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20.10.22 15:25
WO C H E N Z E I T U N G F Ü R P O L I T I K W I RTS C H A F T W I S S E N U N D KU LT U R
Das wird mir zu viel!
Titelillustration: Nathalie Lees für DIE ZEIT
Schlechte Nachrichten, digitales Dauerfeuer, und ständig soll man sich auf etwas Neues einstellen:
Wie man zum Wesentlichen zurückfindet WISSEN
BUNDESPRÄSIDENT
Über sich selbst
hinaus
Steinmeier redet zur Krise. Auch
zu seiner VON TINA HILDEBRANDT
Eigentlich hatte das Staatsoberhaupt mit schwe-
rem Gerät in der Ukraine anreisen wollen.
Generatoren, Wasserpumpen, Häckselmaschi-
nen, die dort benötigt werden, seitdem das Land
begonnen hat, seine Wälder zu verfeuern, weil
Russland die Energieversorgung lahmlegt.
Gekommen ist er nun mit kleinem Gepäck – aus
Sicherheitsgründen – mit Worten und mit einem
neuen Netzwerk an Städtepartnerschaften, über
die notleidende Ortschaften in der Ukraine auf
finanzielle Hilfe zurückgreifen können.
Die Reise soll aber auch Frank-Walter
Steinmeier selbst helfen. Nach einer öffent-
lichen Entschuldigung für seinen Anteil an der
vergangenen Russlandpolitik ist die Reise in
die Ukraine der von ihm lang ersehnte zweite
Teil einer Operation Befreiungsschlag.
Teil drei soll eine Rede sein, mit der Stein-
meier sich am Freitag an die deutsche Bevölke-
rung wenden und damit eine Antwort auf die
immer häufiger in den Medien gestellte Frage
geben will: Was macht eigentlich der Bundes-
präsident beruflich?
Steinmeier hat viel geredet, er hat neue For-
mate erfunden wie die »Ortszeiten«, bei denen
er jeweils für einige Tage Quartier in einer mit-
telgroßen deutschen Stadt bezieht, um damit
das Schloss Bellevue unter die Leute zu brin-
gen. Seine Wirkung ist dennoch begrenzt
geblieben. Das lag an Corona, an einer verän-
derten Öffentlichkeit, es lag aber auch an
Steinmeier selbst. Als Kanzleramtsminister, als
Außenminister war er an so vielen, auch fal-
schen, politischen Weichenstellungen beteiligt,
dass ihn das zu einem gefesselten Präsidenten
gemacht hat. Einem, von dem man nicht weiß,
ob er, der Altbekannte, der Richtige für eine
dramatisch neue Zeit ist.
Was also hat er zu sagen? Eine Rede solle es
werden, so heißt es, die nicht nur väterlich
tröstet, sondern der Bevölkerung auch etwas
abverlangt. Irgendetwas zwischen Churchill
und Kennedy, garniert mit einer Prise merkel-
schem »Wir schaffen das«. Die Bürger mögen
ihren Steinmeier, wohl auch, weil von einem
Bundespräsidenten seit längerem eher wenig
erwartet wird. Ob sie ihm wirklich zuhören,
ob sie sich von ihm bewegen lassen, muss sich
noch zeigen. Es hängt davon ab, ob er etwas zu
sagen hat, das nicht nur über das bisher bereits
von allen Gesagte hinausgeht – sondern auch
über sich selbst.
ZEIT
NEUE CHINA-POLITIK
Mehr als nur Geld
Xi Jinping hat die Putinisierung der chinesischen Führung vollendet.
Scholz darf mit Peking nicht weitermachen wie bisher VON XIFAN YANG
N
ormale Antrittsreise oder Tri-
butbesuch? Olaf Scholz will
kommende Woche nach Pe-
king zu Xi Jinping fliegen. Es
wird das erste offizielle Tref-
fen zwischen dem Bundes-
kanzler und Chinas neu gekröntem Kaiser sein.
Mit einem dramatischen Abschluss des 20. Par-
teitags hat Xi die Reform-Ära von Deng Xiao-
ping beerdigt. Die letzten moderaten Kräfte der
KP sind entsorgt, seinen Vorgänger Hu Jintao
demütigte Xi vor der Weltöffentlichkeit.
Heikler könnte das Timing von Scholz’ China-
Reise nicht sein. Als erster ausländischer Regie-
rungschef nach dem historischen Kongress in
Peking aufzutauchen sieht nach Ehrerbietung aus,
zumal der Kanzler wie ehemals Gerhard Schröder
und Angela Merkel wieder Vorstände der Deutsch-
land AG in seinem Tross mitnehmen wird. Lernen
aus Russland, Zeitenwende, heute Ukraine, morgen
möglicherweise Taiwan – war da nicht etwas?
Eines ist sicher, Pekings Staatspropaganda
wird den Scholz-Besuch genüsslich ausschlach-
ten: Schaut her, die Deutschen wollen bloß Geld
verdienen. Läuft doch wie gehabt. Dass der
Bundeskanzler dem chinesischen Staatschef ein
Stück vom Hamburger Hafen überreichen wird,
bessert die Optik nicht auf – seien die wirtschaft-
liche Bedeutung eines Teils eines Terminals und
das politische Einfallrisiko in diesem Fall auch
noch so klein. Berlin sendet mit dem Hafendeal
das falsche Signal, an Peking wie auch an die
westlichen Partnerländer, die vom deutschen
Wirtschafts-Egoismus zunehmend genervt sind.
Das heißt nicht, dass von jetzt an jedes
Geschäft mit chinesischen Firmen politisiert
werden sollte. Aber ein Weiter-so mit der Volks-
republik, die sich in Xi Jinpings verbleibenden
Amtsjahren in eine absolutistische Ein-Mann-
Diktatur mit Luxusmalls und Tesla-Ladenetz
verwandeln wird, kann es nicht geben. Westliche
Marktwirtschaften, sofern sie sich weiterhin
demokratischen Werten verpflichtet fühlen,
müssen Grenzen ziehen im Umgang mit der
kommunistischen Führung. Eine Absage des
Hamburger Hafendeals könnte Scholz in Peking
leicht begründen: Wenn Deutschland sich nicht
an chinesischer Infrastruktur beteiligen darf,
warum sollte China es in Deutschland dürfen?
Es stimmt: China ist nicht Russland. China
ist ein größeres Kaliber, ein noch dickerer Bro-
cken. Die Abhängigkeiten Deutschlands von der
Volksrepublik reichen von seltenen Erden über
die Marktanteile der Autokonzerne bis hin zu
Diabetes-Medikamenten. Diese Abhängigkeiten
müssen verringert werden, es muss eine Diversi-
fizierung geben. Dass die Entwicklung weiterhin
genau in die andere Richtung geht, zeugt von
strategischer Naivität. Berlins politische China-
Kompetenz scheitert bereits daran, dass weder
die Bundesregierung noch die Industrieverbände
überhaupt wissen, in wie vielen Bereichen die
deutsche Wirtschaft wie stark verwundbar ist.
Der zweite Punkt einer künftigen China-Stra-
tegie muss die Abschreckung sein. Xi hat auf dem
Parteitag eine gewaltsame »Wiedervereinigung« mit
Taiwan erneut nicht ausgeschlossen. Deshalb müs-
sen Deutschland und der erweiterte Westen
inklusive Japan und Südkorea Peking glaubhaft
vermitteln, dass man im Fall einer Invasion der
Insel bereit ist, den schmerzhaften Preis drakoni-
scher Sanktionen gegen China zu zahlen.
Das dritte Gebot für Deutschland und den
Westen ist diplomatische Deeskalation. In Peking
hat sich der Eindruck verfestigt, dass es dem Westen
nicht mehr um Fair Play in Handelsfragen geht,
sondern darum, Chinas Aufstieg grundsätzlich zu
sabotieren. In Washington würden Republikaner
und auch einige Demokraten das nicht einmal
bestreiten. Dabei sollten insbesondere die USA sich
darüber klar werden, ob die Verteidigung der
Demokratie das Hauptziel im Konflikt mit China
ist oder ob schon der Aufstieg einer Konkurrenz-
macht an sich eine Kränkung darstellt. Es gibt kein
Naturgesetz, wonach Amerika bis ans Ende der
Tage an der Weltspitze stehen muss.
Um eine weitere, womöglich militärische
Eskalation im Streit der Großmächte zu verhin-
dern, sollten Olaf Scholz und die anderen west-
lichen Regierungschefinnen und -chefs Peking
zu verstehen geben, dass gesunder Wettbewerb
willkommen ist, dass er aber im 21. Jahrhundert
nicht nach dem Gesetz des Dschungels ausgetra-
gen werden darf. Die Botschaft des Westens
muss sein, dass klare Regeln China auf Dauer
zum eigenen Vorteil gereichen. Gepaart sein
sollten diese Regeln mit unmissverständlichem,
wenngleich nicht aggressivem Druck. Das böte
Xi Jinping und seinen Hypernationalisten
Anreize zur Mäßigung. Und Olaf Scholz die
Chance zu einer zweiten Zeitenwende.
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N o 44 15:25
27. OKTOBER 2022 20.10.22
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»Ich bin sanfter
als andere«
Der Liedermacher
Wolf Biermann legt
sich trotzdem
mit Pazifisten an
Interview in Entdecken, S. 65
»Ich schäme
mich, bei den
Revolutions-
garden zu sein«
Menschen im Iran
erzählen vom Kampf
um die Freiheit
Dossier, S. 15
Angeschmiert
KLIMA-AKTIVISMUS
Wie Hautcremes
zur neuen
Ziemlich Obsession wurden
Magazin, S. 16
gute Bilder
Was Aktionen gegen Gemälde
nicht können VON FLORIAN ILLIES
PROMINENT IGNORIERT
Viel eindeutiger als die Aktionen der Klima-
schützer, die erst van Gogh mit Tomatensauce
und nun in Potsdam ein Monet-Gemälde mit
Kartoffelbrei bewarfen, sind die Reaktionen
darauf. Mit dem Werfen von Lebensmitteln auf
ein impressionistisches Gemälde den Hunger der
Welt anzuprangern, der wegen der Klimakrise
entsteht, und zugleich die Malerei mit Ölfarben
als Raubbau an den fossilen Ressourcen zu ver-
dammen – das ist die verwegene Argumentations-
kette der »Letzten Generation«. Sehr viel klarer
war da die Empörung, die sofort aufbrandete: Die
Heizschlangen
Bild-Zeitung wütete mit hochrotem Kopf und Die Kette Aldi Nord verkürzt jetzt
verbreitete Ratschläge zur Selbstjustiz, während vielerorts die Öffnungszeiten ihrer
Politiker aller Parteien einhellig die »Barbarei« Märkte, um Strom zu sparen.
verurteilten und sich zu einer »Affektgemein- Praktischer Nebeneffekt: Die vor
schaft« zusammenschlossen, wie Kerstin Schank- den Kassen sich bildenden Schlan-
weiler das in ihrem Buch Bild-Proteste nennt. gen heizen die Atmosphäre in den
Kulturtheoretisch ist interessant, was da Läden zusätzlich auf. Das spart
gerade geschieht: ein neuer Kampf um die Macht auch Gas. Diese Kolumne möchte
der Bilder. Es ist tröstlich zu sehen, dass die dem guten Beispiel folgen und
Unversehrtheit der europäischen Malerei sofort durch die Verwendung einer so
lautstärker verteidigt wurde als die der deutschen billigen Pointe ihren Teil zur Ein-
Autobahnen, an die sich die Klimaaktivisten sparung beitragen. USTO
zuletzt weitgehend echolos festklebten.
Die »Letzte Generation« nutzt die Kraft der Kleine Fotos (v. o.): Wilfried Zeckai/ullstein;
Zoonar/dpa; Jürgen Ritter/imago
wichtigsten Bilder der Moderne, um ihre eige-
nen Bilder darüberzulegen – als Videoclip zu-
Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG,
geschnitten für die digitalen Endlosschleifen. 20079 Hamburg
Während in Potsdam der Kartoffelbrei noch Telefon 040 / 32 80 - 0; E-Mail:
von der Scheibe vor dem Monet gekratzt DieZeit@zeit.de, Leserbriefe@zeit.de
wurde, flog er im Netz bereits einmal um die ZEIT ONLINE GmbH: www.zeit.de;
ganze Welt. Auch textlich wird im beschleunig- ZEIT-Stellenmarkt: www.jobs.zeit.de
ten Takt der sozialen Medien agiert. So betonte
die Potsdamer Aktivistin, dass sie Kartoffelbrei ABONNENTENSERVICE:
selbstverständlich nur auf Bilder werfe, die mit Tel. 040 / 42 23 70 70,
Fax 040 / 42 23 70 90,
einer Glasscheibe geschützt sind. »Wir wollen E-Mail: abo@zeit.de
nur spielen«, das ist die treuherzige Botschaft
dieser Krisenkommunikation – und zwar mit PREISE IM AUSLAND:
eurer Angst: »Wie kann es sein, dass so viele DK 69,00/FIN 9,10/E 7,80/
CAN 7,90/F 7,80/NL 7,20/
mehr Angst davor haben, dass eines der Abbil- A 6,50/CH 8.50/I 7,80/GR 7,80/
der der Wirklichkeit Schaden nimmt, als vor B 7,20/P 7,80/L 7,20/H 3690,00
der Zerstörung unserer Welt selbst?« Die Ant-
o
N 44
wort darauf lautet: Nein, natürlich haben die
meisten Menschen Angst vor der Zerstörung
unseres Planeten. Aber es ist der alte »Irrtum
des Aktivismus«, den schon Walter Benjamin
77. J A H RG A N G C 7451 C
erkannte, dass er glaubt, mit wirrem Wahn die
Menschheit zur Vernunft bringen zu können. 44
Siehe auch Politik, S. 3 über den Suppen-
Anschlag auf Van Goghs »Sonnenblumen« 4 190745 106207
2 POLITIK
Foto [M]: Urban Zintel (Montage: DZ)
W
ann weiß man, ob einer
ein guter Kanzler ist?
Und wann kann man
feststellen, dass eine
Kanzlerschaft zu misslin-
gen droht? Darf man das
schon weniger als ein
Jahr nach Amtsantritt?
Es ist einiges zusammengekommen: Da ist die
politische Schlitterfahrt von der Gasumlage zur
Gaspreisbremse. Ein Doppelwumms, der bei den
europäischen Partnerländern als schiere Rück-
sichtslosigkeit ankam und von dem in Deutsch-
land selbst noch immer nicht klar ist, wie genau er
funktionieren soll. Ein Treffen mit der französi-
schen Regierung, das europäische Einigkeit
demonstrieren sollte und wegen Unstimmigkeiten
abgesagt wurde. Ein wochenlanger Streit um die
Atomkraft, der mit einem Machtwort – ja, was
eigentlich? Endete kann man kaum sagen, denn
der Streit geht weiter. Da sind ausländische Regie-
rungszentralen, aus denen das Wort »autistisch«
purzelt im Zusammenhang mit dem Kanzleramt.
Und schließlich der Streit um eine Beteiligung
des chinesischen Staatsunternehmens Cosco an ei-
nem Containerterminal des Hamburger Hafens.
Olaf Scholz ist dafür, sechs Ministerien waren
dagegen. Am Ende wurde ein Agreement gefunden,
das ist, was die selbst ernannte Fortschrittskoalition
eigentlich nie wollte: ein kleinster gemeinsamer
Nenner. Eine hochumstrittene Entscheidung, die
sich als Fehler von morgen erweisen könnte.
Die Einigung, mit der der Streit angeblich
endete, wurde nicht vereinbart, sondern durchge-
boxt – von Scholz. Die ursprünglich geplante
35-Prozent-Beteiligung von Cosco an einem der
vier Terminals des Hamburger Hafens hat der
Kanzler so runtergedimmt, dass er seine wider-
spenstigen Minister unter Druck setzen konnte:
Ein 24,9-Prozent-Einstieg von Cosco am Terminal
Tollerort, so ließ Scholz intern argumentieren,
gelte als reine Finanzbeteiligung – die Chinesen
stellten dann keinen Geschäftsführer und erhielten
auch keinen Einblick in Kostenstruktur und
Warenverkehr. Dass die Chinesen Zugang zu sen-
sibler Infrastruktur bekämen, war eines der Argu-
mente der Gegner.
Scholz hat das Problem mit einem Machtwort
light gelöst: Hätten die Ministerien nicht »zuge-
stimmt«, wollte das Kanzleramt das Thema nicht
auf die Tagesordnung des Kabinetts setzen. Dann
wäre der ausgehandelte Vertrag am 1. November
rechtskräftig geworden – und die Chinesen hätten
35 Prozent bekommen. In den betroffenen Res-
sorts fühlt man sich dezent erpresst.
Das Bild bekommt Risse: Bundeskanzler Olaf Scholz sieht sich trotzdem als Macher
Wird das noch?
Ein knappes Jahr nach Amtsantritt des Kanzlers mehrt sich die Kritik an Olaf Scholz
VON PETER DAUSEND, TINA HILDEBRANDT UND MARC WIDMANN
Nach seiner Atom-Ansage hat Scholz sich da-
mit binnen kürzester Zeit zum zweiten Mal gegen
Teile seines Kabinetts durchgesetzt. Doch diesmal
wirkt er nicht als Befrieder von zwei Streithähnen,
die sich verrannt haben, sondern als einer, der
ohne Rücksicht auf Bedenken von innen und
außen durchzieht. Denn anders als beim Thema
Atom sind sowohl Grüne als auch FDP gegen die
chinesische Beteiligung. Vor allem im Auswärtigen
Amt gab es Bedenken. Die »neue China-Strate-
gie«, die sich die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag
vorgenommen hatte, sollte eigentlich ein härterer
Kurs sein. Den hat der Kanzler nun konterkariert
und das ohnehin gestiegene Reizklima noch mal
befeuert – im Kabinett wie in Europa. Die EU-
Kommission soll schon vor Wochen vor dem Deal
gewarnt haben, auch Marcel Fratzscher vom Deut-
schen Institut für Wirtschaftsforschung hält das
Geschäft für einen schweren Fehler.
»Schweinchen Schlau« lautet sein Spitzname
bei denen, die ihn mögen
Aber das hat Olaf Scholz sicher schon vorher ge-
wusst. Der Kanzler hält sich einiges darauf zugute,
immer schon ein bisschen früher als andere gewusst
zu haben, wie die Dinge laufen. »Schweinchen
Schlau« lautet sein Spitzname bei denen, die ihn
mögen. Andere lässt er großzügig an seiner Allwis-
senheit teilhaben, gern auch im Nachhinein. So ver-
kündete er in einem Interview mit der Welt, was ihm
alles »schon früh klar war«, also weit vor dem 24. Feb-
ruar, dem Tag des Einmarsches russischer Truppen
in die Ukraine: Dass Wladimir Putin Energie als
Waffe einsetzen werde. Dass sich Deutschland nicht
vom russischen Gas abhängig machen dürfe. Dass
man die Gasspeicher auffüllen, andere Bezugsquellen
erschließen und LNG-Terminals an der norddeut-
schen Küste rasch errichten müsse. Als eine seiner
ersten Amtshandlungen, wird Scholz nicht müde zu
erzählen, habe er das Bundeswirtschaftsministerium
gefragt: Was machen wir eigentlich, wenn Putin uns
das Gas abdreht?
Außerhalb des Kanzleramts hält man das für einen
Mythos. Wenn Scholz »schon früh klar war«, dass
Putin die Energie als Waffe einsetzen werde, warum
hat er dann den Bau von Nord Stream 2 gegen jede
Kritik, vor allem die aus Osteuropa, verteidigt?
Warum meinte er noch im Dezember 2021, bei der
Pipeline handele es sich um »ein rein privatwirt-
schaftliches Vorhaben«, über dessen Inbetriebnahme
»ganz unpolitisch eine Behörde« entscheiden werde?
Warum schließlich hat er als Vizekanzler der Vor-
gängerregierung noch im Oktober vergangenen
Jahres einen Bericht zur Versorgungssicherheit durch-
gewinkt, der zu dem Ergebnis kam, alles sei in bester
Ordnung – eine Abhängigkeit von Russland drohe
selbst dann nicht, wenn Nord Stream 2 ans Netz gehe?
Auch bei seiner Zeugenvernehmung im Ham-
burger Untersuchungsausschuss rund um den
Cum-Ex-Skandal und Steuerbetrug bei der War-
burg-Bank offenbarte der Wissende Lücken. Früh
wusste er vor allem, dass er nichts wusste. Nicht,
wann er den Chef der Bank getroffen und was er
mit ihm besprochen hatte. Nur dass er keine
Anweisung gab, auf die Erstattung der Cum-Ex-
Beute in Höhe von 47 Millionen Euro zu verzich-
ten – das wusste er.
Dass Putin in der Ukraine einmarschiert? Min-
destens habe er damit gerechnet, sagt Scholz heute.
Wer damals bei seiner Reise zu Wladimir Putin
dabei war, hatte einen anderen Eindruck. Sicher
könne man natürlich nicht sein, aber womöglich
habe der Kanzler sogar selbst etwas bei Putin
erreicht, hieß es damals. Scholz wirkte stolz darauf,
es auf Merkelhöhe gebracht zu haben: jemand,
den der russische Präsident ernst nimmt.
In Scholz’ Sicht auf die politische Welt kom-
men im Kern zwei Typen vor: Die einen können
reden, die anderen handeln. Scholz, der eher nicht
toll redet, betrachtet sich folgerichtig als Macher.
Von außen sieht die Sache zuweilen anders aus.
Zweimal hat Olaf Scholz sich bei einem Thema früh-
zeitig festgelegt und eine Sache eindeutig zu seiner
gemacht: einmal, als er sich zu Beginn der Regie-
rungszeit für eine Impfpflicht aussprach, einmal, als
er, vermeintlich souverän eine Schneise durch das
Gezänk von Grünen und FDP schlagend, eine Gas-
preisumlage ankündigte. Beides ist nie gekommen,
beide Male erwies sich die Sache als zu wenig durch-
dacht, um machbar zu sein. Vielleicht hat Scholz
daraus den Schluss gezogen, dass es besser ist, sich
nicht zu früh festzulegen. Wie denkt der Kanzler
selbst über die Atomkraft als Mittel gegen Putin und
Klimawandel? Man weiß es nicht.
Der Kanzler sei einer, der alles selbst wissen
wolle, alles durchdringen, um erst am Ende auf
Basis von Fakten zu entscheiden, sagen seine Mit-
arbeiter. Er korrigiert lieber andere als sich selbst.
Auch über Merkel hieß es, sie warte lange ab,
um zu sehen, woher der Wind weht, um sich dann
an die Spitze des Mainstreams zu setzen. Bei Scholz
hat sich das Prinzip zur Karikatur verdichtet: Wer
immer alles gewusst haben will, muss in Zeiten, in
denen sich ständig alles ändert, zu lange warten,
bis er überhaupt weiß, was er schon gewusst hat.
Aus der Merkelschen Mehrfachkrise ist eine
Dauerkrise geworden. Dafür kann Scholz wenig.
Die Frage ist, ob er genug tut, um auf Augenhöhe
zu kommen. Für die vielen Irritationen, das mediale
Dauergenörgel, das ihn begleitet, hat Scholz sich
die für ihn bequeme, ja schmeichelhafte Erklärung
zurechtgelegt, die Medien achteten nun mal sehr
auf Haltungsnoten, er aber sei ein Mann der Sub-
stanz. Doch das Problem sind womöglich nicht die
falschen Worte. Man könne durchaus bei einem
Thema mal lange abwarten, sagt einer, der unter
Merkel im Kanzleramt gearbeitet hat, aber nicht
bei so vielen Themen gleichzeitig. Dann werde am
Ende nicht mehr entschieden.
Management by Machtwort – so wollte die
Ampel eigentlich nie sein
Sein zweites, leises Machtwort im Fall Cosco zeigt,
dass der Kanzler womöglich selbst zu diesem
Schluss gekommen ist. Doch Management by
Machtwort bringt zwar Klarheit in der Sache, es
bringt Scholz aber auch auf Konfrontationskurs zu
einem Regierungsbündnis, das es eigentlich anders
machen wollte. Und es könnte seine erste richtige
Fehlentscheidung als Kanzler sein.
Mit den Widersprüchen der Zeitenwende hätte
jede Politik, auch jede andere Regierung zu kämp-
fen. Der Klimawandel zwingt zum Umbau der
Wirtschaft zur CO₂-Neutralität – und der Krieg in
der Ukraine zu einer Renaissance der Kohlekraft-
werke. Pekings zunehmende Repression im Inne-
ren und Aggression nach außen erfordert Abgren-
zung – und die Abhängigkeit der deutschen
Exportwirtschaft vom chinesischen Markt Nähe.
Zu alledem soll China Europa auch noch helfen,
Putin in seine Schranken zu verweisen. Auch
darum wird es gehen, wenn Scholz Anfang
November nach China reist.
Von nie da gewesener Geschlossenheit und Soli-
darität redet man gerne in Europa – doch sobald es
um die Wirtschaft geht, handelt jeder nach seinen
nationalen Interessen. Deutschland verteidigt seinen
200-Milliarden-Doppelwumms damit, dass man
wegen der starken Gasabhängigkeit schlechter dran
sei als die anderen. Wenn Deutschland seine Industrie
verliere, habe auch der Rest Europas nichts davon.
Doch die anderen sagen: nicht unser Problem.
Ausgerechnet in diese labile Gemengelage
hinein möchte die Ampel eine stärkere Führungs-
rolle übernehmen, gar europäische »Führungs-
macht« sein, wie Verteidigungsministerin
Christine Lambrecht und SPD-Chef Lars Kling-
beil, zwei Vertraute des Kanzlers, verkündet haben.
Doch Führungskraft und Pflegefall zugleich – wie
soll das gehen?
Im Streit um eine europäische Begrenzung des
Gaspreises stand Deutschland ziemlich alleine da.
Dabei ist Scholz’ Argument gar nicht falsch, so ein
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
Deckel könne dazu führen, dass es am Ende weni-
ger und damit noch teureres statt billigeres Gas in
Europa gibt, weil die Anbieter lieber andere Häfen
anfahren. Überzeugen konnte er damit nicht. Und
so falsch die Cosco-Beteiligung am Hamburger
Hafen sein mag: Andere europäische Länder haben
längst deutlich größere Beteiligungen zugelassen.
Doch Politik, Nord Stream lässt grüßen, ist immer
auch eine Frage des richtigen Zeitpunkts. Und was
früher richtig schien, muss es heute nicht sein. So
wirkt Scholz inzwischen wie einer, dem selbst
dann keiner folgen mag, wenn er gute Argumente
hat. Im Gegenteil: In Teilen Europas scheint ein
Vorschlag aus Deutschland bereits Beleg seiner
Eigennützigkeit zu sein.
Fragt man im Kanzleramt nach, wo sich die
Führung des Führungskanzlers Scholz denn zeige,
bekommt man zu hören, dass er als Erster der
Ukraine eine Mitgliedschaft in der EU zugesichert
habe. Scholz habe den Beitrittsprozess der West-
balkan-Länder aus seiner Erstarrung gelöst und
sowohl beim G7-Gipfel in Elmau als auch bei der
UN-Vollversammlung in New York eine Art Zei-
tenwende im Umgang Deutschlands mit dem
globalen Süden eingeleitet. Doch dort, wo Füh-
rung seit gut acht Monaten am dringendsten ge-
braucht wird, in der militärischen Unterstützung
der Ukraine, hat die Regierung Scholz sie vermis-
sen lassen. Schweres Gerät wurde erst geliefert, als
andere längst geliefert hatten. Zu wenig, zu spät,
lautet nahezu durchgehend das Urteil der Nato-
Partner, insbesondere das der osteuropäischen.
Doch Scholz sieht sich im Bund mit der Bevöl-
kerung. Seine Linie in der Ukraine-Politik mag
umstritten sein, aber sie ist erkennbar: Scholz
agiert vorsichtig, zurückhaltend. Diese Zurück-
haltung kommt in der deutschen Bevölkerung gut
an, sie ist der Hauptgrund dafür, dass seine per-
sönlichen Umfragewerte teilweise gestiegen sind.
Doch die Ressource, auf die jeder Kanzler am
meisten angewiesen ist, schwindet auch im Inne-
ren: das Vertrauen. Weniger als die Hälfte der
Deutschen denkt ausweislich jüngster Umfragen,
dass die Demokratie in Deutschland funktioniert.
Von der Regierung Scholz vermuten das laut
ARD-Deutschlandtrend noch weniger.
Machtworte, denen die innere Macht fehlt, Kon-
flikte zu beenden; ein Unabhängigkeitskurs gegen-
über autoritären Staaten, dem der Chef selbst nicht
folgt; ein Macher, der sich auf das festlegt, was nicht
kommt – und dazu ein Land, das das Vertrauen in
die Politik verliert. Nach einem knappen Jahr Scholz
fühlt es sich noch nicht nach Gelingen an.
Mitarbeit: Robert Pausch
DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022 POLITIK 3

Tropf, tropf
Wie geht es Vincent van Goghs »Sonnenblumen«, nachdem sie zwei Dosen Tomatensuppe abbekommen
haben – und wie den Klimaaktivistinnen, die nun Nachahmer finden? VON ELISABETH RAETHER

N
ur ein paar Stunden dauerte es, Tatsächlich, warum bekommen die Gemälde, die Leuten, das wäre viel zu aufwendig für ein Mu- nach: »Es ist natürlich eine Frage, wie man
bis der Pinsel die Farbe so über neben den Sonnenblumen hängen, so viel weniger Be- seum, das jährlich mehrere Millionen besuchen. Gewalt definiert. Ist es immer noch Gewalt,
der Leinwand verteilt hatte, achtung? Ein Bild von Edgar Degas, La Coiffure, ein Der Sicherheitsmann in Raum 43 ist an diesem wenn es mit der Absicht passiert, andere Men-
dass eine Vase mit Sonnen- großes, auffälliges Ölgemälde, auf dem eine Frau einer Montag ein älterer Herr, der sich auf einen Rol- schen zu retten?«
blumen zu sehen war. Das anderen die Haare kämmt. Ohne Glasscheibe. Oder, lator stützt. Die Sonnenblumen sind zwar be- Sie müssen laut sprechen, da sich gleich
Chromgelb, bestehend aus noch größer, Une Baignade, Asnières von Georges rühmt, aber niemand bewacht sie – das perfekte neben ihnen äthiopische Demonstranten ver-
giftigem Bleichromat, die Seurat, Badende am Fluss, riesig geradezu und ohne Opfer, ein Weltstar ohne Personenschutz. sammelt haben. Die sind nur zu viert, aber sie
Baumwolle der Leinwand, die Grundierung aus jeden Schutz. Aber es sind die Sonnenblumen, die Kein einziges Gemälde in der National Gallery haben einen Lautsprecher dabei, aus dem eine
Bleiweiß und Kalk waren von jetzt an mehr als man im Museumsshop gedruckt sieht auf Stoffser- ist versichert. Die Sammlungen sind so groß und ohrenbetäubende Computerstimme erklingt.
nur Stoffliches. Sie waren ein Gemälde, Sonnen- vietten und Popcornpackungen, Geschmack Salted wertvoll, dass niemand die Policen, etwa ein Prozent Sie sagt immer das Gleiche: Stoppt den Geno-
blumen (1888), eine Geschichte, auf 92 mal 73 Caramel. des Schätzwertes, bezahlen könnte. Wären die Son- zid. Die Vereinbarung ist, dass die Äthiopier
Zentimetern immer neu erzählt, demjenigen, Die Sonnenblumen haben Phoebe Plummer und nenblumen zerstört worden, hätte der Staat gehaftet. den Lautsprecher zwischendurch ausstellen,
der das Bild ansieht. Anna Holland etwas von ihrem Ruhm abgegeben. Das Staatsvermögen, zu dem das Bild gerechnet wird, damit die Just-Stop-Oil-Leute auch etwas
Für Vincent van Gogh selbst drückten die Beide haben sich Just Stop Oil erst im August ange- wäre um 74 Millionen Pfund geschrumpft – eine sagen können. Einer hält dann sein Handy
Sonnenblumen Vorfreude aus. Sein Freund Paul schlossen, doch jeder kennt sie jetzt in der Gruppe von Notiz in den Büchern, wenn überhaupt, echtes Geld an ein Megafon, leise erklingt der Evergreen
Gauguin würde zu ihm nach Südfrankreich Aktivisten, die sich auch Montagmittag, wie jeden wäre nicht geflossen. Die Bilder der National Gallery der Protestbewegungen, eine Frauenstimme
kommen. Van Gogh wollte das Gästezimmer mit Tag, gegenüber dem eisernen Tor versammeln, das die sind Gemeinschaftsbesitz, sie gehören allen Briten, die singt zur Gitarre: Have you been to jail for
den Sonnenblumen schmücken. Sie brachten Downing Street absperrt. Phoebe, ja, klar. Geschädigten wären also alle Briten gewesen. justice? Warst du schon mal für die Gerech-
aber kein Glück. Es konnte nie ganz geklärt wer- Die Aktivisten, etwa zehn Leute, haben einen Nur ein paar Schritte weiter hängt das Bild Venus tigkeit im Gefängnis?
den, wer das Ohr abschnitt, van Gogh sich selbst Tisch aufgestellt, der Wind weht ihre Flyer weg, auf vor dem Spiegel, gemalt im 17. Jahrhundert von dem Als Vincent van Gogh die Sonnenblu-
oder doch Gauguin, aber van Gogh lag halb ver- denen eine Dose Heinz-Tomatensuppe zu sehen ist. Spanier Diego Vélazquez. Auch wenn man sich vor- men malte, leuchteten sie noch viel mehr
blutet im Krankenhaus, Gauguin reiste ab. Die »Millionen Menschen leiden«, steht da, »Milliarden beugt und sich den rosafarbenen Hintern und Rücken als heute. Das Gelb wurde im Laufe der
beiden sahen sich nie wieder. werden sterben.« der liegenden Venus genau ansieht, ist kein Schaden zu Zeit bräunlicher. Auf anderen seiner Bil-
Die Sonnenblumen sind immer noch da. Man Wusste jeder in der Gruppe, dass das Van-Gogh- erkennen. Im Jahr 1914 hatte die Suffragette Mary der wurde aus Rosa Weiß und aus Lila
betritt am Montagvormittag dieser Woche den Gemälde angegriffen werden sollte? Richardson das Glas zerschlagen und mit einem Flei- Hellblau. Wissenschaftler versuchen
Raum 43 der National Gallery am Trafalgar »Nein. Wir wissen nicht immer, was die anderen scherbeil große Risse in die Leinwand gehackt. Sie habe herauszufinden, wie die Farben sich
Square in London. Da hängen sie. Unter dem machen.« es gehasst, sagte sie, wie die Männer den ganzen Tag die erhalten lassen. Besonders das Gelb,
Gemälde, an der grau gestrichenen Wand, sind Hat Sie die Aktion erschreckt? Nackte anglotzten. Die Londoner Museen überlegten da- das van Gogh viel benutzte, macht
zwei helle Flecke schwach zu erkennen. Die hat »Am meisten hat mich gestört«, sagt einer der mals, wie sie ihre Sammlungen schützen konnten. Sollte man ihnen Sorgen. Winzige Proben
der Kleber hinterlassen, mit dem die Aktivistin- Aktivisten, »dass die Suppe nicht vegan ist.« Die anweisen, dass Muffs und Regenschirme am Eingang abge- aus Gemälden wurden ana-
nen der Klimaschutzgruppe Just Stop Oil vorver- Dosensuppe enthält Milchpulver und etwas Sahne. geben würden? Sollte man Besucherinnen eine Erklärung unter- lysiert, und es stellte sich
gangene Woche ihre jeweils linke Hand an die Er lacht. »Um das Bild muss man sich keine Sorgen schreiben lassen, dass sie keinen Schaden anrichten würden? heraus, dass sich Zahl
Wand hefteten. Von der Tomatensuppe, die sie machen. Darauf wird aufgepasst. Aber nicht auf den Sollte man die Museen vorübergehend schließen? der Chromatome re-
auf das Gemälde warfen, ist nichts mehr zu sehen. Planeten. Wenn wir keinen Planeten haben, gibt’s Für die Aktivisten von Just Stop Oil sind die Suf- duziert hatte. Es
Fünfeinhalb Stunden nach dem Vorfall hing das auch van Gogh nicht mehr.« fragetten Vorbilder, zumindest in deren Frühphase, könnte gut sein,
Bild wieder an der Wand. Die Sonnenblumen Und wie wäre ein Planet ohne van Gogh? »Okay, als sie Praktiken des gewaltfreien Widerstands ent- dass die Zeit der
strahlen wie immer, gelb und braun, eine blickt auch nicht gut. Aber es ist ja nichts kaputtgegangen.« wickelten. Sie erreichten bekanntlich ihr Ziel, das Sonnenblumen
nach unten, andere recken sich in der Vase, eine Es ist der Tag, an dem die Torys einige Meter weiter Wahlrecht für Frauen wurde eingeführt. Aller- endlich ist.
hat schon ein paar Blütenblätter verloren. Es war Rishi Sunak zum neuen Premierminister machen. Der dings zerstörten die Suffragetten nicht nur
damals eine ungewöhnliche Entscheidung von Aktivist sagt: »Die Regierung ist eine Drag-Show. Ich Gemälde, sie radikalisierten sich, als sie ir-
Vincent van Gogh, eine bäuerliche, eher grobe darf das sagen, weil ich selbst Drag mache, manchmal. gendwann feststellten, dass sie nicht beka-
Blume so aufwendig zu porträtieren. Vor dem Die Demokratie in Großbritannien ist keine echte De- men, was sie wollten. Eine Suffragette warf
Bild setzt sich eine Traube von Besuchern immer mokratie, sie ist lächerlich, einfach nur lächerlich! Die sich vor das Rennpferd des Königs und
wieder neu zusammen. Kaum einer widersteht Politiker sind alle in der Hand der Ölkonzerne.« starb. Die Frauen steckten im ganzen
dem Drang, es zu fotografieren. Wenn man sich bei Just Stop Oil engagiert, sich zum Land Kirchen in Brand und legten
Warum haben die beiden Aktivistinnen die Beispiel an die Abbey Road klebt, bekommt man vorher Bomben in Bahnhöfen, der Innen-
Sonnenblumen als ihr Opfer ausgewählt? Phoebe ein juristisches Training, jemand mit Ahnung vom Straf- minister sollte entführt werden. Die
Plummer, 21, und Anna Holland, 20, sagen via recht erklärt den Aktivisten, was auf sie zukommt, wenn Suffragetten gelten heute als Er-
Videocall: »Der wichtigste Grund war, dass das Bild sie festgenommen werden. Man übt außerdem Techniken finderinnen der Briefbombe.
so ikonisch ist. Jeder kennt es.« des gewaltfreien Protests, also wie man sich von der Polizei Männer hielten jeden für unbe-
Wann kamen Sie auf die Idee, das Gemälde mit wegtragen lässt, ohne sich zu wehren. deutend, der sie nicht angrei-
Suppe zu bewerfen? Wichtig sei, die Fragen der Polizei nicht zu beant- fe, glaubten sie, eine Bewe-
»Am Tag vorher. Wir haben noch nie Suppe auf worten, die sich zwar immer nett verhalte, aber Beweise gung müsse also hinrei-
etwas geworfen, also haben wir geübt. In der Dusche. Am sammele, die dann vor Gericht gegen die Aktivisten ver- chend gewalttätig sein,
besten geht es, indem man die Dose über der Schulter hält, wendet würden. Sie stellen Fragen, wer hat die Aktion um Respekt zu erlangen.
zögern darf man nicht, kräftige Armbewegung.« Wie ein geplant, wie lange blockiert ihr hier schon die Straße? Am »Das wird niemals
Kugelstoßer. Platsch. besten sagt man dann: Kein Kommentar. Oder: Ich passieren«, sagt einer
Die Tomatensuppe lief auf dem Glas he- hoffe, Sie hatten einen schönen Tag. der Aktivisten, die
runter, tropfte über den Rahmen. Es sah Just Stop Oil hat ein Presseteam, das binnen Minuten vor der Downing
wie eine böse Verletzung aus. Die Son- gemailte Interviewanfragen und überhaupt Fragen beant- Street stehen. Ihre
nenblumen waren von dem großen wortet. Die Gruppe hat einen Redakteur des Guardian Analyse: Der
hellroten Fleck fast komplett bedeckt. »embedded«, das heißt, er bekommt eine Nachricht, bevor Planet steht in
Das Sicherheitspersonal forder- die Aktionen stattfinden. So filmte er die Suppenattacke Flammen, aber
te sofort alle Besucher auf, den aus der ersten Reihe. Er stellte das Video auf seinen Twit- »Gewalt führt
Raum zu verlassen. Plötzlich kehr- ter-Account. 50 Millionen Views bislang. Er filmte auch, immer zu
te Stille ein. So erzählen es die wie am Montag bei Madame Tussauds ein Schokokuchen mehr Ge-
beiden Aktivistinnen. Nach und ins Gesicht der Wachsfigur von König Charles flog. Das walt«.
nach betraten die Kuratoren der brachte nur eine Million Views. An die Sonnenblumen Ein
National Gallery den Raum. Sie kommt erst mal nichts heran. anderer
nahmen schnell das Gemälde von Die Gruppe gibt es seit April 2022, sie finanziert sich denkt
der Wand, legten es flach auf den aus Spenden und hat 1,1 Millionen Dollar vom US-ame-
Boden, damit die Flüssigkeit sich rikanischen Climate Emergency Fund erhalten. Der fördert
nicht weiter verteilen konnte, eine Protestgruppen weltweit, in Deutschland »Die letzte Genera-
Art Erste-Hilfe-Maßnahme, ähn- tion«, deren Mitglieder es Phoebe Plummer und Anna Holland
lich der stabilen Seitenlage. Die gleichtaten und in einem Potsdamer Museum ein Gemälde von
Kuratoren beachteten die Klima- Claude Monet mit Kartoffelbrei bewarfen. Der Climate Emer-
aktivistinnen nicht, die immer gency Fund wurde von einer Tochter Robert F. Kennedys sowie
noch an der Wand klebten, sie von Aileen Getty gegründet, Enkelin des Öl-Tycoons J. Paul
sprachen leise miteinander, nah- Getty, eines der reichsten Männer in der Geschichte der USA.
men dann Küchentücher und Getty besaß eine riesige Kunstsammlung, die heute im Getty
wischten vorsichtig die Suppe von Museum in Los Angeles ausgestellt wird. Darunter auch ein Bild
Glas und Rahmen, ganz so, wie man von van Gogh. Ebenfalls ein Blumenbild: Iris (Schwertlilien). Van
Abb.: »Sonnenblumen«, Öl auf Leinwand, 1888, Vincent van Gogh/© Foto [M]: ullstein

es selbst auch machen würde, sollte Gogh malte es in dem Jahr vor seinem Suizid, im Garten eines
einem ein Teller Tomatensuppe ehemaligen Klosters, das jetzt eine Nervenheilanstalt war. Hier war
umkippen. er nach dem Vorfall mit dem Ohr untergebracht. Die Blumen
Auf den Sonnenblumen kann das strahlen lila, sie breiten sich auf der ganzen Leinwand aus, wachsen
Schutzglas nicht ganz dicht aufliegen, fast aus dem Bild heraus. Das pralle Leben, im Garten der Anstalt.
weil die Farbschicht dick und uneben Auch die Sonnenblumen sind so gemalt: üppig, hell, mit ver-
ist. Aber es hielt stand, die Flüssigkeit schwenderisch viel Farbe, die van Gogh manchmal so dick auf die
konnte nicht einsickern. Leinwand drückte, dass Wülste entstanden, Wölbungen auf der
Wussten Sie, dass das Gemälde Leinwand, über die man mit den Fingern streichen möchte. Man
hinter Glas geschützt ist? kann dem Bild ansehen, dass die Bewegungen des Pinsels schnell
»Ja, aber auch wenn das Gemälde und kräftig waren. Das Format wirkt eigentlich zu groß für die
nicht von Glas beschützt gewesen wäre, Einfachheit des Gegenstands, ein Sommerblumenstrauß in
hätten wir unsere Aktion für angemes- der Hitze. Es wirkt, als wollte dieses Bild etwas Dringendes
sen gehalten. Wo ist der Schock, wenn sagen. Aber was?
echte Sonnenblumen zerstört werden?« Zwei schwarz gekleidete Männer empfangen am
Die Sonnenblumen wurden jetzt, Eingang der National Gallery die Besucher und
134 Jahre nachdem sie in Arles ent- bitten, dass man die Taschen einmal öffnen möge,
standen sind, wieder einfach zu Mate- sie gucken flüchtig, ja etwas verlegen hinein,
rial. Öl, Kalk, Bleichromat. Lebloses, lächeln und sagen thank you. Sogar Reiseta-
Altes, Dinge. Bewundert aus einem schen kann man einfach so mit in die
Irrtum heraus. So sehen die Aktivis- Ausstellungsräume nehmen. Gar-
tinnen es. Vielleicht so wie Cele- deroben einzurichten, mit
britys bewundert werden, von Fächern, Haken,
denen niemand mehr weiß,
warum sie überhaupt be-
In den Jahren 1888 und 1889 malte van Gogh
rühmt wurden.
seine »Sonnenblumen«, eine Serie von sieben Gemälden
!www.zeit.de/vorgelesen
4 POLITIK
W
W
o soll man in dieser verwir-
renden True-Crime-Serie aus
Österreich nur beginnen?
Beim soeben wiederge-
wählten Bundespräsidenten
Alexander Van der Bellen
etwa, der vergangene Woche
bemerkte, dass das »alles doch nicht wahr sein darf«,
dass sich die Menschen »mit Schaudern von der Politik
abwenden« und ein »massiver Schaden an der Demo-
kratie« entstanden sei?
Bei den Beamten der Wiener Anti-Korruptions-
Staatsanwaltschaft, die seit drei Jahren ermitteln – und
zwar auch in den bisher unantastbaren Machtzentralen
des Landes?
Soll man mit Sebastian Kurz beginnen, 36 Jahre alt,
einst als Wunderkind der europäischen Konservativen
bewundert, gerade auch in Deutschland? Jetzt sehen wir
ihn als mutmaßliches Mastermind hinter einem der
größten Korruptionskomplexe der österreichischen
Nachkriegsgeschichte. Ein Fall, der Österreich seit drei
Jahren lähmt.
Oder soll man doch mit Thomas Schmid anfangen,
dem Insider aus Kurz’ Machtzirkel? Jahrelang hatte er
sich als dessen »Galeerensklave« und »Prätorianer« ver-
standen, so hat er es selbst gesagt. Über Schmid liefen
die wichtigsten Absprachen. Weil er ein hochrangiger
Beamter im Finanzministerium war, konnte er für Kurz
auch Geld herbeischaffen. Jetzt hat er Kurz verraten,
um nicht selbst im Gefängnis zu landen. Bei der Insze-
nierung von Kurz, sagt er, mache er nicht mehr mit. Er
habe Verbrechen begangen, sagt Schmid, aber seine
Mutter habe ihn so erzogen, dass er nun dazu stehe. Er,
Schmid, sei schwerster Verbrechen schuldig. Und Kurz
sei es auch. Schmid hofft, Kronzeuge zu werden.
Man könnte in diesen Thriller auch mit einer Fest-
platte einsteigen, die Korruptionsermittler bei einer
Razzia in Thomas Schmids Wohnung sichergestellt ha-
ben. Schmid, der alle Daten auf seinen Handys nach
einer Warnung gelöscht hatte, vergaß dieses »Kasterl«,
wie er es liebevoll nannte. Er nutzte es, um Musik zu
speichern, und dachte nicht mehr daran, dass darauf
auch noch ein Back-up seines iPhones gesichert war.
Kurz, so erzählt es Schmid, wollte diese Festplatte unbe-
dingt in seinen Besitz bringen, »weil sonst nicht nur er,
Kurz, sondern auch die ÖVP und das ganze Land den
Bach hinuntergeht«, wie Kurz gesagt haben soll.
Die Fahnder aber nahmen den Speicher im Jahr
2019 an sich, als in Wien die Ibiza-Affäre explodierte.
Seither wühlen sie sich durch mehr als 300.000 Chats
und Mails – Nachrichten, die Sebastian Kurz das Amt
des Bundeskanzlers gekostet haben. Er war nicht nur
der jüngste Bundeskanzler der Republik, sondern ist
jetzt auch der jüngste Altkanzler. In einer Chatnach-
richt von Schmid an Kurz stand schon prophetisch
geschrieben, was passieren könnte: »Wenn das in die
Hose geht, sind wir hin«.
Es ist einiges in die Hose gegangen in Österreich,
nicht nur in der Ära Kurz. Seit bald 20 Jahren lähmen
Korruptionsaffären das Land. Und genauso lange rin-
gen Staatsanwälte darum, die Regierungskriminalität zu
bekämpfen. Mit beachtlichem Erfolg.
Meist sind es die »Buberln«, die Feschaks, die Kof-
ferträger und Ohrenbläser nahe dran an den Politikern,
die sich die Taschen vollstopften. Jörg Haider, der
Übervater der österreichischen Rechtspopulisten, würde
heute im Knast sitzen, weil er von der Hypo-Bank
geschmiert worden war. Sein Ziehsohn, der schneidige
Karl-Heinz Grasser, wurde kürzlich zu acht Jahren Haft
verurteilt (nicht rechtskräftig), weil er beim Verkauf
von Staatswohnungen mitkassierte. Viele andere Politi-
ker und Berater sitzen gerade lange Haftstrafen ab.
Und nun hat Grassers ehemaliger Pressesprecher
Thomas Schmid, der später zur ÖVP wechselte, reinen
Tisch gemacht. Und damit seinen engsten Vertrauten in
enorme Bedrängnis gebracht: Sebastian Kurz. Heimlich
ging Schmid, ein smarter, aber kaltblütiger Manager-
typ, diesen Sommer zu Wiens Korruptionsermittlern
und legte ein umfassendes Geständnis ab.
In fünfzehn Vernehmungen, die jeweils viele Stun-
den dauerten und insgesamt 454 Protokollseiten füllen,
berichtet Schmid von Untreue, Bestechung, falscher
Zeugenaussage und Amtsmissbrauch im Team Kurz.
Durch einen Griff in die Staatskasse und mittels steuer-
geldfinanzierter Medienkorruption habe der Kanzler
sein Image poliert. Bis zu zehn Jahre Haft drohen Kurz.
Die Sicherungssysteme der Demokratie, an denen
Kurz herumgefummelt hatte – Justiz, freie Medien, Par-
lament –, sie halten offenbar besser, als er erwartete.
Österreich erlebt ein Aufblühen der Justiz, ein großes
Reinemachen. Zu Recht sagt der Bundespräsident, es
stehe das Vertrauen in den liberalen Rechtsstaat auf
dem Spiel.
Minutiös rekonstruieren Forensiker derzeit anhand
von beschlagnahmten Chats, Mails und Kalender-
einträgen die Ära Kurz. Das wienerische Bonmot,
wonach »jedes Schrifterl ein Gifterl« sei, ist vom handy-
süchtigen Kurz-Team offenbar ignoriert worden.
Anstatt zu telefonieren oder sich konspirativ mündlich
abzusprechen, tauschte die Kurz-Truppe Chats und
Kuss-Emojis aus, verhöhnte Gegner und parteiinterne
Widersacher, protegierte ihre Spender.
»Kriegst eh alles, was Du willst«, schrieb Kurz bei-
spielsweise an seinen Freund Schmid, der sich den
lukrativen Chefposten bei der Öbag wünschte, der
Österreichischen Beteiligungs AG, einer Staatsholding.
»Ich liebe meinen Kanzler«, antwortete Schmid. Mitt-
lerweile ist die Liebe offenbar erkaltet. Für Sebastian
Kurz gehe er nicht in den Knast, sagt Schmid.
In etwa zwei Jahren sollen die Ermittlungen abge-
schlossen sein. Dann könnte es einen Prozess geben, wie
Illustration: Thomke Meyer für DIE ZEIT
ihn die Republik noch nicht gesehen hat: Drei ehema-
lige Minister, zwei Austro-Oligarchen, einige Politik-
berater, aber vor allem auch der ehemalige Bundeskanz-
ler Kurz werden dann womöglich im historischen
Großen Schwurgerichtssaal in Wien als Angeklagte
Platz nehmen. Wenn Kurz Pech hat und verurteilt wird,
dürfte er eine langjährige Haftstrafe antreten müssen.
Kurz, der einstige Hoffnungsträger der Rechten, ist
tief gefallen. Und man hat den Eindruck, er hat es –
House
of Kurz
Er war das Wunderkind der Konservativen. Nun droht
ihm jahrelange Haft. Der Kriminalfall
Sebastian Kurz zeigt die enorme Korruption in Österreich.
Justiz und Presse halten dagegen VON FLORIAN KLENK
Wird dem ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz
eine Festplatte zum Verhängnis?
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
anders als Schmid – selbst noch nicht realisiert. Ver-
gangene Woche posierte er als Jungunternehmer mit
Ex-Bild-Chef Kai Diekmann auf Twitter. Als Unter-
nehmer und Buchautor will er seine Kontakte vergol-
den – der US-amerikanische Trump-Fan, PayPal-Erfin-
der und Palantir-Gründer Peter Thiel will auf Kurz’
Expertise ebenso wenig verzichten wie der gefallene
Deutsche-Bank-Aufsichtsrat Alexander Schütz oder der
Erfinder der israelischen Spionage-Software Pegasus,
Shalev Hulio. Kurz hatte sich übrigens selbst als Detek-
tiv geübt. Vor wenigen Tagen gestand er, er habe im
vergangenen Jahr ein Telefonat mit Thomas Schmid
mitgeschnitten. Es sollte ihn entlasten. »Ein Rohrkre-
pierer«, kommentierte der Standard.
Wie aber hat all das begonnen? Teil eins der Staffel
beginnt im Mai 2019 auf Ibiza. Damals erfuhr Öster-
reichs Bevölkerung dank eines heimlich aufgezeichne-
ten Videos, wie sich der Rechtspopulist Heinz-Christian
Strache, zu jener Zeit Chef der Freiheitlichen Partei
(FPÖ), einer vermeintlichen russischen Oligarchen-
nichte andiente. Sie solle die Kronen Zeitung, das öster-
reichische Massenblatt, kaufen, tönte Strache, und
dann ihn an die Macht schreiben. Dafür bekomme sie
Milliardenaufträge vom Staat. Die Frau war eine Schau-
spielerin, Strache musste zurücktreten. Aber die Sache
war ernst.
Strache wollte ein »Mediensystem wie der Orbán«,
also gelenkte Medien wie in einem autoritären System.
Kritische Journalisten sollten »zack, zack, zack« (Stra-
che) durch Propagandisten ersetzt werden. Kurz, der die
ÖVP damals in die »Basti-Gebetsliga« verwandelte, wie
seine Kritiker es nannten, ließ seinen Koalitionspartner
Strache fallen, zeigte sich angewidert von der Korrup-
tion und koalierte fortan mit den Grünen. »Das Beste
aus beiden Welten« versprach die grün-konservative
Koalition: restriktive Einwanderungspolitik und grüne
Klimapolitik. Das war der Plan.
Was damals einige schon ahnten: Auch Kurz
schmierte am Beginn seiner Karriere Medien mit
Steuergeld, um an die Macht zu kommen. Indizien gab
es zuhauf. Aber jetzt sagt der Insider Thomas Schmid
aus. Und der sollte es wissen, denn Schmid war Gene-
ralsekretär im Finanzministerium, in Österreich der
Spitzenmanager im Ministerium auf Beamtenebene.
Man weiß das alles im Detail, weil die Justiz nach
dem Ibiza-Fall immer tiefere Einblicke in das Innen-
leben der Regierung Kurz/Strache bekam. Fast jeden
Monat schreiben Österreichs Investigativmedien und
ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss seither
neue Kapitel im Kurz-Krimi. Je länger sich die Ermitt-
ler durch die beschlagnahmten Chats und Festplatten
wühlten, desto genauer blickten sie in einen tiefen
Staat. Ein korruptes System, in dem Polizisten und
Oberstaatsanwälte Ermittlungen sabotierten; Glücks-
spielmanager üppig Vereine von ÖVP und FPÖ spon-
serten; ein System, in dem wichtige Jobs im Sicherheits-
apparat nach Parteibuch vergeben wurden. In dem
Spitzenjuristen im Justizministerium abtreten mussten,
weil sie sich Ämter zugeschoben oder heimlich Akten
fotografiert und an Medien geleakt hatten.
Und dann platzte im Oktober 2021 die »Inseraten-
affäre«, gewissermaßen die Ibiza-Affäre des Sebastian
Kurz. Geschuldet war das dem Fleiß und der Findigkeit
einer jungen Ermittlerin der Anti-Korruptions-Behörde
WKStA (Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwalt-
schaft). Sie entdeckte in den Chats ein merkwürdiges
Wort: »Beinschab-Österreich-Tool«. Das machte sie
neugierig. Was war damit gemeint? Sabine Beinschab
war eine in Boulevardmedien bekannte Meinungsfor-
scherin. Österreich ein Boulevardblatt.
Nach einigen Wochen wusste es die WKStA genauer,
die Meinungsforscherin Beinschab hatte gestanden, nach-
dem sie kurz in Haft gesessen hatte: Sabine Beinschab
frisierte Meinungsumfragen zugunsten von Kurz’ ÖVP,
und dessen Mitarbeiter lancierten die Fake-News-Ergeb-
nisse im Boulevardblatt Österreich als redaktionellen Inhalt.
So geschehen im Jahr 2016, als Kurz noch Außenminister
war und den von ihm in Chats als »Arsch« bezeichneten
damaligen ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner wegmobben
wollte, um dann selbst den sozialdemokratischen Kanzler
Christian Kern abzulösen.
Diese »Operation Ballhausplatz«, ein minutiöser
Plan von Kurz zur Machtübernahme, benannt nach der
Adresse des Kanzleramts, ging auf. Das Kriminelle
daran: Beinschab legte Scheinrechnungen vor, Schmid
bezahlte ihr die Studien zugunsten der ÖVP mit Steuer-
geld aus den Kassen des Finanzministeriums.
Das große Rätsel lautete seither: Was wusste Kurz
davon? »Nichts«, beteuerte er lange schulterzuckend. Er
sei unschuldig.
Doch Thomas Schmid widerspricht jetzt seinem
einstigen Idol. Kurz sei der Drahtzieher gewesen, er
habe die Sache selbst beauftragt. Er, Schmid, wolle nun
»einen Schlussstrich ziehen« und die »Sache aufarbei-
ten«. Denn »wir haben Dinge gemacht, die nicht in
Ordnung waren«, und »ich hatte den Eindruck, dass ich
auch benutzt wurde«.
Schmid packt nicht nur über Kurz aus, sondern
schildert einen offenbar durch und durch korrumpier-
ten Beamtenapparat im Finanzministerium, das seit
20 Jahren von der ÖVP verwaltet wird.
Der auch in Deutschland tätige Immobilieninvestor
René Benko und der Automobilmanager und Putin-
Vertraute Siegfried Wolf hätten es dank Schmids Hilfe
geschafft, sich das Finanzamt vom Leib zu halten. Mil-
lionen an Steuern seien rechtswidrig und durch Druck
der Regierung erlassen worden. Benko habe Schmid
mit einem lukrativen Jobangebot bestechen wollen.
Beide Manager bestreiten die Vorwürfe, aber Chats und
interne Mails von Finanzbeamten belasten sie schwer.
Wie wird das weitergehen in Wien? Der amtierende
Bundeskanzler Karl Nehammer versucht die Sache
herunterzuspielen. Nach jahrelangen Ermittlungen, die
auch ehemaligen Ministern Untersuchungshaft bescher-
ten, glaubt er immer noch, die ÖVP habe »kein Korrup-
tionsproblem«. Der Kabarettist Florian Scheuba kon-
terte diesen Satz in einer satirischen Kolumne so: »Mein
Hund hat auch kein Wurstproblem.«
Florian Klenk ist Chefredakteur der Wiener
Wochenzeitung »Falter«
DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022 POLITIK 5

Staatsziel

Foto: Christopher Pledger/eyevine/laif (Buckinghamshire, 30. 7. 2022)

Langeweile
Wie Rishi Sunak der beste
konservative Premierminister Großbritanniens
im 21. Jahrhundert werden könnte
VON JOHN KAMPFNER
Der Nächste, bitte: Seit dieser Woche ist Rishi Sunak neuer Regierungschef in Großbritannien

Ö
konomen, Diplomaten, Militär-
und Sicherheitsexperten, ach, im
Grunde alle, die mit einem Gehirn
oder auch nur einem Hauch emo-
tionaler Intelligenz gesegnet sind,
haben während der vergangenen Monate alles in
ihrer Macht Stehende getan, um Großbritannien
über Wasser zu halten. Das Verteidigungsministe-
rium veröffentlicht weiterhin seine hochgelobten
Berichte über die aktuelle Lage in der Ukraine.
Die Bank of England und andere Finanzinstitutio-
nen arbeiten hart daran, die Insel von den heftigs-
ten Erschütterungen abzuschotten.
Doch auf der anderen Straßenseite, im Parla-
ment, treiben konservative Abgeordnete ihre kin-
dischen Fin-de-Siècle-Spielchen. Auf den skandalö-
sen Boris Johnson folgt die völlig verunglückte
Kurzzeit-Premierministerin Liz Truss. Und nun,
ohne dass das Volk einmal mitreden durfte, kürten
die Tory-Abgeordneten jenen Mann zum Premier,
der noch vor einigen Wochen gegen Truss verloren
hatte. Tja, so ist die Lage in Großbritannien.
Rishi Sunak ist nicht nur die erste Person of
Color an der britischen Regierungsspitze, mit 42 ist
er auch jünger als Tony Blair und David Cameron,
als diese Premier wurden. Die indischen Groß-
eltern des praktizierenden Hindus wanderten aus
Ostafrika nach Großbritannien aus, und er wuchs
in der Hafenstadt Southampton im Süden des
Landes auf. Insofern ist er ein positives Abbild
des multikulturellen Großbritanniens. Das heißt
aber nicht, dass wir es hier mit einer Zeitenwende
zu tun hätten, mit einem Augenblick voller
Erwartung. Sunak ist kein Tony Blair 1997, er ist
auch kein Barack Obama 2008. Seine Aufgabe
besteht darin, eine Volkswirtschaft behelfsmäßig
zu verarzten, die derzeit so schlecht abschneidet
wie – Russland ausgenommen – keine andere
OECD-Wirtschaft.
Vor Sunak liegen außergewöhnliche Herausfor-
derungen: Die öffentlichen Finanzen stecken in der
Krise, die Inflation ist hoch, das Gesundheitswesen
hat massive Probleme, in wichtigen Branchen
herrscht Arbeitskräftemangel (was größtenteils am
Brexit liegt), die Arbeitsunruhen nehmen zu, die
Energiekosten explodieren. Obwohl Großbritannien
weitaus weniger von russischem Gas und Öl abhän-
gig war als Deutschland und andere europäische
Staaten, drohen sogar Stromausfälle.
In seinem ersten Appell an die Abgeordneten
steckte der neue Premierminister seine Prioritäten
ab: Er will die Wirtschaft »in Ordnung bringen«,
seine Partei vereinen und für das Land »abliefern«.
Was auch immer das genau bedeuten mag.
Eines jedenfalls haben diese Vorhaben gemein:
Sie beruhen auf einer Vorstellung von Stabilität,
sei es wirtschaftliche, politische, gesellschaftliche
oder internationale. Einfach zu erreichen sein wird
nichts davon. Sunak muss rasch handeln, gleich-
zeitig aber sorgfältig darauf achten, dass er die
Märkte beruhigt und dass Großbritannien wieder
anfängt, ernsthafte Politik zu betreiben.
Tatsächlich könnte man sagen, in den ersten 100
Tagen muss Sunak genau das Gegenteil dessen tun,
was man üblicherweise von Spitzenpolitikern erwar-
tet: Er wäre gut beraten, auf großes Brimborium zu
verzichten, auf überraschende Ankündigungen nach
dem Motto »Störungen sind eine gute Sache«, wie es
bei der kurzlebigen Truss und dem hochtrabenden
Johnson an der Tagesordnung war.
Alle Augen werden auf Sunak und seinen Finanz-
minister Jeremy Hunt gerichtet sein. Der Haushalts-
plan, der am 31. Oktober präsentiert werden soll,
wird den kapriziösen »Mini-Haushalt«, den die
Regierung Truss am 23. September vorlegte, endgül-
tig rückgängig machen. Nicht nur das: Es wird
erwartet, dass der neue Haushalt weit darüber hinaus-
geht und eine Mischung aus Steuererhöhungen und
Kürzungen der öffentlichen Ausgaben enthält. Bei
der Wählerschaft, der die steigenden Lebenshaltungs-
kosten bereits massiv zusetzen, dürften diese Maß-
nahmen kaum auf Gegenliebe stoßen.
Zugleich steht Sunak einer Partei vor, die zu-
tiefst gespalten ist, zunächst in Erz-Brexiteers und
Moderate und dann noch einmal innerhalb der
jeweiligen Lager. Es wäre für Sunak schon eine
Leistung, sich bis zum Frühjahr oder Herbst 2024
zu halten, wenn voraussichtlich die nächsten Par-
lamentswahlen anstehen.
Sunak hatte kurz einen Posten auf der untersten
Ebene des Ministeriums für Regionalverwaltung
inne, abgesehen davon kann er keinerlei Verwal-
tungserfahrung außerhalb des Finanzministeriums
vorweisen. Dort fungierte er zunächst als Chief
Secretary (das zweithöchste Amt innerhalb dieser
Behörde) und dann als Finanzminister. Besonderes
Augenmerk wird insofern auf seinen ersten Schrit-
ten auf dem außenpolitischen Parkett liegen.
Nach Ansicht einiger Konservativer bleiben außen-
politisch zentrale Fragen offen: Wird Sunak »weich«
gegenüber China? Und wird er gegenüber der Euro-
päischen Union hart genug auftreten? Vernünftig wäre
es, wenn er jüngste Bemühungen, den Streit um das
Nordirland-Protokoll beizulegen, beschleunigen
würde, um auf diese Weise die Beziehungen zu Europa
zu verbessern. Ihm wird aber auch nicht entgangen
sein, welch zerstörerische Macht die Brexit-Hardliner
in seiner Fraktion entfachen können. Nur wenige
Stunden bevor die Bewerbungsfrist für die neue Par-
teispitze ablief, warnten sie noch einmal, sie würden
eine »sehr robuste Haltung« einnehmen.
Sunak bezeichnet sich als Pragmatiker. Was dies
für den Umgang mit den Rammbock-Methoden
der ideologischen Hardliner in seiner Partei
bedeutet, wird entscheidend dafür sein, wie stabil
Großbritannien in den kommenden Monaten da-
steht – und wie glaubwürdig auf der Weltbühne.
Viele internationale Gesprächspartner dürften
Sunak einen beträchtlichen Vertrauensvorschuss
einräumen, was weniger daran liegt, wer er ist, als
daran, wer er nicht ist – er ist nicht Boris Johnson,
und er ist nicht Liz Truss. Gelingt es ihm, Groß-
britannien in den kommenden Monaten weniger
unterhaltsam und dafür ein wenig zuverlässiger zu
machen, wird er als der bislang beste konservative
Premier des 21. Jahrhunderts in Großbritannien
dastehen – eine Messlatte, die zugegebenermaßen
nicht allzu hoch liegt.
Aus dem Englischen von Matthias Schulz

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IC󰉀󰉀 󰈟󰈟C󰉀󰉀Ü󰈙󰈙ZE 󰈲󰈲󰈾󰈾󰉎󰉎H,

damit ich nicht selbst zum Pflegefall werde.
Leonie hält als Gesundheits- und Krankenpflegerin ihren
Corona-Schutz aktuell.
6 POLITIK
Als die Russen die Stadt Isjum besetzten, wurde Jewhen Horbenko von seiner Frau getrennt. Monatelang bangten sie umeinander
E
s waren 2500 Schritte – so weit
ging Jewhen Horbenko von sei-
nem zerstörten Haus in Isjum bis
zum Hügel Kremenez, und Jewhen
zählte jeden einzelnen Schritt.
Dort oben hoffte er auf Empfang,
damit er seine Frau Natalja anru-
fen konnte. Jewhen ist 60 Jahre alt, Natalja 63.
Kurz vor der russischen Invasion war Natalja zu
ihrer Tochter nahe Kiew gefahren, um ihr mit den
Enkelkindern zu helfen. Als dann der Krieg los-
brach und die Schlacht um die ukrainische Haupt-
stadt tobte, half Natalja der Familie, ihr Leben zu
organisieren, das sich nun größtenteils im Keller
abspielte. Jewhen und der 28-jährige Sohn hinge-
gen fanden sich Hunderte Kilometer entfernt in
Isjum unter russischer Besatzung wieder.
Isjum, vor dem Krieg eine Stadt mit 50.000
Einwohnern, liegt strategisch günstig an der Ver-
bindungsstraße von Charkiw nach Slowjansk und
Kramatorsk, dem Zugang zum Donbass. Seit Be-
ginn der Invasion zählte Isjum zu den gefährlichs-
ten Orten im Land. Ich folge Facebook-Gruppen,
in denen ukrainische Frauen nach ihren Ehe-
männern suchen, Soldaten, die »in der Nähe von
Isjum« verschwunden sind. Die Kämpfe dauerten
bis zum 10. September an, dann wurde Isjum von
der ukrainischen Armee befreit.
2500 Schritte, nur um deine Stimme zu hören
Um die Wolken zu erreichen
Um in Erwartung des piependen Handys
in Schockstarre zu verfallen
Drücke sanft die Wange
Habe vor nichts Angst
2500 Schritte, nur um deine Stimme zu hören
Jewhen sitzt auf einer Bank in der Nähe eines
Mehrfamilienhauses im Stadtzentrum, wo seine
und Nataljas Wohnung liegt, und spielt Gitarre,
auf der er während des Kriegs sein Lied für Natalja
komponiert hat. Die Fenster der Wohnung sind
zerborsten, die Türen und der Balkon sind zer-
stört, aber die Gitarre blieb heil. In der Nähe des
Hauses hängt ein Waschbecken an einem Baum.
Ein Feuer knistert, auf dem die Familie nun kocht.
Es gibt kein Wasser und keinen Strom, aber das
hielt Natalja nicht davon ab, nach Hause zu eilen,
als in Isjum endlich die Minen geräumt waren und
die Stadt für Zivilisten freigegeben worden war.
»Wir hatten im März den Kontakt verloren.
Das war der schlimmste Moment. Ich suchte die
sozialen Medien ab, kontaktierte Jungs, die hin
und wieder Bilder aus Isjum veröffentlichten. Ich
stellte Fotos von meinem Mann und meinem
Sohn in die Gruppen. Alles, was ich hören wollte,
waren zwei Worte: ›Am Leben‹«, erzählt Natalja.
»Dann schickte mir ein Mann das Foto einer
handschriftlichen Notiz meines Sohns: ›Mama,
wir sind am Leben, sage bitte den anderen Be-
scheid.‹« Auf dem Zettel standen zehn Telefon-
nummern, also begann Natalja, Menschen, die sie
nicht kannte, zu informieren.
Nataljas Tochter wohnt nicht weit von Butscha
und Irpin entfernt, wo die russische Armee Gräuel-
taten in großem Stil beging, bis die Städte Anfang
April befreit wurden. Die Menschen konnten auf-
atmen – aber nicht jene, die wie Natalja um ihre
Angehörige in den weiterhin besetzten Gebieten
fürchteten. »Ich wusste, dass es in Isjum kein Was-
ser gab, also konnte ich nicht duschen, denn sie
konnten es ja auch nicht. Ich konnte nicht ordent-
lich essen, denn ich wusste nicht, ob sie etwas zu
essen hatten«, erinnert sich Natalja. »Und dann
hörte ich das Telefon klingeln: ›Schenja, Schen-
jeschka‹«, so rief sie ihren Mann zärtlich, »lebst
du? Werden wir uns wiedersehen?‹« Weg war der
Empfang.
2500 Schritte, ist das wenig, ist das viel?
Nach so vielen traumlosen Nächten
Jeder Tag ein Neubeginn
Und dennoch weiß ich, dass du irgendwo
auf mich wartest
Und dennoch glaube ich,
ich werde dich wiedersehen
Wir kommen uns näher und näher
mit 2500 Schritten
Die Verbindung riss immer wieder ab. Erst jetzt
kann Jewhen seine ganze Geschichte erzählen.
Anfangs suchten 19 Menschen Zuflucht in seinem
Keller. »Am 10. März ergab sich eine Möglichkeit,
die Älteren zu evakuieren. Wir trugen sie auf Stüh-
len zu den Fahrzeugen. Es war wirklich kalt, teil-
weise zwölf Grad minus. Wir versuchten uns auf-
zuwärmen. Der Beschuss draußen war dermaßen
stark, dass wir in einem Haus ein Feuer gemacht
und gekocht haben.« Mit der Zeit begriff Jewhen,
dass es nicht nur die russische Armee war, die
schoss. »Es ist nicht so, als hätte ich keine Angst
mehr vor dem Beschuss gehabt, aber als ich wusste,
Also schrieb er ein
Liebeslied für Natalja
Foto: Jedrzej Nowicki für DIE ZEIT
Jewhen und Natalja Horbenko vor ihrem zerstörten Wohnblock in Isjum
dass es die Ukrainer sind, die schießen, war ich
glücklich. Das war ein Zeichen, dass man uns
nicht aufgegeben hatte.«
Habe keine Angst vor nichts
2500 Schritte, nur um deine Stimme zu hören
Nicht nur wegen des Beschusses birgt der Weg
zum Hügel Kremenez seine Gefahren. Als russi-
sche Soldaten Maxim Maxymow folterten, warfen
sie ihm unter anderem vor, er sei auf den Hügel
gestiegen, um zu telefonieren. War er ein Infor-
mant der ukrainischen Armee?
Der 51-jährige Maxymow zog 2008 aus Do-
nezk nach Isjum. Er hatte dort als Psychologe
Suchtkranken geholfen. In Isjum gründete er ein
kleines Unternehmen in der Holzverarbeitung
und schrieb als Kolumnist für die lokalen Medien.
Er blieb auch nach Kriegsbeginn in der Stadt, um
seiner alten Mutter zu helfen, die mindestens sechs
Hunde und ein Dutzend Katzen hat und sich wei-
gerte, Isjum zu verlassen. Maxim will uns den Ort
zeigen, an dem er inhaftiert wurde. Um zu ver-
stehen, was ihm zugestoßen sei, müsse man die
Zellen sehen. Und nein, es sei nicht traumatisch
für ihn, wieder dort zu sein, beteuert er.
Während Jewhen ausharrte und auf Natalja
wartete, kamen am 3. September, nur wenige Tage
bevor Isjum befreit wurde, vier Russen mit Sturm-
hauben zum Haus seiner Mutter, legten ihm
Handschellen an und brachten ihn zu der Wache,
in der die russisch kontrollierte Polizei der so-
genannten Volksrepublik Luhansk untergebracht
war. »Anfang September waren nachts nicht mehr
als fünf Grad. Einen meiner Mitinsassen – er saß
ein, weil er früher in der ukrainischen Armee ge-
dient hatte – hatten sie von zu Hause in T-Shirt
und kurzen Hosen mitgenommen. Also gab ich
ihm meine Jacke«, erzählt Maxim, während er uns
herumführte. Die Polizeiwache liegt im Zentrum,
»Wir hatten im März den Kontakt verloren. Das war der schlimmste Moment«
VON NATALIYA GUMENYUK
nicht weit weg von Jewhens Haus. Alles ist voller
Müll und »Z«-Zeichen, dem Symbol der russi-
schen Invasoren. Im ersten Stock saßen die Krimi-
nellen ein, während die »Politischen« im Keller
untergebracht waren. Maxim findet seinen Teller
und den Ort, wo die vollen Eimer für die Not-
durft standen. »Sie wollten sie nicht rausbringen.
Am Donnerstag waren sie voll. Am Freitag baten
wir darum, dass sie die Eimer leerten, aber die
Wärter sagten uns, wir sollten bis Montag war-
ten.« Doch am Samstag, dem 10. September, wa-
ren die Besatzer verschwunden.
In ihren Zellen wurden die Gefangenen im
Dunkeln gehalten, außerhalb mussten sie Augen-
binden tragen. Als er jetzt an den Ort seiner Ge-
fangenschaft zurückkehrt, bemerkt Maxim, dass
die Folterzelle in Wirklichkeit der Schießstand im
Keller des Polizeireviers war. Beim Betreten sehen
wir Gasmasken und Schlagstöcke. Maxim zeigt
auf die Stelle, wo das Feldtelefon stand, eines der
beliebtesten Folterwerkzeuge der Russen. Feldtele-
fone dienten vom Ersten Weltkrieg bis in die
1980er-Jahre hinein zur militärischen Kommuni-
kation. Ihren Strom können sie über eine Telefon-
anlage beziehen. Werden die Kabel an mensch-
liche Körper angeschlossen, verursacht der Strom
extreme Schmerzen – wie Maxim am zweiten Tag
seiner Haft erleben musste.
»Ich versuchte, mich darauf vorzubereiten, aber
derartige Schmerzen hätte ich mir niemals vorstellen
können. Instinktiv riss ich die Kabel ab, aber sie
legten sie mir wieder an. Ich fiel zu Boden, und sie
stellten einen Stuhl auf mich. Sie fesselten meine
Beine, nahmen mir die Turnschuhe weg und schlos-
sen die Drähte an meine Zehen an. Ich weiß nicht,
wie ich es geschafft habe, sie abzubekommen. Dann
setzten sie mich auf den Stuhl, zogen mir eine Gas-
maske über und schalteten den Strom wieder an.
Ich weiß nicht mehr, was als Nächstes geschah.
Niemand stellte Fragen. Ich war es, der versuchte
herauszufinden, was vor sich ging. Was sollte das?
Ein paarmal sagten sie mir: ›Du weißt es selbst, also
rede.‹ Aber ich hatte nichts zu sagen, deshalb schal-
teten sie den Strom wieder an. Ich wurde ohnmäch-
tig, man brachte mich in meine Zelle zurück. Am
nächsten Tag das gleiche Spiel, wahrscheinlich
kürzer. Die Jungs in der Zelle sagten, das erste Mal
dauerte es 40 Minuten, beim zweiten Mal 10 bis 15
Minuten«, erinnert sich Maxim.
Die Russen, die Maxim verhörten, fragten Ma-
xim wieder und wieder, wer seine Kontaktperson
im ukrainischen Geheimdienst sei und wen er auf
dem Kremenez-Hügel angerufen hatte. Offenbar
hatte er auf die Russen gewirkt wie ein ukrainischer
Spion, und als »Beweis« reichte ihnen, dass Maxim
zu Hause touristische Landkarten der Region hatte.
Nach den ersten Tagen der Folter ging es Ma-
xim nicht gut. Er hatte Schwierigkeiten auseinan-
derzuhalten, was real ist und was nicht. Seine Mit-
insassen machten ähnliche Erfahrungen – die
Stromkabel, die Gasmasken, die Prügel. Fast zwei
Dutzend weitere Personen wurden auf der Polizei-
wache festgehalten, während Maxim dort einsaß,
die meisten von ihnen, weil sie früher einmal in
der ukrainischen Armee gedient hatten. Als ich im
September in der Region Charkiw herumgereist
bin, in der die Stadt Isjum liegt, hörte ich ähnliche
Geschichten. Es gebe in den zurückeroberten Ge-
bieten der Region mindestens 22 Hafteinrichtun-
gen wie die in Isjum, sagt Serhij Bolwynow, Leiter
der regionalen Ermittlungsabteilung in Charkiw.
In der Nacht, bevor die ukrainische Armee in
Isjum einrückte, gaben die Russen ihre Stellung
auf. Die örtlichen Wärter drohten damit, Hand-
granaten in die Zellen zu werfen, aber dann öff-
neten sie doch die Türen. In anderen Gefängnis-
sen endete die Haft nicht so glimpflich, manchmal
mussten die Insassen die Schlösser aufbrechen.
Maxim möchte die Menschen aufspüren, die ihn
gefoltert haben. Ihre Gesichter hat er nicht gesehen,
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
aber sie hatten dennoch alle ihre Eigenheiten. Einer
war sehr groß, er überragte den 1,89 Meter großen
Maxim um zehn Zentimeter, und er sprach mit
kaukasischem Akzent. Der Ranghöchste aus der
Gruppe sah ebenfalls wie jemand aus dem Kaukasus
aus, hatte dunkle Haut und Augen, war etwa 1,82
Meter groß und hatte einen Bauch. Beide waren
keine ethnischen Russen, so Maxim. Zwei andere
waren klein, etwa 1,65 Meter. »Ich frage mich, ob es
nicht in den sozialen Medien ein Foto von ihnen
zusammen gibt. Sie wirkten wie eine gut organisierte
Brigade«, sagt Maxim.
Er will ein Tagebuch über die Monate der Be-
satzung schreiben und es den »gerechten Ukrai-
nern« widmen: »›Der Gerechte wird aus Glauben
leben‹, heißt es in der Bibel. Ich würde das Buch
gerne Menschen widmen, die an ihren Staat glau-
ben, ihn nicht verraten haben, weder passiv noch
aktiv. Wer auch immer unter diesen schwierigen
Umständen an die Ukraine geglaubt hat, zählt für
mich zu den Gerechten.« Auch Natalja und
Jewhen dürften dazugehören.
»Isjum – die Stadt der echten Emotionen«, steht
auf einem Schild im Zentrum. Wie alles andere in
der Umgebung ist auch das Schild von Schrapnellen
durchlöchert. Vor dem niedergebrannten Ge-
meindehaus spielen eine Mutter und ihre Tochter
Badminton. Eine ältere Frau liest laut aus einer
Zeitung vor und klingt wie eine Radiosprecherin.
Die Zeitung hat sie von ehrenamtlichen Helfern
erhalten. Während der Besatzung hatten viele Men-
schen, insbesondere die älteren, keine anderen In-
formationsquellen als russische Medien. Sie waren
nicht einmal sicher, ob Kiew noch steht.
Jewhens Frau Natalja hat früher einmal das
Haus der Kulturen geleitet, heute steht sie vor dem
Gebäude, das inzwischen als humanitäre Anlauf-
stelle fungiert, und verteilt Kleider. Sie ist ge-
schminkt und akkurat frisiert – Jewhen ist es ge-
lungen, eine Trockenhaube an einen Dieselgenera-
tor anzuschließen. »Er war besorgt, ob ich nicht
ein wenig übertrieben aussehe, aber ich bestand
darauf, dass wir zu unserem normalen Leben zu-
rückkehren und unsere Stadt wieder aufbauen. Ja,
wir sind über 60, aber wir müssen leben und
durchhalten. Ich habe gesehen, wie die Menschen
hier ihre dunklen Mäntel abgaben und sich hellere
Kleidung nahmen.«
Nachdem Natalja zurückgekehrt war, ging sie
als Erstes zum Sozialamt, um sich als Ehrenamtli-
che zu melden. Sie helfe mit psychologischen Bera-
tungen, sagt Natalja: »Wir haben viele einsame
Menschen. Ich sage meinen Kolleginnen: ›Mäd-
chen, seid nicht schüchtern, bitte umarmt auch
Menschen, die ihr nicht kennt. Sie brauchen das.
Und wenn ihr einfach nur zwei Minuten stumm
dasteht.‹«
Sie selbst hatte tausendfach darüber nachge-
dacht, wie wohl nach Monaten der Trennung das
Wiedersehen mit ihrem Ehemann ablaufen wür-
de. Als sie sich dann endlich trafen, umarmten sie
sich einfach nur: »Wir standen still da und sogen
den Atem des anderen in uns auf.« Bevor sie nach
Isjum fuhr, kaufte Natalja Lebensmittel, darunter
auch eine Kiewer Torte als Souvenir aus der
Hauptstadt. Für sie war es ein Zeichen, dass man
zur Normalität zurückkehrte und feierte. In der
ersten Nacht kochten sie auf dem offenen Feuer.
Jewhen griff zur Gitarre und sang das von ihm
geschriebene Lied über die 2500 Schritte. Alle
Hausbewohner weinten – die 83-jährige Katia,
die 82-jährige Galoschka und auch der Nachbar
Witalij, dessen Frau das Lied liebte. »Alle, die da-
geblieben waren, kannten das Lied. Das machte es
für mich zu etwas ganz Besonderem ... dass es ein
Lied für uns alle war«, sagt Natalja.
Wenige Tage nachdem ich abgereist war, nahm
die Post in Isjum ihren Dienst wieder auf, auch
das Mobilfunknetz funktionierte wieder. Wochen
nach Nataljas Rückkehr gibt es teilweise wieder
Strom und Wasser in der Stadt, aber die meisten
Häuser sind zerstört, es gibt keine Heizmöglich-
keiten, und der Winter naht. Das hält Jewhen und
Natalja nicht ab, sie wollen bleiben und ihren Teil
zum Wiederaufbau beitragen. »Der Winter wird
traurig, aber wir warten auf das Frühjahr«, sagt sie.
Beide sind voller Trotz, und das aus gutem Grund:
Sie haben fest an das Gute geglaubt, und sie haben
recht behalten.
Und dennoch weiß ich,
dass du irgendwo auf mich wartest
Und dennoch glaube ich,
ich werde dich wiedersehen
Die Journalistin Nataliya Gumenyuk hat
»The Reckoning Project« mitgegründet, das die
Kriegsvergehen in der Ukraine dokumentiert
Aus dem Englischen von Matthias Schulz
!www.zeit.de/vorgelesen
SMART WAS THE FIRST STEP.
COGNITIVE IS THE NEXT LEAP.

COGNITIVE
ALLOWS US
TO BE MORE
OF WHO WE
ARE AND
ACCENTUATE
HUMANITY’S
BEST.
JOSEPH BRADLEY
TONOMUS CEO

We don’t think smart technology is

smart enough. We need solutions
that are proactive, connected, and
intelligent, so we’re building them.
Join the movement at TONOMUS.COM

THE FUTURE IS COGNITIVE.

