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Rheumatische Erkrankungen des

Kindes- und Jugendalters


PD Dr. med. Dirk Holzinger
Klinik für Kinderheilkunde III
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin
Universitätsklinikum Essen
Rheuma
Mit Rheuma (altgriechisch ῥεῦμα rheuma, deutsch ‚Strömung‘, ‚Fluss‘) werden
Beschwerden am Stütz- und Bewegungsapparat mit fließenden, reißenden und
ziehenden Schmerzen bezeichnet, die oft mit funktioneller Einschränkung
einhergehen.

Liber de Rheumatismo et Pleuritide dorsali


von Guillaum de Baillou (1538–1616):
Nach der Lehre der Körpersäfte fließt
kalter „Schleim“ vom Gehirn herab zu
den Extremitäten und löst Beschwerden
aus.
Chronisch entzündliche Erkrankungen im Kindesalter

Rheumatische Gelenkerkrankungen im Kindesalter


• Juvenile Idiopathische Arthritis (inkl. DD)

Kollagenosen im Kindesalter
• Systemischer Lupus Erythematodes
• Juvenile Dermatomyositis

Vaskulitiden im Kindesalter
• Pupura Schönlein-Henoch
• Kawasaki-Syndrom

• (Autoinflammationssyndrome)
Schmerzen am Bewegungsapparat

Orientierende Einordnung

1. Lokalisation: muskulär, ossär, gelenkbezogen oder diffus

2. Auftreten: akut vs. episodisch vs. chronisch

3. Begleitsymptome

4. Alter
Orientierung am Alter

aus: Weller F. Kinder und Jugendmedizin 05/2009


Ursachen und Warnsignale

aus: Weller F. Kinder und Jugendmedizin 05/2009


Maligne Erkrankungen

aus: Weller F. Kinder und Jugendmedizin 05/2009


Algorithmus Schmerzen am Bewegungsapparat

aus: Weller F. Kinder und Jugendmedizin 05/2009


„Wachstumsschmerzen“

aus: Weller F. Kinder und Jugendmedizin 05/2009


Juvenile Idiopathische Arthritis
• < 16 Jahre mit persistierenden Symptome seit > 6 Wochen
• Schmerzen, Schwellung, Bewegungseinschränkung in einem oder
mehreren Gelenken
• Inzidenz: ca. 7-23/ 100.000 Kinder/Jahr; Ätiologie ungeklärt
JIA – Besonderheiten in der Anamnese

• Lokalisation  artikulär or periartikulär?


• Anzahl der Gelenke  mono-/oligo-/polyartikulär?
• Verteilung  z.B. nur Hüfte selten bei JIA
• Akut vs. chronisch  akut: Infektion, reaktiv, mechanisch
• Persistierend/intermittierend  JIA: chronisch/persistierend
• Migratorisch  Hinweisend für reaktive Arthritis
• Schwere  Starker Schmerz selten bei JIA
• Tageszeitl. Abhängigkeit  Morgensteifigkeit bei Entzündung
• Zusätzl. Symptome  Systemische Krankheitszeichen?
• Vorausgehende Erkrankung  Postinfektiöser/reaktiver Prozess?
JIA – Körperliche Untersuchung

• MCP + PIP Schwellung

• Kniegelenkerguss
JIA – Körperliche Untersuchung

• Dactylitis

• Bakerzyste • Exanthem bei SJIA


Systemische Juvenile Idiopathische Arthritis = M. Still

• “Autoinflammatorische” Erkrankung
– Nicht “autoimmun”
• Vor allem extraartikuläre Symptome
bei Krankheitsbeginn
• Hohes Fieber
– Täglich – 2x täglich Fieberschübe
– intermittierend
– Kinder wirken im Fieberschub schwer
krank (weitesgehend Woglbefinden
im fieberfreien Intervall)
• Exanthem
– Flüchtig (kommt und geht mit Fieber)
– lachsfarben
– Köbner Phänomen
– Selten juckend
Psoriasisarthritis

• Arthritis kann vor der Hautbeteiligung auftreten (schwiriege Diagnose)


