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„Neither“ von Morton Feldman.

Klangfigurenwelt und Instrumentierung

„Ich beschäftige mich mit Schatten. Und darum geht es auch in der Becket-Oper.
Das Thema der Beckett-Oper ist, dass unser Leben von allen Seiten von Schatten
umgeben ist. Wir können nicht in den Schatten hineinsehen. Da wir aber nicht in den
Schatten hineinsehen können, geht unsere Existenz nur bis dorthin und wir
schwanken zwischen den Schatten des Lebens und des Todes.“

Morton Feldman

Das Interesse für Klang als Schatten äußert sich unmittelbar in Feldmans Musik in dem
durchgehaltenen Pianissimo, das sein Gesamtwerk ab 1950 charakterisiert und reduziert
den vollen Instrumentenklang des dynamischen Feldes auf einen Schatten.

Spätestens in den siebziger und achtziger Jahren verbindet Feldman die Idee des Schattens
mit der Idee der Schattierung im Sinne von Abstufung. Feldman arbeitet zu dieser Zeit an
einer möglichst weitgehenden Differenzierung in der Behandlung der Tonhöhen und der
Tondauern, die zusammen mit einer feinen Abstufung der instrumentalen Farben zu einem
Begriff von Variation führt. Die geringe Veränderungen des Materials haben hierbei
entscheidende Bedeutung für die gesamte Komposition.

„Sobald Sie anfangen, in Metaphern zu denken, haben Sie diese Schattierungen wie der
grossartige Maler Ad Reinhardt…Die Abstufung der Grautöne, verstehen Sie, das beschäftigt
mich sehr“.
Grundsätzlich ist Klang für ihn eine künstlerische Malerei, das mit der Zeit verbunden ist, in
der er beginnt, fortdauert und endet. Die Tonart in der Musik ist der Bildebene des Malers
verwandt. Sie bestimmt den Grad der Hörbarkeit ebenso wie das Timbre.
Die Artikulation und „Hörbarkeit“ des Tonhöhenmaterials geht durch seine Instrumentation,
so dass bestimmte Passagen weniger deutlich, andere besonders klar hervortreten, und die
Wahrnehmung des Hörers als Distanz zwischen Bühne und Publikum in die Komposition
eingemischt wird.
Feldmanns Vorgehensweise ähnelt, vielleicht noch mehr als Malers Behandlung der Farbe,
dem Verfahren des Dramatikers Samuel Beckett.
In Bezug auf die Anzahl der Wiederholungen seiner Muster erklärte Feldmann später, dass
er die verschiedenen Figuren „immer und immer und immer wieder“ spiele, bis es höre, wie
oft das Motiv wiederholt werden müsse, um „in der akustischen Situation“ natürlich zu
wirken. Das gleiche Verfahren wende Beckett in seiner Arbeit an, so Feldmann 1986, in dem
er einzelne Sätze immer wieder laut lese, um Wortwahl und Satzbau genau auszuhören:

„Vor ein paar Monaten war ich für einen Morgen bei Samuel Beckett und ich habe ihn
gefragt, wie er arbeitet. Er antwortete, dass er alles, was er schreibt, laut liest. Immer
wieder. Es ist das Ohr. Ich fühle mich sehr mit ihm verwandt. Ich fühlte mich auch mit
Malern verwandt, aber Malen ist keine didaktische Kunst. Musik ist bis zu einem gewissen
Grade eine didaktische Kunst. Beckett hat mich nicht beeinflusst, aber es gibt hier zwei
Welten, die sich berühren, und ich denke, dass dies von der didaktischen Qualität seiner
Dichtung herrührt.“

Der gedruckte Text stellt nurmehr die Partitur eines akustisch-visuellen Zusammenhangs
dar, der erst durch die Vorstellungskraft des Lesers lebending wird. Dadurch, dass die Bilder
von Becketts Text, wie Feldmanns instrumentale Bilder, in sich abgeschlossene Strukturen
darstellen, die nicht in einen organischen Zusammenhang eingebunden sind, treten sie um
so plastischer hervor und stehen wie eigene Erinnerungen vor den Augen des Lesers; ähnlich
wie Feldman durch die Projektion seines akustischen Materials eine „Intimität“ erzeugt, die
das Publikum aus dem Konzertsaal treibt, versetzt Beckett den Leser an die Stelle des
ausgesparten Erzählers und lässt ihn seine eigene Stimme hören und die Bilder seiner
eigenen Erinnerung sehen.

Die Idee der Permutation (Anordnung) des zur Verfügung stehenden Materials ist wie bei
Beckett, so auch bei Feldman das vorherrschende Prinzip, mittels dessen er sowohl die
Motivwiederholungen seiner Muster und die geringfügigen Varianten, in denen seine
Muster an den verschiedenen Punkten des musikalischen Verlaufs wiederkehren, herstellt,
als auch die Anordnung der Muster im Zusammenhang der gesamten Komposition
bestimmt. Wenn Feldman sich selbst als »klinischen Komponisten« bezeichnet, bezieht er
sich vermutlich vor allem auf diese scheinbar mechanische Vorgehensweise, die er durch
sein erfahrenes Ohr, mit dem er die verschiedenen Möglichkeiten der Permutation
überprüft, zu einem eleganten und wirkungsvollen Instrument seiner kompositorischen
Arbeit macht. Auf der Ebene der Variation bereits exponierter Muster besteht seine am
häufigsten verwendete Methode darin, die Permutation auf die ursprüngliche Reihenfolge
der Take des zugrundeliegenden Musters anzuwenden, und diese Taktfolge in
verschiedenen Graden von Abweichung umzustellen. Dies setzt voraus, daß die einzelnen
Takte gegeneinander austauschbar und nicht durch übergebundene Noten fest miteinander
verbunden sind; neben Feldmans Wunsch, sein Material »innerhalb des metrischen
Rahmens des Taktes ›zusammenzuhalten«, ist dies also ein weiterer Grund dafür, daß die
Motive der meisten Muster in einen einzigen Takt fallen und nur selten mehrere Take
umfassen.