THE FUTURE IS TONOMUS.
8 POLITIK
Wie stabil ist das Regime im Iran?
S
eit 33 Jahren herrscht im Iran ein
Mann: Ali Chamenei, Oberster
Führer auf Lebenszeit. Unter ihm
dienten eher »reformorientierte«
Präsidenten wie Akbar Haschemi
Rafsandschani oder Hassan Ruha-
ni, die – immer im Rahmen der
religiösen Verfassungsdoktrin – der Kunst, der
Wirtschaft und den Frauen etwas mehr Freiheiten
ließen und sich offener dem Westen gegenüber
zeigten. Unter ihm dienten ebenso ultrakonserva-
tive Präsidenten wie Mahmud Ahmadinedschad
oder der derzeit regierende Präsident Ebrahim
Raissi. Eines aber blieb stets unangetastet: die »Is-
lamische Republik«. Sie überstand die »Grüne Be-
wegung« von 2009, die sich an der Wiederwahl
Ahmadinedschads entzündete und die Chamenei
brutal niederschlagen ließ; ebenso die Proteste
2019, die ein sprunghafter Anstieg der Benzin-
preise ausgelöst hatte. Heute ist Chamenei 83
Jahre alt und mit der größten Krise in der Ge-
schichte der Islamischen Republik konfrontiert.
Die Unruhen, die der Tod der 22-jährigen Mahsa
Jina Amini in Polizeigewahrsam ausgelöst hat, eb-
ben nicht ab. Anfang der Woche zählten Beobach-
ter erneut Proteste an 17 Orten in elf der 31 ira-
nischen Provinzen. Ist das nun die Revolution, die
den Iran verändern wird?
Die ZEIT hat darüber mit deutschen und euro-
päischen Diplomaten sowie mit deutschen und
israelischen Beobachtern gesprochen, teilweise
darf aus den Gesprächen nicht zitiert werden. Es
herrscht Einigkeit, dass Chamenei und sein Re-
gime die Macht mit allen Mitteln verteidigen wer-
den. Anzeichen für eine Spaltung oder einen baldi-
gen Sturz der Regierung sieht niemand. Einigkeit
herrscht aber auch weitgehend darüber, dass Pro-
teste immer wieder aufflammen und sich verstär-
ken werden, da viele der inneren Konflikte des
Iran unauflösbar scheinen.
In den vergangenen Jahren haben die ultrakon-
servativen Kräfte im Iran ihre Macht innerhalb des
Systems ausgebaut. Einige Beobachter sehen darin
Vorbereitungen Chameneis seine Nachfolge zu re-
geln; es sei ihm ein Anliegen, die Islamische Repu-
blik Iran möglichst »unbeschadet« an einen Nach-
folger zu übergeben.
Bis in das Jahr 2020 hinein habe es einen »be-
grenzten islamistischen Pluralismus« im Iran gege-
ben, sagt der Analyst und Berater David Jalilvand,
Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft
für Auswärtige Politik und Gründer des Beratungs-
unternehmens Orient Matters. Die Menschen im
Iran hatten eine gewisse Wahl zwischen verschie-
denen Strömungen des Systems. Die alles über-
wölbende Ideologie, personifiziert im übermächti-
gen Obersten Führer, durfte zwar nicht angezwei-
felt werden. Doch »reformorientierte« Politiker
konnten Akzente setzen, zum Beispiel indem sie
die wirtschaftliche Macht von staatsnahen Unter-
nehmen zugunsten von privaten verschoben, oder
in der Außenpolitik, indem sie etwa das Atom-
abkommen mit dem Westen befürworteten, das
den Iran von 2015 bis 2018 stärker für den Welt-
markt öffnete.
Nach 2020 änderte sich das. Zuerst engte Cha-
menei den Spielraum des »reformorientierten«
Präsidenten Ruhani stark ein. Zu den Parlaments-
und Präsidentschaftswahlen 2021 ließ der »Wäch-
terrat«, der alle Kandidaten auf ihre Konformität
mit den Werten der Revolution prüft, ausschließ-
lich Hardliner zu. Gewählt wurde Raissi, in einer
Wahl, die international als nicht frei geächtet wur-
de. Viele der »reformorientierten« Kandidaten
sind zwar noch im Land – politisch spielen sie al-
ANZEIGE
Foto: Kim Jakobsen To
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
Noch immer demonstrieren im Iran die Menschen. Was dafür- und was dagegenspricht,
dass die Proteste zur Revolution werden VON JÖRG LAU UND ANNA SAUERBREY
schaftliche Macht weiter ausbauen, die Korruption
werde wachsen. »Um das Regime gegen Volksauf-
stände abzusichern, muss der nächste Revolutions-
führer sich ausgerechnet mit denjenigen Kräften
Die Islamische verbünden, deren Einfluss die Legitimität des Re-
gimes untergräbt.«
Republik 2021 drückte sich der Frust über die Konsoli-
dierung der Macht der Orthodoxen in einer gerin-
Wie die politische Macht im Iran verteilt ist gen Wahlbeteiligung aus. Mittlerweile ist er in eine
teils offene Ablehnung des gesamten Systems um-
geschlagen. Bei den Protesten wird nun, anders als
2009 oder 2019, nicht die Liberalisierung der Be-
kleidungsvorschriften oder der Wirtschaft gefor-
STR EITKR ÄFTE Oberbefehls- dert – sondern die Absetzung des Obersten Füh-
haber R E VOLU T IONSF Ü HR ER rers, das Ende der Islamischen Republik.
Und die Proteste sind breiter geworden. »Sie
410.000 Soldaten werden von einer neuen, vielfältigen Koalition getra-
der regulären gen«, sagt David Jalilvand. Die Protestierenden der
Armee Grünen Revolution von 2009, die eher liberale, eher
PR Ä S I DE N T städtische Mittelschicht, die für mehr persönliche
Freiheiten demonstrierte, gehen nun gemeinsam auf
200.000 Pasdaran die Straße mit den Demonstranten von 2019, der
(Revolutionsgarde) Landbevölkerung, den Angestellten und Arbeitern,
die damals wie heute unter den stark steigenden
Lebenshaltungskosten leiden. Letztere haben bisher
600.000 Basidschi das Regime eigentlich unterstützt, sehen sich nun
(von Pasdaran aber, wie Jalilvand es ausdrückt, »der materiellen
Ali Chamenei Ebrahim Raissi
kontrollierte Früchte der Revolution beraubt«. Auch er meint:
Staatsoberhaupt Regierungschef
freiwillige Dass das Regime unter Präsident Raissi die Repres-
(ernannt auf Lebenszeit) (max. zwei Amtszeiten
Milizionäre) sion ausweitete, statt sich der Nöte der Bevölkerung
zu je vier Jahren) anzunehmen, führte quer durch die iranische Gesell-
benennt
schaft bei vielen zu der Überzeugung, die Islamische
benennt Republik sei nicht mehr reformierbar.
Walter Posch, einer der führenden deutsch-
genehmigt genehmigt sprachigen Iran-Experten, nennt einen weiteren
Kandidaten Kandidaten Grund, warum diese Proteste anders sind. Posch,
der an der Landesverteidigungsakademie in Wien
E X PERT E N R AT WÄC H T E R R AT PA R L A MENT forscht, betont, dass es dieses Mal zudem eine star-
ke konfessionelle und ethnische Komponente gibt.
88 muslimische Im kurdischen Nordwesten ebenso wie im Süd-
Rechtsgelehrte osten des Iran, in der Provinz Belutschistan, hat
6 religiöse 6 weltliche benennt das Regime bei der Aufstandsbekämpfung Massa-
ker angerichtet.
Juristen Juristen
Posch hält diese Ereignisse in den ländlichen
Grenzprovinzen für mindestens so bedeutsam wie
die Proteste gegen den Kopftuchzwang in den Städ-
ten: »Es kann das Land entlang der konfessionellen
wählt Linien zerreißen. Ein Drittel der iranischen Bevölke-
rung sind Sunniten, und die werden von den herr-
schenden Schiiten im Land überall diskriminiert.«
Sunnitische Geistliche, die bislang immer mit dem
Regime kooperiert haben, wie etwa Maulana Abdol-
VOL K hamid aus Zahedan, fordern jetzt Gerechtigkeit und
mehr als 59 Mio. Wahlberechtigte die Bestrafung der Todesschützen. Ein Freund, sagt
ZEIT- GRAFIK: Nora Coenenberg Posch, berichte ihm aus Zahedan, dass es »beim
Protest nicht mehr nur gegen die Islamische Republik
geht, sondern gegen die iranische Republik«. Die
säkularen Großstädter, die Frommen und die eth-
nischen Minderheiten – erstmals protestieren sie zu-
lerdings keine Rolle mehr. Innerhalb des Regimes zumeist junge Männer und Frauen mobilisieren dungs- und Aufstiegsmöglichkeiten. So ist ein sammen, so Posch.
gibt es derzeit offensichtlich kaum Kräfte, die können und schon 2009 und 2019 mit extremer Pfründesystem entstanden, mit dem Loyalität er- In Berlin und Brüssel geht man dennoch davon
einen umsichtigen Umgang mit den Protesten be- Gewalt gegen Demonstrierende vorgingen. kauft und belohnt wird. aus, es noch eine Weile mit diesem Regime zu tun zu
fürworten, geschweige denn gesellschaftliche oder Die Revolutionsgarden stützen das politische Die Geschlossenheit des Systems – das Zurück- haben. Deutsche Diplomaten scheinen allerdings ins
wirtschaftliche Reformen. System und profitieren im Gegenzug wirtschaft- drängen der Reformer und die symbiotische Bezie- Grübeln zu kommen. Zu oft habe man zuletzt »kon-
Auch das überaus enge Verhältnis des Obersten lich. Über die Jahrzehnte haben sie eine Parallel- hung zu den Pasdaran – ist in der jetzigen Lage servativ« gedacht, räumt einer in einem Hintergrund-
Führers zu den Sicherheitskräften gilt als ungebro- wirtschaft aufgebaut, die vom riesigen Schwarz- Stabilitätsgarant und Risiko zugleich. gespräch ein, zu oft habe man unwahrscheinlich er-
chen. Bedeutend für den Machterhalt des Regimes markt und von gigantischen staatlichen Aufträgen »Das Volk hat den Glauben an die Reformier- scheinende Ereignisse nicht ausreichend berück-
sind vor allem die Revolutionsgarden, die Pasda- profitiert – Letztere reichen vom Pipelinebau bis barkeit des Regimes verloren. Niemand glaubt sichtigt. Ali Chamenei ist 83 Jahre alt, die Nachfolge
ran. Sie wurden mit der Islamischen Revolution zu Flughafenterminals. Schätzungen zufolge kon- mehr an irgendeine Öffnung«, sagt Meir Javedan- nach seinem Tod zu regeln könne ein Moment der
1979 gegründet, verstehen sich als Bewahrer der trollieren sie etwa ein Drittel der iranischen Wirt- far, Iran-Dozent an der Reichman-Universität in Schwäche sein. Zudem seien die inneren Wider-
Ideale der Revolution und konnten ihre Macht zu- schaft. Die Geschäfte werden teils über formal Herzlia, der selbst 1987 aus Teheran nach Israel sprüche unübersehbar, womöglich auf Dauer un-
letzt ausbauen. Die Pasdaran sind in allen 31 Pro- gemeinnützige »Stiftungen« getätigt, die von ho- emigriert ist. Chamenei werde einstweilen noch überbrückbar.
vinzen stationiert und werden auf 200.000 Mann hen Klerikern geleitet werden. Für die oft in den enger mit den Revolutionsgarden zusammenarbei-
geschätzt. Angegliedert sind die Basidschi, freiwil- Basidschi organisierten jüngeren und oft ärmeren ten müssen, um sich gegen den Aufstand durch- Lesen Sie auch Dossier, S. 15: Menschen erzählen
lige Milizionäre, die im Krisenfall bis zu 600.000 Menschen bietet dieser Wirtschaftszweig Ausbil- zusetzen. Die Revolutionsgarden werden ihre wirt- von ihrem Alltag in der Revolte
GRETA THUNBERG
»Hört auf die Wissenschaft,
bevor es zu spät ist!«
Die weltweit führenden Expert:innen, der
aktuellste Stand der Wissenschaft und Gretas
eigene Erfahrungen.
 DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022
Foto: Oded Balilty/AP/dpa
Endspurt im Wahlkampf: Ein Jogger passiert Wahlplakate mit dem Konterfei von
Benjamin Netanjahu, dem aktuellen Oppositionsführer in der Knesset
Ein bisschen fester
zuschlagen
In Israel strebt Ex-Premier Netanjahu zurück an die Macht – und wagt dafür einen
Tabubruch. Wer sind die Leute, mit denen er sich verbünden will? VON JAN ROSS
D
E  J
eutsche, sagt Jischai Flei-
scher, können Israel gar
nicht verstehen. Denn
Israel, so sieht er es, ist
auf drei Säulen gebaut:
die Bibel, den Nationalis-
mus und die Selbstver-
teidigung mit der Waffe. Also das exakte Ge-
genteil von allem, woran die postreligiösen,
postnationalen und postmilitärischen Deut-
schen glauben. Wogegen zum Beispiel ein Te-
xaner die Sache sofort begreift.
Wir sitzen an einem Holztisch vor einem
Bagel-Shop in einer Ladenzeile in der israelischen
Siedlung Efrat im Westjordanland. Über ein Tal
hinweg sieht man die nächste Bergkuppe in-
mitten der kahlen, steinigen Hügel von Judäa;
Dort liegt die Siedlung Neve Daniel. Durch das
Tal zieht sich der »Patriarchenweg«, der in alt-
testamentlicher Zeit die Stadt Hebron mit Jeru-
salem verbunden haben soll. Dies ist biblisches
Land, ein Schauplatz der Heilsgeschichte, wes-
halb Siedler wie Jischai Fleischer hier leben – eine
historische Mission. Es ist zugleich besetztes Ge-
biet, im Sechstagekrieg 1967 erobert von der is-
raelischen Armee, weswegen Siedlungen wie Efrat
nach internationalem Recht als illegal gelten.
Wer übrigens beim Wort »Siedlung« an etwas
Provisorisches denkt, der täuscht sich: Efrat ist
ein solides Städtchen, mit Reihenhäusern, Kreis-
verkehren und modernen Spielplätzen. Zur Ar-
beit pendeln die meisten hier nach Jerusalem.
Vorstadtbürgerlichkeit auf heiligem Grund.
Fleischer, Mitte vierzig, mit grauem Bart und
kariertem braunem Hemd, Rabbiner, Publizist
und Podcaster, ist im Hauptberuf »internationa-
ler Sprecher« der Siedler-Community von He-
bron – und spielt diese Rolle neuerdings auch für
die israelische Rechtspartei Otzma Jehudit. Die
Umfragen für die israelische Wahl in der kom-
menden Woche geben dem Bündnis der »Reli-
giösen Zionisten«, zu denen Otzma Jehudit mit
zwei anderen Parteien gehört, im Augenblick 13
oder 14 Sitze in der Knesset, dem Parlament von
120 Abgeordneten. Der Aufstieg dieser harten
Rechten ist die große Story des Wahlkampfes.
Benjamin Netanjahu, der langjährige Premier-
minister und heutige Oppositionsführer, der
unbedingt noch einmal Regierungschef werden
will, setzt für seine Likud-Partei auf eine Koali-
tion mit den Religiösen Zionisten. Das ist ein
Tabubruch: Otzmah Jehudit hat ihre Wurzeln in
der extremistischen Bewegung des 1990 ermor-
deten Meir Kahane, der ein Paria der israelischen
Politik war. Itamar Ben-Gvir, der heutige Chef,
wurde 2007 wegen rassistischer Aufhetzung ge-
gen Araber verurteilt.
Es ist keineswegs sicher, dass Netanjahu es mit
diesen Partnern wieder an die Macht schafft.
Manche gemäßigten Rechtspolitiker wollen mit
dem Ex-Premier, der wegen Korruption angeklagt
ist, nichts mehr zu tun haben; das könnte dem
gegenwärtigen Regierungschef Jair Lapid, einem
Mann der Mitte, sein Amt erhalten. Aber wenn
man nach der politischen Grundeinstellung
fragt – so steht Israel heute mehrheitlich rechts.
In dem Land, das 1948 von Sozialisten aus der
Kibbutz- und Gewerkschaftsbewegung gegründet
wurde, das in den 1990er-Jahren vom Frieden
mit den Palästinensern träumte, sind Linke an
den Rand geraten. Und die Rechtspartei Otzma
Jehudit steht an der Schwelle zur Regierungs-
bank. Vor zwei Jahren war sie noch eine exotische
politische Sekte. Zeit also für einen Besuch.
Jischai Fleischer ist ein quecksilbriger Ge-
sprächspartner – er weiß, dass er seinen Besucher
über die Absichten von Otzma Jehudit beruhigen
muss, aber er genießt auch die Provokation. »Spü-
ren Sie das Klima der Unterdrückung?«, fragt er
in ironischer Anspielung auf das hier herrschende
Besatzungsregime. Was sagt er zum Vorwurf des
Araberhasses gegen seine Partei? Es gehe, so Flei-
scher, nicht um Araber, sondern um Dschiha-
disten, um Leute, die Terror ausüben oder propa-
gieren: »Araber sind selbst die ersten Opfer des
Dschihadismus.« Fleischers Partei will die Sicher-
heitskräfte von lästigen rechtsstaatlichen Ein-
schränkungen befreien: »Die Armee wird von
Gesetzen behindert, die ihr Handschellen anlegen.
Junge Soldaten haben Angst, auf die Bösewichte
zu schießen. Wir verlieren unsere Abschreckungs-
kraft.« Sicherheit ist das Thema, mit dem die ra-
dikale Rechte bis in die Mitte der israelischen
Gesellschaft hinein Gehör findet: Ständig finden
in diesen Wahlkampfwochen Zusammenstöße
zwischen der Armee und palästinensischen Mi-
litanten im Westjordanland statt.
Während wir reden, kommt ein Siedler in der
schwarzen Kleidung der Ultraorthodoxen vorbei,
der sich mit seinem Vornamen Reuven vorstellt.
Fleischer erzählt, Reuvens Leute seien von Sied-
lungsgegnern angegriffen worden, sie fühlten sich
von der Armee nicht genügend geschützt. Er ruft
Reuven zu: Was will er wählen? Reuven: Ihm
könne dieser Staat gestohlen bleiben, er wolle von
keiner Partei mehr etwas wissen – »in dem Augen-
blick, in dem sie in die Knesset kommen, ver-
wandeln sie sich in Linke«. Fleischer: »Aber wenn
es nur fünf Prozent besser wird?« Wäre das nicht
ein Grund, es mit Otzma Jehudit zu versuchen?
Wahrscheinlich sagt Fleischer das so sehr zum
Reporter wie zu Reuven. Seht her, lautet die Bot-
schaft, wir angeblichen Rechtsextremisten sind in
Wahrheit Pragmatiker, mit fünf Prozent Wandel
sind wir schon zufrieden. Am Abend kommt ein
Anruf von Fleischer, eine Siegesmeldung: Reuven
wird doch Otzma Jehudit wählen.
Ein Tag später in Jerusalem, in einem Abge-
ordnetenbüro in der Knesset. Amir Ohana glaubt
den Mäßigungsbeteuerungen von Leuten wie
Jischai Fleischer – oder redet wenigstens so, als
würde er ihnen glauben. Ohana, 46, ein stattlicher
Mann mit kahl geschorenem Kopf, ist ein füh-
render Politiker der Likud-Partei von Netanjahu,
der traditionellen konservativen Kraft in Israel.
Seinem Büro ist sofort anzusehen, dass man es
mit einem Patrioten und Law-and-Order-Ver-
POLITIK 9
Torten der Wahrheit
VON KATJA BERLIN
Wer in Deutschland oft aufs Thema Was wir gegen Lebensmittel-
Landwirtschaft zu sprechen kommt verschwendung unternehmen
Landwirte Klimaaktivistinnen Gezielt einkaufen
Fünfjährige Lebensmittel auch nach Ablauf des
Mindesthaltbarkeitsdatums verzehren
Die Reste in Tupperdosen füllen und für
immer in der Tiefkühltruhe vergessen
Was Frauen fehlt, um sich vor Wer findet, dass sich ohne Quoten
Altersarmut zu schützen die Kompetentesten durchsetzen
Ganztagsschulen Kitaplätze Die Kompetentesten
Flexible Arbeitsbedingungen Die, die sich durchgesetzt haben
Der Wille, einen gut bezahlten Job auszuüben
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treter zu tun hat: Hinter dem Rücken des Abge-
ordneten sind gleich mehrere Fahnen aufgestellt,
an der Wand hängt ein Foto, das Ohana bei einem
Besuch in der Zentrale der CIA zeigt, und auf
dem Schreibtisch steht eine Plastikpistole, ein
Geschenk des früheren Chefs der Abteilung für
Schusswaffenlizenzen im Ministerium für öffent-
liche Sicherheit. Ohana hat zwölf Jahre in der
Armee und im Inlandsgeheimdienst gedient, ist
dann Anwalt und schließlich Politiker geworden.
Unter Netanjahu war er Justiz- und Sicherheits-
minister. Noch vor seinen Regierungsämtern
erwähnt Ohana allerdings etwas anderes: dass er
in seiner Partei eine LGBT-Gruppe gegründet hat.
Der Likud sei national, aber auch liberal: »Wir
wollen, dass sich der Staat so wenig wie möglich
in das Leben der Menschen einmischt.«
Doch wie passt diese moderne Liberalität zur
geplanten Koalition mit den Religiösen Zionis-
ten, die mit der Bibel die Siedler-Ansprüche auf
das Westjordanland rechtfertigen? »Ich mag«, sagt
Ohana, »nicht das religiöseste Mitglied der
Knesset sein, da ich mit meinem Partner und zwei
Kindern in Tel Aviv lebe. Aber ich habe enormen
Respekt für die Traditionen unseres Volkes.« Was
Itamar Ben-Gvir betrifft, den Chef von Otzma
Jehudit mit seiner Geschichte als Araberhasser,
so wischt Ohana alle Kritik beiläufig zur Seite:
»Er hat als junger Mann ein paar Fehler gemacht,
er tut alles, um sie zu korrigieren.« Nicht das
leiseste Signal, dass am Bündnis mit den Ultra-
rechten etwas fragwürdig sein könnte. Vogel checkt:
Rechts und links, erläutert Amir Ohana,
sortierten sich in Israel anders als in den meisten
Pakete 24/7 senden und empfangen?
anderen Ländern: Es gehe nicht so sehr um Wirt-
schaftsthemen (»Markt oder Staat?«) oder um „Also: Mit meiner Post & DHL App und den Packstationen geht das. Bei bald
das Gesellschaftsbild (»traditionelle oder progres- 15.000 ist sicher auch eine bei euch um die Ecke – Tag und Nacht geöffnet.
sive Werte?«), sondern um das Verhältnis zu den Praktischer gehts nicht.“
Arabern, besonders zu den Palästinensern:
LÄUFT.
Rechts sein heißt hier, einen harten Kurs in Si-
cherheitsfragen zu vertreten. Das ist es letztlich,
was den schwulen Großstadtbürger Ohana mit
den Religiösen Zionisten zusammenführt.
Trotzdem ist die Offensive der Rechten in Is-
rael keine rein israelische Angelegenheit. Sie ist
Teil einer weltweiten Geschichte. Likud und die
Religiösen Zionisten wollen etwa die Macht der
Justiz beschneiden. Das hat einerseits eine sehr
spezielle, lokale Pointe: Es könnte dem wegen Selber checken auf: VogelCheckt.de
Korruption angeklagten Netanjahu nützen. Zu-
gleich aber steckt darin etwas Größeres – nämlich
dieselbe Feindschaft gegen vermeintlich elitäre,
abgehobene, volksferne Institutionen wie Justiz,
Medien und Universitäten, die auch Donald
Trump und die europäischen Rechtsparteien
pflegen. Sie alle finden, dass etwas fester zuge-
schlagen, ein bisschen stärker geglaubt und die
Fahne viel höher gehisst werden sollte. Die israe-
lische Rechte gehört zur Internationale der Na-
tionalisten, sie ist Teil der großen nationalpopu-
listischen Welle, die gegenwärtig um den Erdball
schwappt. Und darum sitzt Jischai Fleischer zwar
in Efrat. Fühlt sich aber auch in Texas vollkom-
men verstanden.
10 POLITIK 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

Verrottende Pracht
D
G April, Juli noch wie frisch gepflückt im Supermarkt Ware aus Chile oder Neuseeland wartet. Für Entscheidung, so wie er selbst es auch gewesen sei.
a liegen sie nun, auf der liegen können. Und dafür braucht er Energie. Schliecker bedeutet das: noch mehr Preisdruck. Nicht allzu viele hier führen die Linie ihrer Vor-
Erde. Äpfel der Sorte Ho- In seiner Halle führt Claus Schliecker zu einer Seine eigenen Saisonarbeiter aus Osteuropa, die fahren fort. Strukturwandel, dieses hässliche Wort
neycrisp, grün-rosa bis mannshohen Maschine, die vor der Tür eines La- ihm teils schon seit vielen Jahren bei der Ernte schlägt auch im Alten Land zu. In den vergangenen
rötlich die Schale, blass- gerraums laut vor sich hin dröhnt. »Genau wie wir
Die deutschen helfen, bekommen seit dem 1. Oktober zwölf Euro 20 Jahren sank die Zahl der Obstbaubetriebe laut
gelb das Fruchtfleisch.
Prachtäpfel eigentlich. Der
Menschen veratmen Äpfel Sauerstoff, und genau
wie wir atmen sie Kohlendioxid aus!«, ruft Schlie-
Apfelbauern hatten eine Mindestlohn. »Ich will die ja vernünftig bezahlen«,
sagt er. »Aber mit Blick auf die Apfelernte heißt
Landvolk von 1500 auf 540.
Schliecker sagt: »Es wird uns einfach immer
Honeycrisp gilt als beson- cker gegen das Dröhnen an. Im Laufe der Zeit altern gute Saison – doch das für mich eben auch: Mit jedem Kilo Äpfel, das schwerer gemacht.« Nicht nur die Weltmarkt-
ders knackig, saftig und süß. Aber diese Exem- dabei Menschen ebenso wie Äpfel, doch bei Letz- gepflückt wird, verbrenne ich zusätzlich Geld.« konkurrenz belastet Bauern wie ihn, sondern
plare wird wohl kein Mensch mehr essen. Nach teren lässt der Verfall sich stoppen. Schlieckers Ma- wegen der Energiekrise Also tat Schliecker das, was seines Wissens die auch die wachsende Kritik an der konventionel-
Lage der Dinge verrotten sie einfach.
Claus Schliecker hat es vor diesem Anblick
schine ist dazu da, dem Lagerraum Sauerstoff zu
entziehen. Effekt für die Äpfel: kein Runzeln, kein
geben viele einen meisten seiner Kollegen im Alten Land in diesen
Wochen ebenfalls taten: Gegen Ende der Erntezeit
len oder »integrierten« Landwirtschaft, wie
Schliecker sie nennt. Ökologisch wirtschaftet in
wochenlang gegraust. Jetzt sieht er ihn jeden Tag. Schrumpeln. (Für Menschen leider nicht zu emp- Teil ihrer Ernte auf ließ er die letzten, oft schön gewachsenen Früchte Deutschland nur jeder zehnte Bauer, der große
Hinter Schlieckers Hof im Alten Land stehen fehlen, auf der Lagertür klebt ein Totenkopfsym- einfach hängen oder bestenfalls abschütteln, damit Rest verwendet Pestizide, auch Schliecker. Wis-
seine Apfelbäume zurechtgestutzt Spalier, in bol.) Zusätzlich ruhen die Äpfel kühl, bei maximal VON MERLIND THEILE sie den Bäumen nicht noch Nährstoffe entziehen. senschaftliche Untersuchungen legen nahe, dass
schnurgeraden Reihen auf zwei Kilometer Län- drei Grad, bis in den nächsten Sommer hinein. All 20 bis 30 Tonnen Äpfel gab er dem Verderben chemische Ackergifte einer der Hauptverursa-
ge. Unter etlichen Bäumen bedecken die Früchte dieser Energieaufwand beschere ihm aktuell Strom- preis, schätzt er, je nach Sorte bis zu zehn Prozent cher des allgemeinen Insektenschwunds sind.
den Boden, Tausende Äpfel, teils schon bräun- kosten von 30.000 Euro im Jahr, sagt Schliecker. seiner Ernte. Die drastische Maßnahme soll letzt- Die EU will den Pestizideinsatz bis 2030 um die
lich und zermatscht. »Diesen Anblick«, Hälfte drosseln. Schliecker hält das für fa-
sagt der Obstbauer, »den muss man erst tal. Er wehrt sich gegen das Zerrbild des
mal ertragen können.« Dabei hat Schlie- Giftspritzers, der die Natur zerstört.
cker am Ende selbst entschieden, diesen »Ich zeig Ihnen mal was.« Wir steigen
Teil seiner Ernte aufzugeben. in einen weißen Lieferwagen und fahren
Etwas stimmt nicht mehr mit dem Apfel. die Apfelbaumreihen entlang, bis wir in-
Eigentlich ist er der Deutschen liebstes Obst, mitten der Plantage einen Wasserspeicher-
ein Kulturgut der Menschheit geradezu. teich erreichen. »Den haben wir mit Bera-
Schon Adam und Eva hatten bekanntlich tung vom Nabu angelegt. Da siedeln Li-
mit ihm zu tun. Der Apfel durchzieht Mär- bellen, Wasservögel, alle möglichen Ar-
chen und Sagen, prangt auf Gemälden, steht ten«, erzählt Schliecker. Intensive Land-
für Erkenntnis, Verführung und Macht. wirtschaft und Naturschutz – für ihn kein
Vielleicht wird er deshalb so gerne verspeist. Widerspruch. Selbst das umstrittene Gly-
Die Deutschen aßen (und tranken) im phosat passt für ihn in dieses Bild, weil er
Schnitt pro Kopf zuletzt zwei bis drei Äpfel es »nur sehr gezielt« gegen Beikräuter ein-
die Woche, im Jahr über 24 Kilogramm, das setze. Ökobauern, die komplett darauf
ist der Spitzenplatz in Europa. Eine Million verzichten, müssten ihre Obstbaumreihen
Tonnen ernten deutsche Apfelbauern jähr- wesentlich häufiger von ungewünschtem
lich, viele davon am Bodensee. Das größte Bewuchs befreien, und zwar mechanisch,
zusammenhängende Apfelgebiet aber ist das mit Hackgeräten. »Aufs Jahr gesehen
Alte Land, die Obstregion südlich von Ham- brauchen die dafür pro Hektar zehnmal so
burg. Fast jeder dritte deutsche Apfel stammt viel Diesel wie ich«, rechnet Schliecker
dorther, produziert von Bauern wie Claus vor. »Ist das dann besser für die Umwelt?«
Schliecker. Doch die Deutschen verzehren Jede Anbauweise hat ihre Vorteile, das ist
noch viel mehr Äpfel, als die heimischen seine Botschaft. Den Hauptkonflikt der
Bäume hergeben. Der sogenannte Selbstver- Branche sieht er nicht zwischen Ökos und
sorgungsgrad mit Äpfeln liegt in Deutsch- Konventionellen. »Es geht darum, dass wir
land nur bei knapp 50 Prozent; entspre- regional produzieren und auch konsumie-
chend viel wird aus dem Ausland zugekauft. ren.« Tatsächlich belegt eine Studie des Ifeu-
Wenn aber hierzulande gar nicht genug Instituts, dass der CO₂-Fußabdruck eines
Äpfel reifen für den Appetit der Deut- Apfels, der in Deutschland angebaut und
schen – wie kann es dann sein, dass hiesige gekauft wurde, selbst nach sechs Monaten
Fotos: Dennis Williamson für DIE ZEIT

Bauern ihr kostbares Gut absichtlich ver- Lagerung nur halb so groß ist wie der eines
gammeln lassen? Die Antwort führt zu Apfels, der aus Neuseeland hierherkommt.
den Zwangslagen deutscher Landwirte. Trotzdem ist die Ware aus Übersee im Su-
Sie hat mit Preisen, Pestiziden und Putin permarkt oft günstiger zu haben. Schlecht
zu tun, kurzum: mit Politik. für Bauern wie Schliecker. Er hofft, dass die
Im Alten Land geht dieser Tage die sechs- Kundschaft wieder mehr zu deutschen Äp-
wöchige Apfelernte zu Ende. Auch Claus feln greift. Im Moment sieht es nicht so gut
Schliecker aus der Gemeinde Guderhand- aus: Hohe Inflation und gestiegene Preise
viertel hat seine Äpfel bereits eingefahren. lassen die Deutschen beim Lebensmittelein-
Auf seinen 26 Hektar baut er neben dem kauf sparen; besonders Obst und Gemüse
Honeycrisp sechs weitere Sorten an. In der werden verschmäht.
Halle auf seinem Obsthof stapeln sich vergangenen Sein Vertrag laufe nur noch bis Dezember. Über lich seinen Betrieb schützen. »Wenn ich Kredite Bleibt zum Schluss natürlich die Frage: Wa-
Donnerstag Kisten voll feinsaurem Jonagold, wür- Kollegen weiß er von Neuverträgen, bei denen sich aufnehmen müsste, um laufende Kosten zu de- rum lässt Schliecker seine Äpfel lieber verrotten,
zigem Wellant, blutrotem Topaz. Aromen von altem die Strompreise fast verfünffacht hätten. cken«, sagt Schliecker, »dann wär das wirklich der als sie zu verschenken? An Bedürftige spende er
Holz und Apfel durchziehen die kühle Luft. Für Schliecker ist es also eine Sache des Rech- Anfang vom Ende.« sie gerne, sagt der Obstbauer. Etwa über die Ta-
»Eigentlich war’s eine gute Saison für unsere nens: Je mehr Äpfel er einlagert, desto mehr zahlt Es gab eine Zeit, da häuften die Bauern im Alten feln, die Lebensmittel gratis verteilen. »Wer sich
Apfelbauern«, sagt Schliecker. Er ist auch Funk- er für Strom. Genau wie die Dieselpreise für sei- Land wahre Reichtümer an. Die prunkvollen, ein Nahrungsmittel nicht mehr leisten kann, der
tionär, im Vorstand des Landvolks Niedersachsen ne Gerätschaften sind auch die Stromkosten reetgedeckten Fachwerkhöfe zeugen davon, sie wird von uns mit Sicherheit nicht abgewiesen«,
vertritt er die Obstbauern. Schon im Spätsommer massiv gestiegen in Folge des Kriegs, den Wladi- kamen auf im 19. Jahrhundert und säumen viele sagt er. »Aber das Problem ist, dass wir die re-
sagte Schliecker seiner Region eine »super Ernte« mir Putins Armee gegen die Ukraine führt. Und Straßen der Obstregion bis heute. Auch das Stamm- gionale Produktion erhalten wollen. Und das
voraus. Das Jahr 2022 brachte dem Alten Land der Krieg hat noch weitere Auswirkungen auf haus der Familie Schliecker entstand in dieser Ära, geht nur, wenn die Familien davon leben kön-
reichlich Sonne, aber nicht so viel wie anderen Landwirte wie Schliecker. im Giebel steht die Jahreszahl 1822. Den Betrieb nen.« Äpfel an jedermann zu verschenken wäre
Teilen Deutschlands, wo etliche Äpfel Sonnenbrand Polnische Obstbauern ernten viermal so viele selbst gab es da schon fast 80 Jahre. »Wenn man da das falsche Signal, glaubt Schliecker.
bekamen oder hitzebedingt klein blieben. Mit Äpfel wie ihre deutschen Kollegen, zu deutlich 20 bis 30 Tonnen Äpfel lasse hier im Frühjahr Erde in die Hand nimmt und Er tröstet sich damit, dass seine abgefallenen
Wasser ist das Alte Land ebenfalls gut versorgt, dank niedrigeren Kosten, denn der Mindestlohn liegt er verfaulen, schätzt daran riecht, denkt man fast ehrfürchtig daran, wie Äpfel im Kreislauf verbleiben. Sie werden ein Fest-
der nahe gelegenen Elbe. Volle Lagerhallen also, in Polen unter vier Euro. Ein Großteil der pol- der Landwirt Claus Schliecker viele Generationen hiervon schon ihren Lebens- mahl sein für Vögel und Insekten. Die Reste werden
doch das ist nun auch schon Teil des Problems. nischen Ware ging lange nach Russland, doch aus dem Alten Land unterhalt erwirtschaftet haben«, sagt Schliecker. Er zersetzt im Boden aufgehen, Nährstoffe für den
Ein deutscher Apfelbauer kippt nicht seine kom- seit dem Krieg hat die EU diesen Handel ge- ist jetzt 53 Jahre alt. Natürlich würde er sich wün- Baum. Und im Frühling werden an seinen Ästen
plette Ernte im Oktober auf den Markt; er lagert stoppt. Nun drängen preiswerte Äpfel aus Polen schen, dass seine beiden Söhne den Betrieb eines wieder Blüten treiben, aus denen neue Äpfel reifen,
die meisten Äpfel ein, sodass sie auch im Februar, auf den deutschen Markt, wo außerdem günstige Tages übernehmen, doch sie sollen frei sein in ihrer so wie es immer schon geschah.

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DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022 POLITIK 11

Nicht
sicher
Droht eine neue Welle

Fotos: Martin Pauer für ZEIT ONLINE

von Anschlägen
auf Unterkünfte für
Flüchtlinge?
VON MONA BERNER, TOM KROLL
UND AUGUST MODERSOHN
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Tatort Die ausgebrannte Flüchtlingsunterkunft

E
G S
s war nicht das erste Mal: »Nicht schon
wieder«, habe er gedacht, als am ver-
gangenen Mittwoch um 21.11 Uhr der
Feueralarm losging, erzählt Andrej Bon-
dartschuk. Schon öfter gab es hier in
der Asylunterkunft im mecklenburgischen Groß
Strömkendorf Fehlalarm. Bondartschuk, der Leiter
der Unterkunft, rannte trotzdem los. Seine Mitar-
beiter kümmerten sich darum, die 14 Bewohner,
alle ukrainische Geflüchtete, nach draußen zu brin-
gen. Was schnell ging, zum Glück. Denn dieses Mal
war es kein Fehlalarm. Das Reetdach brannte.
Das, was von der Asylunterkunft übrig geblieben
ist, war in jeder Nachrichtensendung zu sehen: eine
Ruine. Die Giebel ragen verkohlt in die Luft, die
Wände sind voller Ruß. Als Bondartschuk der ZEIT
am vergangenen Samstag den Tatort zeigt, qualmen
noch immer die Reste des Reetdachs. Er habe zu-
nächst versucht, den Brand mit einem Feuerlöscher
zu ersticken, erzählt er. Vergebens. Auch die Feuer-
wehr konnte nichts gegen die Flammen ausrichten.
Schon nach wenigen Stunden reisten Spitzenpoli-
tikerinnen aus Schwerin und Berlin an. Ministerprä-
sidentin Manuela Schwesig (SPD) kam, genauso wie
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und
Reem Alabali-Radovan (SPD), die Integrationsbeauf-
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tragte der Bundesregierung. Sie verglich den Vorfall
mit den rechtsextremen Anschlägen von Lichtenha-
gen, Mölln und Solingen.
Anschläge auf Asylunterkünfte, bei denen nur
durch Glück niemand verletzt wird, erinnern auch
an die Jahre nach der Flüchtlingskrise 2015 – als es
nicht nur viel Hilfsbereitschaft gab, sondern auch
eine Radikalisierung. Allein 2016 gab es 179 Ge-
waltdelikte gegen Asylunterkünfte, davon 78
Brandstiftungen. Inzwischen befürchten die Sicher-
heitsbehörden, dass so etwas wieder geschehen
könnte. Im Sommer gab es in Leipzig Brand-
anschläge auf eine Gemeinschaftsunterkunft und
auf eine Kita, in der vor allem ukrainische Kinder
betreut wurden. Im thüringischen Eichsfeld zog der
Landkreis Anfang der Woche den Plan zurück, eine
Halle für Asylsuchende bereitzustellen. Es habe
Drohungen im Internet gegeben, sagte der Landrat
dem MDR.
Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe hat
die Polizei keine Angaben dazu gemacht, wer als
Täter in Groß Strömkendorf infrage kommt. Man
gehe von Brandstiftung aus, heißt es nur. Recher-
chen der ZEIT zufolge fand man in dem Reetdach
zwei Getränkedosen, die möglicherweise mit Brand-
beschleuniger gefüllt gewesen waren. Sie lagen of-
fenbar genau an der Stelle, an der das Feuer aus-
brach. Die Polizei wollte sich dazu nicht äußern.
Wenige Tage vor dem Brand war ein Hakenkreuz
an die Tafel vor der Unterkunft geschmiert worden.
Die Ukrainer, die dort wohnten, sind inzwischen
in Wohnungen in der Umgebung gezogen. Unter
ihnen ist ein Mann um die 50, ein Landwirt aus
Cherson, der seinen Namen aus Vorsicht nicht nen-
nen mag. »Wir dachten, in Deutschland ist es si-
cher«, erzählt er. Eigentlich sei die Stimmung im
Dorf sehr freundlich gewesen, sehr hilfsbereit – das
erzählen auch Dorfbewohner und der Bürgermeis-
ter. »Aber jetzt machen wir uns Sorgen, dass uns je-
mand abbrennen könnte«, sagt der Landwirt.
Natürlich kommen Rechtsextreme als Täter in-
frage. Das als »Nazidorf« berüchtigte Jamel zum Bei-
spiel liegt nicht weit entfernt. Aber die Polizei ermittelt
wohl auch in andere Richtungen: Traf es nur zufällig
die Asylunterkunft, handelt es sich bei dem Täter
vielleicht um jemanden, der wahllos Feuer legt?
In der Region brennt es seit diesem Frühjahr
regelmäßig. Das bestätigt ein Feuerwehrmann, der
vor der Ruine der Asylunterkunft Brandwache
hält. Früher hätten sie hier nur Äste von der Straße
geholt, sagt er. Zwölf Einsätze pro Jahr seien die
Regel gewesen. Dieses Jahr sei man schon bei Ein-
satz Nummer 64. Seit März gehen Strohballen in
Flammen auf, Carports, auch ein leer stehendes
Reetdachhaus fing vor wenigen Wochen im Nach-
barort Feuer.
Andererseits: Wenn ein Haus zur Asylunterkunft
wird, spricht sich das in einem kleinen Ort schnell
herum. Wie soll ausgerechnet so ein Gebäude zufäl-
lig zum Tatort werden? Die aufgeklärten Fälle der
letzten Jahre zeigen, dass die Motive, eine Asylunter-
kunft anzugreifen, verschieden sind. Oft haben sie
etwas mit rechtsradikalen Einstellungen zu tun, auch
wenn die Täter nicht immer zu rechtsextremen
Kreisen zählen.
Im Februar 2015 brannte in Escheburg, Schles-
wig-Holstein, ein Haus, in das Flüchtlinge einzie-
hen sollten. Brandstifter war ein 39-jähriger Fi-
nanzbeamter aus der Nachbarschaft. Er erklärte vor
Gericht, er habe Angst gehabt, dass »die Idylle be-
einträchtigt« werde. Seit März 2016 kam es in
Döbeln immer wieder zu Bränden in einem Haus,
nachdem dort ein iranischer Geflüchteter eingezo-
gen war. An den Folgen eines Feuers starb eine
85-jährige Frau. Als Täterin wurde später eine
70-jährige Nachbarin verurteilt, die nicht in einem
Haus mit einem Iraner wohnen wollte. Im Okto-
ber 2016 flogen Molotowcocktails auf eine Unter-
kunft in Jüterbog. Es wurden ein rechtsradikaler
Vater, sein Sohn und ein weiterer junger Mann
verurteilt. Zwar blieben viele andere Fälle unge-
klärt. Und doch haben aus Sicht der Polizei die
Verurteilungen dazu geführt, dass die Zahl der An-
schläge zurückging. Reem Alabali-Radovan, die
Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, sagt
heute: »Es ist enorm wichtig, dass die Tat jetzt
schnell und umfassend aufgeklärt wird und der
oder die Täter gefasst werden.«
2015 hatte Alabali-Radovan selbst in einer
Asylunterkunft gearbeitet, in Mecklenburg-Vor-
pommern, dem Bundesland, in dem sie aufge-
wachsen ist. Heute nehme sie hier eine große
Hilfsbereitschaft wahr: »Die Stimmung im Ort
selbst bildet nicht den Nährboden dieser schreck-
lichen Tat«, sagt sie, nachdem sie Groß Strömken-
dorf besucht hat. Sie habe eine erschütterte Dorf-
gemeinschaft erlebt. Grundsätzlich begegne ihr
derzeit kaum Hass auf Geflüchtete. Es bereite ihr
allerdings große Sorgen, wenn sie sehe, wie bei De-
monstrationen Angst vor Geflüchteten geschürt
werde. »Wir merken gerade erneut, wie die rechts-
extreme Szene die Sorgen der Menschen instru-
mentalisiert. Das ist enorm gefährlich«, sagt sie.
Das Innenministerium von Mecklenburg-Vor-
pommern hat inzwischen verfügt, dass die Asylunter-
künfte des Landes stärker geschützt werden. Nun
fahren Polizisten häufiger an den Häusern vorbei. In
der Hoffnung, dass das mehr Sicherheit bringt.
 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

12 STREIT
Hat MeToo etwas gebracht?
Mit einem Artikel über Sexismus-Erfahrungen löste die Journalistin Laura Himmelreich vor fast zehn Jahren einen Aufschrei aus. Im Rückblick sieht sie
das als Wendepunkt zum Besseren. Die Autorin Mirna Funk ist weniger überzeugt: Die Debatte verdecke die Ursachen weiblicher Benachteiligung

Laura Himmelreich, 39, ist
Vize-Chefredakteurin
der Funke-Zentralredaktion.
Zuvor war sie Chefin
von »Vice« und Reporterin
beim »stern«
bar! Ich frage mich zudem heute, ob es wirklich
stimmt, dass Frauen gelernt haben, sich zu
wehren. Viele veranstalten auch heute häufig
nichts anderes als Empörung. So wie Sie damals
in Ihrem Text auch.
ZEIT: Warum, glauben Sie, ist das so?
Funk: Weil Empörung erfolgreich ist. Frauen
haben in den vergangenen zehn Jahren leider
gelernt, dass sie nur dann gehört werden, wenn
die Empörung besonders laut ist. Wenn sie als
von Männern respektlos behandeltes Subjekt
auftreten.
Himmelreich: Ich glaube nicht, Frau Funk,
dass es primär die Aufgabe der Frauen ist, zu
lernen, wie man sich bestmöglich wehrt. Es ist
die Aufgabe der Männer, sich so respektvoll
zu verhalten, dass sich niemand gegen sie
wehren muss. Der Veränderungsdruck liegt
also immer noch eindeutig auf Männerseite.
Funk: Für mich ist das kein realistisches Men-
schenbild, von dem diese Erwartung ausgeht.
Ich glaube einfach nicht, dass mein Gegenüber
mich nie verletzen, nie zu weit gehen wird. Die
Aufgabe des autonomen Menschen besteht
darin, die eigenen Grenzen abzustecken, ganz
individuell. Denn was für Sie zu viel ist, ist es
für eine andere Frau vielleicht nicht. Mich zum
Beispiel stört es überhaupt nicht, wenn Männer
mir auf der Straße hinterherpfeifen.
Himmelreich: Der Fokus der Debatte muss
darauf liegen, wie wir mit den Männern um-
gehen, die aus ihrer Übergriffigkeit nichts ler-
nen wollen. Kaum einer der prominenten Fälle
hat sich für sein Verhalten entschuldigt oder
hinterher auch nur Empathie gezeigt. Wir wis-
sen aus Studien zu Folgen von MeToo für das
Verhalten von Männern und Frauen am
Arbeitsplatz, dass Männern und Frauen sehr
bewusst ist, wo ein harmloser Flirt endet und
wo missbräuchliches Verhalten beginnt. Aber ja:
Grenzen, was als angenehm und was als über-
griffig empfunden wird, können variieren.
Funk: Die von Ihnen genannte Studie beweist
Funk: Ich nicht. Ich sehe, dass viele Männer,
die sich als reflektiert und progressiv verste-
hen, jetzt verunsichert sind: Wann wird ein
Kompliment oder ein Flirt als Machtgebaren,
gar als Missbrauch gewertet? Diese Irritation,
klar, ist so lange in Ordnung, wie sie zur
Selbsthinterfragung dient. Aber wenn sie
dazu führt, dass Männer im Arbeitskontext
und im Alltag Angst davor haben, mit einer
Frau allein im Raum zu sein, wird sie zum
Problem. Erst recht dann, wenn Chefs sagen,
sie stellen lieber keine jungen Frauen ein, weil
sie Angst haben, dann zum nächsten MeToo-
Fall zu werden.
ZEIT: Frau Funk, in Ihrem Buch Who Cares!
sagen Sie, der MeToo-Feminismus habe auch
den Blick auf die eigentlichen Ursachen von
Ungleichbehandlung verstellt. Dazu gehöre vor
allem die wirtschaftliche Abhängigkeit vieler
Frauen von Männern.
Funk: So ist es. Eine finanziell unabhängige
Frau agiert aus einer völlig anderen Position
heraus. Das verändert nicht nur die Bezie-
hung zum Partner, sondern auch die Bezie-
hung zu anderen Männern. Es muss doch
darum gehen, echte Hemmnisse zu beseiti-
gen, die der Emanzipation im Wege stehen,
etwa die geringe Vollerwerbsquote unter den
Frauen dieses Landes.
ZEIT: Ist es Zufall, dass Ihnen als ostdeutscher
Frau diese wirtschaftliche Ungleichheit beson-
ders gegen den Strich geht?
Funk: Natürlich nicht! Im Wendejahr 1989
waren 91 Prozent aller Frauen in Ostdeutsch-
land erwerbstätig. In Westdeutschland waren es
gerade einmal die Hälfte und ein Großteil von
ihnen in Teilzeit. Ich habe gelernt, dass es keine
Augenhöhe zwischen Männern und Frauen
ohne finanzielle Unabhängigkeit gibt.
Himmelreich: Das ist sicher richtig. Aber wenn
Frauen Unrecht geschieht, ob durch Diskrimi-
nierung durch Männer in der Arbeitswelt oder
durch männliche Gewalt, dann muss das klar
Funk: Das ist nicht der einzige Weg, klar. Aber
kommt man wirklich weiter, wenn man Män-
ner im Internet an den Pranger stellt und so
eine Mobkultur schafft? Es gibt ja leider eine
Renaissance des Kollektivs. Es bilden sich
Gruppen, die wie bei MeToo über Ähnlichkei-
ten zusammenfinden und einen äußeren Feind
ausmachen. Das Individuum emanzipiert sich
nicht, sondern es geht in der Gruppe auf. Sol-
che Kollektive entwickeln erst mal eine große
Kraft, Veränderungen auszulösen ...
Himmelreich: Was ist denn daran verkehrt?
Funk: Das Problem ist, dass diese Kollektive
sich irgendwann genauso machtobsessiv ver-
halten wie diejenigen, denen sie die Macht ent-
winden wollten. Im Fall von MeToo ist daraus
das Diktat zum Opfersein geworden. Wir sind
nicht frei, weil der Mann ... Wollen wir dem
Mann wirklich diese Macht über uns zugeste-
hen? Ich möchte das nicht. Ich halte die indivi-
duelle Auseinandersetzung für besser, notfalls
mit strafrechtlichen Mitteln. Man könnte zum
Beispiel konkret überlegen, ob so etwas, was
Brüderle damals gesagt hat, strafrechtlich ver-
folgbar sein sollte. Ansonsten gilt plötzlich alles
Mögliche als »Gewalt« und »Missbrauch«. Be-
griffe werden entgrenzt – und politisch ändert
sich kaum etwas.
Himmelreich: Richtig ist: Wir sind lange nicht
am Ziel. Aber in Deutschland hat sich immer-
hin auch etwas getan. Vor sechs Jahren wurde
das Sexualstrafrecht geändert. Seitdem gilt
»Nein heißt Nein«, also jede sexuelle Handlung,
die gegen den Willen des Opfers erfolgt, ist
strafbar, auch ohne Gewalt. Wir sehen seitdem,
dass mehr Opfer Taten anzeigen. Ich finde auch
spannend, was gerade in Spanien passiert. Die
Regierung dort versucht durchgehend feminis-
tische Politik zu machen, vom Arbeitsrecht bis
zum Sexualstrafrecht. Wir sollten da genau
hingucken, ob wir etwas lernen können. Was
mir sofort einfiele, wäre natürlich die Abschaf-
fung des Ehegattensplittings, das für Frauen den

»Es gibt viele Männer,

doch aber offenbar, dass Männer genau wissen, benannt werden. Frauen müssen immer noch Anreiz setzt, sich mit weniger Gehalt zufrieden-
wie weit sie gehen dürfen. Anstatt zu sagen, mehr Kraft aufbringen, um das Gleiche zu zugeben als ihre Männer.
Männer überschreiten ständig Grenzen, könnte erreichen wie Männer. Für dieses Unrecht gibt Funk: Oh, sehr einverstanden! Da haben wir
man ja auch finden: Es gibt offenbar Situatio- es auch strukturelle Gründe – und gegen die was, für das wir gemeinsam kämpfen können.

die feinfühliger geworden sind«
DIE ZEIT: Frau Himmelreich, vor fast zehn
Jahren haben Sie in einem berühmt geworde-
nen stern-Artikel den damaligen FDP-Spitzen-
kandidaten Rainer Brüderle des Sexismus
bezichtigt. Damit lösten Sie hierzulande die
#Aufschrei-Debatte aus. Hunderte Frauen
berichteten auf Twitter über sexuelle Belästi-
gungen. War Ihnen klar, dass Ihr Text so hohe
Wellen schlagen würde?
Laura Himmelreich: Überhaupt nicht. Damals
brodelte es zwar schon, weil es Berichte über
Sexismus in der Piratenpartei gab. Mein Artikel
hat der Debatte dann ein prominentes Gesicht
geliefert, das von Herrn Brüderle. Das Thema
bekam so eine breite Öffentlichkeit. Viele Frau-
en, die damals die Debatte losgetreten haben,
waren ungefähr 30 Jahre alt. In dieser Genera-
tion verband uns ein Gefühl: Wir dachten wäh-
rend des Studiums, in unseren privaten Bezie-
hungen, wir seien gleichberechtigt. Als wir in
der Arbeitswelt ankamen, wurden wir allerdings
nicht mit dem gleichen Respekt behandelt wie
unsere männlichen Kollegen. Ich habe damals
entschieden, das in mein Porträt über den Spit-
zenpolitiker Brüderle einzubauen – dass er sich
eben nicht professionell verhielt, sondern mein
Aussehen thematisierte, die Größe meiner
Brüste. Wir wurden Symbole einer Debatte, die
viel größer war als das Ereignis an sich.
ZEIT: Ein anderer FDP-Spitzenmann, Wolf-
gang Kubicki, hat gerade – eher schulterzu-
ckend – berichtet, er habe vor etwa 20 Jahren
die Parteikollegin Silvana Koch-Mehrin bei
einem Gespräch über ihre politische Karriere
geschrieben oder, im Fall von Kubicki, nicht
meinen Ehemann in ein öffentliches Café be-
stellt, damit der sich um die Sache kümmert.
Wir Frauen sind doch stark genug. Deshalb
hätte ich Brüderle auch klargemacht, dass ich es
unmöglich finde, wie er mit mir als studierter
Frau und Journalistin spricht. Ich hätte ihn auf-
gefordert, mich als ebenbürtige Gesprächspart-
nerin zu behandeln. Ich verstehe nicht, wie
man ein solches Verhalten zulassen kann. Zu-
mal Sie, Frau Himmelreich, ja sagen, Sie hätten
sich gleichberechtigt gefühlt. Warum haben Sie
sich das also bieten lassen?
Himmelreich: In der Begegnung mit Herrn
Brüderle war ich nicht Privatperson, sondern
Journalistin. Ich habe ihn darauf hingewiesen,
dass ich mir einen professionellen Umgang
wünschen würde. Ich sah meine Aufgabe aber
nicht darin, meinen Protagonisten zu erziehen,
sondern ihn zu schildern, wie ich ihn erlebe.
Heute denke ich allerdings, dass der Text besser
geworden wäre, wenn ich mit ihm länger über
sein Verhalten gesprochen hätte.
ZEIT: Welche Bilanz ziehen Sie heute, fast
zehn Jahre später?
Himmelreich: Aufschrei und MeToo waren
Wendepunkte. Frauen haben kollektiv ver-
sucht, den Umgang von Männern und Frauen
neu zu verhandeln. Das Bedürfnis danach war
riesig. Frauen wurde bewusster, dass sie das Pro-
blem nicht bei sich suchen müssen. Das Pro-
blem sind die Täter. Und Frauen haben das
Recht, sich zu wehren. Heute beschäftigen sich
deutlich mehr Arbeitsrechtler und Anwältinnen
nen, in denen es Frauen angenehm ist zu flirten
und in anderen nicht, weil sie, salopp gesagt,
den Typen nicht heiß genug finden.
muss man kämpfen. Zu sagen, jede Frau müsse
Gleichbehandlung für sich selbst erreichen, ist
einfach zu kurz gedacht.
Das Gespräch moderierten
Jochen Bittner und Jana Hensel
Himmelreich: Es wird nie ein für alle gültiges
Regelwerk zu der Frage geben, wie man res-
pektvoll und empathisch mit anderen umgeht.
Funk: Und genau deshalb muss man in jedem
Einzelfall sagen, das ist okay, das ist nicht okay!
Nichts anderes bedeutet doch Begegnung,
Beziehung. Diese Kommunikation können
Sie nicht an die Gesetzgebung auslagern.
Himmelreich: Aber Kommunikation kann
doch nicht bedeuten, dass Frauen sich ständig
wehren müssen. Männer müssen zuhören,
innehalten und nachfragen. Untersuchungen
zum »Catcalling«, also zu sexuell anzüglichem
Pfeifen oder Hinterherrufen, zeigen, dass
Frauen im Durchschnitt im Alter von 13 Jahren
erstmals solche Erfahrungen machen. Schön,
dass Sie so ein Verhalten nicht irritiert. Aber
von jungen Mädchen kann man doch nicht er-
warten, dass sie sich gegenüber erwachsenen
Männern zur Wehr setzen. Viele Frauen fühlen
sich durch Übergriffigkeit unsicher, haben
Angst und meiden zu bestimmten Uhrzeiten
bestimmte Gegenden.
Funk: Ich glaube schon ja auch, dass Kampa-
gnen wie MeToo wichtig waren. Sie haben das
Klima in der gesamten Gesellschaft verän-
dert – auch wenn es natürlich noch vorkommt,
dass Frauen auf der Straße sexuell belästigt
werden. Klar, das muss aufhören. Allerdings
dürfen wir nicht in eine Situation kommen, in
der unausgesprochene Regeln herrschen, die
vielleicht zwischen zwei Menschen gar nicht
gewollt sind. Ich beobachte jedenfalls, dass
Männer heute viel weniger flirten, als es vielen
Frauen lieb ist.
ZEIT: Finden Sie, Frau Himmelreich, auch, Mirna Funk, 41, ist
Schriftstellerin und Autorin
Fotos: Hannes Wiedemann für DIE ZEIT

»angebaggert«. Was haben Sie gedacht, als Sie
das gehört haben?
Himmelreich: Wolfgang Kubicki hat 2013 da-
für gesorgt, dass mich 600 FDP-Mitglieder
beim Parteitag ausbuhten, während ich meine
Arbeit auf der Pressetribüne zu machen ver-
suchte. Dass er beim Thema Sexismus nicht
Vorbild in Sachen Selbstreflexion ist, hat mich
also nicht überrascht.
ZEIT: Frau Funk, Sie sind ebenfalls Autorin,
können sich für den »Hashtag-Feminismus«,
wie Sie ihn nennen, aber nicht begeistern. Wie
hätten Sie damals auf die Sprüche von Herrn
Brüderle oder von Herrn Kubicki reagiert?
Mirna Funk: Ich hätte ihm sofort eine Ansage
gemacht und nicht Monate später einen Text
mit Sexismus. In Unternehmen sind Compli-
ance-Abteilungen entstanden. Meine Bilanz
bleibt aber gemischt: Denn wie viele berühmte
Männer in Deutschland können Sie nennen,
die wegen Belästigung oder Vergewaltigung ih-
ren Job verloren haben oder tief gefallen sind?
Ich nicht viele.
Funk: Ich fand #Aufschrei durchaus auch not-
wendig und wichtig. Der Gesellschaft wurde
bewusst, wie Männer durch Sexualisierung und
Objektivierung von Frauen in der Arbeitswelt
Dominanz zeigen und eine Hierarchie auf-
bauen. Allerdings haben auch viele Frauen
skandalisierend darüber berichtet, wann ihnen
schon mal jemand irgendwo auf den Hintern
geguckt hat. Das fand ich nicht nachvollzieh-
dass Männer heute weniger flirten? Gibt es
Kollateralschäden der Debatte? des Buchs »Who Cares!
Himmelreich: Nein, das finde ich nicht. Es gibt Von der Freiheit, Frau zu sein«.
sicher viele Männer, die feinfühliger geworden Für die »Cosmopolitan«
sind – und das ist gut so. Das Problem, das ich schreibt sie eine Sex-Kolumne
viel eher sehe, ist, dass es immer noch Männer
gibt, die die Debatte verfolgt haben und ihr
Verhalten trotzdem nicht ändern. Neulich er-
zählte mir eine Spitzenpolitikerin – ich will ih-
ren Namen hier nicht nennen –, sie höre noch
immer dieselben Sprüche wie früher. Das Ein-
zige, was sich geändert habe, sei, dass jetzt hin-
terher scheinbar scherzhaft gefragt werde, ob
»Männer flirten heute weniger,
als es vielen Frauen lieb ist«
das »jetzt schon MeToo war«. Ich bezweifle
übrigens auch, dass es die Figur des unsicheren
Mannes überhaupt gibt.
 »Eine Demokratie, in der
nicht gestritten wird, ist keine.«
DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022 HELMUT SCHMIDT 13

Fernseh-Boykott der WM in Katar?

Viele Fans freuen sich schon auf die Fußballweltmeisterschaft. Doch der Austragungsort ist
ein autoritärer Staat, in dem Menschenrechte wenig gelten. Sollte man aufs Zugucken verzichten?

JA. Es geht um Unrecht, das so leicht NEIN. Gegen Unterdrückung und

zu vermeiden wäre: Umschalten! Heuchelei hilft nur eins: Hinschauen!

Ich interessiere mich nicht besonders für Fuß-
ball. Es ist mir egal, ob Bayern oder Bremen
Meister wird oder der VfL Gummersbach. Sie
könnten also sagen: Ich habe keine Ahnung, wo-
von ich rede. Das ist einerseits korrekt, ander-
seits: Vielleicht habe ich dadurch einfach einen
neutralen Blick auf die Sache.
Die stellt sich nämlich so dar: Katar ist eine ab-
solute Monarchie, und die Scharia ist die Haupt-
quelle der Gesetzgebung dort. Die Stadien für die
Fußball-WM, die am 20. November beginnt, haben
Saudi-Arabien wäre also für Deutschland mit Es war ein Fehler, die Fußballweltmeisterschaft an sein. Anders ist ja kaum zu erklären, dass es vor der
volkswirtschaftlichen Kosten verbunden. Die Katar zu vergeben. Und viele Jahre lang hätte diese Fußball-WM 2018 in Russland, vier Jahre nach der
volkswirtschaftlichen Kosten eines Boykotts der Entscheidung noch rückgängig gemacht werden völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, keine
WM durch die Zuschauer wären wahrscheinlich können, insbesondere nachdem Menschenrechts- vergleichbare Boykott-Kampagne gab. Oder ist es
statistisch nicht einmal messbar. Ökonomisch be- organisationen und Journalistinnen und Journalis- vor allem die Wut über die Fifa, die seitdem gewach-
trachtet wäre ein solcher Boykott das, was man eine ten die ersten Belege für die Misshandlung von sen ist – und Katar eignet sich als Symbol für eine
low hanging fruit nennt: maximaler Ertrag bei Bauarbeitern auf Stadienbaustellen geliefert haben. aus dem Ruder gelaufene Kommerzialisierung des
minimalem Einsatz. Aber die Fifa, eine korrupte, kommerzgetriebene Fußballs besonders gut?
Denn es ist ja so: Für das Regime in Katar soll und gewissenlose Mistorganisation, hat das nie Es spricht jedenfalls alles dafür, seine Kritik
die WM eine gewaltige PR-Show werden, und je auch nur erwogen. Vielleicht weil dieser Weltfuß- vorzubringen – und parallel die WM-Berichterstat-
weniger Menschen die Spiele anschauen, desto ballverband von den Fans nicht genügend unter tung zu verfolgen. Weil es gerade bei diesem Turnier
Illustration: Giacomo Bagnara für DIE ZEIT; kl. Fotos: Phil Dera für DIE ZEIT; privat (r.); Urban Zintel für DIE ZEIT (u.)

Gastarbeiter gebaut, oft unter verheerenden Bedin-
gungen mit vielen Todesfällen, wie Berichte von
Menschenrechtsorganisationen zeigen. Damit die
Spiele nicht vor leeren Rängen stattfinden, müssen
Fans aus aller Welt in den Wüstenstaat eingeflogen
werden – Katar hat nämlich weniger Einwohner als
Mark Schieritz Berlin. Wenn das nicht verrückt ist, was dann?
arbeitet als Vize- Jetzt könnte man natürlich einwenden: Wir ver-
Politikchef im kaufen unsere Autos in China, beziehen unser Gas
Hauptstadtbüro aus Aserbaidschan und unser Öl aus Saudi-Arabien.
der ZEIT Die Welt ist nun einmal, wie sie ist. Wozu also die
Aufregung? Doch genauso gut könnte ein Massen-
mörder argumentieren: Ich habe schon drei Men-
schen umgebracht, da kommt es auf einen vierten
auch nicht an. Unrecht wird nicht dadurch besser,
dass es auf früheres Unrecht folgt. Es sammelt sich
an, wie Wasser in einer Regentonne.
Die richtige Frage lautet deshalb vielmehr: Wie
schaffen wir es, dass in der Welt, wie sie nun einmal
ist, möglichst wenig Wasser in die Tonne fließt?
Damit wird aus der Angelegenheit ein Optimie-
rungsproblem. Wenn die Chinesen unsere Autos
nicht mehr kaufen, dann verlieren Menschen in
Deutschland ihren Arbeitsplatz. Wenn kein Gas
mehr da ist, bleiben viele Wohnungen kalt. Ohne
Öl gibt es kein Benzin. Die Einstellung der Han-
delsbeziehungen zu China, Aserbaidschan oder
weniger geht das Kalkül auf. Eine Weltmeister- Druck gesetzt wurde, als es drauf ankam? wichtig sein wird, die Arbeit der Reporter kritisch
schaft ohne Fernsehpublikum in den zahlungs- Nun findet das Turnier in der Wüste statt. Und zu begleiten. Und zu beobachten, wie sich Sportler
kräftigen und fußballbegeisterten Märkten Eu- jetzt fordern Boykott-Befürworter, dass man es sich und Funktionäre in Katar positionieren.
ropas wäre zudem ein Signal an die internationa- nicht anschauen möge. Andersherum wird ein Fuß- In diesen Tagen versuchen die katarischen Be-
len Sportverbände. Die Verantwortlichen dort ballschuh draus: Ab sofort geht es darum, mit hörden, den Medien inakzeptable Bedingungen
würden beim nächsten Mal vielleicht noch ein- möglichst hellen Scheinwerfern die Schmuddel- aufzuerlegen. Einem Bericht des Guardian zu-
mal nachdenken, bevor sie sich für einen poli- ecken Katars zu beleuchten – und das Versagen der folge soll zum Beispiel das Filmen von Gast- Yassin
tisch und ökologisch so unpassenden Austra- Fifa ganz genauso. Dabei hilft es wenig, den Fern- arbeiterunterkünften verboten sein. Ebenfalls Musharbash
gungsort wie Katar entscheiden. seher auszulassen. tabu: Regierungsgebäude, Universitäten, Einhei- ist Vize-Chef des
Und was das Argument angeht, weltweite Sport- Natürlich träfen niedrige Einschaltquoten die mische in ihren Wohnungen. Man kann nur Investigativ-
ereignisse stärkten liberale Kräfte in autoritären Fifa. Aber ein TV-Boykott fällt eher in die Katego- hoffen, dass sich die Pressevertreter nicht beugen. Ressorts der ZEIT
Ländern: Es hat noch nie gestimmt. Nach den rie beleidigte Leberwurst als in die des sinnvollen Dass sie Zensurversuche transparent machen,
Olympischen Winterspielen 2014 im russischen Protests. Kneipenwirte würden mehr für die ge- unterlaufen und professionell berichten. Dass sie
Sotschi annektierte Wladimir Putin die Krim, nach schundenen Arbeiter in Katar (und anderswo) er- außerdem die Fifa hart zu ihrer Rolle befragen.
den Spielen in Peking im Winter 2022 erhöhte Xi reichen, wenn sie die Spiele zeigten und auf ihrem Und den DFB dazu, wie ernst es ihm mit den vor
Jinping den Druck auf Oppositionelle. Eher scheint Tresen zugleich demonstrativ Sammelbüchsen für sich hergetragenen Werten ist. Zweifel sind je-
das Gegenteil zu stimmen: Der Sport nützt den Amnesty International oder Human Rights Watch denfalls angebracht, wenn der Nationaltorhüter
Machthabern, die sich vor dem heimischen Publi- aufstellten. Fußballfans, die gegen Katars Umgang bei der Europameisterschaft noch mit der Re-
kum als angesehene Gastgeber inszenieren können. mit Dissidenten oder homosexuellen Menschen genbogen-Kapitänsbinde aufläuft – und in Katar
In Frankreich haben sich bereits mehrere Städ- demonstrieren wollen, würden der Imagekampagne lieber nicht.
te dafür entschieden, aus Protest gegen den Aus- des Emirats mehr Schaden zufügen, wenn sie sich Eine WM besteht niemals allein aus den Spie-
tragungsort die WM-Spiele nicht auf Großbild- während der Spiele der katarischen Nationalmann- len. Wochenlang gibt es Berichte aus dem und über
schirmen zu übertragen. Das ist schon einmal ein schaft zu Mahnwachen vor der katarischen Bot- das Gastgeberland. Vor, nach und zwischen den
Anfang. Schauen Sie doch möglichst in diesem schaft verabredeten. Partien. Dieses Jahr wird das für die TV-Sender eine
Winter etwas anderes: Skirennen, Handball, Serien, Es ist begrüßenswert, wenn sich Sportfans für besondere Bewährungsprobe. Aber auch für die
Tierfilme. Und was den Fußball angeht: In zwei Menschenrechte, Demokratie und Diversität ein- Fifa. Für Katar. Für den DFB. Gut so. Schauen wir
Jahren ist schon wieder EM. In Deutschland. setzen. Anscheinend wächst das kritische Bewusst- genau hin!

Dausend Prozent

68 %
der Deutschen sind dagegen, dass in Deutschlands Kitas ausschließlich
vegetarische Gerichte angeboten werden. Als bekennender Lyonerringel-Fan
weiß unser Kolumnist natürlich, wie der Schinken auf die Welt kommt
Aktuelle Civey-Umfrage für die ZEIT

Peter Dausend ist

Wir Älteren erinnern uns: Der »Veggie-Day«
war 2013 nicht nur ein, nun ja, gefundenes
Fressen für all jene, die eher im Jäger- als im
Sammlerdasein des pleistozänen Homo erec-
tus bis heute das eigentliche Wesensmerkmal
des Menschen sehen. Sondern auch eine
überaus erfolgreiche Diät für die Umfrage-
werte der Grünen. Kaum hatte Katrin Gö-
ring-Eckardt, grüne Spitzenkandidatin für
die anstehende Bundestagswahl, einen
fleischlosen Tag in Deutschlands Kantinen
gefordert, lag ihre Partei so ermattet am
Boden wie eine Löwin, die seit Tagen keinen
Bissen Weißbartgnu mehr zwischen die
Reißzähne bekommen hat. Schließlich war
die deutsche Kantine damals noch keine
Heimstatt des Kichererbsen-Eintopfs mit
Aubergine, der Blumenkohl-Tacos mit
Tahini-Sauce oder der Tempeh-Bowl mit
Reisnudeln und zerlassener Erdnussbutter,
sondern der mittägliche Fluchtpunkt aller
Carnivoren mit Festanstellung. Mahlzeit!
In seiner Evolution seitdem ist der
Homo sapiens womöglich nicht so weit
vorangeschritten, wie er selbst gedacht hat. ganz undogmatisch in Alaska, Nordsibirien Packung auf die Welt gekommen, vakuum- politischer
Erstaunliche 68 Prozent der Deutschen sind oder im Streichelzoo von Eberswalde einen verschweißt und ablaufdatumgeschmückt, Korrespondent im
jedenfalls dagegen, dass in Kitas ausschließ- Bären zuerst erlegen, dann grillen und ihn während noch junge Karotten zerstückelt, Hauptstadtbüro
lich vegetarische Gerichte angeboten wer- schließlich mit veganer Chilisauce verspei- unschuldige Erbsen in kochendes Wasser der ZEIT
den – so wie das in Freiburg vom kom- sen – an Rote-Bete-Pesto mit gerösteten gestoßen und die eleganten Spargel brutal
menden Jahr an in städtischen Kitas und Esskastanien, versteht sich. geköpft werden. Gut, dass den Kleinen
Grundschulen der Fall sein wird. Jeder Als bekennender Lyonerringel-Fan, der dieses erbarmungslose Gemetzel in den
Fünfte (21 Prozent) würde das »Nicht Fisch, an keiner Fleischwurstpfanne unbeschadet meisten Kita-Küchen Deutschlands erspart
nicht Fleisch«-Angebot hingegen begrüßen, vorbeikommt, kann ich den Widerstand bleibt. Wir wünschen ihnen jedenfalls
und die elf Prozent Unentschiedenen er- gegen das Grünkernbratling-Gebot in guten Appetit! So guten, wie man ihn bei
geben sich höchstwahrscheinlich aus jenen unseren Kitas gut verstehen. Schließlich ist einem Schweinenackenschnitzel an Mehl-
Teilzeit-Vegetariern, die hin und wieder ja noch jeder Schinken als 200-Gramm- pampe nur haben kann.

Online mitdiskutieren: Mehr Streit finden Sie unter zeit.de/streit

 14
Foto: privat
Ein vielversprechendes Projekt hat unsere Politikredakteurin Petra Pinzler (rechts)
in der namibischen Wüste besucht: Hier soll grüner Wasserstoff erzeugt und
nach Deutschland verkauft werden. Die Nationalpark-Rangerin Martha Kambidi hofft,
dass vom Erlös auch etwas für den Naturschutz übrig bleibt WIRTSCHAFT, SEITE 24
Foto (Ausschnitt): Monika Rittershaus/Staatsoper Unter den Linden
Mein Leben in der Musik
Seine erste Zigarre rauchte Daniel Barenboim als
Zwölfjähriger mit dem Pianisten Artur Rubinstein.
Vor seinem 80. Geburtstag erinnert sich der Dirigent
an seine Kindheit in Argentinien und Israel
FEUILLETON, SEITE 56
Illustration: Berta Vallo
Seine Traumwohnung
wurde unserem Autor bald
zu einem Albtraum – in
dem er noch immer lebt
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IN DEN REGIONALAUSGABEN
ZEIT im Osten Das Wirtschafts-
ministerium hat Angst vor einem
Zusammenbruch der Ostbetriebe.
Staatssekretär Michael Kellner
soll sie retten VON J. HEN SEL 18
ZEIT Hamburg »Ordentliches
Regieren« war einmal ein Marken-
zeichen der SPD – gilt das noch?
VON FR ANK DRIESCHNER 2 VON JONAS VOGT
Stefanie Grabner leitet das Fach-
zentrum für Stressmedizin und
Psychotherapie Falkenried. Was
beobachtet sie derzeit bei ihren
Patienten?
Im Hafen von Stade entsteht ein
Terminal für Flüssiggas
VON KRISTINA L ÄSKER
ZEIT Schweiz Ein Mann
bedroht die Besucher einer Rot-
lichtbar mit einer laufenden
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INHALT
Titelthema: Das wird mir zu viel!
Illustration (Ausschnitt): Thomke Meyer für DIE ZEIT
House of Kurz
Der österreichische Kanzler
Sebastian Kurz war das
Wunderkind der ÖVP. Nun
droht ihm jahrelange Haft
POLITIK, SEITE 4
ZUM HÖREN
Motorsäge. Verletzt wird niemand. Die so gekennzeichneten
Nun verwahrt ihn der Staat seit Artikel finden Sie als
fünf Jahren. Was hat das gebracht? Audiodatei im »Premium-
bereich« unter
VON MARLON RUSCH 18
www.zeit.de/vorgelesen
Das Alpen-Porträt Arno Stau-
dacher leitet das Schigymnasium
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DIESER AUSGABE
Stams, eine der erfolgreichsten
Sportschulen der Welt Bildungsangebote und
32 Stellenmarkt
(ab Seite 43);
ZEIT Österreich Als Kind floh Agenda Kultur:
Hella Pick vor den Nazis aus Museen, Kunstmarkt,
Wien. In London machte sie als
Bühnen (Seite 60)
5
Journalistin Karriere. Ein
FRÜHER
Gespräch über ihre alte Heimat
und Sebastian Kurz 18 INFORMIERT!
Die aktuellen Themen
6 Eduard Müller sollte für Ruhe der ZEIT schon am
sorgen, war aber als Finanz-
Mittwoch im ZEIT-Brief,
minister in die Machenschaften
dem kostenlosen
der türkisen Clique involviert Newsletter
VON CHRISTINA PAUSACKL 19 www.zeit.de/brief
POLITIK
Bundesregierung Misslingt
Olaf Scholz’ Kanzlerschaft?
VON PETER DAUSEND,
TINA HILDEBR ANDT UND
MARC WIDMANN
Klima Warum Aktivistinnen Suppe
auf Vincent van Goghs
•3
»Sonnenblumen« warfen
VON ELISABETH R AETHER
Österreich House of Kurz –
die Korruptions-Possen um den früheren
ÖVP-Kanzler VON FLORIAN KLENK 4 der Welt?
Großbritannien Rishi Sunak muss ein
Land führen, das am Abgrund steht
VON JOHN K AMPFNER
Ukraine Wie ein Mann in Isjum die
russische Besatzung mit der Kraft der
•6
Liebe durchstand
VON NATALIYA GUMENYUK
Prosteste im Iran Wie stabil ist das
Regime? VON JÖRG L AU UND
ANNA SAUERBREY
Israel Wer sind die Ultrarechten, mit
deren Hilfe Ex-Premier Netanjahu
zurück an die Macht will?
VON JAN ROS S
Landwirtschaft Obstbauern lassen
einen Teil der Apfelernte verrotten
VON MERLIND THEILE
Mecklenburg-Vorpommern Eine
Asylunterkunft brennt – vieles deutet
auf Brandstiftung hin
VON MONA BERNER , TOM KROLL UND
AUGUST MODERSOHN
STREIT
MeToo Die Autorinnen Mirna Funk
und Laura Himmelreich streiten
darüber, was die Kampagne den Frauen
wirklich gebracht hat 12
Menschenrechte Sollten TV-Zuschauer
die Fußball-WM in Katar aus
politischen Gründen boykottieren?
Ein Pro & Contra von
MARK SCHIERITZ UND
YAS SIN MUSHARBASH
Dausend Prozent
VON PETER DAUSEND
DOSSIER
Iran Stimmen aus einem aufgewühlten
Land – Teilnehmer der Proteste und
andere Bürger des Landes erzählen aus
ihrem Leben in den Wochen des
Aufruhrs 15
GESCHICHTE
Wie Kriege enden Das Beispiel
Vietnam vor 50 Jahren
VON FABIAN HILFRICH
Iran Waffen für Öl: Wie Brandt und
Schmidt mit dem Schah anbandelten
VON HAUKE FRIEDERICHS
VERBRECHEN
Freitod Das Bundesverfassungsgericht
hat den Suizid als ein Menschenrecht
definiert. Was bedeutet diese
Rechtsprechung für den Alltag deutscher
Gerichte?
VON ROLF R AUM 20
WIRTSCHAFT
Immobilien Erstmals seit Jahren
fallen die Preise für Immobilien – und
die Zinsen steigen
• 21
VON ANN-K ATHRIN NEZIK UND
Z ACHARIAS Z ACHAR AKIS
Kino-Report Die Lichtspielhäuser
bleiben seit Monaten leer. Werden sie
• 22
verschwinden?
VON ANN-K ATHRIN NEZIK
Womit keiner rechnet Fliegen wird
günstiger, wenn man den Münchenflug
gleich bis nach Mallorca bucht
VON CL A AS TATJE 23
Kommentar Wenn die Post den Service
2 reduziert, sollte sie auch die Preise
senken, findet CL A AS TATJE 23
Wasserstoff Ein Projekt in Namibia soll
Deutschlands Energieprobleme lösen
VON PETR A PINZLER 24
China Was bedeutet die neue
Pekinger Wirtschaftspolitik für den Rest
26
Interview mit dem Ökonomen und
China-Experten Max J. Zenglein über
5 Pekings gewandelte Prioritäten 27
Finanzmarkt HEIKE BUCHTER wartet auf
den nächsten Crash 28
Nachruf Dietrich Mateschitz, der
Gründer von Red Bull, hat ein Imperium
auf einer Brause begründet
VON CHRISTIAN BARTL AU 30
8 den Althistoriker Egon Flaig
ZEIT für Geld Weniger heizen mit
RÜDIGER JUNGBLUTH
9
Wirtschaft in einem Satz
WISSEN
10 Titelthema: Das wird mir zu viel!
Wie es gelingt, trotz der Flut schlechter
Nachrichten und der Anforderungen des
Alltags zum Wesentlichen
zurückzufinden
• 33
VON STEFANIE K AR A UND
11
ULRICH SCHNABEL
Klima Forscher nutzen 100 Jahre alte
Fotos, um über die Gletscherschmelze in
den Rocky Mountains aufzuklären
• 35
VON MANUEL STARK
Kinderarmut Familienministerin
Lisa Paus über die künftige
Kindergrundsicherung und mehr Rechte
für Heranwachsende 36
Psychotherapie Wie viel Kindheit
halten wir aus? Die neue Fernsehserie
13 von Regisseurin Caroline Link mutet
ihren Zuschauern radikale Begegnungen
mit wütenden Teenagern zu
13 VON ANNA-LENA SCHOLZ 37
Ökologie Warum von einem
Schutzgebiet vor Hawaii sowohl Fische
als auch Fischer profitieren
VON STEFAN SCHMIT T 38
Klimaschutz Der Mediziner
Nick Watts will das britische Gesund-
heitssystem emissionsfrei machen
VON CHRISTIANE GREFE
Infografik Schiefe Türme
19
LEO – DIE SEITE
FÜR KINDER
Die Friedensmacher Diplomaten
19 arbeiten oft hinter verschlossenen Türen.
Was geschieht dort?
VON ANNA SAUERBREY 49
Zwei Monate allein im Ausland
Tonie, 14 Jahre, erzählt von ihrem
Schüleraustausch in Frankreich
FEUILLETON
Gesellschaft Warum der deutsche
Osten zum globalen Westen gehört
• 51
VON PETER NEUMANN
Bühne Über deutsche Kritiker, die sich
am Theater rächen
VON PETER KÜMMEL 51
Kino David O. Russells Film
»Amsterdam«
VON DANIEL MOERSENER
Pop Das neue Album von Taylor Swift
VON EVA SAGER 52
Nächste
Woche in
Ihrer ZEIT
www.zeit.de
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
Filmindustrie Ein New Yorker Gericht
spricht den Schauspieler Kevin Spacey
vom Vorwurf der sexuellen Belästigung
frei. Ist er nun rehabilitiert?
VON JENS JES SEN 52
Serie »The Playlist« erzählt die
Geschichte der Plattform Spotify
VON CL A AS OBERSTADT 52
Liberalismus Was gerade bei
Christian Lindner läuft
VON L ARS WEISBROD 52
Serie: Sternstunden der Menschheit (4)
Max Brod bewahrte die Werke des
Schriftstellers Franz Kafka vor der
Vernichtung VON IRIS R ADISCH 53
Kunst Der Pariser Louvre feiert das
• 54
Stillleben
VON HANNO R AUTERBERG
Kolumne Mein Leben als Frau
VON ANTONIA BAUM 54
Kolonialismus Kann es historische
Gerechtigkeit geben? Ein Antwort auf
VON REBEKK A HABERMAS 55
31
Klassik Vor seinem 80. Geburtstag
31 erinnert sich der große Dirigent
DANIEL BARENBOIM an seine Kindheit in
Argentinien und Israel 56
Roman Jochen Schmidt »Phlox«
VON ELKE SCHMIT TER 59
Anna Kim »Geschichte meines Kindes«
VON EBERHARD R ATHGEB 60
Krimi-Spezial auf zwei Seiten 62
GLAUBEN & ZWEIFELN
Judentum Rabbiner Walter Homolka
äußert sich erstmals im Interview zu
Vorwürfen von Machtmissbrauch und
der Vertuschung sexueller Belästigung.
Was wird aus seinen Verdiensten um die
Rabbinerausbildung in Deutschland?
VON EVELYN FINGER 64
ENTDECKEN
Pazifismus Ein Interview mit dem
Liedermacher Wolf Biermann über
Friedensgedichte und Freiheitskriege 65
Entdeckt Fremdbetreuung
VON FR ANCESCO GIAMMARCO 67
Film meines Lebens Regisseur Fatih
Akin schaut noch mal einen türkischen
Kult-Klassiker und erzählt, was diesen
mit seinem eigenen neuen Film verbindet
VON AL ARD VON KIT TLITZ 68
Fußball-WM Im belgischen Eupen
42 lässt Katar junge Fußballprofis ausbilden.
50
Eine Erkundung
VON DMITRIJ K APITELMAN 69
Reise Einen Achttausender bezwingen
bloß noch Alpin-Rambos. TILMAN
• 70
R AMMSTEDT erklimmt seinen ersten
Achthunderter
Rotterdam Ein Kurzurlaub von der
Realität auf der Culture Campsite,
zwischen und in bizarren Objekten
VON WOLF ALEX ANDER HANISCH 71
Wie es wirklich ist ...
49 beim Joggen überfallen zu werden 74
RUBRIKEN
Leserbriefe 18
• 38
Stimmt’s?
Die Position 43
Worum geht’s? 44
3½ Fragen 45
• 59
Sachbuch-Bestenliste
52
Impressum 62
Was mein Leben reicher macht 74
25.10.22 10:53

