auslöser? Gab es
bessere, schlechtere oder sogar symptomfreie Phasen?)

 Ggf. weitere psychische Erkrankungen und deren Verlauf


Bisherige psychiatrische/psychotherapeutische Therapien (stationär, teilstationär, ambulant) (Wann, wo
und wie lange? Therapieerfolge: ja oder nein?)

Medikamentenanamnese (Welche Medikamente wurden bisher in welcher Dosierung eingenommen? Welche


wurden aufgrund von Nebenwirkungen abgesetzt? Welche wurden vielleicht besonders gut vertragen oder
haben gar nicht erst gewirkt?)
Genussmittel- und Suchtanamnese
Je nach Aufnahmeanlass/Untersuchungssituation variiert der Umfang einer Genussmittel-
und Suchtanamnese.

Konsumierte Substanz(en), aktuelles Konsumverhalten und -menge (Was, wie oft und wie viel wird
konsumiert?)

o Alkohol (genaue Angabe der konsumierten Menge pro Tag)


 Bei Verdacht auf aktuelle Alkoholintoxikation: Atemalkoholtest durchführen oder
Blutalkoholwert bestimmen
 Bei Verdacht auf Alkoholabhängigkeit: Diagnostik der Alkoholabhängigkeit, bspw.
mittels CAGE-Test oder AUDIT (Alcohol Use Disorder Identification Test)
o Nikotin (Angabe der Menge in Pack Years (py)), siehe auch: Nikotinabhängigkeit 
o Weiterer Drogen- oder Medikamentenkonsum, siehe auch: Cannabis (Intoxikation und
Abhängigkeit), Opioide (Intoxikation und Abhängigkeit), Psychostimulanzien (Intoxikation und
Abhängigkeit), Sedativa (Intoxikation und Abhängigkeit), Halluzinogene (Intoxikation und
Abhängigkeit)
 Verhaltensabhängigkeiten 
 Einstiegsalter
 Entzüge und damit ggf. assoziierte Komplikationen in der Vergangenheit 
 Ggf. konsumbedingte Komplikationen in der Vergangenheit  und Rückfälle
 Für weitere, grundlegende Informationen siehe auch: Abhängigkeit und
Drogen, Drogenintoxikation

Suizidanamnese
 Bestandteil jeder allgemeinen psychiatrischen Anamnese
 Für Informationen zur Durchführung sowie zum akuten Management
bei Suizidalität siehe: Suizidanamnese und Suizidalität - Vorgehen/Management

Selbstverletzendes und riskantes Verhalten


 Selbstverletzendes Verhalten: Verhaltensweisen, die direkt zur Schädigung der eigenen Person
führen
Art (Bspw. durch das Aufritzen („Ritzen“) der Haut mit einem scharfen Gegenstand, Verbrennungen mit
Zigaretten/Kerzen, Ausreißen der eigenen Haare, Aufkratzen von Wunden, Schlagen des Kopfes gegen
Gegenstände, Fingernägel kauen bis hin zu Selbstamputationen.)

Schweregrad (Schwere (bspw. Selbstamputationen), mittelschwere bzw. oberflächliche Selbstverletzungen


(bspw. Aufritzen der Haut oder Ausreißen der Haare).)

 Riskantes Verhalten: Bewusst ausgeführte Verhaltensweisen, die die Möglichkeit einer


Selbstschädigung in Kauf nehmen 
 Bei selbstverletzendem/riskantem Verhalten: Folgende Punkte müssen in Erfahrung gebracht
werden
Handlungsmotiv (Selbstverletzendes bzw. riskantes Verhalten geschieht primär nicht in suizidaler Absicht und
kann vielfältige Ursachen haben, bspw. Abbau innerer Anspannung oder Wunsch nach Aufmerksamkeit.)

o Gefühlslage / psychischer Zustand während des Verhaltens


o Frühere Selbstverletzungen / riskante Verhaltensweisen

Familienanamnese
 Psychiatrische und neurologische Erkrankungen in der Familie
o Insb. affektive Störungen, psychotische Störungen, Suchterkrankungen, Verhaltensauffälligkeiten
und Suizidalität
Psychosoziale Informationen über Eltern, Großeltern, evtl. Geschwister und evtl. eigene Kinder (Alter,
Beruf, Wohnverhältnisse, Familienatmosphäre (Verhältnis zu den Eltern und der Geschwister untereinander
etc.))

Sozialanamnese/Biografie
Schwangerschaft und Geburt ,( Komplikationen oder Auffälligkeiten?)
Kindheit (Entwicklungsverzögerungen? Ängste? Bettnässen? etc.), Jugend (Loslösung vom Elternhaus?
Sexuelle Entwicklung? Freundeskreis? etc.)

 Schullaufbahn, beruflicher Werdegang und aktuell ausgeübte Tätigkeit


Aktuelle Lebens- und Wohnsituation (Alleinlebend oder in Gemeinschaft? Betreutes Wohnen? Finanzielle
Situation? Vorsorgevollmacht/Patientenverfügung? Gesetzliche Betreuung?)

Soziale Kontakte, Partnerschaft und aktuelle Familiensituation ,( Ehe? Kinder?) ggf. Sexualanamnese

 Hobbies und Interessen


 Religion
 Sport
Besondere Lebensereignisse oder Belastungssituationen (Traumatisierungen? Einschneidende
Lebensveränderungen?)