Feldmans Behandlung des musikalischen Gedächtnisses hat also im Unterschied zu den


klassischen musikalischen Formen nicht das Ziel, die Erinnerungsarbeit durch feste
Anordnungen des Materials zu unterstützen, sondern unternimmt im Gegenteil den
»bewußten Versuch, die Desorientierung des Gedächtnisses zu ›formalisieren‹«.
Diese Desorientierung des Gedächtnisses führt dazu, daß die Komposition nicht mehr als
festes Objekt innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens, sondern als intellektuelle
Bewegung, die die Vergangenheit in der Gegenwart auflöst, wahrgenommen wird, daß also
eine konventionelle Bewegung vom Anfang zum Ende der Komposition, innerhalb deren die
einzelnen Abschnitte aufeinander bezogen sind, nicht mehr stattfindet, sondern jeder
einzelne Abschnitt die vorangegangenen Abschnitte auslöscht und nur auf sich selbst
bezogen ist, ähnlich wie in Feldmans früheren Kompositionen die einzelnen Akkorde
»möglichst weit voneinander entfernt« waren, »um die Erinnerung an das, was
vorausgegangen ist, auszulöschen, « wobei dort das vorherrschende Prinzip die
Verschiedenheit des Materials war, während es hier seine Ähnlichkeit ist.

Auf den Gedanken, mit „Modullen“ zu arbeiten, die frei umgestellt werden können, ist
Feldman allerdings nicht erst im Zusammenhang mit seinen langen Stücken gekommen,
sondern spätestens in den sechziger Jahren, wo er begann, einzelne Akkorde umzustellen,
um deren regelmäßigen Verlauf auflösen.
Feldman versuchte dadurch, dass er eine auskomponierte Akkordenreihe frei umstellte,
harmonische Verbindungen herzustellen, die über die von ihm bewußt ausgearbeiteten
Fortschreitungen hinausgingen, um so nicht „nur Ideen von Harmonik“, sondern „das innere
Atmen von einem harmonischen Rhythmus ohne Harmonik“ loszuwerden.

Nicht nur mit verschiedenen Varianten eines einzelnen Musters, sondern auch die
Beziehung der Muster und instrumentalen Bilder zueinander faßte Feldman als eine Form
von Variation auf, die er mit dem Begriff „Übersetzung“ umschrieb und am Beispiel von
Becketts Text zu Neither, in dem, wie er meinte, jede Zeile „den gleichen Gedanken auf
verschidene Art darstellt“, erläutete. Feldman erklärte in einem Interview vor der
Uraufführung von Neither, dass er, als Becket Text bei ihm eintraf, besonders vom Grund bei
der kompositorischen Arbeit auf jede Zeile für sich konzentriert habe. Diese Reaktion auf
Becketts „visuelle Gliederung“, die, wie das Manuskript des Textes zeigt, aus waagrechten
Strichen zwischen den einzelnen Zeilen bestand, hat offenbar dazu geführt, dass sich
Feldman erst sehr viel später mit dem Zusammenhang des gesamtem Textes beschäftigte,
wobei er zu dem Schluss kam, dass die einzelnen Zeilen Variationen des gleichen Gedankens
darstellten. Hierzu ist zu bemerken, dass es wenige Texte von Beckett gibt, die so wenige
Wiederholungen und so viele Veränderungen auf so kleinem Raum enthalten wie „Neither“,
was vermutlich auf die Bestimmung des kurzen Textes als Opernlibretto zurückzuführen ist,
von dem Beckett wußte, dass es durch seine musikalische Komponisten auf einen größeren
und genau bestimmten Zeitraum ausgedehnt werden würde, innerhalb dessen sich das
Verhältnis zwischen Wiederholung und Veränderung allein auf Grund des Abstandes
zwischen den einzelnen Zeilen, aber auch Grund von Feldmans reduktionistischer
Behandlung der Singstimme grundsätzlich ändern würde. Becketts Text zu «Neither» stellt
im Gegensatz zu anderen Texten von Beckett wie beispielweise San sein eher
unwahrscheinliches.