»DA IST KEINE SPUR VON MÜDIGKEIT«
Wie geht es den Menschen im Iran? 15 Frauen und Männer erzählen von ihrem Leben in einem aufgewühlten Land
Asis Loolai, 24, Soldat aus der Provinz Isfahan:
Meine Freundin und ich kamen gerade von einer
kleinen Reise zurück. Wir hielten an einer Tank-
stelle, ich stieg aus. Während ich tankte, holte ich
mein Handy aus der Hosentasche und scrollte
durch Instagram. Da sah ich die Nachricht von
Mahsa Aminis Tod. Ich wurde so wütend, ich hät-
te beinahe vergessen zu bezahlen.
Die 22-jährige Mahsa Amini war am 13. Septem-
ber zu Besuch in der Hauptstadt Teheran. Die Sit-
tenpolizei nahm sie fest. Sie hatte angeblich den
Hidschab, das Kopftuch, nicht korrekt getragen.
Wenige Stunden später brachte die Polizei sie ins
Krankenhaus, wo sie drei Tage im Koma lag, ehe sie
starb. Eine CT-Aufnahme ihres Kopfes zeigt eine
Blutung, ein Hirnödem und einen Knochenbruch.
Mona Golschani, 46, Künstlerin aus Teheran:
Die Familie einer Freundin kennt Mahsas Fami-
lie gut. Durch sie hörte ich von Mahsas Verhaf-
tung. Ich wusste, dass Inhaftierte häufig von der
Polizei geschlagen werden. Das habe ich am eige-
nen Leib erfahren.
Fahime Lotfi, 36, Architektin aus Rascht: Nach
Mahsas Tod veröffentlichte das Fernsehen die Auf-
nahmen der Überwachungskamera im Büro der
Sittenpolizei. Man sieht, wie Mahsa plötzlich zu
Boden fällt. Das Regime wollte damit beweisen,
dass sie eines natürlichen Todes gestorben ist. Aber
jeder weiß, dass das nicht stimmt.
DOSSIER
Elika Tschaboki, 31, Nachhilfelehrerin aus
Kaschan: Die Bilder von Mahsa, wie sie da in
einem Krankenhausbett im Koma liegt, habe ich
in den sozialen Medien gesehen. Sie haben mich
total aufgewühlt.
Zahra Hosseini, 35, Spanisch-Übersetzerin
aus Teheran: Ich komme aus einer religiösen
Familie, ich bin für die Islamische Republik. Es
kommt mir komisch vor, dass der Tod von
Mahsa Amini so schnell medial so groß wurde.
Das ist ja nicht das einzige Schlimme, was in der
Welt geschieht. Und es ist ja bis heute nicht klar,
woran sie wirklich gestorben ist. Ich habe ge-
hört, dass sie vielleicht von kurdischen Separa-
tisten getötet wurde.
Mina Ahmadi, 36, Kosmetikverkäuferin aus
Teheran: Die Opposition verdreht die Dinge.
Mahsa Amini hatte wahrscheinlich einen Herz-
infarkt. Das wurde im Fernsehen berichtet.
Siba Sayyadi, 17, Schülerin aus Karadsch:
Als ich von ihrem Tod erfuhr, habe ich angefan-
gen, mit Freundinnen zu chatten. Ich habe ge-
schrieben, wie schlimm ich es finde, dass ein
Mädchen nur wegen eines Stückchens Stoff so
leiden und sterben muss. Wir haben uns alle in
ihr gesehen.
Elika Tschaboki, 31, Nachhilfelehrerin: Ihr
Tod hat das Fass zum Überlaufen gebracht.
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
Mahsa Amini stammte aus einer kurdischen Fami-
lie. Wenige Stunden nach ihrem Tod schrieb ein
einflussreicher Vertreter der Kurden auf dem
Nachrichtendienst Telegram: »Alle, die in der Lage
sind zu reagieren, müssen nach ihren Möglichkei-
ten reagieren. Protestiert und verlangt die Bestra-
fung derer, die dieses schreckliche Verbrechen be-
gangen haben!«
Rojan Alinasab, 45, Aktivistin aus der Provinz
Kurdistan: Wir haben über soziale Medien De-
monstrationen in unserer Provinzhauptstadt orga-
nisiert. Jeder erzählte es ein paar Leuten, die es an-
deren Leuten erzählten. Wir trafen uns um sieben
Uhr abends. Wir trugen Plakate und riefen Slogans:
Jin, Jiyan, Azadî! »Frau, Leben, Freiheit!« So mach-
ten wir es jeden Tag.
Mona Golschani, 46, Künstlerin: Ich war eine
Mitinitiatorin der Proteste. Wir haben nach Mah-
sas Tod dazu aufgerufen, zu demonstrieren.
Elika Tschaboki, 31, Nachhilfelehrerin: Die
Demo sollte am Abend stattfinden. Ich wollte na-
türlich hin. Am Mittag klingelte mein Handy. Eine
unbekannte Stimme, ein Polizist. Er sagte: Wenn
du zu den Protesten gehst, verhaften wir dich.
Fahime Lotfi, 36, Architektin: Die Reaktion un-
serer Polizei hat mich schockiert. Sie sind brutal
gegen die Protestierenden vorgegangen. Dutzende
Menschen wurden festgenommen. Die Polizisten
Straßenproteste in Teheran, Oktober 2022
hier bei uns in der Stadt waren früher beliebt. Ich
kann mir nicht erklären, wie sie sich über Nacht so
verändern konnten. Jetzt sind sie die Mörder ihrer
eigenen Nachbarn.
Simin Hatari, um die 40, Geisteswissenschaftle-
rin aus Teheran: Ich glaube, sie suchen in der Mas-
se bewusst Menschen aus, die sie mit Kopfschüssen
töten. Diese Dreckschweine machen das absicht-
lich! Sie suchen junge Menschen aus und töten sie,
um Angst zu verbreiten.
Fünf Wochen ist es jetzt her, dass im Iran etwas be-
gann, von dem noch immer nicht klar ist, um was es
sich handelt. Eine Protestwelle, die demnächst abebbt?
Ein Aufstand, der bald niedergeschlagen wird? Der
stellvertretende Innenminister verkündete am ver-
gangenen Samstag, die »Krawalle« lägen in den letzten
Zügen. Womöglich aber ist das, was mit dem gewalt-
samen Tod einer jungen Frau aus der Provinz begann,
der Beginn einer neuen Revolution.
Es wäre ein Epochenbruch, das wichtigste Er-
eignis in der Geschichte des modernen Iran seit
dem Umsturz von 1979, jener früheren Revoluti-
on, in deren Folge die Monarchie verschwand und
aus dem Iran ein Gottesstaat wurde. Und es wäre
keine Überraschung.
Die Islamische Republik Iran, das ist schon lan-
ge ein Staat, in dem das Regime von den meisten
Menschen keine Unterstützung erwarten kann.
Während es etwa Wladimir Putin gelungen ist, mit
seiner Ideologie von der Wiederauferstehung des
15
Fotos: DZ
glorreichen Russland nennenswerte Teile der Be-
völkerung hinter sich zu bringen, sind da im Iran
Frustration, Widerstand, Hass. Woran liegt das?
Wie konnte es einer relativ kleinen Elite so lange
gelingen, das Volk zu unterdrücken? Und gerät nun
tatsächlich etwas ins Rutschen?
In diesem Dossier erzählen 15 Iranerinnen und
Iraner davon, wie sie diese Tage erleben, von ihren
Hoffnungen, ihren Ängsten. Sie alle reden hier
unter einem Pseudonym – ihnen drohen Repressa-
lien. Die staatlichen Behörden möchten unbe-
dingt verhindern, dass Stimmen aus dem Land
nach draußen dringen: Sie erschweren den Zugang
zum Internet, kontrollieren die Handys Verhafte-
ter. Die Protokolle, die wir abdrucken, stammen
aus Telefonaten über verschlüsselte Apps, aus
Chats und Sprachnachrichten, geschickt in Mo-
menten, in denen das Internet funktionierte.
Viele Aussagen können nicht unabhängig über-
prüft werden. Allerdings sind einige Gesprächs-
partner den Journalisten von früher bekannt.
Manche von ihnen standen einmal bedingungslos
an der Seite des Regimes. In diesem Herbst wach-
sen auch in ihnen Skepsis und Kritik.
Asis Loolai, 24, Soldat: Vor einigen Monaten zog
mich das Regime zum Wehrdienst ein. Vorher war
ich Student der Naturwissenschaften. Jetzt bin ich
Soldat der Islamischen Republik. Ich soll für ein
System kämpfen, das ich verachte. Mich haben sie
Fortsetzung auf S. 16
 16
Foto: DZ
»Da ist keine Spur von ... Fortsetzung von S. 15
ausgerechnet zu den Revolutionsgarden geschickt.
Die wichtigste Stütze des Regimes, fast 200.000
Mann. Die Gardisten bekämpfen politische Geg-
ner – eigentlich also Menschen wie mich.
Siba Sayyadi, 17, Schülerin: Vor drei Jahren habe
ich meine Freundin Nika kennengelernt. Wir wur-
den wie Schwestern. Wir haben uns zusammen die
Haare gefärbt, danach sahen wir aus wie Zwillinge.
Es gibt ein Video von ihr, sie steht breitbeinig da,
singt, lacht, schmachtet die Kamera an. Alle haben
sie geliebt. Sie mochte Pizza mit gebratener Au-
bergine und Schokolade. Über Politik haben wir
nie geredet. Irgendwann ist sie weggezogen nach
Teheran. Wir haben fast jeden Tag gechattet. Als
die Proteste begannen, habe ich auf einmal kaum
noch von ihr gehört. Ich glaube, sie hat mir nichts
erzählt, damit ich mir keine Sorgen mache.
Rojan Alinasab, 45, kurdische Aktivistin: Am
siebten Tag unserer Proteste wurde ich festge-
nommen. Polizisten in Zivil gingen auf mich los.
Etwa 150 Meter entfernt stand ein schwarzer
Lieferwagen. Ich habe mich gewehrt. Sie zerrten
mich an meinen Haaren zum Auto, sodass mein
Körper unter meiner Kleidung hervorkam. Der
Hidschab war ihnen in diesem Moment nicht
wichtig. Sie traten mit ihren Stiefeln auf mich
ein. Im Auto knebelten sie mich mit meinem
eigenen Kopftuch.
Fateme Sobhani, 28, Hausfrau aus der Nähe von
Maschhad: Ich bin sehr religiös, trage Tschador
(eine schwarze Ganzkörperverschleierung, Anm. d.
Red.). Neben meiner Tätigkeit als Hausfrau und
Mutter studiere ich an der Uni den Koran. Ich bin
vor ungefähr sechs Jahren in die Studentinnenver-
einigung der Basidschi eingetreten, das ist eine
Freiwilligenmiliz, sie ist den Revolutionsgarden
unterstellt und verteidigt das System. Aber jetzt
bin ich weder Fan der Demonstrierenden noch der
Sicherheitskräfte. Die Regierung hätte die Protes-
tierenden behandeln sollen wie ein Vater seine
Kinder: Auch wenn sie ungezogen sind, liebt man
sie. Sie hätte die Proteste einfach genehmigen sol-
len, dann hätte sich die Wut legal entladen.
Mostafa Schahi, Mitte 60, emeritierter Profes-
sor der Religionswissenschaften aus Teheran:
Nach Mahsa Aminis Tod war mir klar, wie das
Regime damit umgehen würde. Mit Lügen und
Verdrehungen. Was ich nicht vorhergesehen habe,
war die Wut der Proteste, wie schnell die Menschen
sich versammelten und aufbegehrten. Ich bin so
stolz auf diese mutige und freche Generation. Lei-
der leide ich an einer chronischen Krankheit, des-
halb kann ich nicht auf die Straße gehen.
Zahra Hosseini, 35, Spanisch-Übersetzerin: Ich
bin ja für Reformen. Aber antiislamische Aufstän-
dische haben die Proteste gekapert, sie wollen
einen Regimewechsel. Jugendliche, die nicht
wissen, was sie wollen, gesellten sich zu ihnen. Sie
haben Bankfilialen zerstört, in U-Bahnen randa-
liert – das hab ich im Fernsehen gesehen.
Siba Sayyadi, 17, Schülerin: Ich bin nach Be-
ginn der Proteste nicht mehr rausgegangen. Eines
Abends habe ich auf Instagram ein Video meiner
Freundin Nika gesehen: Sie steht auf einer um-
gekippten Mülltonne und verbrennt ihr Kopf-
tuch. Das Video ist später um die Welt gegangen.
Ich glaube, sie wusste, wie gefährlich das ist, was
sie da macht.
Sorusch Erschadi, 46, Psychotherapeut aus Te-
heran: Wie es meinen Patienten gerade geht? Es ist
eine Mischung aus Wut, Angst, Hass, Enttäu-
schung und Hoffnung. Insgesamt scheint es mir
einen deutlichen Unterschied in der Einstellung
zwischen Männern und Frauen zu geben. Die
Frauen, auch meine Patientinnen, sind viel aktiver
und optimistischer. Ich will damit nicht sagen, dass
iranische Männer sich nicht an der Bewegung be-
teiligen. Aber sie wird zu Recht als Revolution der
Frauen bezeichnet.
Asis Loolai, 24, Soldat: Meine Tage bei den Re-
volutionsgarden sehen so aus: Jeden Morgen um
sieben Uhr muss ich in der Kaserne zum Dienst
antreten. Um 14 Uhr habe ich Schluss. Als Wehr-
dienstleistender schicken sie mich nicht raus, um
durch die Straßen zu patrouillieren. Dort sind nur
die ideologisch gefestigten Berufssoldaten. Die ha-
ben Spaß daran, die Protestierenden zu schlagen.
Unsere Kommandeure sind durch und durch
überzeugt von der Sache, sie propagieren Krieg
und Gewalt. Einmal pro Woche müssen wir uns in
einem Raum versammeln. Dann stehen sie vorne
und halten Vorträge über religiöse und politische
Themen. Sie rühmen die Islamische Republik und
verwünschen die USA, Israel und den Westen all-
gemein. Jeden Tag schäme ich mich, bei den Re-
volutionsgarden zu sein.
Rojan Alinasab, 45, kurdische Aktivistin: Nach
der Festnahme verbanden sie uns die Augen. Als sie
die Binden abnahmen, erkannten wir, dass wir
beim Geheimdienst waren. Von dort brachten sie
uns in die Frauenabteilung eines Gefängnisses.
Manchmal wurden wir von acht Uhr morgens bis
elf Uhr nachts verhört. Sie versuchten, mich zu
einem Geständnis zu bewegen, aber sie hatten kei-
ne Beweise gegen mich, nur Fotos von den Protes-
ten, auf denen ich zu sehen war, wahrscheinlich
mit einer Drohne aufgenommen. Ich sagte, ich sei
einkaufen gegangen und versehentlich in die Men-
ge geraten. Sie fragten nach meinem Handy. Ich
sagte, es sei mir aus der Tasche gefallen, als ich fest-
genommen wurde. In Wahrheit hatte ich es be-
wusst zu Hause gelassen. Hätten sie mein Telefon
bekommen, hätten sie gesehen, dass ich die Proteste
mitgeplant habe.
Elika Tschaboki, 31, Nachhilfelehrerin: Vor
einigen Tagen haben Mädchen, die ich unterrichte,
von ihrer Schulleiterin eine Anweisung bekom-
men: Gleich kommt eine männliche Lehrkraft in
die Klasse, tragt eure Kopftücher ordentlich! Sie
haben mir erzählt, dass sie sich dann im Geheimen
zu einer Aktion verabredet haben. Als der Lehrer
die Stunde begann, zogen sie sich alle gleichzeitig
ihr Kopftuch herunter.
Asis Loolai, 24, Soldat: Nach meinem Dienst in
der Kaserne gehe ich nach Hause. Abends nehme
ich, wann immer ich kann, an den Protesten teil.
Ich muss sehr vorsichtig sein. Wenn mich jemand
erkennt, bin ich geliefert. Aber das ist es mir wert.
Einmal habe ich zwei Kommandeure aus meiner
Kaserne entdeckt. Einer saß in einem Wagen, der
andere auf einem Motorrad. In der Menge haben
sie mich nicht bemerkt. Auf einer Demo habe ich
einen jungen Familienvater gesehen, etwa so alt
wie ich. Die Sicherheitskräfte hatten ihm Hand-
schellen angelegt. Er sagte immer wieder, er habe
nichts getan. Einer hat seine Pistole gezogen und
sie ihm an den Kopf gehalten. Dann hat er abge-
drückt – und zwar so, dass die Kugel ihn nur um
Zentimeter verfehlte.
Siba Sayyadi, 17, Schülerin: Eines Tages scrollte
ich durch Instagram und sah, dass eine Verwandte
von Nika gepostet hatte, Nika werde vermisst. Ich
habe sie angeschrieben, sie hat mir geantwortet,
dass Nika wohl verhaftet wurde.
Zahra Hosseini, 35, Spanisch-Übersetzerin: Ich
habe zwei Mädchen, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt,
in der U-Bahn über die Proteste reden gehört:
»Wir müssen aufpassen, die bringen uns um.« Ich
dachte, in welcher Welt leben die? Das klingt ja wie
in einem Actionfilm. Ich glaube, die werden durch
ihr Handy auf völlig irre Ideen gebracht.
Siba Sayyadi, 17, Schülerin: Einige Tage nach
Nikas Festnahme postete die Verwandte: Wir ha-
ben Nika gefunden – sie ist tot. Sie war 16 Jahre
alt. Seitdem schlafe ich kaum mehr. Mein Herz ist
gebrochen.
Zahra Hosseini, 35, Spanisch-Übersetzerin:
Nika? Wer ist das? Ich glaube, den Namen habe ich
schon mal gehört. Was ist mit ihr geschehen?
Siba Sayyadi, 17, Schülerin: Nika ist zur Heldin
geworden. Ihr Gesicht wurde auf T-Shirts und
Tassen gedruckt und auf Häuserwände gesprüht.
Ich habe die Bilder der großen Demo in Berlin
gesehen. Überall haben die Leute Fotos von Nikas
Gesicht hochgehalten!
Berlin am vergangenen Samstag. Busse aus ganz
Europa fahren in die Stadt ein, sie kommen aus Paris
und Zürich, aus Brüssel und Stockholm. Die Passa-
giere haben auf dem Weg Plakate gemalt: »It’s a re-
volution« und »Weg, weg, weg, Mullah muss weg«.
Sie alle eint ein Ziel, sie wollen ihren Landsleuten im
Iran zeigen: Ihr seid nicht allein. Gegen Mittag er-
streckt sich um die Siegessäule ein Meer von Men-
DOSSIER
»Es ist eine Mischung
aus Wut, Angst, Hass, Enttäuschung
und Hoffnung«
schen. Die Polizei wird später von 80.000 Teilneh-
mern sprechen. Es ist, so die Veranstalter, die größte
Demonstration gegen das Regime außerhalb des Iran,
die es je gab. Da steht zum Beispiel eine Frau, sie hat
ihren Kopf kahl geschoren, Haarbüschel kleben an
einer Fahnenstange, die sie in die Höhe reckt. Immer
wieder sieht man das in der Menge: abgeschnittene
Haare auf Stöcken, an Fahnen, abgeschnittene Haa-
re, die in der Luft wehen.
Simin Hatari, um die 40, Geisteswissenschaft-
lerin: Ich kenne hier keine, die sich die Haare ab-
geschnitten hat. Wir sind gerade mitten im Kampf.
Die Haare schneidest du dir ab, wenn du trauerst
oder deine Solidarität zeigen willst mit denen, die
kämpfen. Das ist eine uralte persische Tradition.
Die Haare sind in der iranischen Kultur das Zei-
chen der Schönheit. Frauen, deren Männer auf
ungerechte Weise ums Leben kamen, schnitten
ihre Haare ab, um zu sagen: »Ich war schön für
meinen Mann. Ihr habt ihn mir mit Gewalt ge-
nommen. Nun will ich nie wieder für jemanden
schön sein.«
Mona Golschani, 46, Künstlerin: Die Frauen
schneiden sich die Haare ab, weil sie traurig sind.
Sie schneiden sich damit ihre Trauer ab. Ich wurde
einmal vergewaltigt. Danach habe ich mir den
Kopf geschoren. Das war sehr erleichternd.
Enajat Asari, 46, Schriftsteller aus Teheran: Die
Bilder von der Berliner Demonstration waren sehr
ermutigend. Sie zeigen die Einheit der Iraner au-
ßerhalb des Iran. Im Staatsfernsehen hieß es, all
diese Menschen würden gegen die deutsche Re-
gierung und gegen steigende Ölpreise auf die Stra-
ße gehen. Da musste ich sehr lachen.
Rascht
Karadsch
Sanandadsch Maschhad
Teheran
Kurdistan
Kaschan
Isfahan IR A N
Isfahan
Zahedan
Belutschistan
ZEIT- GRAFIK
400 km
Elika Tschaboki, 31, Nachhilfelehrerin: Ich war
bereits als Mädchen sauer auf das Regime. In der
Schule hat es mich genervt, dass Jungen und Mäd-
chen so streng getrennt werden. Dass man nicht
händchenhaltend mit einem Jungen durch die
Straßen spazieren durfte. 2009, da war ich 19, bin
ich zum ersten Mal auf die Straße gegangen, die
»Grüne Bewegung« richtete sich gegen Betrug bei
der Präsidentschaftswahl. Leider ohne Erfolg. Vor
drei Jahren wurde ich wegen »unangemessenem
Verhalten« verhaftet, als ich mit dem Fahrrad
durch die Stadt fuhr. Es gibt eine Fatwa, die das
verbietet. Außerdem war mein Kopftuch ver-
rutscht. Fünf Stunden lag wurde ich verhört und
nach intimsten Dingen gefragt. Erst dann ließen
sie mich laufen. Dem Regime geht es um die Herr-
schaft der Männer über die Frauen.
Es gab eine Zeit im Iran, da waren die Frauen freier
als heute. Vor der Revolution 1979 sah man auf den
Straßen Teherans Miniröcke und Spaghettiträger. Es
herrschte der Schah, aber für viele wirkte es, als herr-
sche seine Gattin ein bisschen mit. Farah, so hieß sie,
galt als Stilikone, als meistfotografierte Frau der
Siebzigerjahre. Millionen Frauen weltweit imitierten
ihre Hochsteckfrisur. Sie engagierte sich für Frauen-
rechte, ihr Mann führte das Frauenwahlrecht ein.
Trotzdem hassten viele Iranerinnen und Iraner
den Schah. Es hatte schon damit begonnen, dass er
gegen den Willen des Volkes inthronisiert wurde.
Der amerikanische Geheimdienst hatte 1953 den
einzigen frei gewählten Premierminister gestürzt,
den der Iran je hatte, den populären Mohammed
Mossadegh – und den Schah ins Amt gehoben.
Dieser herrschte mit brutaler Repression, ließ Zei-
tungen schließen, Oppositionelle foltern. Vom
Ölreichtum des Landes profitierte nur eine kleine
Elite. Einmal schmiss der Schah in den Wüsten-
ruinen von Persepolis ein Fest, das als »größte Party
aller Zeiten« in die Geschichte einging.
Am Ende hatte er fast das ganze Land gegen
sich aufgebracht. Arbeiter begannen zu streiken,
Intellektuelle organisierten sich in Salons, und vie-
le Frauen trugen einen schwarzen Schleier, wenn
sie demonstrieren gingen – als Symbol der Tugend
gegen die Zügellosigkeit des Herrschers.
Es war klar, er würde gestürzt werden. Nicht
klar war, wer an seine Stelle treten würde. Erst kurz
vor der Revolution wurde der schiitische Religi-
onsgelehrte Ruhollah Chomeini aus seinem Pariser
Exil zur Führungsfigur des Widerstandes. Als er im
Februar 1979 in den Iran zurückkehrte, gab es
keinen Zweifel mehr. Chomeini wurde von Millio-
nen Menschen in Teheran begeistert empfangen.
Eine neue Zeit begann.
Mostafa Schahi, Mitte 60, emeritierter Profes-
sor der Religionswissenschaften: Ich war dabei,
als alles anfing. Die Demonstrationen gegen den
Schah waren enorm. Ein entscheidender Tag war
der 8. September 1978, der »Schwarze Freitag«.
Soldaten erschossen in Teheran Demonstranten, es
war ein Massaker. Danach war der Sturz des Schahs
unaufhaltsam. Auch ich war damals ein Islamist.
Ich glaubte fest daran, dass die Herrschaft der Re-
ligion funktionieren kann. Wir alle waren einge-
nommen vom Charisma des Ajatollah Chomeini.
Nachdem Chomeini an die Macht gekommen
war, errichtete er innerhalb weniger Monate eine
schiitische Theokratie. Er unterdrückte ethnische
Minderheiten wie Kurden, Belutschen und Aseris
und zwang religiösen Minderheiten wie den Sun-
niten eine fremde Glaubenswelt auf. Revolutions-
gerichte wurden gegründet, die Zahl der Hinrich-
tungen stieg. In Männergesichtern wuchsen Bärte,
aus Frauenkleidern wich die Farbe. Nach einem
kurzen Aufatmen während der Revolution war
eine Diktatur durch die nächste ersetzt worden.
Mostafa Schahi, Mitte 60, emeritierter Profes-
sor der Religionswissenschaften: Meine Zweifel
begannen nach Chomeinis Tod 1989. Den Men-
schen ging es schlechter und schlechter.
Die Geschichte der Islamischen Republik ist eine
Geschichte der Proteste. Im Sommer 1999 gingen
landesweit Studentinnen und Studenten auf die
Straße, nachdem eine liberale Zeitung geschlossen
worden war. 2009 entstand die »Grüne Bewegung«
gegen die Wahl des Präsidenten Mahmud Ahmadi-
nedschad. Ende 2017 rebellierte die Landbevölke-
rung, nachdem die Lebensmittelpreise stark ge-
stiegen waren. Ende 2019 lösten gestiegene Treib-
stoffpreise Massenproteste aus.
Rojan Alinasab, 45, kurdische Aktivistin: Leh-
rer waren 2017 und 2019 kaum auf der Straße,
auch Schüler und Studenten nicht, genauso wenig
wie Frauen. Diesmal sind diese Gruppen alle da-
bei. Wir sehen eine starke Präsenz der Mittel-
schicht, in den großen Städten haben sich auch
die einflussreichen Händler vom Basar angeschlos-
sen. In Kurdistan gab es in den letzten Wochen
fünf Generalstreiks.
Siawasch Riahi, 40, Ingenieur aus Maschhad:
Die Regierung ist verwirrt von dem, was gerade
geschieht. Immer mehr Gruppen beteiligen sich
an den Demonstrationen. Junge, Alte, Arbeiter,
Eltern, Ärzte. Die Ärzte protestieren dagegen,
dass Polizei und Geheimdienst ihre Krankenhäu-
ser durchkämmen, um verletzte Demonstranten
zu identifizieren. Eltern sorgen sich um ihre Kin-
der. Ich habe Freunde und Verwandte, deren
Kinder in der Schule festgenommen wurden. Sie
verhaften tatsächlich Schulkinder! Das führt
dazu, dass sich immer mehr Menschen dem Wi-
derstand anschließen.
Mina Ahmadi, 36, Kosmetikverkäuferin: Die
Demonstrierenden sind aus dem Westen gesteuert,
als Marionetten der USA. Die Amerikaner sind
sauer, dass sie ihr Imperium nicht bis in den Iran
ausdehnen konnten.
Am Ende der Diktatur des Schahs war das Kopf-
tuch ein Zeichen der Revolte. Heute ist es ein At-
tribut der Unterdrückung. Jede Frau, jung oder
alt, prominent oder unbekannt, die es ablegt,
stellt sich gegen das Regime. So wie Elnaz Rekabi.
Die 33-jährige iranische Sportkletterin trat vor
anderthalb Wochen bei den Asienmeisterschaften
in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul an. Sie
zog sich eine künstliche Wand empor und trug
dabei eine lange Hose, ein Trikot mit dem Auf-
druck »Iran«. Aber: kein Kopftuch. Am nächsten
Tag schrieb sie auf Instagram, es sei keine Absicht
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
gewesen. Sie sei nun auf dem Weg zurück in den
Iran. Viele vermuten, dass es sich um ein erzwun-
genes Statement handelt.
Mona Golschani, 46, Künstlerin: Elnaz Rekabi
stammt aus einer sehr konservativen Stadt. Was sie
da gemacht hat, ist viel mutiger, als wenn eine Frau
aus Teheran es getan hätte. Viele Leute, die ich
kenne, sind bei ihrer Rückkehr zum Flughafen ge-
fahren, um sie zu begrüßen.
Kurz nach ihrer Ankunft im Iran ist Elnaz Rekabi
aus der Öffentlichkeit verschwunden. Medien-
berichten zufolge steht sie unter Hausarrest.
Mona Golschani, 46, Künstlerin: Ich habe eine
Bekannte, die hat einmal ein iranisches Frauenfuß-
ball-Team bei einer Reise ins Ausland mit der Ka-
mera begleitet. Die Frauen bekamen keinen Arzt
mitgeschickt. Zu wenig Geld, sagten die Behörden.
Aber eine Sittenwächterin, die konnte mitkom-
men, um auf die korrekte Kopfbedeckung der
Spielerinnen zu achten. Bei einem Spiel verletzte
sich dann eine unserer Spielerinnen, sie konnte
nicht mehr aufstehen. Der Arzt des gegnerischen
Teams musste einspringen und ihr helfen. Was für
eine Erniedrigung.
Mina Ahmadi, 36, Kosmetikverkäuferin: Jedes
Land hat seine eigenen Gesetze. Bei uns gibt es
eben die Kopftuchpflicht. Einige Leute sind des-
halb wütend. So ist das eben. Der Iran wird damit
klarkommen.
Mostafa Schahi, Mitte 60, emeritierter Profes-
sor der Religionswissenschaften: Eine Kopftuch-
pflicht ist aus dem Koran nicht abzuleiten. Da
steht, dass es in der Religion überhaupt keinen
Zwang gibt. Ich persönlich mag zwar das Kopf-
tuch. Aber ich werde immer dafür kämpfen, dass
Frauen selbst entscheiden sollten, ob sie es tragen
wollen oder nicht. Bei uns zu Hause ist es so: Mei-
ne Frau und meine Schwestern ziehen es an, meine
beiden Töchter und meine Schwiegertochter nicht.
Zahra Hosseini, 35, Spanisch-Übersetzerin:
Wenn ich Videos von Frauen sehe, die ihr Kopf-
tuch verbrennen, wünsche ich mir, dass Gott sie
auf den für sie richtigen Weg zurückbringt. Das
Kopftuch schützt uns Frauen vor sexueller Belästi-
gung und Vergewaltigung. Wie kann man es da
verantworten, dass es abgenommen wird?
Die von Religionsgelehrten formulierten Gesetze,
die viele Frauen in ihrem Alltag als Knebelung
empfinden, sind ein Grund, weshalb die Men-
schen im Iran auf die Straße gehen. Die Unter-
drückung ethnischer Minderheiten ist ein ande-
rer. Im Nordwesten sind es die Kurden, im Süd-
osten die Belutschen, die nach Selbstbestimmung
verlangen. Dafür bezahlen sie mitunter mit dem
Leben. So wie am 30. September, als sich in der
Stadt Zahedan in Belutschistan, unweit der pakis-
tanischen Grenze, zahlreiche Menschen vor einer
Polizeiwache versammeln. Auf Videos, die bald
danach in den sozialen Medien kursieren, hört
man Schüsse. Auf dem Dach der Wache sieht
man Personen mit Gewehren. Steine fliegen.
Noch mehr Schüsse. Nach Angaben der Men-
schenrechtsorganisation Iran Human Rights Do-
cumentation Center sterben mindestens 97 Men-
schen, unter ihnen 13 Kinder.
Und dann ist da noch etwas, das auch diesmal
wieder die Proteste anheizt. Im Iran fehlt trotz al-
len Ölreichtums überall das Geld. Das liegt an der
Misswirtschaft des Regimes, zum Teil aber auch
an den Wirtschaftssanktionen, die der Westen ge-
gen das Land verhängt hat, weil er im iranischen
Nuklearprogramm den Versuch sieht, Atombom-
ben zu bauen.
Sorusch Erschadi, 46, Psychotherapeut: Die
Iraner sind ein stolzes, aber gedemütigtes Volk. Die
katastrophalen wirtschaftlichen Bedingungen und
die himmelhohe Inflation, die Ungerechtigkeiten
aufgrund struktureller Korruption, all das schürt
ihre Wut.
Mahmud Aslani, 57, Reinigungskraft aus Te-
heran: Ich arbeite in einem schicken Einkaufs-
zentrum. Schichtarbeit, zehn Stunden am Tag,
sechs Tage die Woche. Ich bringe für die verschie-
denen Geschäfte den Müll raus und wische den
Boden. Früher zählte ich mich noch zur irani-
schen Mittelschicht. Ich hatte eine kleine Bäcke-
rei, die Leute liebten mein Brot. Aber als die west-
 DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022 DOSSIER 17

Teheran, Oktober 2022

»Man sieht jetzt tagsüber

Frauen und Mädchen, die kein
Kopftuch tragen«
Foto: DZ

lichen Sanktionen gegen unser Land immer
strenger wurden, wurden Mehl und Öl immer
teurer. Irgendwann konnte ich die Miete nicht
mehr bezahlen. Heute verdiene ich etwa 60 Mil-
lionen Rial im Monat (etwa 190 Euro, Anm. d.
Red.). Das Leben in Teheran ist so teuer gewor-
den, dass das nicht reicht. Ich arbeite nun, soviel
ich kann. Über die Proteste will ich nicht spre-
chen, das ist mir zu gefährlich und zu politisch.
Mona Golschani, 46, Künstlerin: Seit den Sank-
tionen gibt es kaum mehr bezahlbares Obst oder
etwas Frisches in den Geschäften. Alles ist so un-
glaublich teuer geworden. Ich habe einen Beeren-
strauch im Garten und habe sehnsüchtig darauf
gewartet, dass die Beeren reif werden. In einem
alten Schrank habe ich Vitaminpillen gefunden
und genommen. Sie waren seit Jahren abgelaufen,
aber das habe ich erst später gemerkt.
Fateme Sobhani, 28, Hausfrau: Die Grundlage
unserer Islamischen Republik ist richtig. Die aller-
meisten Iraner sind Muslime, unser Staatssystem
muss das widerspiegeln. Und wir haben Wahlen –
die könnten zwar noch verbessert werden, aber
immerhin haben wir sie. Das Problem ist: Wir
hätten die Gesetze an die moderne Wirklichkeit
anpassen müssen. Der Islam erlaubt das, aber es
wurde nicht gemacht. Ich kenne Menschen, die
werfen mir wegen solcher Gedanken vor, ich wür-
de mich vom Islam abwenden. Sie beten für mich,
dass ich eine bessere Muslimin werde. Ich, die
Tschador tragende Koranstudentin!
Mostafa Schahi, Mitte 60, emeritierter Profes-
sor der Religionswissenschaften: Heute glaube
ich, dass die Islamische Republik nichts als Zer-
störung und Rückständigkeit, Korruption und
Unterdrückung mit sich bringt. Für den Revoluti-
onsführer Ali Chamenei hat nicht das Volk oberste
Priorität. Sondern der Islam, besser gesagt das, was
er dafür hält. Er ist wie die meisten muslimischen
Sultane: ein korrupter Tyrann, ein Herrscher, der
gegen alles Moderne ist.
Elika Tschaboki, 31, Nachhilfelehrerin: Ich zie-
he nächstes Jahr mit meinem Mann zusammen, im
Moment lebe ich noch bei meinen Eltern. Die sind
auch gegen das Regime. Sie haben allerdings ein
paar Freunde, die Chamenei unterstützen. Manch-
mal diskutieren sie miteinander, aber keine Seite
weicht von ihrer Meinung ab. Die Fronten sind
verhärtet. Auch ich habe mich kürzlich mit Freun-
den gestritten. Sie sagten, die Proteste würden alles
nur verschlimmern. Der Iran könne dadurch zum
Bürgerkriegsland werden, wie Syrien. Ich hatte
Herzklopfen, weil es mich so ärgerte, dass meine
Freunde nicht an unserer Seite stehen, wenn es
ernst wird.
Rojan Alinasab, 45, kurdische Aktivistin: Nach
zwei Wochen im Gefängnis wurde ich entlassen.
Ich bin dann nicht mehr auf die Straßen gegangen,
weil meine Tochter große Angst hatte, dass ich
wieder verhaftet werde. Aber ich nehme regelmä-
ßig an Treffen mit Aktivisten teil. Da diskutieren
wir, wie wir die Proteste fortsetzen können.
Simin Hatari, um die 40, Geisteswissenschaft-
lerin: Ich bin nicht der Meinung, dass sich die
Bewegung bewaffnen sollte. Man weiß nicht, was
jemand mit einer Waffe anrichten würde. Aber ich
denke, mit Molotowcocktails könnte man be-
stimmte sensible Orte beschädigen. Damit könnte
man dem Regime viel Schaden zufügen.
Fateme Sobhani, 28, Hausfrau: Es gibt jetzt
viele Leute, die Schüler und Studierende zum
Streik aufrufen. Was soll das? Die jungen Leute
sollen doch etwas lernen. Jetzt Druck auf sie aus-
zuüben, das ist falsch. Statt zu zerstören und zu
boykottieren, sollten sie dabei helfen, konkrete
Lösungen zu finden.
Elika Tschaboki, 31, Nachhilfelehrerin: Oben in
unserem Haus habe ich in einem Zimmer einen
kleinen Klassenraum eingerichtet, dort gebe ich
Privatunterricht. Meist sind es sechs bis zehn Ju-
gendliche im Alter von 12 bis 18. Sie erzählen mir
immer ganz aufgeregt, was gerade in den Schulen
los ist: Sie singen Freiheitslieder, schneiden die
zweite Seite ihrer Schulbücher heraus, auf der im
Iran ein Bild von Ajatollah Chomeini abgedruckt
ist. Sie rufen im Chor: Mullah, verschwinde aus
unserer Schule! Ich habe nun mit meinen Schüle-
rinnen ein Video aufgenommen. Videos zirkulie-
ren im Iran ja zurzeit wie wild. Dauernd bekommt
man neue aufs Handy. In unserem Video sitzen
meine Schülerinnen mit dem Rücken zur Kamera,
sodass man sie nicht erkennt. Ich filme. Die Mäd-
chen fangen an, das Freiheitslied Baraye von Sher-
vin Hajipour zu singen. Es ist gerade überall zu
hören. Hajipour hat es nach Mahsas Tod veröffent-
licht, er wurde deshalb bereits verhaftet. Mittler-
weile ist er wieder frei. In dem Lied zählt er die
Gründe auf, deretwegen die Menschen gerade
protestieren. Um auf der Straße tanzen zu dürfen.
Um zu lachen. Um sich auch in der Öffentlichkeit
küssen zu dürfen. Die Mädchen singen die Zeilen
voller Hingabe und aus tiefstem Herzen. Ich habe
das Video an Iran International geschickt, einen
Fernsehsender, der von London aus berichtet.
Simin Hatari, um die 40, Geisteswissenschaft-
lerin: Auf den Straßen hat sich viel verändert.
Man sieht jetzt tagsüber Frauen und Mädchen,
die kein Kopftuch tragen! Die meisten wagen das
nur, wenn sie in einer Gruppe unterwegs sind. Ich
mache es auch alleine, wenn ich merke, dass die
Straße sicher ist.
Asis Loolai, 24, Soldat: Ich schaue den anderen
Soldaten in der Kaserne tagtäglich in die Augen,
ich sehe ihre Müdigkeit. Wenn ich abends bei den
Protesten den Menschen auf der Straße ins Ge-
sicht blicke, ist da keine Spur von Müdigkeit. Da
sind Mut und Entschlossenheit. Ich muss noch
mehr als eineinhalb Jahre bei den Revolutionsgar-
den dienen. Manchmal frage ich mich, was wäre,
wenn sich diese Truppe gegen das Regime stellen
würde. Die Revolutionsgarden könnten jedes Sys-
tem stürzen. Aber sie werden wohl niemals ihre
finanziellen und persönlichen Vorteile austau-
schen gegen so etwas wie Freiheit und Menschen-
würde. Sie werden bis zuletzt gegen diese Revolu-
tion ankämpfen.
Siawasch Riahi, 40, Ingenieur: Noch sind die
Proteste unorganisiert, es gibt keine Wortführer.
Sobald ein Anführer gefunden ist, wird es wirk-
lich eng für das Regime. Ich fürchte allerdings,
dass es noch dauern wird, bis der Umsturz
kommt, vielleicht ein Jahr, vielleicht zwei Jahre.
Aber es wird passieren.
Elika Tschaboki, 31, Nachhilfelehrerin: Das Vi-
deo wurde ein Hit. Es ging viral. Meine Schüle-
rinnen zeigen der ganzen Welt gerade, wie wahn-
sinnig mutig sie sind!
MORITZ AIS SLINGER , NATALIE AMIRI ,
NASRIN KHADIDJEH BAS SIRI , BASTIAN BERBNER ,
K AVEH GHOREISHI , MALTE HENK ,
LUISA HOMMERICH , KERSTIN KOHLENBERG
UND WOLFGANG UCHATIUS

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5. Oktober 2022
Kap Europa,
Frankfurt am Main

Überlebenswichtig: Funktions- Drei Fragen an

fähige und sichere IT-Systeme
Spionage, Erpressung, Identitätsdiebstahl, Desinformation oder gar
Sabotage – das Ausmaß von Cyberattacken wird immer umfassender.
Ein Trend, der sich mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine weiter
verschärft. Wie ist die Lage und was ist zu tun?
Cyberangriffe ausländischer Nachrich-
tendienste nehmen zu, sie richten sich
gegen die deutsche Politik, Wirtschaft
und Wissenschaft sowie gegen kritische
Infrastrukturen. Spionageangriffe sind
quasi auf der Tagesordnung. Aber:
»Wir sehen eine erhöhte Gefahr durch
Cybersabotageangriffe. Wer mit einem
Atomschlag kokettiert, wird auch kein
Problem damit haben, Cybersabotage-
angriffe zu verüben«, sagte Jadran
Mesic, Leiter Cyberabwehr beim Bun-
desamt für Verfassungsschutz. Er erläu-
terte, wie seine Behörde staatlich
gesteuerte Cyberangriffe aufklärt und
deutsche Stellen vor Ausspähung und
Sabotage schützt. Insbesondere mit
Blick auf China müsse man bestehende
Abhängigkeiten kritisch hinterfragen.
Denn: »Wenn jemand einen ›General-
schlüssel‹ zur Infrastruktur hat, dann wird
das zur strategischen Bedrohung.«
Cybersicherheit ist
die beste Verteidigung
Brauchen wir eine aktive Verteidigung,
und was ist das überhaupt? Bei der
Diskussion über aktive Cyberabwehr
war schnell klar – eine einfache Ant-
wort gibt es darauf nicht. »Bei der
aktiven Cyberabwehr geht es nicht
um Angriffe auf Einrichtungen eines
fremden Staates zur Vergeltung oder
Abschreckung. Es geht darum, die
Strafverfolgungsbehörden dabei zu
unterstützen, Straftaten zu vereiteln
und zu verfolgen«, betonte Michael
Waidner, Leiter des Fraunhofer-Insti-
tuts für Sichere Informationstechno-
logie SIT und CEO des Nationalen
Wie sich Unternehmen gegen Cyberattacken aufstellen, darüber diskutierten Anja Swidsinski von der
Transferstelle für IT-Sicherheit im Mittelstand, Markus Weiler, Enterprise Account Manager bei BeyondTrust,
und Steven Arzt, Abteilungsleiter Secure Software Engineering bei Fraunhofer SIT (v.!li.!n.!re.).
Forschungszentrums für angewandte
Cybersicherheit ATHENE. An techni-
schen Maßnahmen, Angriffe stoppen
oder proaktiv zu verhindern, fehlt es
nicht, schon gar nicht bei der Bundes-
wehr. »Mal eben schnell zurückschla-
gen geht nicht«, sagte auch Oberst
Guido Schulte, Stellvertretender Chief
Information Security Officer (CISO)
der Bundeswehr. »Die beste Verteidi-
gung ist Prävention, das gilt auch und
gerade für die Sicherheit im Netz.
Unser Fokus liegt auf dem Schutz der
Bundeswehr.« Keine leichte, aber eine
wirksame Aufgabe. Denn: Die vielen
Verfahren, die präventiv Schwachstel-
len finden, sind ausgeklügelt und
nehmen, wie im Militär üblich, auch
die Sichtweise der Angreifer ein.
Entscheidend: der Faktor Mensch
Schwachstellen erkennen und behe-
ben – damit stellen sich auch kleine
und mittlere Unternehmen bestmög-
lich gegen Cyberattacken auf. Mit
sein Wissen und sein Handeln. Damit
wichtiges IT-Sicherheitswissen im
Unternehmensalltag auch wirklich
umgesetzt wird, muss es von Anfang
an fester und praxisnaher Teil der
Berufsausbildung sein. »Das Projekt
›mIT Sicherheit ausbilden‹ vermittelt
grundlegendes IT-Sicherheitswissen
an Ausbildungsverantwortliche, die
seit Herbst an bundesweit stattfinden-
den kostenlosen IT-Sicherheits-Work-
shops teilnehmen«, sagt Projektleiterin
Anja Swidsinski von der Transferstelle
für IT-Sicherheit im Mittelstand (TISiM),
»Gerade kleinere Ausbildungsbetriebe
können wir mit diesem Projekt adäquat
unterstützen und so IT-Sicherheits-
lücken durch nachhaltige Wissens- und
Kompetenzvermittlung schließen.«
Wie leicht IT-
Sicherheitslücken
trotz umfassender
Mohamed Ibbich,
Director Solutions Engineering,
BeyondTrust
Herr Ibbich, worauf sollten Unter-
nehmen bei Passwortverwaltung
und Cloud-Sicherheit besonders
achten?
Unternehmen sind gut beraten,
Zugangsdaten und Passwörter auto-
matisch erfassen und verwalten zu
können. Durch ein proaktives Sicher-
heitsmanagement inklusive Just-in-
Time-Zuteilung von Zugriffsberech-
tigungen können IT-Verantwortliche
produktive und sicherheitsgeprüfte
Arbeitsprozesse sicherstellen. Bei
der Nutzung von Cloud-Lösungen
kommt es, neben der Einhaltung von
Regularien und dem Schutz von
Personendaten, insbesondere darauf
an, zu verstehen, welche Konten und
Privilegien überhaupt für Cloud-
Dienste genutzt werden.
Warum hilft klassisches VPN
allein hier nicht weiter?
Bei VPNs ist es grundsätzlich schwie-
rig, den nötigen Grad an Kontrolle
aufrechtzuerhalten, der für Fern-
zugriffe auf interne Zielsysteme
notwendig ist. Wird das externe
Ausgangssystem kompromittiert,
sind auch die mit ihm verbundenen
Systeme gefährdet – für den privi-
legierten Remote-Zugriff sind das
denkbar schlechte Voraussetzungen.
Gerade bei Zugriffen durch externe
Dienstleister, deren Sicherheitsstan-
dards meist außerhalb der Unter-
nehmensverantwortung liegen,
ergeben sich hier zu viele Risiken.
Wie bereiten sich Unternehmen
bestmöglich auf einen Angriff vor?
Trotz der bekannten Gefahren wer-
den proaktive und grundlegende
Maßnahmen der IT-Sicherheit nur
selten getroffen. So gewähren viele
Organisationen ihren Nutzern nach
wie vor lokale Administrationsrechte,
obwohl insbesondere bei Remote-
Arbeitsplätzen das Least-Privilege-
Prinzip (PoLP) durchgesetzt werden
sollte. Mitarbeiter verfügen dann
nur über die erforderlichen Nutzer-
rechte, die sie auch tatsächlich zur
Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen.
Nicht autorisierte Software wird
unterbunden und Änderungen an
der Systemkonfiguration können
nicht durchgeführt werden.

Investitionen in professionelle Cyber-

Vorkehrungen Weitere Informationen unter www.beyondtrust.com/de
unentdeckt
»Das, was heute die Gasspeicher sind, können morgen die Rechenzentren sein«, mahnte Jadran Mesic, sicherheit allein ist es aber nicht getan. bleiben, erläuterte Impressionen zur 5. Jahrestagung Cybersecurity finden Sie unter
Leiter Cyberabwehr beim Bundesamt für Verfassungsschutz, im Gespräch mit Lisa Hegemann, Leiterin Steven Arzt,
des Ressorts Digital, ZEIT ONLINE. Entscheidend ist der Faktor Mensch, Fraunhofer SIT. www.studiozx.de/events/cybersecurity

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18 LESERBRIEFE 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

Zur Ausgabe Nr. 42 Weitere Leserbriefe finden Sie unter

blog.zeit.de/leserbriefe

Heinrich Wefing:
Wir haben die
Hosen voll Die FDP als Ich-ich-ich-Partei War das eine
Sternstunde?
Moritz Aisslinger:
»Gegen die Angst« ZEIT NR. 42 Robert Pausch: »Zu gut erkannt« ZEIT NR. 42 »Sie war’s« ZEIT NR. 42

Angst ist ein kaltes Gefühl. Putin spielt mit
dieser Angst. Jetzt, wo die militärischen Erfol-
ge Russlands in der Ukraine ausbleiben, ist es
für ihn nur folgerichtig, die Unterstützer zu
schwächen. Denn dass die Ukraine Russland
ohne die Waffenlieferungen aus dem Westen
nicht genug entgegenzusetzen gehabt hätte,
ist auch Putin klar.
Heinrich Wefing bringt es auf den Punkt: Es
gilt, die Nerven zu bewahren. So schrecklich
das alles ist, es ist höchste Zeit, Autokraten
und Menschenfeinden wie Putin das Hand-
werk zu legen. REGINA STOCK , KIEL
Was ist aus uns geworden? Hysterische Panik-
macher und Hosenscheißer sind wir (fast
alle)! So werden wir die liberale Demokratie
nicht verteidigen können.
THOMAS WALTER , PER E-MAIL
Als Nichthistoriker schreiben Sie über die
Angst im Kriegszeiten. Vielleicht sollten Sie
gelegentlich über den Ausspruch Otto von
Bismarcks nachdenken. Der sagte nämlich:
»Politik hat nicht zu rächen, was geschehen
ist, sondern dafür zu sorgen, dass es nicht
wieder geschehe.«
Ihre Spielereien mit dem Wörtchen »wenn«
sehe ich eher als einen belletristischen Ver-
such, der aber in solch ernsten Zeiten wie
jetzt, wo es um Krieg und Frieden für die
ganze Welt geht, nicht sonderlich ange-
bracht ist. DR . DETLEF RILLING, SCHARBEUTZ
Alltag und Krieg
Alice Bota: »Stell dir vor ...«
Ich muss gestehen, ich habe diese ewigen Befind-
lichkeitsstörungen der (aller) Parteien seit Lan-
gem satt. Jetzt hat die FDP in einer Landtagswahl
verloren, schon pflegt sie ihre Profilneurose.
Im Grundgesetz ist den Parteien eine Mittlerrolle
(!) zugedacht, nicht mehr und nicht weniger. Ihre
Existenz ist kein Selbstzweck.
DR . URSUL A AUGENER , PER E-MAIL
Widerspruch! Nicht eine überzogene Profilierung
schadet dieser Partei, sondern ihr weitgehender
Attentismus nach dem Ukraine-Überfall. Auf
diese Zeitenwende hatte Christian Lindner bisher
keine Antwort. Selbst die von breitem öffent-
lichem Rückenwind getragene Laufzeitverlänge-
rung der Atomkraftwerke konnte er nicht maxi-
mal durchsetzen. Fehlanzeige auch beim Thema
Waffenlieferungen und Migration. Oder auch
Corona, wo ganz Europa auf Eigenverantwor-
tung setzt anstatt obrigkeitsstaatlicher Bevor-
mundung, eigentlich originär liberales Gedan-
kengut. Selbst bei der Schuldenbremse hat die
Partei längst ihre Unschuld verloren. Diese Leer-
stellen hätte die FDP besetzen müssen.
CHRISTOPH SCHÖNBERGER , A ACHEN
Es mangelt der FDP an Verantwortung für das
große Ganze. Sie zeigt sich als Ich-ich-ich-Partei,
die sich den Anforderungen jenseits ihrer Ideolo-
gie nicht stellen will. Genau das haben die Wähler
in Niedersachsen gemerkt. Während die Grünen
eine Selbstgewissheit nach der anderen infrage
stellen, weil die Krise verantwortliches Handeln
fordert, landet die FDP bei 4,7 Prozent. Kein
Wunder. HELMUT SCHMITZ, WESEL
Die Geschichte der FDP seit 1948 ist eine Anein-
anderreihung von Versuch und Irrtum. Von den
Parteivorsitzenden gingen dabei mehr oder weni-
ger starke Signale der liberalen Verantwortung
aus. In der ganzen Zeit ist zudem die Rolle der
Partei als »Königsmacherin« bei der Wahl des
Bundeskanzlers, der Bundeskanzlerin festzustel-
len. Wenn die FDP Teil der Bundesregierung ist,
geht es allerdings offenbar nur noch darum, das
eigene Profil zu schärfen. Doch immer nur stur
die eigene Klientel zu bedienen und die pragma-
tischen Lösungen zu vernachlässigen führt – wie
die letzten vier Landtagswahlen gezeigt haben –
nicht zum Erfolg. FELIX BICKER , ES SEN
Die Welt braucht Pragmatismus. Pragmatismus
ist kein Alleinstellungsmerkmal. Aber in existen-
ziellen Zeiten ein Profilierungspunkt für die
Regierungsparteien, den viele mündige Bürger
im Auge haben. Parteien mit Existenzsorgen
glauben, ihre Selbstzweifel durch ein Übermaß an
ideologisch-taktischer Sichtbarkeit kompensieren
zu müssen. Dabei erhöhen sie nur den Wider-
spruch zwischen Schein und Wirklichkeit. Viele
mündige Bürger entziehen das Vertrauen, wenn
das Konto nur zum Schein gedeckt ist, gerade
auch wenn der Scheinwerfer Finanzminister ist.
REINHARD KOINE, BAD HONNEF
Das Verhalten der FDP als Bremsklotz in der
Bundesregierung gefährdet nicht nur ihre eigenen
Wahlerfolge, sondern wird auch für die Koaliti-
onspartner zunehmend zur Belastung.
Der Vergleich mit der Rolle der SPD als Junior-
partner in der großen Koalition hinkt: Die Union,
insbesondere die Bundeskanzlerin, konnte von
jener Konstellation profitieren.
Olaf Scholz hingegen, der die inhaltlichen Diffe-
renzen und ideologischen Gräben zwischen FDP
und Grünen ausbalancieren muss, gerät ständig
in die publizistische Schusslinie, gipfelnd in dem
mantraartig vorgetragenen Vorwurf, er lasse es an
Führung vermissen, agiere zaudernd und zöger-
lich. Da muss es nicht verwundern, dass die SPD
auf Bundesebene laut Umfragen in der Wähler-
gunst kontinuierlich absackt.
RÜDIGER PAUL, PER E-MAIL
Der Leitartikler meint, dass die FDP die Regie-
rungspolitik anstandslos mitmachen soll. Das ist
zu viel verlangt angesichts der verfehlten Politik
von SPD und Grünen, die auf die Wirtschaft
keine Rücksicht nimmt. Aufgabe der FDP ist es
aber, dem wirtschaftlichen Sachverstand zum
Durchbruch zu verhelfen. Gerade in Krisenzeiten
wie diesen.
Das Problem besteht in einer Energiemangellage
und dadurch ausgelösten Preissteigerungen. Die-
ses lässt sich nur mit einer Ausweitung des Ange-
bots an Energie bekämpfen. Daher ist es erforder-
lich, die eigenen Energievorkommen zu erschlie-
ßen und auszubeuten.
Wenn wir davon ausgehen, dass für die Energie-
mangellage der entscheidende Winter der Winter
2023/24 ist, so ist es erst recht erforderlich, alle
Energieträger zur Verfügung zu haben, also neben
einheimischem Gas (durch Fracking) auch Atom-
strom. Die Forderungen der FDP sind volkswirt-
schaftlich begründet und sinnvoll.
CHRISTOPH MEIS SNER , FLENSBURG
Wenn die FDP ununterbrochen von der Schul-
denbremse schwadroniert oder Steuererhöhungen
für Reiche in der Dreierkoalition erfolgreich be-
kämpft und sich Lindners seltsame Vorstellung
von Gerechtigkeit in der Koalition durchsetzt,
spielt der zunehmend genervte Wähler nicht mehr
mit. KL AUS REISDORF, ST. PAULET DE CAIS SON
Das Dossier über die Forscherin, die mit ihrer
Arbeit drei männlichen Forschern den Weg
zum Nobelpreis geebnet hat, ist sehr interes-
sant und dazu angetan, einiges zurechtzu-
rücken. Ich frage mich nur, was genau dabei
jetzt die »Sternstunde der Menschheit« ist.
Dass eine intelligente Frau der Ergebnisse
ihrer genialen Erkenntnis beraubt und von
selbst ernannten »Herren der Schöpfung«
über den Tisch gezogen wurde? War sicher
nicht der einzige Vorfall dieser Art.
DR . SABRINA HAUSDÖRFER , BERLIN
Kann man den Betrügern den Nobelpreis
nicht posthum entziehen – und ihn Rosalind
Franklin zusprechen?
ELISABETH MAYER , PER E-MAIL
Die ZEIT schreibt: »Hunderttausende Men-
schen lesen Watsons Erinnerungen, sie erfah-
ren, wie drei Spitzenforscher monatelang ihre
Kollegin mobbten, sich gegen sie verschwo-
ren. Aus heutiger Sicht würde man einen Auf-
schrei aus der Wissenschaftsgemeinschaft
erwarten (...) über die Verachtung der wissen-
schaftlichen Leistung einer Frau«.
Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass es
heute anders wäre? Nach meinen Erfahrun-
gen hat sich das Frauenbild leider nicht ent-
scheidend verändert. Mein gesamtes Berufs-
leben ist seit über drei Jahrzehnten geprägt
davon. Aufschreie kenne ich nicht. Nach
meiner persönlichen Erfahrung gilt – insbe-
sondere für den Mint-Bereich – die Aussage
des Organisationspsychologen Tomas Cha-
morro-Premuzic: »Die Wahrheit ist, dass so
ziemlich überall auf der Welt Männer dazu
neigen, sich für viel klüger zu halten als
Frauen«. DIPL .-ING. PETR A BAIER , BADEN-BADEN
Es waren nicht die männlichen Kollegen, die

ZEIT NR. 42
Ja, es muss schmerzhaft sein, wenn Orte, an
denen man hängt, durch Krieg ausgelöscht
werden. Doch angesichts der Klagen über
mangelnde Empathie mit dem Leid in der
Ukraine frage ich mich, wie denn die Klagen-
den ihrerseits früher auf fernes Leid reagier-
ten. Gingen sie auf die Straße, als Putin
Aleppo in Schutt und Asche legen ließ? Ver-
fielen sie in Trauer, als es im Jemen Bomben
auf Zivilisten regnete? Vielleicht taten sie das.
Vielleicht kehrten sie nach dem ersten Entset-
zen aber auch wieder in ihren Alltag zurück,
dankbar dafür, dass es ihn gab.
Ich halte diese Reaktion für sehr menschlich,
und ich denke, nicht nur wir würden anders
über zerstörte Orte in Deutschland sprechen
als über die in der Ukraine, sondern umge-
kehrt auch die Ukrainer.
SABINE MÖHLER , PER E-MAIL
Emotionen zu schüren sollten Sie der Bild-
Zeitung überlassen. Was soll der Leser aus
dem Artikel folgern? Mehr Waffen, damit der
Krieg schneller siegreich beendet werden
kann? ASTRID KRUHL, PER E-MAIL
BEILAGENHINWEIS
Die heutige Ausgabe enthält folgende Publikationen
in einer Teilauflage: Projekt17, 22761 Hamburg;
in|pact media GmbH, 10178 Berlin; Mey & Ed-
lich GmbH, 04227 Leipzig; Fattoria La Vialla, IT-
52029 Castiglion Fibocchi; In der Auflage Christ
& Welt: Walbusch Walter Busch GmbH & Co. KG,
42646 Solingen
Klimaneutraler Kurzurlaub
Zum Interview »Der Klima-Deckel« mit dem Ökonomen Achim Wambach
Das Interview mit Achim Wambach hat mir ein
wunderbares Wochenende beschert: Ich habe so-
fort einen Flug nach Fuerteventura gebucht. So
wie ich den Ökonomen verstanden habe, bläst
dank des europäischen Emissionshandels dann
irgendeine Fabrik genau die Menge CO₂ weniger
in die Luft, die ich mit meinem Flug verbrauche.
So weit alles verstanden.
Ich lerne auch, dass die Grenzwerte um 2,2 Pro-
zent pro Jahr von der EU reduziert werden. Dann
aber muss mit dieser Reduzierung ja auch eine
Erhöhung des Ausbaus der erneuerbaren Ener-
gien einhergehen. Doch, laut Wambach, bringt es
den Klimaschutz nicht voran, wenn ich mir als
Privatmann eine Solaranlage anschaffe. Dass die
fast einzig gute Methode der Ausbau der Solar-
energie auf Dächern ist, wenn man nicht alle 100
Meter von einer Windanlage erfreut werden will,
ist aber doch eine Tatsache. Vermutlich wird der
Experte davon ausgehen, dass E.on & Co. das
schon richten werden.
Zum Dank sende ich Ihnen dann eine Postkarte
von den Kanaren.
K ARL GIGGENBACH , FISCHBACHAU
Was für ein tolles Interview! Achim Wambach er-
klärt in einer Klarheit, die Seltenheitswert hat, wo
der individuelle Einsatz für den Klimaschutz, an
den ständig und undifferenziert appelliert wird,
hilfreich ist und wo nicht. Die konsequente Aus-
weitung des Emissionshandels auf alle Lebensbe-
reiche wäre der einzig sinnvolle, gerechte und
damit für alle akzeptable Zwang, ohne den es nie
und nimmer klappen wird mit der Begrenzung
des Temperaturanstiegs – wenn es nicht bereits zu
spät ist. GEBHARD BODDIN , HAMBURG
So richtig die Aussagen des Ökonomen Achim
Wambach zur Bedeutung des Emissionshandels
für den Klimaschutz sind, so fatal sind die Schlüs-
se, die er zieht. Denn natürlich hilft der Sparbei-
trag jedes Einzelnen – auch in den durch den
Emissionshandel regulierten Bereichen.
Denn jede weitere Fotovoltaikanlage und jeder
eingesparte Flug vermindern unzweifelhaft die
CO₂-Emissionen. Das führt zu sinkenden CO₂-
Preisen, was ökonomischen Druck von den
Industrien nimmt und damit die Wahrschein-
lichkeit vermindert, dass die Politik die vorgege-
benen Ziele zukünftig aufweicht.
Ganz abgesehen von diesem nicht zu unterschät-
zenden Wirkmechanismus (den Herr Wambach
ja auch selbst erkennt) finde ich es unverantwort-
lich, Eigenengagement in Sachen Klimaschutz zu
diskreditieren und so Klimaleugnern zweifelhafte
Argumente an die Hand zu geben.
HEIKO VON TSCHISCHWITZ, POOLE, SÜDENGL AND
Der Ökonom Achim Wambach meint, dass Öko-
strom zu kaufen, Kurzflüge zu vermeiden oder
die Solaranlage auf dem Dach nicht wirklich
helfen, CO₂ einzusparen. Grund: Die CO₂-Zer-
tifikate führten lediglich zu einer Verlagerung der
Emissionen. Durch solche Äußerungen erweist
Wambach dem Klimaschutz einen Bärendienst,
denn er berücksichtigt nicht den Faktor Mensch.
ZEIT NR. 42
Die CO₂-Zertifikate stehen zunächst lediglich
auf dem Papier, als theoretische Grundlage für
CO₂-Einsparungen. Entscheidend für das Gelin-
gen des Klimaschutzes aber ist der Mensch und
sein Verhalten.
WOLF WARNCKE, TARMSTEDT
Das Interview ist genau das, was ich mir von der
ZEIT wünsche: informativ, lang und zu einem
viel zu wenig bekannten Thema.
THEO HEER , ALLENSBACH
In den wesentlichen Punkten stimme ich Achim
Wambach zu, insbesondere was die zentrale
Bedeutung der Emissionshandelssysteme betrifft.
Die Aussagen, dass die Sektoren Wärme für
Gebäude und Verkehr nicht unter eine Zertifika-
teregelung fielen, sind jedoch missverständlich.
Richtig ist, dass diese nicht vom europäischen
System erfasst werden. In Deutschland aber
unterliegen sie seit 2021 dem Gesetz über einen
nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemis-
sionen (BEHG). Die Emissionsmengen der Sek-
toren Wärme und Verkehr sind in Deutschland
nach Anlage 1 zu §4 Klimaschutzgesetz bereits
gedeckelt und werden jährlich abgesenkt.
PROF. FR ANK BEST, HOCHSCHULE KONSTANZ
Ich würde mir einen Artikel wünschen, der die
Argumente von Herrn Wambach beleuchtet. Ich
empfinde sie als etwas einseitig, kann dies aber
nur bedingt belegen, da mir die nötigen Kennt-
nisse fehlen. CHRISTIAN BR ANDL, PER E-MAIL
Rosalind Franklin um ihre Arbeit, ihren
Ruhm oder gar um den Nobelpreis betrogen.
Das hat der Tod gemacht.
In der Fachzeitschrift Nature erschienen am
25. April 1953 drei Artikel gleichzeitig. Eine
bewusste editorische Entscheidung, um die
Gleichwertigkeit und Zusammengehörigkeit
herauszustellen. Es sind dies zwei Arbeiten
der späteren Nobelpreisträger und eine dritte
von Rosalind Franklin und Raymond Gos-
ling, ihrem damaligen Mitarbeiter.
Wahrscheinlich hätte also auch Rosalind
Franklin den Nobelpreis bekommen (wenn
sie 1962 denn noch gelebt hätte). Und dass
ihr Co-Autor und Mitarbeiter Raymond
Gosling der Urheber des berühmten Fotos ist,
wird in dem Artikel in der ZEIT nicht deut-
lich genug gesagt.
Der Artikel ist im Stile des gegenwärtigen
Feminismus geschrieben, sich anbiedernd,
aber nicht so korrekt, wie es eigentlich nötig
wäre. DR . ECKHARD LIEB , HILDESHEIM
IHRE POST
erreicht uns am schnellsten unter der
E-Mail-Adresse leserbriefe@zeit.de. Mit der
Einsendung geben Sie Ihr Einverständnis,
Ihren Brief in der ZEIT, deren digitalen Aus-
gaben und im Leser-Blog auf www.zeit.de
unter Nennung Ihres Namens und des
Wohnortes zu veröffentlichen. Für den
Inhalt sind Sie als Einsender verantwortlich;
die Redaktion behält sich Auswahl, Kürzung
und redaktionelle Bearbeitung vor. Zudem
können Sie die Texte der ZEIT auf Twitter
diskutieren und uns auf Facebook folgen.

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18. November 2022

Illustration: www.gertalbrecht.de

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nicht, wie schön Vorlesen ist. Teile deine Freude am Lesen mit  (Digitale) Vorleseaktion planen
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Dieser steht 2022 unter dem Motto »Gemeinsam einzigartig«.  Lesefreude schenken
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Hauptsache, es wird vorgelesen! Initiatoren: Partner:
Bitte beachte bei der Planung deiner Vorleseaktion die geltenden
Kontaktbeschränkungen zum Zeitpunkt des Vorlesetags.
 DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022
Bis zu acht Millionen Tonnen Bomben warfen die USA im Vietnamkrieg ab: US-Flugzeug während der »Operation Linebacker« (Mai bis Oktober 1972)
UND
Foto: Science Photo Library
Über die Schwierigkeit, einen aussichtslosen Kampf zu beenden: Wie Richard Nixon und Henry Kissinger den Vietnamkrieg
in die Länge zogen – und einen Schuldigen für ihr Scheitern suchten VON FABIAN HILFRICH
W
enn dir jemand auf die
Finger haut, dann tritt
ihm in den Unterleib.«
Hinter verschlossenen Tü-
ren fasste US-Präsident
Richard Nixon im Febru-
ar 1972 seine Maxime im
Umgang mit dem kommunistischen Nordvietnam
wenig friedfertig zusammen. Dagegen betonte er
in der Öffentlichkeit die damals schon dreijährige
Suche nach einer Friedenslösung.
Kurz und siegreich hatte der Vietnamkrieg
verlaufen sollen, eine militärische Spezialoperation
gewissermaßen. Am Ende dauerte der amerika-
nische Militäreinsatz in Südostasien mehr als ein
Jahrzehnt; er war lang und verlustreich.
Wie aber ist ein Rückzug möglich, ohne die er-
klärten Ziele erreicht zu haben? Wie rechtfertigt man
Kompromisse mit einem Feind, den man als das ab-
solut Böse dargestellt hat? Die letzten Jahre des Viet-
namkriegs und sein Ende vor 50 Jahren illustrieren,
wie schwierig solche Rückzüge sind und wie sie die
ganze Nation einer Zerreißprobe aussetzen können.
Richard Nixon hatte die Präsidentschaftswahl
1968 unter anderem wegen seines Versprechens
gewonnen, einen »Geheimplan« für einen Frieden
zu haben. Eine Offensive Nordvietnams und der
Nationalen Befreiungsfront im Süden hatte zu Beginn
des Jahres die Stimmung derart gedreht, dass fast alle
Präsidentschaftskandidaten gelobten, das Blutver-
gießen zu beenden. Nixon und sein Sicherheitsberater
Henry Kissinger waren überdies zu der Einsicht ge-
langt, dass der Krieg die neue Entspannungspolitik
gegenüber der Sowjetunion und China behindere.
Insgeheim hofften sie, die kommunistischen Groß-
mächte würden Nordvietnam im Interesse der Ent-
spannung zu einem Kompromissfrieden drängen.
Einen einseitigen Rückzug lehnte Nixon ab. Wie
seine Vorgänger war er überzeugt, dass es die Glaub-
würdigkeit der USA irreparabel beschädigen würde,
wenn es ihnen nicht gelänge, Südvietnam zu retten.
Die Folgen wären katastrophal: Die kommunistischen
Mächte würden weitere Regionalkonflikte entfachen,
und die amerikanischen Verbündeten würden ihr Ver-
trauen verlieren und womöglich Zugeständnisse an
den Ostblock machen.
Was die US-Präsidenten von John F. Kennedy über
Lyndon B. Johnson bis Nixon nicht offen sagten, war,
wie sehr sie um ihren persönlichen Ruf fürchteten.
Nixon glaubte noch 1972, dass es seine Willenskraft
und Glaubwürdigkeit seien, die den Frieden und die
Freiheit der Welt gegen den Vormarsch des Sowjet-
kommunismus sicherten. Einfach aufzugeben war für
ihn daher undenkbar.
Nach seiner Wahl 1968 setzte er zunächst auf
eine »Vietnamisierung« des Krieges: die schritt-
weise Übertragung der Hauptverantwortung auf
die südvietnamesischen Streitkräfte. Bis zum
Kriegsende 1973 machte dies die südvietnamesische
Armee zur viertstärksten der Welt – zumindest auf
dem Papier. Gleichzeitig begannen in Paris Frie-
densverhandlungen zwischen den USA und Nord-
vietnam unter der Leitung von Henry Kissinger
GESCHICHTE
BOMBEN
und Le Duc Tho, einem Mitglied des nordvietna-
mesischen Politbüros.
Die Vietnamisierung brachte politische Vorteile:
Die amerikanische Bevölkerung wertete den schritt-
weisen Abzug der US-Truppen als einen Erfolg, zumal
dadurch die Verluste drastisch sanken. Insgesamt
wurde es nun einfacher, den Krieg zu ignorieren – was
der Regierung Freiräume verschaffte. Auf der anderen
Seite war es kaum noch möglich, militärischen Druck
auf Hanoi auszuüben, um ein Entgegenkommen am
Verhandlungstisch zu erzwingen. Schonungslos ent-
larvte Le Duc Tho dieses Dilemma im Gespräch mit
Kissinger: Wie könnten die USA erwarten, Hanoi mit
südvietnamesischen »Marionettentruppen« zu schla-
gen, wenn das in den Jahren zuvor mit einer halben
Million US-Soldaten nicht gelungen sei? Kissinger
wusste das, aber es gab keine Alternative.
Da die Vietnamisierung eine erneute Truppen-
verstärkung ausschloss, setzte Nixon fortan auf an-
dere Wege, eine Entscheidung zu forcieren: Ende
April 1970 verkündete er den Einmarsch von US-
Militär in Kambodscha, um dort ein angebliches
Hauptquartier nordvietnamesischer Truppen und
ihrer südvietnamesischen Verbündeten zu zerstören.
Man werde nicht zulassen, dass die USA zum
»bemitleidenswerten, hilflosen Riesen« degradiert
würden. Markige Worte, aus denen die Angst vor
Prestigeverlust sprach. Das vermeintliche Haupt-
quartier wurde nie gefunden.
Im folgenden Jahr unterstützte die US-Luftwaffe
eine südvietnamesische Invasion in Laos – wieder mit
der Begründung, dass Südvietnam von dort aus akut
bedroht werde. Die Operation endete in einem De-
saster. Schließlich versuchte Nixon, der Gegenseite
durch gezielte Indiskretionen zu suggerieren, dass er
unberechenbar sei und zu drastischen Mitteln greifen
könnte, bis hin zu Atomwaffen. Doch auch diese
»madman-Strategie« brachte keine Konzessionen.
Gegen die Kriegsgegner im Innern zog
Nixon auch mit illegalen Mitteln zu Felde
Stattdessen eskalierte der Konflikt zu Hause. Vor allem
der Einmarsch in Kambodscha ließ die Antikriegs-
bewegung wieder aufflammen. Die Gegenreaktion
der Sicherheitskräfte war von äußerster Härte: An den
Universitäten Kent State und Jackson State erschossen
Angehörige der Nationalgarde im Mai 1970 sechs
Studenten. Kurz zuvor hatte Nixon die Protestieren-
den als »Penner« beschimpft.
Im Senat stimmte nun eine Mehrheit dafür, die
Mittel für Militäroperationen außerhalb Vietnams
zu kappen – und für einen Rückzug aus Kambodscha
bis Ende Juni. Das markierte eine Wende: Ähnliche
Vorhaben waren zuvor noch stets an dem Vorwurf
gescheitert, sie seien unpatriotisch und ein Verrat an
den im Felde stehenden Soldaten.
Nixon intensivierte daraufhin seinen Feldzug ge-
gen die Kriegsgegner, mit legalen und illegalen Mit-
teln. Die Regierung schuf und unterstützte angeblich
spontan gegründete patriotische Verbände, um das
Bild einer kriegsmüden Bevölkerung zu konterkarie-
ren. Antikriegsorganisationen wurden schon seit Mit-
LÜGEN
te der Sechzigerjahre vom FBI und von der CIA ob-
serviert – wobei es nie gelang, die unterstellte Ver-
bindung zu kommunistischen Staaten nachzuweisen.
Nun hetzte ihnen Nixon zusätzlich die Steuerfahn-
dung auf den Hals, um ihnen die Arbeit zu erschwe-
ren. Sein paranoider Glaube, von Feinden umzingelt
zu sein, gipfelte im Einsatz der »Klempner«, einer im
Weißen Haus organisierten Truppe, die schließlich
ins Hauptquartier der Demokratischen Partei im
Watergate Hotel einbrach, um Informationen über
den »inneren Feind« zu sammeln. 1974 kostete Nixon
die Enthüllung dieses Skandals das Amt.
Für den Fall Saigons 1975 machte die
US-Regierung den Kongress verantwortlich
Erfolgreicher war seine Strategie, das Schicksal der
US-Kriegsgefangenen in Vietnam zu instrumentali-
sieren. 1966 hatte Hanoi gedroht, die Gefangenen
allesamt als Kriegsverbrecher zu behandeln, da der
Krieg nie offiziell erklärt worden war. Nixon machte
ihre Freilassung von 1969 an zu einem Hauptziel bei
den Friedensverhandlungen in Paris. Zugleich diente
ihm der öffentlich geäußerte Verdacht, dass Nordviet-
nam die Gefangenen nicht freilassen würde, als Legi-
timation, den Krieg in Hoffnung auf einen Sieg fort-
zuführen. Dass Hanoi sich weigerte, eine Freilassung
vor Kriegsende zu versprechen, kam Nixon insofern
entgegen. So schleppten sich die Friedensverhand-
lungen dahin – bis ins entscheidende Jahr 1972.
Es war ein Jahr exzessiver Kriegsgewalt: In Re-
aktion auf die nordvietnamesische Osteroffensive
machte sich Nixon daran, den Feind »wirklich zu
verprügeln, was wir schon lange tun wollten«. Von
Mai an flog die US-Luftwaffe massive Bombenan-
griffe in der »Operation Linebacker« (nach einer
Abwehrposition im American Football). Am Erfolg
der Bombardements zweifelten auch Nixon und
seine Berater. Nichts aber hielten sie für politisch
heikler, als nichts zu tun.
Im Sommer kam in Paris dann endlich Bewegung
in die Verhandlungen. Washington willigte ein, dass
die Kriegsgefangenen nicht vor, sondern während
eines Waffenstillstandes repatriiert würden. Im Ge-
genzug stimmte Hanoi zu, dass die amtierende süd-
vietnamesische Regierung von Nguyen Van Thieu in
Saigon nicht vor einem Waffenstillstand zurücktreten
müsse. Stattdessen einigten sich die Kontrahenten auf
die Einrichtung einer Kommission, die Neuwahlen
vorbereiten sollte. Allerdings teilte Kissinger den süd-
vietnamesischen Partnern nicht mit, dass er diese
Kommission faktisch als nationale Einheitsregierung
betrachtete – was Washington und Saigon bisher
abgelehnt hatten. Auf diese Weise hofften Nixon und
Kissinger noch vor den Präsidentschaftswahlen im
November 1972 einen Frieden zu erzielen.
Doch im letzten Moment ließ Südvietnams
Regierungschef Thieu die Vereinbarung platzen. Er
misstraute der Einigung, zumal nordvietnamesische
Truppen im Süden verbleiben durften. Nixon und
Kissinger waren außer sich vor Wut. In einem Brief
drohte Nixon Thieu durch die Blume mit einem
Staatsstreich. Kissinger verkündete unterdessen auf
einer Pressekonferenz Ende Oktober, der Frieden sei
zum Greifen nah.
Nixon gewann die Wahl haushoch, aber er wuss-
te, dass ihm der Kongress die Mittel zur Kriegfüh-
rung weiter beschneiden würde. Er griff daher ein
letztes Mal zu drastischen Maßnahmen, um Saigons
Überlebenschancen zu steigern: Im Dezember 1972
entfesselte er über Nordvietnam die bis dahin
schwersten Flächenbombardements amerikanischer
B-52-Bomber. Gleichzeitig warnte er Thieu, dass
die USA ein Friedensabkommen zur Not auch ohne
ihn unterzeichnen würden.
Am 27. Januar 1973 war es so weit. Wenige Tage
zuvor erklärte Nixon auf einer Pressekonferenz, einen
»ehrenvollen Frieden« erreicht zu haben, und feierte
die Rückkehr der US-Kriegsgefangenen und Thieus
politisches Überleben als große Erfolge. Beides war
Augenwischerei: Hanoi hatte stets angeboten, die
Gefangenen nach Kriegsende freizulassen. Und dass
Thieu an der Macht bleiben würde, war illusorisch.
Tatsächlich hatte Kissinger gegenüber China und der
Sowjetunion eingestanden, das beste Resultat, das die
USA erwarten könnten, sei ein »annehmbares In-
tervall« zwischen dem Friedensabkommen und dem
Sturz der südvietnamesischen Regierung. Genauso
kam es: Saigon fiel am 30. April 1975.
In der Zwischenzeit strickte die Nixon-Regierung
an einer Dolchstoßlegende – unter Berufung auf eine
Klausel im Friedensvertrag, die militärische Interven-
tionen im Fall einer Verletzung des Abkommens er-
laubte. Kissinger signalisierte China, dass, egal was
geschehe, keine US-Truppen mehr nach Vietnam
entsandt würden. Als die nordvietnamesischen Trup-
pen 1975 dann tatsächlich die südvietnamesische
Hauptstadt einnahmen, verweigerte der Kongress wie
erwartet die Finanzmittel für ein erneutes Eingreifen.
Der Fall Saigons, behauptete Kissinger fortan, sei
allein der Weigerung des Kongresses geschuldet.
Zudem habe Hanoi nicht alle Gefangenen freigelas-
sen. Beides sind Legenden, die eine Aufarbeitung des
Krieges erschwerten und die den USA als Vorwand
dienten, vereinbarte Reparationen nicht zu zahlen.
Wenn die US-Regierung doch wusste, dass sie ihre
Ziele nicht erreichen würde – warum schloss sie 1973
dennoch Frieden?
Weil Nixon und Kissinger klar war, dass der Krieg
nicht endlos fortgesetzt werden konnte. Die Heimat-
front brach auseinander, die Wirtschaft litt, und der
Druck des Kongresses nahm ständig zu. Bis zum
Schluss hatte Nixon auf ein siegreiches Ende gehofft.
Und bis zum Schluss hatte er alles getan, um gesichts-
wahrend aus dem Schlamassel herauszukommen:
Vier Jahre hatte das gedauert, von Nixons Amtsantritt
1969 bis 1973, Tausende Tote hatte es gekostet, um
sich am Ende eine reichlich labile Brücke aus dem
Konflikt heraus zu bauen. Auch wenn der Chefunter-
händler Kissinger dafür den Friedensnobelpreis be-
kommen hat: Ein »ehrenvoller Frieden« war das
nicht. Das wusste, hinter verschlossenen Türen,
niemand besser als der Präsident selbst.
Fabian Hilfrich lehrt Geschichte an der
Universität Edinburgh
19
Öl vom Schah
Deutschlands Energie-
Diplomatie im Iran unter
Brandt und Schmidt
Am 5. März 1972 landet ein Regierungsflieger
in Teheran mit einem Staatsgast an Bord, der
das iranische Regime bislang gemieden hat:
Willy Brandt, SPD, der deutsche Bundes-
kanzler, besucht Schah Mohammed Reza
Pahlevi, den Kaiser des Iran.
Brandt steht 1972 auf dem Höhepunkt
seines internationalen Ansehens, im Vorjahr
hat er den Friedensnobelpreis erhalten. Nun
will er die deutsch-iranischen Beziehungen
verbessern und der Bundesrepublik einen
erheblichen Anteil der iranischen Erdöl-
produktion sichern – eine wenig bekannte
Episode der westdeutschen Energiepolitik der
Siebzigerjahre, die der Historiker und Green-
peace-Abrüstungsexperte Alexander Lurz kürz-
lich in seiner Promotionsschrift »Technologie
für Öl« und »Recycling der Ölmilliarden« nach-
gezeichnet hat (Franz Steiner Verlag; 487 S.,
79,– €). »Damals wie heute hat man es ver-
säumt, die Energieversorgung sicher auszuge-
stalten, und begab sich sehenden Auges in
Abhängigkeit autoritärer Staaten«, sagt er.
Neben der Sowjetunion waren die Ölförder-
länder im Nahen und Mittleren Osten die
wichtigsten Partner.
Für Brandt ist die Reise nach Teheran
heikel. Schließlich bietet der von den USA
gestützte persische Schah für die westdeutsche
Linke ein klares Feindbild. Beim Besuch des
iranischen Monarchen in Berlin im Juni 1967
hatten Agenten des Regimes auf Exil-Iraner
und andere Demonstranten eingeschlagen –
der Auftakt des deutschen »68«. Und natür-
lich kennt die Bundesregierung die fatale
Menschenrechtslage im Iran. Die Gefängnis-
se sind voll mit politischen Gefangenen, und
als Brandt 1972 auf Reisen geht, bemüht sich
der deutsche Botschafter Georg von Lilienfeld
darum, dass während des Besuchs keine
Todesurteile vollstreckt werden. Die Haupt-
sorge allerdings ist eine andere: »Auch in der
Presse«, sagt Lurz, »gab es damals ein mediales
Trommelfeuer, dass die Bundesregierung sich
nun intensiv um die Energiesicherheit küm-
mern müsse.«
Brandts Vorgänger Kurt Georg Kiesinger,
CDU, war bereits 1968 nach Teheran gereist,
um den Handel anzukurbeln. Wenige Monate
später vereinbarte das deutsche Staatsunterneh-
men Fritz Werner eine weitreichende Rüs-
tungskooperation mit dem Iran. Brandts
Kabinett ermöglicht nach dem Staatsbesuch
ebenfalls Rüstungsdeals. »Menschenrechte
spielten keine Rolle«, sagt Lurz. Doch allen
Bemühungen zum Trotz: Am Ende erreicht
man bei der Erdölversorgung keinen Durch-
bruch. Denn der Schah und seine Regierung
werden nicht nur von Westdeutschland um-
worben – zumal, als 1973 die Ölkrise beginnt
und der Iran als Erdöllieferant und Absatz-
markt noch einmal an Bedeutung gewinnt. Die
Bundesregierung stellt dem Regime nun sogar
eine Lizenzfertigung des Leopard-2-Panzers in
Aussicht, des damals modernsten Kampfpan-
zers der Welt, der zu dieser Zeit nicht einmal
bei der Bundeswehr eingeführt ist.
Brandts Nachfolger Helmut Schmidt über-
nimmt das Iran-Projekt 1974. Er habe bei
Waffenexporten gezögert, sagt Lurz. Bei der
Atomtechnik sei er dafür umso großzügiger
gewesen: »Schmidt wäre sogar bereit gewesen,
Schlüsseltechnologien zu liefern, die den Bau
von Atombomben ermöglicht hätten.« Doch
dazu – und zu dem Leopard-2-Geschäft –
kommt es nicht: Der Bonner Traum von einer
deutsch-iranischen Raffinerie am Persischen
Golf, die jährlich 22,5 Millionen Tonnen Öl-
produkte für den bundesdeutschen Markt
produzieren und 14 Prozent des Gesamtver-
brauchs decken soll, scheitert vor allem daran,
dass die iranische Regierung 1975 verkündet,
von den Briten Panzer zu kaufen.
Enge Handelsbeziehungen zum mittler-
weile islamistischen Iran pflegt die Bundes-
republik gleichwohl bis heute. Und erst vor
wenigen Monaten wurde der Grüne Robert
Habeck in Sachen Energieversorgung in
Katar vorstellig. Menschenrechte? Sind, wie
damals, nachrangig. HAUKE FRIEDERICHS
Mehr Geschichte
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scheiterte Deutschlands
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20
Das Bundesverfassungsgericht hat den Suizid als ein Menschenrecht definiert. Was bedeutet diese Rechtsprechung
D
iskutiert wurde parlamenta-
risch über Sterbehilfe und
Freitod viel. Doch alles an
gesetzgeberischen Initiativen
ist am Schluss der letzten
Legislaturperiode im Papier-
korb gelandet (oder rechts-
technisch ausgedrückt: der Diskontinuität an-
heimgefallen). Es blieb zunächst nur der im
Dezember 2015 in Kraft getretene Straftatbestand
des Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der
Selbsttötung (§ 217 StGB), der sich gegen Sterbe-
hilfeorganisationen wie etwa Dignitas richtete, die
nicht profitorientiert arbeiten (deshalb auch das
ungewöhnliche Merkmal »geschäftsmäßig« an-
stelle des üblichen »gewerbsmäßig«). Damit sollte
die Willensfreiheit der potenziell Sterbewilligen
geschützt werden. Vor allem die Union befürchtete,
dass die dort Hilfe Suchenden in Richtung eines
assistierten Suizids gedrängt werden könnten.
Die Strafdrohung war sehr weitgehend, weil
belastbare Fakten gegen diese Organisationen fehl-
ten. Alles war auf Mutmaßungen aufgebaut, vor
allem aber blieb für palliativ tätige Ärzte ein Rest-
risiko, zumal auch sie – geschäftsmäßig – mit Ster-
behilfe in Berührung stehen. So war es nicht ver-
wunderlich, dass das Bundesverfassungsgericht
den Straftatbestand des § 217 StGB durch sein
Urteil vom 26. Februar 2020 für verfassungswidrig
und nichtig erklärte. Überraschender war, mit
welcher Nachdrücklichkeit der Freitod dem
grundgesetzlichen Schutz unterstellt wurde. Die
Kernsätze lauten: Das allgemeine Persönlichkeits-
recht (Art. 2 Abs. 1 GG) in Verbindung mit der
Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) um-
fasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein
Recht auf selbstbestimmtes Sterben, welches das
Recht auf Selbsttötung einschließt. Das Recht,
sich das Leben zu nehmen, soll sicherstellen, dass
der Einzelne über sich entsprechend dem eigenen
Selbstbild bestimmen und damit seine Persönlich-
keit wahren kann. Es ist auch nicht auf besondere
Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt und als
Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und
Gesellschaft zu respektieren. Dieses grundgesetz-
lich geschützte Recht, sich selbst zu töten, erstreckt
sich auch darauf, hierfür bei Dritten Hilfe zu
suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, auch
in Anspruch zu nehmen.
Eine Frau tötet eine Freundin auf deren
Wunsch und wird auf Bewährung verurteilt
Über diese weitgehenden Aussagen in einem fast
schon übertrieben schulmäßig begründeten Urteil
des Verfassungsgerichts lohnt es sich nachzu-
denken. Sie gehen weit über den eigentlichen
Urteilsgegenstand der geschäftsmäßigen Sterbe-
hilfe hinaus. Die Erwägungen des Verfassungsge-
richts müssen schon deshalb reflektiert werden,
weil die tragenden Gründe gegenüber dem Gesetz-
geber und den Gerichten Bindungswirkung ent-
falten. Insbesondere das vom Gericht statuierte
unbedingte Recht auf selbstbestimmtes Sterben
berührt die Rechtsordnung fundamental. In dieser
Absolutheit bedeutet es eine Abkehr von der
christlich geprägten Rechtsüberzeugung, die den
Freitod, wenn schon nicht als Sünde, so doch als
unschönes, zu vermeidendes Ereignis angesehen
hat. Deshalb war bislang zwar die Straflosigkeit des
Selbstmords, aber kein Recht auf Selbstmord aner-
kannt. Vielmehr galt seit der Leitentscheidung des
Großen Senats des Bundesgerichtshofs aus dem
Jahr 1954 der Selbstmord als Unglücksfall.
Dies hat zur Folge, dass fehlende Rettungsbemü-
hungen bei einem Selbsttötungsversuch auch einer
fremden Person als unterlassene Hilfeleistung (§ 323c
StGB) strafrechtlich geahndet werden können. Dies
impliziert freilich, dass der Retter sich über den Wil-
len des Selbstmordkandidaten hinwegsetzen darf
oder sogar muss. Zudem kann – was nicht als Aner-
kennung einer autonomen Entscheidung anzusehen
ist – Suizidalität zu einer Unterbringung nach Lan-
desrecht führen. Denn die Selbstgefährdung recht-
fertigt eine Unterbringung, wenn eine psychiatrische
Erkrankung dazukommt, die aber häufig gerade aus
der Neigung zum Selbstmord gefolgert wird. Schließ-
lich muss auch die unbedingte Strafbarkeit der akti-
ven Sterbehilfe (§ 216 StGB) infrage gestellt werden.
Maßgebliches Kriterium zur Abgrenzung zwi-
schen aktiver und passiver Sterbehilfe ist die Tatherr-
schaft des zur Selbsttötung Entschlossenen. Nur
wenn der Sterbewillige seine Selbsttötung steuern
kann und er die Herbeiführung seines Todes selbst-
ständig veranlasst, ist die ihm zuteilwerdende Hilfe
(etwa durch die Weitergabe von Medikamenten)
straflos. Anders ist es bei der aktiven Sterbehilfe, wenn
der »Helfer« zum eigentlichen Täter wird, selbst wenn
dies vom Sterbewilligen ausdrücklich gewünscht
wird. Wegen Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB)
wird daher bestraft, wer einen Sterbewilligen auf
dessen Wunsch hin erschießt. Eine solche Strafbarkeit
kann dann problematisch sein, wenn der Sterbewil-
lige seinen Freitod gar nicht umsetzen kann – etwa
weil er vollständig gelähmt ist, keinen Zugang zu
entsprechenden Medikamenten hat oder ihm schlicht
die Willenskraft fehlt, seinen unbedingten Sterbe-
wunsch auch tatsächlich umzusetzen. Um sein grund-
rechtlich verbürgtes Recht auf selbstbestimmtes
Sterben realisieren zu können, braucht er die aktive
Hilfe Dritter. An dieser Stelle setzen die Korrektur-
versuche der Rechtsprechung an, um unbillige Ergeb-
nisse zu vermeiden. So wurde die Unterbrechung
künstlicher Ernährung nicht als täterschaftliches Tun,
sondern als Unterlassen gewertet. Ebenso wurde das
Verabreichen einer tödlichen Insulinspritze an einen
VERBRECHEN
für den Alltag deutscher Gerichte? VON ROLF RAUM
Der
Freitod
Gericht
Abb.: Alan Thornton/Getty Images
Wenn ein Mensch sich sehr bewusst dafür entscheidet, seinem Leben ein Ende zu bereiten, dann gibt es
jetzt aus rechtlicher Sicht keinen Grund mehr, ihn davon abzuhalten
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bewusstseinsorientierten Sterbewilligen nur als (straf-
lose) Beihilfehandlung, nicht aber als (strafbare) täter-
schaftliche Handlung qualifiziert. Zu diesen Ergeb-
nissen – denen ich zustimme – ist man aufgrund einer
»normativen Betrachtung« gelangt, was heißt, dass
man nicht allein auf die tatsächlichen Verhältnisse,
sondern vor allem auf den unbedingten Sterbewillen
des Betroffenen abstellt, der alles andere überlagern
soll. Diese Entscheidungen betreffen freilich nur
Schwerstkranke am Lebensende. Fraglich ist, ob sich
das auf andere Freitodfälle übertragen lässt.
Zur Veranschaulichung und zur Frage einer ver-
fassungsrechtlich notwendigen Neubewertung sollen
zwei Fälle vorgestellt werden, die ich aus meiner
früheren beruflichen Tätigkeit beziehungsweise aus
der Erzählung eines Bekannten kenne. Dieser hatte
mir berichtet, dass er an einen Bahnübergang
gekommen sei, wo er eine Person mit heruntergezo-
gener Mütze auf dem Gleis habe stehen sehen. Als er
ausgestiegen und auf den Mann zugelaufen sei, habe
dieser ihn angeschrien, er solle ihn in Ruhe lassen.
Die Unterhaltung wurde jäh und tragisch beendet,
als der Regionalexpress kam. Mich hat die Geschichte
bewegt, auch weil mich die Frage umgetrieben hat,
ob der Bekannte den Mann notfalls mit Gewalt vom
112030_ANZ_71x100_X4_ONP26 1
vor
Gleis hätte ziehen müssen. Eine Strafbarkeit meines
Bekannten stand – sonst hätte ich den Fall gar nicht
JETZT AM KIOSK! geschildert – schon deshalb nicht in Rede, weil der
Zug zu schnell gekommen ist und damit für ihn fak-
tisch keine Handlungsmöglichkeit bestand. Wäre dies
aber nicht so gewesen, hätte sich das Problem gestellt,
ob er sich hätte zurückziehen und den Selbstmord
des Mannes auf den Gleisen hinnehmen dürfen.
Sicherlich wäre es für meinen Bekannten nicht zu-
mutbar gewesen, sich mit dem Mann auf den Gleisen
in eine körperliche Auseinandersetzung einzulassen.
Aber hätte er nicht versuchen müssen, den Mann
vom Gleisbett wegzudrängen?
Die Rechtsprechung ist zu solchen Randfragen
des Strafrechts wenig ergiebig; sie differenziert in
solchen Fragen – und bestimmt so auch den vom
potenziellen Retter aufzubringenden Einsatz – im-
mer auch danach, wie ernsthaft und selbstbe-
stimmt der Sterbewunsch des Betroffenen ist;
allerdings beziehen sich sämtliche Judikate auf den
Freitod bei Krankheit in der letzten Lebensphase.
Oder gratis lesen: Auch das Bundesverfassungsgericht, das freilich
auch den krankheitsbedingt beeinflussten Suizid
www.zeit.de/zv-heft am Lebensende vor Augen hat, schränkt den ver-
fassungsrechtlichen Schutz des Sterbewilligen un-
19.10.22 11:39
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
ter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs ein. Es verlangt eine umfas-
sende Abwägung durch den Suizidkandidaten und
eine nicht durch psychiatrische Krankheiten
beeinflusste Entscheidung von einer »gewissen
Dauerhaftigkeit« und »inneren Festigkeit«, um
ihm den vollen Grundrechtsschutz zu gewähren.
Damit sind sicher Teenager-Selbstmorde aus Lie-
beskummer, aber wohl auch Verzweiflungssuizide
in einer besonderen Lebensphase ausgeschlossen.
Schwieriger sind sogenannte Bilanzselbstmorde.
Die Entscheidung hierfür kann sehr wohl abge-
wogen und feststehend sein; für andere nachvoll-
ziehbar muss sie nicht sein. Das betont das Ver-
fassungsgericht, das die höchstpersönliche Wert-
entscheidung in den Vordergrund stellt. Für den-
jenigen, der den Sterbewilligen am Gleis trifft,
bleiben natürlich dessen persönliche Entschluss-
fassung und ihre Hintergründe im Dunkeln. Ich
würde dennoch in diesem Fall den Vorgang als
Unfallgeschehen werten und ein zumutbares Ein-
schreiten eines zufällig Hinzugekommenen ver-
langen, weil im Zweifelsfall der Schutz des Lebens
vor seinem unwiederbringlichen Verlust steht.
Dem zweiten Fall liegt ein Urteil des Landge-
richts Passau zugrunde. Die 23-jährige Angeklagte
und ihre gleichaltrige enge Freundin, das spätere
Tatopfer, waren des Lebens überdrüssig. Mehrere
halbherzige Selbstmordversuche scheiterten. In
der Tatnacht beschlossen sie, über eine Bootsram-
pe in einen Badesee zu fahren, wobei die Ange-
klagte den Pkw lenkte. Allerdings blieb das Auto
nach circa zehn Metern im Schlamm stecken,
ohne dass es mit Wasser vollgelaufen war. Auf
dringende Bitten ihrer Freundin ertränkte die An-
geklagte sie, nachdem sie ihr versprochen hatte,
sich danach selbst umzubringen. Die eigene Selbst-
tötung misslang der Angeklagten, auch weil Pas-
santen auf das Geschehen aufmerksam wurden.
Ein Mann erschießt seine todkranke
Partnerin und muss sieben Jahre in Haft
Das Landgericht hat die Angeklagte in einem sorg-
fältig begründeten Urteil wegen Tötung auf Ver-
langen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der
Bundesgerichtshof hat das Urteil bestätigt. In einer
neueren Entscheidung hat allerdings ein anderer
Senat des Bundesgerichtshofs erwogen, ob wegen
der verfassungsrechtlichen Bedeutung der auto-
nomen Willensentscheidung auch die Strafbarkeit
wegen Tötung auf Verlangen eingeschränkt wer-
den müsse. Dafür spricht viel. Eine Kollision mit
dem Recht auf autonomes Sterben sehe ich aber
jedenfalls dann nicht, wenn der Sterbewillige an
sich körperlich in der Lage wäre, seinen Sterbe-
wunsch auch umzusetzen. Das war die Getötete
fraglos. Dass ihr der Mut zur Umsetzung ihres
Freitodwunsches gefehlt hat und sie ihren letztlich
dominierenden Überlebenswillen nicht alleine
überwinden konnte, zeigt aber andererseits gerade
die Notwendigkeit der Strafvorschrift. Es ist quali-
tativ etwas ganz anderes, an sich selbst Hand an-
zulegen oder einen anderen zur Tötung aufzufor-
dern. Die natürliche innere Hemmschwelle dient
dem eigenen Schutz und hilft, das Leben zu be-
wahren. Diesen Eigenschutz hat der Gesetzgeber
zu sichern und zu gewährleisten. Dass es richtig
ist, die Hürden in diesem Bereich hoch zu halten,
belegt das weitere Geschehen. Die Angeklagte war
später in der Hauptverhandlung nicht nur zutiefst
reuig, sondern hatte – unterstützt durch professio-
nelle Hilfe – einen eigenen Lebenswillen entwi-
ckelt. Sie hatte ihre tiefe Frustration und ihren
Lebensüberdruss überwunden. Dem ist das Land-
gericht durch seine Entscheidung für eine Bewäh-
rungsstrafe gerecht geworden.
So viel richterliches Einfühlungsvermögen ist
nicht selbstverständlich. Ich kann mich an ein Urteil
des Landgerichts Weiden erinnern, das diese
Empathie vermissen ließ. Dem Urteil lag zugrunde,
dass ein etwa 60-jähriger Mann seine an Krebs in der
Endphase leidende langjährige Lebenspartnerin
erschossen hatte, die unter erheblichen Schmerzen
litt und deren prognostizierte Restlebensdauer nur
noch wenige Tage betrug. Die Strafkammer hat dem
Angeklagten nicht geglaubt, dass die Getötete einen
ernstlichen Tötungswunsch geäußert hatte. Obwohl
das Landgericht sowohl den desolaten gesundheitli-
chen Zustand seiner Lebenspartnerin als auch die
eigene erhebliche Belastung des pflegenden Ange-
klagten und seinen enormen Leidensdruck gesehen
hat, hat es einen minder schweren Fall des Totschlags
verneint. Es hat für diese Tat gegen ihn eine Freiheits-
strafe von sieben Jahren verhängt. Im Rahmen der
Strafzumessung ist als wesentlicher Gesichtspunkt
herausgestellt, dass sich der Leidenszustand der Getö-
teten nicht zugunsten des Angeklagten auswirken
dürfe. Der Bundesgerichtshof hat (ohne meine Mit-
wirkung) die Revision des Angeklagten verworfen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
bedeutet sicherlich einen Paradigmenwechsel. Sie
stellt klar, dass der Freitod kein (sündiges) Fehlver-
halten ist, sondern Ausdruck einer autonomen Wil-
lensentscheidung, die sich einer Bewertung entzieht.
Sie lässt aber auch Raum für Hilfe dort, wo der Selbst-
tötungsversuch eine Verzweiflungstat ist oder aus
Unreife oder bedingt durch eine psychiatrische
Erkrankung begangen wurde. Die Betroffenen sind
häufig übrigens dankbar, wenn sie in der Folge
Betreuung erfahren und ihnen ein Neustart ermög-
licht wird. Dies zeigt sich auch daran, dass weniger als
ein Drittel einen weiteren Suizidversuch unternimmt.
Rolf Raum war bis Juli 2022 der Vorsitzende
Richter des Ersten Strafsenats am Bundesgerichtshof