 Straffälligkeiten

Somatische Anamnese
Somatische Vorerkrankungen (Insb. neurologische Erkrankungen, Stoffwechselerkrankungen
oder Schädelhirntraumata)

 Operationen
 Allergien/Unverträglichkeiten
 Medikamenteneinnahme
Erfassen von Persönlichkeitsmerkmalen
Das Erfassen von Persönlichkeitsmerkmalen sollte wenn möglich bereits im Zuge des Erstgesprächs
erfolgen, da dies nicht nur eine wichtige diagnostische Bedeutung hat, sondern auch die weitere
therapeutische Beziehungsgestaltung erleichtern kann.

 Vorgehen: Kein systematisches Abfragen aller Persönlichkeitsmerkmale, sondern genaueres


Nachfragen bei Verdacht auf ein bestimmtes Merkmal
 Mögliche Fragen zur Erfassung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale 
o Abhängige Persönlichkeitsstruktur: Können Sie gut alleine leben oder brauchen Sie eine
Beziehung, um sich sicher und stark zu fühlen? Nehmen Sie in einer Beziehung eine
untergeordnete oder gleichwertige Rolle ein? Haben Sie Angst davor, verlassen zu werden?
o Ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstruktur: Haben Sie Angst, in sozialen Situationen
kritisiert oder zurückgewiesen zu werden? Vermeiden Sie berufliche oder soziale Aktivitäten, bei
denen es zu intensiven zwischenmenschlichen Kontakten kommt? Sind Sie häufig besorgt und
angespannt?
o Emotional-instabile Persönlichkeitsstruktur: Neigen Sie zu impulsiven, unüberlegten
Handlungen? Leiden Sie unter ständig wiederkehrenden Stimmungsschwankungen? Haben Sie
sich schon einmal selbst verletzt?
o Dissoziale Persönlichkeitsstruktur: Fällt es Ihnen schwer, sich an gesellschaftliche Regeln und
Gesetze zu halten? Neigen Sie zu aggressiven/gewalttätigen Verhaltensweisen? Können Sie
Verantwortung für Ihre Handlungen übernehmen?
o Schizoide Persönlichkeitsstruktur: Haben Sie viele soziale Kontakte und Freunde? Können Sie
gut ihre eigene Emotionalität ausdrücken? Haben Sie Interesse an sexueller Aktivität?
o Anankastische Persönlichkeitsstruktur: Sind Sie ordnungsliebend und penibel? Neigen Sie zu
Perfektionismus? Haben Sie hohe Ansprüche an sich selbst?
o Histrionische Persönlichkeitsstruktur: Stehen Sie gerne im Mittelpunkt? Ist äußerliche
Attraktivität wichtig für Sie? Sind Sie häufig sehr emotional?
o Paranoide Persönlichkeitsstruktur: Können Sie gut mit Zurückweisungen und Rückschlägen
umgehen? Sind Sie häufig misstrauisch gegenüber anderen Personen in Ihrem beruflichen oder
privaten Umfeld? Können Sie Fehler anderer Menschen verzeihen?
o Narzisstische Persönlichkeitsstruktur: Ist Ihnen Anerkennung in ihrem beruflichen und privaten
Leben wichtig? Sind Sie leicht kränkbar? Können Sie gut mit Niederlagen umgehen?
Psychopathologischer Befund
 Definition: Zusammenfassung der psychopathologischen Symptome zum Zeitpunkt einer
psychiatrischen Untersuchung  [2]

 Bedeutung: Grundlage für diagnostische Entscheidungen und therapeutische Maßnahmen


 Durchführung
o Erhebung während des Anamnesegespräches 
o Verfassen des Befundberichtes in Anlehnung an AMDP-System unter Beachtung klinikinterner
Standards
o Für weitere Informationen siehe: Psychopathologischer Befund
Körperliche (internistisch-neurologische) Untersuchung
Jede psychiatrische Erstuntersuchung beinhaltet eine internistische und neurologische Untersuchung 

 Siehe hierzu
o Ablauf einer allgemeinen körperlichen Aufnahmeuntersuchung
o Neurologische Untersuchung
Zusatzdiagnostik
Der Ausschluss organischer Ursachen ist in der Diagnostik psychiatrischer Erkrankungen besonders
wichtig, da sich im Grunde jede schwere Allgemeinerkrankung auch in psychischen Symptomen
zeigen kann. Dabei sind nicht zwangsläufig alle der hier aufgeführten Untersuchungen indiziert,
sondern es muss in Abhängigkeit von Anamnese, körperlicher Untersuchung
und psychopathologischem Befund entschieden werden. Welche diagnostischen Maßnahmen im
Einzelfall obligat durchzuführen sind, wird im jeweiligen Kapitel der
psychiatrischen Krankheitsbilder thematisiert. Zudem sind klinikinterne Standards zu beachten.
Apparative Diagnostik
Labordiagnostik in der Psychiatrie 
Routinelaboruntersuchung 
 Indikation
o Ausschluss organischer Ursachen
o Vor Beginn einer Psychopharmakotherapie
o Überwachung einer Psychopharmakotherapie
 Spiegelkontrollen (Therapeutisches Drug Monitoring) 
Feststellen von Nebenwirkungen (Bspw. malignes neuroleptisches Syndrom, diabetische
Stoffwechsellage, Agranulozytose)

Bei stationärer Aufnahme


o
 Laborparameter
o Großes Blutbild
o C-reaktives Protein (CRP)
o Elektrolyte (Na , K , Ca )
+ + 2+

o Gerinnungsparameter (Quick-Wert, partielle Thromboplastinzeit)
o Nierenwerte (Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure)
o Leberwerte (ALT, AST, γ-GT, Alkalische Phosphatase (AP), Bilirubin)
o Pankreaswerte (Amylase, Lipase)
o CK
o Nüchternblutzucker, ggf. HbA 1c

o Lipide (Cholesterin, Triglyceride)
o Schilddrüsenwerte (TSH)
o Urinstatus
o Ggf. Schwangerschaftstest 
Spezielle labormedizinische Untersuchungen
Bei entsprechendem Verdacht sind weitere labormedizinische Untersuchungen durchzuführen.