Der raffinierte Reichtum von Feldmans «Neither» basiert auf extremer Instrumentation, auf
tückischen metrischen Variationen und Arrhythmien.
Ein wesentlicher Aspekt der Partitur von Neither ist der Wechsel der Instrumentation mit
jedem Raster, der einerseits mit dem Wechsel zwischen verschiedenen Materialformen
verbunden ist, andererseits aber auch dann, wenn das zugrundeliegende Material gleich
bleibt, durchgeführt wird, indem einzelne Instrumente abgezogen oder hinzugefügt werden.
Darüber hinaus arbeitet Feldman immer wieder mit besonders starken Kontrastwirkungen
innerhalb der Instrumentation, indem er die verschiedenen Orchestergruppen so
gegeneinander ausspielt, dals Instrumente, die über einen längeren Zeitraum hinweg gar
nicht erschienen sind, plötzlich alleine auftreten, oder einzelne Instrumente nacheinander
einsetzen und verschwinden, ohne daß eine durchlaufende instrumentale Basis die
einzelnen Abschnitte miteinander verbinden würde, wobei in anderen Fällen die
durchlaufenden Ostinati und Schlagzeugwirbel der Partitur genau diese Aufgabe erfüllen,
indem sie eine Art Pedal bilden, über dem anderes Material neu eingeführt und wieder
weggenommen werden kann. Die außergewöhnliche Vielfalt der eingesetzten
Instrumentalkombinationen reicht vom rein kammermusikalischen Satz, der den
musikalischen Verlauf über weite Strecken bestimmt, zu verschiedenen Formen des
Orchestertutti, die häufig blockartige Einfügungen bilden.

Die Oper beginnt mit einem 5/16 Takt, auf dessen letzten Schlag die Streicher ein fis im
Unisono ausführen, das von den Violinen und Violen als Pizzicato, von den Celli als Flagolett-
Ton gespielt werden soll. Der Klang des großen Orchesters ohne die Streicher wird dann
mittels Dreiton-Kombinationen von kleinen Sekunden in enger und weiter Lage in den
Bläsern, und einem Ostinato in den Harfen und Kontrabässen exponiert. Innerhalb eines
regelmäßigen Wechsels zwischen 2/4-, und 5/8- oder 3/8- Takten spielen die hohen
Holzbläser die Töne g, as und a in weiterer Lage in verschiedenen Umkehrungen, die Fagotte
und Trompeten den Cluster d1-es1-fes1 und die Hörner die chromatische Ergänzung h1-c2-
des2; die konsequente Behandlung der einzelnen Instrumentengruppen in dreitönigen
Sekundklängen, die Feldman im weiteren Verlauf auch auf die Streicher überträgt, stellt eine
Neuerung in Feldmans Orchestrationstechnik dar, die zunächst mit der Orchesterbesetzung
zusammenhängt, da sie nur dreifach besetzten Bläsern möglich bzw. sinnvoll ist, darüber
hinaus aber auf einen bewussten Entschluß Feldmans, bestimmte Formen von Material
zwischen Bläsern und Streichern auszutauschen, zurückzuführen sein muss, da er in anderen
Orchesterkompositionen auch bei dreifacher Bläserbesetzung die Streicherstimmen in
Sekundpaaren instrumentiert, die dann als feste Klangeinheiten umgekehrt werden.

In den Bläserklang am Anfang von Neither sind eingeklammerte Kommas als


Phrasierungszeichen, sowie ein dichtes Netzwerk von Crescendi und Decrescendi
eingezeichnet, die in den hohen Holzbläsern in regelmäßigen Perioden von fünf (Flöten),
zwei
(Oboen) und drei (Klarinetten) Achteln aufeinanderfolgen und in den übrigen Bläsern in
unregelmäßigen Perioden angeordnet sind, so daß der Zusammenklang in den
verschiedenen Instrumentengruppen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit steigt und fällt.
Auch dieses Steigen und Fallen eines gehaltenen Klangs in Crescendi und Decrescendi
unterschiedlicher Dauer stellt eine Neuheit innerhalb des von Feldman in den siebziger
Jaren verwendeten Materials dar, die er zuerst in Oboe and Orchestra und Routine
Investigations, also unmittelbar vor Beginn der Arbeit an Neither, einführt;
während Feldman in Oboe and Orchestra, Wo diese Dynamik-Figuren zuerst in Solo-Oboe
und Tutti-Bläsern (T. 44) und erst später in den geteilten Streichern (T. 126) erscheinen, die
erste Passage mit der Anmerkung, daß alle Crescendi/Decrescendi»sehr,sehr klein« sein
sollen, versieht, bewegen sich die gleichen dynamischen Figuren am Anfang von Routine
Investigations zwischen Mezzopiano und dreifachem Forte (S. 1) und im Hauptteil der
Komposition durchgehend zwischen dreifachem Piano und Mezzo-forte, wobei ähnliche
Figuren, die am Ende der Komposition das ›Beckett-Material‹ begleiten, nurmehr ins
Mezzopiano crescendieren, so dass hier eine langsame Abnahme der Zahl der verwendeten
Dynamikgrade über die Gesamtdauer der Komposition auskomponiert ist. Am Anfang von
Neither sollen die Hörner ebenfalls ins Mezzopiano crescendieren, in den anderen
Instrumentengruppen ist den Crescendi/Decrescendi nur die Anweisung »poco« beigefügt.
Unter diesem Bläserklang wiederholt die erste Harfe auf jedes zweite Achtel das Unisono
Eis,-F, wobei ihre 2/4-Takte in Quintolen, die 3/8-Takte in Quartolen aufgeteilt sind, die
Achtelfolge also regelmäßig ein wenig beschleunigt und wieder verlangsamt wird. Die
zweite Harfe spielt das gleiche Unisono aut das zweite Viertel jedes 2/4-Taktes. In einem
Vortrag aus dem Jahre 1981 erklärte Feldman, dass er zu seiner Instrumentation mit
dreifachen Bläsern und Schlagzeug nun eine zweite Harfe hinzugefügt habe, weil er in
»diesem Beckett-Ding« die Besetzung von der römischen Oper bekommen habe:

»Es war mir damals nicht klar gewesen, ich hatte es vergessen oder was auch immer, daß
Opernorchester zwei Harfen haben. Und ich habe Vorteil daraus gezogen und einige der wir-
kungsvollsten Momente in dem Stück sind, wenn ich sehr einfache Dinge mit den zwei
Harfen
mache, es war einfach überwältigend.«

Tatsächlich hat Feldman nach Neither sowohl in Violin and Orchestra von 1979 als auch
in Coptic Light von 1985 zwei Harfen eingesetzt, während er in Flute and Orchestra
1978 nur eine Harfe verwendet, möglicherweise, weil die riesige Schlagzeugbesetzung
dieser Komposition im Mittelpunkt seines Interesses steht; in keinem der vor Neither
entstandenen Orchesterwerke tauchen zwei Harfen auf.

Das Ostinato der Harfen wird von den Kontrabässen verstärkt, die den gleichen Ton
Pizzicato wiederholen, wobei sie die 2/4-Takte in Viertel-Triolen aufteilen, deren erstes und
letztes Viertel in Achteln oder Vierteln auf den vorhergehenden und den fol- genden Takt
übergebunden wird, so dafß das F1 gleichzeitig in drei verschiedenen rhyth- mischen
Modellen, denen der gleiche Taktwechsel zugrundeliegt, erscheint. Dabei ist das Pizzicato
der Kontrabässe in unregelmäßigem Wechsel von zwei, drei, vier, fünf und allen Mitgliedern
der Kontrabaß-Gruppe zu spielen, wodurch eine besonders feine Abstufung des
Klangvolumens eingeführt wird, die Feldman hier zum ersten Mal einsetzt, obwohl sie in
Orchestra durch eine auffallende Differenzierung zwischen Soli, einzelnen Pulten und Tutti,
sowie Abstufungen der Tonverdopplungen in den Bläsern schon vorbereitet war.

Im Schlagzeug erklingen auf der ersten Seite von Neither diminuierende und »poco«
crescendierende Wirbel eines Gongs, eines Beckens und einer Pauke, aus dem dreifachen
Piano ekundreibung zum Fis desHarfen- und Kontrabaß-Ostinatos. Auch diese Behandlung
Schlagzeugs, das nicht mehr in einer dünen Spur, in der sich die einzelnen Schlag- ctrumente
abwechseln, sondern in dichten Blöcken, die in sich strukturiert werden kännen, eingesetzt
wird, stellt eine Neuerung in Feldmans Instrumentationstechnik dar. ret iederum in Oboe
and Orchestra erscheint, wo drei Becken in verschiedenen Chuthmischen und dynamischen
Mustern fast die gesamte Komposition begleiten, die aher in Orchestra und Elemental
Procedures wieder zurücktritt, da hier das Schlagzeug zumeist in einfachen Verdopplungen
der einzelnen Schlaginstrumente, nicht aber in eige- nen Strukturen eingesetzt wird.
Insgesamt enthält die erste Seite von Neither also in jeder Instrumentengruppe wich- tige
technische und musikalische Neuerungen, die Feldman entweder in einer der unmit- telbar
zuvor entstandenen Kompositionen eingeführt hat oder hier tatsächlich zum ersten Mal
verwendet, so dafß vom ersten Takt an deutlich wird, daß sich Feldman ent- schlossen hat,
über die vorangegangenen Werke hinauszugehen und eine neue »in- strumentale
Bildsprache« zu schaffen, die ein Gegengewicht zu Becketts »Bildsprache< darstellen kann.
Im weiteren Verlauf der »Ouvertüre: wird das instrumen- tale Bild der ersten Seite durch
Subtraktion und Addition einzelner instrumentaler Schichten erweitert oder verkürzt, bleibt
aber in seinen Grundbestandteilen durchgehend bestehen.
Im Schlagzeug erklingen auf der ersten Seite von Neither aus dem dreifachen Piano
diminuierende und »poco« crescendierende Wirbel eines Gongs, eines Beckens und einer
Pauke, die gegeneinander versetzt einsetzen und ausklingen. Die Pauke spielt ein Ges als
Sekundreibung zum F des Harfen- und Kontrabaß-Ostinatos. Auch diese Behandlung des
Schlagzeugs, das nicht mehr in einer dünnen Spur, in der sich die einzelnen
Schlaginstrumente abwechseln, sondern in dichten Blöcken, die in sich strukturiert werden
können, eingesetzt wird, stellt eine Neuerung in Feldmans Instrumentationstechnik dar, die
zuerst wiederum in Oboe and Orchestra erscheint, wo drei Becken in verschiedenen
rhythmischen und dynamischen Mustern fast die gesamte Komposition begleiten, die aber
in Orchestra und Elemental Procedures wieder zurücktritt, da hier das Schlagzeug zumeist in
einfachen Verdopplungen der einzelnen Schlaginstrumente, nicht aber in eigenen
Strukturen eingesetzt wird.