WIRTSCHAFT
Erstmals seit Jahren fallen die Preise für Immobilien – und die Zinsen steigen. Käufer, Makler
und Baufirmen erleben unsichere Zeiten VON ANN-KATHRIN NEZIK UND ZACHARIAS ZACHARAKIS
M
ag sein, dass das Wort
zuletzt ein bisschen
überstrapaziert wur-
de. Aber das, was der
Makler Markus Jün-
ke gerade erlebt, ist
wirklich eine Zeiten-
wende. Wann gab es das zuletzt auf dem Im-
mobilienmarkt: fallende Preise, und das in
Hamburg?
Jünke stapft durch den Garten eines rot-
braun geklinkerten Einfamilienhauses am
Ende einer Sackgasse in Hamburg-Lurup,
nordwestlicher Stadtrand. Noch wohnt dort
ein Ehepaar um die 80. Aber dem geht es so
wie Tausenden älteren Menschen im Land:
Die Kinder sind längst ausgezogen, das Haus
ist zu groß geworden. Also soll Markus Jünke
es verkaufen. Mit professioneller Makler-
freundlichkeit rattert er im Garten die Eck-
daten herunter: Baujahr 1976, 116 Quadrat-
meter Wohnfläche plus Keller, Garage und
Garten. Kaufpreis: 649.000 Euro.
Es gab Zeiten, in denen hätte Jünke an
einem Wochenende Dutzende Familien
durch das Haus geschleust und am Ende
wohl mehrere Interessenten gehabt, die bereit
gewesen wären, noch ein paar Zehntausend
Euro draufzulegen. Aber das ist vorbei.
Das Einfamilienhaus in Lurup ist seit mehr
als zwei Monaten auf dem Markt. Auf Anraten
des Maklers hat das ältere Ehepaar den Kauf-
preis deshalb um 40.000 Euro reduziert. Jetzt
gebe es immerhin zwei ernsthafte Interessenten,
die sich um eine Finanzierung bemühten, er-
zählt Jünke. »Wir sehen eine Korrektur im
Markt. Die Preise haben sich angepasst«, sagt
der Makler, der für Sparda Immobilien, eine
Tochtergesellschaft der Sparda-Bank Hamburg,
in und um die Hansestadt Häuser verkauft.
Es ist etwas ins Rutschen gekommen auf
dem Immobilienmarkt, und das nicht nur in
Hamburg. Trends, die noch vor wenigen Mo-
naten unumkehrbar schienen, haben sich ge-
dreht: das magere Angebot an Immobilien
und der riesige Run auf sie, die niedrigen
Zinsen und die hohen Preise. In der Branche,
die kürzlich noch vor Selbstbewusstsein
platzte, herrscht große Unsicherheit.
Makler berichten, dass sich viele Immobi-
lien nicht mehr wie von selbst verkaufen und
Verkäufer mit ihren Preisvorstellungen he-
runtergehen müssen.
Bauunternehmer und Handwerker, die sich
jahrelang vor Arbeit kaum retten konnten, su-
chen neue Aufträge. Im ersten Halbjahr sank
die Zahl der Baugenehmigungen für Einfami-
lienhäuser bundesweit um 17 Prozent, so der
Steigende Zinsen
Durchschnittlicher Zinssatz
über Baufinanzierungen für 10 Jahre
ZEIT- GRAFIK/Quelle: interhyp
Und jetzt abwärts?
Immobilienverband Deutschland. Er warnt
deshalb vor einem »gefährlichen Kipppunkt«,
der die angespannte Lage auf dem Wohnungs-
markt weiter zu verschärfen drohe.
Was bedeutet diese Wende auf dem Im-
mobilienmarkt für Menschen, die gerade ein
Eigenheim bauen oder kaufen wollen – oder
ihres loswerden möchten? Wer sind die Ge-
winner und wer die Verlierer des Umbruchs?
Und können sich nun auch wieder jene eine
Immobilie leisten, die nicht geerbt haben?
Nach Jahren des Booms, nach Jahren, in
denen die Preise steil nach oben kletterten,
teils um zehn Prozent und mehr, scheint der
Markt zu stagnieren. Noch nicht in jeder
Ecke des Landes und nicht bei jeder Immobi-
lie, aber doch so, dass es spürbar ist.
Nach Angaben der Plattform McMakler,
die Daten zu Kaufabschlüssen sammelt, sind
die Preise in den sogenannten A-Städten –
Berlin, Hamburg, München, Köln, Düssel-
dorf, Frankfurt am Main und Stuttgart – im
zweiten und dritten Quartal gefallen, und
zwar überall. Am deutlichsten war der Rück-
gang in München mit minus 3,7 Prozent im
zweiten Quartal, gefolgt von Stuttgart mit
minus 3,2 Prozent im selben Zeitraum.
Betrachtet man noch andere Regionen, ist
das Bild nicht ganz so eindeutig. Das Portal
ImmoScout24 hat für die ZEIT ausgewertet,
wie sich die Preise verändert haben, zu denen
Immobilien in Inseraten angeboten werden.
Demnach sind auch im ländlichen Baden-
Württemberg die Preise für Wohnungen und
Häuser im dritten Quartal gesunken – im
Kreis Biberach südlich von Ulm beispiels-
weise um 3,2 Prozent. Anders sieht es in Tei-
len Ostdeutschlands aus. Für Häuser in der
Uckermark stiegen die Angebotspreise im
dritten Quartal um 4,8 Prozent. Auch im
niedersächsischen Kreis Lüneburg legten sie
um 4,2 Prozent zu.
Unklar ist, ob die Immobilien wirklich zu
diesen Preisen verkauft werden oder ob Käu-
fer einen Nachlass verhandeln können – et-
was, das jahrelang undenkbar war.
In Hamburg-Lurup bittet der Makler Mar-
kus Jünke in das Einfamilienhaus. Er führt
durch den mit Holz verkleideten Flur in die
Küche: dunkle Schränke und eine Durchreiche
ins Wohnzimmer – das Gegenteil eines offenen
Wohn-Ess-Bereichs mit Kücheninsel, den sich
Familien heute meist wünschen.
Wer hier einzieht, muss einiges an Geld
investieren, auch weil Fenster und Dach neu
zu machen sind, um moderne Energiestan-
dards zu erfüllen. »Das schreckt viele Interes-
senten ab«, sagt Jünke. Denn natürlich wissen
5%
4%
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2%
1%
2008 2012 2016
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
die meisten, wie teuer Dämmwolle und an-
dere Baumaterialien geworden sind und dass
der Einzelne jetzt weniger Förderung für
Wärmepumpen und neue Fenster bekommt,
weil die Bundesregierung das Geld breiter
verteilen will.
So weit die Symptome. Doch der Auslöser
für all das sind die Zinsen für Immobilien-
kredite. Seit Jahresbeginn haben sich diese
vervierfacht. Sie orientieren sich an den Ren-
diten auf Staatsanleihen, und zumindest in-
direkt auch am Leitzins der Europäischen
Zentralbank (EZB) – und beide sind in den
vergangenen Monaten deutlich gestiegen.
Die Folge: Anfang Januar betrugen die
Bauzinsen bei einer Laufzeit von zehn Jahren
noch durchschnittlich ein Prozent. Im Ok-
tober überschritten sie die Marke von vier
Prozent.
»Ich habe noch nie erlebt, dass die Zinsen
so schnell so stark gestiegen sind wie in die-
sem Jahr«, sagt Mirjam Mohr, Vorständin
von Interhyp, einem Unternehmen, das Im-
mobilienkredite an private Käufer und Bau-
herren und -frauen vermittelt. Sie glaubt,
dass sich daran so schnell nichts ändern wer-
de: »Die EZB und andere Notenbanken ha-
ben sehr klar kommuniziert, dass sie alles tun
werden, um die Inflation zu bekämpfen.«
Trotzdem sei das Eigenheim noch immer der
Traum vieler Deutscher.
Nur: Wie lässt sich dieser Traum noch er-
füllen, wenn die Zinsen hoch sind und die
Immobilienpreise nur langsam sinken?
Der Markt befinde sich »in einer Art Patt-
situation«, sagt Mohr. Die Verkäufer seien noch
nicht bereit, sehr weit von ihren Preisvorstellun-
gen abzurücken. Und potenzielle Käufer woll-
ten oder könnten sich die Preise nicht leisten.
Tobias Boba, Vertriebsleiter für Bestands-
immobilien bei Sparda Immobilien in Ham-
Fallende Preise
Entwicklung der Kaufpreise von Wohnimmobilien
in ausgewählten Städten seit dem
1. Quartal 2022, in Prozent
2020 22
burg, hat ein paar Zahlen parat, die das illus-
trieren. Es ist nur ein fiktives Rechenbeispiel,
aber es macht klar, was die höheren Zinsen
bedeuten. 2021 mussten Käufer für ein Dar-
lehen von 375.000 Euro beim damals übli-
chen Zinssatz von einem Prozent 313 Euro
Zinsen pro Monat an die Bank zurückzahlen.
Wer zwei Prozent tilgte, kam auf eine Belas-
tung von 940 Euro im Monat.
Steigen die Zinsen wie in diesem Jahr auf
3,8 Prozent, erhöht sich die Zinslast auf fast
1200 Euro und die gesamte Rate auf 1800
Euro. Rechnet man noch die gestiegenen
Energiekosten hinzu, verdoppelt sich die Be-
lastung im Vergleich zu 2021.
Es stellt sich die Frage, wer unter diesen
Umständen noch ein Haus kaufen kann.
Und: Wer kann noch eines bauen?
Ein Rohbau am Stadtrand von Berlin, auf
dem an diesem Montag Stillstand herrscht.
Die Betonziegel sind gesetzt, auch die Fenster
sind schon eingebaut. »Wann geht es wei-
ter?«, fragt Günter Beierke den Bauleiter. Es
müsse ein bisschen umgeplant werden, ant-
wortet dieser. Die Handwerker, die den Putz
auftragen sollen, sind krank: Corona. Aber
das ist gerade Beierkes kleinstes Problem. Die
größeren Sorgen bereitet dem Baumanager
die Auftragslage: »Wir haben aktuell 70 bis
80 Prozent weniger Nachfrage als im vergan-
genen Jahr.«
Beierke arbeitet für Roth Massivhaus. Das
Familienunternehmen baut in Berlin und
Umgebung Einfamilienhäuser, zuletzt gut
150 bis 180 pro Jahr, zum Beispiel die »Stadt-
villa Modena«, das »Landhaus 142« oder den
»Bungalow Zingst«. Das vergangene Jahr-
zehnt lief für Roth prächtig. »Wir mussten
die Aufträge nur einsammeln«, sagt Beierke,
»wir kamen kaum hinterher.«
Seit der ersten Jahreshälfte habe sich die
Lage gedreht. »Die Leute, die monatlich
4000 bis 5000 Euro brutto verdienen, schaf-
fen es nicht mehr«, sagt Beierke. Kredite kä-
men nicht zustande, weil sich die Kunden
den Bau nicht mehr leisten könnten, selbst
wenn ein Grundstück schon vorhanden sei.
Neulich habe jemand sogar ein Projekt stor-
niert, obwohl er schon eine Baugenehmi-
gung hatte.
Der Zentralverband des Deutschen Bau-
gewerbes bestätigt, was Beierke beschreibt. Er
warnt: »Gerade die privaten Häuslebauer
kommen angesichts steigender Finanzierungs-
und Lebenshaltungskosten an die Grenzen
des Leistbaren.«
Denn neben den Zinsen sind auch die
Baukosten gestiegen, allein in diesem August
ln
Kö
–2,2
ZEIT- GRAFIK/Quelle: McMakler
21
um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Langsam zeichnet sich auch hier eine Wende
ab. »Man kann das gar nicht glauben. Aber
wir bekommen jetzt Anrufe von Handwer-
kern, die fragen, ob wir noch Aufträge für sie
haben«, sagt der Baumanager Beierke. Die
Auftragsbücher der Produzenten von Bau-
materialien seien dagegen noch voll. »Ich war
neulich bei einem Bodenhersteller, der eine
neue Halle baut. Die investieren noch.« Aber
auch die Baustoffindustrie werde den Ab-
schwung schon bald merken, ist er überzeugt.
Für Durchschnittsverdiener ohne viel
Eigenkapital ist das erst mal keine große Hilfe,
solange die Preise nicht stärker fallen. Denn
gegen hohe Zinsen und hohe Kosten hilft am
besten: mehr eigenes Geld. Davon profitieren
vor allem Menschen, die sehr gut verdienen
und Geld sparen konnten. Und alle, die ge-
erbt haben oder deren Eltern ihr Vermögen
auf sie übertragen können.
Jene, die vor wenigen Jahren noch mit nied-
rigen Zinsen halbwegs preiswerte Immobilien
finanziert haben, könnten aber auch Probleme
bekommen – nämlich dann, wenn sie ihre auf
10 oder 15 Jahre vereinbarten Kredite verlän-
gern müssen. Falls die Zinsen weiter steigen –
auf fünf, sechs oder vielleicht sogar sieben
Prozent. Denn dann erhöht sich ihre monat-
liche Rate bei ihrer Anschlussfinanzierung
plötzlich von 1500 auf 2500 Euro.
Im schlimmsten Fall müssten Familien
ihre Häuser und Wohnungen verkaufen, weil
sie ihre Raten nicht mehr bedienen können,
was in der Folge zu fallenden Hauspreisen
führen würde und die Probleme verschärfen
könnte. Dann hätten nicht nur die Familien
ein Problem, sondern auch die Banken und
die gesamte Volkswirtschaft. So eine Kon-
stellation gab es schon einmal: während der
Finanzkrise 2008, als Hunderttausende
Amerikaner ihre Immobilienkredite nicht
mehr bezahlen konnten, ihre Häuser verlo-
ren und eine Kettenreaktion auf den Finanz-
märkten auslösten.
Dass es in Deutschland so weit kommt,
gilt als unwahrscheinlich. Die Banken haben
trotz des Booms nicht blind Kredite verge-
ben – anders als vor 15 Jahren in den USA.
Beim deutschen Bankenverband heißt es,
dass sich viele Kreditnehmer im ersten Halb-
jahr noch niedrige Zinsen für ihre Anschluss-
finanzierung gesichert hätten.
Für Deutschland lässt sich die Lage auf dem
Immobilienmarkt gerade so zusammenfassen.
Zeitenwende: ja. Crash: erst mal nein.
!www.zeit.de/vorgelesen
Collage: DZ (Fotos: Getty Images; plainpicture)
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–2,5 –3,1 –3,4 –4
–4,4 –4,8
22
M
arion Closmann ist im Kino
aufgewachsen, dem Rex, das
ihre Eltern im hessischen
Marburg betrieben. Als junge
Frau stand sie dort im Vor-
führraum und hinter der
Theke. Sie weiß, dass Kinos
nicht von allein überleben. In den Achtzigern überre-
dete sie ihren Vater zum Kauf einer Popcorn-Maschine,
als diese noch als Sensation galt. Später, nachdem sie
den Familienbetrieb übernommen hatte, baute sie An-
lagen mit 3-D-Sound ein und Kinosessel, die bei
Actionszenen hin und her schwanken.
So hat Closmann, 54, es geschafft, auf der Höhe
der Zeit zu bleiben. Sie hat erfolgreich dem Siegeszug
der DVD und des Heimkinos getrotzt.
Doch keine Innovation hilft ihr jetzt.
Ein Mittwoch im Oktober, Closmann sitzt in dem
menschenleeren Foyer ihres Kinos. Gleich startet die
Nachmittagsvorstellung, und Closmann sagt: »Diese
Krise ist anders, sie bedroht unsere Existenz.« Ihr
Kino in der Marburger Innenstadt wird in diesem
Jahr ein Drittel weniger Zuschauer haben als vor der
Pandemie. Wenn überhaupt. »Die Leute ziehen sich
zurück, sie haben über die Corona-Zeit ein neues
Ausgehverhalten eingeübt. Ich höre jetzt immer häu-
figer: Ich müsste mal wieder ins Kino, früher war ich
ein- oder zweimal im Monat da.«
So wie Closmann geht es vielen Kinobetreibern
im Land. Sie erleben, wie ihre Säle unter der Woche
leer bleiben, wie die Zuschauer nur noch samstags
und sonntags kommen oder wenn ein Actionspekta-
kel wie Top Gun: Maverick läuft. Eigentlich müsste
das Publikum längst wieder da sein. Seit dem Früh-
jahr sind die Corona-Beschränkungen fast überall
aufgehoben.
Dennoch meldete die Filmförderungsanstalt im Au-
gust ernüchternde Zahlen: Nur 33 Millionen Tickets
haben die Kinos in der ersten Jahreshälfte verkauft, 2019
waren es im selben Zeitraum noch 54 Millionen Tickets
gewesen. Die Programmkinos zählten sogar nur halb so
viele Besucher wie vor der Pandemie.
Viele Filme, auf die Verleiher und Kinos große Hoff-
nungen gesetzt hatten, floppten. Der neue Til-Schwei-
ger-Streifen Lieber Kurt, mit 90.000 Zuschauern ein
Fehlschlag. Liebesdings von Regisseurin Anika Decker,
normalerweise eine zuverlässige Lieferantin erfolgreicher
Mainstream-Unterhaltung: 300.000 Besucher, weit
hinter den Erwartungen.
Die Deutschen, das muss man sagen, waren nie
die größten Kinofans. Weniger als 40 Prozent gingen
vor der Pandemie mindestens einmal pro Jahr ins
Kino. In Frankreich, wo der Film als Nationalheilig-
tum gilt, waren es fast 70 Prozent; in den USA, der
Heimat von Hollywood, sogar noch etwas mehr.
Mehr als hundert Jahre nachdem die Brüder Au-
guste und Louis Lumière eine Dampflokomotive über
eine Leinwand fahren ließen und so eine neue Form der
Massenunterhaltung schufen, muss man sich ums Kino
sorgen: Droht ihm ein Schicksal wie den Videotheken,
die innerhalb von drei, vier Jahren verschwanden? Oder
wird die Krise des Kinos vorübergehen, sobald sich In-
flation und Wirtschaftslage entspannen?
Marion Closmann läuft über den weinroten
Teppich ihres Foyers. Überall stehen Pappaufsteller
mit Filmwerbung herum. Eine studentische Mitar-
beiterin wuselt hinter der Theke, im Erdgeschoss
summt leise ein Slush-Automat.
I
m Jahr 2000 hat Marion Closmann mit ihrem
Vater das Multiplexkino eröffnet, einen Glas-
palast mit sieben Leinwänden. Es war die Zeit,
in der Der Herr der Ringe und Harry Potter lie-
fen, Star Wars und Der Schuh des Manitu. Jeder
für sich ein Millionenhit. Die Vorstellungen am Wo-
chenende waren ausverkauft, sogar die schlechten
Plätze vor der Leinwand. Die Zuschauer aßen Nachos
mit Käsesoße und verteilten Popcorn auf dem Boden,
aber das war auch egal.
Closmann bleibt vor George Clooney und Julia
Roberts stehen, die von einem Plakat am Eingang
schauen. Die beiden Hollywoodstars, die früher die
Massen ins Kino lockten, sind heute 61 und 54 Jahre
alt. Jetzt spielen sie in der Komödie Ticket ins Para-
dies ein zerstrittenes Ex-Ehepaar, dessen Tochter auf
Bali heiratet. Perfektes Popcorn-Kino, eigentlich.
»Früher hätte so ein Film drei Millionen Zuschauer
gemacht«, sagt Closmann.
Aber es ist eben nicht mehr wie früher. Für die Vor-
stellung um 16.45 Uhr hat sie nur ein Dutzend Karten
verkauft. Die Bilanz des Films in Deutschland, sechs
Wochen nach dem deutschen Kinostart: eine Million
Besucher. Nicht schlecht, aber auch kein Riesenerfolg.
Am Abend, Marion Closmann ist in ihrem Büro
verschwunden, hat sich im Foyer eine Schlange mit
Besuchern gebildet, junge und ältere Paare, Freundin-
nen-Duos und -Trios. Es läuft doch, denkt man.
Eine junge Frau im Ledermantel will Avatar 2 se-
hen. Der Student hinter der Kasse schaut verwirrt.
»Der kommt erst im Dezember.« Wie viele Kinos
zeigen sie in Marburg vor dem Start der Avatar-Fort-
setzung noch einmal das Original aus dem Jahr 2009.
Im Gang vor den Toiletten laufen drei Frauen am
Plakat von Lieber Kurt vorbei, dem Film von Til
Schweiger. Eine ruft: »Den will ich nicht sehen. Da
stirbt das Kind.« In einer Zeit, in der es schon genug
schlechte Nachrichten gibt, will man sich das offen-
bar nicht auch noch antun.
Marion Closmann hat über viele Jahre ihre Fähig-
keit verfeinert, die Wünsche des Publikums zu erah-
nen und das richtige Programm auszuwählen –
Kammerflimmern
Corona, Streamingdienste, Untergangsstimmung: Die Kinos in Deutschland bleiben seit
Monaten leer. Drohen sie zu verschwinden? VON ANN-KATHRIN NEZIK
dachte sie. Aber nun, sagt sie, sei sie ratlos. Meist
funktioniere nur noch das, was die Zuschauer
schon kennen, die Minions 2 oder die x-te Comic-
verfilmung von Marvel.
Nur eines weiß Closmann: »Wenn die Kinos
schließen, verschwindet ein Gemeinschaftserleb-
nis: mit anderen zusammen in einem gut augestat-
teten, dunklen Saal sitzen. Ohne Ablenkung, nicht
mal schnell eine WhatsApp schreiben oder auf
Pause drücken und zum Kühlschrank laufen.«
Noch ist nicht klar, wie schlimm die Krise die
Kinos treffen wird. Im September erklärte Cine-
world, die zweitgrößte Kinokette der Welt, seine
Kinos in den USA zum Sanierungsfall, eine Vor-
stufe der Insolvenz. Der Chef des hoch verschul-
deten Konzerns begründete das mit den Folgen
der Pandemie. Die Kinos von Cineworld sollen
offen bleiben, bis die Sanierung abgeschlossen ist.
Die deutsche Kinolandschaft hat sich seit Jahren
bei 1700 Spielstätten und 5000 Leinwänden ein-
gependelt. Es gibt bislang kein Kinosterben. Die
Frage ist nur, wie lange das so bleibt.
Während der Pandemie erhielten die Kinos wie
andere Unternehmen Geld vom Staat, das sie vor
einer Pleite bewahrte. Für die Programmkinos, die
als Kulturgut gelten, gab es weitere Millionen-
hilfen, sie laufen Ende des Jahres aus.
Und dann? Viel hängt davon ab, wie kalt der
Winter wird. Kinos sind energieintensive Unterneh-
men, sie verbrauchen große Mengen an Strom und
Gas, nicht nur zum Heizen. In den Filmprojektoren
sind Lampen mit mehreren Tausend Watt verbaut.
Christian Bräuer bekommt deshalb gerade viele
besorgte E-Mails. Bräuer ist Chef der Berliner Yorck-
Kinos und Vorstandsvorsitzender des Verbands Ar-
beitsgemeinschaft Kino – Gilde deutscher Filmkunst-
theater, der die deutschen Programmkinos vertritt.
Erst gestern habe ihm ein Kinobetreiber aus Ham-
burg geschrieben, erzählt er. Dessen Strom- und Gas-
rechnung werde im kommenden Jahr voraussichtlich
von 18.000 auf 100.000 Euro steigen. Rechne man
WIRTSCHAFT
Foto: Max Slobodda für DIE ZEIT
Bietet 3-D-Sound und schwankende die gestiegenen Energiepreise der Kinos auf die Zu-
Sessel: Closmann in ihrem Kino schauer um, seien das pro Besucher zwischen zwei
und fünf Euro mehr, schätzt Bräuer. »Das kann sich
kein Programmkino leisten. Wir brauchen Hilfe bei
den Energiepreisen, sonst sind die Kinos weg.«
Die hohen Kosten für Strom und Gas überla-
gern gerade vieles. Aber die Kinos haben noch ein
Weniger Besucher anderes Problem, das schon vor der Pandemie be-
gann und sich währenddessen noch einmal be-
Die Top-drei-Filme des Jahres schleunigte: der Erfolg der Streamingplattformen.
nach Besucherzahlen Während der Lockdown-Monate legten sich
immer mehr Menschen ein Streaming-Abo zu, und
jene, die schon eines hatten, abonnierten vielleicht
2019 noch einen zweiten oder dritten Dienst. Nach einem
kleinen Einbruch in diesem Sommer gewann Netflix
Die Eiskönigin II zuletzt wieder Kunden hinzu und hat so viele Abon-
6,8 Mio. nenten wie noch nie. Und auch andere Dienste wie
Disney+ wachsen immer weiter.
Es ist paradox: Nie gab es so viele bewegte Bil-
Der König der Löwen der wie heute, überall werden die Zuschauer über-
5,7 Mio. schwemmt. Nur die Kinos profitieren davon nicht.
Ihr Verhältnis zu den Streamingdiensten ist kom-
pliziert. Beide können nicht mit-, aber auch nicht
Das perfekte Geheimnis
ohneeinander. Das zeigt sich an einem Film, der
5,3 Mio. vielleicht bald für Deutschland den Oscar holen
könnte: der Neuverfilmung des Romans Im Westen
2022 nichts Neues von Erich Maria Remarque, einer
Netflix-Produktion.
Minions – Auf der Suche Marion Closmann öffnet die Tür zu ihrem
nach dem Mini-Boss Büro. Auf ihrem Schreibtisch türmen sich Papiere,
4,1 Mio. ein Plüsch-E.T. schaut aus dem Fenster, als wolle
er nach Hause telefonieren. Überall stehen zusam-
mengerollte Plakate herum, Werbematerial für die
Top Gun: Maverick Kinostarts der nächsten Wochen.
3,7 Mio. Nur ein Plakat fehlt, das von Im Westen nichts
Phantastische Tierwesen – Neues. Closmann zeigt den Film wie viele Kino-
Dumbledores Geheimnisse betreiber nicht – aus Protest. Vor vier Wochen
3,0 Mio. startete das Antikriegsdrama im Kino. In dieser
Woche erscheint es auf Netflix. Aus Sicht von Ma-
rion Closmann und ihren Kollegen eine zu kurze
ZEIT- GRAFIK/Quelle: Insidekino.com
Spanne, um Geld mit dem Film zu verdienen.
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
Closmann stört auch, dass Netflix Im Westen nichts
Neues so gut wie gar nicht fürs Kino beworben habe. »Die
Menschen gehen aber nur in Filme, von denen sie schon
einmal gehört haben.« Netflix habe den Trailer von Im
Westen nichts Neues erst kurz vor dem Kinostart über-
mittelt. »Netflix hat ein anderes Interesse als wir«, sagt
Closmann. »Wir wollen für jeden einzelnen Film mög-
lichst viele Zuschauer. Netflix geht es wie allen Strea-
mingdiensten um Abonnenten, das Kino soll die Inhal-
te für die Plattform bloß veredeln.«
Denn nur wenn ein Film im Kino läuft, kann er
um einen Oscar konkurrieren, so will es die Academy
of Motion Picture Arts and Sciences. Und tatsächlich
wählte eine Jury Im Westen nichts Neues vor wenigen
Wochen als den deutschen Oscar-Kandidaten aus.
Die Pandemie hat das Machtverhältnis zwischen
Kinos und Streamingdiensten endgültig zulasten der
Kinos verschoben. Früher war es üblich, dass interna-
tionale Filme drei, vier oder sechs Monate lang im
Kino zu sehen waren, bevor sie woanders liefen, etwa
auf DVD oder einer Streamingplattform. Dieses
Fenster ist während der Pandemie immer weiter ge-
schrumpft. Disney veröffentlichte sein Remake von
Pinocchio im September ausschließlich auf seinem
Streamingdienst. Und das ist nur eines von vielen Bei-
spielen für die neuen Regeln im Filmgeschäft.
D
en Kinobetreibern bleibt nur, sich zu-
sammenzutun. Closmanns Unterneh-
men gehört zur Cineplex-Gruppe,
einem Verbund von 26 mittelstän-
dischen Kinobetreibern. Gemeinsam
verhandeln sie mit den Verleihern über die Konditio-
nen für einen Film und boykottierten im vergangenen
Jahr Black Widow, als Disney die Comicverfilmung
nur einen Tag nach dem Kinostart auf seiner Strea-
mingplattform herausbrachte.
Die Frage ist, ob das reicht.
Sogar Hollywoodgrößen wie der Regisseur Roland
Emmerich (Independence Day) halten das Kino für ein
Auslaufmodell. Emmerich glaubt, dass es bloß als »sub-
ventionierte Kunstform in den Großstädten« überleben
werde, ähnlich wie das Theater.
Hat er recht? Werden es die Kinos nur mit dauer-
hafter Unterstützung des Staates schaffen? Oder braucht
es nur ein paar neue Ideen?
In der Hamburger HafenCity wartet Hans-Joa-
chim Flebbe, der Chef der Astor Film Lounge. Fleb-
be, 71, ist ein Pionier seines Metiers. 1989 gründete
er die Kinokette CinemaxX, die das amerikanische
Erfolgsmodell der riesigen Säle und billigen Tickets
nach Deutschland importierte.
Nun versucht es Flebbe mit dem Gegenteil. 2008
eröffnete er sein erstes von heute zehn »Premium-
kinos«. Eines davon ist die Astor Film Lounge in
Hamburg. Das Foyer erinnert an eine Hotellobby:
heller Teppich, eine geschwungene Sitzlandschaft.
Flebbe führt hoch in den »Club«, seinen kleinsten
Kinosaal. Dort, wo normalerweise Wände sind, ragen
Bücherregale bis zur Decke empor. So stellt man sich
das Privatkino eines Multimillionärs vor.
In den Sälen von Flebbes Kinos bringen Kellner vor
der Vorstellung Getränke und Essen an den Platz. Es gibt
Veuve Clicquot und Käsevariationen, aber keine Nachos
mit Käsesoße, wegen des Teppichs. »Ich habe mich auch
lange gegen Popcorn gewehrt«, sagt Flebbe und lässt sich
in einen mit rotem Samt bezogenen Kinosessel fallen.
»Irgendwann habe ich kapituliert.«
Sein Konzept, Kino als Luxusprodukt zu vermark-
ten, funktioniert: Flebbes Premiumkinos werden in
diesem Jahr voraussichtlich nur ein Fünftel weniger
Besucher haben als vor der Pandemie, und das trotz
15 Euro pro Kinokarte.
Aber auch Flebbe muss sparen. Im Kinosaal fällt ihm
plötzlich auf, dass jemand nach der letzten Vorstellung
vergessen haben muss, die Lüftung auszuschalten, ein
Stromfresser. »Dabei habe ich das doch extra gesagt«,
schnaubt er. Seine Prognose für die deutsche Kinoland-
schaft klingt düster: »Die Zeit vor der Pandemie, in der
120 Millionen Menschen pro Jahr ins Kino gingen,
wird nicht mehr wiederkommen. Die jährliche Zu-
schauerzahl wird sich bei um die 80 Millionen ein-
pendeln. Das wird viele Kinos hart treffen.«
Vielleicht werden in Zukunft weniger Menschen
ins Kino gehen und Häuser schließen müssen. Viel-
leicht wird das Kino teurer werden, vielleicht braucht
es Hilfe vom Staat. Aber verschwinden?
Noch einmal Marburg. Marion Closmann drückt
die Glastür des Multiplexkinos auf und läuft über die
Straße zum Capitol, dem Stammhaus der Familie seit
1928. Ihr Urgroßvater eröffnete den Filmpalast mit
Marmorsäulen und Platz für mehr als tausend Zuschauer.
Heute zeigt Closmann dort Arthouse-Filme. Drinnen
erreicht man über eine kleine Treppe den Vorführraum.
An der Wand klebt ein vergilbter Zettel: »Zigarettenfilm,
Trailer, Zigarettenfilm, Eispause«, das Programm vor
dem Hauptfilm. Closmann ist überrascht, dass der
Zettel dort noch hängt, obwohl Zigarettenwerbung
natürlich auch bei ihr längst verboten ist.
Und man begreift: Das Kino hat schon viele Umwäl-
zungen überlebt, die man fast vergessen hat. Sie ähnelten
der heutigen Krise, weil sich die Sehgewohnheiten der
Menschen änderten – das Aufkommen des Fernsehens
in den Fünfzigern, der Boom der Videotheken in den
Achtzigern. Damals gingen Closmanns Eltern fast plei-
te. Später kamen dann noch die Raubkopien. »Irgendwie
haben wir uns immer berappelt«, sagt Closmann. Die
Hoffnung, dass es diesmal wieder so kommt, hat sie nicht
verloren. »Wir kämpfen weiter.«
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DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022 WIRTSCHAFT 23

Womit keiner rechnet

Foto: Getty Images

Tomatensaft war gestern

Ein Flug von Palma de Mallorca nach München

wird günstiger, wenn man noch
einen Weiterflug nach Hamburg bucht.
Was steckt dahinter?
Wer seine maskenfreie Zeit im Ferienflieger nicht
nur mit dem Erwerb von Kleingebäck und Rub-
bellosen verbringen will, kann mal in die Runde
fragen, was die Sitznachbarn für ihren Flug ge-
zahlt haben. Die Preise werden so gewaltig
schwanken wie ein Junggeselle nach dem Besuch
einer Großraumdisco auf Mallorca.
Das wäre verständlich, wenn sich die Preisbil-
dung an der bekannten Regel orientierte: Je kurz-
fristiger die Buchung, desto teurer der Flug. Aber
so simpel ist es längst nicht mehr. Zwei Beispiele
dazu: Wer vergangenen Montagmittag für den 11.
Dezember einen Flug von Palma nach München
buchen wollte, hätte dafür 170 Euro zahlen müs-
sen. Derselbe Lufthansa-Flug LH1795 wäre aller-
dings 40 Euro günstiger gewesen, wenn der Passa-
gier noch einen Anschlussflug nach Hamburg für
den nächsten Morgen dazugebucht hätte: Der Flug
von Palma über München nach Hamburg hätte
nämlich nur 130 Euro gekostet. Es wäre theoretisch
billiger gewesen, einfach den Weiterflug zu buchen
und diesen dann verfallen zu lassen. Ähnlich ver-
hält es sich mit der zweiten Teilstrecke: Die Ver-
bindung von München nach Hamburg kostete am
gleichen Tag mehr als die von Palma nach Mün-
chen und dann der Weiterflug nach Hamburg.
Nun könnte man meinen, die Manager der
Lufthansa hätten in diesem Sommer zu viel Zeit
in der Schinkenstraße verbracht, der Partyzone
Mallorcas. Doch Peter Belobaba sorgt für ihre
Ehrenrettung. Der Wissenschaftler am Massachu-
setts Institute of Technology (MIT) hat die Preis-
bildung in der Luftfahrt näher untersucht. Und er
hat herausgefunden, dass die Preisgestaltung der
Fluggesellschaften allgemein auf die Herkunfts-
und Zielmärkte angewendet wird, nicht auf einzel-
ne Flugstrecken oder deren Summe. Konkret ant-
wortet Belobaba: »In Ihrem Beispiel ist Palma–
Hamburg wahrscheinlich billiger, weil auf dem
Markt mehr Wettbewerb – höchstwahrscheinlich
von einer Billigfluggesellschaft – herrscht, während
Palma–München möglicherweise keinen so in-
tensiven Preiswettbewerb hat.«
Tatsächlich starten der Billigflieger Ryanair und
die Lufthansa-Tochter Eurowings auch ab Ham-
burg. Die These des Wissenschaftlers leuchtet
umgehend ein. Wer von Hamburg nach Palma will,
möchte am liebsten direkt fliegen und wird vor
allem auf den Preis achten. Belobaba hat seine Be-
obachtung an Tausenden von Flügen nachvoll-
zogen. Es kann für die Fluggesellschaften sogar
ökonomisch effizient sein, Flüge anzubieten, mit
denen sie auf den ersten Blick Geld verbrennen.
Vorausgesetzt, die Leute steigen am Zielort ins
nächste Flugzeug ein und zahlen dann umso mehr.
Ist das irrsinnig? Auch da geben Ökonomen
eine klare Antwort, die sich am besten am Bei-
spiel der Dringlichkeit einer Reise erläutern lässt.
Wer heute für morgen einen Flug nach Mallorca
bucht, der hat es offenbar sehr eilig, dorthin zu
kommen. Und ist entsprechend bereit, (fast) je-
den Preis dafür zu zahlen. Ein Ferienhauskäufer
mit kurzfristigem Notartermin wäre vielleicht so
ein Kandidat. Anders etwa ein Hamburger Rent-
ner, der ohne Zeitdruck einfach mal wieder in
die Sonne will. Er hat eine sogenannte elastischere
Nachfrage, kann ebenso gut übermorgen wie
nächste Woche fliegen. Er guckt vor allem auf
den Preis und vergleicht in Seelenruhe, ob Ryan-
air oder Lufthansa günstiger ist.
Ökonomen wie Hal Varian sprachen schon vor
Jahrzehnten in ihren Lehrbüchern von einer Preis-
diskriminierung zweiten Grades. Auf demselben
Flug herrscht dann eine Zwei- oder gar Drei-
Klassen-Gesellschaft. Meist haben die teuren Ti-
ckets den für Geschäftsreisende unschlagbaren
Vorteil, dass sie umbuchbar sind. Ist der Notar-
termin schnell vorbei, kann der Hauskäufer mit
einem früheren Lufthansa-Flug zurückfliegen.
»Solche Differenzierungen können gesellschaftlich
sehr wohl nützlich sein«, schreibt Varian. »Ohne
die Möglichkeit der Preisdiskriminierung könnte
ein Unternehmen entscheiden, ausschließlich auf
Märkten mit hoher Nachfrage zu verkaufen.« Das
Angebot für alle würde dann sinken.
Auf Anfrage bestätigt die Lufthansa, was der
MIT-Forscher vermutete. Die Preisgestaltung er-
mittele sich nicht aus der Summe der Preise für die
Teilstrecken, sondern aus »der jeweiligen Wett-
bewerbssituation in den einzelnen Verkaufsmärk-
ten und an der Gesamtmarktnachfrage nach einer
bestimmten Destination«. Aber – Hinweis für
Schnäppchenjäger: Der Flugpreis gilt nur, wenn
alle Flüge in der gebuchten Reihenfolge auch ge-
flogen werden. Einzelne Flüge ausfallen lassen oder
später einsteigen – das geht nicht. CL A AS TATJE

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KOMMENTAR

Runter mit dem Porto!

Wenn die Deutsche Post nicht in der Lage ist,
Briefe rechtzeitig zuzustellen, sollte sie die Preise senken –
und ihre Zusteller besser bezahlen

Die Deutsche Post zählt zu den wenigen Unter-
nehmen, die Garantiepreise für ihre Dienstleis-
tung verlangen können. Ein Standardbrief inner-
halb Deutschlands kostet 85 Cent. Aber dieses
Privileg ist mit einer Verpflichtung verbunden.
Sie ist in Paragraf 2 der Post-Universaldienst-
leistungsverordnung niedergeschrieben. Danach
müssen im Jahresdurchschnitt 95 Prozent der
Wenn nun reihenweise Zustellerinnen und
Zusteller an Corona erkranken, wer zahlt die
Zeche? Die Allgemeinheit, weil sie nicht mehr
die vereinbarte Leistung bekommt? Das kann
nicht sein, auch wenn es stimmt, dass der Post
Beschäftigte fehlen. Aber mit plötzlichen Corona-
Erkrankungen hat das nur bedingt zu tun.
Schon im Sommer beschwerten sich Tag für

FORD PRO .
Briefe spätestens am übernächsten Tag in den Tag Postkunden bei der Bundesnetzagentur über
Briefkasten des Empfängers geworfen werden. die mangelhafte Briefzustellung. Aus allen Ecken
Daran scheitert die Post derzeit – mancher- der Republik. Aus Dornstetten, Bruchsal, Nürn-

orts. Der Konzern gesteht selbst »Probleme« bei
der Zustellung ein. Es fehle in einigen Bezirken
schlicht an gesundem Personal. Das führt wiede-
rum dazu, dass die Post dort auch einer weiteren
Verpflichtung aus dem Gesetz nicht nachkommt:
»Die Zustellung hat mindestens einmal werktäg-
lich zu erfolgen.«
Die Post wird vertragsbrüchig gegenüber den
™
berg oder Lübeck. Die Lösung: mehr Mitarbeiter,
die die Sendungen austragen. Klingt einfach. Sie
sind nur gerade schwer zu bekommen.
Aber – willkommen in der Marktwirtschaft!
Mit höheren Löhnen würde sich der eine oder
andere vielleicht für den immer anstrengender
werdenden Job eines Zustellers begeistern kön-
nen. Es soll auch Wunder wirken, wenn die ge-

Game Changer
Bürgern. Sie kassiert das festgeschriebene Porto suchten Postboten gleich unbefristet eingestellt
zwar, kommt aber ihren Verpflichtungen mehr werden. Eine Selbstverständlichkeit? Nicht in Bleiben Sie up to date:
schlecht als recht nach. Dafür muss sie bestraft diesem Konzern, an dem der Staat über die KfW Ford Pro Newsletter

für Ihre Produktivität.

werden. Wie andere Unternehmen auch, wenn
sie vertragsbrüchig werden. Für schlechte Leis-
tung kann es kein leicht verdientes Geld geben.
Es ist daher höchste Zeit für eine von der
Bundesnetzagentur verordnete Portosenkung um
mindestens fünf Cent.
Das Management der Post hat die Milliarden-
umsätze in der Pandemie, als immer mehr Men-
schen online einkauften, gern mitgenommen. Im
vergangenen Jahr wurde ein Gewinn von fünf
Milliarden Euro vermeldet. Zu verdanken hat das
Unternehmen diesen sagenhaften Ertrag – allein
der Vorstandschef Frank Appel kassierte fast
zwölf Millionen Euro – den 600.000 Beschäftig-
ten, die Post und Pakete austrugen.
Bankengruppe 20 Prozent der Anteile hält.
Mit »Werde Eine:r von uns!« wirbt das Unter-
nehmen um Boten für Pakete und Briefe. In Voll-
zeit, aber eben befristet. »Unbefristete Übernah-
me und Entwicklungsmöglichkeiten bei guten
Leistungen und offenen Positionen möglich«,
folgt dann im Kleingedruckten. Mit dieser Stel-
lenanzeige wird die Post kaum die Botschaft des
jüngsten Geschäftsberichts erfüllen: »Auf einem
neuen Level«, heißt es dort. Nach oben ist in die-
sem Herbst noch gewaltig Luft. Nur der Gewinn
stimmt. Allein im dritten Quartal erzielte der Be-
reich Post & Paket in Deutschland einen Über-
schuss von 285 Millionen Euro. Dem Garantie-
porto sei Dank. CL A AS TATJE
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management sichern.
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24 WIRTSCHAFT 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

Wasserstoff
aus
Afrika
Ein Berliner Staatssekretär
a. D. und ein namibischer

Foto: Kai-Uwe Küchler/Interfoto

Regierungsberater wollen
Deutschland mit Energie aus
der Wüste versorgen
VON PETRA PINZLER
Geistersiedlung Kolmanskuppe in Namibia

G
Gelber Sand, so weit das Auge reicht. Er weht
über die weiten Ebenen der Namib-Wüste im
Südwesten Afrikas, bedeckt die sanften Hügel,
verschleiert in der Ferne den blauen Himmel.
»Hier werden sich die Windräder drehen«, sagt
Rainer Baake, »hier überall.« Er zieht seine Kapu-
ze über die Stirn und zeigt gen Süden: »Und dort,
ein paar Kilometer weiter, stehen die Solarpanels.«
Dann setzt er triumphierend hinzu: »Hier glaubt
man sofort, dass das ein idealer Standort für
Erneuerbare ist. Es gibt weltweit nur wenige Ge-
biete, in denen so viel Wind weht und die Sonne
so viel scheint.«
Rainer Baake war viele Jahre lang Staatssekre-
tär in der Bundesregierung, er hat grünen und
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roten Ministern dabei geholfen, die deutsche
Energiewende voranzutreiben. Der 67-Jährige
könnte also seinen verdienten Ruhestand genie-
ßen. Doch Baake will noch etwas schaffen. Er
will, dass in Zukunft im Süden Namibias eines
der größten Wasserstoffprojekte der Welt ent-
steht. Mitten in der Wüste, im Eiltempo.
»In fünf Jahren schon könnten hier mit Sonne
und Wind etwa 18 Terawattstunden Strom und
damit grüner Wasserstoff produziert werden«,
sagt Baake. Zum Vergleich: Namibia selbst ver-
braucht fünf Terawattstunden Strom pro Jahr.
Technisch ist die Produktion von Wasserstoff
nicht kompliziert, doch bei diesem Projekt ist al-
lein die schiere Größe eine Herausforderung. Es
soll, kurz gefasst, so funktionieren: Auf 4000
Quadratkilometern – das ist mehr als das Fünf-
fache der Fläche von Hamburg – werden rund
700 Windräder aufgestellt, dazu Solarpanels und
Elektrolyseure. Letztere spalten mithilfe des
nachhaltig produzierten Stroms Wasser in Was-
serstoff und Sauerstoff auf. Das Wasser kommt
aus dem nahe gelegenen Meer, wird entsalzt und
per Leitung in die Wüste gepumpt. In Gegen-
richtung fließt dann durch eine zweite Leitung
der Wasserstoff zum Hafen in Lüderitz.
In dem Küstenstädtchen, das einst deutsche
Auswanderer gründeten, soll dann noch eine
Ammoniakfabrik entstehen. In der wird der
Wasserstoff mit Stickstoff gemischt und so zu
grünem Ammoniak. Das lässt sich gut transpor-
tieren, nach Deutschland exportieren und dort
in grünen Wasserstoff zurückverwandeln. Der
wird hier für die Energiewende in großen Men-
gen gebraucht – um Energie zu speichern, Stahl
klimafreundlich zu produzieren und Kraftwerke
zu betreiben.
Politisch wäre das ein Riesenschritt. Denn das
Projekt wäre nicht nur gut fürs Klima. Es würde
auch dabei helfen, die fatale Abhängigkeit vom
Gas und anderen fossilen Energien zu reduzie-
ren. Und damit die Abhängigkeit von deren Pro-
duzenten. Deutschland wäre also deutlich weni-
ger erpressbar.
Es ist ein heißer Oktobertag, an dem Baake auf
konserviert dort riesige Villen, die Diamanten-
barone im 19. Jahrhundert bauen ließen. Sie ver-
sklavten die Ureinwohner und ließen sie elendig
in der Diamantenmine schuften, leisteten sich
aber selbst Theater, Kegelbahn, Schwimmbad
und eine Limonadenfabrik, die sogar Eis nach
Hause lieferte. Die meisten verschwanden nach
und nach. Geblieben sind Konzerne, die das Ge-
schäft industriell betreiben und bis heute große
Macht haben.
Nun muss sich Geschichte nicht immer wie-
derholen, auch nicht in Afrika. James Mnyupe
jedenfalls ist davon fest überzeugt: »Diesmal wird
es anders!«, sagt der Namibier, ein eloquenter
Mann, der gern lacht. Er ist derjenige, der das
Projekt auf namibischer Seite vorantreibt.
Mnyupe hat eine klassische Aufsteigerbiografie.
Seine Mutter hatte einst ihr Auto verkauft, um
ihm eine private Schule zu finanzieren. Er schaff-
te es dann mit guten Noten und viel Ehrgeiz
nach oben, arbeitete als Vermögensverwalter und
handelte mit Staatsschulden.
Er scheint deswegen auch ziemlich genau zu
wissen, wie wichtig eine moderne Wirtschafts-
politik für die Zukunft eines Landes ist. »Ich
habe damals Regierungen all die üblichen Dinge
gepredigt. Dass sie ihr Haushaltsdefizit verrin-
gern müssen und so«, erinnert er sich.
Der deutsche Ex-Beamte und der

Bürostuhl »Series 7™«
von Fritz Hansen
1955 von Arne Jacobsen entworfen, ist der »Series 7™«
der mit Abstand größte Verkaufserfolg in der
Geschichte Fritz Hansens. Die einzigartige Form
des Drehstuhls ist zeitlos und unglaublich vielseitig.
Der Stuhl zeigt Charakter, ohne sich aufzudrängen,
wodurch der Klassiker sich in nahezu jede Umge-
bung einpasst. Mit der ikonischen Sitzschale und
dem Fünfstern-Untergestell mit Rollen ermöglicht
der höhenverstellbare Bürostuhl »Series 7™« zudem
höchste Flexibilität am Arbeitsplatz und ist dank
des neuen Essential-Leders besonders pflegeleicht.
Der Klassiker als voll gepolsterter Bürostuhl in warm
pigmentiertem Essential-Leder, das besonders langlebig,
pflegeleicht und lichtecht ist.
Maße: Breite: 61"cm | Höhe: 78–90"cm | Tiefe: 52"cm |
Sitzhöhe: 44–56"cm
dem Hügel in der Namib-Wüste steht und sich den
Sand ins Gesicht wehen lässt – wobei es hier die
meiste Zeit des Jahres heiß, windig und sandig ist.
Hier soll in fünf Jahren das Schlüsselprojekt für
Deutschlands grünen Wandel und Namibias rosi-
ge Zukunft stehen? »Wir werden zeigen, wie das
geht: mit einer Demokratie grüne Energie han-
deln«, sagt Baake.
Wenn ein Deutscher mitten in der Wüste von
so einem Megaprojekt erzählt, dann liegt der
Gedanke an eine Fata Morgana ziemlich nah,
schließlich sind in Afrika viele Ideen gescheitert:
an der Bürokratie, an unsicheren politischen Ver-
hältnissen, an Korruption, an mangelnder Fi-
nanzierung. Oder sie nützen nur den Reichen.
Ausländer beuteten die Rohstoffe aus, afrikani-
sche Eliten steckten die Konzessionsgelder ein,
und die einfachen Leute hatten das Nachsehen.
Und den Dreck.
Auch Namibier kennen das. In ihrem Land
gibt es eine lange Geschichte solcher Projekte. In
der Nähe des potenziellen Windparks zeugt eine
Geisterstadt davon: Kolmannskuppe. Die Wüste
namibische Berater kennen sich erst kurz
Offenbar war er dabei so gut, dass ihn der nami-
bische Präsident Hage Geingob vor zwei Jahren
kurzerhand als Berater eingestellt hat. Kaum im
neuen Job, überzeugte er seinen Chef dann da-
von, dass die Produktion von Wasserstoff eine
Riesenchance sein könnte. Der Westen suche
händeringend danach, um schneller klimaneu-
tral zu werden.
Mnyupe zieht eine Broschüre aus der Tasche,
welche die ökonomischen Pläne der Regierung
bis 2030 skizziert. »Vorher war auf dem Cover
ein Foto eines Feldes«, sagt Mnyupe. Jetzt sieht
man ein Wasserstoffmolekül.
Das Foto und das grüne Licht des Präsidenten
waren nur die ersten Schritte, es fehlen noch
weitere. Namibia wird viel investieren müssen,
um das Wasserstoffprojekt zu verwirklichen. Es
wird in Lüderitz einen neuen Hafen bauen müs-
sen, Fachkräfte ausbilden, Gesetze erneuern. Für
all das braucht es Geld – und Expertise. Und da-
mit kommt Baake ins Spiel.

1.460,–!€*
Bestell-Nr. ohne Armlehnen Cognac: 40336

1.299,–!€* Grüner Wasserstoff ist selten – noch.

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Denn billig produzieren kann
man das flüchtige Gas nur dort, wo
1.790,–!€* sehr viel Wind weht und sehr lange die
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1.599,–!€* Grüne Sonne in ausreichender Stärke

scheint. Und wo es große Mengen
Wasser gibt. Denn das alles
Bestell-Nr. mit Armlehnen Schwarz: 41729
Energiewirtschaft wird gebraucht: Mithilfe des billigen,
grünen Stroms kann man das
Mehr Informationen unter shop.zeit.de/fritz-hansen
Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff
spalten. Den wiederum kann man
verwenden, um Stahl klimafreundlich
zu produzieren, um Gas zu ersetzen
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112037_ANZ_220x220_X4_ONP26 1 18.10.22 18:21

 DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022
Foto: Garry Black/f1online
Die Wüste in Namibia konserviert riesige Villen, in denen die Diamantenbarone des 19. Jahrhunderts lebten
Zwar kennen sich der deutsche Ex-Beamte,
der heute die Stiftung Klimaneutralität leitet,
und der namibische Ex-Finanzberater erst seit
einem guten halben Jahr, sie haben sich auf einer
Energiekonferenz des Auswärtigen Amtes im
Frühjahr getroffen. Dort allerdings hat es sofort
gefunkt. »Freundschaft ist manchmal keine Fra-
ge von Jahren«, sagt Baake, und dass er den Ehr-
geiz und die Energie von Mnyupe bewundere.
Der wiederum nennt den Deutschen »seinen
Mentor«. Und sagt, dass ohne dessen Zuversicht,
seine Kontakte und die Ratschläge, wie man sich
durch den internationalen Bürokratiedschungel
schlägt und dort Widerstände abbaut, vieles
schwerer wäre.
Außerdem verleihe Baake dem Projekt inter-
nationale »Glaubwürdigkeit«, sagt Mnyupe:
»Wer glaubt schon einem Namibier mit einer so
verrückt klingenden Idee.«
Seither bündeln Mnyupe und Baake ihre
Energie. Der eine, weil er sein Land ökonomisch
voranbringen will. Der andere, weil er der deut-
schen Energiewende und dem Klimaschutz noch
mal auf die Sprünge helfen möchte. Mnyupe
reist in diesem Jahr nach Davos, Berlin und
Brüssel – auf der Suche nach ideeller Unterstüt-
zung und finanzieller Förderung. Er begeisterte
den EU-Vizepräsidenten Frans Timmermans
von der Idee und sorgte dafür, dass sein Präsident
den Bundeskanzler traf.
Baake, der in Berlin bestens vernetzt ist,
sprach mit Robert Habeck über die Idee. Der
braucht nach seinen Gaseinkaufstouren am Golf
dringend grüne Energieprojekte und war offen-
bar so von der Idee angetan, dass er Baake zum
»Sonderbeauftragten« für Namibia ernannte.
Seither öffnet sich manche Tür in dieser Sache
noch leichter.
Nötig ist das. »Man braucht ja nicht nur eine
gute Idee, viel Energie, Kontakte und ein biss-
chen Glück«, erklärt Mnyupe: sondern auch
Geld, viel Geld. Was wahrscheinlich die größte
Hürde ist: Der Ausbau der nötigen Infrastruktur
wird viele Millionen kosten, die hat das Land
nicht. Auch Unternehmen, die solche Projekte
durchführen und dafür von den Märkten die
nötige Finanzierung bekommen, findet man in
Namibia nicht, und selbst wenn, dann bekämen
sie niemals Geld zu akzeptablen Zinssätzen.
Also schrieb die namibische Regierung das
Projekt international aus, und es bewarben sich
zehn Firmen. Den Zuschlag bekam schließlich
Hyphen. Hinter diesem Konsortium steckt Ener-
Oder um daraus grünen Ammoniak für
die chemische Industrie zu machen.
Allein in Deutschland werden durch die
Herstellung von herkömmlichem
Ammoniak bisher jedes Jahr sechs
Millionen Tonnen CO₂ frei. Um diese
Menge zu absorbieren, müssen sechs
Millionen Buchen 80 Jahre lang wachsen.
Gegenden, in denen es Wind, Sonne und
Wasser im Überfluss gibt und in denen
nicht viele Menschen wohnen, existieren
auf der Erde nur in wenigen Ländern: in
Namibia, im chilenische Patagonien, in
trag, ein deutsches Unternehmen aus der Ucker-
mark, und die Investmentfirma Nicholas Hol-
ding. Zehn Milliarden Euro Investitionen plant
Hyphen – Eigenkapital, Geld aus Fonds und
Kredite von Förderbanken. Nicht nur die geplante
Investitionssumme überzeugt die Regierung.
Die örtlichen Hyphen-Vertreter wollen auch
zeigen, dass das Projekt hilft, das Land zu entwi-
ckeln – als ein Vorzeigemodell. Das Unterneh-
men will auch einen Teil des grünen Stromes ins
namibische Netz fließen lassen. Mehr als 90
Prozent der Jobs sollen an Namibier gehen, die
Hyphen zum Teil selbst ausbilden wird. Die Li-
zenzgebühren werden nicht komplett in die na-
mibische Staatskasse fließen, sondern auch an
einen unabhängigen Fonds. Und nicht zuletzt
will sich Hyphen auch mit um den Naturschutz
in der Gegend kümmern. Noch sind das alles
Versprechen. Der endgültige Vertrag soll kurz
vor der UN-Klimakonferenz Mitte November
unterschrieben werden.
In nur zwei Jahren, 2024, soll der Bau star-
ten. Dann spätestens wird sich zeigen, wie ernst
die Versprechen gemeint sind. Windräder und
Solarpanels sollen nämlich in dem Teil der
Wüste aufgestellt werden, der zum Tsau-
Khaeb-Nationalpark gehört.
Dort gibt es zwar nur wenig Tiere, die Wüs-
te ist einfach zu trocken. Allerdings wachsen an
manchen Stellen einzigartige Pflanzen. Bisher
sind sie halbwegs geschützt, weil die Gegend
wegen der Diamantenförderung weitgehend
abgeriegelt ist. Was aber, wenn künftig dort Ar-
beiter Windräder errichten? 3000 Leute sollen
durch das Wasserstoffprojekt feste Jobs bekom-
men, bis zu 15.000 werden in der Bauphase ge-
braucht. Die werden zwar längst nicht alle im
Park beschäftigt sein, aber ein Teil eben schon.
Arme Leute ziehen bereits in die Region
und hoffen auf Wasserstoff-Jobs
Martha Kambidi macht sich darüber Gedanken.
Die junge Frau hat Baake auf seinem Trip in die
Wüste begleitet. Sie ist für den Schutz des Parks
verantwortlich, im Moment hat sie dafür aller-
dings nur ein paar Leute und zwei Wagen mit je
zwei Tankfüllungen pro Monat zur Verfügung –
lächerlich wenig. »Wir brauchen mehr Personal«,
sagt sie, und dass sie sich schon sorgt, wie sie die
Natur wird schützen können. Sie hofft darauf,
dass es durch den geplanten Fonds mehr Geld
für den Naturschutz gibt.
Marokko am Rande der Sahara und an
den Küsten Australiens. In der
Inneren Mongolei wird heute schon
grüner Wasserstoff produziert.
Die Zahl der geplanten Projekte mit
grünem Wasserstoff wachsen in
»beeindruckendem Tempo«, schreibt die
Internationale Energieagentur.
Das liege auch daran, dass Wasserstoff bei
den hohen Energiepreisen immer
wettbewerbsfähiger werde.
Allerdings habe erst bei vier Prozent
der Projekte der Bau begonnen.
WIRTSCHAFT
Rainer Baake hat im Rathaus von Lüderitz
Platz genommen, es ist sein letzter Stopp auf der
Reise in den Süden Namibias. Die Bürgermeiste-
rin hat sich die Ehrenkette der Stadt umgehängt.
Alle Stadtverordneten sitzen im Konferenzraum
an einem Eichentisch, der so alt ist, dass die
Gründerväter aus Deutschland ihn mitgebracht
haben könnten. Phillippus Balhao, einer der
Stadtverordneten, steht auf und hält eine kurze,
emotionale Rede. Er sehe »eine Riesenchance« in
dem Projekt. Aber es bereite ihm auch »schlaflose
Nächte«.
Noch ist Lüderitz nämlich ein beschauliches
Städtchen mit 20.000 Einwohnern. Die leben vom
Tourismus, von einer spanischen Fischfabrik, den
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25
ANGOLA
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Windhoek
BOTSWANA
Lüderitz
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Namib-
Wüste A
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Tsau/Khaeb- FR ZEIT- GRAFIK
S Ü DA
Nationalpark 400 km
Diamantenminen und vom Hafen. Nun soll ein wicklungshilfeorganisation GIZ, damit die bei der
größerer Tiefseehafen für die Ammoniakschiffe da- Stadtplanung helfe. Baake weiß ziemlich genau,
zukommen, es braucht neue Straßen, Häuser und dass der Ruf dieses Projektes davon abhängt, wel-
ein größeres Klärwerk. che Spuren es in Namibia hinterlässt. Ob es tat-
Eigentlich müsste das alles für einen Mann wie sächlich gelingt, den grünen Strom so zu produzie-
Balhao vielsprechend klingen, aber er sagt: »Schon ren, dass es die Natur nicht zerstört und auch nicht
jetzt hat die Kriminalität zugenommen.« Es zögen das kleine Städtchen Lüderitz.
immer mehr arme Leute her, weil sie auf Jobs im Er weiß aber noch etwas: Läuft alles gut, wäre es
Wasserstoffprojekt hofften. Die gebe es aber noch ein Modell dafür, dass es für die Länder des Südens
nicht und auch keine Wohnungen. Also hausten sie eine gute Alternative zur Förderung von Gas, Öl
in Hütten ohne Wasser und Klo. Und der Stadt und Kohle geben kann. Denn abgesehen davon,
fehle das Geld, um etwas für sie zu tun. dass die dem Klima schaden – sie werden auch ir-
Rainer Baake hört sich das alles geduldig an. Er gendwann zur Neige gehen. Mit Sonne und Wind
werde in Windhoek erneut mit der Regierung spre- ist das anders. Sie können noch lange Strom produ-
chen, sagt er – und in Deutschland mit der Ent- zieren und Geld bringen.
Die Preisverleihung findet
am 10. November statt,
eine Aufzeichnung strahlt
das NDR Fernsehen
um 23.45 Uhr aus.
Vorschläge für den
Preisträger des
Jahres 2023 können
die Zuschauer schicken an:
hanns-joachim-friedrichs-preis.de
Der Preis wird alljährlich an Moderatoren, Reporter und Redakteure vergeben, die durch ihre
Arbeit gezeigt haben, dass sie kreative, kritische und unabhängige Journalisten sind. Die dies-
jährigen Preisträger sind der SPIEGEL-Reporter Christoph Reuter und der russischsprachige
Sender OstWest TV,
TVV den Sonderpreis erhält die ZDF-Kindernachrichtensendung „logo!“.
Die Initiatoren und Juroren: Golineh Atai, Gabi Bauer, Jurek Becker (†), Manfred Bissinger, Nikolaus Bender, Klaus
Bresser, Annette Dittert, Katrin Eigendorf, Jürgen Flimm, Eric Friedler, Christoph-Maria Fröhder, Petra Gerster, Carl
Gierstorfer, Johannes Hano, Tina Hassel, Hanna Herbst, Maybrit Illner, Claus Kleber, Theo Koll, Gerhard Krug (†),
Stephan Lamby, Jürgen Leinemann (†), Ilse Madaus-Friedrichs, Sandra Maischberger, Marcel Mettelsiefen, Eva
Müller, Susanne Ottersbach-Flimm, Frank Plasberg, Fritz Pleitgen (†), Christina Pohl, Ariane Reimers, Claus Richter,
Thomas Roth, Ulf-Jensen Röller, Dirk Sager (†), Isabel Schayani, Cordt Schnibben, Hermann Schreiber (†), Birgit
Schwarz, Hajo Seppelt, Volker Skierka, Marietta Slomka, Katharina Trebitsch, Harry Valerien (†), Weil Verlinden,
Mathias Werth, Ulrich Wickert, Anne Will, Armin Wolf.
 26
Illustration: José Navarro für DIE ZEIT; Foto: Marco Urban (r.)
So blickt die Welt auf Chinas Wirtschaft
Beim 20. Parteitag in Peking hat die Führung nicht nur die Macht von Xi Jinping gefestigt. Sie hat auch eine
Wirtschaftspolitik festgeschrieben: Wachstum gilt zwar weiterhin als wichtig, rückt aber hinter »nationale Sicherheit« und
»Stabilität«. Grüne Energie wird wichtiger. Die harsche Null-Covid-Politik bleibt. Wie reagiert die Welt darauf?
Indien
In China wird das Umfeld für Unternehmen
schlechter – und einige internationale Konzerne
machen sich unabhängiger von der Volksrepu-
blik. Sie entdecken Indien als neue Werkbank.
Einfach ist die Abkehr von China aber nicht.
Die beste Werbung für Indien als alternati-
ven Produktionsstandort findet sich derzeit in
einem Vorort am Rande der südindischen
Metropole Chennai. Dort produziert Foxconn,
der wichtigste Auftragsfertiger für Apple, seit
Wochen das neue iPhone 14. Zum ersten Mal
ein Spitzenmodell außerhalb von China.
Die US-Bank JP Morgan rechnet schon da-
mit, dass bereits 2025 jedes vierte iPhone in
Indien hergestellt werden könnte. Premier-
minister Narendra Modi dient sein Land in-
ternationalen Konzernen seit Jahren an, aber
erst seit Kurzem findet er mehr Gehör.
Das Beispiel Apple zeigt auch die Probleme:
Die in Indien zusammengesetzten iPhones be-
stehen zu großen Teilen aus in China gefertigten
Komponenten. Eine leistungsfähige Zuliefer-
industrie fehlt in Indien noch.
Gesamtwirtschaftlich ist ohnehin klar, wer
die größere Macht in der Region ist: Indiens
Defizit in der Handelsbilanz mit China stieg
zuletzt auf den Rekordwert von 72 Milliarden
Dollar an. Und Chinas wirtschaftliche Macht
macht Neu-Delhi unruhig. Politisch sind die
Beziehungen zwischen den beiden Ländern
unter anderem wegen eines Grenzkonflikts im
Himalaja angespannt. Seither ist es auch mit
dem wirtschaftlichen Wohlwollen zwischen
beiden Ländern nicht mehr weit her.
Indische Behörden machen chinesischen
Unternehmen das Leben schwer: Handyher-
steller aus China werden in Indien mit einer
Vielzahl juristischer Verfahren konfrontiert.
Bundesstaaten wurde nahegelegt, keine Auf-
träge mehr an chinesische Firmen zu vergeben.
Modi ließ Dutzende Smartphone-Apps aus
China verbieten, unter ihnen etwa die Video-
App Tiktok. Das immerhin gab der lokalen
Tech-Szene einen kräftigen Schub: Indische
Konkurrenten wie Moj, Josh und Roposo haben
inzwischen Hunderte Millionen Nutzer.
Aus Bangkok Mathias Peer
Internationaler Handel
Chinas*, 2020
Import
56 % Asien
18 % Europa
8% Lateinamerika
8% Nordamerika
6% Ozeanien
Wenn in China ein Sack Reis umfällt ...
Die Golfstaaten
Die Pandas sind da! Zwei der Tiere kamen ver-
gangene Woche in Katar an, eine Goodwill-
Geste aus China an das Emirat und ein Sym-
bol: China etabliert sich am Golf.
Dieses Jahr gibt es viele Gesten der Annähe-
rung. Im Januar empfing Chinas Präsident Xi
Jinping die Machthaber Katars und der Verei-
nigten Arabischen Emirate in Peking, die Bilder
liefen weltweit über die Ticker. Sämtliche Golf-
staaten schickten im Frühjahr Minister. Und als
die Deutschen wegen des Ukraine-Kriegs um
Gas anklopften, verwies man sie am Golf ans
Ende der Schlange: China hatte bereits umfang-
reiche Lieferverträge mit Katar abgeschlossen.
Der Westen blickt auf die Annäherung mit
Argwohn, auch Furcht. Bislang war die Formel
doch: Der Golf liefert die Energieträger, die
USA garantieren seine Sicherheit. Ein Vasallen-
verhältnis. Lässt der Vasall den Westen stehen?
China wird am Golf immer wichtiger. Zu-
letzt bezog die Volksrepublik 40 Prozent ihrer
Ölimporte von dort – und ist für die Golfstaaten
längst ein wichtiger Kunde. Saudi-Arabien ver-
kaufte zuletzt 17 Prozent seines Exportöls nach
China, der Oman mehr als 80 Prozent. 2020
überholte China die EU als wichtigsten Handels-
partner der Golfstaaten: Die Häfen in der Re-
gion dienen China als Drehkreuz zu sämtlichen
Absatzmärkten in Nahost und Afrika.
Auch die China-Beziehungen fußten auf
einer Formel: Der Golf liefert Energie, China
hält sich aus der Politik raus und profitiert
davon, dass die USA militärisch für die Si-
cherheit der ganzen Region garantieren. Aber
der Golf will von China künftig mehr. Die
Monarchen müssen ihre Volkswirtschaften
gerade radikal umbauen, weg vom Öl, und
sie setzen dabei auf Tourismus, Digitalisie-
rung, auch Rüstung. Von China erhoffen sie
sich massenhaft Urlauber und günstige Tech-
nologie. Bei der Entwicklung der Corona-
Vakzine kooperierte China mit den Emira-
ten. Und Chinas Militärs unterstützen die
Saudis beim Aufbau von Raketenfabriken.
Es sind also nicht nur die Pandas angekom-
men. Am Golf geht es um deutlich mehr.
Aus Beirut Lea Frehse
Export
48 %
21 %
6%
19 %
2%
* Anteile errechnet auf Dollar-Basis ** Nur Investitionen über 100 Mio. US-Dollar
WIRTSCHAFT
USA
US-Präsident Joe Biden setzt im Konflikt mit
China auf Industriepolitik. Lieferketten für
strategisch wichtige Branchen sollen zurück-
geholt werden: Chips zum Beispiel sollen
nicht mehr aus China, sondern aus den USA
kommen oder zumindest aus befreundeten
Nationen wie Mexiko oder Kanada.
Die Sorge wächst nämlich, dass China sonst
nicht nur militärisch, sondern auch technolo-
gisch gleichziehen könnte. Noch 1990 waren
40 Prozent der Weltproduktion an Computer-
chips made in USA, heute sind es gerade mal
12 Prozent. Also unterzeichnete Biden im
Sommer den Chips Act, der mit 52 Milliarden
Dollar an Subventionen Forschung und Ent-
wicklung in den USA fördern soll. Anfang des
Monats erließ er außerdem ein breites Export-
verbot für Halbleiter sowie Technologie zu ihrer
Herstellung. Das hat das Potenzial, die Ambi-
tionen Chinas im Bereich künstlicher Intelli-
genz, Rüstungstechnologie und Hochleistungs-
computer zu bremsen.
Früher waren die USA und China enge
Partner: Zu Beginn des Jahrtausends wurden
US-Konzerne nach China gelockt durch die
billigen Arbeitskräfte und die aufsteigende
Mittelschicht, die man als Kunden gewinnen
wollte. Schon unter Obama besorgte die chine-
sische Führung aber zunehmend aggressiver
Technologie aus dem Ausland – durch Indus-
triespionage, erzwungene Joint Ventures oder
hoch subventionierte Start-ups, geleitet von
Gründern, die in den USA studiert hatten.
Gleichzeitig baute Peking das Militär aus.
Dann kam Donald Trump. Der US-Präsi-
dent suchte die Importe chinesischer Waren ein-
zudämmen, indem er Strafzölle verhängte. Das
Handelsbilanzdefizit schwoll jedoch weiter an.
Auch die heimische Industrieproduktion wuchs
dadurch nicht. Ob die neue Politik wirkt, muss
sich noch zeigen, zumal China zu einem Gegen-
schlag ausholen wird. Peking könnte etwa die
Lieferungen von seltenen Erden stoppen, die
für Batterien notwendig sind, und so den Plänen
für eine amerikanische Elektromobilität Gren-
zen setzen.
Aus New York Heike Buchter
China, verflochten
Die Volksrepublik wächst seit
Jahrzehnten zur Wirtschaftssupermacht
heran, die allerdings den Rest der
Welt für ihre Erfolge braucht und umgekehrt.
Hier zu sehen: die Verflechtungen
im Welthandel (links) und die chinesischen
Auslandsinvestitionen in aller Welt
Ostasien
ZEIT- GRAFIK/Quelle: Nationales Statistikbüro China; The Heritage Foundation; American Enterprise Institute
Südamerika
In Brasilien wird am kommenden Sonntag der
nächste Präsident gewählt, und Amtsverteidiger
Jair Bolsonaro gibt sich in seiner Lieblingsrolle:
als Kommunistenfresser, der lieber Panzer auf
die Straße schicken würde, als eine rote Flagge
über dem Präsidentenpalast zu akzeptieren.
Bei der letzten Wahl vor vier Jahren hatte
Bolsonaro diese Haltung noch ganz direkt am
kommunistischen Reich des Bösen ausgelassen.
Da wurden chinesische Diplomaten beschimpft
und chinesische Investitionen als »strategische
Gefahr« bezeichnet. Aber 2022 schlägt er ganz
andere Töne an. Der Präsident hat Peking einen
freundlichen Besuch abgestattet, er betont seine
Freude über gemeinsame Investitionen und hat
sich einem eisernen Gesetz gebeugt: Ohne
China kein Wohlstand.
Deshalb blickt jetzt nicht nur Brasilien,
sondern der ganze südamerikanische Kontinent
sorgenvoll nach China. Dass sich dort die Kon-
junktur verlangsamt, dass man weniger ein-
kaufen und weniger im Ausland investieren will,
gefällt niemandem, nicht mal Kommunisten-
fressern. Der jährliche Handelsaustausch zwi-
schen dem Kontinent und der Volksrepublik
hatte sich zwischen 2022 und 2021 von 18 Mil-
liarden auf fast 449 Milliarden verfünfund-
zwanzigfacht. China ist Exportmarkt, Gläubi-
ger und Toplieferant von Infrastruktur.
Wie immer verfolgen die Chinesen mit ihrer
Handelspolitik mehrere Ziele: Sie decken ihren
Bedarf an Erzen, Energie und Agrarprodukten
wie Soja, Baumstämmen oder Rindfleisch, und
sie sichern sich politische Sympathien. Chinesen
halten sich raus, wenn bei ihren Partnern Um-
weltgesetze geächtet oder ganze Urwälder zerstört
werden, wenn Korruption grassiert oder wenn
– wie im Augenblick in ganz Südamerika – lau-
ter links- oder rechtspopulistische Regierungen
die Staatsgeschäfte übernehmen.
Für die Chinesen sind das innere Angelegen-
heiten, welche die Geschäfte nicht berühren.
Ein gewaltiger Pluspunkt gegenüber den um-
weltbewegten Europäern oder den USA, die
Handel und Investitionen immer wieder als
politische Druckmittel benutzt haben.
Aus Rio de Janeiro Thomas Fischermann
Chinesische Direktinvestitionen nach Kontinenten,
27 27 Kapitalfluss 2019 in Mrd. US-Dollar
20
Westasien Europa
und Nordafrika Afrika amerika
27. Oktober 2022
Russland
China? Das Land bietet Russland »kolossale
Möglichkeiten«, schwärmt der russische Unter-
nehmer Arkadij Rotenberg. Der enge Freund
von Wladimir Putin sagt, »Russlands Wende
nach Osten« sei im vollen Gange. Und der
russische Herrscher selbst hat die Zusammen-
arbeit seines Landes mit China Mitte Oktober
als »beispielhaft« gepriesen.
Westliche Importstopps haben das Gasex-
portgeschäft und den Handel mit dem Westen
ruiniert. Westliche Sanktionen haben Russlands
Banken vom internationalen Finanzmarkt aus-
gesperrt. Westliche Handelsketten schließen
ihre Geschäfte und Vertretungen in Moskau.
Dafür feiert die russische Regierung nun China
als Bündnispartner, mit dem sie diese westlichen
Sanktionen wirkungslos machen will. Know-
how, Hightech, künstliche Intelligenz – all das
soll künftig aus China kommen.
Auf einen Bereich trifft Putins Prädikat »bei-
spielhaft« tatsächlich zu: Russlands Ölexporte
nach China. Die zweitgrößte Wirtschaftsmacht
der Welt hat so viel Rohöl aus Russland im-
portiert wie nie zuvor. Putin hat einen Nachlass
gewährt und China zum Hauptexportmarkt für
russisches Öl gemacht. Im Gegenzug bessert
China Russlands Kriegskasse auf.
Ansonsten ist aber wenig geschehen. Das
Wachstum chinesischer Exporte nach Russland
verlangsamt sich, die möglichen Investoren
scheuen den russischen Markt. »Chinesische
Firmen warten ab«, sagt der russische China-
Experte Alexander Gabujew von der Carnegie
Foundation in Stanford, »weil sie nicht wissen,
wie sich die Sekundärsanktionen des Westens
auf ihre Geschäfte auswirken können.« Russ-
land sei für China ein eher kleiner Markt, mit
unklaren Regeln und großen Risiken.
Für Russland könnte die gefeierte »Wende
nach Osten« auch zur Falle werden. Ein Beispiel
aus der Mobilfunkbranche: Für den Aufbau
eines 5G-Netzes konnte Russland vor dem
Krieg noch zwischen drei westlichen und zwei
chinesischen Anbietern wählen. Jetzt sind nur
die Chinesen übrig. Sie diktieren die Preise und
Bedingungen.
Aus Moskau Michael Thumann
16
12 12
8
3
Naher Osten Subsahara, Süd- Nord- Australien
amerika
DIE ZEIT N o 44
»Neue Prioritäten«
Der China-Experte Max J. Zenglein fragt sich:
Wie bringt die Pekinger Parteiführung es der Mittelschicht bei,
dass der große Zuwachs an Wohlstand erst mal vorbei ist?
DIE ZEIT: Der 20. Parteitag in Peking ist zu
Ende, und viele Beobachter haben einen neuen
wirtschaftspolitischen Kurs ausgemacht: Wirt-
schaftswachstum ist nicht mehr so wichtig wie
zuvor. Kann man das überhaupt so kategorisch
sagen?
Max J. Zenglein: Nein, man kann nicht sagen,
dass Wirtschaftswachstum in China keine Rolle
mehr spielt. Die Partei hält ja zum Beispiel an
ihrem Ziel fest, bis 2035 das Bruttoinlandspro-
dukt zu verdoppeln.
ZEIT: Aber doch wurde ein Wandel in der Wirt-
schaftspolitik verkündet: Statt des Wachstums
um jeden Preis soll es jetzt um den »gemeinsamen
Wohlstand« für alle gehen, also um die Grundla-
gen für künftiges Wachstum und auch um Ver-
teilungsfragen.
Zenglein: Es gibt neue Prioritäten. Der Wohl-
stand der Mittelschicht gilt ab jetzt nicht mehr als
so wichtig, dafür rückt der Wettbewerb mit den
USA in den Mittelpunkt. Und es geht den Chi-
nesen jetzt darum, heimische Fundamente in der
Industrie und der Technologie zu schaffen.
ZEIT: Wie gefährlich kann es für Xi politisch
werden, wenn er der einflussreichen Mittelschicht
seines Landes plötzlich sagt: »Euer Wohlstands-
zuwachs ist vorbei«?
Zenglein: Die Kommunikation dazu wird auf je-
den Fall interessant. Die Mittelschicht ist bereits
ermüdet von der Dauer der Covid-Restriktionen
und von den wirtschaftlichen Kosten, die damit
einhergehen. Dazu wird sie weiter mit wirtschaft-
lichen Unsicherheiten zu kämpfen haben: allen
voran, dass die Kinder, die sie durchgefüttert und
durch die Universitäten gebracht hat, keinen ver-
nünftigen Job mehr bekommen.
ZEIT: Andererseits hat die Parteispitze gerade er-
klärt, dass die Wirtschaft im dritten Quartal um
immerhin 3,9 Prozent im Vergleich zum Vorjah-
resquartal gewachsen sei. Das klingt gar nicht so
schlecht, aber ist dieser Zahl zu trauen?
Zenglein: Ich bin da sehr skeptisch. Es kam ja
schon die Frage auf: Warum wurden die Zahlen
nicht zum geplanten Zeitpunkt veröffentlicht,
also zum Parteikongress? Man hätte dort die Zah-
len mit der Geschichte verkaufen können: Wir
sind aus dem Gröbsten raus.
ZEIT: Sie glauben die offizielle Begründung
nicht, dass irgendwer irgendein Papier nicht
rechtzeitig abgezeichnet hatte, sodass die Zahlen
erst später verkündet werden konnten?
Zenglein: Nein, das ist Quatsch.
ZEIT: Aber in China passieren doch manchmal
ganz absurde Sachen!
Illustration: José Navarro für DIE ZEIT; Foto: Marco Urban (r.)
Zenglein: Der zuständige Mann war also in
Quarantäne, hat seinen Stempel nicht mit-
genommen, und er konnte ihn nicht aus seinem
Schließfach holen? Ich bin da sehr skeptisch. Für
mich ist eher plausibel, dass jemand gesagt hat:
Diese Zahlen unterschreibe ich nicht so nahe am
Parteikongress, das ist mir zu brenzlig. Was wirk-
lich los war, werden wir allerdings kaum jemals
herausfinden.
ZEIT: In Deutschland glauben viele Unterneh-
mer, um den chinesischen Markt regelrecht buh-
len zu müssen. Sieht die chinesische Parteispitze
es umgekehrt auch so, dass Chinas Wirtschaft
vom Rest der Welt abhängig ist?
... so begann mal ein Scherz. Heute geht das alle etwas an
Zenglein: Das ist in Peking schon immer sehr klar
gewesen. Ausländische Unternehmen, besonders
auch die deutschen, werden umgarnt. Es ist aller-
dings stets eine Mischung aus Bemühen und
Drohen. Es schwingt immer die Drohung mit:
Ihr seid als Unternehmenschefs mitverantwort-
lich für gute politische Beziehungen zwischen
Deutschland und China, sonst fällt euch das auf
die Füße!
ZEIT: Wer ist stärker von wem abhängig –
Deutschland von China oder umgekehrt?
Zenglein: Die Abhängigkeiten sind gegenseitig.
Unter Xi Jinping und nach dem 20. Parteitag
wird nun aber immer klarer, dass China sich von
seinem Reform- und Öffnungskurs abkehrt.
Dennoch versucht man zugleich, so zu tun, als ob
das gar nicht der Fall wäre. Das liegt daran, dass
China in manchen Bereichen noch abhängig ist –
und dass die Führung das genau weiß.
ZEIT: Die USA haben gerade ein regelrechtes
Mikrochip-Embargo über China verhängt und
den Export von Hightech verboten, die für Ad-
Max J. Zenglein ist Chefökonom
am Mercator Institute for
China Studies in Berlin. Zuvor
arbeitete er als Wirtschafts analyst
in Shanghai und Peking
vanced Computing oder die Waffenherstellung
nützlich ist.
Zenglein: Und das ist aktuell das größte Reiz-
thema in Peking, nach dem Motto: Die wollen
uns kleinhalten!
ZEIT: Stimmt ja auch, das ist genau der Grund
dafür.
Zenglein: Es ist aber auch nachvollziehbar.
Wenn mir jemand wie China sagt, dass er mich
überholen und ersetzen will, dann frage ich
mich schon: Beteilige ich mich dann noch da-
ran, diesen Konkurrenten aufzubauen? Investiere
ich in ihn?
ZEIT: Könnte man China überhaupt auf eine
solche Weise kleinhalten, zumal wenn die Ab-
hängigkeiten gegenseitig sind?
Zenglein: Dieser Chip-Boykott wird beiden Sei-
ten Schmerzen zufügen, aber man kann schon
sagen, dass er China härter trifft als die Amerika-
ner. China kommt gerade aus einer Phase, in der
es demografische Vorteile hatte wegen seiner vie-
len jungen und günstige Arbeitskräfte. Jetzt muss
es in eine Phase eintreten, in der Wohlstand
durch Humankapital, Wissen und Know-how er-
zeugt wird. Dort sind die Chinesen noch nicht.
Gleichzeitig streiten sie sich immer offener mit
dem Westen, und dadurch kommt ihnen der Zu-
WIRTSCHAFT 27
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gang zur neuesten Technologie abhanden. China
ist letztlich Opfer des verfrühten geopolitischen
und wirtschaftspolitischen Selbstbewusstseins Xi
Jinpings.
ZEIT: Kann Chinas Strategie aufgehen, durch ge-
waltige Subventionen und Investitionen nun
stattdessen seine eigene Hightech-Industrie auf-
zubauen, notfalls auch ohne das Ausland?
Zenglein: Man wird das sicher weiter versuchen,
weiter investieren und noch mehr Geld verbren-
Umwelten
nen, zum Beispiel in der Halbleitertechnik. Es
mag auch sein, dass man zusätzlich noch mehr
versucht, taiwanesische Spezialisten abzuwerben.
ZEIT: Und kann China damit dann an die Spitze
der Hightech-Entwicklung kommen?
voraus.
Zenglein: Wer weiß, vielleicht verabschiedet man
sich auch von diesem Ziel und setzt sich ein ande-
res: nicht an die Spitze gelangen, aber gut genug
sein. China wird damit hinter seinem Potenzial
zurückbleiben, was schlecht für die allgemeine
Entwicklung des Landes ist. Aber wenn man für
einige Zeit technologisch autark sein will oder
muss oder bestimmte strategische Technologie-
ziele erreichen will, ist es vielleicht genug. Die Zukunft des CO₂-neutralen Fliegens nimmt Form an. Dafür setzen wir
ZEIT: Meinen Sie damit zum Beispiel, dass die vielfältige Hebel in Bewegung. Zum Beispiel, indem wir unsere Flotte moderni-
Chinesen dann auf absehbare Zeit einfach zweit- sieren, innovative Technologien verwenden und die Entwicklung nachhaltiger
klassige Chips herstellen werden?
Treibstoffe fördern. Zudem nutzen wir diverse Möglichkeiten zur Kompensation
Zenglein: Die werden dann nicht spitze sein, aber
unvermeidlicher CO₂-Emissionen. Um die Welt in Zukunft nachhaltiger zu
funktionieren, und die Lücke zur Technologie
verbinden, verändern wir die Luftfahrt – let’s #MakeChangeFly.
aus dem Westen wird nicht sehr groß sein. Das
kann eine ganze Zeit lang gutgehen. Da würde
ich China nicht unterschätzen. lufthansa.com/makechangefly
ZEIT: Inzwischen gibt es zahlreiche Experten im
Land. Warum gelingt es den Chinesen nicht, sich
bei Chips, Software, künstlicher Intelligenz ganz
an die Entwicklungsspitze zu setzen?
Zenglein: Kein Land schafft so etwas heute noch
ganz allein. Die Spitzenergebnisse stammen
längst aus Kooperationen zwischen Amerikanern,
Taiwanesen, Südkoreanern, Japanern, Deutschen,
Niederländern und so weiter. Das zeigt die Stärke
der globalen Wertschöpfungsketten in hoch-
komplexen Industrien. Und China will alles al-
lein machen? Das wird schwierig.
ZEIT: Chinesische Universitäten, unter ihnen die
Universität Tsinghua und die Peking-Universität,
gehören laut Rankings inzwischen zu den besten
der Welt.
Zenglein: Es reicht aber nicht, nur gute Unis zu
haben. Wie sieht es mit der Berufsausbildung in
diesen Bereichen aus? Bei der Spitzenforschung
machen die Chinesen Fortschritte, aber das
bedeutet noch lange nicht, dass sie diese For-
schungsergebnisse wirtschaftlich relevant ein-
setzen.
ZEIT: Fehlt der Parteispitze in Peking das wirt-
schaftliche Know-how?
Zenglein: Selbst wenn in der Parteispitze ein fä-
higer Technokrat säße, der etwas von Technologie
und Wirtschaft versteht, ist das Umfeld so von
Ideologie geprägt, dass alles andere sekundär ist.
Das Erfolgsmodell für Leute in Xi Jinpings Um-
feld ist derzeit eher: Ideologie umsetzen, koste es,
was es wolle.
Das Gespräch führten
Thomas Fischermann und Xifan Yang
28
Große Finanzmarktcrashs
der Geschichte
A
ll jene Börsenhändler, die erst in
den vergangenen zehn Jahren
ihren Beruf aufnahmen, muss-
ten schon viel falsch machen, um
kein Geld zu verdienen. Selbst
die Corona-Krise wirkte nach
anfänglichen Sorgen wie ein kos-
metisches Problem in den Kursverläufen, die nur
einen Weg kannten: nach oben. Man muss daher
schon so lange dabei sein wie Tim Morton, um sich
an den 19. Oktober 1987 zu erinnern und Paralle-
len zu heute zu fürchten.
Jener Tag ging als »Black Monday« in die
Geschichte ein; für die Investoren kam er vollkom-
men unerwartet. Schon in den ersten 60 Minuten
des Handels an der New Yorker Börse belief sich die
Summe der Verkaufsaufträge auf die damals astro-
nomische Summe von einer Milliarde Dollar. »Wir
waren wie gelähmt, im Schock«, erinnert sich Tim
Morton, damals ein junger Börsenmakler.
Am Ende des Tages hatte der Dow-Jones-Index,
der die Wertentwicklung amerikanischer Groß-
konzerne wie Boeing, Coca-Cola und Procter &
Gamble spiegelt, mehr als 22 Prozent seines Werts
verloren. Der 19. Oktober 1987 ist, in Prozent
gerechnet, der verlustreichste Tag in der Geschichte
der New Yorker Börse. Von Kanada bis Neuseeland
erfasste die Investoren die blanke Panik. Nun sagt
Morton: »Ich sehe viele unerfahrene Anleger, die
nicht verstehen, welche Risiken sie eingehen.«
Morton ist damit nicht allein: Weltweit geht
dieser Tage die Angst um vor einem neuen »Black
Monday«. In der Financial Times warnte jüngst ein
Vertreter des Fondsanbieters Amundi vor gefährli-
chen Risiken, die versteckt in den Kreditmärkten
lauerten. Ein Manager des weltgrößten Vermögens-
verwalters BlackRock gestand dem Finanzdaten-
dienst Bloomberg, er fürchte »Stress« an den Märk-
ten, ein Euphemismus, mit dem Banker ernste
Turbulenzen umschreiben. Und vom Anlegerblatt
Barron’s bis zur Tageszeitung USA Today werden
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1637
Der nächste Crash?
An den Finanzmärkten sind Anzeichen großer Nervosität der Anleger zu erkennen, die Kurse
spielen verrückt. Früher gab es immerhin einen Ort, an dem Investoren
ihr Geld in Sicherheit bringen konnten. Doch auch der scheint weniger stabil
Großer Börsencrash
1929
Erster
Ölschock
1973
nun Morton und andere Veteranen zu den schlech-
ten Nachrichten von heute und deren Parallelen zu
damals befragt.
Die schlechten Nachrichten nehmen nämlich
gerade zu. Da ist beispielsweise die gebeutelte Credit
Suisse. Die Aktie der einstmals renommierten
Schweizer Großbank ist nach Skandalen und Mil-
liardenverlusten nur noch ein Zockerpapier. Wegen
Spekulationen über eine Pleite der Bank wurden
Erinnerungen wach an den Zusammenbruch der
Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008,
der Auslöser einer großen globalen Finanzkrise.
Nervös reagierten die Investoren auch auf die
Ankündigung der britischen Regierung, trotz ange-
spannter Haushaltslage die Steuersätze für Reiche
zu senken. Britische Pensionsfonds, die die künftige
Rente von Millionen von Angestellten verwalten,
drohten wegen Spekulationen im Zusammenhang
mit britischen Staatsschuldverschreibungen derart
in Finanznot zu geraten, dass die Bank of England
mit Stützungskäufen eingreifen musste.
In der Vergangenheit gab es in solch brisanten
Lagen immerhin einen Ort, an dem Investoren ihr
Geld in Sicherheit bringen konnten, einen – an der
Börse liebt man solche Metaphern – »sicheren
Hafen«: Sie steckten das Geld in US-Staatsanleihen,
Schuldverschreibungen des amerikanischen Staates.
Doch auch dieser 24 Billionen Dollar schwere
Markt funktioniert gerade nicht wie gewohnt – im
Hafen könnte schwerer Seegang drohen.
Wenn die Märkte in den USA wanken,
wankt die ganze Welt
Die Bedeutung des Marktes für Schuldscheine der
US-Regierung lässt sich kaum übertreiben. Allein
das Marktvolumen entspricht dem sechsfachen
Volumen des deutschen. Auch deshalb stellte ein
Bericht der Group of 30, einer Organisation von
Notenbankern, Finanzexperten und Ökonomen,
im vergangenen Sommer fest, der Markt für US-
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WIRTSCHAFT
VON HEIKE BUCHTER
Dotcom-
Crash
Finanzkrise
Schwarzer Montag in Asien
1987 1997
1999
Schuldpapiere sei der wichtigste Finanzmarkt der
Welt: »Das kontinuierliche Vertrauen in diesen
Markt und dessen Fähigkeit, auch unter Stress zu
funktionieren, ist von kritischer Bedeutung für die
Stabilität des globalen Finanzsystems.«
Wer sein Geld möglichst sicher anlegen will, in-
vestiert es in US-Staatsanleihen. Allein die Tatsache,
dass es sie gibt, beruhigt während einer Krise, weil
Banken oder die Finanzabteilungen von Unterneh-
men wissen: Zur Not parken wir unser Geld bei den
Amerikanern. Sogar nach dem Zusammenbruch
der Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008
flüchteten Investoren in US-Anleihen, obwohl die
USA doch der Ausgangspunkt der Krise waren.
Die USA gelten als der solventeste Gläubiger der
Welt. Solange ihre Notenbank Dollar drucken
kann, so das Kalkül, werden die Vereinigten Staaten
auch wegen ihrer riesigen Wirtschaftskraft nicht
pleitegehen. Zinsen auf der ganzen Welt richten
sich deshalb nach den Renditen für US-Schuldtitel.
Kreditgeber betrachten deren Zins als Basis. Wenn
sie anderen Geld leihen, verlangen sie einen ent-
sprechend höheren Zins als Ausgleich dafür, dass sie
ein höheres Risiko eingehen, als wenn sie das Geld
in US-Papiere stecken würden. Deswegen betreffen
Bewegungen am US-Markt indirekt auch europäi-
sche Unternehmen, die sich Geld leihen, Pensions-
kassen außerhalb der USA, die ihr Geld anlegen –
oder Bürger, die Kredite aufnehmen.
Was US-Anleihen so attraktiv macht, ist ihre
hohe Liquidität. Damit ist gemeint: Anleger wissen,
dass sie die Papiere zu jedem Zeitpunkt wieder ver-
kaufen können, ohne deswegen einen Wertverlust
in Kauf nehmen zu müssen.
Doch plötzlich ist die Liquidität nicht mehr so
groß, wie sie einmal war. Das sei eine der größten
Gefahren für das globale Finanzsystem, warnten
vergangene Woche die Analysten der Bank of Ame-
rica. Sollte es zu ernsten Problemen bei den US-
Schuldverschreibungen kommen, so die Experten,
könnte das noch schwerwiegendere Folgen haben
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Südsee-Blase
1720
Weltfinanzkrise
2008
als die Finanzkrise 2008. Mit ernsten Problemen
meinen die Banker: Das Vertrauen von Investoren,
immer einen Abnehmer für ihre Anleihen zu fin-
den, könnte enttäuscht werden. Das heißt nicht,
dass sie die Schuldverschreibungen nicht loswerden,
aber sie könnten dabei einen geringen Preis bekom-
men. Was zunächst nicht allzu dramatisch klingt,
bedeutet aber einen Verlust, der nicht einkalkuliert
wurde. Und weil die Preise für die US-Anleihen die
Basis für die Zinsen im Rest des globalen Finanz-
systems bilden, droht eine Kettenreaktion.
Die Zinsen steigen – und damit
steigt das Risiko
Dabei sind die Probleme auf dem amerikanischen
Anleihenmarkt schon lange bekannt: Da ist die
rasant gestiegene Verschuldung der USA, Anleihen
sind ja nichts anderes als Kredite an die Staatskasse.
Seit 2007 hat sich die Summe der ausstehenden
Anleihen vervierfacht. Allerdings: Die Nachfrage
seitens der Banken, die diese Papiere als Sicher-
heiten für Transaktionen oder als Reserve halten,
ist nicht im selben Maße gewachsen wie die Staats-
schulden. Anders gesagt: Die Banken stehen nicht
mehr Schlange, um diese Papiere zu kaufen,
wodurch weniger Liquidität im Markt ist.
Erschwerend kommt hinzu: Die strengen
Kapitalvorgaben für die großen US-Banken
begrenzen deren Möglichkeit, Anleihen zu handeln.
Die Institute treten regelmäßig auf eigene Rech-
nung als Abnehmer und Anbieter von Staatsan-
leihen auf und sorgen so dafür, dass auf dem Markt
genügend Liquidität vorhanden ist. Doch diese
Rolle wurde nach der Finanzkrise 2008 einge-
schränkt, weil die Regierung die Risiken für die
Banken begrenzen wollte.
Und dann ist die Abwicklung der Transaktio-
nen noch immer äußerst langsam. Mitte Novem-
ber findet das jährliche Treffen von Aufsehern der
US-Börsen und Vertretern der Notenbank statt,
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27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
Börsenpanik 1873
Coronavirus-
Crash
2020
um unter anderem darüber zu beraten, wie man
Illustration: Jelka Lerche/DZ
diesen Prozess geschmeidiger organisieren könnte.
Das Problem dabei ist: Die Zeit drängt. Auch in
den USA ist die Inflation fast zweistellig. Um die Teue-
rung zu bekämpfen, hat die US-Notenbank die Leit-
zinsen so aggressiv angezogen wie selten in ihrer
Geschichte. Doch wenn Zinsen so rasant steigen, birgt
das die Gefahr, dass Gläubiger überfordert werden –
nicht nur Immobilienkäufer oder Kreditkarteninha-
ber, sondern auch Hedgefonds, Banken oder – wie in
Großbritannien – sogar Pensionskassen. In anderen
Worten: Es steigt das Risiko, dass die Schulden nicht
mehr zurückgezahlt werden können und etwa Ban-
ken, Hedgefonds oder Investmentfirmen, die das Geld
verliehen haben, Verluste erleiden. Und das könnte
schließlich zu einer großen Krise führen. Wie die
Finanzkrise im Jahr 2008 gezeigt hat, greifen Ausfälle
in einem Bereich des Finanzmarktes schnell in andere
Bereiche über. Es ist die gefürchtete »Ansteckung« wie
bei einer Epidemie.
Falls es so weit kommt, braucht es den sicheren
Hafen der US-Staatsanleihen, um die Lage zu beru-
higen. Dass dieser Markt gerade nicht gut funktio-
niert, führt nun zu weiterer Verunsicherung. Denn
selbst wenn die Notenbank wie schon im März 2020
wieder Staatsanleihen kaufte, um den Markt zu stüt-
zen, würde das die Inflation anheizen.
Es ist daher kein Wunder, dass Leute wie
Roberto Perli unruhig werden. Er ist Ökonom bei
der Investmentbank Piper Sandler und arbeitete
früher für die US-Notenbank. Er weiß daher, dass
die Regierung und die Aufsichtsbehörden seit der
Finanzkrise 2008 viel unternommen haben, damit
sich ein solcher Kollaps nicht wiederholt. Aber er
weiß auch, dass die Behörden nur Probleme angehen
können, die sie kennen. »Am Finanzmarkt sind aber
immer die Dinge am gefährlichsten, die man nicht
erwartet«, sagt er. So war es auch an jenem Montag
vor 35 Jahren. Von dem Tim Morton, der ihn erlebt
hat, heute sagt: »So einen furchtbaren Tag sollte
niemand je erleben.«
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30 WIRTSCHAFT 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