 Urin-Drogenscreening
o Zum Nachweis einer Substanz
o Zur Überwachung einer Entzugsbehandlung
o Für genauere Informationen siehe: Nachweis von Cannabinoiden, Nachweis von
Opioiden, Nachweis von Kokain und Nachweis von Amphetaminen und Ecstasy
 Bestimmung der Blutalkoholkonzentration 
o Siehe auch: Labordiagnostik bei akutem Alkoholabusus, Labordiagnostik bei chronischem
Alkoholabusus
 Liquordiagnostik: Bei Verdacht auf entzündliche, tumoröse oder degenerative Prozesse im ZNS
 Bakteriologisch-virologische und mikrobiologische Untersuchungen: Bspw. Syphilis-
Diagnostik, Hepatitis-Serologie, HIV-Test , Salmonellen, Shigellen

EKG
 Indikation
o Vor Beginn einer Psychopharmakotherapie: Ausschluss einer kardialen Erkrankung ,
Ausgangsuntersuchung für Verlaufskontrollen
o Überwachung einer Psychopharmakotherapie 
o Bei stationärer Aufnahme
 Durchführung und Interpretation siehe: EKG (Elektrokardiografie)
o Bei Auffälligkeiten ggf. erweiterte kardiale Diagnostik veranlassen (Langzeit-EKG, Belastungs-
EKG, Echokardiografie)

EEG
Das EEG kann als Ergänzung im diagnostischen Prozess sinnvoll sein und dient als wichtiges Verfahren
zur Einschätzung der Hirnfunktion. Es ersetzt dabei jedoch nicht die Anwendung bildgebender
Verfahren. Zudem kann ein bestimmter EEG-Befund nicht einer einzelnen psychischen Erkrankung
zugeordnet werden und muss immer vor dem Hintergrund anderer klinischer Angaben (Diagnose,
Medikation, Vigilanz) betrachtet werden.

 Indikation 
o Ausschluss organischer Ursachen 
o Diagnostik und Differenzialdiagnostik  [3]

o Vor Beginn und zur Überwachung einer Psychopharmakotherapie   [4][5]

 Vor Beginn: Bei anfallsgefährdeten Patient:innen , vor Gabe von Clozapin und Carbamazepin,


(optional) vor Gabe von Lithium, Valproat und Lamotrigin
 Im Verlauf: Bei anfallsgefährdeten Patient:innen , bei Gabe von Clozapin, und (optional)
bei Lithium  [6]
 Durchführung und Interpretation siehe: EEG
 Vorteile
o Nicht-invasives Verfahren
o Kostengünstig
o Hohe Sensitivität
o Hohe intraindividuelle Stabilität
 Nachteile
o Geringe Spezifität 
o Hohe interindividuelle Variabilität

Bildgebende Diagnostik   [1]

Indikation
Ausschluss organischer Ursachen (Bspw. zerebrale Raumforderungen, vaskuläre oder
entzündliche zerebrale Prozesse, Z.n. Schädelhirntrauma etc.)

Diagnostik und Differenzialdiagnostik neurodegenerativer Erkrankungen (Bspw.


demenzielle Erkrankungen)

 Erstmanifestation einer psychischen Erkrankung  bei


o Nicht klar zu diagnostizierenden Erkrankungen 
o Akuten und schweren Krankheitsverläufen
o Lang andauernden Krankheitsverläufen
 Bei entsprechendem Verdacht in Anamnese, neurologischer Untersuchung oder EEG

Verfahren
 Kraniale Magnetresonanztomografie (cMRT): Goldstandard in der psychiatrischen Diagnostik
o Durchführung und Interpretation siehe: Magnetresonanztomografie
o Vorteile
 Keine Strahlenbelastung
 Sensitive Darstellung des Hirnparenchyms
o Nachteile
 Nicht so schnell verfügbar wie CT
 Schlechte Knochendarstellung
 Längere Untersuchungsdauer
 Beachtung der Kontraindikationen (siehe: MRT - Kontraindikationen)
 Einengende Untersuchungssituation 
 Teurer als CT
 Kraniale Computertomografie (cCT): Alternativ zum cMRT
o Durchführung und Interpretation siehe: Computertomografie
o Vorteile
 I.d.R. schnelle Verfügbarkeit
 Bei agitierten Patient:innen weniger artefaktanfällig und schneller durchführbar als MRT
 Gute Knochendarstellung
 Kostengünstiger als MRT
o Nachteile
 Strahlenbelastung
 Schlechte Darstellung des Hirnparenchyms
NOTIZEN
FEEDBACK