Die erste Seite von Neither enthält in jeder Instrumentengruppe wichtige technische und
musikalische Neuerungen, die Feldman entweder in einer der unmittelbar zuvor
entstandenen Kompositionen eingeführt hat oder hier tatsächlich zum ersten Mal
verwendet, so daß vom ersten Takt an deutlich wird, daß sich Feldman entschlossen hat,
über die vorangegangenen Werke hinauszugehen und eine neue »instrumentale
Bildsprache« zu schaffen, die ein Gegengewicht zu Becketts »Bildsprache darstellen kann. Im
weiteren Verlauf der „Ouvertüre“ wird das instrumentale Bild der ersten Seite durch
Subtraktion und Addition einzelner instrumentaler Schichten erweitert oder verkürzt, bleibt
aber in seinen Grundbestandteilen durchgehend bestehen.

Insgesamt ist die Ouvertüre ausschliesslich aus ostinatem Material aufgebaut, das Feldman
in keiner der vorangegangenen Kompositionen in dieser Exzessivität eingesetzt hat, obwohl
bestimmte ausgedehnte instrumentale Bilder in „Oboe and Orchestra“ und nicht zuletzt die
Wiederholungen des „Beckett-Materials“ in der Trilogie vor Neither eine Hinwendung zu
ostinatem Material schon anzukündigen schienen; im Zusammenhang mit Feldmans
Bemerkung, dass „der Unterschied zwischen einem Pattern und einem Ostinato“ darin
bestehe, dass „ein Ostinato die Universität besuchte“, die implizit darauf hinweist, dass der
Unterschied zwischen Ostinato und Muster als Strukturen, die auf der Wiederholung eines
zugrundeliegenden Motivs aufbauen, nur sehr gering ist, liegt die Annahme nahe, dass
Feldman während seiner Beschäftigung mit Beckett in „Neither“ nicht nur zu einem
Komponieren mit orchestralen Ostinati, die in sich abgeschlossene instrumentale Bilder
darstellen, fand, sondern dass dieser Einsatz von orchestralen Ostinati unmittelbar zur
Verwendung von kammermusikalischen Mustern fährte, die für Feldmans Werke nach
„Neither“ von entscheidender Bedeutung sind.

Am 4. November 1976, etwas mehr als einen Monat nachdem Beckett die endgültige
Fassung des Textes zu Neither noch in Berlin niedergeschrieben und möglicherweise
gleichen Tag auch abgeschickt hatte, schrieb Feldman einen enthusiastischen
Dankesbrief an Beckett:
„Sehr geehrter Mr. Beckett,

wie aufgeregt war ich, als ich Neither bekommen habe. Besten Dank - und ich werde dafür
sorgen, daß alles, was mit seinem Vortrag zu tun hat, richtig ausgeführt wird.
(…)
Ich habe einen Weg gefunden, Ihren Text möglichst natürlich einzusetzen. Erinnern Sie sich
an die Begleitung, die ich Ihnen gezeigt habe - verschiedene Dauern gleichzeitigen >Atmens<
- gleichzeitig der durchlaufende, merkwürdig taumelnde Rhythmus - darüber schleicht sich
die Singstimme ein und löst sich ziemlich gleichmäßig auf einem hohen G auf.

Schließlich wird sich die Tonhöhe ändern und ab und zu wird es längere Pausen dazwischen
geben. Der Ton wird sehr schön ausgesungen und es wird keine Andeutung einer
parlandoartigen Behandlung der Singstimme geben. Sie singt, aber nicht zielgerichtet. Die
Zeit stellt die Linie und den Zusammenhang her. Die Zeit selbst wird zum lyrischen Ton. Es
ist, als ob sie eine Melodie singen würde, die gar nicht da ist.
Nun, ich gehe wieder an die Arbeit an Neither und danke Ihnen von ganzem Herzen.
Morton Feldman (1991)
Wenn Feldman Beckett das An- und Abschwellen der Bläser- und Streicherklänge, das er
hier als „Atmen“ bezeichnet, und das Ostinato der Harfen und Clli, das er einen »merk-
wurdig taumelnden Rhythmus« nennt, bei ihrem Treffen in Berlin zeigen konnte, muß er
schon von diesem Gespräch und jeder Übereinkunft über den Gegenstand der Oper eine
so genaue Vorstellung von der Orchesterbehandlung von Neither gehabt haben, daß er
Beckett Skizzen, die der endgültigen Fassung sehr nahegekommen sein müssen, oder
möglicherweise sogar die fertige erste Seite vorlegen konnte, da die vergleichbaren
dynamischen Figuren in Oboe and Orchestra und Routine Investigations keine
gegeneinander
versetzten Crescendi und Decrescendi, also keine »verschiedenen Dauern gleichzeitigen
"Atmens“, enthalten, und das Ostinato der Ouvertüre in keiner der vorangegangenen
Kompositionen vorgebildet ist.