Nachruf

Im Reich
des Bullen
Dietrich Mateschitz hat rund um
einen Energydrink ein Imperium errichtet.
Nach den einzigen Regeln, die der
Österreicher akzeptierte: Seinen eigenen
VON CHRISTIAN BARTLAU

Foto: Reiner Riedler/Anzenberger

Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz

I
m Moment seines größten Triumphs ist is the world of Red Bull.« Wie der Journalist Wolf-
Dietrich Mateschitz außer sich vor Wut. gang Fürweger in seinem Standardwerk Die Red-
Wie Hunderte Millionen Menschen auch Bull-Story unter Verweis auf einen »Insider«
verfolgt der Red-Bull-Chef am 14. Okto- schreibt, trudelt Baumgartner noch dem Boden
ber 2012, wie sich der Extremsportler Felix entgegen, als der Konzernboss schon zum Handy
Baumgartner aus fast 39 Kilometer Höhe greift und ihm per SMS die Freundschaft kündigt.
in Richtung Erde stürzt und als erster Die beiden sollen nie wieder ein Wort miteinander
Mensch im freien Fall die Schallmauer durchbricht. gewechselt haben.
Ein beispielloser PR-Coup für Mateschitz’ Kon- Vielleicht ist es verständlich, dass man nur den
zern, der die Aktion sponserte. Sender berichten eigenen Weg für den richtigen hält, wenn man sich
live, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon wird anschaut, was Dietrich Mateschitz erreicht hat. Der
Baumgartner später als »mutigsten Menschen der Mann aus dem kleinen Ort St. Marein in der Steier-
Welt« bezeichnen. Der Werbewert des »Stratosphä- mark machte aus einem Zucker-Koffein-Gesöff,
rensprungs«, wie er genannt wurde, geht in die das Testtrinker für ungenießbar hielten, ein globales
Milliarden. It-Getränk. Um dieses herum schuf er ein ganzes
Trotzdem ist Mateschitz sauer. Imperium aus Verlagen, Fernsehsendern, Formel-1-
Baumgartner sagte kurz vor dem Absprung: Rennställen und Fußballclubs.
»I’m coming home now.« Eine Abweichung vom 9.804.000.000 Dosen verkaufte der Konzern im
Drehbuch, das einen anderen Spruch vorsah: »This vergangenen Jahr, beinahe zehn Milliarden, so viel
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Freiheit, Demokratie,
Selbstbestimmung:
Werte verteidigen
wie noch nie, sie sind Österreichs Exportschlager
Nummer eins, bekannter als Mozartkugeln und
Sachertorte. Mateschitz häufte geschätzt mehr als
20 Milliarden Dollar Vermögen an; das Magazin
Forbes zählte den Österreicher zu den 100 reichsten
Menschen der Welt. Am Samstagabend wurde be-
kannt, dass Mateschitz im Alter von 78 Jahren nach
langer, schwerer Krankheit gestorben ist. Die Sport-
welt huldigte einem ihrer größten Förderer, in
Österreich kondolierte die gesamte Staatsspitze.
Abheben wollte Mateschitz ursprünglich von
Deutschland aus. 1944 geboren, verbringt er 20 Se-
mester als Bummelstudent an der Hochschule für
Welthandel Wien. Sein Handwerk lernt er dann im
Nachbarland – in den Marketingabteilungen von
Jacobs und Blendax. Das sei nicht seine Welt gewe-
sen, erzählt er später – zu viele Anzüge, zu wenig
Visionen. »Ich hab mir gesagt: Als richtiger Steirer
passt du da nicht hinein.«
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November
2022
Dass er sich seine eigene Welt schaffen darf,
verdankt er dem Zufall: Bei einer Geschäfts-
reise in Thailand bekämpft er seinen Jetlag mit
einem Getränk namens Krating Daeng, zu
Deutsch Roter Stier. Mateschitz übersetzt den
Namen ins Englische, er denkt sofort global.
1986 meldet er in Wiesbaden die Red Bull
Trading GmbH an, gemeinsam mit den thai-
ländischen Eigentümern von Krating Daeng.
Weil er sich aber über die deutsche Bürokratie
und die vielen Vorschriften ärgert, die den Start
seines Unternehmens verzögern, zieht Mate-
schitz bald entnervt um in sein Heimatland –
nach Salzburg. Das Unternehmen ist damals
noch ein reiner Vermarkter, besitzt weder Fa-
briken noch Lastwagen. Herstellung und Lo-
gistik lagert Mateschitz aus. Dafür kümmert er
sich intensiv um die Disziplin des »Content-
Marketings«. Er habe eine »Erlebniswelt« ge-
schaffen, sagt Gerlinde Spicko, Markenexpertin
an der Wirtschaftsuniversität Wien. »Kein neues
Konzept, aber Red Bull hat es mit unglaub-
licher medialer Präsenz durchgezogen.« Wenn
auch zunächst nur auf Österreich beschränkt,
das Mateschitz als Testmarkt dient.
Der Unternehmer sponsert Bergsport-Wett-
bewerbe wie den »Dolomitenmann«, drückt
dem Formel-1-Fahrer Gerhard Berger eine
Dose in die Hand, beschwatzt die Chefs von
Après-Ski-Bars. Dort schlägt der Energydrink
in Kombination mit hochprozentigem Alkohol
insel Laucala – und lässt dort Sulmtaler Hühner
ansiedeln. Seiner Heimat ist er nicht nur verbun-
den, große Teile gehören ihm: Neben einigen
Schlössern und dem Formel-1-Ring häuft er so
viel Grundbesitz an, dass Freunde ihn scherzhaft
»Erzherzog« rufen. Die Paracelsus Medizinuniver-
sität in Salzburg bedenkt er 2012 mit einer Spende
von 70 Millionen Euro.
Sosehr er als Mäzen bewundert wird, so sehr
stößt sein radikaler Eigensinn auf Widerstand.
Nirgendwo lässt sich das besser ablesen als im
Fußball, den er als PR-Maschine für Red Bull
nutzt. Im Motorsport noch als Eigentümer des
Red-Bull-Rennstalls hochwillkommen, wird er
mit seinem Einstieg bei Red Bull Salzburg 2005
und RB Leipzig 2009 zum Gesicht des durch-
kommerzialisierten Fußballs und Kurvenfeind
Nummer eins. Trotz aller Kritik zieht er das Pro-
jekt durch.
Was in der Welt des Firmen-Patriarchen nicht
vorkommen darf: Mitsprache. Als sich in seinem
Privatsender Servus TV 2016 ein Betriebsrat grün-
den will, verkündet Mateschitz kurzerhand das
Aus für den Sender und 264 Mitarbeiter. Erst als
die Mitarbeiter per Brief um Gnade bitten und
auch die Gewerkschaft klein beigibt, lässt sich
Mateschitz umstimmen.
Politisch hat sich Mateschitz nie offen verortet, in
den vergangenen Jahren kamen allerdings Bedenken
auf, dass der freie Radikale rechts dreht: 2017
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als »Koks für Arme« Ende der Achtzigerjahre so

richtig ein. Der Ton war gesetzt: So wie der
in Krisenzeiten Marlboro-Mann die gute alte männliche Frei-
heit beschwor, symbolisierten die Stiere auf der
LESEN SIE IN UNSERER
AKTUELLEN AUSGABE:
Dose den Drang nach Spaß und Spielen. Der
Die führende Fachkonferenz für Vielfalt Claim »Red Bull verleiht Flüüügel« wird zum
perfekten Spruch für die hedonistischen Leis-
in der Arbeitswelt digital tungsgesellschaften weltweit. Diese Immobilien
Mateschitz, der täglich bis zu zehn Dosen
getrunken haben soll, führt den Konzern als sind wirklich
Geschäftsführer mit fester Hand. Seine Partner
aus Thailand halten zwar 51 Prozent an der krisenfest
Warum Vielfalt insbesondere in Krisenzeiten wichtig ist, erfahren Sie auf der diesjährigen Konferenz DIVERSITY. Expert_innen GmbH, mischen sich aber ins Tagesgeschäft
erörtern, wie wir Brücken bauen und auch Zweifler_innen überzeugen können. In Keynotes, Panel-Diskussionen, Expert Labs und kaum ein. Insider nennen die Firmenzentrale
Workshops wird dabei ein Blick auf alle Vielfaltsdimensionen geworfen. im malerischen Fuschl am See heute auch
»DDR« – Didis Dosen-Republik. AB FREITAG IM HANDEL
Diskutieren Sie mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Wissenschaft wie: »Es machen viele Leute den Fehler, dass sie
glauben: Red Bull ist witzig, also ist es auch die
StMin Reem Dr. Erkan Arikan Ferda Ataman
Alabali-Radovan MdB Leiter Türkische Redaktion, Unabhängige Bundesbeauftragte Firma«, sagt Mateschitz 2005 dem stern. Zu
Beauftragte der Bundesregierung Deutsche Welle für Antidiskriminierung dieser Zeit drohen seine Anwälte selbst dem
© Deutsche Welle
© Sascha Krautz

für Migration, Flüchtlinge und polnischen Kinderhilfswerk mit Klagen, weil es

© Sarah Eick

Integration sowie Antirassismus den ähnlichen Slogan »Verleih Kindern Flügel«

plakatiert.
Sven Lehmann MdB Janis McDavid Prof. Dr. Lorenz Narku Laing Das Image der Dose prägen vor allem die an-
Parlamentarischer Staatssekretär Motivationstrainer, Blogger Professor für Sozialwissenschaften gesagten Sportler, die sich mit dem Logo am
im BMFSFJ und Queer-Beauftragter und Buchautor und Rassismusforschung, Körper in eine Halfpipe oder gleich von Hoch-
© Thomas Kierok
© Steffen Kugler

der Bundesregierung Evangelische Hochschule Bochum häusern stürzen. Ein Risiko, das einige Athleten schimpfte er in der Kleinen Zeitung über die Flücht-
© Katy Otto

im Dienste des Bullen mit dem Leben bezahlten. lingspolitik Angela Merkels und angebliche »Mei-
Mateschitz und sein Konzern sind kritischen nungsdiktate«. Während der Pandemie lud sein
Sylvie Nicol Gazelle Vollhase Kerstin Wagner Nachfragen zu den Todesfällen stets ausgewichen. Sender Servus TV den prominenten Corona-Leugner
© Dawin Meckel/OSTKREUZ

Mitglied des Vorstands, zuständig Content Creator, Diversity & Executive VP Talent Acquisition, Die dürre Informationspolitik von Red Bull Sucharit Bhakdi regelmäßig zum Corona-Quartett –
für Personal, Infrastructure Services Inclusion Expertin Deutsche Bahn AG
© Sophia Emmerich

und Nachhaltigkeit, Henkel AG

ist berüchtigt. Selbst harmloseste Anfragen werden
abgewimmelt. Sein Privatleben verbirgt Mate-
schitz meist erfolgreich vor der Öffentlichkeit,
angeblich kauft er sogar einmal ein österreichi-
Programm und Tickets: diversity-konferenz.de sches Klatschblatt nur, um darin nicht mehr
vorzukommen. »Nicht ich stehe im Regal, son-
Diese Veranstaltung wird unterstützt von
dern die Dose«, sagt er. Als der Investigativjour-
nalist Michael Nikbakhsh für ein Buch recher-
chiert, schickt Mateschitz ihm eine Nachricht:
»Solange in Moskau eine perforierte Kniescheibe
500 Dollar kostet, werden Sie nicht sicher sein.«
Mateschitz entschuldigt sich später, der Verlag
begräbt das Buchprojekt trotzdem.
Nur selten dringen Details an die Öffent-
lichkeit: 2003 kauft sich Mateschitz die Südsee-
erst nach dessen antisemitischen Äußerungen im
Sommer 2021 zog der Sender die Notbremse. Den
Ruf als Liebling der »Querdenker«-Szene hatte Servus
TV da aber schon inne.
Mateschitz konnte dazu nichts mehr sagen, das
letzte Bild von ihm stammt aus dem Sommer
2021. Seitdem machten Gerüchte über eine
schwere Krankheit die Runde. Wie Medien be-
richten, hat er einen Monat vor seinem Tod noch
letzte Weichen gestellt: Weil im Konzern nun die
thailändischen Partner mit ihrer knappen Mehr-
heit das Ruder übernehmen, hat Mateschitz seine
Privatstiftung neu ausgerichtet, in der seine Mil-
liarden verwaltet werden – damit sie seinen Weg
fortführen kann.
DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022 WIRTSCHAFT 31

Wirtschaft in einem Satz Wie viel Heizungswärme lässt sich

zu Hause einsparen?
Warum lang, wenn es auch kurz geht? Was diese
Woche sonst noch los war

Knapp: Die Energiewende wird etliche

Materialien teurer machen, die jetzt noch
vergleichsweise günstig sind, wie zum
ZEIT für Geld
Liebe Leserin,
Beispiel Kupfer, das für die Übertragung lieber Leser,
den kommenden Winter, der Ihnen bevorsteht,
von Strom gut geeignet ist, aber auf Dauer habe ich schon hinter mir. Ich habe nämlich be-
reits im vergangenen Winter bei mir zu Hause
eine Gasmangellage simuliert. Ich wollte in Er-
immer schwieriger zu fördern sein wird fahrung bringen, wie viel Heizungswärme ich in
meinem Haus einsparen kann, wenn ich es darauf
anlege. Mein Motiv war nicht Putin, sondern
Teuer: Die Zinswende verteuert auch die Kohlendioxid. Und Neugier. Jugend forscht mit
Ende fünfzig.
Anfangs ging es mir darum, zu sehen, wie
Dispokredite, und einige Institute verlangen lange sich der Zeitpunkt hinauszögern ließe, an
dem ich die Heizung erstmals in Betrieb setzen
in dem die Temperatur im Winter entsprechend
stark abfällt. Sie sank bis auf zwölf Grad. Machte
mir das etwas aus? Nein, denn ich lag auf meinem
Sofa in einem Daunenschlafsack. Eines fiel mir
irgendwann auf: Ich behielt im wahrsten Sinne
einen kühlen Kopf und blieb abends ungewohnt
lange munter. Die warme Heizungsluft hatte mich
früher schnell müde werden lassen. Eine weitere
positive Nebenwirkung: Die Schleimhäute wur-
den nicht trocken, die Nase fühlte sich besser an.
Ich las im Netz einiges über Menschen, die
nicht oder nur sehr wenig heizen. Ich stieß auf
einen niederländischen Professor namens Wouter
van Marken Lichtenbelt. Gemeinsam mit anderen
Forschern und zwei Forscherinnen hat der Wis-
wir uns bewegen. Das hat bei mir dazu geführt,
dass ich im Haushalt so fleißig war wie nie zuvor.
Eine Studie südkoreanischer Wissenschaftler
hat ergeben, dass sich die Komfort-Temperatur
der Menschen in den vergangenen 25 Jahren im
Winter stetig erhöht und im Sommer immer
weiter gesenkt hat. Der Temperaturbereich, in
dem wir uns wohlfühlen, hat sich also laufend
verkleinert. Aber dahinter steckt kein Naturgesetz,
sondern offenbar nur eine Gewohnheit. Durch
eine Recherche in Zeitungsarchiven fanden die
niederländischen Wissenschaftler heraus, dass die
Büromenschen des Jahres 1870 eine Raumtem-
peratur von 13 bis 15 Grad als komfortabel emp-
fanden. So weit bin ich im vergangenen Winter

bereits 13 oder 14 Prozent dafür, was würde. Leider habe ich mir den Tag nicht notiert,
aber ich weiß noch, dass sich die Temperatur in
meinem Wohnzimmer auf 15 Grad abgesenkt
senschaftler der Universität Maastricht heraus-
gefunden, dass es den Stoffwechsel eines Men-
schen anregt, wenn er sich gemäßigt kühlen Tem-
nicht gekommen, aber ich näherte mich.
Eine Sorge trieb mich beim Heizsparen be-
sonders um: die Angst vor Schimmel. Es gibt

besonders ärmere Menschen ohne hatte. Da machte ich die Heizung an und ließ sie
laufen, bis das Thermometer 18 Grad anzeigte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich schon so
Rücklagen in der begonnenen an die Kühle gewöhnt, dass mir die 18 Grad mu-
ckelig warm vorkamen. Den dicken Norweger-
Skipullover, den ich gern zu Hause trug, konnte
Wirtschaftskrise hart trifft Rausgeflogen: ich da schon wieder ausziehen. Darunter trug ich
meist ein dünnes Fleece und häufig Merino-Un-
terwäsche, die ich mal fürs Wandern angeschafft
Der US-Rapper Kanye West wird – nach hatte. Zu meiner persönlichen Kälteschutz-Aus-
stattung gehörten ferner dicke Socken und Schaf-
woll-Hausschuhe. Anfangs war es ungewohnt, so
antisemitischen Äußerungen und dick vermummelt in der eigenen Wohnung zu
Illustration: Arne Bellstorf für DIE ZEIT
peraturen aussetzt. Vor allem Menschen, die an
Diabetes Typ 2 erkrankt sind, können diesen
Untersuchungen zufolge gesundheitlich davon
profitieren, wenn sie »Ausflüge außerhalb ihrer
Komfort-Temperatur« unternehmen.
Bei der Studie waren diese Ausflüge auf sechs
Stunden pro Tag bei 15 Grad angelegt. Sie halfen
offenbar auch beim Abnehmen, und das Herz-
Kreislauf-System scheint positiv darauf zu reagie-
ren. Anfangs war die Kälte für die Probanden
unangenehm. Aber es zeigte sich: Wer sich regel-
mäßig länger in einer kühlen Umgebung aufhält,
kann seinen Komfort-Temperatur-Bereich er-
kaum einen Artikel über das richtige Heizen, in
dem diese Gefahr nicht beschworen wird. Aller-
dings gewann ich beim Lesen den Eindruck, dass
sich selbst die Bauphysiker nicht einig sind, wann
und unter welchen Umständen Schimmel tatsäch-
lich auftritt. Mit einem Hygrometer maß ich re-
gelmäßig die Luftfeuchtigkeit in meinen Räumen.
Überstieg der Anteil des Wasserdampfs an der Luft
den Wert von 65 Prozent, machte ich die Heizung
an. In meinem Haus trat trotz Heizsparens kei-
nerlei Schimmel auf.
Im Frühjahr machte ich Kassensturz. Wie
viele Kilowattstunden Gas hatte ich über den

sitzen, aber ich gewöhnte mich schnell daran.
Die Küche und das Schlafzimmer wurden mit
Hassbotschaften – künftig keine Schuhe und wenigen Ausnahmen gar nicht beheizt. Ich habe
außerdem ein kleines Fernsehzimmer, das unter
weitern. Die sogenannte thermoneutrale Zone des
Menschen liegt zwischen 26 und 32 Grad – wenn
er nackt ist. In Wintersportkleidung werden aber
auch 14 Grad nicht als unangenehm empfunden.
Winter verbraucht? Es waren 3810, verglichen
mit 11.650 im Vorjahr. Mein Verbrauch war also
auf ein Drittel geschrumpft.

Kleidung mehr für den Sportartikelhersteller einem noch nicht gedämmten Flachdach liegt und Und natürlich wird es uns schnell warm, wenn Ihr Rüdiger Jungbluth

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Titelthema ․ Klima ․ Kinderarmut ․ Psychotherapie ․ Gesundheit ․ Infografik: Architektur
D Kopf!
er Fachmann fürs Aus-
sortieren wirkt etwas
konfus. »Tut mir so leid,
dass ich das hab schleifen
lassen«, schreibt Oliver
Burkeman, Wochen nach
der Anfrage per Mail.
»Reisen, Jetlag und das allgemeine Chaos haben
mich geschafft.« Alles zu viel, wer kennt das
nicht. Aber ein Aussortier-Experte, einer, der
weiß, wie man sich auf das Wesentliche kon-
zentriert, seinen Alltag geregelt kriegt – sollte
der das nicht im Griff haben?
Dann klappt es doch mit dem Termin. Ein
paar Wochen später schlendert Oliver Burkeman
die Dorfstraße des Örtchens Lastingham in der
nordenglischen Grafschaft Yorkshire herunter. Er
trägt Trekkingschuhe und den Rucksack locker
über einer Schulter. Eine halbe Stunde zu Fuß
wohne er entfernt, erzählt er, deshalb habe er den
Dorfpub für das Treffen vorgeschlagen. »Und so
viel Auswahl gibt es hier auch nicht.«
Seit einem Jahr lebt Burkeman in der Nähe
von Lastingham: 250 Einwohner, ein Chor, ein
Schornsteinfeger, ein Pub. Bis dahin: New
York, Millionen Menschen, unbegrenzte Mög-
lichkeiten. »Klar vermisse ich vieles«, sagt Bur-
keman. »Aber man hat in New York auch mehr
Gelegenheit, seine Zeit mit Dingen zu füllen,
die einem nachher nicht mehr so wertvoll er-
scheinen.«
Der radikale Schnitt wirke sich deutlich auf
seine Konzentration aus, sagt er. Dabei ist er
gar nicht in die Einöde gezogen, um besser ar-
beiten zu können, sondern weil er bei seinen
Eltern sein wollte, wenigstens für ein Jahr. Sie
leben in York, ganz in der Nähe. Gerade haben
er und seine Frau das Experiment um weitere
zwölf Monate verlängert.
Oliver Burkeman ist Journalist und Autor,
er schreibt vor allem für den Guardian, aber
auch für die New York Times und das Wall Street
Journal. Und er hat ein Buch über das Aussor-
tieren geschrieben. Nicht über das Aufräumen
des Kleiderschranks, das Entrümpeln von Kel-
ler und Dachboden wie die japanische Auf-
räum-Meisterin Marie Kondo – sondern über
das Ausmisten des Alltags.
4000 Wochen lautet der Titel von Burke-
mans Werk. So lange lebt der Durchschnitts-
mensch. Seine Zeit ist begrenzt, deshalb muss
er ständig entscheiden, was er damit macht –
und was nicht. Er habe das Buch auch für sich
selbst geschrieben, sagt Burkeman. Jahrelang
kämpfte er gegen die Zeitnot, versuchte, das
alltägliche Chaos zu bezwingen. Gesiegt habe
er nicht, aber sich endlich eingestanden: Man
kann nicht alles machen, alles lesen, alles schaf-
fen. Das ist Burkemans Mantra.
Er trifft damit einen Nerv. Sein Buch stand
in Großbritannien und in den USA auf den
Bestsellerlisten. Denn überall fühlen sich Men-
schen überlastet: Der Alltag scheint einem über
den Kopf zu wachsen, allgegenwärtig ist das
Gefühl, nicht mehr mitzukommen, den Über-
blick zu verlieren, keine Ruhe zu finden. Alles
zu viel und alles zugleich.
60 Prozent der Deutschen leiden unter dem
Druck, verschiedenartige Aufgaben gleichzeitig
erledigen zu müssen, 46 Prozent klagen über
häufige Arbeitsunterbrechungen, zeigte der
Illustration: Nishant Choksi für DIE ZEIT
»Stressreport Deutschland 2019«. Und viele
geben an, selbst in der Freizeit Stress zu haben,
wie die Stiftung für Zukunftsfragen in ihrem
»Freizeit-Monitor 2022« ermittelte.
»Gefangen zwischen Erwartungen von Drit-
ten, scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten und
Smartphone-Nutzer aktivieren 53-mal am Tag ihr Gerät. Das ergab eine Analyse der Daten von 60.000 Personen in einem Projekt der Universität Bonn.
Amerikanische Forscher fanden heraus, dass das Handy schon ablenkt, wenn es sich nur im selben Raum befindet – sogar wenn es ausgeschaltet ist.
WISSEN
den eigenen Bedürfnissen, fühlen sich zuneh-
mend mehr Bürger gestresst«, sagt Ulrich Rein-
hardt, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung,
die seit 40 Jahren das Freizeitverhalten der
Deutschen untersucht. »Frei« ist die Freizeit
selten: Sport sollte man unbedingt machen,
gesund kochen sowieso, die Kinder hochwertig
unterhalten, ein interessantes Hobby pflegen
und tausend Dinge mehr.
Und als wäre das alles nicht genug, gilt es
auch noch eine beispiellose Ballung von Krisen
zu verarbeiten: Ukraine-Krieg, Gasknappheit,
Corona, Klimawandel. Angesichts dieser Fülle
von schlechten Nachrichten sprechen Forscher
inzwischen von einem »problematischen Nach-
richtenkonsum«. Den diagnostizierten kürzlich
Wissenschaftler der Texas University bei
16,5 Prozent von über 1000 Befragten. Die Be-
troffenen würden zwanghaft Nachrichten kon-
sumieren und litten häufiger unter psychischen
und körperlichen Erkrankungen.
Die Frage ist: Wie kommt man da raus? Wie
kann man abschalten? Welche Aktivitäten und
Nachrichten sind nötig – und ab wann lähmt die
Fülle, wann kippen das Abarbeiten der To-do-
Listen und der News-Konsum ins Ungesunde?
Anders formuliert: Was darf in meinen Kopf?
Oliver Burkeman bleibt vor dem Blacksmiths
Arms stehen. Direkt gegenüber liegt der Fried-
hof; schiefe Grabsteine verwittern auf einem
Rasenhügel hinter der St.-Mary-Kirche. Im
18. Jahrhundert betrieb die Frau des Pfarrers
den Pub. Burkeman geht durch die Gaststube
in den Biergarten hinter dem Haus. »Ich war
vorgestern Abend schon hier«, erzählt er.
Lange lautete Burkemans Antwort auf das
Alleszuviel des Alltags: mehr ins Leben rein-
packen. Er sei ein richtiger productivity geek
gewesen, erzählt er, ein Effizienzmensch: »Ich
war ständig auf der Suche nach der perfekten
Methode, um meinen Tag zu organisieren.«
Jahrelang hat er die Tricks von Zeitmanage-
ment-Experten ausprobiert. Er kaufte sich
einen Küchen-Timer und versuchte, nur noch in
25-Minuten-Häppchen zu arbeiten, mit Fünf-
minutenpausen. »Pomodoro-Technik« heißt die
Methode, erfunden hat sie der Italiener
Francesco Cirillo (dessen Küchenuhr hatte die
Form einer Tomate, daher der Name). Burke-
man teilte seine To-do-Listen in A-, B- und
C-Prioritäten ein, versuchte seine täglichen
Aktivitäten in Einklang mit seinen Zielen zu
bringen und seine Ziele in Einklang mit seinen
Grundwerten, und er gab eine Menge Geld für
schicke Notizbücher und Filzstifte aus.
Mehr Wissen
Links zu den Quellen der Themen dieser WISSEN-Ausgabe finden Sie unter www.zeit.de/wq/2022-44
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
33
Da platzt
mir der
Überall schlechte Nachrichten, digitale Überforderung,
Dauerstress im Alltag: Manchmal hilft
gegen das Durchdrehen schon ein einziges Wort
VON STEFANIE KARA UND ULRICH SCHNABEL
Über die Ergebnisse seiner Experimente be-
richtete Burkeman in seiner Psychologie-
Kolumne im Guardian: »This column will
change your life«. »Ich war wie ein Alkoholiker,
der praktischerweise als Weinexperte angestellt
war«, schreibt er in seinem Buch 4000 Wochen.
Fast 14 Jahre lang lief die Kolumne. »Die Hälfte
der Zeit glaubte ich, dass ich tatsächlich irgend-
wie alles schaffen könne«, sagt Burkeman. Doch
dann begann die Kolumne sein eigenes Leben
zu verändern. »Ich merkte, dass diese Produkti-
vitätstechniken alles nur noch schlimmer mach-
ten«, sagt er. Sie gaukelten ihm vor, man könne
den Wettlauf mit der Zeit gewinnen. »Aber das
klappte nicht, und dann habe ich mich noch
schlechter gefühlt.« Und wenn es doch mal ge-
linge, sei das erst recht ein Problem: Sobald man
effizient darin werde, E-Mails zu beantworten,
bekomme man nur noch mehr E-Mails.
An einem Wintermorgen auf einer Park-
bank in der Nähe seiner Wohnung in Brooklyn,
mit der Angst vor der Masse unerledigter Dinge
im Nacken, sei ihm klar geworden, dass keiner
dieser Tricks jemals funktionieren würde.
Schlagartig habe ihn diese Erkenntnis erleich-
tert. An etwas zu scheitern, das er als unmöglich
zu schaffen erkannt hatte, erschien ihm plötz-
lich halb so schlimm.
»Ich hatte die Möglichkeiten wirklich aus-
gereizt«, sagt Burkeman. Durch sein totales
Scheitern sei er zum eigentlichen Problem
Fortsetzung auf S. 34
34
Da platzt mir der Kopf ! Fortsetzung von S. 33
durchgedrungen: »Wir wollen nicht wahr-
haben, dass unsere Zeit begrenzt ist. Das
macht uns nämlich Angst.« Wer versuche, eine
unendliche Anzahl von Dingen in endlicher
Zeit zu erledigen, der wolle letztlich die End-
lichkeit überwinden: Wenn es schon mit dem
ewigen Leben nichts wird, dann wenigstens im
Diesseits alle To-do-Listen abhaken. Doch die
Listen sind immer länger als das Leben.
Das Problem, dass die Lebenszeit begrenzt
ist, ist nicht neu. Es hat sich aber in dem Maße
verschärft, in dem die Zahl der Möglichkeiten
gestiegen ist. Heute stehen mehr Fernseh-
programme, Produkte, Kleidungsstile, Reise-
ziele und Dating-Partner zur Auswahl als je
zuvor. Doch egal, was man tut und wofür man
sich entscheidet – man muss sich stets gegen
alle anderen Möglichkeiten entscheiden. Das
heißt: Je größer die Auswahl, umso mehr Ver-
zicht ist nötig. Das stresst.
Kaum etwas erhöht den Druck so sehr wie
die digitalen Medien: Sie erweitern den Raum
der Informationsmöglichkeiten ins praktisch
Unendliche. Der Ukraine-Krieg, das Bild von
Nachbars Katze, der jüngste Politikerstreit,
Fotos vom brennenden Amazonas-Wald, die
schönsten Alpenhütten – via Internet wird die
Welt größer, wie auch der Phantomschmerz
über alles Verpasste.
Oliver Burkeman kennt die digitale Ver-
suchung nur allzu gut – und auch den Grund,
warum wir ihr gern nachgeben: »Es ist ja nicht
so, dass ich völlig gebannt an etwas arbeite,
und dann zwingt mich jemand, die Fußball-
ergebnisse zu checken.« Nicht an allem seien
die Social-Media-Konzerne schuld. Unser
Hang zum Aufschieben, zur Vermeidung ist
ihr bester Komplize. »Wir lassen uns gern ab-
lenken, weil die wichtigen Aufgaben, die uns
etwas bedeuten, schwierig und langwierig
sind.« Und die sozialen Medien versprechen
schnelle Belohnung.
Er selbst sei zum Beispiel ein »Twitter-
Junkie« gewesen, erzählt Burkeman. »Wenn
ich versucht habe, mal ein paar Tage nicht da
reinzuschauen, war das echt unangenehm.« In-
zwischen sei er auf dem Weg der Besserung.
Abstinent ist er nicht: Fast jeden Tag postet er
etwas, mehr als 63.000 Menschen folgen ihm.
Während des Gesprächs liegt kein Smart-
phone auf dem Tisch, und Burkeman wird
auch keines hervorholen, nicht einmal um die
verabredete, genau begrenzte Zeit zu checken.
Er weiß um die dunkle Seite dieses Werkzeugs.
Das Smartphone sei ein Gerät, so schrieb er
einmal, »das wie dafür gemacht ist, noch die
kleinsten Momente unserer Aufmerksamkeit
aufzusaugen – im Zug, auf der Toilette, im
Bett – und dabei jedes Klicken und Wischen
zu registrieren«. Diese Daten nutzten die digi-
talen Plattformen wiederum, »um sicherzustel-
len, dass man genau die Inhalte zu sehen be-
kommt, denen man nicht widerstehen kann«.
Aufmerksamkeit ist die zentrale Währung
der Gegenwart. Und viele »Aufmerksamkeits-
händler« wetteifern um unsere knapp bemesse-
ne Zeit, wie es der New Yorker Autor Tim Wu
formuliert. In seinem Buch Attention Mer-
chants hat er beschrieben, wie der Kampf um
Aufmerksamkeit nicht nur die Algorithmen
der Digitalplattformen prägt, sondern auch
die klassischen Medien beeinflusst.
Die Herausforderung für Medienmacher
bestehe heute nicht mehr darin, Inhalte zu ge-
nerieren, sondern darin, sie so zu präsentieren,
dass ihnen unsere knapp bemessene Aufmerk-
samkeit zuteilwird. Das führe nahezu zwangs-
läufig zu einer zunehmenden Verflachung,
schreibt Wu: »Die Aufmerksamkeit wird fast
ausnahmslos zum grelleren, empörenderen,
sensationslüsterneren Thema hingezogen.«
Deshalb verbreiten sich auch – wie diverse
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Titelthema: Das wird mir zu viel!
Studien zeigen – Fake-News und Desinforma-
tionen um ein Vielfaches schneller und stärker
als seriöse Nachrichten.
Die Hirnforschung weiß heute sehr gut, wie
dieser Mechanismus funktioniert: Es beginnt
damit, dass wir nur einen Bruchteil aller auf uns
einströmenden Informationen verarbeiten kön-
nen. Weniger als ein Tausendstel Prozent aller
Informationen würden bewusst zur Kenntnis
genommen, schreibt der Neurowissenschaftler
Lutz Jäncke in seinem Buch Ist das Hirn ver-
nünftig?. Der allergrößte Teil der Sinneseindrücke
werde unbewusst verarbeitet – deshalb seien wir
eher gefühls- als vernunftgesteuert.
Am stärksten springen die unbewussten Ent-
scheidungsmechanismen in unserem Kopf auf
mögliche Gefahren an, denn im Laufe unserer
Entwicklungsgeschichte war es überlebensnot-
wendig, in Notlagen schnell zu reagieren. Nega-
tives wird deshalb im Gehirn vordringlich be-
handelt. Erfreuliche Ereignisse hingegen haben
nur zweite Priorität. Die Kognitionspsychologie
spricht von der »Negativverzerrung«.
»Bad news are good news« heißt deshalb eine
alte Weisheit im Journalismus. Schlechte
Nachrichten erzeugen mehr Aufmerksamkeit
und verkaufen sich dadurch besser. Das kann
man Medienmachern nur bedingt vorwerfen:
Würden die Menschen mit Vorliebe positive
Schlagzeilen lesen, sähen unsere Nachrichten
anders aus. Die Denkmuster aus der Vorzeit
tragen also mit dazu bei, dass uns die Welt aus
den Medien häufig düsterer entgegentritt, als
sie in Wahrheit ist.
Von irgendwo auf der Welt lässt sich immer
etwas Erschreckendes berichten; und wenn keine
akuten Katastrophen vorliegen, gibt es noch all
die bedrohlichen Zukunftsszenarien, die sich
durch die Berichterstattung nicht selten schon
fast real anfühlen: Was, wenn Putin Atomwaffen
einsetzt? Wenn China Taiwan angreift? Wenn
Trump doch wieder an die Macht kommt?
Angesichts dieser Dramatik stellt sich leicht
ein Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit
ein. Wer als Durchschnittsbürger von Putins
Atomdrohung oder dem Taiwan-Konflikt
liest, kann zwar Friedensaufrufe unterzeichnen
oder einen Notfallkoffer packen. Der verstärk-
te Nachrichtenkonsum erhöht aber nicht die
Zahl der Handlungsoptionen. Psychologisch
gesprochen: Mehr Informiertheit führt nicht
zu einem größeren Gefühl von »Selbstwirk-
samkeit«. Und ohne die Perspektive, selbst
etwas unternehmen zu können, können die
vielen Negativnachrichten bedrücken.
Es gibt deshalb nicht nur jene Nachrichten-
junkies, die zwanghaft verfolgen, was in der
Welt passiert. Es gibt zugleich immer mehr
Menschen, die sich dem Strom der Nachrich-
ten entziehen, die abschalten. In einer welt-
weiten Studie des Reuters Institute for the Stu-
dy of Journalism, an der mehr als 90.000 Men-
schen teilnahmen, gaben 38 Prozent der Be-
fragten an, dass sie »oft oder gelegentlich« ganz
bewusst Nachrichten vermeiden würden.
36 Prozent – vor allem die Jüngeren unter
35 Jahren – sagten, dass die Nachrichten auf
ihre Stimmung drückten. Auch die Deutschen
seien zunehmend »nachrichtenmüde«, vermel-
det das Leibniz-Institut für Medienforschung,
das für die Reuters-Studie die Befragung in
Deutschland übernahm. Nur noch 57 Prozent
der befragten Internetnutzer in Deutschland
interessierten sich für Informationen über das
aktuelle Geschehen – das sind zehn Prozent-
punkte weniger als im Vorjahr, wenn auch
noch mehr als in vielen anderen Ländern.
Am deutlichsten ist dabei der Rückgang in
der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen, in der ein
Minus von 19 Prozentpunkten zu verzeichnen
ist (auf nur noch 31 Prozent, die sich für poli-
tische Nachrichten interessieren).
IN ZUSAMMENARBEIT MIT
WISSEN
Als Gründe für die news avoidance, die Nach-
richtenvermeidung, führen die Leibniz-Forscher
an: »Themenmüdigkeit, das Hervorrufen
schlechter Laune und Erschöpfung aufgrund der
Vielzahl an Informationen«. Zudem empfänden
insbesondere junge Menschen Nachrichten »für
sie persönlich nicht als wichtig oder nützlich«; sie
hätten den Eindruck, »mit den Informationen
nichts anfangen zu können, und finden es oft
schwer, sie zu verstehen«.
Selbst Nachrichtenprofis gestehen immer
öfter ein, dass sie die Fülle der Informationen
als Belastung empfinden. So veröffentlichte die
US-Journalistin Amanda Ripley vor Kurzem
in der Washington Post einen aufsehenerregen-
den Artikel, in dem sie bekannte, nur noch
selten Nachrichten zu verfolgen. Zugleich be-
richtete sie davon, wie ihr immer mehr Kolle-
ginnen gestanden, sich ebenfalls vor den Nach-
richten zu drücken. Die Geständnisse »wurden
Ausgestiegen
Ausgestiegen
Weshalb Menschen
Nachrichten vermeiden
43 % »Zu viel Politik
und Covid-19«
»Negative
36 % Auswirkung auf
die Stimmung«
»Ich bin erschöpft
29 % von der Menge
der Nachrichten«
»Sind nicht
29 % vertrauenswürdig
oder verzerrt«
»Führen zu Streit,
17% den ich lieber
vermeiden möchte«
? 16 %
?
»Es gibt nichts,
was ich mit den
Informationen
? ? tun kann«
ZEIT- GRAFIK/Quelle: Reuters Institute
immer geflüstert, als seien sie ein schmutziges
kleines Geheimnis«, schreibt Ripley.
Ronja von Wurmb-Seibel, die früher für
die ZEIT aus Afghanistan berichtete, bekennt
sich in ihrem Buch Wie wir die Welt sehen
offensiv zur news avoidance, weil die schlechten
Nachrichten das Denken vergifteten. Eine
radikale Entscheidung. Was aber, wenn man
weder in der Nachrichtenflut untergehen noch
Nachrichten ganz vermeiden will? Gibt es
einen gesunden Mittelweg?
»Wir müssen neue Gewohnheiten zum Um-
gang mit Nachrichten entwickeln«, sagt Leonard
Reinecke, Professor für Medienwirkung und
Medienpsychologie an der Universität Mainz.
Denn durch die digitale Technik habe sich etwas
grundlegend verändert: »Früher musste man sich
aktiv entscheiden, Nachrichten zu hören oder zu
lesen. Heute müssen wir uns aktiv entscheiden,
WEITERE FÖRDERPARTNER
wenn wir uns vom ständigen Nachrichtenstrom
einmal abkoppeln wollen.« Bei nahezu jeder
Gelegenheit – beim Surfen im Netz ebenso wie
vor den Infoscreens in der U-Bahn – drängten
sich uns Nachrichten förmlich auf. Das erforde-
re neue Strategien.
Reinecke rät etwa, bewusst »medienfreie
Zonen« in den Alltag einzubauen und stärker auf
die Art des Nachrichtenkonsums zu achten: Statt
sich vom ungefilterten News-Gewitter erschlagen
zu lassen, sollte man gezielter nach Informationen
suchen, die das Gefühl der Selbstwirksamkeit
steigern – sei es, weil sie helfen, Zusammen-
hänge besser zu verstehen, sei es, weil sie Anre-
gungen für das eigene Handeln geben.
Oliver Burkeman sagt es so: »Man muss
Grenzen ziehen.« Lieber weniger Nachrichten
konsumieren, dafür fokussierter. »Nicht so viel
Aufmerksamkeit auf Nachrichten zu verwen-
den ist vielleicht sogar sozial verantwortungs-
bewusster.« Viele scrollten noch spät in der
Nacht durch das Leid der Welt, mitunter weil
sie das Gefühl hätten, Anteil nehmen zu müs-
sen. Doch das helfe niemandem. Besser sei es,
»sich ein einziges Problem auszusuchen, für
das man spendet oder sich engagiert – und den
Rest der Zeit zu genießen«.
Und was für den Nachrichtenkonsum gilt,
das gilt auch für das Leben insgesamt, sagt
Burkeman. Statt zu versuchen, mehr in den
Alltag hineinzuquetschen, rät er: Sortieren Sie
aus! Er empfiehlt ein »Zeitmanagement für
Sterbliche«. Auch Burkemans System kommt
nicht ohne Tricks und To-do-Listen aus, aber
die funktionieren anders als all die Methoden,
über die er in seiner Kolumne geschrieben hat.
Burkeman rät: sich auf ein einziges großes
Projekt konzentrieren und alle anderen soweit
irgend möglich aufschieben. Zwei To-do-Listen
führen, eine geschlossene mit wenigen, beson-
ders wichtigen Punkten und eine offene. Eine
Aufgabe darf nur auf die geschlossene Liste
aufrücken, wenn dort eine andere erledigt ist.
Und: im Voraus entscheiden, in welchen Be-
reichen man scheitern will.
Man kann nicht alles sausen lassen, wenn
man seinen Lebensunterhalt verdienen und
ein zuverlässiger Partner und Elternteil sein
will. Das weiß auch Burkeman. Seine Lösung:
Versagen Sie abwechselnd! »Sie können sich
zum Beispiel vornehmen, in den nächsten zwei
Monaten bei der Arbeit nur das Nötigste zu
tun, während Sie sich auf Ihre Kinder konzen-
trieren, oder Sie können Ihre Fitnessziele für
eine Weile schleifen lassen, während Sie sich
als Wahlkampfhelfer engagieren.«
Wer sich konzentrieren will, muss also das
Neinsagen üben. Das passt zu dem Tipp, den der
Informatikprofessor und Bestsellerautor Cal
Newport in seinem Buch Konzentriert arbeiten
gibt: »Ich gehe unheimlich vorsichtig mit dem
Wort um, das jede Produktivität gefährdet: Ja.«
Aber ist das so einfach: nicht Ja sagen, sondern
Nein? Kann man sich das einfach so verordnen?
Vier Zugstunden südlich von Burkemans Exil
erforscht die Neurowissenschaftlerin Nilli Lavie
am University College London, wie das Hirn die
Wirklichkeit filtert. Die ländliche Idylle ist weit
weg, die Hirnfoscherin arbeitet in einem Be-
tonbunker aus den Siebzigerjahren. Hier hat sie
untersucht, wie die beiden wichtigsten Filter des
Gehirns funktionieren: die Wahrnehmungskapa-
zität und das Arbeitsgedächtnis.
Die Wahrnehmungskapazität bestimmt,
wie viel in den Kopf hineinkommt. Das Hirn
nimmt Informationen auf, bis sie erschöpft ist.
Was in den Kopf hineinkommt, entscheidet
das Arbeitsgedächtnis. Oder es versucht es zu-
mindest. »Das Arbeitsgedächtnis hilft uns, im
Blick zu behalten, was gerade relevant ist«, sagt
Lavie. »Aber das reicht nicht, um Irrelevantes
komplett auszublenden.« Solange das Arbeits-
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
gedächtnis nicht ausgelastet ist, gelangen auch
irrelevante Informationen in den Kopf. Das
Hirn ist ein schlechter Neinsager.
Allerdings ein unterschiedlich schlechter: Die
Leistung der beiden Filter ist von Mensch zu
Mensch verschieden, auch das hat Lavie heraus-
gefunden. Dafür mussten ihre Probanden blin-
kende Punkte auf einem Monitor verfolgen, sich
Buchstabenreihen merken, wobei sie ständig von
Rechenaufgaben unterbrochen wurden, und sie
mussten sich in den Hirnscanner legen. Auf den
Bildern entdeckte Lavie deutliche Unterschiede
zwischen ihren Gehirnen, und zwar in zwei ganz
bestimmten Regionen. »Das deutet darauf hin,
dass diese Fähigkeiten ziemlich stabil sind«, sagt
sie. Das persönliche Filterlevel scheint Menschen
durchs Leben zu begleiten. Darauf fand die
Forscherin in einer weiteren Studie Hinweise:
Wer sich in der Schule leichter ablenken ließ,
schnitt auch als Erwachsener im Experiment
schlechter ab.
Das ist erst einmal eine frustrierende Nach-
richt für alle Überforderten, denn es deutet
darauf hin, dass sich diese Fähigkeiten nicht
besonders gut trainieren lassen. Die einzige
Chance besteht also darin, Ablenkungen aus
dem Umfeld zu verbannen. Die Erkenntnisse
der Hirnforscherin decken sich ziemlich genau
mit dem, was Oliver Burkeman für sich im
Alltag herausgefunden hat.
Es ist aber auch eine gute Nachricht, wenn
das Filtervermögen stabil ist: Selbst das Ge-
bimmel und Geblinke der Gegenwart dürfte
ihm so kaum etwas anhaben. Lavie glaubt
nicht, dass die Smartphone-Ära diese Fähig-
keiten stark verändert hat: »Das ist extrem
unwahrscheinlich.« Der Eindruck, Menschen
seien heute leichter ablenkbar, komme viel-
mehr daher, dass wir unsere Filter stärker be-
lasten, sagt sie: »Wir stoßen einfach häufiger
an unsere Grenzen.«
Aussortieren also, damit das Hirn gar nicht
erst in Versuchung kommt – das hilft nicht nur,
das Wichtigste bei der Arbeit zu schaffen und in
der Nachrichtenflut nicht unterzugehen. Es wirkt
auch auf die Stimmung, hat Nilli Lavie heraus-
gefunden. Zusammen mit ihren Kollegen befrag-
te sie Menschen im Alltag: Wie oft wurden Sie
bei dem, was Sie gerade tun, vom Handy gestört,
von Werbung, von Lärm oder Hintergrund-
musik? Wie oft schweiften Ihre Gedanken dabei
ab? Und wie glücklich fühlen Sie sich? Das Er-
gebnis: Diejenigen, die seltener gestört wurden,
ließen sich weniger häufig von ihren eigenen
Gedanken ablenken. Und sie waren glücklicher.
Man könnte auch sagen: Konzentration macht
gute Laune.
Es sind am Ende doch etwas mehr als zwei
Stunden geworden im Pub von Lastingham.
Jetzt muss Oliver Burkeman los, sein fünfjäh-
riger Sohn kommt aus der Schule. Mit dem
konzentrierten Arbeiten dürfte es für Burke-
man heute nichts mehr werden. Er findet das
nicht so schlimm: »Ich will nicht das Gefühl
haben, dass es ein Problem ist, wenn mein
Sohn nach Hause kommt.«
Aus all seinen Experimenten mit Zeit-
managementtechniken, mit strengem Ent-
rümpeln und rigorosem Neinsagen hat er vor
allem die eine Einsicht gewonnen: Er wolle
interruptible bleiben, sagt Burkeman, unter-
brechbar. Deshalb habe er einen Kompromiss
mit der Welt geschlossen. Vormittags nimmt
er sich drei Stunden, um hoch konzentriert zu
arbeiten. Danach gebe er auf. Und mache, was
die Welt von ihm will: mit seinem Sohn dies
und das werkeln – und all die Arbeit, die sonst
noch anfällt, aber weniger Konzentration er-
fordert. Mail-Anfragen beantworten zum Bei-
spiel. Wenn die Zeit reicht.
!www.zeit.de/vorgelesen
 DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022
Leise verschwindet
das Eis
W
o die Weißfichten eine
Lücke lassen, kann man
die Berge sehen: Vereiste
Gipfel bilden ein Gebirge,
gewaltig, als würden Rie-
sen dort wohnen. »Dieses Panorama holt
einfach immer ein Wow raus«, sagt Lisa
McKeon beim Blick in den Glacier-National-
park, Wildnis auf 4100 Quadratkilometern
in Montana, im Nordwesten der USA.
McKeon ist ganz in der Nähe aufgewachsen,
keine Stunde Autofahrt entfernt. Einen der
Gletscher, den Grinnell, lernte sie besonders
gut kennen, ihre Eltern wanderten mit ihr
dorthin. Drei, vier Stunden dauerte die
Tour. Dann standen sie vor einem 70 Meter
hohen kalten Wall. »Es war absolut unwirk-
lich«, erinnert sich McKeon. »Magisch.«
Später ging sie raus in die Welt, studierte
Zoologie, kehrte zurück als Wissenschaft-
lerin. Vor ein paar Jahren nahm sie ihre
Tochter mit zum Grinnell. McKeon war
inzwischen 50, ihr Kind 13, wie sie damals.
Der Sperry Glacier, einer der größten Gletscher im Glacier National Park, bedeckte vor über 100 Jahren noch große Teile der Berge
Das Eis aber war ein anderes. Statt vor einem
Wall stand ihre Tochter nun vor einem knie-
hohen Mäuerchen.
Lisa McKeon musste im Kleinen das
tun, was ihr mit ihrer Arbeit im National-
park im Großen wichtig ist: erklären, was
die Wissenschaft über das Verschwinden
der Gletscher weiß. Wie man das Menschen
erklärt, die das Eis zum ersten Mal sehen
und nicht wissen, wie es vor ein paar Jahren
hier noch aussah.
Seit Jahrtausenden, sagt McKeon, beein-
flusse das Eis der Gletscher das Leben in
dieser Region. Möglicherweise nicht mehr
lange. Denn hier, im Westen des US-Bun-
desstaats Montana, erhitzt sich das Land
zweimal schneller als im globalen Durch-
schnitt. Von heute an bleiben vielleicht
noch ein paar Jahrzehnte, nicht mehr lange
jedenfalls, dann werden alle Gletscher des
Nationalparks geschmolzen sein. Damit
verschwinden nicht nur Kindheitserinne-
rungen oder touristische Attraktionen.
Was bedroht ist, ist die Wasserversorgung
einer ganzen Region. Denn das Schmelz-
wasser von Gletschern speist selbst dann
noch Flüsse, nährt Seen und verdunstet zu
Wolken, die landeinwärts Regen bringen,
wenn das Land im Sommer austrocknet.
Geophysiker der Universitäten California
und Washington State warnten 2017 in
einer Studie: Die Wasserversorgung von
mehr als 55 Millionen Menschen im Wes-
ten der USA hängt von Schmelzwasser ab.
Bis heute ist das den wenigsten Bewohnern
der Region bewusst. Dabei versuchten Wissen-
schaftler des Northern Rocky Mountain
Science Center (Norock) Anfang der Neunzi-
ger, die Bevölkerung zu sensibilisieren. Sie
erhoben Zahlen, errechneten Statistiken, über-
führten Daten in Grafiken. Beachtet wurden
sie kaum. »Dabei waren die Daten seit Jahren
eindeutig!«, sagt Lisa McKeon.
Schon damals diskutierten die Forscher
des Norock Fragen, wie sie spätestens seit
Corona wieder hochaktuell sind: Wie kom-
muniziert man Wissenschaft richtig? Wie
kann man komplexe Erkenntnisse verein-
fachen, ohne dabei die Fakten zu verbiegen?
1913
Ende der Neunzigerjahre entdeckte ein
Kollege McKeons in den Archiven des No-
rock hundert Jahre alte Fotografien. Männer
in Hut und Anzug, gekleidet wie Hochzeits-
gäste, waren zu den Gletschern gewandert
und hatten schwere Beleuchtungsplatten,
Kameras und Stative mitgeschleppt. So hat-
ten sie den Zustand des Eises dokumentiert.
»Die Medien haben die Fotos regelrecht
gefressen«, erzählt McKeon. Sie und ihre Kol-
legen haben die Orte ausfindig gemacht. Ab
1997 fotografierten sie jedes Jahr, immer aus
derselben Position, wählten immer denselben
Bildausschnitt, zogen erst los, wenn der Schnee
geschmolzen und nur noch das Gletschereis
zu sehen war. Sie nannten es »Repeat Photo-
graphy Project«.
Die eindringlichsten Fotos druckte Lisa
McKeon aus, plakatgroß auf Pappe. Viele
zeigen eine Entwicklung wie die des Boul-
der-Gletschers: Auf einem Schwarz-Weiß-
Foto vier Wanderer, sie schauen auf eine
Eismauer, so gewaltig, dass nur noch die
Spitzen der umgebenden Berge aus dem
Weiß ragen wie Buge untergehender Schif-
fe. 50 Jahre später sieht man nur noch Felsen
und Staub.
Erst druckten regionale Zeitungen die
Bilder, später die New York Times, TV-Mode-
ratoren eröffneten mit ihnen die Abendnach-
richten, bis heute fragen Medien rund um den
Globus nach Material. Al Gore kam im
Herbst 1997, als Vizepräsident der Vereinig-
ten Staaten, und bestieg die Gletscher gemein-
sam mit seiner Tochter. Im Anschluss warnte
er, »wenn sich nichts ändert, wird das Eis in
den nächsten Jahrzehnten verschwinden«.
WISSEN
Klima
Noch heute sind die Gletscher der Grund,
weshalb Zeltplätze in der Region auf Monate
ausgebucht sind und sich am Eingang zum
Nationalpark schon früh um sechs kilometer-
lange Autoschlangen bilden. Das Eis sehen,
solange es noch geht, das zieht Studenten an,
die man unterwegs trifft (»An der Uni hat ein
Dozent uns die Bilder gezeigt«), Familien (»Als
Vater will ich meinen Kindern das ermögli-
chen, solange es noch geht«), Rentner (»Mein
ganzes Leben habe ich das Eis auf den Bergen
für etwas gehalten, das ewig ist, wie Gott«).
Woher sie von der Attraktion wissen? Zeitung,
Fernsehen, Internet. Alle sagen irgendwann:
Es gibt da diese krassen Fotos ...
»Durch das Projekt erreichte unsere For-
schung plötzlich ein breites Publikum«, sagt
McKeon. Die Aufnahmen wurden in regio-
nalen Galerien ausgestellt, sie schafften es
nach Europa, etwa ins Messner-Museum in
Bozen. »Ich, eine Wissenschaftlerin, wurde
von Künstlern eingeladen und habe Vorträge
in Galerien gehalten.« McKeon klingt be-
geistert wie ein Kind, das von unerwarteten
Abenteuern erzählt.
Es schien offensichtlich: Das Projekt
funktionierte. Bis 2020. Dann wurde es
gestoppt. Warum? Auf die Frage hin verän-
dert sich etwas bei McKeon, das kindliche
Schwärmen verschwindet, sie kontrolliert
ihre Mimik, wird starr und irgendwie hart.
Sie antwortet plötzlich in Behördensprache:
»Das Fotoprojekt liefert keine Daten. Wir
als Wissenschaftsinstitution müssen mess-
bare Daten bereitstellen. Damit liefern wir
Die Gletscherschmelze
in den Rocky
Mountains wird die
Wasserversorgung
von Millionen
Menschen gefährden.
Forscher fragen sich,
wie man über ein
Problem redet, das erst
in Jahrzehnten
spürbar wird
VON MANUEL STARK
eine wichtige Informationsgrundlage, auf
der andere ihre Entscheidungen aufbauen
können. Welche Entscheidungen das sind,
das liegt außerhalb unserer Verantwortung.«
Was McKeon nicht sagt: Ihr alter Vorge-
setzter, ein Befürworter des Projekts, wurde
2020 pensioniert. Die neue Chefin, Caitlyn
Florentine, stoppte es.
Florentine ist eine führende Gletscher-
forscherin. »Sicherlich hat das Fotoprojekt der
Öffentlichkeit einen sehr unkomplizierten
Zugang zum Phänomen der Gletscherverände-
rung geboten«, sagt sie bei einem Video-Anruf.
»Aber ich sehe die Aufgabe von Wissenschaft-
lern eher nicht darin, Aufmerksamkeit zu ge-
nerieren.« Vielmehr sei es ihr Job, objektive
Informationen zu liefern, also quantitative
Erkenntnisse. »Und unter dieser Prämisse
liefert das Fotoprojekt keine wirklichen Ant-
worten«, sagt Florentine.
Die beiden Positionen stehen stellver-
tretend für die Uneinigkeit darüber, wie
Wissenschaftler ihre Forschungen kommu-
nizieren sollten. Die einen sagen: Es geht
erst mal darum, Leute für ein Thema zu be-
geistern, zu große Komplexität ist da hin-
derlich. Die anderen plädieren für Daten,
Zahlen, Fakten – denn wo es an Exaktheit
fehle, da werde eine Botschaft anfechtbar.
Die Bilder aus dem Nationalpark wurden in
der Vergangenheit tatsächlich schon miss-
braucht. Leugner des menschgemachten
Klimawandels behaupteten, dass die Fotos
landschaftliche Veränderungen zeigten, aber
nichts über den tatsächlichen Schwund aus-
sagen würden. Ihre These: Die Wissen-
schaftler würden die Realität verzerren. Dass
Bilder manchmal nicht die Wahrheit zeigen,
merkt auch Florentine an: »Auf manchen
Fotos etwa sieht man kaum eine Verände-
rung, durch Messungen wissen wir aber,
dass gerade in diesen Jahren das Volumen
massiv abgenommen hat.« Deshalb, sagt sie,
sei quantitative Forschung so wichtig: Der
Schein trüge oft.
Dass die Gletscher schmelzen, weiß sie
natürlich. Bittet man sie aber, die Situation
35
der Gletscher im Sinne eines Gut-schlecht-
Urteils zu bewerten oder gar Stellung zu
beziehen zu Auswirkungen des Klima-
wandels, dann tasten ihre Worte, als weiche
sie unsichtbaren Fallen aus. Sie stockt, setzt
neu an.
»Jaaa«, sagt sie, »die Anzeichen sind deut-
lich ...« Pause. »... dass die Gletscher an Eis
verlieren.« Pause. »Und das aufgrund ...« Pause.
»... steigender Temperaturen.« Lange Pause.
»Aber ...«
Florentine wurde 2020 zur Chefin – im
Wahljahr. Der United States Geological Survey
(USGS) gehört zum Geschäftsbereich des
Innenministeriums, und der Präsident hieß
damals noch Donald Trump. »Die Angst war
immens, wegen eines falschen Wortes plötzlich
Teil der politischen Schlammschlacht zu wer-
den«, sagt ein USGS-Forscher, der nicht
namentlich zitiert werden will. »In unserem
Team wurde das Credo ausgerufen: Nur noch
nackte Daten liefern. Wertende Sprache ver-
meiden. Reinste Wissenschaft und Schluss. Da
passte das Fotoprojekt nicht rein, die Bilder
sind emotional viel zu aufgeladen.«
Und doch wäre es so wichtig, mit den
Menschen zu kommunizieren. Viele Bewoh-
ner des mittleren Nordwestens der USA,
dieser Gegend, bei der zuweilen nicht ganz
klar ist, ob sie noch Steppe ist oder schon
Wüste, bewässern ihren Rasen auch noch
während wolkenloser Nachmittage bei Tem-
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich der Gletscher um 75 Prozent zurückgezogen
peraturen von 40 °C. Hier haben wir doch
genug Wasser, sagen sie. Auch der Clark-Fork-
Fluss sei noch tief genug, im Sommer könne
man gefahrlos von der Brücke reinspringen.
Das hätte sie in ihrer Jugend gemacht, jetzt
kletterten ihre Kinder übers Geländer. Und
überhaupt: Es regne nicht weniger als früher,
sondern mehr!
»Ja, es ist sehr schwer, Leute mit einer Bot-
schaft zu erreichen, die ihrer Alltagserfahrung
widerspricht«, sagt der Biologe Greg Pederson,
ein Kollege von McKeon. Er forscht seit Jahren
zu Eis- und Schneeschmelze und dazu, wie sie
die großen Flusssysteme beeinflussen. Aber
solche Systeme sind komplex. Klar ist: In den
Bergen verschwindet das Eis. Unklar ist: Was
sind die Folgen? »In der Gegend des oberen
Missouri River sehen wir heute schon Dürren.
Die werden durch die immer frühere Schnee-
schmelze in Zukunft heftiger werden und
länger andauern. Im Sommer wird Flusswasser
fehlen, und es wird seltener regnen«, sagt
Pederson. »Wenn ich das aber auf einer Ver-
sammlung mit mehreren Farmern entlang des
Missouri sage, wird mancher mir nicht glau-
ben. Denn dieselbe frühe Schneeschmelze
sorgt im Gebiet des unteren Missouri für
Starkregen und Überflutungen.«
Das ist das Bedrohliche am Klimawandel:
Extremwetter-Ereignisse werden häufiger und
schwerer berechenbar. Wenn dann noch poli-
tische Taktik und persönliche Prägungen
2008
dazukommen, macht es die Frage, wie man
über Wissenschaft spricht, ziemlich komplex.
Manche sagen, auf eine exakte Abbildung
der Realität komme es dabei gar nicht an.
Melissa Sladek zum Beispiel. Sie hat zwölf
Jahre als Sachverständige für Wissenschafts-
kommunikation beim National Park Service
war gearbeitet und mit Schulklassen, Studie-
renden, Lehrkräften und Parkbesuchern ge-
sprochen. »Wenn ich die Fotos zeige, geht es
mir noch gar nicht darum, Information zu
vermitteln. Die Bilder sind geballte Emotion.
Und erst wenn jemand Emotionen für etwas
hat, beginnt er sich ehrlich zu interessieren und
hört zu.« Es sei wie bei einer gelungenen Ge-
schichte: Beim Einstieg gehe es ausschließlich
um Emotion und Identifikation, darum, einen
möglichst einfachen Zugang zu schaffen. Die
Details kämen dann später.
Caitlyn Florentine sagt, sie könne sich
vorstellen, das Fotoprojekt irgendwann wie-
der aufzugreifen, vielleicht in einem Inter-
vall von fünf Jahren. Sie betont das »irgend-
wann« und das »vielleicht«, sodass es mehr
nach Möglichkeit klingt als nach Vorhaben.
Fotos: William Clinton (l.), Lisa McKeon (r.)/USGS Denver Library Photographic Collection
Die Bilder, die den Grinnell zeigen oder
den Boulder-Gletscher, leben derweil weiter,
über soziale Medien erreichen sie Tausende.
Internationale Zeitungen fragen weiter nach
dem Material. Und Lisa McKeon bekommt
Mails von Menschen, die einen ihrer Vorträ-
ge gesehen haben: Sie hätten ihren Nach-
barn, Familien oder Freunden von den Ver-
änderungen erzählt, die kommen werden.
Die eine sprengt ihren Rasen nicht mehr, der
andere duscht kürzer. Aber auch Farmer, ein-
flussreiche Großgrundbesitzer in der Gegend,
wenden sich an ihre Kollegen aus der Wasser-
forschung. Sie hätten da diese krassen Fotos
gesehen ...
Mitarbeit:
Kim Shirin Cupal
! www.zeit.de/vorgelesen
36 WISSEN
Kinderarmut
»Nicht im Stich lassen!«
Inflation und Energiekrise bedrohen einkommensschwache Eltern und ihre Kinder. Die grüne Familienministerin Lisa Paus
spricht über Ausgrenzung durch Armut, die Rolle von Kitas und ihr wichtigstes Projekt, die Kindergrundsicherung
DIE ZEIT: Frau Paus, in Deutschland ist Paus: Für die drei Entlastungspakete hat die
jedes fünfte Kind armutsgefährdet. Was be- Bundesregierung viel Geld in die Hand ge-
kommen Sie als Bundesfamilienministerin nommen. Das sind insgesamt 95 Milliarden
davon mit? Euro, die zusätzlich bereitgestellt werden.
Lisa Paus: Da muss ich nicht lange suchen. In Dazu kommt noch der Rettungsschirm mit
meiner Partei, im Landesverband der Berliner 200 Milliarden Euro.
Grünen, gibt es eine große Zahl alleinerzie- ZEIT: Sie verteilen dieses Geld mal wieder mit
hender Mütter. Die haben verschiedenste der Gießkanne. Ärmere Familien werden da-
Schicksalsschläge erlebt, beziehen oft Hartz IV mit nicht stärker unterstützt als andere. Ein
oder sind auf mehrere Jobs angewiesen. erhöhtes Kindergeld kommt bei Hartz-IV-
ZEIT: Sie setzen das Schicksal Alleinerziehen- Empfängern gar nicht an, weil es sofort ver-
der automatisch mit der Kinderarmut gleich? rechnet wird. Und das Mehr beim Kinder-
Paus: Alleinerziehende und ihre Kinder haben zuschlag für einkommensschwache Eltern ver-
tatsächlich ein besonders hohes Armutsrisiko, pufft, weil diese Gelder oft nicht abgerufen
das zeigen die Statistiken. In Berlin lebt fast werden. Warum sollte sich das jetzt ändern?
jedes dritte Kind in Armut. Und bei jedem Paus: Der deutlich erhöhte Kinderregelsatz
einzelnen dieser Kinder stellt sich die Frage: wird bei den Hartz-IV-Empfängern sehr wohl
Wie schaffen wir es als Gesellschaft, dass sie ankommen. Aber es stimmt, der Kinder-
und ihre Familien nicht ausgegrenzt werden? zuschlag funktioniert nicht richtig. Bislang be-
ZEIT: Sie sind selbst eine alleinerziehende antragen ihn nur 30 Prozent der Berechtigten.
Mutter, haben einen 13-jährigen Sohn. Füh- Deshalb wollen wir die Kindergrundsicherung
len Sie sich ausgegrenzt? einführen. Dann werden alle, die auf staatliche
Paus: Nein, aber ich bin mir bewusst, dass ich Unterstützung angewiesen sind, das Geld be-
in meiner privilegierten Situation eine Aus- kommen, das ihnen zusteht.
nahme bin. Ich war nie arm. Viele andere ZEIT: Wie soll das konkret funktionieren?
werden dagegen ausgegrenzt, oft nicht einmal Paus: Alle Kinder erhalten durch die Kinder-
absichtlich. Zum Beispiel bei Kindergeburts- grundsicherung einen einheitlichen Garantie-
tagen, die unter Eltern längst zu einem Wett- betrag. Und den stocken wir für Kinder von
streit um das großartigste Event geworden Eltern mit geringem Einkommen mit einem
sind. Da darf es bloß nicht auffallen, dass Zusatzbetrag deutlich auf. Die Kindergrund-
man sich die Party und die Geschenke, die sicherung soll nahezu automatisch ausgezahlt
alle eingeladenen Kinder auch noch bekom- werden, ohne bürokratische Hürden und ohne
men sollen, nicht leisten kann. dass die Familien viele Anträge ausfüllen müs-
ZEIT: Kinderarmut ist oft verdeckt. sen. Für mich ist das eine Frage der Mensch-
Paus: Ja, und die Stigmatisierung von Armut lichkeit. Wir können es uns nicht leisten, 20
Foto: Katrin Binner für DIE ZEIT (Frankfurt, 21.10.22)
hat in unserer Gesellschaft eher zugenom- Prozent unserer Kinder so im Stich zu lassen.
men. Dass es ihre individuelle Schuld sei, ZEIT: Sie setzen sich als Grünen-Politikerin
wenn Menschen in Armut leben, dass es seit Jahren für die Kindergrundsicherung ein.
nichts bringe, ihnen mehr Geld zu geben – Warum versprechen Sie sich im Kampf gegen
all diese Vorurteile halten sich hartnäckig. die Kinderarmut so viel davon?
Dabei kann es jedem passieren, in Armut Paus: Weil wir damit endlich das Kind in den
abzurutschen, ob durch plötzliche Arbeits- Mittelpunkt stellen und es keine Rolle mehr
losigkeit, Unfall, psychische Erkrankung spielt, ob es in einer traditionellen Familie,
oder Trennung. bei getrennten Eltern, einer alleinerziehenden
ZEIT: Steigende Lebensmittelkosten und Mutter oder in Regenbogenfamilien auf-
Energiepreise werden den Alltag von fast drei wächst. Der Sozialstaat hat die Aufgabe,
Millionen Kindern in armutsgefährdeten jedem Kind ein unbeschwertes Aufwachsen
Familien weiter verschärfen. Wie wollen Sie Lisa Paus, 54, übernahm im April 2022 das Bundesfamilienministerium. und gute Startchancen zu ermöglichen, unab-
als Familienministerin darauf reagieren? Die alleinerziehende Mutter hat sich zuvor einen Namen als Finanzexpertin gemacht hängig vom sozialen Status und Einkommen
der Eltern.
ZEIT: Mit Blick auf den kommenden Winter
ANZEIGE schlagen die Tafeln Alarm; immer mehr Kin-
der und Jugendliche sind auf sie angewiesen.
Muss sich die Politik da nicht beeilen?
Paus: Wir helfen jetzt schnell und kurzfristig
07–
mit den Entlastungspaketen. Parallel arbeiten
sieben Ministerien an der Kindergrundsiche-
11/
rung. Im Januar werden wir die Eckpunkte
beschließen und 2023 ein Gesetz vorlegen,
Nov das wir 2024 hoffentlich verabschieden. Dann
könnten wir 2025 das Geld auszahlen. Die
Kindergrundsicherung ist ein Paradigmen-
wechsel. Das ist eine komplexe Aufgabe. Noch
schneller wird es leider nicht gehen.
ZEIT: Dann ist die Legislaturperiode schon
fast wieder vorbei. Was macht Sie zudem so
sicher, dass Sie in diesen Krisenzeiten das Geld
für die Kindergrundsicherung überhaupt zu-
sammenbekommen? Schätzungen gehen von
20 Milliarden Mehrkosten pro Jahr aus.
Paus: Alle in der Koalition, auch der Bundes-
kanzler, stehen hinter diesem Projekt.
ZEIT: Armut zeigt sich nicht nur finanziell.
Es geht immer auch um soziale und kulturelle
Teilhabe, um Bildungschancen. Die Ergeb-
nisse aktueller Leistungsvergleiche zeigen,
dass viele Kinder schon in der Grundschule
abgehängt werden, weil sie nicht ausreichend
lesen und rechnen lernen.
Paus: Diese Daten sind alarmierend. Wir dür-
fen nicht zulassen, dass rund 30 Prozent der
Kinder als funktionale Analphabeten die
Grundschulen verlassen. Fehlende Bildungs-
chancen sorgen für noch mehr Armut. Uns
Herausforderung und Chance: stecken zwei Jahre Corona in den Knochen,
Der grüne Umbau der Wirtschaft zwei Jahre, in denen das Wohlergehen und die
individuelle Förderung der Kinder nicht aus-
Die EU will 2050 klimaneutral sein, Deutschland bereits 2045. reichend politisch berücksichtigt wurden. Die
Für die Wirtschaft, allen voran die Industrie, ist dies ein historischer Lernrückstände sind genauso erschreckend
Kraftakt. Er birgt aber auch enorme Chancen, Deutschlands Wett- wie die psychischen und physischen Proble-
bewerbsfähigkeit in der Welt zu stärken. In unserer Green Innovation me, die bei vielen Kindern und Jugendlichen
Week vom 7. bis zum 11. November dreht sich daher alles darum, wie während der Lockdowns entstanden sind.
wir das Ziel „Net Zero“ erreichen können. Es geht um vorausschauende ZEIT: Was machen Sie mit diesen Befunden?
Politik, vielversprechende Technologien, innovative Finanzierungs- Paus: Wir brauchen an den Schulen mehr
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, vor al-
modelle und vieles mehr: gedruckt, digital und als Podcast. lem in Gegenden und Stadtteilen, wo es die
Menschen ohnehin nicht einfach haben.
Aktuell planen wir ein Programm, das »Mental
Coaches« ausbildet. Das sind Menschen, die
Jetzt mehr erfahren unter: Gespräche führen, um Ängste und Sorgen der
handelsblatt.com/greeninnovationweek Kinder und Jugendlichen aufzufangen. Überall
fehlen Therapeuten, deshalb machen wir nied-
rigschwellige Angebote direkt an den Schulen.
ZEIT: Noch ein Projekt? Sie haben als Minis-
terium gerade erst eine Milliarde Euro in das
Corona-Aufholprogramm gesteckt. Geld,
von dem viele sagen, es versickere und kom-
me nicht bei den Kindern an.
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
Paus: Wer sagt das? Wir haben viel in Freizeit-
aktivitäten, Ferienangebote und Erholungs-
möglichkeiten investiert – für Familien, die
wenig Geld haben und von Corona hart ge-
troffen wurden. Diese Angebote wurden sehr
gut angenommen.
ZEIT: Als Konsequenz aus den schlechten
Lernleistungen in der Grundschule rufen jetzt
viele nach einer früheren Förderung in der
Kita. Ist die Kita überhaupt ein Bildungsort?
Paus: Unbedingt! Ich würde mir wünschen,
dass das keiner mehr infrage stellt. Kitas sind
Orte, an denen ungleiche Startchancen aus-
geglichen werden können, indem die Kinder
gefördert werden.
ZEIT: Sie selbst riskieren gerade das Ende eines
der wirksamsten frühkindlichen Bildungspro-
gramme, weil Sie entschieden haben, dass der
Bund sich aus der Finanzierung der Sprach-
Kitas zurückzieht. War das ein Fehler?
Paus: Der Bund darf Modellprogramme nur
befristet unterstützen, das ist so im Föderalis-
mus. Ich setze mich aber mit aller Kraft dafür
ein, dass die Sprach-Kitas eine dauerhafte Per-
spektive bekommen, indem sie in die langfris-
tige Finanzierung durch die Länder übergehen.
ZEIT: Sprachförderung ist ein wichtiges In-
strument zur Armutsbekämpfung. Es kam so
an, als sei Ihnen das nicht wirklich wichtig.
Paus: Das Gegenteil ist der Fall! Ich habe den
Ländern eine Brücke gebaut und zusätzlich
rund 100 Millionen Euro angeboten, um den
Fortbestand der Sprach-Kitas zu sichern. Auf
dieser Brücke sind mir bisher nur einzelne
Bundesländer entgegengekommen. Leider
scheinen die Länder in ihrer Gesamtheit der-
zeit nicht bereit zu sein, die Verantwortung
für das Programm zu übernehmen. Da kann
ich nur sagen: Viel Zeit haben wir nicht mehr.
ZEIT: Und jetzt?
Paus: Jetzt hoffe ich auf die Wirkung des
Kita-Qualitätsgesetzes, das wir gerade auf den
Weg gebracht haben. Es umfasst für die
nächsten zwei Jahre vier Milliarden Euro.
ZEIT: Das Gesetz gilt als Nachfolger des Gute-
Kita-Gesetzes von Franziska Giffey, die eine
ihrer Vorgängerinnen war. Die Bildungsquali-
tät in den Kitas wurde damit nicht erhöht. Die
Situation in den Einrichtungen war selten so
angespannt. Gerade hat eine Studie der Bertels-
mann Stiftung gezeigt, dass bundesweit nicht
nur Betreuungsplätze fehlen, sondern auch
mehr als 90.000 Fachkräfte. Rächt es sich jetzt,
dass die Länder das Geld vom Bund bisher vor
allem genutzt haben, um die Eltern von Kita-
Gebühren zu entlasten?
Paus: Das wird so nicht mehr möglich sein.
Mit dem neuen Gesetz stellen wir ab 2023
ganz klar die Qualität der Betreuung in den
Mittelpunkt, Sprachförderung muss dann
zentral sein, wenn die Länder von diesem Geld
profitieren wollen.
ZEIT: Wäre es nicht an der Zeit, die Belange
von Kindern und Jugendlichen in die Verant-
wortung eines Ministeriums zu geben? Warum
kümmert sich nicht ein Haus um ein gesundes
Aufwachsen von Anfang an, um Betreuung,
Bildung und Familienförderung?
Paus: Entscheidend ist doch, dass wir eine
Politik für Kinder und Jugendliche machen,
dass wir ihnen zuhören und sie ernst nehmen.
Zugegeben, das tun wir noch zu wenig, aber
das ändern wir gerade.
ZEIT: Was ist das für Sie: eine moderne Kin-
der- und Jugendpolitik?
Paus: Ganz wichtig wäre dafür, endlich die
Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben.
ZEIT: Das Vorhaben ist erst im vergangenen
Jahr gescheitert. Auch die Grünen konnten
das nicht verhindern.
Paus: Es liegt nicht an den Grünen. Es muss
sich nur eine Partei dafür bewegen, die CDU.
Jene Partei, die immer so betont, wie wichtig
ihr Kinder und Familie seien.
ZEIT: Was würde sich konkret verändern,
wenn Kinderrechte im Grundgesetz stünden?
Paus: Damit müssten die Bedürfnisse von
Kindern und Jugendlichen bei sämtlichen
Entscheidungen und allen Gesetzen mitge-
dacht und berücksichtigt werden. Gerade
nach den Erfahrungen der Pandemiejahre
und den monatelangen Kita- und Schul-
schließungen, aber auch mit Blick auf den
Klimawandel, wäre das ein wichtiges Signal.
ZEIT: Könnten Kinder dann bessere Bildung
einklagen?
Paus: Ich bin keine Juristin, aber ich kann mir
vorstellen, dass sich durch eine Verfassungs-
änderung eine ganz neue Rechtsprechung ent-
wickelt. Kinderrechte würden nicht mehr ab-
geleitet, sondern wären eigenständige Rechte.
Politische Entscheidungen würden viel kriti-
scher geprüft, weil man stets fragen müsste:
Welche Folgen hat das für die Zukunft der
Kinder?
Das Gespräch führten Jeannette Otto
und Martin Spiewak
DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022 WISSEN 37