Testpsychologische Verfahren
 Indikation: Ergänzendes Verfahren zur  [1]

o Diagnostik und Differenzialdiagnostik psychischer Erkrankungen 


o Therapieplanung und Verlaufskontrolle
o Objektivierung kognitiver Defizite bei bereits bestehenden Diagnosen 
o Darstellung kognitiver Einflüsse von Medikamenten 
o Klärung prognostischer Fragen bzgl. (beruflicher) Wiedereingliederung
o Klärung spezifischer Fragen wie Fahrtauglichkeit oder Alltagssicherheit
o Persönlichkeitsdiagnostik
 Rahmenbedingungen
o Ausreichende Motivation der zu behandelnden Person
o Richtigen Untersuchungszeitpunkt wählen 
o Angenehme und störungsfreie Untersuchungsatmosphäre
o Morgendliche Testung bevorzugen 
 Durchführung und Interpretation
o Nur durch geschultes Personal
o Erfolgt immer vor dem Hintergrund des/der
 Prämorbiden Leistungsniveaus
 Aktuellen Klinik
 Medikation
 Verhaltensbeobachtung während der Testung
 Bisherigen Krankengeschichte
Testpsychologische Verfahren werden immer nur als ergänzendes, und nicht als alleiniges
diagnostisches Verfahren eingesetzt!

Psychologische Leistungsdiagnostik
 Definition: Testverfahren zur Beurteilung der intellektuellen Leistungsfähigkeit und ihrer
Teilfunktionen
 Testverfahren: Bspw. 
o Untersuchung der Intelligenz
 Testung im unteren bis mittleren Leistungsbereich: Wechsler Adult Intelligence Scale (WAIS-IV) 
 Testung im oberen Leistungsbereich: Intelligenz-Struktur-Test 2000 R (I-S-T 2000 R) 
 Bei Sprachschwierigkeiten und kulturellen Unterschieden: Progressive Matrizentests  oder
Grundintelligenztest Skala 2, revidierte Fassung (CFT 20-R) 
o Untersuchung der Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung
 Selektive Aufmerksamkeit: Aufmerksamkeits-Belastungstest (d2-R, auch: d2-
Konzentrationstest) 
 Geteilte Aufmerksamkeit: Zahlen-Symbol-Test (ZST) 
 Daueraufmerksamkeit: Continuous Performance Test (CPT) 
 Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung (TAP 2.3.1) 
o Untersuchung des Gedächtnisses
 Für unterschiedliche Gedächtnisfunktionen : Wechsler Memory Scale (WMS-IV) 
 Für spezielle Gedächtnisfunktionen
 Deklaratives, verbales Gedächtnis: Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest (VLMT) 
 Figurales Gedächtnis: Benton-Test 
o Untersuchungen in der Gerontopsychiatrie
 Allgemeine Funktionen : Nürnberger-Alters-Inventar (NAI) 
 Intelligenz: Leistungsprüfsystem für 50- bis 90-Jährige (LPS 50+)
 Aufmerksamkeits- und Konzentrationsleistung: Alterskonzentrationstest (AKT) 
o Untersuchung exekutiver Funktionen
 Planungs- und Problemlösefähigkeit: Turm von London (TL-D) 
 Kognitive Grundfunktionen im optisch-verbalen Bereich: Farbe-Wort-Interferenztest (FWIT;
Stroop-Test) 
 Geteilte Aufmerksamkeit und kognitive Flexibilität: Trail-Making-Test (TMT) 

Persönlichkeitsdiagnostik
 Definition: Darstellung von Persönlichkeitsakzentuierung, Persönlichkeitsveränderungen und
möglichen Persönlichkeitsstörungen
 Testverfahren: Bspw.
o Die aktuelle Persönlichkeit betreffend
 Psychometrische Persönlichkeitstests, bspw. Persönlichkeitsstrukturtests zur Erfassung von
 Persönlichkeitsstruktur und Symptomen psychischer Erkrankungen: Minnesota Multiphasic
Personality Inventory-2 (MMPI-2) 
 5 Persönlichkeitsmerkmalen des Big-Five-Modells: Neo-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI) 
 Diversen Persönlichkeitsmerkmalen mit Schwerpunkt Psychosomatik, Rehabilitation,
chronische Krankheiten, Psychotherapie und Gesundheitspsychologie: Freiburger
Persönlichkeitsinventar, revidierte Fassung (FPI-R) 
 Persönlichkeitsentfaltungsverfahren (Projektive Verfahren, Deutungstests), bspw. 
 Rorschach-Test
 Thematischer Apperzeptionstest
o Die prämorbide Persönlichkeit betreffend: Bspw.
Münchner Persönlichkeitstest (MPT) 
 Biografisches Persönlichkeits-Interview (BPI) 
Persönlichkeitstests dienen nicht als alleiniges diagnostisches Mittel einer Persönlichkeitsstörung!

Störungsübergreifende Untersuchungsverfahren  [7]

 Allgemeines Funktionsniveau: Bspw. Global Assessment of Functioning (GAF)


o Indikation: Bei stationärer Aufnahme, zur Verlaufskontrolle und bei Entlassung
o Ermittlung des psychischen, sozialen und beruflichen Funktionsniveaus
o Fremdbeurteilungsskala
o Dauer: I.d.R. 5 min
 Schweregradbeurteilung einer Krankheit: Bspw. Clinical Global Impression (CGI)
o Indikation: Insb. zur Verlaufskontrolle
o Fremdbeurteilungsskala
o Dauer: I.d.R. 1 min