• Arthritis + Psoriasis (easy!) ODER
• Arthritis + 2 der weiteren 3:
– Verwandter 1. Grades mit Psoriasis
– Dactylitis
– Nagelveränderungen

Onycholyse Oil drop sign


Pitting
Iridocyclitis (chronische nicht-granulomatöse anteriore Uveitis)

• Assoziiert mit JIA (oligoartikulär>polyartikulär)


• Risikofaktoren: junges Alter, weiblich, ANA+
• Initial asymptomatisch (nur sichtbar mit Spaltlampe)
• Regelmäßiges Screening notwendig
• Spätfolgen: Synechien, Katarakt, Glaukom, Visusminderung

• Beteiligung der vorderen • Posteriore Synechie


Augenkammer mit Präzipitaten • Katarakt
Gelenksongraphie
MRT
Behandlungsprinzip nicht-systemische JIA
Behandlungsprinzip Systemische JIA
Therapie IAT

• Intraartikuläre Steroid-Therapie mit kristallinem Triamcinolon-


hexacetonid (0,5 – 1,0 mg/kg in große Gelenke), max. 1x/3 Monate
• Ggfs. wasselösliche Steroide bei kleinen Gelenken
JIA Prognose

• 70 % Remission nach 1 Jahr


• ca. 30-40 % stabile Remission im Erwachsenenalter
• Destruktive Gelenkerosionen
• 5 % bis 20 % Uveitisrisiko über 10 Jahre
• 5 % chronische Sehbehinderung
• Risiko Therapie-induzierter Spätfolgen
Epidemiologie der juvenilen Kollagenosen

• Systemischer Lupus erythematodes


– Prävalenz (Europa) ca. 1:5000-1:20.000
• Asien>Afrika>Lateinamerika>Europa
• Mädchen:Jungen - <10 J. 3:1; Erwachsene 10:1
• Spitzeninzidenz: 25-45 Jahre
• Juvenile Dermatomyositis
– Prävalenz ca. 1:30.000
• Seltene Erkrankungen
• Mädchen:Jungen ca. 5:1
• Spitzeninzidenz: 7 Jahre
• Mädchen deutlich
• Systemische Sklerose
häufiger betroffen
– Prävalenz ca. 1:50.000
• Mädchen: Jungen ca. 4:1
Die erweiterte Familie der Kollagenosen

Antiphospholipid-
Sjögren-Syndrom
Antikörper-Syndrom

MCTD
(Sharp-Syndrom)

 Oft Überlappung (Overlap-Syndrome/Mischkollagenosen)


Klinische Befunde bei Kollagenosen

SLE
Sjögren-Syndrom Akute Hautläsionen Antiphospholipid-
Speichel-/Tränendrüsen Chron. Hautläsionen Antikörper-Syndrom
Xerostomie/-ophthalmie Schleimhäute Thrombosen
Extraglandulär Hämatologie Spontanabort
Gefäße Livedo
Niere (GN)
ZNS
SSc Gelenke
Raynaud/“puffy fingers“ JDM
Sklerodaktylie MCTD
(Sharp-Syndrom) Heliotrop
Sklerodermie Gottron-Zeichen
Periphere Kalzinosen Extensor-Erytheme
Ösoph. Dysmotilität Myositis
Interstitielle Lungenerkr. Vaskulopathie
Pulm.-art. Hypertonie Kalzinosen (s.c., faszial)
Unspezifische Beschwerden: Fieber/subfebrile Temperaturen, Fatigue,
Gewichtsverlust, Lymphknoten, Hepatosplenomegalie
SLE Hautmanifestationen
JDM Hautmanifestationen
JDM Calcinosis
Allen gemeinsam: Auto-Antikörper

Sjögren-Syndrom SLE Antiphospholipid-


Anti-SSA (Ro) Antikörper-Syndrom
Anti-ds-DNA
Anti-SSB (La) Lupusantikoagulans
Anti-Smith
Coombs-Test Anti-Cardiolipin
Anti-Beta2-Glykoprotein I
MCTD
Anti-U1RNP