Die fünfte Zeile des Textes wird, ähnlich wie die dritte Zeile, weit auseinandergerissen:
»heed/less/of/the/way,/intent/on« erscheint im zweiten System von S. 30.
gleam/or/thelother« erst auf S. 36; das syntaktische Gefüge wird also auch hier bewusst
mißachtet. Zwischen den beiden Hälften der Zeile 5 liegt das dritte instrumentale
Zwischenspiel.
Die erste Hälfte der Zeile wird auf die Taktperiode 3/4-3/8-2/2-3/8, die dreimal wiederholt
wird, gesetzt und nimmt nach einer 3/4-Pause die fis-g-as-Figur von S. 17 (Zeile 3) wieder
auf, die in Gestalt von zwei punktierten Vierteln, die auf die in der Mitte stehende Halbe-
Triole übergebunden sind, deutlich verlangsamt wird.
Der Text ist Silbe für Silbe unterlegt, nur in der mitleren Periode wird „the“ auf fis² und g²,
und „way“ erst auf as² gesungen. In der ersten Hälfte des Systems spielen die drei Fagotte
die Töne f, fis und g in gegeneinander versetzten Einsätzen, die Streicher wiederholen einen
Akkord, der am Ende des ersten Teils von Neither nach Zeile 3 zuerst erschienen ist (S. 20)
und schon im ersten Zwischenspiel mit dem ges² des Solocellos wiederholt wurde (S. 24),
jeweils unter der Halben-Triole der Singstimme, wobei das gis der geteilten Kontrabässe
durch ein d ersetzt ist.
In den beiden Systemen von S. 31 exponiert Feldman eine neue polymetrische Situation,
indem er über die komplizierten rhythmischen Überlagerungen des Schlagwerks in
der Fassung von S. 9, die weiterhin im 3/8-2/4-Taktwechsel steht und nur unwesentlich
abgewandelt ist, insofern der Marimbaphonwirbel mit neuem Tonhöhenmaterial versehen
und nur in den 2/4-Takten, also in jedem zweiten Takt, gespielt wird, und die Doppelschläge
von Pauken und Großer Trommel in eine feste rhythmische Periode von fünf Achteln
eingespannt werden, eine ähnlich komplex durchkonstruierte Struktur der Flöten, Oboen,
Klarinetten und Trompeten legt, die den Taktwechsel des Schlagzeugs in genau doppelt so
langen Takten wiederholt. Zu diesem Zweck verläßt Feldman hier vermutlich aus Gründen
der graphischen Aufteilung des Systems das bisher durchgehend beibehaltene Raster von
zwölf Takten, indem er den Bläsern neun Takte und dem Schlagzeug dementsprechend 18
Takte zuordnet, was zur Folge hat, daß das erste System in sich nicht geschlossen ist, da die
Bläserschicht mit einer ungeraden Anzahl von Takten und ein Achtel kürzer ist als die Schicht
des Schlagzeugs und erst mit dem ersten Takt des zweiten Systems wieder an die
Schlagzeugschicht angeglichen werden kann; Feldman ist hier also gezwungen, das gleiche
Material über zwei Systeme beizubehalten.

Im zweiten System von Seite 54 wird ein aus den Tönen f3,fis3, g3 und as3 bestehender
Cluster der Flöten, Oboen und Klarinetten eingeschoben, der in vier Taktpermutationen
artikuliert ist, wobei drei verschiedene Anordnungen eines ¾-, eines 2/4- und eines 3/8-
Taktes übereinandergeschichtet werden. Daraus entstehen sechs Möglichkeiten, drei Takte
hintereinander anzuordnen und ausnutzen, so dass der zugrundeliegende Cluster insgesamt
zwölf Takte einnimt. Dadurch ergibt sich ein absolut homogener Instrumentalklang und
unterschiedliche Phrasierungen werden eingezeichnet.

Der Hauptteil des Zwischenspiels besteht aus einem einzigen monolithischen Klangblock,
der das gesamte bis hierhin exponierte Material zu verschlingen scheint und am
Ende selbst aufgelöst wird. Dieser gewaltige Block, der ein Gegengewicht zum
durchlaufenden Klangband der >Ouvertüre< im letzten Viertel der Oper darstellt, wird auf
Seite 55 innerhalb eines erweiterten Rasters vorgestellt, das 18 2/4-Takte umfaßt, von
denen Takt 3-7, T. 9-13 und T. 15-17 zusätzlich wiederholt werden sollen, so daß insgesamt
31 Takte
gespielt werden; er besteht aus 32tel-Schlägen des Orchestertutti, die in zwei verschiedenen
rhythmischen Schichten nebeneinanderherlaufen: Die Flöten, Oboen und das Glockenspiel
wiederholen auf jedes Achtel ein ges3 im Unisono und werden von Klavier und Xylophon mit
dem Tritonus g1-cis1 verstärkt, wobei T. 2-18 als „Faulenzer“ notiert sind und in T. 13 und
T.16, also am Ende des zweiten und in der Mitte des dritten Wiederholungsblocks, jeweils
ein kleines Crescendo ins Mezzopiano mit anschließendem Decrescendo eingezeichnet ist.
Das übrige Orchester wiederholt einen chromatischen Akkord in unregelmäßigen Abständen
von einem bis vier und zuletzt zweimal fünf Achteln, dessen höchster Ton ebenfalls das
dreigestrichene ges in Violinen und Violen im Pizzicato ist, das dem fis3 am Anfang der
„Ouvertüre“ entspricht und durch Celli und Kontrabässe in der zweigestrichenen Oktave im
Flageolett verdoppelt wird, während Klarinetten, Fagotte und Trompeten den Sekundcluster
h-c1-des1 in der Mittellage und die Hörner, Posaunen und Tuba den Cluster G1-As1-A1: in
der tiefen Lage spielen; zusätzlich wird dieser Akkord durch die Harfen und Pauken, die den
Tritonus des ersten Schlagmusters in der kleinen und eingestrichenen Oktave wiederholen,
und ein hohes Guiro verstärkt.
Schon in diesem ersten System des Klangblocks wid deutlich, daß Feldman die
Wiederholungen der 32tel-Schläge, die über die Akkordschläge (S. 40 und 45) von der
Begleitung des Beckett-Materials abgeleitet sind, in einer gigantischen »Maschinerie« des
»Unselbst« zu einem Extremwert steigert, der die Akkordwiederholungen auf S. 45 und die
Wiederholungen des fünftönigen Musters auf S. 48 bei weitem übertrifft und die
Kulminationspunkt des tragischen Konflikts zwischen „Selbst“ und „Unselbst“ darstellt.