Störungsspezifische Untersuchungsverfahren
 Definition: Objektivierung spezifischer psychopathologischer Symptome mittels Eigen- und
Fremdbeurteilungsskalen
 Einsatz: Bspw. zur Verlaufskontrolle bei
o Demenz
 Mini-Mental-State-Examination (MMSE)
 Uhrentest
 Demenz-Detektion (DemTect)
 Montreal Cognitive Assessment Test (MoCA)
o Depressionen
 Hamilton-Depressions-Skala (HAMD)
 Beck-Depressions-Inventar (BDI-II)
o Manie
 Bech-Rafaelson-Manie-Skala (BRMAS)
 Manie-Selbstbeurteilungsskala (MSS)
o Schizophrenie: Positive and Negative Syndrome Scale (PANSS)
o Angststörungen
 Beck-Angst-Inventar (BAI)
 Panik- und Agoraphobie-Skala (PAS)
o Zwangsstörungen
 Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale (Y-BOCS)
 Hamburger Zwangsinventar-Kurzform (HZI-K)
 Obsessive Compulsive Inventory-Revised (OCI-R)
o Posttraumatische Belastungsstörung  (PTBS)
 Clinician-Administered PTSD Scale for DSM-5 (CAPS-5)
 Kurze Screening-Skala für PTBS (Breslau-Skala)
o Dissoziative Störungen
 Fragebogen zu dissoziativen Symptomen (FDS)
 Strukturiertes klinisches Interview für dissoziative Störungen (SKID-D)
o Somatoforme Störungen: Screening für somatoforme Störungen (SOMS)
o Essstörungen
 Eating Disorder Inventory-2 (EDI-2)
 Strukturiertes Inventar für anorektische und bulimische Essstörungen (SIAB)
o Alkoholabhängigkeit
 Münchener Alkoholismustest
 Alcohol Use Disorder Identification Test (AUDIT)
 CAGE-Test
o ADHS im Erwachsenenalter
 Homburger ADHS-Skalen für Erwachsene (HASE)
 Conners Skalen zu Aufmerksamkeit und Verhalten für Erwachsene (CAARS)

Suizidalität
(X60 - X84)
Letzte Aktualisierung: 01.07.2022
FRAGEN

KLINIK

ARZT

GELERNT

Abstract
Die vorsätzliche Selbstbeschädigung umfasst die einzelnen Aspekte suizidaler Handlungen, wobei
definitionsgemäß Suizidalität, Suizidversuch, Parasuizid und Suizid unterschieden werden.

Während Suizidversuche häufiger vom weiblichen Geschlecht unternommen werden, finden sich


vollendete Suizide deutlich häufiger bei Männern. Suizidale Gedanken sind fast immer Symptom einer
psychischen Erkrankung (Depression, Anorexia nervosa, Schizophrenie etc.). Wichtigstes diagnostisches Mittel
ist die aktive Exploration in der Anamnese: Suizidalität offen ansprechen kann Leben retten!

NOTIZEN

FEEDBACK

Definition
Suizidalität liegt vor, wenn Erleben und Verhalten eines Menschen darauf ausgerichtet sind, den eigenen Tod
selbst herbeizuführen oder passiv in Kauf zu nehmen.

Ausprägungen von Suizidalität


Suizidalität kann in unterschiedlichen Ausprägungen vorliegen. Diese müssen im Gespräch mit dem Patienten
erfragt werden. Akute Suizidalität besteht, wenn sich aufdrängende Suizidgedanken mit
konkreten Suizidabsichten vorliegen und eine akute Suizidhandlung droht.

 Ruhewünsche: Wunsch nach einer „Auszeit“ ohne den Wunsch zu sterben


 Todeswünsche/Lebensüberdruss: Wunsch, tot zu sein, ohne es selbst zu verursachen
 Suizidgedanken/Suizidideen: Gedanken daran, sich selbst zu töten
 Suizidabsichten: Konkrete Ideen, sich selbst zu töten
 Suizidhandlung: Alle Handlungen, die die Selbsttötung zum Ziel haben
o Suizidversuch: Suizidhandlung, die überlebt wurde
o Suizid: Suizidhandlung mit tödlichem Ausgang
 Parasuizid: Suizidale Handlung, die zu einem tödlichen Ausgang führen kann, deren Ziel jedoch weniger der
Tod und mehr ein Hilferuf ist
Akute Suizidalität besteht, wenn sich aufdrängende Suizidgedanken mit konkreten Suizidabsichten vorliegen
und eine akute Suizidhandlung droht!

Sonderformen
 Erweiterter Suizid: Suizid mit einhergehender Tötung Dritter ohne deren Einverständnis
 Gemeinsamer Suizid: Gleichzeitiger Suizid mehrerer Personen in gegenseitigem Einverständnis
 Bilanzsuizid: Suizid einer psychisch gesunden Person infolge rationaler Abwägung von negativen
Lebensumständen, wie bspw. existentiellen Geldsorgen 
NOTIZEN

FEEDBACK

Epidemiologie

Suizid
 Häufigkeit: Ca. 10.000 Menschen/Jahr in Deutschland
 Alter
o Kontinuierlich steigende Suizidrate mit zunehmendem Lebensalter
o Häufigkeitsgipfel für absolute Anzahl von Suiziden: 50.–80. Lebensjahr
o Zweit- bis dritthäufigste Todesursache bei Jugendlichen
 Geschlecht: ♂ > ♀

Suizidversuch
 Häufigkeit: 10- bis 15-mal häufiger als ein Suizid
 Alter: Häufigkeitsgipfel zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr
 Geschlecht: ♀ > ♂
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