SSc JDM/PM
Anti-Zentromere
Myositis-spezifische Antikörper
Anti-Scl70
(Anti-tRNA-Synthetasen [Jo1 etc.],
Mi2, TIF-1gamma, NXP2)
Andere typische Laborbefunde
SLE
 BSG (CRP normal)
Zytopenien
Sjögren-Syndrom  IgG
 IgG,  BSG  C3, C4, CH50 Antiphospholipid-
Zytopenien Proteinurie/Hämaturie Antikörper-Syndrom
(Amylase) Direkter Coombs-Test + Thrombopenie
Neopterin

MCTD (Overlap SLE, Myositis, SSc)


 IgG,  BSG,  Muskelenzyme, …

SSc JDM/PM
 IgG,  BSG  Muskelenzyme (CK, GOT, LDH, Aldolase)
Zytopenien  Neopterin
 Muskelenzyme  vWF-Antigen

CRP bei Kollagenosen i.d.R. nicht aussagekräftig.


CAVE: Diagnose oder Klassifikationskriterien

Diagnose Klassifikation
• Ziel: Anwendung beim • Ziel: Generierung von
einzelnen Patienten in der homogenen Kohorten für
klinischen Praxis klinische Forschung
• Erfasst die Heterogenität der • Hohe Spezifität auf Kosten von
Erkrankung
Sensitivität (erfasst nicht alle
• Hohe Sensitivität und Patienten)
Spezifität gefordert – schwer
zu realisieren, daher selten • Beispiele:
verfügbar! – SLE, SSc, Vaskulitiden, JIA, RA
• Beispiele:
– Juvenile Dermatomyositis, Klassifikationskriterien nicht
akutes rheumatisches Fieber,
Kawasaki-Syndrom missbräuchlich zur
Diagnosestellung verwenden
Aggarwal R et al. Arthritis Care Res 2015;67(7):891–897
Therapieoptionen bei Kollagenosen

• SLE, SSc, MCTD, Sjögren:


schwerwiegend, z.B.
– Abhängig von der Organbeteiligung Niere
ZNS
moderate Beeinträchtigung lebensbedrohlich
milde Beeinträchtigung, z.B.
Haut
Gelenke

z.B. z.B. zusätzlich z.B.


Hydroxychloroquin Steroide Hochdosierte Steroide
Low-dose Steroide Steroidsparende Therapien Cyclophosphamid
Symptomlindernde Therapien (MTX, AZA, MMF) Mycophenolatmof.
Lokaltherapien Rituximab

• Konsensus-Therapieprotokolle verfügbar für:


– Schwere Lupusnephritis, juvenile Dermatomyositis
ANA Screening
• Antinukleäre Antikörper (ANA): Antikörper, die mit nicht gewebespezifischen
Zellkernantigenen reagieren (nukleär, nukleolär, perinukleär)

• Pathogenetische Rolle ungeklärt – persistierende hohe Titer weisen bei


entsprechender Klinik auf eine Autoimmunerkrankung hin

• Antikörper, die im indirekten Immunfluoreszenztest (IIFT) mit humanen


Kulturzellpräparaten (HEp-2-Zellen) eine mikroskopisch nachweisbare
Zellkernfluoreszenz hervorrufen (Goldstandard)

• Gerichtet gegen Bausteine des Chromatins und gegen Komponenten der


intranukleären Maschinerie der Generkennung, DNA-Replikation und -
Transkription sowie der RNA-Verarbeitung.

• Fluoreszenzmuster kann auf ihre Antigenspezifität wie Doppelstrang-DNA,


Ribonukleoproteine (Sm, U1- snRNP, U1-70K, SS-A/Ro, SS-B/La), Zentromere oder
Enzyme wie Topoisomerase I und RNA-Polymerasen hinweisen.