Die achte Zeile, »then/no/sounde, ist mit ihren drei Silben die kürzeste des gesamten
Textes und macht den dramatischen Gegensatz zwischen »sound« bzw. »sounds« solange
die Bewegung zwischen »Selbst« und »Unselbst« andauert, und »no sound«, sobald sie zum
Stillstand kommt, sinnlich erfahrbar. Die Zeile wird in T. 5-7 des ersten Systems
von S. 66 von einem Akkord der Klarinetten und Posaunen eingeleitet, der aus den beiden
Clustern c-des-d und a-b-ces1, die nicht zu den Sekundklängen der Streicher gehören,
zusammengesetzt ist und als Flatterzungen-Klang dreimal aus dem dreifachen Piano
diminuieren soll. In der zweiten Hälfte des immer noch vierzehntaktigen Rasters, das den
2/4-3/8-Wechsel der Ouvertüre weiterhin beibehält, wird der Text dann in Halben, die auf
den zweiten Schlag einer Viertel-Triole einsetzen und durch 3/8-Pausen voneinander
getrennt sind, unbegleitet vorgetragen. Der dreimal verlöschende Akkord der Bläser, der an
den ebenfalls diminuierenden Flatterzungen-Cluster der Hörner und Posaunen zwischen
Vorspiel und Hauptteil des vierten Zwischenspiels (S. 39) erinnert, scheint den
Orchesterklang des vorausgegangenen Zwischenspiels mit der folgenden Generalpause zu
verbinden und nimmt mit seinem ersten Einsatz den Rhythmus der Soprantöne vorweg. Die
Töne, auf die die achte Zeile dann gesungen wird, sind f2, fis2 und g2, eine
Sekundversetzung der fis-g-as-Figur, die das g² nicht umspielt, sondern zu ihm zurückkehrt.
Die achte Zeile bildet nicht nur den notwendigen Gegensatz, mit dem der Klangblock des
fünften Zwischenspiels, der im nachhinein wie eine Metapher für das Wort
»sound« bzw. »sounds« aus der sechsten Zeile wirkt, die allerdings nicht unmittelbar vor
diesem Zwischenspiel vorgetragen wird, aufgefangen werden kann, sondern stellt
gleichzeitig den Angelpunkt zwischen dem Hauptteil der Oper und ihrem Schlußteil dar, in
dem die Zeilen 9 und 10 dem Text Becketts entsprechend miteinander verbunden werden.
Im direkten Vergleich von Zeile 6 und Zeile 8 wird deutlich, daß die Sforzati im dreifachen
Forte, die die sechste Zeile begleiten, sich unmittelbar auf das Schlüsselwort „sound“
beziehen, ohne auf die Implikationen von »unheard footfalls« einzugehen, die eigentlich
einen sehr leisen Klang nahelegen würden, genauso wie das »no sound« der achten Zeile
unmittelbar in eine Generalpause des Orchesters umgesetzt wird.

Auf Seite 70 wiederholt der Sopran, der nun einzelne Achtelnoten mit dazwischenliegenden
Pausen von fünf Achteln Dauer zu singen hat, die viertönige Figur b2-as2-a2-h2, die völlig
bruchlos an die vorangegangenen Koloraturen anschließt, dreimal; dieser Passage wird der
erste Teil der neunten Textzeile, „then/gent/ly/light/un/fad/ing/on/that/un/hee/ded“,
syllabisch unterlegt. Unter „light“ (T.6) das als eines der Schlüsselworte des Textes einen
deutlichen Gegensatz zu „shadow“ in der ersten Textzeile bildet, wird tiefe gis-a-b Cluster
der Hörner im Klavier verdoppelt und durch einen einzelnen Schlag eines Tamtam
besonders betont.