Psychotherapie

F
olge eins, Minute drei, ein Blick in
den Spiegel. Ungelenk tupft sich
eine Kinderhand Schminke ins
Gesicht. »Das mit dem Lidschatten
ist gar nicht so einfach«, sagt die
Sechsjährige und blickt sich selbst
in die Augen, »das muss man üben.«
Hinter ihr sitzt eine Frau und tut nicht viel, sie be-
obachtet nur. Darum geht es hier, in der neuen
Fernsehserie Safe: dem Kind eine Bühne zu geben.
Drehbuch und Regie stammen von der Oscar-
Preisträgerin Caroline Link. In acht Folgen begleitet
Foto: Julia von Vietinghoff/ZDF aus »Safe« 2022
Waschlappen, der irgendwie doch ganz okay ist.
Etwas glättet sich, plötzlich trägt der Boden wieder.
Die zeitlupenhafte Langsamkeit ist ungewohnt
im Fernsehen, fast quälend. Die Zuschauerin muss
es der Therapeutin Katinka und ihrem Kollegen Tom
gleichtun: beobachten, zuhören, reden lassen. Link
hat die Drehbücher gemeinsam mit zwei Kinder-
therapeuten geschrieben; die Serie zeigt, wie die so-
genannte nichtdirektive Spieltherapie abläuft, bei der
die Therapeuten das Kind nur passiv beim Spielen
begleiten – mit dem Ziel, dass es auf diesem Wege
selbst eine Lösung für seine inneren Konflikte findet.
Dass es helfen kann, wenn ein Therapeut beim
Übersetzen hilft.
Aber Achtung! Diese Serie ist Fiktion – und damit
wie jedes ästhetische Kunstwerk manipulativ. Caro-
line Link treibt die Zuschauerin in die Enge, bis sie
nicht mehr anders kann, als sich zu fragen: Wie viel
Kindheitsgefühle kann ich aushalten, bei meinem
eigenen Kind – oder dem, das ich selbst einmal war?
In einer Szene tigert Ronjas Vater (Sönke
Möhring) nervös durchs Therapiezimmer. Ein
Hochbett, ein Flauschteppich, eine Verkleidungs-
kiste. Es gehe hier darum, sich selbst zu erkunden,

Therapeut Tom (Carlo Ljubek, li.) und sein Patient Sam (Valentin Oppermann)
sie zwei Kindertherapeuten bei der Arbeit (gespielt
von Judith Bohle und Carlo Ljubek). Oder besser:
Link begleitet zwei Kinder und zwei Jugendliche beim
Fühlen, die Erwachsenen stehen drumherum. Es ist
ein Kammerspiel im Spielzimmer – so markerschüt-
ternd nah und realistisch wirkt es, als quelle das
Innenleben dieser Kinder aus dem Fernseher heraus.
Die Diagnosen der jungen Patienten: »Störun-
gen des Sozialverhaltens«, »Depressionsreaktion
nach Belastungssituation«. Ronja, 6, macht Krawall
im Kindergarten. Jonas, 8, wird immer schweig-
samer. Nellie, 15, hat Panikattacken. Sam, 17, ist
gewalttätig. Etwas wütet in diesen Kindern. Sie
erzählen nicht, was es ist, äußern sich aber den-
noch. Ronja malt sich die Lippen rot und referiert:
Mit den Jugendlichen gelingt das bereits durch erklärt die Therapeutin. Der Vater: »Klingt ’n biss-
Gespräche, in denen die chaotische Gefühlswelt einen chen nach Hokuspokus, würde meine Omma dazu
Ausdruck findet, ohne bewertet zu werden. sagen.« Die Therapeutin: »Ich glaube, wir wollen
Wer als Zuschauerin diese Intensität aushält, sieht unsere Gefühle verstehen.« Der Vater: »Gefühle,
mit einem Mal nicht mehr nur die Kinder – die ANZEIGE
Kindheit selbst tritt in Erscheinung. Dieser radikale
Zustand, in dem man der Welt noch offen entgegen-
wächst, statt sich abzuschirmen gegen die überall FÜR MEHR WIRTSCHAFTSWISSEN:
lauernden Verletzungen.
Wie in allen Kinofilmen von Caroline Link ist
das Filmset auch hier von geschmackvoller Bürger-
Ihr Gutschein
im Wert von
29,99 €
lichkeit, von der weinroten Küchenfront über das
formschöne Wasserglas bis zum glänzenden Haar
der Therapeutin. Diese warme Perfektion kann
übersättigend wirken, zu süß, zu fettig. Doch sie

Etwas wütet
»Männer wollen, dass man sich auch mal schön
macht für sie.« Sam führt seine neue Military-
Hose vor, da finde auch ein Messer seinen Platz.
Nellie ist rastlos, will sich ständig bewegen. Jonas
kleckert beim Kakao-Anrühren, zuckt zusammen
und sagt: »Ich mach immer Sauerei.«
folgt einem ästhetischen Programm: Link zeichnet
alles Äußerliche weich und wohlig, damit der Code: W7S-ZT2-X4W
kindliche Schmerz umso schneidender wirkt.
Nach Kinofilmen wie Jenseits der Stille (1996),
Nirgendwo in Afrika (2001) oder Der Junge muss
an die frische Luft (2018) schreibt sie auch mit Einlösbar unter

in ihnen
Vier Biografien entfalten sich, langsam schält sich
heraus, woher der Schmerz rührt: Stress, Gewalt, Tod,
Angst. Die Kinder spiegeln das, was sie umgibt, eine
teils bedrückende, kaputte Erwachsenenwelt.
Es geschieht nicht viel in dieser Serie, jedenfalls
auf der Handlungsebene. Link unterlässt vieles,
was für mehr Spannung oder Tempo sorgen könn-
te. Musik, schnelle Schnitte, Nebenfiguren. Das
In der Fernsehserie »Safe« mutet Oscar-Preisträgerin Privatleben der Therapeuten, die ihrerseits mit
Caroline Link ihren Zuschauern radikale Begegnungen ihrem Leben ringen – mit der Tochter, dem Vater,
der Liebe –, wird nur am Rand miterzählt. Da-
zu – und fragt: Wie viel Kindheit halten wir aus? zwischen hält die Kamera einfach drauf und ver-
harrt im Therapiezimmer: Ronja verbuddelt ein
VON ANNA-LENA SCHOLZ Püppchen im Sandkasten, Jonas baut einen Berg
aus Kissen, Nellie fläzt sich aufs Sofa und giftet
herum. Und doch passiert etwas. Ronja lacht nach
einer Weile wieder wie eine Sechsjährige. Jonas
findet im Ferienlager Freunde. Sam grollt nicht
mehr gegen seinen Pflegevater Norbert, diesen
dieser ersten umfassenderen Arbeit fürs Fernsehen wiwo.de/code
ihr Leitmotiv fort: Wie wachsen wir zu einem
Menschen heran?
Die Serie erscheint in einer Zeit, in der die men-
talen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen in
drastischem Maße zunehmen und der Andrang auf
Therapieplätze weit größer ist als das Angebot. Zu-
gleich steht die psychische Selbsterkundung hoch im
Kurs, es boomt ein lukrativer Markt an Coaches,
Lebenshilfe-Seminaren und Ratgeber-Literatur
(ZEIT Nr. 21/22). Allerlei Fernsehserien (In Therapie, wenn ich das schon höre, da wird mir gleich ganz
Sex Education) richten die Kamera aufs Therapeuten- anders.« Seine Halsader pocht.
sofa. Es ist schon interessant: Die Welt da draußen Das ist ja die Zumutung – dieser Serie, der
bombt und kracht, und als sei das nicht genug, Kunst, des Lebens: dass uns innerlich ganz anders
spürt der Gegenwartsmensch auch noch, wie sehr die werden kann. Zum Schlechteren, aber auch zum
Kindheitsmuster an der Seele zerren. Besseren.
Safe reiht sich hier ein – als humanistisches
Plädoyer, vom Lebensanfang her erzählt. Die Serie Die achtteilige Serie »Safe« läuft ab 28. Oktober in der
zeigt, dass Kinder eine andere Sprache sprechen. ZDF-Mediathek und ab 8. November auf ZDFneo

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38 WISSEN 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

Das All auf Erden (2/6) Frisch erforscht

In Peking – Meeresschutz nützt
Salatzucht für die Mondmission Fischen und Fischern
Langleinen haben eigentlich nichts mit
dem Schutz von Fischen zu tun. Es sind
kilometerlange Fanggeräte, die auf ho-
her See ausgebracht werden. Von ihnen
hängen oft Hunderte oder gar Tausende
Haken herab mit Ködern, die dann etwa
Thunfische anlocken, aber auch Haie
oder Seevögel (die dann qualvoll und
sinnlos verenden, als sogenannter Bei-
fang). Doch ausnahmsweise half dieser
Langleinen-Fischfang nun dabei, he-
rauszufinden, wie gut ein Naturschutz-
gebiet in der direkten Nachbarschaft
funktioniert – in einer ungewöhnlichen
Forschungsarbeit zweier Ökologinnen
und eines Ökonomen.
Sarah Medoff und John Lynham von
der University of Hawaii und Jennifer
Raynor von der University of Wiscon-
sin in Madison wollten das Papahānau-
mokuākea Marine National Monument
untersuchen, das im Pazifik vor Hawaii
liegt. Im Jahr 1909 war es als Rückzugs-
gebiet für Seevögel ausgewiesen worden,
im Jahr 2006 wurde es vom damaligen
US-Präsidenten George W. Bush erwei-
Foto: Ju Huanzong/Xinhua/Sipa/action press
um Papahānaumokuākea herum. So
fingen die Fischer dort rund 50 Prozent
mehr Gelbflossen-Thunfische. Interes-
sant ist die Forschungsarbeit aus zweier-
lei Gründen: erstens, weil sie einen Ef-
fekt bei Meeresbewohnern belegt, die
über lange Strecken schwimmen – die
also den geschützten Bereich verlassen.
Denn während schon lange klar war,
dass Korallen oder Hummer von Schutz-
gebieten profitieren, war dies bei Fischen
mit großem Bewegungsdrang umstrit-
ten. Zweitens, weil dieser Effekt sogar
jener Branche nutzt, die man gemeinhin
nicht mit Meeresschutz verbindet.
»Es ist schon aufregend zu sehen,
dass auch die Fischereiindustrie von
diesem Schutzgebiet profitiert«, zitiert
Nature David Kroodsma, Forschungs-
direktor bei der NGO Global Fishing
Watch in Oakland. Der Experte für
globale Fischerei sagte jedoch, dass die
Ergebnisse nicht automatisch übertrag-
bar seien.
Denn Papahānaumokuākea stellt
nicht nur mit seiner schieren Dimension

Die Bewohnerinnen des »Mondpalastes« bauten auch Gemüse an
Von selbst angebauten Erdbeeren bis zum celte. So hat sie sich selbst versorgt. Für
recycelten Abwasser: Im Yuegong-1, chine- künftige Langzeitmissionen auf dem Mond
sisch für »Mondpalast«, testeten Wissen- dürfte es entscheidend sein, dass Astronau-
schaftlerinnen und Wissenschaftler 2014 tinnen und Astronauten nicht ständig von
und 2017/18, wie eine autonome Mondbasis irdischem Nachschub abhängig sind. Im
funktionieren könnte. Bis zu 200 Tage lang Yuegong-1 wurden Kondenswasser, Abwas-
lebten Freiwillige in dem 160 Quadratmeter ser und Urin aufgefangen und gereinigt.
großen Labor an der Pekinger Universität für Zwei von drei Modulen dienten als Ge-
Luft- und Raumfahrt. Die Station verfügte wächshaus. Unter LED-Licht bauten die Be-
über ein System, das Wasser und Luft recy- wohner Getreide, Obst und Gemüse an. Bei
In dieser Serie zeigen wir Bilder von sogenannten Analogmissionen. Forscher simulieren damit Weltraummissionen auf der Erde
einem Team von drei Leuten sollte so mehr
als die Hälfte des Nahrungsmittelbedarfs ge-
deckt werden. Die Pflanzen produzierten au-
ßerdem Sauerstoff für die Station. Gedüngt
wurden sie unter anderem mit den Ausschei-
dungen der Crew. Wer auf dem Mond leben
will, darf nicht zimperlich sein. Das gilt ge-
nauso für die Versorgung mit Eiweiß. Das
Team züchtete auch Fleisch selbst – in Form
von Mehlwürmern. ALENA WEIL
tert zum größten Schutzgebiet in ame-
rikanischen Gewässern und schließlich,
zehn Jahre später, von Barack Obama
auf die vierfache Größe ausgedehnt. Die
Trawler der Fangflotten müssen drau-
ßen bleiben.
Um herauszufinden, wie gut das
Gebiet tatsächlich Arten schützt, hat das
Forscherteam nicht etwa Fische direkt
im Gebiet beobachtet. Sondern analy-
siert, wie viele Tiere außerhalb der Gren-
zen von Langleinen-Fischern gefangen
wurden. »Wir finden Belege für einen
übergreifenden Nutzen«, berichten sie
nun in Science. Das bedeutet: Der
Schutz wirkt sich auch außerhalb aus.
Denn Daten von Fischerbooten aus
den Jahren 2010 bis 2019 zeigten, dass
mehr Gelbflossen-Thunfische (Thunnus
albacares) und Großaugen-Thunfische
(Thunnus obesus) an den Haken der
Langleinen hingen, nachdem das Schutz-
gebiet im Jahr 2016 ausgedehnt worden
war. Am deutlichsten äußerte sich das
innerhalb der ersten hundert Seemeilen
eine Ausnahme dar (es ist viermal so
groß wie Deutschland). Weil das Schutz-
gebiet grob den Inseln der westlichen
zwei Drittel des hawaiianischen Archi-
pels folgt, zeigt es wie ein Finger von Ost
nach West (und das rund 2000 Kilome-
ter weit). Thunfische, die vorzugsweise
in Ost-West-Richtung wandern, können
also über weite Strecken innerhalb der
Schutzzone bleiben und dort Nach-
wuchs zeugen.
Solche Erkenntnisse zur Größe, Lage
und Form von Schutzgebieten sind rele-
vant, weil sie im Kontext einer großen
globalen Anstrengung stehen: Bis zum
Jahr 2030 sollen 30 Prozent aller Land-
und aller Meeresflächen unter Schutz ge-
stellt werden. Zu diesem sogenannten
30x30-Ziel haben sich in den vergangenen
Jahren schon etliche Länder bekannt,
darunter die USA und die EU-Staaten
(ZEIT Nr. 34/21). Dass nicht die Größe
allein entscheidet, sondern auch die kon-
krete Ausgestaltung, das zeigen die Thun-
fische von Hawaii. STEFAN SCHMIT T

Stimmt’s?
Wer Alufolie hinter
Es ist nie der
richtige Zeitpunkt, die Heizung klebt,
spart Energie
es ist nie der richtige Tag.
Es ist nie alles gesagt.
Es ist immer zu früh.
Und doch sind es
die Erinnerungen, Gedanken,
Gefühle, schöne Stunden und
Momente, die einzigartig
und unvergessen bleiben. Der Winter naht, und dieses Mal wird das
Diese Momente gilt es Heizen erheblich teurer sein als letzten
festzuhalten, einzufangen Winter. Lässt sich der Energieverbrauch
und im Herzen zu bewahren. mit einem einfachen Stück Alufolie hinter
dem Heizkörper messbar senken?
Solche Maßnahmen sollen Verluste
durch die Außenwand verhindern. Die
Wärme des Heizkörpers gelangt auf zwei
Völlig unerwartet und für uns alle unfassbar müssen wir nun für immer unterschiedlichen Wegen zu dieser
Abschied nehmen von unserer sehr geschätzten und geliebten Wand: erstens durch Wärmestrahlung,
also infrarote elektromagnetische Wel-
len. Und zweitens durch Konvektion,
die Bewegung warmer Luft, die dann die
Wand aufheizt.
*16.6.1939 † 15.10.2022 Die Aluminiumfolie reflektiert elek-
tromagnetische Strahlung, nicht nur im
sichtbaren Spektrum, sondern auch im
infraroten. Die Wärmestrahlung wird
In unendlicher Trauer, Liebe und Dankbarkeit, wie von einem Spiegel zurückgeworfen.
Allerdings macht sie nur einen kleinen
Teil der Wärmeenergie aus – der weitaus
größere Teil wird durch Konvektion
übertragen. Da isoliert die dünne Folie
Kondolenzanschrift: kaum. Deshalb haben die speziellen
Bestattungs-Institut Fink, Frankenstraße 14, 65183 Wiesbaden Heizkörper-Reflexionsfolien, die man
kaufen kann, zusätzlich zur Alufolie eine
Die Trauerfeier Ihr zu Ehren fand am Dienstag, den 25. Oktober 2022, um
wärmedämmende Schicht.
13.30 Uhr auf dem Südfriedhof Wiesbaden, Siegfriedring 25, statt.
Solche Folien können tatsächlich den
Die Urnenbeisetzung findet zu einem späteren Zeitpunkt in Kiel statt.
Wärmeverlust direkt hinterm Heiz-
Im Sinne der Verstorbenen bitten wir um eine Spende zugunsten des körper um mehr als die Hälfte reduzie-
Kinderhospiz Bärenherz Wiesbaden. IBAN: DE21 5107 0024 0018 1818 00 ren. Aber eben nur auf dieser kleinen
Stichwort: Margrit Howe-Neuy. Fläche – der Rest der Wand lässt die
Wärme genauso gut durch wie vorher.
Was bedeutet das nun für die Heiz-
kosten? Die Wirkung dieser Reflexions-
folien ist rechnerisch und in praktischen
Experimenten ermittelt worden. Italie-
nische Forscher kalkulierten 2008 den
Effekt für die drei Städte Turin, Perugia
und Palermo. Sie kamen zu dem Ergeb-
nis, dass die Ersparnis gar nicht so sehr
vom Außenklima abhängt (in Nord-
italien, wozu Turin gehört, ist es im
Winter sieben Grad kälter als im Süden),
sondern vor allem von der bereits existie-
renden Wärmedämmung des Hauses.
Wenn die sehr schlecht ist, lassen sich
durch die Folien fast neun Prozent Heiz-
kosten einsparen. Ist das Haus dagegen
schon gut isoliert, reduziert sich die
Rechnung für Gas, Öl oder Strom um
weniger als ein Prozent. Das Fraunhofer-
Institut für Bauphysik war schon 1980
experimentell zu einem ähnlichen Er-
gebnis gekommen.
Aber weil sich die Heizkosten in
Deutschland innerhalb des letzten Jahres
fast verdoppelt haben, kann schon eine
Einsparung von wenigen Prozent das
Haushaltsbudget entlasten, zumal die
Folien recht preiswert sind. Wer sich
dafür entscheidet, sollte die Folie so ver-
kleben, dass sie lückenlos an der Wand
anliegt. Sonst kann sich in den Hohl-
räumen Feuchtigkeit bilden, und die
Wand schimmelt. CHRISTOPH DRÖS SER

! www.zeit.de/vorgelesen

Diese Woche fragt Christoph Egert aus Neu-Ulm.

Und worauf suchen Sie eine Antwort? Schreiben Sie an: DIE ZEIT, Wissen-Ressort,
20079 Hamburg, oder stimmts@zeit.de. Das Archiv: www.zeit.de/stimmts
 ANZEIGE | IT
NAME
& DIGITALISIERUNG
SONDERTHEMA | Ein Spezial des Zeitverlags 21

IT & DIGITALISIERUNG
Die vierte industrielle Revolution
NICOLE MAIBAUM
Der Begriff »Industrie 4.0«
ist in Wirtschaftskreisen in
aller Munde und dominiert das
Geschehen auf verschiedenen
Ebenen: Zahlreiche Unterneh-
men treiben intern ihre digitale
Transformation voran, die
IKT-Branche streicht Rekordum-
sätze ein, mehrere Zehntausend
neue Arbeitsplätze werden so
jedes Jahr geschaffen, und auch
in der Start-up-Szene ist die
Informations- und Kommunika-
tionstechnologie das wichtigste
Gründungsumfeld.
Sei es 1956 der Beginn der KI-For-
schung, 1971 das Versenden der
ersten E-Mails, 1991 der offi zielle
Start des World Wide Web, 1995
das erste Cloud System, 2004 die
Gründung von Facebook und da-
mit der Start der Social Media-Ära
oder aber auch etwa 2015 bei Ama-
zon die »Geburt« der Sprachas-
sistentin Alexa – bei einer Reise
durch die vergangenen Jahrzehnte
stößt man in der Geschichte der
Digitalisierung auf so manch Mei-
lenstein, der zu seiner Zeit uner-
forschtes Neuland war und heute
längst wesentlicher Bestandteil
nicht nur des täglichen Geschäfts-
lebens ist. Die Informations- und
Kom mu n i kat ionstech nolog ie,
kurz IKT, bestimmt mit all ihren
Facetten viele Teile unseres Alltags,
und so verwundert es kaum, dass
sich gerade in der Start-up-Szene
immer wieder kluge Köpfe neue
Ideen und Innovationen in dieser
Richtung einfallen lassen.
Konkret: Laut dem erst vor we-
nigen Tagen, am 29. September,
erschienenen Deutschen Start-up
Monitor 2022 dominiert die In-
formations- und Kommunika-
Start-ups können
von Digitalisierung
deutlich profitieren
tionsbranche deutlich mit knapp
30 Prozent. Fast zwei Drittel (65,1
Prozent) der Start-ups ordnen sich
zudem einem digitalen Geschäfts-
modell zu, die Mehrheit hier
von dem Bereich Software-as-a-
Service (SaaS). Außerdem ist fast
jedes fünfte Start-up (19,7 Pro-
zent) im Bereich Technologieent-
wicklung oder -produktion aktiv.
Dabei ist fast paradox, dass sich die
Gründerinnen und Gründer nicht
nur dem Bereich Digitalisierung
zuordnen lassen, sondern bereits
auch extrem von ihr profitieren.
Denn etliche Aspekte, auf die sich
insbesondere ein Start-up konzen-
trieren muss, wurden und werden
dank Softwarelösungen und der
Nutzung von Onlinekanälen ein-
facher. Dazu zählen zum Beispiel
die Vermarktung bzw. das Marke-
ting, die Auffi ndbarkeit, möglichst
niedrige Geschäftskosten, die
Konzentration auf Kundennähe
ebenso wie der Vertrieb von Ni-
schenprodukten an eine mitunter
weit verstreute Klientel. Digitaler
Vertrieb und das Versandgeschäft
haben zu Vereinfachungen in der
Mit Logistik geführt, wodurch in kur-
einem Umsatz von zer Zeit auch von neu gegründeten
Unternehmen bereits große Kun-
voraussichtlich denkreise erreicht werden können.
113 Milliarden Euro Was gut klingt, zeigt sich üb-
ist die rigens auch in barer Münze. So
wird in der Informationstechnik
Informationstechnik für dieses Jahr ein Umsatz von
weiter auf Wachs- 113 Milliarden Euro erwartet, was
tumskurs. im Vergleich zu 2021 ein Wachs-
tum um 6,7 Prozent bedeutet. Die
Ausgaben für Software werden in
diesem Segment mit voraussicht-
lich 8,8 Prozent auf 32,4 Milliarden
Euro das größte Wachstum ver-
zeichnen. Die IT-Services haben
mit einem Volumen von 43,6 Milli-
arden Euro auch im Jahr 2022 (plus
3,7 Prozent) noch vor der IT-Hard-
ware den größten Anteil am IT-
39.000 neue Jobs
Markt. Die Ausgaben für IT-Hard-
ware steigen im laufenden Jahr um
6,7 Prozent auf 37 Milliarden Euro.
Die Telekommunikation setzt das
Wachstum aus dem Vorjahr vor-
aussichtlich fort mit einem Plus
von 5,3 Prozent auf 67,7 Milliar-
den Euro. Für die Teilmärkte der
TK-Endgeräte und der TK-Infra-
struktur wird ein Wachstum von
2,9 beziehungsweise 2,7 Prozent
auf 11,9 beziehungsweise 6,9 Mil-
liarden Euro prognostiziert. Die
Investitionen in Telekommunika-
tionsdienste steigen im Jahr 2022
um ein Prozent auf 48,8 Milliarden
Euro. All diese Zahlen basieren auf
Berechnungen des Bitkom e. V., des
Branchenverbands der deutschen
Informations- und Telekommuni-
kationsbranche. Demnach werden
bis zum Jahresende die IKT-Unter-
nehmen in Deutschland zudem
voraussichtlich 39.000 zusätzliche
Jobs schaffen. Aktuell sind rund
1,25 Millionen Menschen in der
Branche beschäftigt und sorgen
dafür, dass die vierte industrielle
Revolution, die Vernetzung von
Menschen, Maschinen, Anlagen,
Logistik und Produkte, in vollem
Gange ist. 

Strategie für einen Aufbruch

Die Bundesregierung hat
Ende August in ihrer Digital-
strategie den digitalen Fortschritt
bis 2030 formuliert. Es sind
konkrete Vorhaben, die dieses
Jahrzehnt für Deutschland
zu einer digitalen Dekade
machen sollen.
www.bundesregierung.de

Finanzhilfen vom Staat

Keine Frage: Um sich im Wett- Um wettbewerbs- tigung, den Aus- und Aufbau der
bewerb nachhaltig behaupten fähig zu sein und Infrastruktur für Big Data-An-
zu bleiben und um
zu können, sollte die Digitali- digitale Prozesse wendungen und auch mögliche
sierung in allen Geschäfts- im Unternehmens- Weiterbi ldu ngsma ßna h men
geschehen zu
prozessen im Unternehmen im Bereich Digitalisierung. Der
etablieren, greifen
fest etabliert sein. Das aber Bund und Länder Kreditbetrag liegt zwischen
kostet Geld – und zumeist auch mit attraktiven 25.000 und 25 Millionen Euro
Förderprogram-
nicht wenig. Um die Wichtigkeit ab circa 1,95 Prozent effektivem
men (Jung-)Unter-
für den Wirtschaftsstandort nehmen finanziell Jahreszins. Wichtig zu wissen:
Deutschland wissend, greifen unter die Arme. Die Beantragung eines solchen
Bund und Länder daher (Jung-) KfW-Kredits erfolgt über die
Unternehmen sowie auch Frei- Hausbank. Diese ermittelt auch
beruflerinnen und Freiberuf- den individuellen Zinssatz an-

„Unsere Idee rollt weiter –

lern mit attraktiven Förderpro- hand der wirtschaftlichen Ver-
grammen unter die Arme. hältnisse und der Qualität der
Sicherheiten. Die Mindestlauf-

vom Start-up in Richtung

Die zunehmende Digitalisie- zeit beträgt generell zwei Jahre.
rung des gesamten Geschäfts- Mehr über die konkreten Inhalte
alltags ist aktuell eine der größ- plus die Möglichkeit, mit dem

Mittelstand.“ ten Herausforderungen für et-

liche Unternehmen, und dies
gerade auch in finanzieller Hin-
zu unterstützen. Konkret: Ge-
fördert werden Beratungsleis-
tungen mit einem Fördersatz
tionen her überdies attraktiv ist
der ERP-Digitalisierungs- und
Innovationskredit der Kreditan-
KfW-Förderassistenten den An-
trag bereits vorzubereiten, findet
sich unter www.kfw.de.
sicht. Denn die Transformation von 50 Prozent auf einen Be- stalt für Wiederaufbau, kurz Darüber hinaus unterstützen

Fördern, was NRW bewegt. ist nicht selten mit der Anschaf-
fung neuer Hard- und Software
verbunden und setzt in diesem
rater-Tagessatz von höchstens
1.100 Euro. Der Förderumfang
beträgt maximal 30 Tage, der
KfW. Die staatliche Förderbank
unterstützt mittelständische Un-
ternehmen, Freiberuflerinnen
auch etliche Bundesländer mit
verschiedenen Mitteln insbe-
sondere kleine und mittlere
Zusammenhang ein technisches Zuschuss damit maximal 16.500 und Freiberufler und junge Un-
Wissen voraus, was in vielen Euro. In Anspruch nehmen ternehmen in Gründung dabei,
Tanja Zirnstein und Katharina Obladen, Gründerinnen von UVIS, Beantragung
Unternehmen schlichtweg noch können diesen Unternehmen, sowohl Investitionen als auch
entwickeln innovative Technologien und Services für mehr nicht vorhanden ist. Genau die bereits mindestens zwei laufende Kosten für Betriebs- über die
Um die
Hygiene. Den Start finanzierte ein Business Angel zusammen mit hier setzt das Förderprogramm Jahre auf dem Markt sind und mittel zu finanzieren. Zu den Hausbank
»go-digital« des Bundesministe- Umsätze im oberen fünfstelli-
Wichtigkeit Digitalisierungsmaßnahmen,
dem NRW.SeedCap der NRW.BANK. Jetzt wächst UVIS in den für den
riums für Wirtschaft und Klima- gen Bereich vorweisen können. die seitens der KfW gefördert Unternehmen in ihrem Digi-
Mittelstand. schutz (BMWK) an. Mit seinen Weitere Voraussetzung ist, dass Wirtschaftsstandort werden, zählen beispielsweise talisierungsvorhaben. So gibt
fünf Modulen »Digitalisierungs- höchstens 100 Mitarbeitende die Entwicklung und Imple- es in Nordrhein-Westfalen das
Deutschland
strategie«, »IT-Sicherheit«, »Di-
beschäftigt sind und ein Jah- mentierung von IT- oder Da- Programm »Mittelstand Inno-
gitalisierte Geschäftsprozesse«,resumsatz von 20 Millionen wissend, greifen tensicherheitskonzepten, um vativ & Digital« (MID), in Bran-
»Datenkompetenz – go-data« Euro nicht überschritten wird. Bund und Unternehmensdaten erfolgreich denburg den »Brandenburgi-
und »Digitale Markterschlie- Die Antragstellung für die För- Länder (Jung-) zu schützen und Cyber-Attacken schen Innovationsgutschein«, in
derung übernehmen übrigens abzuwehren, der Ausbau inner- Bremen das »Beratungsförder-
Unternehmen
KMU der gewerb- vom BMWK autorisierte Bera-
finanziell unter die
betrieblicher Breitbandnetze programm zu Digitalisierung
tungsunternehmen. Weitere In- für eine höhere Datenübertra- und Arbeit 4.0 und in Hamburg
lichen Wirtschaft formationen, inklusive wie man Arme. gungsrate im Unternehmen, das Förderprogramm »Hamburg
im Fokus der Förder- besagte Beratungsunternehmen die Vernetzung von ERP- und Digital«, um nur einige Beispiele
maßnahmen fi ndet, liefert die Broschüre Produktionssystemen für eine zu nennen.
»go-digital – Digitalisierung zukunftsfähige Produktion und Einen guten Überblick über
ßung« richtet sich »go-digital« leicht gemacht«. Diese gibt es die Einführung digitaler Ver- Förderprogramme des Bundes,
gezielt an kleine und mittlere unter www.bmwk.de kostenlos triebskanäle zum Aufbau digi- der Länder und der Europäi-
Unternehmen (KMU) der ge- zum Downloaden. taler Plattformkonzepte und des schen Union inklusive Angaben
werblichen Wirtschaft und an elektronischen Handels. Ebenso zu wichtigen Fragen wie »Wer
das Handwerk. Individuell und Investitionen und kann eine Förderung beantragt wird gefördert?« und »Was wird
Die ganze Geschichte unter: nrwbank.de/uvis praxiswirksam bietet das Pro- laufende Kosten für werden für den Ausbau addi- gefördert?« findet sich im Inter-
gramm verschiedene Leistun- Betriebsmittel tiver Fertigungsverfahren wie net auf der Seite der Förderbank
gen, um Unternehmen auf dem Äußerst interessant von den 3-D-Druck als neue innovative des Bundes unter www.foerder
Weg in die digitale Zukunft Inhalten und von den Kondi- Produktionsmethode in der Fer- datenbank.de. 
 3
2 Ein Spezial des Zeitverlags | NAME
IT & DIGITALISIERUNG
SONDERTHEMA | ANZEIGE

Der Gefahr einen Schritt voraus SICHER UND SMART IM JOB

Eine klare De-
finition der
Verantwortlich- Wer viel im Homeoffice arbeitet, sollte über
keiten, eine ein Virtuelles Privates Netzwerk (VPN) nachdenken.
Sensibilisierung
der Beschäftigten Die Besonderheit des VPN ist, dass es nur einen
und überdies Eingang und einen Ausgang gibt und so keine Daten
ein durchdach-
ter Notfallplan:
auf dem Übertragungsweg abfließen können.
Unternehmen
müssen in puncto
IT-Sicherheit
deutlich in die
Zur Erhöhung des Datenschutzes empfiehlt
Offensive gehen, es sich, in einer Cloud sogenannte Platzhalter
um auf Cyber- einzurichten, in denen lediglich Metadaten
attacken auch
kurzfristig rea- abgespeichert werden, die dem Zugriff
gieren zu können. auf die eigentlichen Datenbestände vorge-
lagert sind.

Eine Verharmlosung funk-
tioniert nicht mehr. Angesichts
der Tatsache, dass neun
von zehn Unternehmen im
vergangenen Jahr Opfer
von Datendiebstahl, Spionage
oder Sabotage waren und
der deutschen Wirtschaft so
ein Schaden von rund 203 Milli-
arden Euro entstand, besteht
dringender Handlungsbedarf.
Denn die Frage lautet keines-
falls, ob ein Cyberangriff
kommt. Die Frage ist: »Wann
kommt er?« Unternehmen
müssen sich daher auch kurz-
fristig auf die äußerst dyna-
mische Bedrohungslage ein-
stellen können.
Es derzeit den drei Affen gleich-
tun und einfach nichts hören,
nichts sehen und nichts sagen,
wäre zwar bequem, ist jedoch
insbesondere in puncto Cyber-
kriminalität definitiv der falsche
Weg. Denn die IT-Sicherheitsla-
ge in Deutschland ist – ohne sie
unnötig zu dramatisieren – »ins-
gesamt angespannt bis kritisch«,
befi ndet das Bundesamt für Si-
cherheit und Informationstech-
nik (BSI). So hat die Zahl erfasster
Cyberstraftaten im vergangenen
Jahr einen neuen Höchstwert er-
reicht. Insgesamt wurden 146.363
Delikte erfasst, wie aus dem vom
Bundeskriminalamt (BKA) veröf-
fentlichten sogenannten Bundes-
lagebild Cybercrime hervorgeht.
Statt derartige Zahlen und Be-
auf einem externen Datenträger
existieren.« Eine solche Härtung
der Systeme sei trotz Einschrän-
kung der Nutzungsfreundlichkeit
und Produktivität zum Schutz
der eigenen Infrastruktur und
unternehmenssensiblen Daten
dringend ratsam.
Die Technik aber ist nur die
eine Seite. Die andere Seite ist
der Mensch. Anders gesagt: Zu-
sätzlich zu einem technischen
Update beziehungsweise einer
Hard- und Software auf dem
neuesten Stand müssen auch die
Mitarbeitenden im Unternehmen
mit dem notwendigen Wissen
geschult sein, um in einem An-
griffsfall kompetent reaktionsfä-
hig zu sein. Dafür braucht es eine
Pishing-E-Mails
oftmals nur anhand
weniger Details
erkennbar
klare Defi nition von Verantwort-
lichkeiten im Sicherheitsbereich
und die Einrichtung entspre-
chender Anlaufstellen – sowohl
intern als auch bei externen fach-
spezifischen Dienstleistern. Es
muss sichergestellt sein, dass zu
jeder Zeit ausreichend Personal
Die Zahl einsatzfähig ist und so im Ernst-
erfasster Cyber- fall agieren kann. Auch Urlaubs-
straftaten hat zeiten oder Vertretungen bei
Krankheit sollten dabei einkal-
einen neuen kuliert sein. In der Bitkom-Mittei-
Höchstwert erreicht. lung heißt es: »Alle Beschäftigten
Datenschutzverletzungen be-
rücksichtigt werden. Des Weite-
ren gehört eine vorbereitete Kri-
senkommunikation dazu, um
schnell alle relevanten Stakehol-
der wie Kundinnen und Kunden,
Partnerinnen und Partner sowie
die Öffentlichkeit zu informieren.
Weitere Informationen gibt es
dazu unter www.bitkom.org.
Das Motto: »Netzwerke
schützen Netzwerke!«
Um die eigenen IT-Sicherheits-
maßnahmen realistisch ein-
schätzen zu können und um
gegen Cyber-Risiken gewappnet
zu sein, sind für Unternehmen
überdies aktuelle Informationen,
der Wissens- und Erfahrungsaus-
tausch sowie der stetige Ausbau
von Sicherheitskompetenzen un-
erlässlich. Genau dies bietet die
»Allianz für Cyber-Sicherheit«
des Bundesamtes für Sicherheit
in der Informationstechnik (BSI).
Gegründet vor zehn Jahren, en-
gagieren sich in Deutschlands
größter Initiative für mehr Cy-
ber-Sicherheit für die Wirtschaft
aktuell an die 180 Partnerinnen
und Partner und an die 110 Mul-
tiplikatoren mit ihrem Know-how,
und dies zugunsten von derzeit
etwa 6.500 Unternehmen und
Institutionen – jeden Tag kom-
men weitere dazu. Letzteres ist
kaum verwunderlich. Als Teil-
nehmerin, als Teilnehmer der
»Allianz für Cyber-Sicherheit«
profitiert man kostenlos von der
Expertise des BSI und der Part-
nergemeinschaft der »Allianz für
Cyber-Sicherheit«, man erhält
aktuelle Warnmeldungen des
BSI, es gibt Tipps zum Sicher-
heitsmanagement, zur Vorfalls-
behandlung etc., man kann sich
mit anderen Unternehmen und
Institutionen zu Themen wie An-
griffsvektoren, geeigneten Schutz-
maßnahmen etc. vertrauensvoll
austauschen, erhält einen News-
Vertrauensvoller Initiative für mehr Sicherheit
Erfahrungsaustausch Die Initiative »IT-Sicherheit in der Wirtschaft«
letter mit den aktuellsten Pu-
blikationen, und man profitiert
des Bundesministeriums für Wirtschaft und
von den exklusiven kostenfreien
Partner-Angeboten zum Ausbau
Klimaschutz unterstützt mit Berichten und Tools
der eigenen Cyber-Sicherheits-
Kompetenz.
insbesondere kleine und mittelständische
Weitere Informationen sowie Unternehmen darin, ihre IT-Sicherheit zu ver-
die rund 30-seitige Broschüre
»Allianz für Cybersicherheit« und bessern. www.it-sicherheit-in-der-wirtschaft.de
den Flyer »Digital und sicher zum
Erfolg« gibt es kostenlos zum
Download unter www.allianz-
fuer-cybersicherheit.de. 

Leider fällt oft erst die Firewall,

wertungen zur IT-Sicherheitslage
zu ignorieren, ist Aktivismus und
Offensive gefragt, um als Unter-
nehmen auf eine mögliche Cy-
Insgesamt wurden sollten zielgruppengerecht für
das erhöhte Risiko von Cyberan-
im vergangenen
griffen sensibilisiert werden. Ge-
Jahr gebenenfalls können kurzfristige
146.363 Delikte

und dann erst der Groschen.

berattacke schnell und adäquat
reagieren zu können und den
möglichen Schaden somit gering
zu halten.
Erste Voraussetzung ist da-
bei für etliche Unternehmen,
die internen Schutzmaßnahmen
zu verstärken. »Betriebssysteme
und Software müssen auf dem
aktuellen Stand sein, Sicherheits-
updates sind zügig einzuspielen.
Verantwortlichkeiten
klar definieren
Sichere – also komplexe und für
jedes System unterschiedliche
– Passwörter tragen signifi kant
zur Erhöhung des Schutzniveaus
bei. Möglichst alle Logins mit Au-
ßenanbindung sollten über eine
Multi-Faktor-Authentifizierung
geschützt werden«, rät Bitkom
e. V., der Branchenverband der
deutschen Informations- und
Telekommunikationsbranche in
einer aktuellen Mitteilung. Wei-
ter heißt es dort: »Privilegien und
Administrationsrechte sollten für
einzelne Nutzerinnen und Nut-
zer eingeschränkt werden und
die Komplexität von verwendeten
Diensten insgesamt verringert
werden. Zudem ist die unterneh-
menseigene Back-up-Strategie zu
prüfen und ggf. nachzubessern,
sodass alle relevanten Unterneh-
mensdaten gesichert sind und zu-
sätzlich Sicherheitskopien offline
Sicherheitsschulungen sinnvoll
erfasst, so das sein. Ziel ist es, die Wachsamkeit
in der Belegschaft zu erhöhen.
»Bundeslagebild Besonders für den E-Mail-Ver-
Cybercrime« kehr gilt, Hyperlinks und Anhän-
des Bundeskrimi- ge nicht vorschnell zu öff nen
nalamts. und ungewöhnliche Anweisun- Cyber Incident Response Retainer:
gen mit Skepsis zu betrachten. An
Unternehmen werden auch sehr
Vertrauen Sie auf ein Team, das bei Cyberangriffen
gezielte und gut gemachte Phi- auf Ihr Unternehmen sofort reagiert und Ihnen auch
shing-Mails geschickt, wodurch vorab schon hilft, sich besser vor Hacker-Angriffen
der Fake nur anhand weniger
Details wie etwa eines falsch ge- zu schützen. So schaffen wir gemeinsam mit Ihnen
schriebenen Namens oder einer nachhaltige Werte und Vertrauen – heute und
falschen Durchwahl in der Signa-
tur entdeckt werden kann.«
in Zukunft. www.pwc.de/incident-response
Notfallplan erstellen
Damit die Sicherheitsvorkehrun-
gen auch greifen, damit Beschäf-
tigte auch tatsächlich wissen,
was zu tun ist und es im Falle ei-
nes Cyberangriffs nicht doch zu
einem heillosen Chaos kommt,
empfiehlt es sich überdies, im Un-
ternehmen einen Notfallplan für
das genaue Vorgehen zur Hand zu
haben. Neben den technischen
Schritten, die eingeleitet werden
müssen, sollte ein solcher Plan
auch organisatorische Punkte
wie Kontaktdaten relevanter An-
sprechpersonen im Unterneh-
men respektive Ansprechperso-
nen bei externen Dienstleistern
sowie die Notfallkontakte der
offi ziellen Anlaufstellen bein-
halten. Ebenso sollten rechtliche
Aspekte wie Meldepflichten bei

IMPRESSUM
Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt: ZEIT Verlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Helmut-Schmidt-Haus,
Speersort 1, 20095 Hamburg Geschäftsführung: Dr. Rainer Esser Art Direction: Kay Lübke, Dietke Steck Produktmanagement:
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Lektorat: Egbert Scheunemann; Illustrationen: istockphoto.com – Macrostore; Fotos: istockphoto.com – gorodenkoff,
Marco VDM Chief Sales Officer ZEIT Verlagsgruppe: Áki Hardarson Director Sales Consumer & Corporate Brands:
Michael Zehentmeier, 040 / 32 80 310, michael.zehentmeier@zeit.de Anzeigenpreise: Preisliste Nr. 16 vom 1. Januar 2022
 42
D Ein Arzt
er Job von Nick Watts klingt
wenig beneidenswert. Sein
Arbeitgeber hat nicht den
besten Ruf – bekannt ist der
britische staatliche Gesund-
heitsdienst (NHS) haupt-
sächlich für einen
notorischen Personal- und Bettenmangel, für un-
zumutbare Wartezeiten. Der Daily Telegraph
beschrieb ihn mal als »sklerotisches System«, als
schwer krank.
Ausgerechnet dieser marode NHS sorgt nun
seit Kurzem für positive Aufmerksamkeit, gilt gar
als avantgardistisch – was auch an Nicholas Watts
liegt, den alle Nick nennen. Der NHS hat sich ein
verbindliches Klimaschutzziel gesetzt: Bis zum
Jahr 2040 sollen seine Emissionen auf null herun-
tergefahren sein. Das ist gesetzlich vorgeschrieben,
und Nick Watts, seit 2020 Chief Sustainability
Officer, soll es umsetzen. Kein leichtes Vorhaben.
Der NHS könnte damit zu einem Vorbild in
ganz Europa werden, weltweit sogar. Denn man
kann ein Krankenhaus auch als große, beheizte
Kiste betrachten, wie es Watts ironisch formuliert,
oder einen Rettungswagen als umherfahrenden
Verbrennungsmotor. Eine Frage der Perspektive.
Personal, Intensivstationen, Pillen, Wegwerfsprit-
zen und -verpackungen – das alles verursacht
Emissionen. Genau wie flüchtige Narkosegase, die
teilweise tausendfach stärker auf das Klima wirken
als CO₂. Der Gesundheitssektor hinterlässt in je-
dem Jahr einen großen ökologischen Fußabdruck.
Jetzt soll Watts das System umkrempeln. Wer
sonst?
Der Weg des Australiers begann in einer Klein-
stadtklinik in der Nähe von Perth. Als junger Arzt
erlebte er, wie sehr Umweltbelastungen wie Diesel-
abgase und soziale Faktoren wie Armut das Krank-
heitsgeschehen prägen. »Deshalb habe ich mich
schon früh für die äußeren Einflüsse auf Gesund-
heit und Wohlbefinden interessiert«, sagt Watts.
Er studierte zusätzlich Public Health, außerdem
Philosophie, Politik und Wirtschaft. Im Kohle-
land Australien, in dem der Klimawandel beson-
ders großflächig verdrängt wurde, stieß der Medi-
ziner »eher zufällig« auf das Problem, war dann
aber »total umgehauen von den Dimensionen«.
Und wollte gleich etwas tun. »Aber dazu musste
ich erst raus aus der Enge Westaustraliens.«
Der vielschichtige Zusammenhang zwischen
Gesundheit und Klimawandel wurde draußen in
der Welt sein großes Thema. Watts hospitierte bei
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf,
stieß bei der Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen
auf ein paar wissenschaftliche Mitstreiter und
gründete 2012 die Global Climate and Health
Alliance. Unter ihrem Dach informieren mittler-
weile 100 Organisationen weltweit die Öffentlich-
keit über Krankheitsfolgen von Hitze, Dürren und
Fluten. Folgen, die von Herzinfarkten, Schlagan-
fällen oder Asthma bis zu Hunger und Unterer-
nährung reichen. »Dass die Versorgung mit Nah-
rungsmitteln in vielen Regionen nicht mehr ge-
sichert ist, lässt mich nachts besonders schlecht
schlafen«, sagt Watts.
Für all diese Klimagefahren gab es zu jener Zeit
viele Indizien, aber wenig harte Daten. »Man wur-
de schnell als alarmistischer Hippie abgestempelt«,
sagt Watts. »Wir wollten aber auch Hoffnung ma-
chen – und da war wissenschaftliche Evidenz
umso wichtiger.«
So kam das globale Forschungsprojekt The Lancet
Countdown in die Welt. Rund um das bedeutende
medizinische Fachjournal The Lancet berechnen Ex-
perten aus aller Welt nicht nur die Kosten der Erder-
hitzung, sondern auch, welche positiven Gesund-
heitseffekte eine entschlossene Klimaschutzpolitik
mit sich bringen kann; zum Beispiel weil die Leute
Foto: David Vintiner für DIE ZEIT
weniger Fleisch essen oder sich auf Radwegen an der
frischen Luft mehr bewegen. Der jüngste Bericht des
Lancet Countdown ist gerade erschienen.
Am meisten Sorgen, sagt Nick Watts, bereite ihm
ein Szenario, bei dem es in kurzen Abständen nach-
einander längere Hitzephasen gebe: »Mit so einer
Situation würde die Gesellschaft kaum mehr fertig.«
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Als es im Sommer in England plötzlich über Tage
hinweg mehr als 40 Grad Hitze gab, rasten die Ret-
tungswagen von Noteinsatz zu Noteinsatz.
Jahrelang brachte Watts Kolleginnen und Kol-
legen, Klinikverwaltungen und auch Politikern die
Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Kli-
mawandel ins Bewusstsein. Er warnte vor der »Be-
drohung, die 50 Jahre Fortschritt untergraben
könnte«, und auf die sich Praxen, Kliniken und
Kommunen dringend vorbereiten müssten. Aber
nun hat er eine andere Rolle: Als oberster Klima-
schützer bei Großbritanniens staatlichem Gesund-
heitsdienst will er an die Ursachen ran und ganz
konkret helfen, die Katastrophe abzuwenden.
Ein Mann, eine Mission. Klein, kompakt,
energiegeladen, das braune Haar leicht verstrub-
belt, hüpft Watts die Stufen des Cafés Lantana
empor. Es liegt zwischen der NHS-Zentrale und
der London Bridge unweit der Themse und prä-
sentiert sich als »ein bisschen Australien im Herzen
von London«. Watts grüßt charmant, bestellt nur
einen Kaffee, schaut neugierig und ein bisschen
ungeduldig. Also los: Warum tun Sie sich so eine
Herausforderung wie das Klimaschutz-Mammut-
vorhaben überhaupt an?
»Wir sind groß!«, sagt Watts. »Die größte Ge-
sundheitsorganisation Europas. Wir tragen jedes
Jahr fünf Prozent zu den Emissionen des Landes
bei.« Etwa 1,4 Millionen Mitarbeiter, ein Jahres-
budget von mehr als 190 Milliarden Pfund. Zwei-
fellos ein kräftiger Hebel für den Klima- und
Ressourcenschutz.
Sein zweites Motiv: Pionierarbeit. Selbst in
England, wo die öffentliche Gesundheitsvorsorge,
Public Health, einen größeren Stellenwert hat als
hierzulande, wurde lange übersehen, dass auch die
scheinbar immaterielle medizinische Hilfsbranche
eine energieintensive Industrie ist. »Bis auf wenige
sehr engagierte Menschen haben wir 20 Jahre lang
die Hände in den Schoß gelegt«, sagt Watts.
Dann, vor zwei Jahren, konnte Watts den da-
maligen NHS-Chef Simon Stevens für das Netto-
Null-Ziel gewinnen. »Der gesamte Vorstand hatte
nur einen Vorbehalt: Das Projekt kann ehrgeizig
sein – muss aber realistisch bleiben«, sagt Watts.
Innerhalb von neun Monaten hatte das Team um
den frisch gekürten Nachhaltigkeitsbeauftragten
die Datengrundlage für das NHS-Klimaziel zu-
sammengetragen.
Seit Anfang 2020 wird der Klimaschutzplan
umgesetzt, mit Energieberatung, internen Re-
geln, Aufklärungskampagnen, Fortbildungen, Tele-
medizinkonzepten, um, wo möglich, CO₂-trächtige
Anreisen in die Arztpraxis zu vermeiden. Es finden
Wettbewerbe statt, und es fließen Gelder für
Innovationen. Diese Mittel sollen den weit über
200 regionalen Trusts zugutekommen, jenen Kör-
perschaften, die unter dem Dach des NHS die
medizinische Versorgung einer Region gewähr-
leisten sollen. Durch die »grünen Pläne« der Trusts
könnten laut Watts schon innerhalb der nächsten
drei Jahre etwa die Klimagasemissionen einer hal-
ben Million Fahrzeuge eingespart werden. Denn
rund ein Drittel der Trusts habe schon losgelegt.
»Einige hatten bereits Nachhaltigkeitsbeauftragte,
auf deren Klimaschutzinitiativen wir aufbauen
konnten.« In North Lancashire zum Beispiel sei
letztes Jahr das erste »Netto-Null-Baby« geboren
worden. Die Mutter bekam ihre Schmerz- und
Betäubungsmittel mit einem neuen Narkosegerät
verabreicht, welches das extrem klimaschädliche
Lachgas aus dem Präparat wieder einfängt.
Viele Kliniken pflanzten Solaranlagen auf ihre
Dächer, »und in den North Midlands etwa inves-
tieren sie dann, was sie an Stromkosten einsparen,
in die kommunale Gesundheitsprävention«. Wenn
Watts über solche Erfolge redet, wird er immer
schneller. »Yeah, das ist so cool!« Ein Selbstanfeuerer.
Einer, der mit seiner Leidenschaft Ärzte, Schwestern
oder Wäschereikräfte anstecken kann.
Aber stöhnen nicht auch viele angesichts der
desolaten Personallage genervt, weil sie am An-
schlag sind und man ihnen jetzt auch noch mit
Klimaschutz kommt? Gewiss, es gebe auch Skepti-
ker, antwortet Watts – »aber ehrlich: Mir sind so
ERLEBNISREISEN
world-insight.de
WISSEN 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
Gesundheit
gut wie keine begegnet.« Wie bitte? Auch die meis-
ten Mitarbeiter des NHS seien sehr besorgt ange-
sichts des Klimawandels, sagt Watts: »Man fühlt
sich besser, wenn man was macht.«
Und die Verwaltungen eines chronisch unter-
für
finanzierten Gesundheitswesens, das nun zusätz-
lich Geld ausgeben soll? Auch die seien schnell
überzeugt gewesen. Viele Investitionen, besonders
in erneuerbare Strom- und Wärmequellen wie
Wind und Sonne oder Energiesparprogramme,
amortisierten sich bereits nach wenigen Jahren
das Klima
und verringerten dann die Kosten.
Anfangs habe er befürchtet, das große Projekt
könne an der Trägheit eines riesigen, staatlichen
Apparates scheitern, sagt Watts. Doch zu Unrecht.
Die Mischung aus zentralen Vorgaben aus London
und dezentralem Ideenreichtum in den Trusts
funktioniere gut. Letztere fänden die schnellsten
Klimaschutzlösungen für ihre lokalen Verhältnisse.
Die Zentrale könne Regeln wie Emissionsober-
grenzen oder Vorgaben bei der Beschaffung von
Materialien und Medikamenten machen und übe
zudem mit ihrer Nachfrage großen Einfluss auf
andere Branchen aus – zum Beispiel auf die mäch-
tige pharmazeutische Industrie.
Auch für die und andere Geschäftspartner soll das
Klimaschutzziel am Ende gelten, nicht allein für die
eigenen Kliniken und Praxen. Die Lieferanten haben
etwas mehr Zeit, bis 2045, um auf die Netto-Null
zu kommen. Aber schon jetzt gibt es einen Stufen-
plan, der ihnen Jahr für Jahr härtere Anforderungen
stellt, etwa an Emissionsminderungsnachweise. Von
2023 an sollen sich die größten, vom 1. April 2027
an dann alle Zulieferer mit ersten Schritten in Rich-
tung Netto-Null qualifizieren müssen, »und zwar
eine Minute nach Mitternacht«, sagt Watts. Darüber
wird jetzt im Detail verhandelt.
Trotzdem bleibt das Risiko für grünen Etiketten-
schwindel groß, oder? Watts stöhnt ein bisschen, zum
ersten Mal beim Gespräch im Café: »Das ist eine
harte Nuss.« Pause. »Und komplizierter, als ich dach-
te.« Er habe lernen müssen, Verständnis dafür zu
entwickeln, dass einige Hersteller ihre Kühlketten
nicht mal so auf die Schnelle klimatauglich umrüsten
könnten. Gerade wenn sie etwa ein Medikament wie
Insulin herstellen, das massenhaft eingenommen
wird. Zudem kenne er einen Weltkonzern, der ein
paar Nullen zu wenig angegeben hatte bei den Ton-
nen seiner Klimagas-Emissionen – und zwar vor dem
Komma. Gegen solches Greenwashing hülfen nur
gut geschulte Einkäufer und klare Transparenzregeln
für die Lieferanten. »Und dann«, sagt Watts, »müssen
uns kritische Journalisten, strenge Gutachter und die
ganze große universelle Gemeinschaft der Bürger da
draußen Rechenschaft abverlangen.«
Mit solchen Sätzen macht er sich vermutlich nicht
nur Freunde. Mitstreiter wie der renommierte Epi-
demiologe, Umwelt- und Public-Health-Wissen-
schaftler Andrew Haines bescheinigen Nick Watts
aber Furchtlosigkeit und Standfestigkeit. »Er redet
immer Klartext«, sagt Haines. »Er ist eben kein Eng-
länder, sondern Australier.«
»Der hat keine Lust auf Geplänkel«, so hat auch
Eckart von Hirschhausen, Publizist und Gründer
der Stiftung »Gesunde Erde, gesunde Menschen«,
Nick Watts erlebt. »Er ist ein echter Überzeugungs-
täter. Von der Sorte brauchen wir mehr, überall.«
Immerhin gibt es auch hierzulande seit einigen
Der Australier Nick Watts will Kliniken und Praxen umweltfreundlicher machen Jahren Zusammenschlüsse von Pflegern, Ärzten
und Wissenschaftlern, etwa die Deutsche Allianz
Klimawandel und Gesundheit (Klug). Einige
Krankenhäuser tun von sich aus etwas. Aber hinter
einer nationalen Verpflichtung wie in England
Ausgerechnet das marode steckt mehr Triebkraft.
Was es braucht: einen Menschen, der es macht.
britische Gesundheitssystem soll Mehr als vier, fünf Stunden schlafe er selten, »ge-
sund würde das ein Arzt wohl nicht nennen«, sagt
bis 2040 emissionsfrei werden. der Arzt Nick Watts. Woher nimmt er die Energie?
Nick Watts muss diesen Plan umsetzen »Von den engagierten Mitstreitern, meiner Stur-
heit, manchmal Wut – und den kleinen Siegen
VON CHRISTIANE GREFE Tag für Tag«, sagt Watts. Er räumt ein: »Von dem,
was notwendig wäre, sind wir meilenweit ent-
fernt.« Aber: »Verglichen mit dem, was gestern
war, haben wir eine Menge geschafft.« Das ist zu-
mindest eine gesunde Einstellung.
Zeit für echtes Reisen.
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Die Position:
Mehr Aufmerksamkeit für die Leiter!
Der Erfolg einer Schule hängt von ihrer Führung ab – und die braucht Fortbildung und Unterstützung
Die Kultusminister haben viel getan, um die
Bedingungen von Schule und Unterricht
deutschlandweit zu vereinheitlichen: Die Bil-
dungsstandards legen gemeinsame Anforde-
rungen für den Fachunterricht fest, es gibt
Leitlinien für die Lehrerbildung und für das
digitale Lernen. Einen Bereich aber hat die
Politik bei alldem ausgespart: Es fehlt ein Leit-
bild für die Schulleitungen.
Das ist erstaunlich. Denn die Bildungs-
forschung ist sich zwar selten einig, aber in
folgendem Punkt sind die Befunde recht ein-
deutig: Die Schulleitungen spielen die ent-
scheidende Rolle, wenn es darum geht, unsere
Schulen zu modernisieren. Sie müssen diesen
Wandel nach innen und außen gestalten. Sie
bestehen im Idealfall aus fähigen Pädagogen
und Pädagoginnen und guten Führungs-
kräften zugleich; sie motivieren und schaffen
Vertrauen, sorgen für klare Ziele – und über-
prüfen, ob diese auch erreicht werden. Von
ihrer Kompetenz und Überzeugungskraft
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Wissensvermittlung mit starkem Praxisbezug – dafür steht die Fachhoch-
schule Kiel seit mehr als 50 Jahren. Dabei arbeiten wir interdisziplinär und
können als größte Hochschule für angewandte Wissenschaften im Land auf
regionale wie internationale Netzwerke zurückgreifen. In den Studiengängen
an unseren sechs Fachbereichen widmen wir uns mit rund 8000 Studierenden
den aktuellen Herausforderungen von Wirtschaft und Gesellschaft.
Am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit ist zum nächstmöglichen
Zeitpunkt folgende Professur zu besetzen:
W2-Professur für Gesprächsführung und Be-
ratung in der Sozialen Arbeit
Die Lehre ist in den Präsenz- und Online-Studiengängen Soziale Arbeit sowie
Erziehung und Bildung im Kindesalter zu erbringen.
Zentrale Inhalte der Lehre sind:
• Theorien und Konzepte der Gesprächsführung und Beratung
• Theorien und Methoden der Konfliktbearbeitung und -deeskalation
• Theorien und Methoden der Kriseninterventionen
Vorausgesetzt werden ausgewiesene Kenntnisse von Theorien, Konzepten
und Methoden der Gesprächsführung und Beratung sowie einschlägige
Berufserfahrungen und eine Weiterbildung in einem anerkannten Beratungs-
verfahren. Erwartet werden ein auf das Lehrgebiet bezogener Hochschulab-
schluss, eine besondere Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit, die durch
eine gute Promotion im Themenbereich des zu übernehmenden Lehrgebietes
nachzuweisen ist.
Wir freuen uns auf ein Teammitglied, das sich an der Weiterentwicklung der
Studiengänge des Fachbereiches sowie an interdisziplinären (Forschungs-)
Projekten beteiligt, in den interdisziplinären Wochen der Fachhochschule
Kiel mitwirkt sowie regionale, landesbezogene und -übergreifende Praxis-
und Forschungskontakte (weiter-)entwickelt. Die Bereitschaft zum
Engagement in der Selbstverwaltung der Fachhochschule wird vorausgesetzt.
Die Fachhochschule Kiel bietet didaktische Aus- und Fortbildung während
der ersten beiden Beschäftigungsjahre an. Es wird erwartet, dass dieses
Angebot genutzt wird.
Sie müssen neben den allgemeinen beamtenrechtlichen Voraussetzungen die
Voraussetzungen des § 61 HSG erfüllen. Danach sind mindestens ein zum
Zugang für die Laufbahn der Laufbahngruppe 2, zweites Einstiegsamt,
berechtigendes, abgeschlossenes Hochschulstudium, pädagogische und
didaktische Eignung und wie oben beschrieben eine besondere Befähigung
zu wissenschaftlicher Arbeit, die in der Regel durch die gute Qualität einer
Promotion nachgewiesen wird, erforderlich. Besondere Leistungen bei der
Anwendung oder Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden
sind in einer mindestens fünfjährigen beruflichen Praxis, von der mindestens
drei Jahre außerhalb des Hochschulbereichs ausgeübt worden sind,
Voraussetzung.
Die Hochschule setzt sich für die Beschäftigung von Menschen mit
Behinderung ein. Daher werden schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte
Bewerbende bei entsprechender Eignung bevorzugt berücksichtigt.
Die Hochschule ist bestrebt, den Anteil der Wissenschaftlerinnen zu
erhöhen. Sie fordert deshalb geeignete Frauen auf, sich zu bewerben. Frauen
werden bei gleichwertiger Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung
vorrangig berücksichtigt. Ausdrücklich begrüßen wir es, wenn sich Menschen
mit Migrationshintergrund bei uns bewerben.
Auf die Vorlage von Bewerbungsfotos verzichten wir aus-
drücklich und bitten daher, hiervon abzusehen. Die
Bewerbung mit vollständigen Unterlagen ist schriftlich
bis zum 25.11.2022 zu richten an die Dekanin des Fach-
bereichs Soziale Arbeit und Gesundheit, Frau Prof. Dr.
Ariane Schorn, Sokratesplatz 2, 24149 Kiel.
An der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt gelangt eine
UNIVERSITÄTSPROFESSUR
für
KLINISCHE PSYCHOLOGIE UND PSYCHOTHERAPIE
voraussichtlich ab 1. März 2023 zur Besetzung.
Bewerbungen werden bis 4. Dezember 2022 berücksichtigt.
Alle Details finden Sie online.
Die Universität Klagenfurt ist eine Campus-Universität
im Süden Österreichs am Schnittpunkt dreier
Kulturen. Hohe Lebensqualität, sehr gute Lehr- und
Forschungsbedingungen, Internationalität und
moderne Infrastruktur zeichnen uns aus.
jobs.aau.at
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
hängt es ab, ob es gelingt, den Innovations-
rückstand an deutschen Schulen aufzuholen –
und allen Schülern angemessene Bildungs-
chancen zu gewähren.
Weil die Schulleitungen so wichtig sind,
müssen sich alle Bundesländer für diese
Berufsgruppe auf ein gemeinsames Leitbild
verständigen. Das Leitbild sollte Aufgaben
präzise beschreiben und Anforderungen für
geeignete Bewerberinnen und Bewerber defi-
nieren. Gleichzeitig böte es einen Rahmen für
Foto: privat
die Aus- und Fortbildung von Schulleitungen,
die es – man glaubt es kaum – bis heute nicht
in allen Bundesländern gibt.
Auf der Grundlage eines solchen Leitbildes Jochen Schnack ist
sollte Führungsnachwuchs schon früh identifi- Redaktionsleiter der
ziert und mit Aufgaben herausgefordert werden, Zeitschrift »Pädagogik«
in denen Leitungskompetenzen gefragt sind. Das
kann bereits in der Berufseingangsphase gesche-
hen, also in den ersten Jahren nach dem Referen-
dariat. Unterstützen können dabei Mentoren,
auch Hospitationen bei erfahrenen Führungs-
TALENTE TECHNIK ZUKUNFT
Die Technische Hochschule Mittelhessen gehört mit 18.000 Studie-
renden zu den größten Hochschulen für angewandte Wissen-
schaften in Deutschland.
Zur Verstärkung unseres Kollegiums ist am Campus Gießen im
Fachbereich Wirtschaft zum nächstmöglichen Zeitpunkt folgende
Stelle zu besetzen:
W2-PROFESSUR
mit dem Fachgebiet
PRIVAT- UND WIRTSCHAFTSRECHT
Bewerbungsende: 27. November 2022
Ref. Nr. B 22-017
Detaillierte Informationen zu der zu besetzenden Professur – ins-
besondere die sich aus den §§ 67 und 68 HHG ergebenden Ein-
stellungsvoraussetzungen des Landes Hessen – entnehmen Sie
bitte unserer Homepage unter: karriere.thm.de
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist uns ein
Anliegen. Im Rahmen des audits „familiengerechte
Hochschule“ arbeiten wir an der Weiterentwicklung
entsprechender Strukturen.
Die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg ist eine international
agierende, interdisziplinär ausgerichtete Universität mit einer klaren
Forschungsorientierung in der Breite ihrer Fächer und in ihrer
akademischen Lehre. Gegründet im Jahr 1974, hat sich die Universität
Oldenburg mit ihren sechs Fakultäten zu einer profilierten Einrichtung
des niedersächsischen Wissenschaftssystems mit aktuell rund 250
Professuren und 16.000 Studierenden entwickelt. Forschung an der
Universität Oldenburg hat ein national und international anerkanntes
Renommee. Unter dem Motto „Offen für neue Wege“ bietet sie ein
kreatives und kooperatives Umfeld für eine innovative Wissensent-
wicklung und einen umfassenden Wissenstransfer.
Im Referat Forschung und Transfer der Universität Oldenburg ist zum
nächstmöglichen Zeitpunkt die Stelle einer
Referatsleitung Forschung und
Transfer (m/w/d)
(Entgeltgruppe 15 TV-L, 100 % der regulären Arbeitszeit)
unbefristet zu besetzen.
Das Referat Forschung und Transfer ist eine dem Präsidium der
Universität Oldenburg direkt zugeordnete Organisationseinheit mit
dauerhaft rund 25-30 Mitarbeitenden. Es ist zuständig für die
strategische Schwerpunktplanung und Qualitätssicherung in den
Bereichen Forschung, Transfer und wissenschaftlicher Nachwuchs.
Dazu gehören:
— die nationale und internationale Forschungsförderung inklusive der
Drittmittelbewirtschaftung EU-geförderter Projekte,
— der Wissens- und Technologietransfer unter Einschluss der
Gründungsförderung,
— die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses über alle
Karrierephasen hinweg,
— die Mitwirkung an strategischen Querschnittsthemen wie die
Digitalisierung der Universität, die Gestaltung der Internationali-
sierung sowie die Entwicklung und Umsetzung gleichstellungs-
und diversitätsbezogener Konzepte.
Weitere Informationen zu dieser Stellenausschreibung
entnehmen Sie bitte der folgenden Webseite:
https://uol.de/stellen?stelle=69147
www.uo!.de
kräften sollten häufiger möglich werden. Es geht
sogar noch früher: Warum etwa bieten die Uni-
versitäten das Thema »Leadership« nicht schon
im Masterstudium an – zumindest für jene
angehenden Lehrkräfte, die sich ein größeres
Engagement über den eigenen Unterricht hinaus
vorstellen können?
Die Professionalisierung der Schulleitungen
dürfte mit einer solchen Ausbildung aber nicht
aufhören. Auch wer eine Schule führt, sollte
immer noch etwas hinzulernen können. Was sich
bewährt hat, sind vor allem Fortbildungs-
angebote mit Praxisanteilen sowie Angebote für
das gesamte Schulleitungsteam.
Allein können Schulleitungen ihre kom-
plexen Aufgaben nicht bewältigen, sie beste-
hen nicht aus Übermenschen. Sie brauchen
Unterstützung in der Verwaltung und bei
allem Digitalen. Je nach Größe der Schule
sind eigene Stellen für einen IT-Administrator
sowie eine angemessene Ausstattung mit qua-
lifiziertem Verwaltungspersonal unabdingbar.
An der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist am Fachbereich
1 „Wirtschaftswissenschaften“ folgende Stelle zum 01.10.2023 zu besetzen:
eine Professur (m/w/d) (Bes. Gr. W2)
für „Allgemeine BWL, insbesondere Marketing“
Kennziffer: 110_P_2022
Bewerbungsschluss: 20.11.2022
Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung mit aussagekräftigen Nachweisen - soweit
vorhanden auch Ergebnissen von Lehrevaluationen - und Zeugnissen zur Erfül-
lung der Einstellungsvoraussetzungen - bis zum 20.11.2022 über unser Online-
Bewerbungsportal unter https://karriere.hwr-berlin.de/mvhbd.
Bei Rückfragen zur ausgeschriebenen Position wenden Sie sich bitte an:
Berufungsverfahren@hwr-berlin.de.
Das detaillierte Stellenprofil, die Anforderungen für die Berufung zur Professorin/
zum Professor sowie weitere Informationen finden Sie unter:
www.hwr-berlin.de/aktuelles/stellenmarkt-stipendien-wettbewerbe/stellenangebote/
Professur
ALLGEMEINE BETRIEBS-
WIRTSCHAFTSLEHRE UND
MANAGEMENT
Bes. Gr. W2 (Stellen-Nr. 240)
Bewerbung mit den üblichen Unterlagen, unter Angabe der Stellennummer,
senden Sie bitte bevorzugt über das Bewerbungsportal oder per Post bis
spätestens 27. November 2022 an die
Hochschule Ravensburg-Weingarten
Rektor Herrn Prof. Dr. Spägele
Postfach 30 22 in 88216 Weingarten
Den vollständigen Ausschreibungstext finden Sie auf unserer Website:
www.rwu.de/stellen
Die Technische Universität Braunschweig besetzt in der Fakultät Architektur,
Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften zum nächstmöglichen
Zeitpunkt eine
W1-Juniorprofessur (m/w/d) für „Planung und
Betrieb öffentlicher Verkehrssysteme“
mit Tenure Track nach W2
Wir suchen eine forschungsstarke Persönlichkeit, die den Aufgabenbereich der
Planung und des Betriebs öffentlicher Verkehrssysteme international sichtbar
vertritt und das wissenschaftliche Profil der TU Braunschweig in diesem Bereich
innovativ weiterentwickelt.
Den vollständigen Ausschreibungstext finden Sie unter:
https://www.tu-braunschweig.de/abu/berufungen
Bewerbungen richten Sie bitte bis zum 10.01.2023 an den Dekan der Fakultät
Architektur, Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften, Herrn Prof.
Dr. Wolfgang Durner, Mühlenpfordtstr. 23, 38106 Braunschweig. Bitte
beachten Sie, dass lediglich Bewerbungen, die über das Online-Formular der
TU Braunschweig eingehen, berücksichtigt werden können.
Das Online-Formular finden Sie unter folgendem Link:
https://www.tu-braunschweig.de/stellenmarkt
43
VON JOCHEN SCHNACK
Es kann nicht sein, dass mancher Schulleiter
mehr Zeit damit verbringt, Förderanträge zu
stellen, Baumaßnahmen zu planen oder Co-
rona-Tests zu organisieren, als sein Kollegium
pädagogisch voranzubringen.
Und zu guter Letzt: Leitung kostet Zeit –
das gilt auch für Grundschulen. In fast allen
Bundesländern müssen Rektoren und Schul-
leiterinnen neben ihren komplexen Führungs-
aufgaben noch 15 oder mehr Stunden unter-
richten. Kein Wunder, dass Tausende Grund-
schulleitungen in Deutschland nicht besetzt
werden können.
Das alles sind anspruchsvolle, aber keine
utopischen Ziele. Die Kultusminister sollten
sie rasch – mit fachlicher Unterstützung ihrer
Ständigen Wissenschaftlichen Kommission –
in ein gemeinsames Leitbild gießen und so
eine Professionalisierungsstrategie für unsere
Schulleitungen entwickeln. Dabei bitte eines
nicht vergessen: die Expertise von Praktikern
miteinbeziehen.
Die Bauhaus-Universität Weimar ist eine international etablierte Universität, die
auf eine 160-jährige Geschichte zurückblickt und sich in der Tradition des Bau-
hauses versteht. Sie vereint Wissenschaft, Technik, Kunst und Gestaltung. Diese
Einstellung bestimmt wesentlich das Selbstverständnis der Fakultäten Architektur
und Urbanistik, Bauingenieurwesen, Kunst und Gestaltung sowie Medien. Die
Fakultäten sind über ihre fachspezifischen Aufgaben hinaus der interdisziplinären
Zusammenarbeit sowie der Durchdringung von Praxis, Kunst und Wissenschaft
besonders verpflichtet.
An den Fakultäten »Architektur und Urbanistik« sowie »Kunst und Gestaltung«
der Bauhaus-Universität Weimar ist zum 1. April 2023 die Brückenprofessur
W3-Professur
»Digital Spaces and Immersive Media«
zu besetzen.
Für die Professur suchen wir eine exzellente Persönlichkeit mit internationaler
Sichtbarkeit, welche innovative Methoden zum Entwurf von digitalen Räumen
und räumlichen gestalterischen Experimenten als Methode der Interaktion von
und mit Menschen thematisiert. Diese Methoden reichen von stationären Simu-
lationen, über mobile Anwendungen, Virtual und Augmented Reality, bis zur Ein-
bindung von KI-basierten kreativen Technologien. Die Professur soll so als ein
Bindeglied zwischen den Fakultäten »Architektur und Urbanistik« sowie »Kunst
und Gestaltung« fungieren.
Kandidat*innen sollten zum einen hervorragende Kenntnisse in informationstech-
nischen Methoden (3D Modellierung, VR, AR, Simulationsmodelle, Datenanalyse,
KI) vorweisen. Zum anderen sollten sie über Anwendungserfahrung in gestalteri-
schen Disziplinen (wie z. B. Medienkunst, Animations- und Produktdesign, Archi-
tektur, Urbanistik) verfügen. Die allgemeinen Einstellungsvoraussetzungen sind
im § 84 Thüringer Hochschulgesetz geregelt.
Die Bauhaus-Universität Weimar verfolgt eine gleichstellungsfördernde, familien-
freundliche Personalpolitik. Zu den strategischen Zielen der Universität gehört,
den Frauenanteil in Lehre und Forschung zu erhöhen. Die Universität hat das Prä-
dikat »TOTAL E-QUALITY« erhalten, zudem ist ihr im Professorinnenprogramm
des Bundes und der Länder das Prädikat »Gleichstellung: Ausgezeichnet!« verlie-
hen worden. Die Bauhaus-Universität Weimar bittet daher qualifizierte Wissen-
schaftlerinnen ausdrücklich um ihre Bewerbung.
Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.
Weitere Informationen zur Bauhaus-Universität Weimar sowie die ausführliche Stel-
lenausschreibung finden Sie unter www.uni-weimar.de bzw. www.uni-weimar.de/
stellenausschreibungen.
Bewerbungen werden unter Angabe der Kennziffer bis zum 30. November 2022
an die in der ausführlichen Ausschreibung im Internet genannte Adresse erbeten.
Wir freuen uns sehr auf Ihre Bewerbung!
Eine qualitativ hochwertige Lehre, intensive Forschungstätigkeit, eine
starke internationale Ausrichtung und das eigenständige Promotions-
recht zeichnen uns aus. Auf unserem für seine Architektur preis-
gekrönten Campus finden knapp 10.000 Studierende, mehr als 160
Professor*innen sowie ca. 750 Beschäftigte attraktive Lern-, Lehr- und
Arbeitsbedingungen vor.
Im Rahmen des Zentrums hessian.AI besetzen wir an der Hochschule Fulda
zum nächstmöglichen Zeitpunkt im Fachbereich Angewandte Informatik eine
Professur (W2)
für das Lehrgebiet
AI für die Robotik
hervorragende Rahmenbedingungen für die Forschung bei verringertem
Lehrdeputat
Vollzeit, Beamtenverhältnis
Bewerbungsende: 01.12.2022
Detaillierte Informationen zu Aufgabengebiet, Anforderungs-
profil sowie Bewerbungsmodalitäten finden Sie unter:
hs-fulda.de/stellenangebote
44 STELLENMARKT 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

Studium generale Worum geht’s ... in der Bienenforschung?

BEOBACHTET VON JULIAN FIEBACH VON CHRISTINE PRUSSKY

Das sagt die Professorin
Fast alle denken bei Bienen an die Honigbiene. Tatsächlich gibt
es allein in Deutschland rund 550 Bienenarten. Das Gros sind
Wildbienen, die – auch das wissen nur wenige – ihren Nach-
wuchs ohne Staat großziehen. Ich erforsche, was Wildbienen
brauchen, um den Pollencocktail für ihren Nachwuchs herzu-
stellen. Welche Proteine, Fette und Vitamine sind es genau?
Dieses Wissen hilft uns, Wildbienen besser zu schützen. Als
Pflanzenbestäuber sind sie extrem wichtig für unsere Ernährungs-
kette. Was ihr Verlust bedeutet, kann man zum Beispiel in
China sehen: Dort werden Pflanzen teilweise per Hand bestäubt.
Sara Leonhardt ist Professorin für Bienenforschung an der
Die Blockade Technischen Universität München
Das sagt die Studentin
Seit dem vierten Semester arbeite ich als studentische Hilfskraft
in der Bienenforschung – für mich ist das ein echter Glücksfall!
Die Labor- und die Feldarbeit machen Spaß. Je mehr ich mich
mit Bienen beschäftige, desto mehr will ich wissen. Mein Stu-
dium ist auf biologisches Grundlagenwissen ausgelegt. Bienen
kamen nur in einer Vorlesung zur Bestäuberbiologie vor. Das
ist okay, weil ich bei der Arbeit viel über Bienen lerne. Später
würde ich gern in die Forschung gehen, auch wenn ich weiß,
dass es dort kaum Stellen gibt und ich in der Wirtschaft mehr
Geld verdienen könnte. Aber Wissenschaft ist so faszinierend.
Sophie Lauber studiert im sechsten Bachelorsemester
Life Sciences Biologie an der Technischen Universität München
Gut zu wissen
Fach: Die Bienenforschung ist ein interdisziplinäres Fach-
gebiet, das unter anderem Biologie, Ökologie, Chemie
und Molekularbiologie vereint. Mehr als 20 staatliche und
private Forschungsinstitute haben sich in Deutschland zu
einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen.
Studium und Beruf: Der Weg in die Bienenforschung
führt bei vielen über ein Biologie-Studium. Stellen in der
Wissenschaft sind rar. Die Expertise ist aber auch jenseits
der Forschung in Ministerien, Umweltbehörden und
Artenschutzstellen gefragt. Auch in städtebaulichen
Planungsbüros ist das Wissen nötig, etwa um Grünstreifen
bienenfreundlich zu gestalten.

ANZEIGE

DAS DUALE HOCHSCHULSTUDIUM

MIT ZUKUNFT.
An der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik der Universität der Bundeswehr München ist in einem gemeinsa-
men Berufungsverfahren mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) zum nächstmöglichen
Zeitpunkt die

Die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) zählt mit ihren derzeit rund 34.000 Studierenden (an 9 Standorten und 3
W3-Universitätsprofessur für Systemdynamik und Regelungstechnik
Campus) und 9.000 kooperierenden Unternehmen und sozialen Einrichtungen zu den größten Hochschulen des Landes. bei gleichzeitiger Beurlaubung als

Direktorin oder Direktor des Instituts für Systemdynamik und

Der Standort Mosbach bietet gemeinsam mit seiner Außenstelle Bad Mergentheim 37 Studienangebote in den Fakultäten Wirtschaft
und Technik an. Zum Studienjahr 2022/2023 studieren 3.000 Studierende an der DHBW Mosbach.
ZUM NÄCHSTMÖGLICHEN ZEITPUNKT SIND AN DER DHBW MOSBACH DIE FOLGENDEN STELLEN ZU BESETZEN:
FAKULTÄT TECHNIK:
Professur für Bauingenieurwesen, insb. Infrastrukturbau (w/m/d)
in Vollzeit, Verfahren 2021-MOS-T-6
Campus Mosbach, Besoldungsgruppe W2
Das Aufgabengebiet umfasst die Lehre in grundlagenorientierten oder fachspezifischen Modulen des Bauingenieurwesens ins-
besondere im Bereich des Infrastrukturbaus. Dabei ist es wünschenswert, insbesondere die Themen Straßenbau und Verkehrs-
wesen abzudecken.
Ansprechpersonen dieses Verfahrens sind:
Dekan, Herr Prof. Dr. Mühlhäuser (max.muehlhaeuser@mosbach.dhbw.de)
Studiendekanin, Frau Prof. Dr. Simons (isabelle.simons@mosbach.dhbw.de)
Gleichstellungsbeauftragte, Frau Prof. Dr. Heine (ruth.heine@mosbach.dhbw.de)
Bewerbungsfrist: 17.11.2022
Bitte ausschließlich über den Browser Firefox unter folgendem Link bewerben: https://schnelle-bewerbung.de/cawzn oder per
E-Mail an: bewerbungen_mos@mosbach.dhbw.de
FAKULTÄT WIRTSCHAFT:
Professur für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre
und Rechnungswesen (w/m/d)
in Vollzeit, Verfahren 2022-MOS-W-9
Campus Mosbach, Besoldungsgruppe W2
Fühlen auch Sie sich der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre und dem Rechnungswesen leidenschaftlich verbunden? Haben Sie
Lust darauf, mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten und sie in ihrer fachlichen und persönlichen Entwicklung zu begleiten?
Freuen Sie sich darauf, sich in einem Team von Hochschullehrenden in die Umsetzung und Fortentwicklung eines dualen Studien-
konzepts einzubringen sowie einschlägige Forschungsprojekte zu realisieren?
Wenn ja, sollten Sie unbedingt weiterlesen:
Zur Ergänzung unseres Teams ist im Studiengang „Rechnungswesen Steuern Wirtschaftsrecht (RSW)“ zum nächstmöglichen
Zeitpunkt eine Professur für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Rechnungswesen zu besetzen.
Der/Die Stelleninhaber*in vertritt insbesondere das Fachgebiet der Betriebswirtschaftlichen Steuerlehre (z. B. Ertragsteuern,
Verkehrssteuern sowie Einzelfragen der Unternehmensbesteuerung). Erwartet wird ferner die Bereitschaft und Fähigkeit zur
Übernahme von Lehrveranstaltungen im Bereich der unternehmensrechnungsorientierten Betriebswirtschaftslehre (z. B. Kosten-
und Leistungsrechnung, Finanzierung, Investition). Ferner wäre die Übernahme von Vorlesungen im externen Rechnungswesen
wünschenswert.
Wir suchen eine teamfähige und kommunikationsstarke Persönlichkeit, die ihre Berufserfahrung in Steuerberatungs- und/oder
Wirtschaftsprüfungsunternehmen und/oder in einschlägigen Abteilungen von Industrie-/Handels- oder ähnlichen Unternehmen/
Einrichtungen erworben hat. Das Ablegen des Berufsexamens zum/zur Steuerberater*in und/oder Wirtschaftsprüfer*in kann Ihre
Bewerbung abrunden, ist aber kein „Muss“. Die Bereitschaft zur perspektivischen Übernahme einer Studiengangleitungsfunktion
ist gewünscht.
Haben wir Ihr Interesse geweckt und erfüllen Sie die nachfolgenden Einstellungsvoraussetzungen?
Dann richten Sie Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen bitte bis zum 17.11.2022 ausschließlich über den Browser Firefox
unter folgendem Link an: https://schnelle-bewerbung.de/rqxcl oder per E-Mail an: bewerbungen_mos@mosbach.dhbw.de
Sie haben noch Fragen? Kommen Sie gerne auf uns zu. Ansprechpersonen dieses Verfahrens sind:
Dekanin: Frau Prof. Dr. Elke Heizmann, Elke.Heizmann@mosbach.dhbw.de
Ansprechpartner: Herr Prof. Dr. Stefan Leukel, Stefan.Leukel@mosbach.dhbw.de
Gleichstellungsbeauftragte: Frau Prof. Dr. Ruth Heine, Ruth.Heine@mosbach.dhbw.de
Einstellungsvoraussetzungen:
Vorausgesetzt werden gemäß § 47 LHG ein abgeschlossenes Hochschulstudium, besondere wissenschaftliche Befähigung (in der
Regel Promotion), pädagogische Eignung sowie mindestens fünf Jahre berufspraktische Erfahrung, davon mindestens drei Jahre
außerhalb des Hochschulbereichs. Sie sollten zudem bereit sein, an der wissenschaftlichen Entwicklung, insbesondere durch
Forschung und wissenschaftliche Weiterbildung, teilzuhaben. Erwartet wird ein besonderes Maß an Engagement, Kooperations-
bereitschaft mit den beteiligten Unternehmen und sozialen Einrichtungen sowie die Bereitschaft zur Gremienarbeit.
Die Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit als Professor*in ist in der Regel nach dreijähriger Bewährung im Beamten-
verhältnis auf Probe möglich, falls das Lebensalter bei der Einstellung 47 Jahre, bei Erfüllung besonderer Voraussetzungen 52 Jahre,
nicht übersteigt.
Regelungstechnik am DLR (Oberpfaffenhofen) (w/m/d)
zu besetzen.
Das DLR und die Universität der Bundeswehr München haben auf dem Gebiet der Systemdynamik und der Regelungs-
technik eine ausgeprägte wissenschaftliche Zusammenarbeit etabliert, die weiter intensiviert werden soll. An der Fakul-
tät für Luft- und Raumfahrttechnik an der Universität der Bundeswehr München forschen und lehren 20 Professorinnen
und Professoren und ca. 240 Wissenschaftliche Mitarbeitende. Die Fakultät deckt die gesamte fachliche Breite luft- und
raumfahrttechnischer Anwendungen ab und fokussiert methodisch auf die Bereiche Entwurf und Betrieb komplexer
Systeme in der Luft- und Raumfahrt, Aero-, Thermo- und Fluiddynamik sowie Bauweisen und Werkstoffe. Automotive
Systeme sind ebenfalls wichtiger Teil der Forschungsaktivitäten. Das DLR ist das Forschungszentrum der Bundesrepublik
Deutschland für Luft- und Raumfahrt. Seine Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in Luftfahrt, Raumfahrt, Energie,
Verkehr, Sicherheit und Digitalisierung sind in nationale und internationale Kooperationen eingebunden. Das Institut
für Systemdynamik und Regelungstechnik mit seinen 80 Mitarbeitenden hat international anerkannte Kompetenzen in
der Modellierung, Regelung und Optimierung komplexer dynamischer Systeme in den Anwendungsbereichen Luft- und
Raumfahrt, Robotik und Mobilität. Es verfügt über eine hervorragende experimentelle Ausstattung und beherrscht die
komplette Tool- und Prozesskette vom Entwurf bis zur Realisierung. Unter www.dlr.de/sr finden Sie weiterführende
Informationen zum Institut für Systemdynamik und Regelungstechnik.
Gesucht wird eine hervorragend qualifizierte Persönlichkeit mit international anerkannter wissenschaftlicher
Reputation und einer Forschungstätigkeit im Bereich Systemdynamik und Regelungstechnik. Ausgewiesene
Fachkenntnisse in fortschrittlichen Modellierungs- und Regelungsmethoden und einem oder mehreren vom
Institut bearbeiteten Anwendungsgebieten werden erwartet. Kenntnisse auf den Gebieten Optimierung und
Künstliche Intelligenz in der Regelungstechnik sind wichtige Zusatzqualifikationen. Ebenso wird eine langjährige
Berufs- und Führungserfahrung im Hochschul-/Wissenschaftsbetrieb oder im industriellen Umfeld erwartet sowie
hervorragende didaktische Fähigkeiten und akademische Lehrerfahrung. Ausgewiesene Erfahrungen in der Leitung
von internationalen interdisziplinären wissenschaftlichen Projekten sowie erfolgreiche Drittmitteleinwerbung sind
erwünscht. Einstellungsvoraussetzungen sind eine Promotion und zusätzliche wissenschaftliche Leistungen, die
z. B. durch eine Habilitation nachgewiesen werden können. Ferner wird die Übernahme einer gleichstellungs- und
diversitätsorientierten Führungsverantwortung erwartet.
Von der Stelleninhaberin bzw. dem Stelleninhaber wird die Beteiligung an der Lehre an der Fakultät für Luft- und Raum-
fahrttechnik der Universität der Bundeswehr München im Umfang von zwei Trimesterwochenstunden erwartet.
Die zukünftige Stelleninhaberin oder der zukünftige Stelleninhaber wird als Universitätsprofessorin oder Universitäts-
professor an die Universität der Bundeswehr München berufen und dort beurlaubt, um im Deutschen Zentrum für Luft-
und Raumfahrt die Leitung des DLR-Instituts zu übernehmen.
Die Universität der Bundeswehr München bietet für Offizieranwärterinnen und -anwärter sowie Offizierinnen und
Offiziere ein wissenschaftliches Studium an, das im Trimestersystem zu Bachelor- und Masterabschlüssen führt. Das
Studium wird durch fächerübergreifende, berufsqualifizierende Anteile des integralen Begleitstudiums studium plus
ergänzt.
Die Einstellungsvoraussetzungen und die dienstrechtliche Stellung von Professorinnen und Professoren richten sich
nach dem Bundesbeamtengesetz.
Die Universität der Bundeswehr München und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt streben die Erhöhung
des Anteils von Frauen im Wissenschaftsbetrieb an und fordern deshalb Wissenschaftlerinnen nachdrücklich auf, sich
zu bewerben.
Schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerbern wird bei im Wesentlichen gleicher fachlicher und persönlicher
Eignung der Vorrang gegeben.
Nähere Auskünfte zur ausgeschriebenen Stelle erteilt Frau Dr. Anke Pagels-Kerp, Bereichsvorstand Raumfahrt des DLR,
Tel. +49 2203-601 4100, E-Mail: Anke.Pagels-Kerp@dlr.de. Nähere Auskünfte zur Professur erteilt Herr Univ.-Prof. Dr.
Matthias Gerdts, Tel. +49 89 6004-3030, E-Mail: Dekan.lrt@unibw.de.
Bewerbungen in deutscher oder englischer Sprache mit den üblichen Unterlagen (Lebenslauf, Darstellung des wissen-
schaftlichen Werdegangs, Auflistung der abgehaltenen Lehrveranstaltungen und sonstige Nachweise der Lehrqualifika-
tion, Lehrkonzept, Verzeichnis der Veröffentlichungen sowie Sonderdrucke der fünf wichtigsten Publikationen nebst
Kopien von Zeugnissen und Urkunden) sowie einer aussagekräftigen Darstellung Ihrer Forschungsinteressen und -pläne
richten Sie bitte bis zum 11.12.2022 an den Bereichsvorstand für Raumfahrt des DLR, Frau Dr. Anke Pagels-Kerp (E-Mail:
berufungen@dlr.de), Linder Höhe, 51147 Köln. Zusätzlich senden Sie bitte Ihre Bewerbungsunterlagen als vertrauliche
Personalsache an den Dekan der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik der Universität der Bundeswehr München,
85577 München (E-Mail: dekan.lrt@unibw.de).
Ihre Bewerbungsdaten werden jeweils durch die zuständigen Stellen (UniBw M und DLR) und, soweit das für die
Durchführung des Berufungsverfahrens erforderlich ist, in gemeinsamer Verantwortlichkeit gemäß Artikel 26 DSGVO
verarbeitet. Detaillierte Informationen zur Verarbeitung und weitere Hinweise zum Datenschutz, u. a. zu Ihren weiteren
Rechten, der Möglichkeit zur Beschwerde sowie weiteren Kontaktmöglichkeiten, werden Ihnen nach Eingang Ihrer
Bewerbung übersandt.
Die Bereitschaft für eine Sicherheitsüberprüfung nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz (§ 8 ff. SÜG) wird für eine
Bewerbung vorausgesetzt. Die Eignung gemäß SÜG ist Voraussetzung für die Einstellung beim DLR.
Vertretungsprofessur
ALLGEMEINE PSYCHOLOGIE UND
SOZIALPSYCHOLOGIE
Bes. Gr. W2 (Stellen-Nr. 242)
Professur
PFLEGEWISSENSCHAFT
Bes. Gr. W2 (Stellen-Nr. 231)
Bewerbung mit den üblichen Unterlagen, unter Angabe der Stellennummer,
senden Sie bitte bevorzugt über das Bewerbungsportal oder per Post an die
Hochschule Ravensburg-Weingarten, Rektor Herrn Prof. Dr. Spägele, Postfach 30 22
in 88216 Weingarten.
Die vollständigen Ausschreibungstexte finden Sie auf unserer Website:
www.rwu.de
Die Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften
beabsichtigt, im Laufe des Jahres 2023 eine
W3-Universitätsprofessur für Recht
und Digitalisierung
einzurichten und zu besetzen.
Die zukünftige Stelleninhaberin bzw. der zukünftige Stelleninhaber
vertritt das Fach Recht und Digitalisierung umfassend in Forschung und
Lehre. Die Professur soll eine Brückenfunktion zwischen der juristischen
und technischen Perspektive auf die Digitalisierung einnehmen und in
Lehre und Forschung sowohl juristische Fragestellungen als auch solche
aus der Informationstechnologie behandeln. Kern ist dabei stets die
Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen Recht und Digitalisierung,
also (1) welche Anforderungen Rechtsordnungen an digitale Lösungen
stellen und wie (2) Rechtsordnungen gestaltet werden können, dass sie
die technischen Anforderungen und das Potential der Digitalisierung
berücksichtigen. Dies erfordert eine Persönlichkeit, die in der Lage
ist, sowohl IT-technische Fragen aus einer juristischen Perspektive als
auch juristische Fragen aus einer IT-technischen Perspektive heraus zu
untersuchen.
Gesucht wird eine Wissenschaftlerin bzw. ein Wissenschaftler, die bzw.
der durch exzellente Forschung im Bereich der Gestaltung rechts-
sicherer und die Privatsphäre der Bürger wahrender digitaler Abläufe
international ausgewiesen ist und Erfahrung in der Einwerbung von
Drittmitteln mitbringt. Wünschenswert sind innovative Arbeiten in den
Bereichen IT-Sicherheit und Privacy. Die Forschung sollte methodisch
an die in den Wirtschaftswissenschaften üblichen quantitativen
Ansätze bzw. an die konstruktivistischen Methoden der angewandten
Informatik und der Wirtschaftsinformatik (z. B. Design Science)
anschlussfähig sein.
Die Professur soll Lehrveranstaltungen zu den Themengebieten
„Recht und Digitalisierung“ und „IT- Sicherheit und Legal Technology“
anbieten. Wünschenswert sind dabei sowohl juristische Lehrinhalte,
beispielsweise Informations- und Datenschutzrecht oder die Wirkung
der Digitalisierung auf Register-, Sachen- und Gesellschaftsrecht, als
auch die organisatorischen und technischen Grundlagen der Sicherung
von Informationssystemen vor dem Hintergrund der Digitalisierung
von Abläufen in der Gesellschaft.

