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William Walton: Violakonzert a-Moll

Werkeinführung von Wendelin Bitzan

Viele bedeutende und fest in den Spielplänen verankerte symphonische Werke teilen ein gemeinsames
Schicksal: sie wurden von Zeitgenossen und ersten Interpreten zunächst nicht gewürdigt und konnten sich
erst mit einer gewissen Verspätung durchsetzen. Dies betrifft insbesondere Konzerte für ein Soloinstrument
und Orchester – es ranken sich Legenden um Werke von Brahms, Tschaikowskij und anderer Autoren, die
von den Virtuosen, welchen sie in die Finger geschrieben worden waren, aufgrund der enthaltenen techni-
schen Schwierigkeiten als unspielbar zurückgewiesen wurden. Häufig bedurfte es dann anderer Interpreten,
die einsprangen und dem suspekten Solopart schließlich zu einer triumphalen Premiere verhalfen, so dass
sich viele der Werke, die ihren Widmungsträgern als eine Zumutung galten, in der Folge zu Kernstücken des
Repertoires und zu Prüfsteinen für Generationen folgender Instrumentalisten entwickelten.

Auch das heute erklingende, in den Jahren 1928 und 1929 entstandene Violakonzert des Engländers William
Walton weiß eine solche Geschichte zu erzählen – und besitzt eine besondere Verbindung zu dem Kompo-
nisten und Bratschisten Paul Hindemith, einer der profiliertesten Gestalten des Berliner Musiklebens im ver-
gangenen Jahrhundert. Der englische Bratschenvirtuose Lionel Tertis, für den Walton das Konzert auf Anre-
gung des Dirigenten Sir Thomas Beecham geschrieben hatte, zeigte sich wenig angetan und sandte die Parti-
tur umgehend an Walton zurück, mit der Begründung, das Werk sei »zu modern«. Glücklicherweise war
Hindemith anderer Meinung und brachte das Konzert im Oktober 1929 in der Londoner Queen’s Hall zur
Uraufführung, die vom Komponisten selbst geleitet wurde. Damit setzte Hindemith sich gegen seinen Kon-
zertagenten durch, der diese Aufführung gern zugunsten einer Premiere in einer finanziell einträglicheren
Konzertreihe verhindert hätte. Gleichwohl wurde das Violakonzert enthusiastisch gefeiert, und Tertis, der die
Uraufführung gehört hatte, sah sich veranlasst, sich bei Walton zu entschuldigen und das Werk doch ins Pro-
gramm zu nehmen. Er spielte es später in Lüttich und 1932 in Worcester, wo auch das einzige Zusammen-
treffen Waltons mit Edward Elgar stattfand, dessen Gleichgültigkeit den jungen Komponisten nicht davon
abhielt, seinen älteren Kollegen zutiefst zu verehren.

Tertis’ spontanes Urteil muss den Hörer aus heutiger Perspektive verwundern, denn das Violakonzert gilt als
eines der Werke, in denen der junge Walton nach einer eher experimentellen Phase zu einem ungetrübt tona-
len, von der Spätromantik inspirierten Kompositionsstil zurückfand. Der in Lancashire in eine Musikerfami-
lie geborene und in Oxford ausgebildete Komponist war zunächst mit der gewagten Lyrikvertonung Façade
– An Entertainment hervorgetreten, welche ihn als Avantgardisten bekannt machte. Die in der Folge vollzo-
gene Hinwendung zur Harmonik des 19. Jahrhunderts führte Walton in den 1920er Jahren zu durchaus be-
merkenswerten Resultaten, für die das dreisätzige Violakonzert als erstes Beispiel dienen kann. Der Kompo-
nist unterzog es im Jahr 1962 einer Revision, die den Orchesterapparat gegenüber der Originalbesetzung,
welche dreifache Holzbläser verlangt hatte, verkleinerte. Er verzichtete auch auf eine dritte Trompete und
eine Tuba, fügte aber eine Harfenstimme hinzu, welche an vielen Stellen prägnant hervortritt. Heute zu hören
ist die revidierte Fassung, welche vom Komponisten bevorzugt wurde.

Der getragene Kopfsatz exponiert nach dreitaktiger Orchestereinleitung das lyrische Hauptthema in der
Grundtonart a-Moll, zunächst von der Soloviola vorgestellt und später von der Oboe übernommen. Ein apar-
tes Seitenthema, wieder der Bratsche in Sexten-Doppelgriffen gewidmet, schwankt zwischen Dur und Moll,
bevor der Satz sich zweimal zu dynamischen, brillant instrumentierten Gipfeln aufschwingt. Der zweite Satz,
eine virtuose Caprice mit dem unwiderstehlichen Charme eines perpetuum mobile, kontrastiert in allen Be-
langen; Soloinstrument und Orchester ergehen sich gleichermaßen in Sechzehntelkaskaden und rhythmi-
schen Raffinessen. Das tonikale e-Moll besitzt nur für Beginn und Schluss des Satzes Bedeutung. Im Finale,
welches etwa so lang dauert wie die beiden vorangegangenen Sätze, werden beide Charaktere versöhnt. Wal-
ton hebt mit einem burlesken Fagottsolo an, das eine Quinte höher von der Soloviola übernommen und im
weiteren Verlauf vielfältig transponiert und auch augmentiert wird. Eine längere Passage ohne Beteiligung
des Solisten schließt sich an, in welcher der stilistische Einfluss Hindemiths unverkennbar ist. Schließlich
gelangt das Fagott-Thema mit dem Hauptthema des ersten Satzes zur Synthese. Das Werk endet, im Tonge-
schlecht ambivalent, mit einer Reminiszenz an die Sexten-Doppelgriffe seines Beginns.

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