Die musikalische Struktur von Neither beruht also insgesamt auf dreí dramatischen
Grundelementen, die in verschiedenen Wiederholungen und Varianten den Fortgang der
Oper speisen und in der zehnten Zeile noch einmal zusammengefaßt werden. Die beiden
ersten Elemente, das An- und Abschwellen der chromatischen Dreiton-Klänge der Bläser
und Streicher als »Atmen« und die Ostinati der Harfen und Celli, die »das für Beckett
charakteristische Gefühl von Schnelligkeit« hervorrufen sollen, als Vorausnahme der
repetitiven »Unselbst«-Strukturen werden auf der ersten Seite der Partitur exponiert, das
melodische Element der Singstimme wird in der fis-g-as-Figur,

(Im Unterschied zu Tonhöhe und Tondauer ist die Instrumentation kein integraler
Bestandteil der konventionellen Notation, sondern ein Zusatz, der auf Grund dieser no
onstechnischen Voraussetzungen ein äußerliches Attribut der musikalischen Struktur
sein scheint. Für die akustische Realität des Klangs, der bei der Aufführung
De:
lieser notation zu einer Komposition wahrgenommen wird, ist die Instrumentation
allerdings von entscheiden.
der Bedeutung. Bei den meisten Komponisten findet eine mehr oder weniger deutliche
Trennung zwischen der musikalischen Struktur und ihrer Instrumentation statt, so daß
es grundsätzlich möglich ist, die gleiche Komposition mehrmals zu instrumentieren
wobei dann die einzelnen Instrumentationen verschiedene »Darstellungen< bzW. »Inter-
pretationen« bilden, die unterschiedliche Eigenschaften der musikalischen Struktur her.
vorheben können, in ihre Substanz jedoch nicht eingreifen. Sobald aber der Klang as
akustische Realität im Mittelpunkt des kompositorischen Interesses steht, ist es nicht
mehr möglich, verschiedene instrumentationstechnische Bearbeitungen einer musikali-
schen Substanz herzustellen, die aus einer auf Tonhöhen und Tondauern beruhenden
Konstruktion besteht, da in diesem Fall Tonhöhen und Tondauern kein in sich abge-
schlossenes »Objekt« darstellen, sondern genauso wie die Instrumentation in Hinsicht
auf den Klang der Aufführung bestimmt werden müssen: Nicht nur können die Ton-
höhen als Teil der Klangfarbe behandelt werden, wie Feldman im Anschluß an Schõn-
berg formuliert, sondern sie nehmen auch unterschiedliche Dauern in der Zeit ein, »um
zum Publikum zu sprechen«, wie Feldman Varèses Ratschlag, auf die »akustischen Phi-
nomene< zu hören, wiedergegeben hat, da die verschiedenen Klangfarben eine unter-
schiedliche Präsenz auf der Bühne haben und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit »in
den Zuschauerraum und wieder zurück auf die Bühnex gelangen; darüber hinaus kann
der gleiche Ton durch verschiedene Instrumentationen nicht nur in seiner Klangfarbe,
sondern auch in der »Schärfee seiner Tonhöhe verāndert werden, wie Feldman in seinen
späteren Kompositionen zeigt [vgl. III.2:153f]). Bei einem Komponisten wie Feldman, für
den der Klang den wesentichen Teil einer Komposition ausmacht, wũrde also eine neue
Instrumentation eine neue Folge von Tonhöhen und Tondauern erfordern und damit
eine neue Komposition ergeben. Feldman berichtet, daß Cornelius Cardew ihn in einem
Brief aus den sechziger Jahren gefragt habe, ob er eine der graphisch notierten Projectioms
mit anderen als den in der Partitur vorgeschriebenen Instrumenten aufführen könne,
worauf Feldman geantwortet habe, daß diese Stücke »ohne ihre Instrumentation nicht
existieren« [19871]. Dies sei für ihn selbst der erste Hinweis gewesen, daßer sich nmcht
nur mit Klang, sondern auch mit Instrumenten beschäftige; Feldman setzt hinzu, daß
nicht er den Klang ausgewählt habe, sondern daß -die Vorliebe des Klanges für bestimm-
eren,
te Instrumente die Komposition gewordene sei [1972k
Mit Instrumentation ist hier allerdings nicht der brillante Einsatz der Instrumente
gemeint, der für Feldman »aus der Komposition und nicht aus einer Nähe zum Klang
kommt und wie »jede Virtuosität, ob es sich um kompositorische Kennerschaft handelt,
oder darum, zu zeigen, was das Instrument wirklich »kanna, »auf das Gleiche hinaus-
läuft« und damit uninteressant ist [1972k], sondern eine Vorgehensweise, nach der die
)

Der Reichtum der besonderen Klangfigurenwelt von Neither ergibt sich hauptsächlich aus dem
abwechslungsreichen Zusammenwirken von äußerst persönlichen, oft bewusst extrem
gewählten Instrumentationstechniken; aus Kombinationen von Dynamik und Register, die
eigentlich unvereinbar sind, und doch in malerischer Weise dem Sinn der Musik angemessen;
aus der Widersprüchlichkeit im Zusammentreffen der horizontalen und vertikalen Parameter
(früher hätte man Melodik und Harmonik gesagt), die sich häufiger zu bekämpfen als dialektisch
zu ergänzen scheinen; aus Ausdünnungsvorgängen in der Satzdichte, die manchmal schlüssig
und linear verlaufen, meistens jedoch in abrupter Unterbrechung geschehen, so dass nur noch
minimale Reste, 'Hülsen' ohne jede Richtungsenergie oder 'Bestimmung' im kompositorischen
Ablauf übrig bleiben – es sei denn, sie wechseln sich mit Erscheinungen ab, deren Ausschöpfung
unabwendbar in umgekehrter Richtung verläuft, bis zur vollständigen akustischen
Unkenntlichkeit, zum Klangfarben-'Grau'. 

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