NOTIZEN
FEEDBACK

Ätiologie

Hauptrisikofaktoren für Suizidalität


 Psychische Erkrankungen 
o Insb. Depressionen , Bipolare Störungen, Suchterkrankungen, Schizophrenien und
einzelne Persönlichkeitsstörungen
 Vorliegen einer Suizidintention
o Suizidversuch in der Vorgeschichte 
o Positive Familienanamnese
o Suizidankündigung
o Drängende Suizidgedanken
o Aktuelle Suizide in der näheren Umgebung des Patienten oder mediale Berichterstattung über
stattgehabte Suizide (Werther-Effekt)
 Status der Suizidvorbereitungen
o Konkrete Suizidpläne
o Bereits getroffene Suizidvorbereitungen
o Im Vorfeld getätigte Abschiedsvorbereitungen
 Soziokulturelle Faktoren, bspw.
o Lange Arbeitslosigkeit
o Lebensveränderungskrisen (biografische Wendepunkte)
 Trennung vom Lebenspartner
 Tod von Angehörigen
 Traumatische Erfahrungen
 Alter und Geschlecht
o Höheres Alter und männliches Geschlecht: Höheres Risiko für Suizide
o Niedrigeres Alter und weibliches Geschlecht: Höheres Risiko für Suizidversuche
 Zugang zu gefährlichen Suizidmethoden (bspw. Polizisten und Ärzte)
 Psychopathologische Risikofaktoren für Suizidalität
o Ausgeprägte Hoffnungslosigkeit
o Fehlende Zukunftsperspektive
o Ausgeprägte Schuldgefühle
o Gefühl der Wertlosigkeit
o Anhedonie
o (Pseudo-)altruistische Suizidmotive
o Starke Einengung des Denkens
o Imperative Stimmen, die zum Suizid auffordern
o Als qualvoll erlebte paranoide Ideen
o Ausgeprägte innere Unruhe und Anspannung
o Angst vor Kontrollverlust über die eigenen Suizidimpulse
o Depressiver Wahn/psychotische Depression
o Starke Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit
Der wichtigste Risikofaktor ist ein bereits in der Vergangenheit durchgeführter Suizidversuch!

NOTIZEN

FEEDBACK

Symptome/Klinik

Entwicklung von Suizidalität


Klassischerweise entwickelt sich Suizidalität von Todeswünschen über zunächst unkonkrete Suizidgedanken zu
konkreten Suizidabsichten bis hin zur Suizidhandlung. Es existieren u.a. Theorien von Ringel und Pöldinger zur
Entwicklung von Suizidalität.

Präsuizidales Syndrom nach Ringel


Nach Erwin Ringel gehen einer Suizidhandlung folgende drei Aspekte voraus:

 Einengung: Insb. subjektive, aber auch objektive Verringerung der Wahlmöglichkeiten im Leben der
gefährdeten Person, bis nur noch ein Suizid als möglicher Ausweg erscheint
o Verlust der Lebensfreude (depressiver Affekt)
o Sozialer Rückzug
 Aggressionsumkehr: Nach außen unterdrückte Aggressionen, die zu autoaggressivem Verhalten führen
 Suizidphantasien: Neben der Realität wird eine Scheinwelt aufgebaut, in der die suizidale Handlung eine
immer größere Rolle spielt

Stadieneinteilung nach Pöldinger


Laut Walter Pöldinger werden vor einer Suizidhandlung folgende drei Stadien durchlaufen:

 Erwägungsstadium: Suizidgedanken kommen auf und ein Suizid wird in Erwägung gezogen


 Ambivalenzstadium: Schwanken zwischen dem Wunsch, sich umzubringen, und dem Wunsch, nicht zu
sterben, sondern das eigene Leben zu verändern 
 Entschlussstadium: Es wird die Entscheidung zum Suizid getroffen
Wurde die Entscheidung zum Suizid getroffen, werden die Betroffenen oft ruhiger. Dies kann als ein Rückgang
der Suizidalität fehlinterpretiert werden!

Bei akuter Suizidalität sind die Betroffenen häufig so stark in ihrem Denken und Fühlen eingeengt, dass bei der
Entscheidung zum Suizid nicht mehr von einer freien Entscheidung gesprochen werden kann!

Symptome je nach psychiatrischer Grunderkrankung


 Siehe: Suizidalität im Rahmen psychiatrischer Grunderkrankungen
NOTIZEN
FEEDBACK

Diagnostik

Suizidanamnese
 Indikationen für eine Suizidanamnese: In psychiatrischen Akutsituationen und in jeder
allgemeinen psychiatrischen Anamnese!
 Nutzen
o Abwendung einer Selbsttötung
o Aufbau einer therapeutischen Beziehung
o Entlastung des Patienten 
o Wichtige Entscheidungsgrundlage für das weitere Behandlungssetting
 Zu beachten
o Genau nachfragen und (wenn möglich) offene Fragen stellen
o Bei V.a. Suizidalität immer anschließende Besprechung mit in der Psychiatrie
und Psychotherapie erfahrenem Arzt/Facharzt
o Genaue Dokumentation zur eigenen rechtlichen Absicherung
o Wenn möglich, Einholen einer Fremdanamnese zur Verifizierung der Patientenangaben
 Bestandteile
o Erfragen der Ausprägungen von Suizidalität 
 Lebensüberdruss: Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen zurzeit alles zu viel ist und Sie nur noch Ihre Ruhe
haben möchten?
 Todeswünsche: Haben Sie manchmal das Gefühl, dass es nicht schlimm wäre, wenn Sie jetzt sterben
würden, oder wünschen Sie sich manchmal tot zu sein? Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
 Suizidgedanken: Haben Sie manchmal Gedanken daran, sich selbst etwas anzutun?
 Suizidabsichten und -vorbereitungen: Haben Sie bereits konkrete Ideen, wie Sie sich umbringen
wollen? Wie sehen diese Ideen aus? Haben Sie bereits Vorbereitungen getroffen und wenn ja, welche? 
o Erfragen der Hauptrisikofaktoren für Suizidalität, insb.:
 Frühere Suizidgedanken und -versuche 
 Positive Familienanamnese
 Akute soziale Krisen
 Substanzintoxikationen und -abhängigkeiten, insb. Alkoholabhängigkeit
o Erheben des psychopathologischen Befundes unter Beachtung der psychopathologischen
Risikofaktoren für Suizidalität
o Erheben von Begleiterkrankungen, insb. Zuordnung zu einer evtl. vorliegenden psychiatrischen
Grunderkrankung, sowie frühere psychiatrische/psychologische Behandlungen und deren Anlässe
Die Suizidanamnese gehört zu jeder allgemeinen psychiatrischen Anamnese!