Zur Lehre gehört auch die Betreuung von wissenschaftlichen Arbeiten (Projekt-/Studien- und Bachelorarbeiten). Die allgemeinen Die Bereitschaft zur Vernetzung mit anderen Professuren der Fakultät
wird vorausgesetzt. Eine zukünftige Mitwirkung an den universitären
Dienstaufgaben einer Professur ergeben sich aus § 46 LHG. Forschungseinrichtungen RISK oder CODE ist wünschenswert.
Weiterentwicklungsmöglichkeiten: Eine besondere Qualität der Lehre unter Einbindung innovativer
An der DHBW besteht die Möglichkeit, sich neben dem Schwerpunkt Lehre bei der strategischen Ausrichtung, Betreuung und didaktischer Methoden wird erwartet.
Organisation des Studienganges und/oder in der Kooperativen Forschung zu engagieren. Zu den Aufgaben der zukünftigen Stelleninhaberin bzw. des zukünftigen
Der Standort Mosbach mit Campus Bad Mergentheim wurde bereits 2008 als erster DHBW-Standort als familiengerechte Hoch- Stelleninhabers gehört die Qualifizierung und Förderung des akademischen
schule zertifiziert. Dies ist Ausdruck des DHBW-Interesses, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Nachwuchses, insbesondere im Rahmen der Betreuung von Promotionen.

Die landschaftlich sehr schön gelegene Stadt Mosbach bietet umfangreiche Infrastruktur für Familien (zahlreiche Schulen, Neckar- An der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt folgende Stelle zu besetzen: Die Übernahme einer gleichstellungs- und diversitätsorientierten
Führungsverantwortung wird erwartet. Darüber hinaus wird die
Odenwald-Kliniken, S-Bahn-Anschluss nach HD/MA bzw. HN/S). Bereitschaft zur Mitarbeit in der akademischen Selbstverwaltung und
Juniorprofessur für Quantitative Macroeconomics (W1) beim Aufbau des neuen Bachelorstudiengangs „Digitale Verwaltung“
Die DHBW strebt eine Erhöhung des Anteils von Frauen in Lehre und Forschung an, daher sind Bewerbungen von Frauen be- Die Juniorprofessur wird in Kooperation mit dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) eingerichtet. Das IWH vorausgesetzt.
sonders erwünscht. Schwerbehinderte werden bei entsprechender Eignung vorrangig berücksichtigt (bitte Nachweis beifügen). ist eines von sieben wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten der Leibniz-Gemeinschaft in Deutschland (www.iwh- Voraussetzung für eine Bewerbung sind exzellente wissenschaftliche
halle.de). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Strukturwandel und Produktivität, Finanzmarktforschung und Leistungen, die durch eine Habilitation oder habilitationsäquivalente
Aufgrund der derzeitigen Coronalage wird das Berufungsverfahren in digitaler Form bearbeitet und Bewerbungsgespräche entweder Makroökonomik. Die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Leipzig (https://www.wifa.uni-leipzig.de) beteiligt sich an Leistungen sowie einschlägige Publikationen in internationalen
in virtueller Form abgehalten oder mit den entsprechenden Hygienemaßnahmen in Präsenz durchgeführt. Die Entscheidung dazu dem interdisziplinären Forschungsprofilbereich „Nachhaltige Systeme und Biodiversität“ der Universität Leipzig und kooperiert mit Fachzeitschriften nachgewiesen werden.
treffen wir je nach Stelle und nach aktueller Situation und werden Sie dazu während des Besetzungsverfahrens informieren. Wir dem IWH insbesondere auf dem Gebiet Environmental Macroeconomics. Die Juniorprofessur dient dem Ausbau der Kooperation Die Universität der Bundeswehr München bietet für Offizieranwärterinnen
bitten um Ihr Verständnis. zwischen der Fakultät und dem IWH, wo dem künftigen Stelleninhaber/der künftigen Stelleninhaberin ein akademisch reizvolles und -anwärter, für Offizierinnen und Offiziere sowie ausgewählte zivile
Duale Hochschule Baden-Württemberg Mosbach Umfeld geboten wird und auf Ressourcen für Forschungsaktivitäten zurückgegriffen werden kann. Die Juniorprofessur ist sowohl an Studierende der Bundesbehörden ein wissenschaftliches Studium an,
Verwaltung
der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig als auch in der Abteilung Makroökonomik des IWH angesiedelt. das im Trimestersystem zu Bachelor- und Masterabschlüssen führt. Das
Der Aufbau einer Forschungsgruppe auf dem Gebiet Environmental Macroeconomics wird erwartet. Studium wird durch fächerübergreifende, berufsqualifizierende Anteile
Lohrtalweg 10 Gesucht wird ein Kandidat (m/w/d) im Bereich Environmental Macroeconomics. des integralen Begleitstudiums studium plus ergänzt.
74821 Mosbach Eine quantitative Ausrichtung der Forschung, Erfahrungen auf dem Gebiet dynamischer Allgemeiner Gleichgewichtsmodelle Die Einstellungsvoraussetzungen und die dienstrechtliche Stellung
Homepage: www.mosbach.dhbw.de sowie der Klima- oder Biodiversitätsmodellierung und ein starkes Interesse an der Anwendung ökonomischer Methoden auf von Professorinnen und Professoren richten sich nach dem Bundes-
wirtschaftspolitische Fragen sind erwünscht. beamtengesetz. In das Beamtenverhältnis kann berufen werden, wer
DARÜBER HINAUS SIND WIR AUF DER SUCHE NACH QUALIFIZIERTEN Eine ausführliche Stellenbeschreibung mit weiteren Informationen zu den Erwartungen an den/die zukünftige:n Stelleninhaber:in, die am Tag der Ernennung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
persönlichen Voraussetzungen sowie rechtliche Grundlagen für die Berufung, einzureichende Unterlagen und Ausführungen zum Die Universität strebt eine Erhöhung des Anteils von Professorinnen an
Datenschutz finden Sie unter www.uni-leipzig.de/stellen und fordert deshalb ausdrücklich Wissenschaftlerinnen zur Bewerbung
nebenberuflichen Lehrbeauftragten (m/w/d) auf.
Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber werden bei gleicher
Aufgrund unseres Wachstums sind wir ständig auf der Suche Qualifikation besonders berücksichtigt.
nach qualifizierten Lehrbeauftragten in weiteren Fächern des ZEIT STELLENMARKT
Bitte richten Sie die üblichen Bewerbungsunterlagen bis zum 23.12.2022
gesamten Studienangebotes der DHBW Mosbach und Bad
Mergentheim. Informationen erhalten Sie auf unserer Home-
Auf der Suche nach als vertrauliche Personalsache elektronisch an dekan.wow@unibw.de
oder postalisch an den Dekan der Fakultät für Wirtschafts- und
page unter: https://www.mosbach.dhbw.de/informationen-fuer/ An der Fakultät Landbau/Umwelt/Che-
mie ist zum Sommersemester 2024 die
Weitere Auskünfte erteilt Ihnen:
Prof. Dr. Arne Cierjacks, Prodekan der
neuen KollegInnen? Organisationswissenschaften, Herrn Prof. Dr. Claudius Steinhardt,
Universität der Bundeswehr München, 85577 Neubiberg.
lehrende/ Fakultät Landbau/Umwelt/Chemie, Tel.:
Schalten Sie schnell und Mit der Bewerbung erklären Sie sich einverstanden, dass Ihre Daten von
Professur (W2) Angewandte 0351 462-3640
den mit dem Bewerbungsverfahren zuständigen Stellen verarbeitet
unkompliziert Ihre Print-
Organische Chemie (m/w/d) nähere Infos erhalten Sie unter: werden. Nähere Angaben zum Datenschutz finden Sie auf der
www.htw-dresden.de/karriere Online-Stellenanzeige: Homepage der UniBw München.
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Bewerbung schriftlich unter Angabe der Scan me: Näheres
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per E-Mail bis zum 08.01.2023 an: zu Ihrer Stelle.
bewerbung@htw-dresden.de
DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022
Die Zahl
60 %
Dass der Mensch ein bio-psycho-soziales Wesen
der Studierenden
bevorzugen
sozialen Netzwerk. Und dass es die Aufgabe der
Lehrveranstaltungen
Gesundheit oder Krankheit bis hin zur Lebens-
in Präsenz
Quelle: Online-Befragung Stu.diCo III
ANZEIGE
Die Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften
beabsichtigt, im Laufe des Jahres 2023 eine
W3-Universitätsprofessur für Rechnungswesen
und IT-gestützte Berichtssysteme
einzurichten und zu besetzen.
Die zukünftige Stelleninhaberin bzw. der zukünftige Stelleninhaber
vertritt das Fach Rechnungswesen umfassend in Forschung und Lehre.
Gesucht wird eine Wissenschaftlerin bzw. ein Wissenschaftler, die
bzw. der durch exzellente Forschung im Bereich des Financial Accounting
international ausgewiesen ist und Erfahrung in der Einwerbung von
Drittmitteln aufweist. Die zukünftige Stelleninhaberin bzw. der zukünftige
Stelleninhaber soll in der Forschung auf folgenden Gebieten besonders
ausgewiesen sein: Rechnungswesen und Rechnungslegung der öffent-
lichen Verwaltung, Einsatz von ERP-Systemen in Verwaltungen und
Unternehmen. Die Forschung sollte empirisch oder gestaltungsorientiert
ausgerichtet sein und zu mindestens einem der Forschungsschwer-
punkte der Fakultät (Digitalisierung und Business Analytics, Management
öffentlicher Aufgaben, Risiko) beitragen. Sie sollte gemäß dem Leit-
thema der Fakultät „Innovation und Verantwortung in der Data Society“
aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und ihre Konsequenzen
aufgreifen.
Der Professur obliegen Lehraufgaben in den Themengebieten Rechnungs-
wesen, internationale Rechnungslegung und ERP/IT-Systeme. Letztere
sollen dabei nicht nur aus einer Anwenderperspektive, sondern auch
aus technischer Sicht Gegenstand der Lehre sein. Dabei sind in den
Lehrveranstaltungen für den Studiengang „Digitale Verwaltung“ die
Besonderheiten des Rechnungswesens der öffentlichen Verwaltung
und der spezifische Einsatz von IT-Anwendungen in Behörden zu
berücksichtigen.
Die Bereitschaft zur Vernetzung mit anderen Professuren der Fakultät
wird vorausgesetzt. Eine zukünftige Mitwirkung an den universitären
Forschungseinrichtungen RISK oder CODE ist wünschenswert.
Eine besondere Qualität der Lehre unter Einbindung innovativer
didaktischer Methoden wird erwartet.
Zu den Aufgaben der zukünftigen Stelleninhaberin bzw. des zukünftigen
Stelleninhabers gehört die Qualifizierung und Förderung des akade-
mischen Nachwuchses, insbesondere im Rahmen der Betreuung von
Promotionen.
Die Übernahme einer gleichstellungs- und diversitätsorientierten
Führungsverantwortung wird erwartet. Darüber hinaus wird die Bereit-
schaft zur Mitarbeit in der akademischen Selbstverwaltung und
beim Aufbau des neuen Bachelorstudiengangs „Digitale Verwaltung“
vorausgesetzt.
Voraussetzung für eine Bewerbung sind exzellente wissenschaftliche
Leistungen, die durch eine Habilitation oder habilitationsäquivalente
Leistungen sowie einschlägige Publikationen in internationalen
Fachzeitschriften nachgewiesen werden.
Die Universität der Bundeswehr München bietet für Offizieranwärterinnen
und -anwärter, für Offizierinnen und Offiziere sowie ausgewählte zivile
Studierende der Bundesbehörden ein wissenschaftliches Studium an,
das im Trimestersystem zu Bachelor- und Masterabschlüssen führt.
Das Studium wird durch fächerübergreifende, berufsqualifizierende
Anteile des integralen Begleitstudiums studium plus ergänzt.
Die Einstellungsvoraussetzungen und die dienstrechtliche Stellung
von Professorinnen und Professoren richten sich nach dem Bundes-
beamtengesetz. In das Beamtenverhältnis kann berufen werden, wer
am Tag der Ernennung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
Die Universität strebt eine Erhöhung des Anteils von Professorinnen an
und fordert deshalb ausdrücklich Wissenschaftlerinnen zur Bewerbung
auf.
Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber werden bei gleicher
Qualifikation besonders berücksichtigt.
Bitte richten Sie die üblichen Bewerbungsunterlagen bis zum 23.12.2022
als vertrauliche Personalsache elektronisch an dekan.wow@unibw.de
oder postalisch an den Dekan der Fakultät für Wirtschafts- und
Organisationswissenschaften, Herrn Prof. Dr. Claudius Steinhardt,
Universität der Bundeswehr München, 85577 Neubiberg.
Mit der Bewerbung erklären Sie sich einverstanden, dass Ihre Daten
von den mit dem Bewerbungsverfahren zuständigen Stellen verarbeitet
werden. Nähere Angaben zum Datenschutz finden Sie auf der
Homepage der UniBw München.
Global denken,
interdisziplinär forschen:
Leibniz leben!
Universalität, Diversität und Interdisziplinarität sind unsere Stärken.
Mehr als 30.000 Studierende, drei Exzellenzcluster, 5000 Beschäf-
tigte und mehr als 150 Institute: Mit einer hervorragend ausgebau-
ten Infrastruktur bietet die Leibniz Universität Hannover Raum für
innovative Lehre und Forschung auf Spitzenniveau in einem breiten
Fächerspektrum.
An der Juristischen Fakultät ist folgende Position der BesGr. W3
NBesO baldmöglichst zu besetzen:
Universitätsprofessur (m/w/d) für
Bürgerliches Recht, IT-Recht sowie
möglichst ein weiteres Fach
Bewerbungen werden erbeten bis zum 16.12.2022.
Den vollständigen Text der Ausschreibung
entnehmen Sie bitte dem Internet unter:
www.uni-hannover.de/de/jobs/5643/
STELLENMARKT 45
3½ Fragen an: Gerhard Trabert
1. 2. 3. 3½.
Was brauchen Sie heute im Beruf, Was hat Sie während eines akademischen Lektüre muss sein. Welche? Und sonst so?
was Sie im Studium nicht gelernt haben? Auslandsaufenthaltes besonders beeindruckt? Zeitungen, bestimmte Zeitschriften, Reise- Lebe das Leben, und
Das Engagement, die Kreativität und Fantasie berichte und Reportagen von Entdeckerinnen lass dich nicht nur
ist. Dass Gesundheit vom individuellen zahlreicher Kolleginnen und Kollegen weltweit und Abenteurern. Und immer mal wieder der vom Leben leben.
ökonomischen, kulturellen und sozialen
Humankapital abhängig ist – also den
während eines Fortbildungskongresses in
Nairobi zum Thema »Gesundheitliche Situation
Aufsatz von Stéphane Hessel: Empört Euch!, der
die Abkehr Europas von der eigenen
finanziellen Ressourcen, Bildung und einem
von Straßenkindern«. Die Solidarität mit den
von extremster Armut betroffenen Kindern und
Identität, nämlich Humanismus und
Mitmenschlichkeit, akzentuiert beschreibt.
Medizin ist, diese Parameter – welche die
zugleich das engagierte und kritisch-gesellschafts-
politische Handeln in den einzelnen Ländern.
Leistungssteigerung, Finanzkapitalismus,
egoistischer Wettbewerb bestimmen unser
Gerhard Trabert, 66, ist
Professor für Sozialmedizin
erwartung bestimmen – bei jeglicher
Form von Behandlung und Therapie zu
Armut ist nicht einfach da, sondern das Ergebnis
von politischen Entscheidungen, sozialer
Leben und nicht die Maxime der Französischen
Revolution: Liberté, Égalité, Fraternité –
an der Hochschule Rhein-
Main sowie Leiter der
berücksichtigen und zu fördern. Ungleichheit und Verteilungsungerechtigkeit. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Ambulanz ohne Grenzen
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter ZEIT WISSEN³ unter www.zeit.de/wissendrei
Die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar) ist eine der forschungs-
stärksten anwendungsorientierten Hochschulen in Deutschland. Aktuell studieren über 6.000
Studierende an der Hochschule in den Fakultäten für Architektur- und Bauingenieurwesen,
Ingenieur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Die htw saar ist international ausgerichtet
(erfolgreicher Abschluss des Reaudit Internationalisierung, Konsortialführer des DHIK); sie ist An der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik an der
Mitglied der European University Association und verfügt über ein Netzwerk von über 50 inter- Universität der Bundeswehr München ist zum nächstmöglichen
nationalen Hochschulpartnerschaften. Zwölf internationale Studiengänge werden mit der Université Zeitpunkt/zum 01.01.2024 folgende Professur zu besetzen:
de Lorraine im Rahmen des Deutsch-Französischen Hochschulinstituts (DFHI) angeboten.
In der Fakultät für Sozialwissenschaften ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt folgende Stelle zu
W2-Universitätsprofessur für Elektrische
besetzen:
Nachwuchs-Professur (W1) mit Tenure Track Energienetze und Hochspannungstechnik
(W2) für Angewandte Kindheitspädagogik Die anstehende funktionale Erweiterung der elektrischen Energienetze
(Kennziffer 102) im Hinblick auf die Integration volatiler erneuerbarer Energiequellen,
Nähere Informationen zu dem Anforderungsprofil, zu den Einstellungsvoraussetzungen und von Energiespeichern und neuen Abnehmern, z. B. durch die Elektro-
den Bewerbungsmodalitäten finden Sie im Volltext auf unserer Homepage www.htwsaar.de/ mobilität, stellt neue Anforderungen an die Strukturen und Komponenten
stellenausschreibungen.
künftiger Energienetze. Der Fokus der Professur soll auf Fragestellungen
Für Ihre Bewerbung erstellen Sie bitte eine Datei im pdf-Format, die eine Größe von 8 MB
der Hochspannungstechnik liegen, die in künftigen Energiesystemen
nicht überschreitet, und senden Sie diese unter Angabe der Kennziffer bis zum 30.11.2022
eine zunehmend wichtigere Rolle spielen werden.
ausschließlich in elektronischer Form an berufungsverfahren@htwsaar.de.
Der Schutz Ihrer personenbezogenen Daten ist uns ein wichtiges Anliegen. Informationen Von der zukünftigen Stelleninhaberin bzw. dem zukünftigen Stellen-
gem. Art. 13 DS-GVO für Bewerbungen auf Stellenausschreibungen finden Sie unter:
https://www.htwsaar.de/datenschutz. inhaber werden exzellente Forschungsarbeiten und praktische Erfah-
Die Informationen im Internet unter https://www.htwsaar.de/stellenausschreibungen sind rungen in mehreren der nachfolgend genannten Bereiche erwartet:
Bestandteil dieser Stellenausschreibung. • Fehlererkennungssysteme sowie Mess- und Schutztechnik in
Hochspannungssystemen, z. B. zur Überwachung und Steuerung
von DC-Netzen (HVDC, MVDC)
• Isolationssysteme und/oder Prüfsysteme für elektronische
(HV-) Komponenten von Energienetzen, -quellen und -speichern
• Messwandler (Spannungs- und Stromwandler) sehr hoher Band-
breite für hohe Isolationsanforderungen
• Schaltkomponenten für die DC-Energieübertragung (HVDC, MVDC)
• Entwurf von EMV-Konzepten (inklusive Blitzschutz-Techniken) für
energietechnische Systeme, Hochspannungselektroniken und/oder
Luftfahrzeuge
Die Professur soll den Themenschwerpunkt Energiewende der Fakultät
stärken. Die Stelleninhaberin bzw. der Stelleninhaber soll daher ebenfalls
Die Hochschule RheinMain als Hochschule für angewandte Wissen- hervorragende Systemkenntnisse und Kenntnisse der energietechnischen
schaften mit ihren Standorten Wiesbaden und Rüsselsheim versteht Anwendungen aufweisen. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und
Vernetzung innerhalb der Fakultät sowie zu den Forschungszentren
sich als weltoffene, vielfältige Hochschule. Sie ist anerkannt für ihre
der Universität wird vorausgesetzt. Für eigene Forschungsaktivitäten
wissenschaftlich fundierte und berufsqualifizierende Lehre sowie stehen eine gut ausgestattete Hochspannungshalle sowie Labore zur
für ihre anwendungsbezogene Forschung, die eng mit der Lehre ver- Verfügung. Die Mitwirkung bei der Weiterentwicklung dieser Infra-
zahnt ist. Insgesamt studieren an der Hochschule RheinMain rund struktur im Sinne der Ausrichtung der Professur wird erwartet.
13.500 Studierende. Sie beschäftigt rund 1000 Mitarbeiter:innen, In der Lehre ist das Gebiet der Hochspannungstechnik sowie in Zusammen-
davon ca. 260 Professor:innen. arbeit mit den Institutskollegen die Elektrische Energietechnik in voller
Breite zu vertreten. Für die von der Fakultät getragenen Bachelor-
Im Fachbereich Sozialwesen im Profilbildenden Forschungs- und Master-Studiengänge sowie für den Studiengang Mathematical
Engineering sind entsprechende Pflicht-Lehrveranstaltungen zu über-
schwerpunkt „Professionalität Sozialer Arbeit“ sind zum nehmen. Darüber hinaus wird die Entwicklung anspruchsvoller Wahl-
01.02.2023 oder nächstmöglich folgende Stellen zu besetzen: pflicht-Lehrveranstaltungen und die Betreuung und Weiterentwicklung
von Praktika erwartet.
Postdoc (m/w/d) Industrieerfahrung oder industrienahe Forschungstätigkeit im ingenieur-
wissenschaftlichen Bereich werden erwünscht. Die Einwerbung von
„Soziale Arbeit in Drittmitteln, die Mitwirkung in der akademischen Selbstverwaltung
sowie die Übernahme einer gleichstellungs- und diversitätsorientierten
Kontexten von Bildung Führungsverantwortung werden erwartet.
Voraussetzung für eine Bewerbung ist eine exzellente wissenschaftliche
Die Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften
und Gesundheit“ Qualifikation, die durch eine Habilitation, im Rahmen einer Junior-
professur nach einer erfolgreichen Zwischenevaluation oder durch
beabsichtigt, im Laufe des Jahres 2023 eine Kennziffer: SW-M-173/22 vergleichbare Tätigkeiten in einer Forschungseinrichtung oder in der
Wirtschaft nachgewiesen werden.
W3-Universitätsprofessur für Digital Process Beschäftigungsumfang: 100 % - gem. § 2
Die Universität der Bundeswehr München bietet für Offizieranwärterinnen
Abs. 1 WissZeitVG auf 2 Jahre befristet
Management und -anwärter sowie Offizierinnen und Offiziere ein wissenschaftliches
Studium an, das in verkürzten Regelstudienzeiten im Trimestersystem
Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung über unser zu Bachelor- und Masterabschlüssen führt. Das Studium wird durch
einzurichten und zu besetzen. fächerübergreifende, berufsqualifizierende Anteile des integralen
Online-Bewerbungsportal bis zum 08.12.2022.
Die zukünftige Stelleninhaberin bzw. der zukünftige Stelleninhaber Begleitstudiums studium plus ergänzt.
vertritt das Fach Digital Process Management umfassend in Forschung und Detaillierte Informationen erhalten Sie unter:
Lehre. Gesucht wird eine Wissenschaftlerin bzw. ein Wissenschaftler, Die Einstellungsvoraussetzungen und die dienstrechtliche Stellung von
die bzw. der durch exzellente Forschung im Bereich der Modellierung, https://stellenangebote.hs-rm.de/5conu Professorinnen und Professoren richten sich nach dem Bundesbeamten-
der Rekonstruktion, der Gestaltung und des Managements von gesetz. In das Beamtenverhältnis kann berufen werden, wer am Tag
digitalen Prozessen international ausgewiesen ist und Erfahrung der Ernennung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
in der Einwerbung von Drittmitteln mitbringt. Die zukünftige
Stelleninhaberin bzw. der zukünftige Stelleninhaber soll in der Postdoc (m/w/d) Die Universität strebt eine Erhöhung des Anteils von Professorinnen an
und fordert deshalb ausdrücklich Wissenschaftlerinnen zur Bewerbung
Forschung Fragen der technischen Grundlagen des Entwurfs, des
Betriebs, der Pflege und des Life-Cycle-Managements von Prozessen „Partizipation in Kontexten auf. Schwerbehinderte Bewerber und Bewerberinnen werden bei
gleicher Qualifikation besonders berücksichtigt.
in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen adressieren.
Wünschenswert sind Arbeiten entweder im Bereich Process Mining
oder hinsichtlich der technischen und organisatorischen Aspekte
transformativer Bitte richten Sie die üblichen Bewerbungsunterlagen bis zum 31.12.2022
als vertrauliche Personalsache elektronisch an dekanat.eit@unibw.de
service-orientierter IT-Landschaften. Die Forschung sollte dabei unter
Entwicklung und Verwendung quantitativer Ansätze methodisch Sozialraumentwicklung“ oder postalisch an den Dekan der Fakultät Elektrotechnik und
Informationstechnik der Universität der Bundeswehr München,
konstruktivistisch ausgerichtet sein.
Kennziffer: SW-M-174/22 85577 Neubiberg.
Die Professur soll mit Lehrveranstaltungen zum Themengebiet „Digital Mit der Bewerbung erklären Sie sich einverstanden, dass Ihre Daten
Process Management“ insbesondere die technischen Grundlagen des Beschäftigungsumfang: 100 % - gem. § 2
Managements von Prozessen in öffentlichen Organisationen und von den mit dem Bewerbungsverfahren zuständigen Stellen verarbeitet
Abs. 1 WissZeitVG auf 2 Jahre befristet werden. Nähere Angaben zum Datenschutz finden Sie auf der
Unternehmen vermitteln. Wünschenswert sind dabei auch Lehr-
inhalte zur klassischen Modellierung von Prozessen mit Modellierungs- Homepage der UniBw München.
notationen wie BPMN und UML, zu den komplexen Wechselwirkungen Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung über unser
zwischen Organisation und IT in Prozesslandschaften, Process Online-Bewerbungsportal bis zum 08.12.2022.
Mining, Services Science oder Robotic Process Automation (RPA). Die
managementorientierte Perspektive soll integraler Bestandteil der Detaillierte Informationen erhalten Sie unter:
Lehre sein, etwa mit einer Veranstaltung zur digitalen Transformation
und dem Management digitaler Dienstleistungen. https://stellenangebote.hs-rm.de/q7tq4
Die Bereitschaft zur Vernetzung mit anderen Professuren der Fakultät
wird vorausgesetzt. Eine zukünftige Mitwirkung an den universitären
Forschungseinrichtungen RISK oder CODE ist wünschenswert. Postdoc (m/w/d)
Eine besondere Qualität der Lehre unter Einbindung innovativer
didaktischer Methoden wird erwartet. „Differenz, Macht und
Zu den Aufgaben der zukünftigen Stelleninhaberin bzw. des
zukünftigen Stelleninhabers gehört die Qualifizierung und Förderung
Professionalität der Universität Vechta
Sozialen Arbeit“
des akademischen Nachwuchses, insbesondere im Rahmen der University of Vechta Zertifikat seit 2013
audit familiengerechte
Betreuung von Promotionen.
hochschule
Die Übernahme einer gleichstellungs- und diversitätsorientierten Kennziffer: SW-M-175/22 Als größte Bildungseinrichtung im Oldenburger Münsterland historisch und
Führungsverantwortung wird erwartet. Darüber hinaus wird die regional verankert ist die Universität Vechta heute international und zukunfts-
Bereitschaft zur Mitarbeit in der akademischen Selbstverwaltung und Beschäftigungsumfang: 100 % - gem. § 2 orientiert ausgerichtet: Rund 4.100 Studierende und mehr als 500 Beschäftigte
beim Aufbau des neuen Bachelorstudiengangs „Digitale Verwaltung“ Abs. 1 WissZeitVG auf 2 Jahre befristet forschen, lehren, arbeiten und studieren an der modernen Campusuniversität
vorausgesetzt. im Herzen Niedersachsens.
Voraussetzung für eine Bewerbung sind exzellente wissenschaftliche Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung über unser An der Universität Vechta sind in der Fakultät I – Bildungs- und Gesellschafts-
Leistungen, die durch eine Habilitation oder habilitationsäquivalente wissenschaften zum nächstmöglichen Zeitpunkt folgende Stellen zu besetzen:
Leistungen sowie einschlägige Publikationen in internationalen Online-Bewerbungsportal bis zum 08.12.2022.
Fachzeitschriften nachgewiesen werden.
Detaillierte Informationen erhalten Sie unter: • Universitätsprofessur (W 2)
Die Universität der Bundeswehr München bietet für Offizieranwärterinnen
und -anwärter, für Offizierinnen und Offiziere sowie ausgewählte zivile https://stellenangebote.hs-rm.de/dfmm7 Recht der Sozialen Dienstleistungen
Studierende der Bundesbehörden ein wissenschaftliches Studium an,
das im Trimestersystem zu Bachelor- und Masterabschlüssen führt. Das • Universitätsprofessur (W 2)
Studium wird durch fächerübergreifende, berufsqualifizierende Anteile
des integralen Begleitstudiums studium plus ergänzt. Inklusive Bildung
Die Einstellungsvoraussetzungen und die dienstrechtliche Stellung Die weiteren Angaben und Voraussetzungen zur Besetzung der Professu-
von Professorinnen und Professoren richten sich nach dem Bundes- ren entnehmen Sie bitte der vollständigen Stellenausschreibung auf der
beamtengesetz. In das Beamtenverhältnis kann berufen werden, wer Website: karriere.uni-vechta.de/stellenangebote. Bewerbungsschluss ist
am Tag der Ernennung das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
jeweils der 09.12.2022.
Die Universität strebt eine Erhöhung des Anteils von Professorinnen an Wissensvermittlung mit starkem Praxisbezug – dafür steht die Fachhochschule Für weitere Auskünfte steht Ihnen das Dekanat der Fakultät I
und fordert deshalb ausdrücklich Wissenschaftlerinnen zur Bewerbung auf. Kiel seit mehr als 50 Jahren. An sechs Fachbereichen werden rund 8000 (E-Mail: fakultaet.eins@uni-vechta.de) gerne zur Verfügung.
Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber werden bei gleicher Studierende interdisziplinär auf aktuelle Herausforderungen von Wirtschaft und
Qualifikation besonders berücksichtigt. Gesellschaft vorbereitet. Das Personal der zweitgrößten Hochschule des Landes
Bitte richten Sie die üblichen Bewerbungsunterlagen bis zum 23.12.2022
leistet einen wichtigen Beitrag dazu.
als vertrauliche Personalsache elektronisch an dekan.wow@unibw.de Am Fachbereich Maschinenwesen ist zum nächstmöglichen Zeitpunkt
oder postalisch an den Dekan der Fakultät für Wirtschafts- und Orga-
nisationswissenschaften, Herrn Prof. Dr. Claudius Steinhardt, Universität
unbefristet eine Vollzeitstelle als
der Bundeswehr München, 85577 Neubiberg. Lehrkraft für besondere Aufgaben mit dem
Mit der Bewerbung erklären Sie sich einverstanden, dass Ihre Daten von Schwerpunkt Ingenieurinformatik An der Universität Klagenfurt gelangt voraussichtlich mit
den mit dem Bewerbungsverfahren zuständigen Stellen verarbeitet 1. März 2023 folgende Stelle zur Besetzung:
werden. Nähere Angaben zum Datenschutz finden Sie auf der mit einer Lehrverpflichtung von 20 Semesterwochenstunden zu besetzen.
Homepage der UniBw München. Weitere Informationen und Details zu dieser Position Senior Lecturer mit Doktorat (w/m/d) im Bereich Neuere
finden Sie auf der Homepage der Fachhochschule Kiel unter: deutsche Literatur (mit Entfristungsoption) am Institut für
www.fh-kiel.de/wir/stellenabgebote Germanistik – Kennung 514/22
Bewerbungen sind bis zum 25.11.2022 mit den üblichen
Unterlagen schriftlich an die Personalabteilung Bewerbungen bis 23. November 2022;
der Fachhochschule Kiel, Sokratesplatz 1, 24149 Kiel alle Details online.
zu richten.
jobs.aau.at
46
Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main ist mit
etwa 48.000 Studierenden und rund 5.000 Beschäftigten eine der größten
Hochschulen in Deutschland. 1914 von Frankfurter Bürgern gegründet
und seit 2008 wieder in der Rechtsform einer Stiftung besitzt die Goethe-
Universität ein hohes Maß an Eigenständigkeit, Modernität und fach-
licher Vielfalt. Als Volluniversität bietet die Goethe-Universität Frankfurt
auf fünf Campus in insgesamt 16 Fachbereichen über 100 Studiengänge
an und besitzt gleichzeitig eine herausragende Forschungsstärke.
In der Goethe Research Academy for Early Career Researchers
(GRADE) ist ab dem 01.01.2023 die Stelle für eine*n
Referent*in für die Beratung
von R3-Wissenschaftler*innen
(E13 TV-G-U)
befristet für 3 Jahre zu besetzen. Die Eingruppierung richtet sich nach
den Tätigkeitsmerkmalen des für die Goethe-Universität geltenden
Tarifvertrags (TV-G-U).
Die Stelle ist dem Vizepräsidenten für Forschung, Nachwuchs und Trans-
fer zugeordnet. Sie wird mit einem Stellenanteil von 80 % bei GRADE ver-
ankert und mit einem Stellenanteil von 20 % in die Arbeit des Bereichs
Research Support (RS) einbezogen.
GRADE ist die zentrale Graduiertenakademie der Goethe-Universität
und zuständig für die Fort- und Weiterbildung von Wissenschaftlern
und Wissenschaftlerinnen in der frühen Berufsphase (Promovierende
und Postdocs) aller Fachbereiche. Sie bietet ein breit gefächertes Qua-
lifizierungsangebot für Promovierende und Postdocs und unterstützt
Wissenschaftler*innen bei der Vernetzung und der Durchführung
selbstorganisierter Kooperationsprojekte. GRADE berät Hochschulleh-
rende bei der Antragstellung für Verbundprojekte zur Förderung der
Early Career Researcher und bietet Weiterbildungsangebote im Be-
reich der Promovierendenbetreuung.
Der Research Support unterstützt Forschende ab der Qualifizierungs-
stufe R2 bei der Einwerbung drittmittelfinanzierter Forschungsprojekte
und unterstützt das Präsidium bei der Weiterentwicklung von ECR-
Konzepten und der Umsetzung und Weiterentwicklung der Tenure-
Track-Programme.
Ihre Aufgaben:
• Umsetzung des novellierten Konzepts der Goethe-Universität zur
Förderung von ECRs (Early Career Researchers) mit Fokus auf die
Zielgruppe der R3-Wissenschaftler*innen
• Identifikation der Zielgruppe R3-Wissenschaftler*innen an der
Goethe-Universität sowie Analyse der Förderbedarfe
• Zentrale Erstberatung der Zielgruppe
• Verknüpfung und zielgruppengerechte Darstellung des bestehen-
den Angebotsportfolios aller ECR-fördernden Einrichtungen der
Goethe-Universität auf spezifischer Plattform einschließlich konti-
nuierlicher Aktualisierung
• Weiterentwicklung bestehender Angebote zu einer umfassenden
R3-Unterstützungsstruktur einschließlich erstmaliger Implementierung
• Entwicklung fachübergreifender, strategischer Vernetzungsangebote
für R3-Wissenschaftler*innen, insbesondere in Kooperation mit der
Johanna Quandt Young Academy at Goethe (JQYA)
• Evaluation der R3-Angebote und Services basierend auf Rückmel-
dungen der Zielgruppe und nachhaltigen Qualitätskriterien
• Schnittstelle zur JQYA sowie zu einschlägigen Abteilungen der Goethe-
Universität mit ECR-Bezug (Berufungsangelegenheiten, Gleich-
stellungsbüro u. a.)
• Mitwirkung bei der Entwicklung möglicher gemeinsamer Förder-
und Vernetzungsangebote für R3-Wissenschaftler*innen im RMU-
Kontext (Allianz der Rhein-Main-Universitäten)
• Mitwirkung bei der Konzeption forschungsstrategischer Prozesse
der Goethe-Universität mit R3-Bezug (z. B. Berichtswesen, Infor-
mationsaufbereitung, Antragstellungen, Weiterentwicklung
interner Förderinstrumente)
• Konzeption und Durchführung von Veranstaltungen für die Ziel-
gruppe R3 in Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen.
Einstellungsvoraussetzungen:
• Promotion in einem an der Goethe-Universität vertretenen Fach und
abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium
• Fundierte Kenntnisse des nationalen Wissenschaftssystems und
(inter-)nationaler Fördermöglichkeiten für fortgeschrittene Postdocs
(R3)
• Einschlägige Erfahrung in der Beratung (internationaler) ECRs, ins-
besondere Postdocs/R3-Wissenschaftler*innen
• Erfahrung in der Wissenschaftskommunikation erwünscht
• Studien- und/oder Forschungserfahrung im Ausland
• Kenntnisse universitärer Arbeitsstrukturen in Wissenschaft und
Verwaltung
• Interkulturelle sowie Diversitäts-Kompetenz
• Verhandlungssicheres Deutsch und Englisch in Wort und Schrift
• Konzeptionelle Denkweise, selbstständige Arbeitsweise, souverä-
nes Auftreten und Teamfähigkeit.
Die Goethe-Universität strebt eine Erhöhung des Frauenanteils an und
fordert deshalb besonders Frauen zur Bewerbung auf. Schwerbehinderte
Menschen werden bei gleicher Qualifikation vorrangig berücksichtigt.
Bitte schicken Sie Ihre Bewerbung mit den üblichen Unterlagen elek-
tronisch in einer PDF-Datei bis zum 15.11.2022 an Dr. Sybille Küster,
Geschäftsführung GRADE, Goethe-Universität Frankfurt am Main,
Rostocker Str. 2, Gebäude Sprach- und Kulturwissenschaften, 60323
Frankfurt am Main (kuester@grade.uni-frankfurt.de). Im Rahmen des
Bewerbungsverfahrens werden entstandene Kosten von der Goethe-
Universität nicht erstattet.
W W W. UNI -F RA NK F UR T. DE
An der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim ist zum
1. August 2023 die
W3-Professur für
„Politikwissenschaft, Evidenzbasierte Politikforschung“
zu besetzen.
Bitte reichen Sie Ihre Bewerbung bis zum 10. November 2022 in
elektronischer Form unter dem Bezug„Bewerbung W3-Evidenz-
basierte Politikforschung“ (eine PDF-Datei) per E-Mail (christiane.
gerner@uni-mannheim.de) oder postalisch ein.
Weitere Informationen erhalten Sie unter:
www.sowi.uni-mannheim.de/fakultaet/stellenangebote/
On
Bew line-
e per E-Mail, f3-bewerbung@hs-hannover.de, kontaktieren.
direk rbung an
tion.d : in Voll- oder Teilzeit
ba-sa resden@
chse
n.de
Professor für
Informatik (m/w/d)
Entgeltgruppe E 15 TV-L, Vollzeit, unbefristet
An der Staatlichen Studienakademie
Dresden ist die genannte Professorenstelle
frühestens zum 01.10.2023 zu besetzen.
Alle Informationen zur Stellen-
ausschreibung finden Sie unter:
https://www.ba-dresden.de/karriere
Onlinebewerbungen
richten Sie bitte an:
direktion.dresden@ba-sachsen.de
Bewerbungsschluss: 25.11.2022
STELLENMARKT
Das Deutsche Jugendinstitut e.V. (DJI) in München sucht zum nächst-
möglichen Zeitpunkt zur Erweiterung seines Direktoriums eine:n
Forschungsdirektor:in (m/w/d)
Das DJI ist mit rund 450 Beschäftigten eines der größten außer-
universitären, sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitute Europas
„Psychologie mit Schwerpunkt Klinische Psychologie und Psychotherapie“. In der Forschung ist eine empirische
im Themenfeld Kinder, Jugendliche und Familien. Rund 60 Projekte
mit nationaler und internationaler Ausrichtung befassen sich mit den
Lebenslagen und Entwicklungsverläufen von Kindern, Jugendlichen
und Familien sowie den Handlungs- und Leistungssystemen der
Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. Mit seiner Survey-, Panel-,
Evaluations- und Implementationsforschung bewegt sich das DJI an
der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Fachpraxis. Es
wird von Bund (BMFSFJ) und Ländern institutionell gefördert und
wirbt darüber hinaus weitere Drittmittel ein.
Dem Direktorium gehören die Direktorin, die Verwaltungsdirektorin
und ein:e Forschungsdirektor:in an. Der/die Forschungsdirektor:in
vertritt die Direktorin und ist zuständig für die laufende
Forschungskoordinierung, das interdisziplinäre Wissens- bzw.
Forschungsmanagement des Instituts sowie die Unterstützung bei der
Kooperation mit den Zuwendungsgebern.
Mit der Stellenbesetzung möchte das DJI eine forschungs- und
leitungsstarke Persönlichkeit gewinnen, die innovative Impulse für
die Bewältigung der wachsenden inhaltlichen Aufgaben und metho-
dischen Herausforderungen im Bereich der Adressat:innen- und
Institutionenforschung der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe setzt,
den Transfer von Forschungsbefunden in Fachpraxis und Öffentlich-
keit fördert, die internationale Einbindung der DJI-Forschung stärkt
und die Implementation von Open Science am DJI unterstützt.
Das wissenschaftliche Profil des Forschungsdirektors/der Forschungs-
direktorin sollte ausgewiesen sein durch einschlägige eigene
empirische Forschungserfahrungen in der interdisziplinären Lebens-
lagen- und Institutionenforschung, insbesondere mit Bezug auf die
Kinder- und Jugendhilfe. Erwartet werden neben einer fundierten
Forschungskompetenz (u. a. bzgl. der Entwicklung multiperspekti-
vischer und multimodaler Forschungsdesigns) in hohem Maße auch
Fähigkeiten und Erfahrungen in Führungs- und Leitungsfunktionen, in
der interdisziplinären Koordination von Forschungsprojekten und der
praxis- und politikbezogenen Aufbereitung und Kommunikation von
Wissensbeständen. Gewünscht sind darüber hinaus Erfahrungen im
Bereich Forschungsinnovation, Open Science und Transfer.
Für diese anspruchsvolle Führungsposition suchen wir eine Persönlich-
keit, die in der Lage ist, aktuelle Themen wissenschaftlich kompetent
zu profilieren und neben der Wissenschaft vor allem mit Politik und
Fachpraxis vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Die sozialwissen-
schaftliche Qualifikation sollte möglichst durch eine Professur,
mindestens durch eine Habilitation bzw. habilitationsadäquate Leis-
tungen nachweisbar sein.
Das DJI fördert die Gleichstellung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
und begrüßt deshalb Bewerbungen unabhängig von ethnischer,
kultureller oder sozialer Herkunft, Alter, Religion, Weltanschauung,
Behinderung oder sexueller Identität der Bewerberinnen und
Bewerber.
Die Ausschreibung richtet sich ausdrücklich auch an Personen, für die
eine Beurlaubung aus ihrer jetzigen Tätigkeit im Hochschulbereich in
Frage kommt. Die Anstellung erfolgt im Angestelltenverhältnis, die
Vergütung entspricht B 3. Dienstort ist München.
Auskünfte zur Ausschreibung erteilt Prof. Dr. Sabine Walper,
Tel. 089 62306-279. Wir freuen uns auf Ihre aussagekräftige
Bewerbung inklusive Schriftenverzeichnis bis zum 25.11.2022 an das
Deutsche Jugendinstitut e.V., Institutsleitung, Nockherstr. 2,
81541 München bzw. per E-Mail an bewerbungen@dji.de.
An der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist am Fachbereich 1
„Wirtschaftswissenschaften“ folgende Stelle zum nächstmöglichen Zeitpunkt
zu besetzen:
eine Professur (m/w/d) (Bes. Gr. W2)
für „Allgemeine BWL, insbesondere
Nachhaltige Finanzwirtschaft“
Kennziffer: 111_P_2022
Bewerbungsschluss: 20.11.2022
Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung mit aussagekräftigen Nachweisen - soweit
vorhanden auch Ergebnissen von Lehrevaluationen - und Zeugnissen zur Erfül-
lung der Einstellungsvoraussetzungen - bis zum 20.11.2022 über unser Online-
Bewerbungsportal unter https://karriere.hwr-berlin.de/5ynq1
Bei Rückfragen zur ausgeschriebenen Position wenden Sie sich bitte an:
Berufungsverfahren@hwr-berlin.de
Das detaillierte Stellenprofil, die Anforderungen für die Berufung zur Professorin/
zum Professor sowie weitere Informationen finden Sie unter:
www.hwr-berlin.de/aktuelles/stellenmarkt-stipendien-wettbewerbe/stellenangebote/
Die Hochschule für Musik Nürnberg ist die jüngste
staatliche Musikausbildungsstätte in Deutschland. Sie
steht für exzellente Ausbildung im künstlerischen und
künstlerisch-pädagogischen Bereich. Studierende aus
vielen Nationen werden in einem breiten Fächerange-
bot optimal auf das spätere Berufsleben vorbereitet.
An der Hochschule für Musik Nürnberg ist zum 15. März
2023 die Stelle einer/eines
wissenschaftlichen Mitarbeiterin bzw.
wissenschaftlichen Mitarbeiters
für Musikwissenschaft mit Schwerpunkt
Human-Animal Studies
(w/m/d) (E 13 TV-L - befristet)
in Vollzeit zu besetzen. Beinhaltet ist eine Lehrverpflichtung von derzeit 5 Semesterwochen-
stunden.
Die Stelle dient der wissenschaftlichen Qualifizierung und ist aufgrund einer Elternzeitver-
tretung auf ein Jahr befristet. Sie ist der Professur für Interdisziplinäre Musikforschung mit
Schwerpunkt Human-Animal Studies zugeordnet.
Detaillierte Informationen zur Stelle und den Bewerbungsmodalitäten finden Sie auf unserer
Homepage unter: www.hfm-nuernberg.de/service/stellenanzeigen
Bewerbungsschluss ist der 27.11.2022.
Die IU Internationale Hochschule ist Deutschlands größte Hochschule. Als dynamisch
wachsende, staatlich anerkannte, private Hochschule sind wir mit über 85.000 Stu-
dierenden und 3.000 Mitarbeitenden an mehr als 40 Standorten bundesweit vertreten.
Für unser Duales Studium an unseren deutschlandweiten Standorten
suchen wir
PROFESSOREN (M/W/D)
für das kommende Sommersemester in den folgenden Fachbereichen:
Bauingenieurwesen (insbes. Bielefeld)
Betriebswirtschaftslehre (insbes. Bielefeld)
Digital Engineering
Informatik
Mechatronik
Mediendesign (insbes. Bielefeld)
Soziale Arbeit (insbes. Bielefeld und Ravensburg)
Wirtschaftsinformatik (insbes. Bielefeld)
Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau
Außerdem suchen wir für unser Fernstudium (Online-Lehre)
in Voll- oder Teilzeit in den folgenden Fachbereichen:
Artificial Intelligence (englischsprachig)
Mediendesign
Internet der Dinge
Wir freuen uns auf Ihre Online-Bewerbung unter
www.iu-careers.com.
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
Folgende Professur/Stellen sind zu besetzen:
An der Fakultät Psychologie ist im Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie zum 01.10.2024 die
Professur (W3) für Psychotherapie Die Hochschule der Medien in Stuttgart (HdM) bildet speziell im
zu besetzen.
Die Fakultät Psychologie strukturiert sich lehr- und forschungsstrategisch entlang dreier Profillinien: (I) Cognitive- Bereich Medien für Unternehmen, Organisationen und Insti-
Affective Neuroscience, (II) Clinical Psychology and Psychotherapy, (III) Human Performance in Socio-Technical
Systems. Die ausgeschriebene Professur ist in der Profillinie II angesiedelt.
tutionen des öffentlichen Sektors aus. In rund 30 Bachelor- und
Wir suchen eine wissenschaftlich-fachlich herausragend qualifizierte Persönlichkeit (m/w/d) mit internationaler Masterstudiengängen bieten wir derzeit fast 5.500 Studie-
Sichtbarkeit, die das Institutsprofil in Forschung und Lehre verstärkt. Die Professur ist mitverantwortlich für die renden attraktive Studienmöglichkeiten. In der Fakultät Druck
Lehre der Klinischen Psychologie und Psychotherapie im Bachelorstudiengang „Psychologie“ und im Masterstudiengang
und Medien ist in den Studiengängen Mediapublishing (B.A.)
Ausrichtung in Klinischer Psychologie und Psychotherapie vorgesehen. Außerdem wünschen wir uns ausdrücklich und Crossmedia Publishing & Management (M.A.) folgende
die aktive Mitarbeit in fach- und fakultätsübergreifenden Projekten. Die Fakultät Psychologie legt Wert auf transparente
und replizierbare Forschung und begrüßt ausdrücklich alle Maßnahmen, die dazu beitragen können (z. B. „open Professur zum Wintersemester 2023 in der Besoldungsgruppe
data/materials/ code“, Präregistrierungen). W2 zu besetzen.
Wir wünschen uns erfolgreiche Drittmittel- und Forschungsleistungen. Anknüpfungspunkte an die anderen Profillinien
der Fakultät Psychologie sowie an den Potenzialbereich „Neurowissenschaften“ der Exzellenzstrategie der TU
Professur für Data Driven Publishing
STUDIEREN. WISSEN. MACHEN.
Dresden sowie Aktivitäten in der Wissenschaftskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit sind vorteilhaft. Darüber
hinaus wünschen wir uns von Ihnen die Bereitschaft, sich aktiv in der akademischen Selbstverwaltung, im Institut Kennziffer WS222306P
und dem An-Institut Universitätsambulanz und Forschungszentrum für Psychotherapie der TU Dresden gGmbH zu
engagieren. Wir setzen einschlägige Lehrerfahrungen voraus und legen dabei besonderes Gewicht auf didaktische
Kompetenzen und Engagement in der Lehre. Wir erwarten Ihre Bereitschaft und Befähigung zur Durchführung von Die beiden Studiengänge Mediapublishing (B.A.) und Cross-
Lehrveranstaltungen in deutscher Sprache. Die Berufungsvoraussetzungen richten sich nach § 58 SächsHSFG. media Publishing & Management (M.A.) bilden das Publishing
Den vollständigen Ausschreibungstext finden Sie unter: https://tu-dresden.de/stellenausschreibung/9864
Cluster an der HdM, in dem diese Professur angesiedelt ist.
The Collaborative Research Center (SFB) 1143 „Correlated Magnetism: From Frustration To Topology“
invites applications, subject to the availability of resources, for 14 positions as Die Studiengänge widmen sich dem breiten Spektrum von
Buch- und Presseverlagen sowie Publishing auch in anderen
Research Associate/ PhD student (m/f/x) Branchen. Wir erwarten von dem/der künftigen Kollegen/-in
(subject to personal qualification employees are remunerated according to salary group E 13 TV-L)
ein modernes Publishing- und Marketing-Verständnis aus den
which entail 50 % - 75 % of the fulltime weekly hours. The positions are available from January 1, 2023 fixed-term for
Bereichen Customer Analytics, Content-Vermarktung oder daten-
a duration of 3 years. The period of employment is governed by the Fixed Term Research Contracts Act (Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz - WissZeitVG). The positions aim at obtaining further academic qualification (e.g. PhD). getriebene Wertschöpfung.
The SFB is devoted to the investigation of materials and models with strong electronic correlations, focusing on
frustrated magnetism and topological states of matter. Positions are available in the fields: Experimental Con-
densed Matter Physics (6 positions), Theoretical Condensed Matter Physics (6 positions), Inorganic Chemistry (2 Der/Die Stelleninhaber/-in soll in Lehre und Forschung folgende
positions). Applicants must have a university degree in preferentially in physics or chemistry. For further information Lehrgebiete vertreten:
please see: https://tu-dresden.de/stellenausschreibung/9870
• Statistik
An der Fakultät Erziehungswissenschaften, Institut für Erziehungswissenschaft, ist an der Professur für
Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt: Schulforschung zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine Stelle als • Grundlagen einer Programmiersprache
• Digital Driven Publishing
wiss. Mitarbeiter:in (m/w/d) • Digitale Transformation
(bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen E 13 TV-L)
für 3 Jahre (Beschäftigungsdauer gem. WissZeitVG), mit 50 % der regelm. wöchentl. Arbeitszeit u. dem Ziel der
eigenen wiss. Weiterqualifikation (i. d. R. Promotion), zu besetzen. Zur Unterstützung in Forschung u. Lehre, insb. Neben den Einstellungsvoraussetzungen nach § 47 Landeshoch-
zu empirischer Schulforschung werden Bewerber:innen mit wiss. Hochschulabschluss der FR Lehramt, Erziehungs- schulgesetz wird eine einschlägige berufliche Erfahrung aus
wissenschaft, Psychologie, Sozialwissenschaft o. Data Science gesucht. Den vollständigen Ausschreibungstext
der Medien- und Kommunikationsbranche erwartet. Typischer-
finden Sie unter: https://tu-dresden.de/stellenausschreibung/9871
weise waren dies Funktionen mit besonderer Verantwortung
in Medienunternehmen (z. B. Buch- oder Presseverlagen,
Kommunikations- oder Marketingabteilungen sowie aus
einschlägigen Dienstleistungsbereichen). Weiterhin wird
erwartet, dass Sie ausgeprägte didaktische Fähigkeiten mit-
bringen und das Lehrangebot auch ggf. in englischer Sprache
anbieten können. Optimalerweise besitzen Sie Erfahrung in
der Akquisition und Durchführung von Drittmittelprojekten.
Die Bereitschaft zur Mitarbeit an der ständigen Studien- und
Die Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg (OTH Regensburg)
ist mit mehr als 10.000 Studierenden, 230 Professor*innen sowie über
Curriculums-Entwicklung des Studiengangs-Clusters sowie
der Fakultät setzen wir voraus.
700 Mitarbeiter*innen eine der größten Hochschulen für angewandte
Wissenschaften in Bayern.
Für inhaltliche Fragen steht Ihnen Herr Prof. Christof Seeger,
An der OTH Regensburg sind zum nächstmöglichen Zeitpunkt bzw. zum seeger@hdm-stuttgart.de gerne zur Verfügung.
WS 2023/2024 vier Die weiteren Einstellungsvoraussetzungen nach § 47 LHG und
zusätzliche Informationen zur Professur finden Sie im Internet
Professuren unter http://www.hdm-stuttgart.de/karriere/stellenangebote.
der Bes.-Gr. W 2 für folgende Lehrgebiete zu besetzen: Bitte lassen Sie uns ausschließlich über unser Online-
Bewerberportal unter www.hdm-stuttgart.de/karriere/
In der Fakultät Architektur: stellenangebote Ihre aussagekräftige Bewerbung bis zum
05.12.2022 zukommen.
Entwerfen und Konstruieren
_ Wir freuen uns auf Ihre Bewer-
bung!
Industriedesign
In der Fakultät Informatik und Mathematik:
Computer Science and
System Security
_
Global Software Engineering
Die OTH Regensburg ist mit dem TOTAL E-QUALITY-Prädikat für vor-
bildlich an Chancengleichheit und Diversity orientierter Personal- und
Hochschulpolitik ausgezeichnet, Bewerbungen von Frauen sind demzufolge Zum nächstmöglichen Zeitpunkt ist an der Hochschule für Musik und Theater Rostock
das Amt der/des
ausdrücklich erwünscht. Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber
werden bei ansonsten im Wesentlichen gleicher Eignung, Rektorin/Rektors (m/w/d)
Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt eingestellt. zu besetzen.
Die ausführlichen Stellenausschreibungen mit den Die Hochschule für Musik und Theater Rostock (hmt) ist die einzige Kunsthochschule
jeweiligen Einstellungsvoraussetzungen finden Sie unter im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern und hat damit eine besondere Funktion
als regionale Kultur- und Bildungseinrichtung. Die junge Hochschule im früheren
www.oth-regensburg.de/hochschule/jobs-karriere oder
direkt über den QR-Code.
Franziskanerkloster im Herzen der Rostocker Altstadt hat sich internationales
Renommee in der Musik- wie der Schauspielausbildung und in der Forschung
Wir freuen uns auf Ihre aussagekräftigen Bewerbungsunter-
erworben.
lagen (Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse, Nachweise über
Die hmt hat als weltoffene Hochschule derzeit etwa 550 Studierende aus 40 Nationen,
80 hauptamtlich und um die 200 nebenamtlich Beschäftigte.
den beruflichen Werdegang und die wissenschaftlichen
Die Rektorin oder der Rektor leitet die Hochschule, führt im Rektorat den Vorsitz und
Arbeiten) über unser Online-Portal bis zum 27.11.2022. vertritt die Hochschule nach außen. Die weiteren Aufgaben der Rektorin oder des
Rektors ergeben sich aus dem Landeshochschulgesetz des Landes Mecklenburg-
Vorpommern. Die Rektorin oder der Rektor der Hochschule für Musik und Theater
Rostock nimmt zusätzlich zu ihrem oder seinem Amt auch Aufgaben in der Lehre wahr.
Zur Rektorin oder zum Rektor kann gewählt werden, wer eine abgeschlossene
Hochschulausbildung besitzt und aufgrund einer mehrjährigen verantwortlichen
Tätigkeit in Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft, Verwaltung oder Rechtspflege erwarten
lässt, dass sie oder er den Aufgaben des Amtes gewachsen ist und während der
ersten Amtszeit die für die Beamtinnen und Beamten des Landes maßgebliche Regel
altersgrenze nicht erreicht.
Die Rektorin oder der Rektor wird auf Vorschlag des Senats vom Konzil der
Hochschule gewählt und vom Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und
Am Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität Bayreuth ist zum Europaangelegenheiten bestellt. Die Vergütung erfolgt nach der Besoldungsgruppe
01.01.2023 eine befristete Stelle eines W 3 der Bundesbesoldungsordnung zuzüglich Funktionsleistungsbezügen.
Die Hochschule ist bestrebt, den Anteil der Frauen in Hochschulpositionen zu
Wissenschaftlichen Mitarbeiters (m/w/d)
erhöhen und fordert daher qualifizierte Bewerberinnen verstärkt zur Bewerbung auf.
Schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber und ihnen Gleichgestellte werden
bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt.
mit Vergütung nach Entgeltgruppe 13 TV-L halbtags zu besetzen.
Aussagefähige Bewerbungsunterlagen sind bis zum 13. Januar 2023 im Online
Das Aufgabengebiet sowie die Anforderungen finden Sie unter: Portal auf der Karrierewebseite der hmt hochzuladen. Das unterschriebene Bewer-
bungsanschreiben ist sowohl hochzuladen als auch postalisch zu richten an:
https://www.uni-bayreuth.de/stellenangebote#Wissenschaft
Vorsitzende des Senats der Hochschule für Musik und Theater Rostock
Bewerbungsfrist: 15.11.2022 Prof. Karola Theill
Kennziffer 01/2022
Ansprechpartner: Herrn Prof. Dr. Anno Mungen, fimt.thurnau@uni-bayreuth.de Beim St.-Katharinenstift 8, 18055 Rostock
Weitere Informationen (ausführlicher Ausschreibungstext, Wahlordnung, Wahlfahrplan)
finden Sie unter: https://www.hmt-rostock.de/aktuelles-service/freie-stellen/
Universitätsprofessuren
für die Initiative
„Excellence in Digital
Sciences and Interdis-
ciplinary Technologies“
An der Hochschule Hannover ist an der Fakultät III – Medien, Information und (EXDIGIT)
Design, Abteilung Information und Kommunikation, zum nächstmöglichen Zeitpunkt An der Paris-Lodron Universität Salzburg sind im Rahmen der vom Land
dauerhaft eine Salzburg geförderten „Excellence in Digital Sciences and Interdisciplinary
W2-Professur Technologies“ Initiative (EXDIGIT) drei Professuren nach § 99 (1) UG 2002
zu besetzen.
Klinische Studien und Arzneimittelsicherheit Die Bewerbungsfrist für den Call ist verlängert bis 7. November 2022.
Die Ausschreibung ist themenoffen.
– Kennziffer W2 1/2021 –
Gesucht werden insbesondere herausragende Nachwuchstalente, die zur nach-
mit der Hälfte der Regellehrverpflichtung von vollbeschäftigten Professorinnen/ haltigen Weiterentwicklung der interdisziplinären Verschränkung von digital-
Professoren (derzeit 9 LVS) zu besetzen. Die Einstellung erfolgt im Angestellten- wissenschaftlichen Themen der neu gegründeten Fakultät für Digital and Ana-
verhältnis. lytical Sciences (https://www.plus.ac.at/digitale-und-analytische-wissenschaften/)
beitragen und eine Brücke zu anderen Forschungsdisziplinen der PLUS schlagen
Weitere Einzelheiten zur Professur entnehmen Sie bitte dem Bewerbungsportal können.
unter www.karriere-hshannover.de oder über den QR-Code. Den Professuren kommt dabei eine wesentliche Rolle in der Gestaltung der
Schwerpunkte des EXDIGIT Forschungsprogramms und damit auch in der
Bewerbungen mit den üblichen Unterlagen richten Sie bitte weiteren Ausrichtung der Fakultät zu. Die Umsetzung des Forschungspro-
bis zum 24.11.2022 an den Dekan der Fakultät III, Prof. Timo gramms erfolgt gemeinsam mit einem Research College, bestehend aus 18
Schnitt. Die Bewerbung ist bis zum Ablauf dieser Frist online noch zu besetzenden Junior und Senior Researchern.
über das Bewerbungsportal möglich. Durch die interdisziplinäre Kollaboration mit und innerhalb
Für Fragen können Sie die Mitarbeitenden der Fakultät III auch
des Research Colleges sollen zukünftige Forschungs-
akzente auf exzellentem Niveau mit internationaler Sicht-
barkeit ermöglicht und damit zur nachhaltigen Stärkung
der Positionierung der PLUS in digitalwissenschaftlichen
Themenfeldern beigetragen werden.
Weitere Informationen finden sich HIER:
https://bit.ly/3RVjl3R
A...kademie der bildenden Künste Wien
An der Universität Bayreuth ist an der Fakultät für Biologie, Chemie und Geowis- An der Akademie der bildenden Künste Wien gelangt folgende Stelle
senschaften am Lehrstuhl für Ökologische Mikrobiologie zum 01.01.2023 die Stelle
als
zur Ausschreibung:
Akademischer Rat (m/w/d)
Universitätsprofessur
gem. § 98 Universitätsgesetz 2002 für die Studienrichtung Bildende
mit Vergütung nach Besoldungsgruppe A 13 (BayBesG) befristet in Vollzeit zu Kunst im Fachbereich „Kunst und Film“ am Institut für Bildende Kunst
besetzen. im vollen Beschäftigungsausmaß ab 01.03.2024 zunächst befristet
Das Aufgabengebiet sowie die Anforderungen finden Sie unter: bis 31.01.2029.
www.uni-bayreuth.de/stellenangebote
Weitere Informationen finden Sie unter
Ansprechpartner: Herr Prof. Dr. Tillmann Lüders
E-Mail: tillmann.lueders@uni-bayreuth.de www.akbild.ac.at/jobs
DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022 STELLENMARKT 47

Die Gewerkschaft An der Hochschule München sind an der Fakultät für Maschinenbau,
Erziehung und Wissenschaft
Fahrzeugtechnik, Flugzeugtechnik ab dem Wintersemester 2023/2024 oder

Foto: missio München, Jörg Böthling

bietet mir einen sicheren
Arbeitsplatz, gute Sozialleistungen später folgende Stellen zu besetzen:
Die Jobchancen und ein angenehmes Arbeitsklima.

gehen Ihnen Professur für Produktentwicklung,

Flugzeugkonstruktion und
Gott sei Dank vor Ort – das ist unsere Vision. Wir als missio München ermög-
nicht aus
Der Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
lichen über die Kontinente hinweg Begegnung und verstehen uns als eine
(GEW) im Deutschen Gewerkschaftsbund, Frankfurt am Main, sucht
weltweite Gemeinschaft, die für Frieden und Gerechtigkeit einsteht. Wir
zum nächstmöglichen Zeitpunkt in Vollzeit eine*n
sind mit unserem Wirken nachhaltig und dauerhaft nahe bei den Menschen
Raumfahrt (W2)
Geschäftsführer*in (m/w/d)
in Afrika, Asien und Ozeanien vor Ort – auch dann, wenn sonst nichts mehr
geht. Möchten Sie dabei sein? Dann sind Sie in dieser verantwortungsvollen
Position richtig! Kennziffer: BV 0309
Weitere Jobs
finden Sie auf Der Arbeitsalltag bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft steckt Wir suchen zum nächstmöglichen Zeitpunkt in unserem Haus in München Erfahren Sie mehr in der detaillierten Stellenausschreibung unter:
voller Herausforderungen. Als führende Gewerkschaft im Bildungsbereich eine erfahrene https://stellen.hm.edu/csmgu
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mit guten Sozialleistungen und ein angenehmes Arbeitsklima in einem Leitung (m/w/d) der Abteilung Bildung
kleinen, hoch motivierten Team.
Wir suchen Menschen mit Charakter und gewerkschaftlicher Grundüber- die mit viel Begeisterung, Leidenschaft und Freude unseren Auftrag
Professur für innovative
zeugung, für die Teamarbeit und selbstständige Arbeitsweise ebenso selbst-
verständlich sein sollte wie schnelle Auffassungsgabe und soziale Kompetenz.
inhaltlich und strategisch zusammen mit einem engagierten und kreativen
Team zukunftsorientiert koordiniert und weiterentwickelt. Produktionssysteme (W2)
Voraussetzung für diese sinnstiftende Tätigkeit auf der Basis christlichen
BITTE BEACHTEN: Gemäß Satzung der GEW gehört die*der Geschäftsführer*in dem Geschäfts- Wirkens und Handelns ist die persönliche Motivation für ein missionarisches Kennziffer: BV 0317
führenden Vorstand der GEW mit beratender Stimme an und wird auf Be- Engagement, um – zusammen mit Ihrem Team – kreative und innovative
Vorgezogener Termin schluss des Hauptvorstandes auf Zeit (fünf Jahre) angestellt. Eine wiederholte Bildungsprojekte und Kampagnen zu entwickeln. Erfahren Sie mehr in der detaillierten Stellenausschreibung unter:
für Anzeigen- und Bestellung ist möglich.
https://stellen.hm.edu/t1kn1
Druckunterlagenschluss: Weitere Informationen unter www.missio.com/ueber-uns/stellenangebote
Ihre Aufgaben Ihr Profil
Wir freuen uns über Ihre Bewerbung, die Sie an bewerbung@missio.de in
DIE ZEIT vom 03.11.2022:
// Leitung und Organisation // Ein abgeschlossenes Hochschul-
einer PDF-Datei unter Angabe Ihres Gehaltswunsches senden. Schwerbehin- An der Hochschule München ist an der Fakultät für Informatik und Mathematik
der Geschäftsstellen des Haupt- studium oder eine gleichwertige
Freitag, 28.10.2022 – 12 Uhr vorstandes in Frankfurt a.M. Qualifikation // Erfahrungen in
derte Menschen werden bei gleicher Eignung bevorzugt. ab dem Wintersemester 2023/2024 oder später folgende Stelle zu besetzen:
und Berlin // Personalführung einer DGB-Gewerkschaft oder in Für Rückfragen steht Ihnen Herr Müller unter m.mueller@missio.de oder
und -entwicklung // Geschäfts-
führung von Stiftungen und
einer vergleichbaren Organisation in
leitender Funktion // Führungsstärke
Tel.: 089 5162-217 gerne zur Verfügung.
Forschungsprofessur für Gender und
Diversity im Bereich der Künstlichen
Gesellschaften der GEW gepaart mit sozialer Verantwortung, missio – Internationales Katholisches Missionswerk Ludwig Missionsverein KdöR
// Organisation, Vor- und Nach- motivierendem und wertschätzendem Pettenkoferstraße 26 –28, 80336 München, www.missio.com
bereitung von Gremiensitzungen Umgang mit den Beschäftigten
bis hin zum Gewerkschaftstag
// Unterstützung und Zusammen-
// Erfahrungen im Bereich Veranstal-
tungsorganisation // Team- und Kom-
Intelligenz (W2)
arbeit mit den Landesverbän- munikationsfähigkeit, Verhandlungs- Landesverband Kennziffer: BV 0785
den der GEW, dem Deutschen geschick, Moderationsfähigkeit und
Gewerkschaftsbund (DGB) und Organisationstalent // Hohe Belastbar- Saarland
seinen Mitgliedsgewerkschaften keit und Flexibilität sowie Bereitschaft Erfahren Sie mehr in der detaillierten Stellenausschreibung unter:
sowie weiteren Organisationen zur Arbeit am Wochenende. https://stellen.hm.edu/mhfms
und Verbänden. Der Verband der Volkshochschulen
des Saarlandes sucht ab sofort eine/n Bewerben Sie sich über unser Online-Portal.
Eine aussagekräftige Bewerbung mit den üblichen Unterlagen erwarten wir
ausschließlich per E-Mail bis zum 18. November 2022 an die Vorsitzende der
GEW Maike Finnern unter folgender Adresse: bewerbung@gew.de mit dem
Geschäftsführer/in Wir freuen uns darauf, Sie kennenzulernen!

Kennwort „GFex“.
(w/m/d)
Bewerbungen bitte bis 30.11.2022
an vorstand@vhs-saar.de.
GEW Hauptvorstand Informationen: www.vhs-saar.de/stellen
Reifenberger Straße 21
60489 Frankfurt Gewerkscha!
069/78973-127 Erziehung und Wissenscha!
www.gew.de
Über 1.000 Der Deutsche Musikrat e.V.
anspruchsvolle in Berlin besetzt zum
01. März 2024 die Position
Stellen Generalsekretär*in
Bei der Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und
Wohnungsbau ist in der Abteilung „Regional- und Stadtentwicklung, Stadtum-

auch online!
(m/w/d) bau, Wohnungswesen“ im Abschnitt „Stadterneuerung“ des Referats „Stadt-
Mit über 450.000 Besucherinnen und umbau“ zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Stelle einer/eines
in Nachfolge von
Stadtplanerin/Stadtplaners (w/m/d)
Besuchern pro Jahr gehört die Stiftung
Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Prof. Christian Höppner.
Schloss Gottorf zu den größten und
wichtigsten Kultureinrichtungen
Schleswig-Holsteins.
Die komplette Stellenanzeige im Bereich Stadterneuerung /
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Wir suchen Sie! https://www.musikrat.de/ Städtebauförderung
jobs.zeit.de stellenangebote. Entgeltgruppe 13 TV-L/Besoldungsgruppe A 13
Erste Kreisrätin / Erster Kreisrat im Bewerbungsschluss ist der Kennziffer 2022/720-3
Kaufmännischer Vorstand und Wahlbeamtenverhältnis (w/m/d)
12. Dezember 2022.
zu besetzen.
Kaufmännischer Geschäftsführer Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung, wenn Sie ein ausgeprägtes Maß an
Fähigkeit und Freude besitzen, sozialraumorientiert, interdisziplinär, the-
(m/w/d) men- und ressortübergreifend zu denken und mit großem Beharrungsver-
REICHWEITENSIEGER mögen Projekte, Konzepte und Prozesse der Stadterneuerung ganzheit-
Sie sind eine agile, kommunikationsstarke und teamorientierte Vollzeit B 5 NBesG 8 Jahre
Führungspersönlichkeit mit einschlägiger Berufserfahrung? Platz für 2.220.000 lich und zielgerichtet zu entwickeln und im Quartier zu steuern und
umzusetzen.
Wir bieten Ihnen vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten in einem der BewerberInnen Wir erwarten von Ihnen ein abgeschlossenes wissenschaftliches Hoch-
bedeutendsten Museumskomplexe Deutschlands verbunden mit einer Nähere Informationen zu der Stelle und zu den Einstellungs- schulstudium (Master oder Diplom) der Fachrichtung Architektur, Stadtpla-
attraktiven Vergütung! voraussetzungen finden Sie auf unserer Homepage. Wir freuen Ihre Ausschreibung in Deutsch- nung/Raumplanung, Geographie, Geowissenschaften, Soziologie oder
lands reichweitenstärkster Quali- Volkswirtschaftslehre oder eine gleichartige Qualifikation.
Bei Interesse bewerben Sie sich gerne bis zum 6.11.2022 mit Ihren uns, wenn Sie sich über unser Online-Bewerbungsportal Sie sind interessiert? Dann finden Sie die vollständige Stellenausschreibung
aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen bei der von uns beauftragten tätszeitung erscheint parallel mit
unter dem folgenden Link bewerben: wöchentlich 1.160.000 Visits auf
mit dem Aufgaben- und Anforderungsprofil sowie weitere Informationen auf
Personalberatung. der Internetseite www.karriere.bremen.de. sowie auf der Homepage der Sena-
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W Die Friedensmacher
enn du an diesem Wochen-
ende im Wiener Hotel »Pa-
lais Coburg« übernachten
wolltest, würde das 900
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und nur für dich. Für 900
Euro könntest du auch mit
deiner ganzen Familie eine ganze Woche lang eine
Ferienwohnung an der Ostsee mieten. Das Palais Co-
burg ist also ein richtiges Luxushotel. Im vergangenen
Winter haben sich hier Diplomaten aus dem Iran, aus
Russland, China und mehreren Ländern Europas ge-
troffen. Und sie blieben nicht nur eine Nacht, sondern
quartierten sich gleich für viele Wochen ein. Diploma-
ten scheinen ein luxuriöses Leben zu haben!
Einerseits. Andererseits durften die Abgesandten
in den Wochen kaum nach Hause fahren und muss-
ten fast ohne Pause arbeiten. Eine Diplomatin hat mir
nach dem Treffen erzählt, dass die Tage für sie vor
allem anstrengend waren und sie gar nicht viel von
dem noblen Hotel mitbekommen hat. Denn bei dem
Treffen wurde eine sehr ernste Frage sehr hart ver-
handelt: Wie kann man den Iran überzeugen, kein
Material mehr herzustellen, mit dem man eine Atom-
bombe bauen kann? Dazu wollen die anderen Staaten
den Iran bringen, damit dieses Land nicht in den Be-
sitz einer so gefährlichen Waffe kommen kann.
Solche Verhandlungen sind ein bisschen so, als wür-
dest du Fußballsammelkarten tauschen: Du musst he-
rausfinden, welche dem anderen besonders wichtig sind,
und schauen, was du selbst bieten kannst – und dann
ein gutes Angebot machen. Das geht eine Weile hin und
her, im besten Fall habt ihr am Ende beide bessere Fuß-
baller in der Sammlung. Und damit sind wir auch schon
mitten in der Erklärung, was das ist, ein Diplomat – und
was Diplomatinnen und Diplomaten eigentlich machen.
So wie jeder Mensch Beziehungen hat, haben auch
Länder untereinander Beziehungen. Sie haben Freunde
und Feinde, machen Geschäfte miteinander und arbei-
ten mit anderen in Bündnissen oder Organisationen
zusammen – so ähnlich wie Menschen, die sich in einem
Verein zusammenfinden, weil sie gemeinsam etwas
erreichen wollen.
Die Beziehungen zu den anderen Ländern zu pflegen
ist die Aufgabe der Staats- und Regierungschefinnen und
der Außenminister – in Deutschland also von Bundes-
präsident Frank-Walter Steinmeier, von Bundeskanzler
Olaf Scholz und von Außenministerin Annalena Baer-
bock. Deshalb sieht man sie auch oft auf Fotos oder im
Fernsehen, wenn sie andere Staatschefs besuchen oder
die in Deutschland zu Gast sind. Aber weil es rund 200
Länder auf der Welt gibt und dazu noch jede Menge
Bündnisse, können die Chefinnen und Chefs der Länder
sich nicht allein um alles kümmern. Und deshalb be-
kommen sie Hilfe von ihren Diplomaten.
Meist sind die beim Außenministerium ihres Landes
angestellt und leben in den Ländern, für die sie zuständig
sind. Die bekanntesten sind die Botschafterinnen und
Botschafter, doch auch sie arbeiten nicht allein, sondern
haben zahlreiche Mitarbeiter, von denen ebenfalls viele
Diplomaten sind. Gemeinsam sind sie so etwas wie die
Augen und Ohren einer Regierung im Ausland und
berichten regelmäßig nach Hause, was dort so los ist.
Sie sind die ersten Ansprechpartner für ihr Land
– und sie sind oft auch die Ersten, die den Ärger ab-
bekommen, wenn es in der Beziehung nicht so gut
»Ich würde am liebsten sofort zurück!«
Tonie, 14 Jahre, war zwei Monate lang allein im Ausland. Hier erzählt sie, was sie erlebt hat
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so schnell an das
Leben in Frankreich gewöhne! Ich würde am liebsten so-
fort wieder zurück. Meine neuen Freunde und Freundin-
nen dort fehlen mir sehr.
Von August bis Oktober war ich in der französischen
Stadt Rennes, in der Bretagne. Ich habe einen Schüler-
austausch gemacht und knapp zwei Monate ganz ohne
meine Eltern und meine kleine Schwester dort gelebt.
Allein war ich aber natürlich nicht: Ich habe bei einer
Gastfamilie gewohnt. Meine Gastschwester Esther ist so
alt wie ich. Mit ihr habe ich am meisten Zeit verbracht:
Wir haben fast alles zusammen gemacht, sind mit ihren
Freundinnen in die Stadt gegangen oder haben zu Hause
Kekse gebacken.
Als ich in Rennes ankam, konnte ich noch nicht sehr
gut Französisch. Esthers Eltern haben trotzdem versucht,
in ihrer Sprache mit mir zu reden. Erst wenn ich es nicht
verstanden habe, haben sie es auf Englisch wiederholt.
Mit Esther habe ich von Anfang an Englisch gesprochen.
Mit den Kindern in meiner Klasse war es ein Mix aus
Französisch und Englisch. Und auch Deutsch, denn eini-
ge lernen das in der Schule. Sie konnten mich zum Bei-
spiel »Wie geht’s dir?« fragen.
POST VON ZEIT LEO
Jeden Freitag, pünktlich zum Wochenende,
verschicken wir unsere LEO-Post mit Rätseln,
Spielen und Witzen. Zu Halloween gibt es in dieser
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27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
A B E N T E U E R F Ü R K I N D E R
Ihre Arbeit findet oft im Verborgenen statt, doch wenn Länder einen Streit
beenden wollen, geht es nicht ohne sie – die Diplomaten VON ANNA SAUERBREY
»Diplomatisch« bedeutet höflich und rücksichtsvoll. Auf diese Art suchen Diplomaten nach Lösungen
Mein Französisch ist in den zwei Mo- Einmal haben wir uns den ganzen Tag vor
naten viel besser geworden. Zu sprechen einem Lehrer versteckt, der uns in einem
finde ich zwar immer noch schwer, aber Treppenhaus erwischt hatte, das wir nicht
inzwischen kann ich fast alles verstehen, benutzen durften. Hier in Deutschland
was die Leute sagen. Im Unterricht bin würde ich so was nie machen, aber dort hat
ich trotzdem oft nicht mitgekommen: es mir Spaß gemacht.
Ich war nämlich in einer besonderen Dass ich einen Schüleraustausch ma-
Klasse, in der einige Fächer nicht auf chen will, stand für mich eigentlich im-
Französisch, sondern auf Bretonisch un- mer fest. In der zehnten Klasse möchte
terrichtet wurden. Das ist der Dialekt, ich für ein halbes oder ein ganzes Jahr an
der in diesem Teil von Frankreich gespro- eine Highschool in die USA gehen, des-
chen wird. Eigentlich ist Bretonisch aber wegen dachte ich, zwei Monate in Frank-
wie eine eigene Sprache: Wenn man es reich seien eine gute Übung. Jetzt bin ich
nicht spricht, versteht man kein Wort. Macarons findet Tonie mir sicher, dass ich auch eine längere Zeit
In Mathe, Geschichte oder Geografie besonders lecker schaffen werde: Ich hatte nur einmal
bin ich deswegen fast gar nicht mitge- Heimweh, als ich krank war und es mir
kommen. Die Lehrer wussten das aber nicht gut ging.
und waren alle sehr nett. Manchmal habe ich die Zeit im Wenn ich an meine Zeit in Frankreich zurückdenke,
Unterricht genutzt, um Tagebuch zu schreiben. Das hat bin ich sehr froh, dass ich sie durchgezogen habe! Ich
mir meine Mutter empfohlen, damit ich mich an die Zeit hatte viel mehr schöne Momente als schlechte. Mein
in Frankreich erinnere. bestes Erlebnis war ein Klassenausflug in eine Kletterhalle.
Hin und wieder habe ich mit Esther und ihren Freun- Ich wusste vorher überhaupt nicht, dass ich gut im Klet-
dinnen in der Schule auch ein bisschen Quatsch gemacht. tern bin!
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49
läuft. Wenn sich ein Land über ein anderes besonders
Illustration: Franz Lang für DIE ZEIT; Foto: privat
ärgert, kann es dessen Botschafter »einbestellen«. Das
bedeutet, dass er im Außenministerium seines Gast-
landes antreten und sich eine Art Standpauke anhö-
ren muss. Diplomat zu sein heißt oft vor allem: Ärger
aushalten, Ärger ausräumen, Streit schlichten.
Gerade diskutieren deutsche Diplomaten viel mit
den Diplomaten anderer europäischer Länder darüber,
was man gegen die hohen Preise für Gas und Strom tun
kann. Die Mitglieder der Europäischen Union – auch
so ein »Verein« – arbeiten eigentlich eng zusammen, oft
haben die einzelnen Länder aber doch unterschiedliche
Ideen, wie genau man ein Problem löst. Bei der Frage
der Energiepreise stecken die Diplomaten noch mitten
in der Arbeit. Einen Streit, den sie bereits gelöst haben,
gab es mit dem afrikanischen Land Nigeria. Von dort
wurden vor mehr als 100 Jahren wertvolle Kunstschätze
geklaut, später nach Deutschland verkauft und hier in
Museen gezeigt. Nigeria hat die Schätze zurückgefordert,
Deutschland wollte sie aber nicht rausrücken. An der
Lösung dieses Streits waren auch Diplomaten beteiligt
– Nigeria bekommt seine Kunstschätze jetzt wieder.
Diplomat sein kann man übrigens lernen. Das
deutsche Außenministerium bildet jedes Jahr neue
Diplomaten aus. Dabei ist es ziemlich wichtig, wie
man mit anderen Menschen umgeht. Denn, du ahnst
es schon, wenn man viel Ärger schlichten oder andere
für etwas begeistern soll, muss man sich in seinen Ge-
sprächspartner gut einfühlen können, auch in Men-
schen aus Ländern, die vielleicht ganz andere Ge-
wohnheiten und eine ganz andere Sicht auf die Welt
haben. Seinen Gesprächspartnern sollte man dabei
am besten respektvoll begegnen – du würdest dich ja
auch nicht mit jemandem vertragen oder anfreunden,
der dich schlecht behandelt. Daher kommt übrigens
das Wort »diplomatisch«, das so viel bedeutet wie höf-
lich, respektvoll, rücksichtsvoll.
Allerdings sind selbst Diplomaten nicht immer
diplomatisch. Andrij Melnyk zum Beispiel, der bis vor
Kurzem der Botschafter der Ukraine bei uns war, hat
Bundeskanzler Olaf Scholz eine »beleidigte Leberwurst«
genannt. Nicht sehr diplomatisch. Melnyk hat sich aber
nicht grundlos unhöflich benommen, er war vermutlich
verzweifelt und wütend. Denn in seinem Land ist Krieg,
und Melnyk fand, dass Deutschland nicht genug hilft.
Ein Krieg ist die schlimmste Form eines Streits zwi-
schen Staaten, und Diplomaten versuchen dann, für
Frieden zu sorgen. Am Ende eines Krieges steht fast
immer ein ausgehandelter Friedensvertrag. Manchmal
halten solche Verträge über viele, viele Jahre, manchmal
aber auch nicht. Dafür ist der Krieg gegen die Ukraine
ein trauriges Beispiel. Russland hat nämlich schon 2014
Teile der Ukraine besetzt und behauptet, die würden
jetzt zu Russland gehören. Damals haben Diplomaten
aus Deutschland und Frankreich einen Friedensvertrag
zwischen Russland und der Ukraine vermittelt. Die Ver-
handlungen fanden in einem Palast in Minsk statt, der
Hauptstadt des Landes Belarus. Deswegen heißt der
Vertrag »Minsker Abkommen«.
Es hat leider nicht lange gehalten. Im Februar hat
Russland die Ukraine wieder überfallen, noch immer
wird gekämpft. Derzeit haben Diplomaten beider
Länder leider nur sehr wenig Kontakt. Doch irgend-
wann wird es auch in diesem Krieg zu Friedensver-
handlungen kommen, und dann schlägt sie wieder,
die »Stunde der Diplomaten«.
Sehr schön war auch, als ich mit meiner Gastfamilie für
ein Wochenende zu Esthers Großeltern ans Meer gefahren
bin. Sie leben in einem kleinen Dorf, das Haus, in dem sie
wohnen, hat mich total an Heidi erinnert. Es gab dort kein
Internet und keine Heizung. Am Strand habe ich viele
schöne Muscheln gesammelt und ich war das erste Mal im
Atlantik baden. Das war etwas Besonderes.
Während meiner Zeit in Frankreich musste ich immer
wieder daran denken, dass es eigentlich komisch ist, gerade
an einem Ort zu leben, an dem ich sonst mit meinen
Eltern Urlaub machen würde. Auf dem Weg zur Schule
habe ich manchmal überlegt, dass ich jetzt auch in einer
Ferienwohnung um die Ecke sitzen könnte. Stattdessen
habe ich wirklich da gelebt!
Seit ich wieder in Deutschland bin, habe ich viel Kon-
takt mit Esther und ihren Freundinnen. Wir schreiben
uns die ganze Zeit Nachrichten, ich vermisse sie sehr.
Aber spätestens nächstes Jahr sehe ich sie wieder: Dann
macht meine Schule nämlich einen Austausch mit unse-
rer Partnerschule in Rennes, und ich darf wieder bei
Esther wohnen – darauf freue ich mich schon sehr!«
Aufgezeichnet von Pia Saunders
DAS ZEIT LEO-WITZETELEFON
Damit hat er nicht gerechnet!«
www.zeitleo.de/witze
50 WISSEN 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

Infografik: Architektur

i le Neig u ng N
Stab
ca. 96 m ca. 97 m

lten sich tro t z w a c k e lig e n Grunds 696

sc h ie f, v iele T ü r me h a
nt u r m in B remerhaven
Egal wie
h u n d e r te . D ass der Mole u n g ewöhnlich
über J a h r de sh a lb
a b g er is s en wurde, ist R (R E C H E R
CHE)
kürzlic h M AT S S C H Ö N A U E
NEN) UND
R AT IO
O B IA S B E C K (I L L U S T
VO N T

ca. 65 m

ca. 57 m
ca. 56 m

ca. 47 m

0,3° 1,3° 3° 3° 3,5° 4°

Elizabeth Tower Torre degli Asinelli Turm von Newjansk, Pagode des Yunyan- Minarett von Dschām in Schiefer Turm
(»Big Ben«) in London in Bologna Russland Tempels in Suzhou, China Ghor, Afghanistan von Pisa

Big Ben neigt sich schon
seit seiner Errichtung, so
die Vermutung: Sein
Untergrund ist uneben.
Einer der »zwei Türme von
Bologna« (siehe Torre della
Garisenda), ursprünglich
etwa gleich hoch und mit
einer Brücke verbunden.
Das Gerüst wurde vor
allem aus Eisen gefertigt.
Unter dieser Last gab der
Untergrund nach.
Die eine Hälfte des Gebäudes
wurde auf lockerem Grund
errichtet, die andere auf
Felsen. In den mehr als 1000
Jahren seiner Existenz führte
das zur Neigung.
Erbaut wurde es 1194
und gilt als eines der
bedeutendsten noch
erhaltenen Bauwerke
seiner Zeit. Bedroht ist es
vor allem durch Sturzfluten
angrenzender Flüsse.
Der weiche Untergrund lässt
den Turm kippen – trägt
aber auch dazu bei, dass er
bei Erdbeben nicht einstürzt,
da er weniger mitschwingt.

ca. 48 m

ca. 33 m
ca. 27 m ca. 27 m

4° 5,2° 5,4° 5,5° 15° Quellen

»The Leaning
ca. 16 m Tower of Pisa
Revisited«,
J. B. Burland,
Imperial
College London,
London

Wikipedia,
BBC, SWR,
CNN
Torre della Garisenda Kirchturm von Gemeindeturm von Kirchturm von St. Moritz, Sharps Island Lighthouse
in Bologna Suurhusen Gau-Weinheim Schweiz in Chesapeake Bay, USA china.org.cn
mht.maryland.
Der kleinere der »zwei Er hat ein Fundament aus Das Bauwerk ist ein Ein Hangrutsch und andere Im Winter 1976 wurde gov
Türme von Bologna«. Eichenstämmen, die das mittelalterlicher Wehrturm Untergrundbewegungen der Leuchtturm von denkmalpflege-
Nachdem der Boden unter Wasser lange konservierten. und hat dem Ort seinen verursachten seine Neigung. großen Eisschollen getroffen, schweiz.ch
ihm abgesackt war und er Als das umliegende Land Spitznamen gegeben: das Zur Stabilisierung wurden seitdem steht er schief. sueddeutsche.de
sich gefährlich neigte, wurde entwässert wurde, Pisa Rheinhessens. die Glocken entfernt.
er im 14. Jahrhundert trockneten die Stämme und Links zu diesen
zurückgebaut. fingen an zu modern – der und weiteren
Turm neigte sich. Quellen finden
Sie unter
www.zeit.de/
wq/2022-44
Stehen geblieben Umgestürzt
Drahtseile
Um Türme geradezurücken, gibt sichern Schiefe Türme kippen nur noch
es verschiedene Methoden. In Pisa selten um. Sie werden entweder
kam die »Soil Extraction« zum stabilisiert oder gezielt abgerissen – Viele Werte
Einsatz. Dabei wurden etwa wie jüngst der Molenturm von beruhen auf
50 Löcher gebohrt, die bis zu Bremerhaven, ein 108 Jahre alter Eigenangaben
zwei Meter unter das Fundament Bleigewichte Leuchtturm, der im August in
reichten. So konnte die höher Spezielle Korken- drücken nach starke Schieflage geraten war.
gelegene Seite absacken – eine zieher-Bohrer unten
Korrektur um 0,5 Grad. entnehmen Erde

Die Kinderseite
der ZEIT
finden Sie auf
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 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44 ANZEIGE

FEUILLETON
GEBOREN IN DEUTSCHL AND.
H E R G E S T E L LT F Ü R D I E W E LT.