• Bestätigung mit spezifischen Tests: Immunodiffusion Assays, Immunoblot Test


und ELISA
Nukleus
ANA-Muster (Leberzellen)

Homogenes/diffuses Muster der


Peripheres Muster: dsDNA-Ak
Zellkerne: Ak gg. Nucleosome (RA,
und Ak gg. Kernhüllproteine
medikamenteninduzierter Lupus)
(SLE)
und/oder anti-dsDNA (SLE)

Gesprenkeltes Muster: Ak gg.


lösliche Kernbestandteile, Smith
Nukleoläres
(SM), Ribonukleoproteine (RNP), Ro
Muster: anti-
(SSA), La (SSB) SLE, Sjögren's
Scl70
syndrome, Sklerodermie, EBV und
Sklerodermie
andere (auch bei Gesunden,
niedrige Titer)
Beurteilung
• Ein positiver ANA-IFT ist allein noch nicht richtungweisend für die Diagnose einer
entzündlichen rheumatischen Erkrankung. (niedriger positiver prädiktiver Wert)

• Erst weiterführende Untersuchungen unter Berücksichtigung von klinischer


Symptomatik, Antikörpertiter, Antikörperisotyp und Fluoreszenzmuster
ermöglichen diagnostisch relevante Aussagen.

• Ein negativer ANA-Befund macht eine SLE-Diagnose extrem unwahrscheinlich


(hoher negativer prädiktiver Wert)

• Diagnostischer Nutzen des ANA-Suchtest als Screening ist limitiert

• 1:40 - 1:80 bei verschiedenen nicht-autoimmunen Erkrankungen vorhanden


(Infektionen, Neoplasien und Gesunde)

• 30% Gesunder haben einen ANA-Titer von 1:40 und 5% von 1:160
Screening?

Perilloux et al.: 245 Kinder mit


positivem ANA-Test:

• 55% hatten eine spezifische


Autoimmunerkrankung (JIA (37%),
SLE (30%))

• 45% mit positivem ANA Test hatten


keine Erkrankung. (Infektionen
macht 25% der positiven Befunde
aus)

• Patienten mit
Autoimmunerkrankung hatten
einen höheren Titer (1:160) als
nicht erkrankte Patienten
ANA Differenzierung – anti-dsDNA

• anti-dsDNA sind extrem selten bei


Gesunden und hoch-spezifisch für SLE (84-
95% bei Kindern und 50-70% bei
unbehandelten Erwachsenen).

• Titer der anti-dsDNA Antikörper sind klinisch


wichtig für das Monitoring der
Krankheitsaktivität.

• Ein Anstieg der anti-dsDNA Titer geht einer


Verschlechterung des SLE um einige Wochen
voraus.
ANA Profil – SS-A und SS-B
• Anti-SSA/Ro Ak (gg. RNA-bindende
Proteine) treten bei SLE auf (33%).

• Anti-SSB/La treten bei SLE auf (15%)

• Bei juvenilem Sjögren Syndrom,


60-70% der Patienten haben Aks
gegen SSA oder SSB.

• Schwangere Frauen mit anti-SSA/Ro Aks


haben ein 2% Risiko eine Kind mit neonatalem
Lupus zu bekommen.

• SLE: anti-SSB/La Aks sind assoziiert mit Grad IV


Lupus Nephritis and ZNS-Beteiligung
ANA Profil – Anti-Sm und Anti U1 RNP

• Sm antigen: Komplex aus 4 Proteinen mit


U1, U2, U4-U6, und U5 snRNAs.

• Anti-Sm Ak sind hochspezifisch für SLE aber


nicht sensitiv (nur 20%), sind assoziiert mit
Nierenbeteiligung und schlechterer Prognose

• U1 RNP antigen: 3 Proteine komplexiert mit


U1 snRNA.

• Anti-U1 RNP Ak haben hohe Spezifizität für


MCTD (fast 100%) 37% der Kinder mit SLE und
assoziiert mit Lupus Nephritis.
ANA Profil – ScL70

• Anti Scl70 Ak (gg. DNA Topo-isomerase)


treten bei Erwachsenen mit Systemischer
Sklerose auf, aber sind unüblich bei Kindern

• Diese Patienten haben jedoch ein erhöhtes


Risiko einer Lungenfibrose und sollten
regelmäßig Lungenfunktionstests haben.

ANA Profil – Jo1

•Anti Jo1 Ak (gg. aminoacyl-tRNA Synthetasen mit cytoplasmatischer


Färbung)

•20-40% der Erwachsenen mit Dermatomyositis und Polymyositis,


meist mit Lungenbeteiligung, aber selten bei Kindern
Fazit

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