Weiteres diagnostisches Vorgehen bei Vorliegen von Suizidalität


Liegt bei dem Patienten Suizidalität vor, muss entschieden werden, welcher Umfang der Betreuung notwendig
ist. Hierfür sollte immer ein Facharzt für Psychiatrie hinzugezogen werden und es müssen neben
der Suizidanamnese weitere Aspekte ermittelt werden:

 Weitere Informationen zur Ausprägung der Suizidalität


o Besteht akute Suizidalität oder handelt es sich um chronische Suizidgedanken?
o Hat sich die Ausprägung der Suizidalität plötzlich geändert?
 Absprachefähigkeit bei Suizidalität
o Ist der Patient in der Lage, zu versprechen, dass er sich bis zum nächsten Kontakt nichts antut?
 Erstellen eines Anti-Suizid-Vertrags, der jedoch nicht als alleiniges Entscheidungskriterium bzgl. der
weiteren Behandlung verwendet werden darf 
o Kann der Patient glaubhaft versichern, sich bei einer Verschlimmerung der Symptomatik wieder
vorzustellen? Siehe auch: Krisenplan im Rahmen der Suizidprävention
 Privates Umfeld: Gibt es Familie/Freunde, die den Betroffenen unterstützen und zur Verfügung stehen? Hat
der Betroffene schon mal mit jemandem über seine Suizidalität gesprochen?
 Mögliche haltgebende Aspekte
o Gibt es Freunde/Familie, die der Patient eigentlich nicht verlassen möchte?
o Ist der Patient gläubig und kann Hoffnung im Glauben finden?
o Gibt es Pläne für die Zukunft, denen der Patient eigentlich nachgehen möchte?
 Nach erfolgtem Suizidversuch: Folgende Fragen dienen der Einschätzung der akuten Suizidalität. Jedoch
muss auch ein Suizidversuch mit bspw. einer im Vergleich ungefährlicheren Methode immer ernst
genommen werden und sollte einen nicht in Sicherheit wiegen!
o Handelte es sich um einen Suizidversuch oder erfolgte die Selbstverletzung eher im Sinne eines Hilferufs
(Parasuizid) oder zur Spannungsreduktion?
o Welche Vorbereitungen wurden im Vorfeld getroffen?
o Wie gefährlich war die gewählte Methode?
o Wie wahrscheinlich war es, dass der Betroffene rechtzeitig gefunden werden konnte?
o Wurde ein Abschiedsbrief verfasst?
o Wurden im Vorfeld Angehörige/Bekannte informiert?
o Gab es im Vorfeld Hinweise auf deutliche Verhaltensänderungen, die in Zusammenhang mit einem
zukünftig erfolgreichen Suizidversuch stehen könnten? 
o Besteht die Notwendigkeit, den Patienten internistisch, chirurgisch, neurologisch etc. zu überwachen?
Etwa ¾ aller Suizide werden im Vorfeld von den Betroffenen angekündigt. Solche Ankündigungen, auch wenn
es nur eine vage Andeutung sein sollte, müssen immer ernst genommen und weiter verfolgt werden!

NOTIZEN

FEEDBACK

Therapie

Allgemeine Aspekte bei V.a. akute Suizidalität


 Rücksprache mit in der Psychiatrie und Psychotherapie erfahrenem Arzt/Facharzt
 Aufbau einer therapeutischen Beziehung zum Patienten
o Anerkennen der Suizidalität als Ausdruck einer gravierenden psychischen Not
o Offener Umgang mit dem Thema Suizidalität
o Fürsorglicher Umgang mit dem suizidalen Patienten
 Therapieplanung in Abhängigkeit der individuellen Befunde 
 Akut suizidale Patienten nicht alleine lassen, bis sie therapeutisch versorgt sind 
Bei jeglichen Unsicherheiten sollte niedrigschwellig mit dem zuständigen psychiatrischen Oberarzt Rücksprache
gehalten werden!

Ambulante Therapie bei Suizidalität


Voraussetzungen für eine ambulante Therapie bei Suizidalität
 Keine akute Suizidalität
 Absprachefähiger Patient (siehe: Absprachefähigkeit bei Suizidalität)
 Gute Unterstützung im privaten Umfeld  und Vorliegen von haltgebenden Aspekten 
Vorgehen nach Entscheidung zur ambulanten, psychiatrischen Behandlung
 Wenn möglich, Angehörige oder Freunde informieren, die:
o Nach Rücksprache mit dem Patienten über die Situation informiert werden 
o Den Patienten abholen und in den nächsten Stunden bis Tagen begleiten
 Sicherstellen, dass der Patient alle für den Suizid vorbereiteten Hilfsmittel abgibt 
 Notfallplan erstellen: Mit dem Patienten erarbeiten, was er unternehmen wird, wenn sich die Symptomatik
wieder verschlechtert 
 Einleiten der langfristigen ambulanten Weiterbehandlung durch einen Psychiater oder Psychotherapeuten 
 Schließen eines Anti-Suizid-Vertrages bis zur nächsten Vorstellung (kein rechtsgültiger Vertrag, jedoch
Möglichkeit, den Patienten einzuschätzen und eine therapeutische Beziehung aufzubauen)
 Alles sehr detailliert dokumentieren!
 Polizei informieren und fahnden lassen, falls sich der Sachverhalt ändert 
Erst wenn man sich sicher ist, dass sich der Patient nichts antun wird, darf man ihn in die ambulante
Weiterbehandlung entlassen! Bereits bei der geringsten Unsicherheit sollte eine stationäre Aufnahme
eingeleitet, ein Notarzt hinzugezogen und der Patient mit dem Krankenwagen in die Klinik gebracht werden!

Um sich selbst abzusichern, ist es sehr wichtig, alles so detailliert wie möglich zu dokumentieren!

Stationäre Therapie bei Suizidalität


Indikationen zur stationären Aufnahme bei Suizidalität
 Akute Suizidalität sowie eine plötzliche Änderung der Ausprägung der Suizidalität
 Fehlende Absprachefähigkeit
 Vorstellung des Patienten in der Klinik (Wenn sich ein Patient bspw. am Wochenende selbst in der Klinik
vorstellt und das Gefühl hat, nicht bis zum nächsten Werktag warten zu können, um sich bei seinem Hausarzt
vorzustellen, kann dies ein Hinweis für eine ausgeprägtere Suizidalität sein.)
 Vorliegen von Hauptrisikofaktoren für Suizidalität
 Fehlende Unterstützung im privaten Umfeld
Fehlende haltgebende Aspekte (Wie bspw. Zukunftspläne oder ein starker Glaube)

 Erfolgter Suizidversuch 
Nach einem erfolgten Suizidversuch ist eine sofortige stationäre Aufnahme indiziert!

Vorgehen nach Entscheidung zur stationären, psychiatrischen Behandlung


 Für den Suizid mitgeführte Hilfsmittel sicherstellen 
 Entscheidung über Art der stationären Aufnahme 
o Bei akuter Suizidalität mit Absprachefähigkeit: Aufnahme auf eine offene Station, ggf. mit Sitzwache
o Bei akuter Suizidalität ohne Absprachefähigkeit
 Aufnahme auf eine geschützte Station
 Ggf. mit Sitzwache 
 Entfernen aller potenziell gefährlicher Gegenstände aus der Umgebung des Patienten
o Bei akuter Suizidalität (Eigengefährdung) und fehlender Einwilligung zur stationären Aufnahme
 Unterbringung nach öffentlich-rechtlichen Landesgesetzen oder betreuungsrechtliche Unterbringung 
 In Ausnahmefällen: Zwangsbehandlung (Zwangsmedikation, Fixierung) 
 Entscheidung über die Ausgangsregelung: I.d.R. zunächst nur Ausgang mit pflegerischem oder ärztlichem
Personal 
o Einleiten von Suchmaßnahmen bei unerlaubtem Verlassen der Station
 Regelmäßiger Patientenkontakt durch psychiatrische/psychologische Mitarbeiter
Kontaktfrequenz: Je nach Ausprägung der Suizidalität (Bspw. alle 30 Minuten, jede Stunde oder alle 2 Stunden)

o Dabei Evaluation der aktuellen Situation und Erheben einer kürzeren Suizidanamnese


 Detaillierte Dokumentation
 Allgemeine Prinzipien zur Behandlung suizidaler Patienten
o Aufbau einer therapeutischen Beziehung und eines Vertrauensverhältnisses
Positive Verstärkung  („Es ist gut, dass Sie sich bei uns gemeldet haben.“) und Validierungsstrategien 

o Erarbeiten von Strategien


Zum Abbau von akuter Anspannung (Bspw. Sport treiben oder kalt duschen)

Zur Ablenkung bei akuten Suizidgedanken (Bspw. spazieren gehen oder ein Buch lesen)

 Zur Lösung aktueller Probleme, die mitunter Auslöser für die Suizidalität waren 
Erarbeiten von individuellen Ressourcen, die vom Suizid abhalten (Bspw. Bezugspersonen oder Pläne für die
Zukunft)

 Ggf. Einbeziehen von Angehörigen in die Behandlung


o Ggf. Sedierung und Anxiolyse mittels Benzodiazepin, bspw. Lorazepam (sehr
gute anxiolytische Wirkung) oder Diazepam 
o Behandlung der psychiatrischen Grunderkrankung
o Erarbeiten eines Notfallplans für die Zeit nach der Entlassung 
 Sonderfall: Überwachung durch andere Fachdisziplin aufgrund körperlicher Folgen durch
erfolgten Suizidversuch
o I.d.R. Betreuung auf somatischer Intensivstation
o Regelmäßiger Kontakt durch psychiatrischen Konsildienst
o Nach Abschluss der somatischen Intensivbehandlung und weiterhin bestehender Suizidalität: Verlegung
auf psychiatrische Station

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