Säure des
Überdrusses
Selbst schuld?
Was Theaterleute jetzt zu
hören bekommen

A
D
ie Wut im Osten sei wieder man ruft. Mit dem Krieg Russlands und der neuen Auch den Theatern steht ein unangenehmer Winter
groß, sagt man. Wegen der Grenze, die heute wieder über Demokratie und bevor. Die Zahl der Zuschauer sinkt, der Verlauf der
gestiegenen Preise, der Infla- Diktatur, über freie und unfreie Welt entscheidet, ist Pandemie wird die Lust am öffentlichen Beisammen-
tion. Aber auch, weil viele der Osten ein bisschen weniger Osten geworden. Ein sein – ohne Alkohol – weiter dämpfen, und im Novem-
Ostdeutsche einen anderen bisschen weniger besonders, weniger faszinierend, ber und Dezember könnte eine dubiose Fußball-WM
Blick auf Russland hätten. weniger anders und wild. Auch die Ostdeutschen noch mehr Publikum abziehen. Zudem sind die Büh-
Und tatsächlich unterschei- gehören heute zu denen im globalen Westen, von nen nicht auf der Liste der im Falle einer drastischen
den sich die Ansichten der Ostdeutschen über den denen man sich bisher immer abgrenzen zu müssen Energieknappheit zu heizenden, systemrelevanten Ein-
Foto: Felix Adler (aus der Serie »Schildbürger«)

russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zum glaubte. Denen, die sich nicht mehr anzustrengen richtungen. Und dass die Ausgaben, die Putins Krieg
Teil erheblich von denen der Westdeutschen: keine brauchen. Denen, die schon alles haben. Den Sieger- den öffentlichen Haushalten abverlangt, auch zulasten
Aufnahme der Ukraine in die EU, keine Lieferung typen. Von Charkiw aus gesehen ist das heutige der Theaterförderung gehen werden, ist wahrschein-
von schweren Waffen ins Land, ein sofortiger Stopp Sachsen auch nur ein zweites Bonn. lich. Die Zukunft wird nicht strahlend sein.
der europäischen Sanktionen. Viele im Osten füh- Wer heute in Europa den Osten auf der politischen Da fällt auf, dass gerade jetzt Texte in maßgebli-
len sich Russland traditionell enger verbunden, kul- Landkarte sucht, landet nicht mehr zuerst in Halle, chen deutschen Zeitungen erscheinen, die man
turell und emotional, und waren und sind es nach Rostock oder Dresden, der denkt an die Proteste der Bilanzartikel nennen könnte. Texte, die das Theater
Jahrzehnten als sozialistisches Brudervolk ja unwei- Frauen in Belarus, die vom Lukaschenko-Regime an sich mit der Säure des Überdrusses begießen. Sie
gerlich auch. schließlich brutal niedergeschlagen wurden. Der denkt sind im Furor der Vergeltung geschrieben, und man
Dennoch darf man sich darüber wundern, dass der an die Proteste gegen das Abtreibungsverbot in Polen, könnte sie mit einem fauchenden »Ihr seid selbst
Osten wie jetzt auf den zahlreichen Montagsdemons- die sich ebenfalls im vergangenen Jahr nach dem Tod schuld!« zusammenfassen. Kritiker, die einen geringen
trationen wieder eine Sonderrolle für sich reklamiert War was? Szene von einer einer schwangeren Frau ereigneten. Der blickt also Teil des deutschen Theatergeschehens überblicken,
und dabei die eigenen Befindlichkeiten in den Mittel- Demonstration in Dresden dorthin, wo in Europa heute wieder die grundlegen- wagen den kalten Blick aufs Ganze. Sie entsorgen
punkt stellt. Denn es mag schon so sein, dass vierzig den Freiheitsrechte verteidigt werden oder überhaupt schriftlich, was ihnen schon immer auf die Nerven
Jahre deutsch-sowjetische Freundschaft sich nicht von erst noch errungen werden müssen. Wenn es so etwas ging. Sie unterstellen, dass das Publikum aufgrund
heute auf morgen aufkündigen lassen. Dass in wie einen glücklichen Geist von 1989 gibt, dann weht der mangelnden Verständlichkeit/ästhetischen Quali-
Prägungen und Mentalitäten Haltungen und er heute ganz sicher nicht mehr über dem zugigen tät/Strahlkraft vieler Aufführungen wegbleibe.
Einstellungen zum Ausdruck kommen, die historisch Leipziger Innenstadtring. Es ist Abrechnungszeit: Man rächt sich für all die
gewachsen und auch heute noch wirkmächtig sind. Und noch etwas ist auffällig an der gegen- Stunden, die einem das Theater gestohlen hat. Gera-
Wer wollte das bestreiten? Schon die Tausenden von wärtigen deutsch-deutschen Zeitenwende: In einer de Autoren, die sich früher dagegen verwahrt hätten,
Teilnehmern sprechen ja dafür. Welt, in der die beiden bündnisfreien skandinavi- Publikumszuspruch mit künstlerischem Erfolg gleich-
Plötzlich

Nur hat sich mit dem russischen Einmarsch in schen Länder Schweden und Finnland ihre Nato- zusetzen, ja die dem Theater das Recht auf das Expe-
der Ukraine auch im deutsch-deutschen Verhältnis Beitrittsgesuche stellen, um so schnell wie möglich riment, die Laborsituation, das Spiel vor kaum gefüll-
eine Zeitenwende vollzogen. Lautlos beinahe, aber unter das rettende Dach des Verteidigungsbünd- ten Rängen ausdrücklich zusprachen, gerade solche
Westen

doch irreversibel. Hatte man sich bisher mit nisses zu schlüpfen, gehört eine ostdeutsche Stadt Kritiker sprechen nun davon, dass lauter ihr persön-
Händen und Füßen dagegen gewehrt, das Einmal- wie Görlitz an der Neiße, die östlichste Stadt lich-politisches Süppchen kochende, in Blasen leben-
eins der westlichen Schule zu beherrschen, weil es Deutschlands, auf einmal direkter zum Westen als de Theateroberlehrer die Häuser leer gespielt hätten.
bedeutet hätte, ein Stück der eigenen ostdeutschen das finnische Lappeenranta an der nordwest- Und dass solches Theater niemand brauche.
Identität preiszugeben, so findet man sich russischen Grenze, in dem man sich bereits für den Kurzum: Das von höherer Gewalt Bedrohte wird
inzwischen in einer ungewohnt privilegierten Lage Ernstfall bereithält. Auch hier hat die Bedrohung im Moment seiner Schwäche zur Disposition gestellt.
wieder, in der die zur Schau getragenen antiwest- eines nuklearen Aggressors aus dem Osten die Natürlich ist Theaterkritik ein anstrengender Beruf.
lichen Ressentiments nicht nur unbegründet und eingeübten Schemata der mentalen Selbstverortung Der Theaterkritiker kann nicht, wie der Film- oder
seltsam schief, sondern vor allem aus der Zeit außer Kraft gesetzt. Buchrezensent, das Kulturprodukt im Programmkino
gefallen erscheinen. Die Macht des Faktischen hat die Grenze nebenan oder gleich zu Hause studieren, nein, er muss
Auch der Osten gehört heute zum globalen zwischen Ost und West zum Verschwinden gebracht in den Waggons eines sich auf groteske Weise selbst
Westen. Auch im Osten genießt man heute die Vor- und dabei etwas Neues geschaffen. Zum globalen zerlegenden Höllenfahrtbetriebs namens Deutsche
züge von Liberalismus und Demokratie. Von trans- Westen zu gehören bedeutet heute nicht mehr nur, Bahn durchs Land zuckeln.
atlantischem Verteidigungsbündnis und europäi- frei, sondern auch vor potenziellen Angreifern in Das ist nicht schön.
scher Staatengemeinschaft. Es ist eigentlich trivial, Sicherheit zu sein. Das gilt im Übrigen nicht erst für Jedoch, das Theater jetzt, wo es ihm aus ausnahms-
das zu betonen, denn natürlich war das bereits vor den militärischen Verteidigungsfall, in dem mit in- weise nur zu kleinen Teilen selbst verschuldeten Grün-
dem 24. Februar der Fall. Nur hat der Krieg mit ternationaler Unterstützung von außen zu rechnen den schlecht geht (auch viele Lesungen, Konzerte,
aller Schärfe ins Bewusstsein gebracht, dass der wäre. Schon beim Schutz der kritischen Infrastruk- Kinovorstellungen werden weniger gut besucht als vor
Osten auf der politischen Landkarte jetzt eben dort tur, von Energie- und Gasversorgung, Bahn- und der Pandemie beziehungsweise vor dem Krieg), mit
liegt, wo von Russland aus gesehen ideologischer Straßenverkehr, vor möglicher Sabotage ist der Verachtung zu strafen, verrät einen Zorn, der mit kriti-
Westen ist. Und dass die Rolle des ostdeutschen globale Westen als Sicherheitsgemeinschaft in toto scher Distanz zum Betrieb nicht mehr viel zu tun hat.
Underdogs mit besonders feinem, ausgeprägtem gefragt. Nicht dieser oder jener Teil, sondern die Eher schon mit jener Kulturtechnik, die man volks-
Draht nach Moskau unter diesen Vorzeichen gar tiefenvernetzte westliche Gesellschaft im Ganzen. tümlich »jemandem einen mitgeben« nennt.
nicht mehr wirklich funktionieren kann. Ost- Not, wenn sie mit diesem Eskalationspotenzial Das kann man tun. Aber man sollte es tun, wenn
deutschland, das sich immer etwas abseits vom auftritt, lässt sich nicht ausgrenzen. Nicht nach Ost die wahren Krisen vorbei sind. Tut man es jetzt,
Westen wähnte, sich stets abseits vom vermeint- und West, Nord oder Süd unterteilen. Denn wenn nähert man sich dem Reaktionären. PETER KÜMMEL
lichen Mainstream hielt, lag noch nie so weit im wie kürzlich beim Bahnchaos in Norddeutschland
Westen wie heute. ein durchtrenntes Kabel im nordrhein-westfäli-
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es schen Herne schon ausreicht, um den Zugverkehr ANZEIGE
stimmt, dass die Einkommen im Osten noch auch in weiten Teilen des Ostens zum Erliegen zu
immer deutlich niedriger sind als im Westen des bringen, lassen sich noch ganz andere Zwischen-
Landes. Und es stimmt auch, dass Ostdeutsche fälle denken, bei denen die symbolischen Grenzen,
über weniger Rücklagen verfügen, kaum Vermögen in denen eine Gesellschaft ihr kulturelles Kapital
haben und in gesellschaftlichen Spitzenpositionen verwaltet, hinter den handfesten materiellen
weiterhin unterrepräsentiert sind. Dass also der Grundlagen mit einem Schlag zurücktreten. Sie
Wohlstandspuffer im Westen um einiges größer werden von den verborgenen Leitungen, den
GEBOREN IN DEUTSCHL AND.
ausfällt und dass viele Ostdeutsche in diesem Kanalsystemen und Drahtgeflechten, die das Leben
H E R G E S T E L LT F Ü R D I E W E LT.
energieteuren Winter tatsächlich um ihre Existenz an der Oberfläche überhaupt erst ermöglichen und
fürchten müssen. unter Normalbedingungen auch am Laufen halten,
Ebenfalls stimmt es, dass in den Jahren nach der
Wiedervereinigung oft genug die Defizite des Ostens
Mehr als dreißig Jahre buchstäblich unterwandert. Durch jedes Kabel
fließt die Energie des Ganzen. Und mit jedem
im Vordergrund standen und nicht genauso die ge- »Osten« haben Störfall, der sich ereignet, ist die Sicherheit von
lungenen Momente, wie auch kürzlich der Bericht ausnahmslos allen bedroht – mögen die Lichter
des Ostbeauftragten der Bundesregierung noch ein- mit Ausbruch des nun in Chemnitz, in Warschau oder in Duisburg
mal unterstrichen hat. Die Zumutungen der Nach- ausgehen. Auch bei Sabotageakten müsste in
wendejahre bilden bis heute den Basso continuo der
Krieges ein abruptes Zukunft eigentlich der Bündnisfall gelten.
ostdeutschen Protestkultur. Der Maßstab war im-
mer der Westen, und deshalb konnte der Osten, als
Ende gefunden Selbst wenn die Protestierenden im Osten
gegenwärtig einen anderen Sound anstimmen und
der Globalisierungsboom in den Neunzigerjahren VON PETER NEUMANN sich einmal mehr in der Rolle des Underdogs
losging, auch nur das Nachsehen haben. Egal, wie wähnen: Der lange Weg nach Westen hat mit dem
sehr man sich anstrengte. Ganz gleich, wie eng man Krieg in der Ukraine für den Osten ein abruptes
sich an den vormaligen goldenen Westen Ende gefunden. Er gehört jetzt zum globalen
anschmiegte, wobei man sich oftmals bis zur Westen. Ob er will oder nicht. Das muss noch lan-
Unkenntlichkeit verbog: Die Sieger der Geschichte, ge nicht bedeuten, dass Ostdeutschsein keine Rolle
das waren stets die anderen. Und auch die Treppchen mehr spielt. Im Gegenteil. Aber anstatt einmal
dahinter waren immer schon vergeben. mehr Misstrauen gegenüber der lange beargwöhn-
Und dennoch hat dieser ostdeutsche Reflex, das ten Ideologie des Westen zu säen, hätte der Osten
Gefühl, vom Mahlstrom der Geschichte in die Tiefe jetzt die Gelegenheit, mitzusprechen. Und zwar INGENIEURSKUNST
gerissen worden zu sein, seit dem Überfall auf die ohne Wut. Um so zu verhindern, dass die Fehler, SEIT 1898
Ukraine an Suggestivkraft verloren. Denn so richtig die 1989 vom Westen begangen wurden, sich heute
Osten kann der Osten gar nicht mehr sein, wenn auch im Umgang mit der Ukraine wiederholen.
er gegenüber der Ukraine auf einmal in die Rolle des
Westens geschlüpft ist, nach dessen rettenden Waffen !www.zeit.de/vorgelesen
52
DREI STARS, EIN KRIMI
Liebesgrüße an
die USA
David O. Russells Film noir
»Amsterdam«
Nun also hat David O. Russell, Experte
für Komödien, Sport- und Kriegsfilme
mit exzentrischem Drall, eine Detektiv-
geschichte gedreht. Amsterdam ist ein laby-
rinthischer, tagheller Film noir, angesiedelt
zwischen den Weltkriegen, im New York
des Schicksalsjahres 1933.
Der Arzt Burt (Christian Bale) und
der Anwalt Harold (John David Wa-
shington) sind enge Freunde, der eine
»halb katholisch, halb jüdisch«, der ande-
re schwarz. Zusammen waren sie im
Ersten Weltkrieg: Burt hat ein Glasauge,
einen kaputten Rücken und eine Mor-
phinsucht davongetragen, Harold ein
vernarbtes Gesicht. Mit der Künstlerin
Valerie (Margot Robbie) bildeten sie in
Frankreich eine Ménage-à-trois, in den
Staaten führen sie ein beschädigtes Leben
– bis Valerie plötzlich wieder auftaucht.
Als ein früherer Vorgesetzter der Vetera-
nen unter verdächtigen Umständen stirbt
(er hatte sich für die Gleichberechtigung
weißer und schwarzer Soldaten einge-
setzt), stoßen die drei auf ein rechtsextre-
mes Komplott. Diese Konstellation nutzt
Russell für so bizarre wie faszinierende
Kaskaden in Tonalität, Schauspielerfüh-
rung und Erzähltempo: Großaufnahmen
verstümmelter Soldatenkörper im Laza-
rett taucht er in warme Sepiatöne. Chris-
tian Bales Burt, phonetisch nicht zufällig
an einen Vogel erinnernd, stakst umher
wie ein zerzauster Papagei. Washington
scheint dem abgeklärten Duktus seines
Vaters Denzel nachzueifern, und Margot
Robbie changiert zwischen kombinato-
rischer Hellsichtigkeit und der Karikatur
sogenannter weiblicher Hysterie. Einmal
ist das Trio kurz davor, in einem Haus
wichtige Indizien zu entdecken, als es ent-
scheidet, man fühle sich nicht wohl und
gehe jetzt zum Auto zurück. Dort ange-
kommen, überlegen sie es sich anders und
kehren wieder um. Die gesamte Sequenz
inszeniert Russell in Echtzeit.
Bales Arzt modelliert in seiner Praxis
anderen Veteranen mittels plastischer
Chirurgie neue Gesichtszüge. Valerie
fertigt kubistische Fotocollagen aus
Porträts oder dreht Kurzfilme. Kunst und
Film werden zum probaten Mittel, einer
bedrohlichen Zeitgeschichte ins Auge zu
blicken, in der die Akteure des nächsten
Weltkriegs die politische Bühne betreten
haben. Doch anders als in Europa beginnt
in den USA 1933 die sozialistisch beweg-
te Ära des New Deal unter Roosevelt.
Faschistische Agitatoren scheitern am
demokratischen Rückgrat der Gesell-
schaft. Diesem Amerika sendet David O.
Russells Film einen Liebesgruß: Seine
heillos verschachtelten Wendungen wer-
den mitunter Ratlosigkeit provozieren,
vermutlich sollen sie es auch. Ein Plädoyer
für filmemacherischen Eigensinn und
solidarische Politik in schwer durchschau-
baren Zeiten. DANIEL MOERSENER
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Wilhelm Raabe-Literaturpreis 2022
Preisverleihung: am 6. November um 11.30 Uhr im Kleinen Haus des Staatstheaters Braunschweig
Preisverleihung im Radio: am 26. November um 20.05 Uhr im Deutschlandfunk,
Live-Übertragung auf dem Digitalradio-Sonderkanal »Dokumente und Debatten«
© Joachim Gern
FEUILLETON 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
UNSERE WOCHE
METOO Für den musikalischen Nachschub sorg-
te meist »The Pirate Bay«, eine Website,
auf der vernetzte Heimcomputer Musik-
alben miteinander »teilten«, wie es da-
Filmindustrie mals so schön hieß; zum Leidwesen der
Musiklabels geschah das entgeltlos.
ohne Reue Genau in dieser Frühphase der digi-
talen Piraterie, in der alte Geschäfts-
Der New Yorker Freispruch modelle vom Internet überrundet wur-
den, beginnt in einer klebrigen Jungs-
für Kevin Spacey wohnung am Stadtrand von Stockholm
die Geschichte von The Playlist. Die
Ist Kevin Spacey jetzt rehabilitiert? Ein Serie, zu sehen auf Netflix, gräbt in der
Gericht in New York hat jedenfalls die jüngsten Vergangenheit, dort, wo das
Schadensersatzforderung über 40 Mil- Start-up Spotify die Welt der Musik
lionen Dollar zurückgewiesen, die der endgültig auf den Kopf stellen sollte: ein
Schauspieler Anthony Rapp wegen einer Player, alle Lieder, kostenlos, aber legal.
angeblich 1986 geschehenen sexuellen Das war die Zukunft. Doch wie bei so
Belästigung erhoben hatte. Die Ge- vielen Erfolgsgeschichten erzählt auch
Foto: Taylor Swift/Planet Photos
schworenen hatten den starken Ein- hier jeder seine ganz eigene Version –
druck, der damals 14-jährige Rapp habe vom Computer-Nerd und Gründer
sich eine einschlägige Szene aus dem Daniel Ek über den Labelboss und Mu-
Theaterstück Precious Sons, in dem er sikliebhaber alter Schule Per Sundin bis
damals mitspielte, als Muster fürs eigene zum Programmierer und selbsterklärten
Erleben zurechtfantasiert. Etwas anderes Internetlibertären Andreas Ehn. Weniger
sind die weniger strafwürdigen als lästi- als makellose Heldengeschichte und
Die 32-jährige Musikerin Taylor Swift gen Zudringlichkeiten, die sich Spacey mehr als Karambolage ganz entgegen-
wohl notorisch gegenüber Männern gesetzter Zukunftsvorstellungen entfaltet
geleistet hat. Im Fall von Anthony Rapp sich dieses Start-up-Märchen: Da stößt
ging es dabei allerdings um den einzi- eine linksanarchistische Vision des In-
gen Fall eines Minderjährigen. Anders ternets, in der alle gleichberechtigt mit-
Komm’ in meinen Privatjet
gesagt: Kevin Spacey ist kein Harvey einander verbunden sind, mit dem alten
Weinstein. Er hat nicht seine Macht in Geld und den neuen Cyber-Libertären
der Filmindustrie missbraucht, sondern zusammen, denen das Netz, den staatli-
die Filmindustrie hat ihre Macht miss- chen Intervention entzogen, zum Ort
braucht, indem sie ihn demonstrativ, vor der absoluten Freiheit gerinnt. In diesem
Ihre Fans dürfen endlich wieder rätseln: Über welchen dem Zeitgeist kriechend, zur Unperson Konflikt fällt die Musik selbst, für die
erklärte. Und es spricht viel dafür, dass doch alle zu kämpfen meinen, schnell
Ex-Freund singt Taylor Swift diesmal? VON EVA SAGER sie ihm genau das nicht verzeihen wird. mal hinten runter. So erzählt die Serie
Nämlich nicht das, was er getan hat, auch von einer nahen Zukunft, in der
sondern das, was sie ihm angetan hat: die fiktionale Musikerin Bobbi T trotz
Vielen fällt es leicht, Taylor Swift nicht zu mögen. Sie Privatflüge. Hatte man sich im Sommer noch über eine dass er aus Filmen herausgeschnitten Hunderttausender Klicks ihre Miete
mögen die Countrymusik nicht, die sie früher gemacht Studie einer Marketingagentur geärgert, der zufolge wurde (aus Ridley Scotts Alles Geld der nicht mehr zahlen kann. Ob diese Frau,
hat, und die Popsongs, die sie heute singt, auch nicht. Swift unter den Prominenten die meisten Privatjet- Welt), dass Drehbücher umgeschrieben die dann den Protest der Entrechteten
Sie mögen ihre Ex-Freunde nicht (weder den Musiker Reisen unternimmt, so heißt es jetzt: Über welchen Ex- wurden (in House of Cards musste er anführt, tatsächlich das Musikgeschäft
Calvin Harris noch die Schauspieler Tom Hiddleston Freund singt sie wohl dieses Mal? Klima muss warten. eigens sterben, um aus der Netflix-Serie davor bewahren kann, endgültig zum
und Jake Gyllenhaal) und ihren neuen Freund (Joe Warum ist es so leicht, Taylor Swift nicht zu mögen? entsorgt werden zu können), dass er Grabbeltisch zu verkommen – das bleibt
Alwyn, Schauspieler aus England) noch weniger. Sie Schon 2009 stürmt Kanye West bei den MTV Video überhaupt für keine Rolle mehr besetzt offen in dieser Fiktion, die unsere Wirk-
mögen die Streitereien nicht, die Taylor Swift mit Music Awards während ihrer Dankesrede auf die Büh- werden konnte. Denn etwas anderes als lichkeit ist. CL A AS OBERSTADT
anderen Prominenten ausficht. Sie mögen es nicht, ne, um ihr das Mikro aus der Hand zu reißen und zu Zeitgeist kennt diese Industrie nicht,
wenn Swift sich politisch äußert, und ganz besonders erklären, warum er sie nicht für eine verdiente Preis- weder Gerechtigkeit noch Reue, sie wird
mögen sie es nicht, wenn sie sich nicht politisch äußert. trägerin hält: »Yo, Taylor, ich freue mich für dich, und ihn nicht rehabilitieren. Auch wenn sie
Als sie 2016 nicht dazu aufrufen wollte, Hillary ich lass dich deine Rede auch zu Ende halten, aber ihn nach diesem Gerichtsurteil zunächst LIBERALISMUS
Clinton zu wählen, nahm man es ihr übel; als sie 2020 Beyoncé hat eines der besten Videos aller Zeiten ge- einmal als Täter verloren hat – als
dann zur Wahl Bidens aufrief, passte es auch nicht. macht!« Es ist nicht das letzte Mal, dass ihr Sexismus Opfer kann sie ihn schon gar nicht
Wenige Stars können so viel falsch machen wie Taylor
Swift und gleichzeitig dann doch so vieles richtig, das
begegnet. Die Herabwürdigung ihrer musikalischen
Leistungen ist beständiger Teil ihrer Karriere. Als hätte
gebrauchen. JENS JES SEN Das F in FDP
beweist sie jetzt wieder mit ihrem neuen Synthpop-
Album Midnights. Als es vor ein paar Tagen erschien,
Musik für Mädchen keinen künstlerischen Mehrwert,
wenn sie poppig, dramatisch und gelegentlich auch mal
steht für Fantasy
brachte es kurzzeitig die Musikplattform Spotify zum ein bisschen peinlich ist. SERIE
Erliegen und knackte anschließend Streaming-Rekorde. Taylor Swift hat sich zwischenzeitlich von alldem zu
Was bei Christian Lindner
Selbst ihre Kritiker müssen eingestehen, dass die sehr beeindrucken lassen. Vor fünf Jahren erklärte sie in gerade so läuft
Swift mittlerweile ein eigenes musikalisches Universum
erschaffen hat. So wie Marvel das Marvel Cinematic
einem Song, die alte, liebe Taylor sei tot. Aus dem
Country-Sweetheart sei nun eine gnadenlose Rächerin
Alter In der ZEIT war letzte Woche zu erfah-
Universe erfunden hat mit seinen Superhelden und
Star Wars das Star Wars Expanded Universe mit seinen
geworden, die all ihre angestaute Wut niedergehen lasse
über ihre Feinde: »Look what you made me do.« So rich-
Schwede ren, was FDP-Finanzminister Christian
Lindner gerade gerne guckt: die Star Wars-
Raumschiffen, so existiert inzwischen auch ein Taylor tig abgenommen hatte man ihr die neue Taylor damals »The Playlist« erzählt, wie Serie Andor, die Tolkien-Serie Rings of
Swift Expanded Universe, nur eben für Herzschmerz. nicht. Und 2022 zeigt sie sich nun wieder selbstkritisch. Power und den Game of Thrones-Ableger
Sie erzählt Geschichten, die sich liederübergreifend »It must be exhausting always rooting for the anti-hero«, Spotify so mächtig wurde House of the Dragon. Ganz neue Fragen
fortsetzen und über Alben hinweg aufeinander Bezug singt Taylor Swift heute. Und hat damit natürlich recht. stellen sich nun an diese fantastischen
nehmen; Figuren tauchen immer wieder auf und ent- Sie will keine Antiheldin sein; keine Figur, die sich in Wer sich schon mal in einem Platten- Stoffe: Ist das Inselreich Númenor nur
wickeln sich weiter. Für ihre Fans, die Swifties, bedeutet einen Bösewicht verwandelt und sich dann für alle laden einfach nur umschauen wollte, der untergegangen, weil eine Schulden-
ein neues Album deswegen vor allem eines: harte Ar- erlittenen Kränkungen rächt. Antihelden hatten wir weiß um die missbilligenden Blicke. Hier bremse notwendige Investitionen ver-
beit, denn jeder Songtext muss akribisch auf etwaige genug, sie haben uns ausgelaugt. Ihr Zeitalter ist vorbei. sind nur die Geschmackssicheren will- hindert hat? Werden Sternenzerstörer aus
Metaphern und Anspielungen durchsucht werden. In Midnights fühlt sich an wie das Angebot eines Waf- kommen, die sowieso schon genau einem Sondervermögen bezahlt? Und
den sozialen Netzwerken überschlagen sich zurzeit die fenstillstands. Zwischen Taylor Swift und sich selbst, wissen, was sie wollen. Erlösung von wenn die FDP-Jugendorganisation sich
Interpretationsversuche. Der Song Maroon soll von aber auch zwischen ihr und all jenen, die sie eigentlich dieser Schmach versprach allen anderen bald wieder gegen das Inzestverbot
einer vergangenen Beziehung zu Sänger Harry Styles nicht mögen und wahrscheinlich auch niemals mögen der MP3-Player, anfangs mit 256 Mega- ausspricht, erläutert Lindner ihnen dann
handeln, und in Mastermind soll es um Joe Alwyn ge- werden. Und, wer weiß, vielleicht können sich jene byte, also knapp vier Alben auf einem die traurige Geschichte des Hauses
hen. Vergessen ist da der Skandal rund um ihre nun auch einfach mal anderen Themen widmen. kleinen Stick, immer in der Hosentasche. Targaryen? L ARS WEISBROD
»Jan Faktor bringt das traditionelle Genre des Schelmenromans zum G
Gebunden
Explodieren: Als ›Trottel‹, so der Titel des Werks, erzählt er sein Leben – E (D) 24,–
aber wilder, überdrehter, radikaler als man es sich bislang vorstellen
konnte … – eine radikale Lebensbeschreibung, die das Genre des
autofiktionalen Schreibens revolutioniert.« Aus der Begründung der Jury
 DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022
Der Schriftsteller Franz Kafka (1883 bis 1924) verlangte
von Max Brod, seinen Nachlass zu vernichten
Fotos: Fine Art Images/Interfoto; Culture Club/Hulton Archive/Getty Images (u.)
»Alles restlos und
ausnahmslos verbrennen«
Wenn Max Brod das Testament seines Freundes Franz Kafka erfüllt hätte,
wäre die Literaturgeschichte anders verlaufen VON IRIS RADISCH
A
m 10. April 1924 erhielt Franz
Kafka sein Todesurteil. Niemand
hatte ihn verleumdet, so was
passiert in seinen Romanen. Er
wurde auch nicht verhaftet, nur
im offenen Wagen, ein anderer
war gerade nicht zu beschaffen, in
eine Wiener Klinik gefahren. Der Freund Max Brod
schrieb am selben Tag in sein Tagebuch: »Wiener
Klinik. Kehlkopftuberkulose festgestellt. Fürchter-
lichster Unglückstag«.
Die Prager Literaturszene wurde alarmiert. Rosen
wurden geschickt, Widmungsexemplare auf den
Weg gebracht, Telegramme versandt. Doch es gab
keine Aussicht auf Heilung mehr. Kafka wog noch
45 Kilogramm.
Kafkas letzte Reise führte am 19. April ins 15
Kilometer entfernt gelegene Kierling bei Kloster-
neuburg. Die Schmerzen beim Schlucken und
Sprechen waren jetzt so groß, dass Kafka sich
mithilfe von Zetteln verständigen musste. Am 20.
April schrieb er an seinen Freund Max Brod: »Hat
man sich einmal mit der Tatsache der Kehlkopf-
tuberkulose abgefunden, ist mein Zustand
erträglich.«
Serie: Sternstunden der Menschheit
Am 11. Mai besucht Max Brod seinen Freund zum
letzten Mal. Die Freunde sprechen über dies und das,
die erneuten Heiratspläne des Todkranken, über ein
nächstes Wiedersehen. Kein Wort über das Sterben,
kein Wort über ein Vermächtnis, kein Wort über die
drei unvollendeten Romane in Kafkas Prager Schub-
laden, keines über die Tausenden von Briefen, über die
Tagebücher, die Notizen, die Erzählungen. Auf dem
Sterbebett korrigiert Kafka bis zuletzt die Fahnen seines
Erzählungsbandes Ein Hungerkünstler – die Geschich-
te eines Mannes, der nicht mehr essen will, weil er nicht
die Speise finden konnte, die ihm schmeckt. Er weint
beim Lesen. Am Montag, den 2. Juni schreibt er seinen
Eltern, alles sei »in den besten Anfängen«. Am Diens-
tag, den 3. Juni 1924 bittet er einen befreundeten Arzt
in höchster Atemnot: »Töten Sie mich, sonst sind Sie
ein Mörder.« Gegen Mittag stirbt er.
Dreizehn Jahre zuvor hatte er in seinem Tagebuch
notiert: »Vierzig Jahre alt werde ich aber kaum werden,
dagegen spricht z.B. die Spannung, die sich mir über
die linke Schädelhälfte öfters legt.«
Kafka wurde dann genau 40 Jahre alt. Er hat ja
immer alles sehr genau vorausgesehen. Eine Welt-
berühmtheit war er mit 40 Jahren trotzdem noch nicht.
Eher ein deutschsprachiges Regional-Genie auf der
FEUILLETON
Sternstunden der
Menschheit
Teil 4
In Anlehnung an Stefan Zweigs
gleichnamiges berühmtes Buch
stellen wir Schicksalsmomente der
Geschichte aus den vergangenen
hundert Jahren vor.
Teil 5 nächste Woche im Entdecken:
Thor Heyerdahl überquert auf dem
Floß den Pazifik.
Alle bisher erschienenen Folgen der
Serie finden Sie unter
www.zeit.de/sternstunden
Kurzstrecke Prag–Wien–Berlin. Die zu seinen Lebzeiten
publizierten Werke passen in ein dünnes Taschenbuch.
Es sind rund 170 Seiten. Dabei wäre es geblieben.
Wenn es die Sternstunde der Literatur nicht gegeben
hätte, die in diesem Fall darin besteht, dass ein Mensch
nicht das gemacht hat, was er machen sollte. Kafka hat
ein Testament hinterlassen, zur Sicherheit sogar zwei
Testamente mit identischem Inhalt, und seinen Freund,
den Prager Schriftsteller Max Brod zum Testamentsvoll-
strecker bestellt. In beiden Testamenten steht klipp und
klar: Alles beim Tod noch nicht Publizierte, Manuskripte,
Briefe, Tagebücher, die sich in Prag befinden »im Bücher-
kasten, Wäscheschrank, Schreibtisch zuhause und im
Bureau, oder wohin sonst irgendetwas vertragen worden
sein sollte«, also insgesamt Tausende von Seiten hand-
schriftlicher Unikate, sei »restlos und ausnahmslos zu
verbrennen und dies möglichst bald«. Sogar die Erzäh-
lung über den sterbenden, verhungernden Künstler, an
deren Druckfahnen der sterbende und halb verhunger-
te Künstler noch in seiner Todesstunde arbeitete. Am
liebsten, schreibt Kafka, würde er gerne auch alles bereits
Publizierte wieder zurückziehen. Doch, setzt Kafka groß-
zügig hinzu, wolle er niemandem mit der »Mühe des
Einstampfens« lästig fallen. Jedoch hege er keinesfalls die
Hoffnung, diese Werke »mögen neu gedruckt und künf-
tigen Zeiten überliefert werden, im Gegenteil, sollten sie
ganz verloren gehen, entspricht dies meinem eigentlichen
Wunsch«. Das war eine unmissverständliche Ansage.
Man kann sie so verstehen: Die überlieferten men-
schenfreundlichen Kulturtechniken des Bewahrens und
des Rettens interessieren Kafka auch angesichts des Todes
nicht. Er weiß, dass es sie gibt, aber er will sie in seinem
heldenhaften Katastrophismus keinesfalls auf sich selbst
anwenden – »auch die Asche, die der Wind aus den
Brandhaufen fortbläst, fliegt nicht weg, um sich zu ret-
ten«, schreibt er Max Brod in einem seiner letzten Briefe.
Die Bücherverbrennung, die Kafka testamentarisch
verfügte, wäre gigantisch ausgefallen. Nach seinem »letz-
ten Willen« sollten seine drei unvollendeten Romane Das
Schloss, Der Prozeß und Der Verschollene, die Briefe an
Felice Bauer, an Max Brod und an Milena Jesenská, der
Brief an den Vater und seine Tagebücher den Flammen
übergeben werden. Was das bedeutet, lässt sich kurz zu-
sammenfassen – wir würden Kafka gar nicht kennen. Wir
hätten keine Ahnung von der obercoolen Verzweiflung
und dem Kafkaesken, das zum Markenzeichen des
20. Jahrhunderts wurde. Was uns fehlen würde, wären
nicht nur die genialen Romanfragmente, ohne die Albert
Camus und Samuel Beckett nicht denkbar sind. Fehlen
würden die heiligen Urtexte der Ernüchterung, in denen
sich das Lebensgefühl einer heiter ertragenen Ausweg-
losigkeit zum ersten Mal aussprach – bevor es über den
Existenzialismus und den Pop zur Grundbefindlichkeit
einer ganzen Epoche wurde, die sich zwischen Lachen
und Grauen nicht mehr entscheiden will.
Die gesamte Literatur des 20. Jahrhunderts, sagt der
Kafka-Biograf Reiner Stach, dem ich diese Frage gestellt
habe, würde anders aussehen, wenn Brod den letzten
Willen seines Freundes befolgt hätte. Kafka wäre niemals
zu der Weltfigur geworden, die er heute ist. Er wäre ähn-
lich wie Georg Büchner als großer »Unvollendeter« in
die deutschsprachige Literaturgeschichte eingegangen.
Aber er wäre nicht die nur Shakespeare vergleichbare
Jahrtausendgröße geworden, die voraussetzungslos lesbar
ist überall auf der Welt.
Wie hat Max Brod nun diesen letzten Willen seines
Freundes aufgenommen? Irrte er in den kurzen Juni-
nächten nach Kafkas Tod schlaflos durch die Prager Alt-
stadt und bat die Götter der Literatur um Beistand in
diesem Gewissenskonflikt, über dessen weltgeschicht-
liche Tragweite er keinen Zweifel hegte? Schlug er sich
eines Morgens die Hand auf die Stirn und wachte mit
der Erleuchtung auf: Das mache ich nie und nimmer?
Wir wissen es nicht. Sicher ist nur: Er hat es nicht getan.
Später behauptete Max Brod, er habe Kafka, als der
ihn über den Inhalt der Testamente schon zu Lebzeiten
aufklärte, zu verstehen gegeben, dass er einen solchen
Wunsch ganz bestimmt nicht ausführen werde. Kafka
hätte sich also einen anderen Weltliteratur-Vernichter
suchen müssen, wenn es ihm ernst gewesen wäre. Reiner
Stach hält dagegen: Wen hätte Kafka denn sonst beauf-
tragen sollen? Nur der enge Freund Max Brod hatte
Zugang zu den Manuskripten, nur Brod kannte die
Familie, die ihm vertraute, nur Brod kannte die Brief-
partnerinnen. Mit anderen Worten: Einzig und allein
Max Brod kam überhaupt dafür infrage, in der Rolle des
Nachlass-Terminators einen derart weitreichenden Ver-
nichtungsschlag auszuführen.
Der Kafka-Biograf Reiner Stach, dessen großartige
dreibändige Kafka-Biografie beinahe noch umfangreicher
als Kafkas gerettetes Gesamtwerk ausfällt, ist sich sicher,
dass Max Brod von Anfang an fest entschlossen war, aus-
nahmslos jede nachgelassene Zeile seines verstorbenen
Freundes zu veröffentlichen. Was für eine erbärmliche
Figur hätte Brod abgegeben als Vernichter vom Schloss
oder vom Prozess? Wie hätte er sich rechtfertigen können
gegenüber so berühmten Kafka-Bewunderern wie Franz
Werfel oder Robert Musil? Vielleicht ahnte Max Brod
auch schon, dass sein eigenes Nachleben trotz seiner
rastlosen Romanproduktion überschaubar ausfiele, wäre
er nicht in der Nebenrolle seines Lebens als Freund und
Nachlass-Retter Kafkas in die Geschichte eingegangen.
Erschwerend kommt hinzu: Max Brod kannte den
»lieben Franz« seit 22 Jahren. Und er kannte das Publi-
kationstheater, das der ständig mit seinen Texten auf-
führte. Meistens, erinnerte sich Brod, fand Kafka »alles
schlecht«, was er geschrieben hatte, war an »literarischer
Wirkung« nicht im Geringsten interessiert. Jede Zeile,
jedes Blatt musste Brod dem Freund mehr oder weniger
gewaltsam entreißen und zum Verleger tragen.
Die Rollen in dieser engen Freundschaft lagen von
Anfang an fest. Brod war der Impresario, das Kontakt-
wunder, der Stratege im Literaturkampf, der Vielschrei-
ber, der verheiratete Frauenheld, dessen Schreibtische
von geheimen Liebesbriefen überquollen. Kafka war der
ewige Zögerer, der Mann, der sich andauernd verlobte
53
und entlobte, der seine Romane nicht vollendete, der
sich kaum zu einer Reise, ja nicht einmal zum Auszug
aus der elterlichen Wohnung bequemen konnte. Noch
drei Jahre vor seinem Tod hatte der 37-jährige Kafka
an den Freund geschrieben, dass er im Leben umher-
irre wie »ein Kind in den Wäldern des Mannesalters«.
Er fühlte sich umstellt von den allgegenwärtigen »Ell-
bogenmännern«. Diesen Typen mit Armbanduhren,
so breit wie ihre Schultern. Auch Brod war in Kafkas
Augen längst »in den männlichen Stand aufgerückt«,
dessen übermächtiger Hauptrepräsentant sein Vater
war. Er selbst fühlte sich mit seinen drei Roman-
Ruinen unter all diesen potenten Männern wie eine
Kafka-Figur, die vor dem Tor zum Leben steht und
vom Türhüter nicht eingelassen wird.
Trotzdem die Frage: Warum zum Teufel wollte
Kafka sein Jahrtausendwerk vernichten? Reiner Stach
ist sich sicher, dass Kafka sich angesichts seiner drei
unvollendeten Romane und in völliger Verkennung
seines literarischen Rangs als ein Gescheiterter vor-
kam. Sein Schreiben ging von unnachahmlichen, nie
gesehenen Bildern aus, die in seinem Kopf entstan-
den und die ein nur nachvollziehendes, genießeri-
sches Lesen seiner Texte unmöglich machen.
Dieser gewaltige Bilderstrom in seinem Kopf war
stärker als jeder vorgefasste literarische Plan, neuer-
dings Plot genannt, weshalb Kafkas labyrinthische
Romane zuverlässig unter der Last ihrer selbst er-
zeugten Dichte und Intensität zusammenbrachen.
Darunter hat ihr Autor mindestens so sehr gelitten
wie unter dem unausgesetzten Scheitern seiner Hei-
ratspläne. Max Brod gegenüber klagte er: »Worin liegt
der Sinn des Aufhebens solcher ›sogar‹ künstlerisch
misslungener Arbeiten?« Das offene, grundsätzlich
unabschließbare Werk hat es damals noch nicht ge-
geben. Das ist erst durch ihn selbst in die Welt ge-
kommen, sodass man sagen kann, dass Kafka an dem
Werkbegriff gescheitert ist, den seine Romane später
überflüssig gemacht haben. Natürlich nur, weil Max
Brod sie trotz der beiden Testamente publiziert hat.
Auch dafür muss man dem alten Prager Studien-
freund ewig dankbar sein.
Max Brod selbst hat den ungewöhnlichen Ver-
nichtungsauftrag als geradlinige Fortsetzung der
ständigen Selbstherabsetzung seines Freundes auf-
gefasst. Auch damit konnte er sich beruhigen. Der in
Kafkas Innerem katastrophal hin und her schwan-
kende babylonische Turm aus Skrupeln und Selbst-
zweifeln war in Brods Augen nur die logische Folge
eines übermenschlichen Strebens nach letzter Voll-
kommenheit. Für Brod war Kafka ein Heiliger, der
wie Moses auf dem Berg »durch die Maschen der
sogenannten Realität« einen Blick auf die »wahre
Welt« geworfen habe und darüber demütig und bis
zum Exzess bescheiden geworden sei. Der jüdische
Witz »Machen Sie sich nicht so klein, so groß sind
Sie nicht« galt für Kafka in umgekehrter Richtung:
Nur weil Kafka so groß war, machte er sich so klein.
So gesehen waren die verfluchten Testamente für Max
Brod ein weiterer Grund für die unumgängliche
Seligsprechung eines literarisch begnadeten Flagel-
lanten, der dieser Welt für die jenseitige entsagt hat.
In den später einsetzenden Deutungskämpfen um
die von ihm veröffentlichten Kafka-Werke hat Brod
deshalb auch entschieden einer judaisch-religiösen
Interpretation Kafkas den Vorzug gegeben.
Fragt man Reiner Stach, was er von Kafka gerne
wissen würde, sollte er ihm jemals begegnen, sagt er,
ohne zu zögern: »Warum Max Brod? Warum die Nähe
ausgerechnet zu diesem seltsamen Menschen?«
Das spätere Sündenregister Brods ist für die
Kafka-Forschung trotz seiner unbestreitbaren
Heldentat leider bedenklich lang. Er hat die Heraus-
gabe der Werke durch übertriebene Honoraran-
sprüche verzögert. Er hat die Tagebücher Kafkas retu-
schiert, wenn es um ihn selbst ging, und in den
Manuskripten eigene Anmerkungen vorgenommen.
Er hat Thomas Mann geschrieben, dass er die
Manuskripte auf der Suche nach einem sicheren Exil
als Morgengabe anbiete im Gegenzug zu einem
Posten in den USA. Manche Manuskripte hat Brod
einfach verschenkt – von dem Drama um die nach
seinem Tod 1968 in Tel Aviv an seine Sekretärin
vererbten Romanmanuskripte ganz zu schweigen.
Aber was zählen schon solche Kleinigkeiten. An
den tapferen Max Brod, der durch das Nichtbefolgen
des letzten Willens seines besten Freundes die Welt so
reich gemacht hat, wird man sich noch erinnern, wenn
wir alle längst Asche im Wind sind.
Max Brod (1884 bis 1968) war
Kafkas bester Freund
54 FEUILLETON 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

MEIN LEBEN ALS FRAU

Abb.: Rijksmuseum Amsterdam; Illustration: Rahel Levit für DIE ZEIT (r.)

Mein Bier
Eine Geschichte über Arbeit, Solidarität und Balenciaga
VON ANTONIA BAUM

Ich saß, wie eigentlich die meiste Zeit, brutal ge-
stresst im Bordrestaurant des ICE, aber ich mei-
ne nicht den literarischen Topos, ich saß wirklich
konkret drin und musste dem Lohnerwerb nach-
gehen, während die Welt draußen, irgendwo
Weiße Unschuld auf schwarzem Hintergrund: weit hinter dem Sicherheitsglas angeblich gerade
Adriaen Coortes »Stillleben mit Spargelbund« von 1697 wieder einmal dabei war, sich auseinanderzuneh-
men und neu zusammenzusetzen (Ukraine, Iran,
alles), und meine Kinder mit irgendwem (jeden-
falls nicht mit mir) einen Halloween-Kürbis aus-
höhlten. Ganz genau konnte ich das gerade nicht
gegeben zu haben, als ich schon wieder diese
Stimme hörte: »Komm mal her, lass dich umar-
men!« Ich drehte mich um, zur Seite, sah nach
vorne. »Na komm schon!« Die Stimme klang
kindlich, ein bisschen nach Donald Duck und
Auto-Tune. Kopfschüttelnd wollte ich gerade
noch einen Schluck nehmen, als ich feststellte,
dass es mein Bier war, das mit mir sprach. Noch
etwa halb voll, war auf seiner Schaumkrone ein-
deutig ein Gesicht zu erkennen, zwei runde Au-
gen, eine kleine Nase und ein Mund, der mich

O heiliges Gemüse!
sagen, und ich verstand auch insgesamt nicht,
was los war, denn obwohl ich so gut wie nie Bier
trank und es erst halb zwei war, bestellte ich mir
bei der Servicekraft mit der Maske und den roten
anlächelte. Erschrocken sah ich mich um, aber
alle anderen sahen auf ihre Bildschirme, schwar-
ze Hosenbeine schaukelten hin und her. Ich
guckte das Bier entgeistert an. »Was hast du?«,

Selbst der Spargel wird zum Haaren ein kleines Pils, und obwohl ich wirklich
arbeiten musste, arbeitete ich nicht, sondern
starrte auf mein Telefon.
fragte es. »Nichts«, flüsterte ich. »Ich sage nur,
dass es bei Solidarität um geteilte Zwecke geht
und dass das Interesse der Leute, die sich hier die

Zeichen der Transzendenz

Dort lernte ich erst, dass laut einer Betriebs- Haare abschneiden, nicht unbedingt was mit
krankenkassenstudie jeder Zehnte trotz Corona dem der Leute im Iran zu tun hat.«
zur Arbeit ging, weil die Leute Angst hatten, als Mein Bier seufzte: »Aber dir geht es doch auch
faul zu gelten, dann informierte mich irgendein nur um dich selbst, wenn du so große Angst davor
Talkshowreel darüber, dass es sich bei dem hast, etwas zu tun, das du vielleicht peinlich findest.
Der Pariser Louvre feiert die Kunst der Stille VON HANNO RAUTERBERG sinnlosen, stundenlangen Nachobenwischen des Allen geht es um sich selbst, sie kommen dabei nur
eigenen Social-Media-Feeds psychologisch be- zu unterschiedlichen Ergebnissen.«
trachtet um eine Rebellion gegen den permanen- Ich wurde sauer: »Gleich sagst du, es gibt kein
Nur Alltäglichkeiten, nichts weiter. Ein gelber Es ist gerade die Stille dieser Bilder, die den Coorte derart hingebungsvoll schimmern und ten Erwartungsdruck handele, wahrscheinlich richtiges Leben im falschen, du bist ja wirklich so
Apfel, ein Schlüsselbund, eine Glaskaraffe, und Blick öffnet und dazu einlädt, selbst den krausen leuchten lässt, als wollte er Gott im Kleinen und die einzige Rebellion, die von Leuten, die regel- ein Arschloch.« Mein Bier kicherte: »Jedenfalls
nirgendwo ein tieferer Sinn. Die Dinge sind, was Wirsing, gemalt von Frans Snyders, lange zu be- Banalen erkennen, der Spargel als Zeichen der mäßig im Bordrestaurant Gast waren, je durch- habe ich im ZDF gesehen, dass die Solidaritäts-
sie sind, und das war’s. Wunderlich genug, dass trachten, so lange, bis wir uns geradezu in ihn Transzendenz. O heiliges Gemüse! geführt wurde. Andererseits stimmte das nicht, bekundungen den Menschen im Iran helfen.
sie überhaupt da sind, dass es sie gibt. vergucken und er irgendwann mild zurück- Erstaunlich, wie es vielen Künstlern gelingt, dachte ich, legte mein Telefon zur Seite und Gestern waren 80.000 Leute in Berlin. Vielleicht
Und wunderlich, dass die Maler sie für sich schaut. Der Wirsing, ein Wesen wie du und ich. ein wenig von dieser Heiligkeit auf sich selbst, schnaubte verächtlich in den Schaum meines ist in diesem Fall die Kritik der angemessenen
entdecken. Sie malen den Apfel, den Schlüssel- Das Wort Stillleben sagt es schon: Hier belebt auf ihre Kunst zu lenken. Vor allem die Vanitas- kleinen Pils, denn auf Instagram schnitten sich ja Anteilnahme sendungsbewusster Deutscher an
bund, eine Glaskaraffe, schwärmen für die Ein- sich das Stille. Auch das Stille in uns. Bilder zieht es in höhere Sphären. Sie preisen das gerade wirklich viele die Haare ab. »Äh, sorry??«, dem Leid von Menschen, die schlechter dran
zigartigkeit des Austauschbaren, selbst für eine Manche behaupten, auf diesen Bildern bekom- köstliche Leben, alles ist Verlockung. Zugleich ist hörte ich es von irgendwoher. Die Stimme klang sind, zweitrangig? Übrigens solltest du dir mal
Möhre, die sie in ihrer Möhrenhaftigkeit so ernst me der frühe Kapitalismus ein Gesicht. Die schiere dieses Leben stets angenagt und verwurmt, wer merkwürdig hoch, ich sah mich um, aber ich deinen weißen Bart da wegwischen.« Ich fuhr
und innig ins Bild setzen, als gebe es nichts auf Fülle, das Nimmersatte! Die kostbaren Früchte und genauer hinschaut, entdeckt den Mehltau der hatte mich wohl vertan. Ich nahm noch einen mir mit dem Handrücken über den Mund: »Was
der Welt, was wichtiger sein könnte. Hier staunt feinsten Gläser, die Silberkannen und teuren Tisch- Schönheit, sieht Verfall und Tod. Alles, was ist, Schluck. Nein, ich konnte das einfach nicht, denkst du«, rief ich, »wie viele von den Men-
die Kunst über das Selbstverständliche. Und wir decken, die ganze überbordende Pracht wirkt wie muss gehen, davon erzählen die Bilder – und de- dachte ich, und schüttelte energisch den Kopf. schen auf der Demo hatten Ahnung vom Atom-
sind erstaunt über das Staunen. eine Feier des Marktes. Hier berauscht sich eine mentieren das zugleich. Sie selbst sind ja noch Ich konnte nicht in eine Kamera schauen, Frau, abkommen?«
Vielleicht ist das überhaupt der tiefere An- Epoche an ihrem Reichtum, ihrer Habsucht, dem da, still und sehr lebendig. Sie wollen unvergäng- Freiheit, Leben sagen, dabei wütend gucken und »Was ist mit dem Abkommen?«, fragte mein
trieb all der Maler, die seit dem 17. Jahrhun- Besitzerstolz. Wer weniger Geld hat, kann sich zu- lich sein und bleiben. Und das Museum tut, was mir dann ein bisschen Haar abschneiden, so wie Bier. »Keine Ahnung, das ist ja das Schlimme.« Mir
dert dieses rätselhafte Genre entwickeln, das mindest ein Bild davon über den Esstisch hängen: es kann, um ihnen den Wunsch zu erfüllen. die Katharina, der Roland und die Lina das in kamen die Tränen. »Ich habe«, schluchzte ich, »seit
Stillleben: Hier sind die Dinge kein Anhängsel als Ausblick auf das, was da kommen mag. Im Louvre jedenfalls ist alles Gegenwart. ihren Schauspieler-Videos getan hatten. Natür- einer Weile ohnehin das Gefühl, von fast gar nichts
des Menschen mehr, sie führen ihr Eigenleben, In Wahrheit erzählt diese Kunst weniger vom Hier wird das Objektive subjektiv. Die Dinge lich war es toll, die Faust zu ballen und im eige- mehr eine Ahnung zu haben. Und die Leute, die so
sind aus sich heraus wertvoll. Und so, als auto- Haben als vom Sein. Es stimmt, sie feiert die Dinge, sprechen miteinander und sprechen mit uns. nen Wohnzimmer auf der richtigen Seite zu genau wissen, was zu tun ist, machen mir Angst,
nom und selbstzweckhaft, wollen natürlich herbeigeschleppt aus weiter Ferne, angehäuft in Sie schweigen nicht von ihrer Hinfälligkeit, sie stehen, wer hatte schon etwas dagegen, auf der und neidisch machen sie mich auch.«
auch die Maler ihre Dinge, die Bilder, verstan- rastlosem Handel. Doch ist es ein Besitz, der keine tragen ihre Runzeln mit Stolz. Und wie trös- richtigen Seite zu sein, welcher Like war süßer, Mein Bier sah mich traurig an: »Ich verstehe
den wissen. Jedes Stillleben eine Unabhängig- Besitzer kennt. Es sitzt ja niemand an den über- tend ist ihre Würde, die sie nicht erringen, als jener, den man bekam, weil man sich mit den dich. Vielleicht solltest du mit dem Meditieren an-
keitserklärung. vollen Tischen, niemand isst die reifen Früchte, nicht verteidigen müssen; sie ist ihnen schlicht Richtigen, nämlich den Unterdrückten und so fangen? Willst du noch einen Schluck? Ehrlich
Gerade erzählt in Paris der Louvre von diesem niemand schmückt sich mit all den Dingen. Auf mitgegeben. Selbst der tote Hase, wie Jean weiter solidarisierte? Gerade die Deutschen wa- gesagt, du arbeitest zu viel, außerdem hast du
Befreiungsdrang, einmal quer durch alle diesen Bildern ist der Reichtum reich um seiner Siméon Chardin ihn malt, sieht keineswegs tot ren doch völlig verrückt danach, sich auf die Kinder. Einer working mom bleibt keine Zeit für
Epochen, von der Antike bis in die Gegenwart. selbst willen. Oder anders: Er wird sozialisiert. aus, sondern nur stilllebenstill und wird gleich, richtige Seite zu stellen, und auf Instagram gab es politisches Engagement. Ist durch Studien belegt.
Zu sehen sind lauter Werke, die das Kleine groß Vermutlich ist da ein protestantischer, in je- wenn nicht alles täuscht, von unseren Blicken seit einer Weile eh nichts Cooleres als Frauen et Also ... ja, klar«, überlegte mein Bier, weiter, »mit
machen und das Übersehene sichtbar. Der- dem Fall ein religiöser Impuls im Spiel. Nach den geweckt werden und dem Museum in weiten cetera und diesen kompromisslosen Chic, damit deiner Work-Life-Balance stimmt was nicht, egal
gleichen nennt man heute Empowerment: Die Revolten des 17. Jahrhunderts sollten ja Bilder Sprüngen entkommen. machte ja auch Balenciaga endlos viel Geld. Ich wie teuer das Gas wird.« Und in diesem Moment
symbolische Ordnung wird neu sortiert. Statt nicht länger angebetet werden, Schluss war mit hatte das Gefühl, es wem auch immer ziemlich nahm ich mein Bier und trank es in einem Zug aus.
Heilige und Könige zu rühmen, widmet sich die dem Ikonenkult. Doch die religiösen Energien !www.zeit.de/vorgelesen
Kunst runzeligen Quitten oder einer angeschnit- gab es weiterhin, und so setzten die Maler nicht
tenen Melone. Und wer das harmlos findet, wird länger rosige Marien oder blutige Märtyrer in Der Louvre zeigt die Ausstellung An dieser Stelle erscheinen im Wechsel vier Kolumnen.
schwer getäuscht. In dieser Kunst ist nichts los. Szene, sondern Dinge. Dinge wie die Spargel- »Les Choses – Une histoire de la nature morte« Lesen Sie nächstes Mal »Grand Slam«
Weil aber nichts los ist, ist alles möglich. stangen, die der niederländische Maler Adriaen bis zum 23. Januar von Andrea Petković

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ISBN 978-3-492-07197-0, 24,00 € (D)

»Der Junge im
ma«
gestreiften Pyja
DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022
Foto: Robin Hinsch (aus der Arbeit »Wahala«), Nigeria 2019
Die koloniale Vergangenheit sorgt für erregten Streit. Wer hat die Sklaverei betrieben, wer hat sie abgeschafft? Kann es historische
Gerechtigkeit geben? Eine Antwort auf den Althistoriker Egon Flaig VON REBEKKA HABERMAS
Manche Themen erregen mehr öffentliche
Verärgerung als andere, und einige wenige tun das
mit großer Ausdauer. Ein solches Thema scheint
seit einigen Jahren die koloniale Geschichte zu
sein. Viele beobachten diese Entwicklung mit
Spannung und Neugier, schließlich eröffnet sich
hier die Möglichkeit, einen neuen Blick auf die
eigene Geschichte zu werfen und zu erkennen,
dass diese schon lange Zeit globaler war, als die
europäische Nationalgeschichtsschreibung uns seit
dem 19. Jahrhundert glauben machen wollte.
Gerade Jüngere, die spätestens nach ihrem Jahr
work and travel und nach der zehnten Netflix-Serie
mehr von der Welt gesehen haben – und sei es nur
im Film – als ihre Eltern, ganz zu schweigen von den
Großeltern, interessieren sich für die Geschichte jen-
seits Europas. Die Migration, am eigenen Leib
erfahren oder aus zweiter Hand erlebt, tut ein Wei-
teres, um die Neugier auf Regionen außerhalb
Europas zu wecken.
Der für Europa wahrscheinlich wichtigste Teil
dieser Globalgeschichte betrifft die Kolonialgeschich-
te, über die in den letzten Jahren immer wieder erregt
debattiert wurde: sei es in London oder Oxford, sei
es in Paris, Berlin oder Lissabon, ganz zu schweigen
von den Debatten außerhalb Europas und den zahl-
reichen Aktionen wie etwa der Rhodes must fall-
Bewegung, deren Ursprung der Protest gegen eine
Statue von Cecil Rhodes in Cape Town war.
So richtig die Feststellung einer neuen Aktualität
der europäischen Kolonialgeschichte auch ist, da-
rüber sollte nicht vergessen werden, dass Europa
bereits eine Reihe solcher Debatten hinter sich hat:
Erinnert sei an das Paris der 1920er-Jahre oder an
die Studierendenrevolte von 1968, die für koloniale
Phänomene lieber den Begriff Imperialismus
benutzte. Andernorts, etwa in Ozeanien und Afrika,
beschäftigte man sich noch weit länger und inten-
siver mit der kolonialen Vergangenheit und auch
Gegenwart – das sollte bedacht werden, will man
nicht in einen beschränkten europäischen Provin-
zialismus zurückfallen.
Genau dieser Gefahr eines eurozentrischen Pro-
vinzialismus ist nun aber der Althistoriker Egon Flaig
erlegen. Sein jüngst in der FAZ erschienener Beitrag
über die Illusion historischer Wiedergutmachung
stellt ein eigenwilliges Potpourri aus Moralphiloso-
phie, älteren Studien zur Kolonialgeschichte des 19.
und 20. Jahrhunderts und zur Geschichte der Skla-
verei dar. Bekanntlich war diese in Europa und den
Amerikas vor allem ein frühneuzeitliches Phänomen,
und zweifellos war sie in vielen Regionen der Welt
und zu vielen Zeiten üblich – im frühneuzeitlichen
Europa am Pranger
Europa (so hat Rebekka von Mallinckrodt jüngst ge-
zeigt) ähnlich wie etwa in der europäischen Antike,
um nur zwei in dem Zusammenhang gern vergessene
Epochen zu nennen.
Mit dem Begriff der Sklaverei hat die aktuelle
internationale Forschung erhebliche Probleme, weil
er die Vielfalt an abhängigen, ungleichen und auf
Gewalt basierenden Beziehungen zwischen Menschen
auf eine allzu simple Formel bringt, die mehr ver-
nebelt als erklärt. Das verschweigt der Althistoriker
geflissentlich, obwohl er ein Kenner der Geschichte
der Sklaverei in der Antike ist.
Im Kern empört er sich darüber, dass es – so seine
Wahrnehmung – bei den Debatten der letzten Jahre,
die sich mit historischer Sklaverei beschäftigen, nur
noch um »historische Gerechtigkeit« gegangen sei.
Dass dieser Begriff jedoch in der Geschichtswissen-
schaft ein problematischer Begriff ist, wird bereits im
Proseminar gelehrt. Egon Flaig, selbst ein schon
emeritierter Professor, scheint die Frage nach histori-
scher Gerechtigkeit bis heute – auch jenseits der
Proseminare – umzutreiben.
Daran wäre nichts auszusetzen, würde es nicht dazu
führen, Forschungen, die sich mit der Geschichte
begangenen Unrechts beschäftigen wie etwa der Ge-
schichte des Kolonialismus oder der Geschichte der
Sklaverei, zu diffamieren. Diesen Arbeiten wirft Flaig
pauschal – ohne freilich Autoren und Autorinnen oder
Titel zu nennen – vor, mit Begriffen des historischen
Unrechts zu operieren. Wer dies tue, oute sich als Teil
einer ominösen Cancel-Culture.
Gewiss, es gibt zahlreiche zivilgesellschaftliche
Initiativen, die geschichtliche Ereignisse gern als his-
torisches Unrecht bezeichnen. Das freilich ist im Kern
kein neues Phänomen, geschweige denn eines, das
vor allem in der aktuellen Geschichtswissenschaft zu
beobachten ist. Es ist ein Phänomen, das eng mit der
Entstehung einer neuen Öffentlichkeit im ausgehen-
den 18. Jahrhundert zu tun hat: Die philhellenischen
Vereine taten zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit
ihrer Heroisierung der griechischen Antike und der
damit einhergehenden Diffamierung anderer Gesell-
schafts- und Lebensformen nichts anderes. Ebenso
kann man die sogenannte Polenbegeisterung im
Deutschland des 19. Jahrhunderts als zivilgesell-
schaftliches Engagement deuten, das stark von mo-
ralisierenden Argumenten getragen war.
Die moralische Selbstermächtigung gehört ja zur
DNA des sich entwickelnden Bürgertums im
19. Jahrhundert. Auch die Lebensreformbewegungen
des 20. Jahrhunderts gefielen sich in der moralischen
Bewertung anderer Lebensweisen. Und immer wieder
standen akademische Disziplinen dabei Pate: seien
Die Historikerin Rebekka Habermas, 63, ist Professorin
FEUILLETON
D
DEBATTE
es die Wissenschaften der Antike im 19. Jahrhun-
dert, die Geschichtswissenschaft und heute zweifel-
los die Ökologie. Dass es eine solche Geschichte der
Moralisierung von Unrecht gegeben hat, ist nichts
Neues und auch nicht das Bemerkenswerte an dem
Beitrag Flaigs.
Bemerkenswert ist zum einen der Furor, mit dem
er gegen eine vermeintliche Cancel-Culture zu Felde
zieht; zum anderen, dass der Althistoriker dabei
unter der Hand eine ganze Reihe abenteuerlicher
Thesen aufstellt: etwa die, dass die sogenannte Skla-
venbefreiung – übrigens eine historische Bewegung,
die sich dem aktiven und passiven Widerstand ver-
sklavter Menschen innerhalb und außerhalb Afrikas
und Amerikas sowie vornehmlich religiösen Grup-
pierungen in Europa verdankt – ein Akt gewesen sei,
der ohne die Europäer, die die Menschenrechte erfun-
den hätten, nicht passiert wäre.
Bemerkenswert ist dabei auch, dass Egon Flaig
von einem »Schuldspruch über die Vergangenheit«
spricht. Wer hier von Schuld spricht, ist freilich allein
Flaig. Diese nämlich sieht er in der Gegenwart bei
denjenigen, die (endlich) laut und deutlich über die
Geschichte des Kolonialismus streiten.
Statt den öffentlich ausgetragenen Streit über
Europas koloniale Vergangenheit als neu erwachtes
Interesse an der Geschichte zu begrüßen, weil hier
die breite Öffentlichkeit Neues über die europäische
Vergangenheit erfährt (beziehungsweise weil wir alle
etwas lernen können, über eine von Europa, Afrika,
Asien, den Amerikas und Ozeanien geteilte Geschich-
te, in der sich viel Leid und Gewalt ereignete und die
bis heute nachwirkt), sieht er hier vor allem Kräfte
am Werk, die Europa an den Pranger stellen wollen.
Und dazu zählt er auch diejenigen, die zur Sklaverei-
geschichte forschen.
Diese Geschichte wird übrigens inzwischen in der
Tat so breit erforscht, dass deutlich wurde, dass das
für Neuere Geschichte in Göttingen
Heilige Römische Reich nicht nur in den transatlan-
tischen Sklavenhandel involviert war, sondern Skla-
ven auch in Europa »Verwendung« fanden. Das
zeigen die neueren Forschungen.
Europa schließt mit seinem neu entstehenden
Geschichtsbewusstsein übrigens nur an die vielen
Erinnerungspraktiken an, die es in den ehemaligen
Kolonien im öffentlichen und privaten Raum bereits
seit Jahrzehnten gibt. Statt aber dieses europäische
Geschichtsbewusstsein zu begrüßen, und sei es nur,
weil es zur Berufs-DNA von Historikerinnen und
Historikern gehört, sich für Formen des historischen
Erinnerns zu interessieren, bewertet Egon Flaig diese
pauschal als problematisch.
Dabei übersieht der Althistoriker auch, dass die
europäische Erinnerung an den Kolonialismus
nicht so neu ist, wie es heute den Anschein hat. In
Teilen Ozeaniens erinnern die ökologischen Fol-
gen des deutschen Phosphatabbaus, der ganze
Regionen in Mondlandschaften verwandelte, seit
vielen Jahrzehnten an die Zerstörungen der im
deutschen Kaiserreich romantisierten deutschen
Südsee. In England wurde in den letzten Jahrzehn-
ten immer wieder in öffentlich inszenierten Vete-
ranenfeiern wie aber auch bei akademischen Fei-
ern, etwa zur Verleihung des Cecil-Rhodes-Stipen-
diums (benannt nach einem der wahrscheinlich
grausamsten Kolonialgouverneure Afrikas), des
Kolonialismus gedacht. Und nicht London, Bris-
tol, Oxford und Birmingham, sondern zahlreiche
kleinere Städte strotzen nur so vor kolonialer
Erinnerung: ob aufgrund ihrer Straßennamen und
Denkmäler oder öffentlichen Gedenkens.
Europa hatte freilich auch lange Phasen des Ver-
gessens. Teilweise war das ein aktives Vergessen: So
verwandelte man das 1931 anlässlich einer interna-
tionalen Kolonialausstellung erbaute Gebäude in
Paris an der Porte Dorée 2007 kurzerhand in ein
Museum der Immigration, welche hier bis heute in
durchaus positivem Lichte dargestellt wird. Gleich-
zeitig wurde verschwiegen, dass in genau diesen
Museumsräumen einst Ausstellungen die Kolonial-
macht Frankreich rühmten.
Teilweise war es hingegen auch ein aktiv bekämpf-
tes Vergessen, erinnert sei etwa nur daran, dass die
1968er-Bewegung in allen europäischen Haupt-
städten – wie verquer auch immer – Bezug nahm auf
die koloniale Vergangenheit: sei es, dass man wie in
Frankfurt Aktivisten der Black-Panther-Bewegung
einlud, sei es, dass wie in Paris Intellektuelle aus
Algerien und der Karibik offen für den antikolonia-
len Kampf eintraten, sei es, dass man den Vietnam-
krieg anprangerte.
55
Kostbares Gas:
Schon zu
Kolonialzeiten
begann man
im Nigerdelta
für den
Wohlstand
anderer Länder
zu fördern
So wurde die koloniale Geschichte Europas,
immerhin ein genuin europäisches Markenzeichen,
also nicht erst in den letzten Jahren »entdeckt«, wie
von Egon Flaig und einigen anderen angenommen
wird. Und noch etwas fällt auf: Es geht bei dieser
vermeintlichen Neuentdeckung der kolonialen Ver-
gangenheit Europas und ihrer Sklavereigeschichte
auch keineswegs primär um Fragen der Schuld.
Schuld ist eine Münze, mit der Aktivisten und
Aktivistinnen gern Aufmerksamkeit erreichen – ein
Mittel, das übrigens bereits im Kaiserreich selbst von
sogenannten Moralunternehmern ausgiebig benützt
wurde, um Skandalisierungen zu inszenieren. Fragen
der Schuld haben – da ist Egon Flaig aus vollem
Herzen zuzustimmen – erst einmal in geschichts-
wissenschaftlichen Untersuchungen keinen Ort: was
nicht heißt, dass Leser und Leserinnen solcher
Arbeiten, ob sie es wollen oder nicht, doch mit mora-
lischen Fragen konfrontiert werden.
Aber genau diese Moralisierung nimmt Flaig nun
selbst vor, wenn er der Geschichtswissenschaft eine
Kapitulation vor »diesem Kampfbegriff« vorwirft und
behauptet, dass Rassismus eine »arabische Kreation«
und dass die Abschaffung der Sklaverei eine westliche
Errungenschaft sei. Dabei verschweigt er geflissent-
lich, dass sie durch Europa in Afrika eingeführt
wurde. Stattdessen betont er, dass die Sklaven ihrer-
seits Sklavenjäger waren – was durchaus korrekt ist,
aber nichts darüber aussagt, dass die Sklaverei selbst
bedingt war durch die Plantagenwirtschaft, die in
Amerika eingeführt worden war, um billig für Euro-
pa Baumwolle, Zucker und Kaffee anzubauen, eben-
jene im 18. Jahrhundert in Europa heiß begehrten
neuen Konsumartikel.
Stattdessen schreibt er, Hautfarbe als rassisches
Kriterium sei eine arabische Erfindung gewesen –
eine Beschreibung, die nicht nur arg kurz greift,
sondern ihrerseits die Klaviatur der Moralisierung
geradezu grandios bedient. Noch perfider ist freilich
sein bereits erwähntes Argument, dass viele Afrikaner
selbst »Sklavenjäger« gewesen seien – ein Argument,
das ausschließlich darauf verweist, dass Europäer
nicht über die nötige Logistik für diese Unterneh-
mungen verfügten.
Unsäglich ist schließlich die Behauptung, »die
heutigen Afrikaner wären weiter überwiegend Skla-
ven, wenn Briten und Franzosen nicht interveniert
hätten«. Dabei handelt es sich nicht nur um eine
Moralisierung, sondern darum, ex post Dankbarkeit
einzufordern. Und zwar denen gegenüber, die die
massenhafte Versklavung und Verschiffung der
Bevölkerung Afrikas nach Amerika organisiert und
vor allem davon erheblich profitiert haben.
56
M EIN LE BE N IN
DE R MUSIK
Die erste Zigarre rauchte er als Zwölfjähriger mit dem Pianisten Artur Rubinstein: Vor seinem
80. Geburtstag erinnert sich der Dirigent DANIEL BARENBOIM an seine Kindheit in Argentinien und Israel
I
ch erinnere mich, dass alle lachten, weil ich
als kleines Kind dachte, die ganze Welt
spiele Klavier. Meine Eltern waren beide
Klavierlehrer, und deshalb waren die einzi-
gen Leute, die tagsüber zu uns nach Hause
kamen, Musikstudenten und andere Pia-
nisten. Ich habe keine Menschen von außer-
halb getroffen, die nicht Klavier spielten. Die Leute
fanden das sehr komisch, und ich habe nicht ver-
standen, warum. Musik war schließlich überall um
mich herum. Instinktiv verstand ich, dass Musik eine
Sprache war, in der ich kommunizieren konnte,
obwohl ich das damals natürlich noch nicht aus-
drücken konnte. Musik war eine ernste Angelegen-
heit, aber vor allem war sie eine enorme Quelle der
Freude für mich.
Musik war schon immer ein dauerhafter und
wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Daher ist es
wohl nur natürlich, dass meine allerersten Erinnerun-
gen an meine Heimat Buenos Aires musikalischer
Natur sind. Ich wurde im November 1942 geboren.
Zu dieser Zeit gab es in Argentinien ein lebhaftes
und gesundes kulturelles Leben. Es war ziemlich
zwanglos, offen für alle, mit regelmäßigen Haus- und
Kammermusikkonzerten, perfekt für Erwachsene und
Kinder gleichermaßen. Meine Eltern waren bemer-
kenswerte Menschen. Sie waren in keiner Weise wohl-
habend, aber sie hatten ein reiches Innenleben. Als
begeisterte Leser vertieften sie sich in alle Aspekte der
Philosophie und Kultur. Jeden Sonntag gingen mein
Vater und ich in die Buchhandlung, für mich ein
Höhepunkt der Woche. Schon früh interessierte ich
mich für Biografien, vor allem von Musikern. Musik
war bei meinen Eltern wie bei ihren Freunden immer
ein Gesprächsthema.
Ursprünglich wollte ich Geige spielen, weil mein
Vater eine Reihe von Konzerten mit einem Geiger
gegeben hatte und ich dachte, wenn ich mit Papa
spielen wollte, müsste ich auch Geige spielen. Aber
meine Eltern konnten kein Instrument finden, das
klein genug für mich war, selbst eine Achtelgeige war
zu groß. Ich war vier Jahre alt.
Etwas später sah ich, wie mein Vater zusammen mit
einem anderen Pianisten auftrat. Eine weitere Möglich-
keit, mit Papa zu spielen! Ich weiß noch, dass ich das
Klavier ziemlich praktisch fand: Es hatte Beine, auf
denen es stehen konnte, man musste es nicht hoch-
halten. Und so begann ich mit fünfeinhalb Jahren,
Klavier zu spielen. Meine Mutter brachte mir die
Grundbegriffe bei, nach ein paar Monaten übernahm
dann mein Vater.
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Im Kindergarten und in der Schule lernte ich andere
Kinder kennen und merkte, dass sie sich nicht so für
Musik interessierten wie ich. Das störte mich nicht,
wir unternahmen trotzdem viel zusammen. Fußball
habe ich besonders gern gespielt.
Ich wuchs mit dem Gefühl auf, ein ganz normales
Kind zu sein – ein Kind mit einem etwas ungewöhn-
lichen Hobby vielleicht: Ich liebte es nämlich, Proben
zu besuchen. So kannten mich alle Orchestermusiker.
Einmal kam Adolf Busch, um zu dirigieren, und die
Musiker sagten ihm, er müsse mich hören. Er bat mich,
für ihn zu spielen, was ich nur zu gerne tat. Busch bat
dann darum, meinen Vater kennenzulernen, und
sagte ihm, dass er einen sehr besonderen Sohn habe
und er sich um mich kümmern müsse. Meine Eltern
haben mir jedoch nie den Eindruck vermittelt, dass ich
in irgendeiner Weise besonders sei.
Mein erstes öffentliches Konzert gab ich mit sieben
Jahren, am 19. August 1950 in der Sala Bayer. Ich er-
innere mich, dass es sich ganz natürlich anfühlte, ich
war überhaupt nicht nervös. Dabei berührten meine
Füße kaum das Pedal! Da wurde mir klar, dass dies nicht
das war, was Siebenjährige normalerweise taten. Ich
spielte immer, was man mir vorgab (klug vorgab), ich
kann mich nicht erinnern, dass ich besondere Vorlieben
oder Abneigungen hatte. Das kam erst viel später. Ich
wollte nie nicht spielen, ich habe es immer geliebt.
In dieser ganz besonderen Musikszene von Buenos
Aires begegnete ich bald dem einen anderen Kind,
das auch Klavier spielte: Martha Argerich. Ihr Lehrer,
Vicente Scaramuzza, hatte meinen Vater unterrichtet,
was erklärt, warum wir technisch sehr ähnlich spielen.
Obwohl sie die viel bessere Pianistin ist! Ich bewun-
derte sie von dem Moment an, als ich sie zum ersten
Mal hörte. Wir trafen uns bei den Rosenthals, die
jede Woche Hauskonzerte veranstalteten. Die Leute
kamen wegen der Musik und des berühmten Apfel-
strudels von Frau Rosenthal. Martha war acht und
ich sieben, und wir spielten zusammen unter dem
Flügel. Eines Tages war der Dirigent Sergiu Celibi-
dache da und fragte, warum wir unter dem Flügel
saßen und nicht am Flügel. Er hat uns ein bisschen
geneckt, dann haben wir die cis-Moll-Etüde von
Chopin gespielt, erst Martha, dann ich.
Als ich neun Jahre alt war, beschlossen meine
Eltern, in den neu gegründeten Staat Israel umzu-
siedeln. Meine Großeltern mütterlicherseits waren
Zionisten, zwar nicht politisch aktiv, aber dennoch:
Für sie war es selbstverständlich, dass wir nach Is-
rael gehen sollten, da es nun ein offizieller, von den
UN anerkannter Staat war. Mein Vater schloss sich
FEUILLETON 27. Oktober 2022
ihrer Meinung an, auch weil die Nähe zu Europa
bedeutete, dass ich viel mehr Kontakt mit dem
dortigen Musikleben haben würde. Wir waren
nicht wohlhabend, aber ein Onkel hatte meinen
Eltern 300 Dollar gegeben.
Die Reise von Argentinien nach Israel war mein
erster Kontakt mit einigen jener Orte, die später zu
wichtigen Zentren meiner Karriere werden sollten.
Wir reisten einen Tag nach dem Tod von Evita
Perón ab, am 27. Juli 1952. Obwohl es nicht aus-
gesprochen wurde, war klar, dass es ein Abschied
für immer sein würde. Ich hatte keine Angst, für
mich war das Ganze eher ein Abenteuer. Damals
dauerte die Reise nach Europa noch unerträglich
lange. Wir waren drei Tage unterwegs, zuerst mit
dem Flugzeug – mit einer Propellermaschine, mit
Zwischenstopps in Montevideo, São Paulo, Dakar,
Isla de la Sal, Lissabon, Madrid und Rom –, dann
mit dem Zug, und als wir schließlich in Salzburg
ankamen, war ich völlig erschöpft. Dennoch, als wir
am Festspielhaus – dem heutigen Haus für Mozart –
vorbeikamen, fiel mir ein Plakat auf, das eine Auf-
führung der Zauberflöte ankündigte. Natürlich gab
es keine Karten mehr, aber meine Mutter, die eine
sehr unternehmungslustige, patente Frau war, sagte,
ich solle versuchen, auf eigene Faust ins Festspielhaus
zu kommen. Und es gelang mir tatsächlich, mich
unbemerkt hineinzuschleichen! Ich entdeckte eine
leere Loge, in der ich wie ein kleiner Prinz Platz
nahm. Die Musiker stimmten ihre Instrumente, der
Dirigent trat ans Dirigentenpult – und prompt
schlief ich in der dunklen, gemütlichen Loge ein.
Einige Zeit später wachte ich wieder auf, und da ich
nicht wusste, wo ich war und wo meine Eltern wa-
ren, begann ich zu weinen. Ein Logendiener eilte
herbei und begleitete mich nach draußen – und so
ging meine erste Zauberflöte zu Ende.
In Salzburg traf ich damals einige der führenden
Musiker der Welt. Persönlichkeiten, die Brahms
noch persönlich gekannt hatten! Das waren Zeugen
einer anderen Zeit. Ich traf und hörte Edwin Fischer
– ein Pianist, der mich bis heute inspiriert –, und ich
selbst spielte 1952 auf Mozarts Spinett in seinem
Geburtshaus und im Rahmen des Abschlusskonzerts
der Dirigierklasse von Igor Markevitch Bachs
d-Moll-Konzert. Markevitch hatte mich in Buenos
Aires gehört und war schon damals überzeugt, dass
ich wegen meines Rhythmusgefühls Dirigent wer-
den würde. Markevitch war der Grund für unseren
kleinen Abstecher auf dem Weg in unsere neue
Heimat Tel Aviv.
Am 15. November wird Daniel Barenboim achtzig – und fühlt sich nic
 DIE ZEIT N o 44 FEUILLETON 57

Kindheit Karriere Freundschaft

Daniel Barenboim wurde Barenboim wuchs in Mit der argentinischen
1942 in Buenos Aires Israel auf und studierte Pianistin Martha Argerich
als Kind zweier Pianisten unter anderem bei verbindet Barenboim
geboren. Mit fünf Jahren Nadia Boulanger in Paris. eine 73-jährige
begann er Klavier zu Zunächst feierte er Erfolge Freundschaft. Schon als
spielen, mit sieben gab als Pianist und Kammer- Kinder spielten sie
er sein erstes Konzert. musiker, seit den 1970er- zusammen, am Flügel und
Das Klavier fand er Jahren auch als Dirigent. darunter. Bis heute
praktisch (im Gegensatz Er gastierte weltweit und geben sie umjubelte
zur Geige), weil es Beine leitete Orchester in Paris gemeinsame Konzerte,
hatte und beim Spielen und Chicago. Seit 1992 ist zuletzt zu Argerichs
nicht hochgehoben werden er Generalmusikdirektor 80. Geburtstag 2021
musste. der Berliner Staatsoper. in Berlin.

Von Salzburg aus fuhren wir nach Wien, wo Don Quichote auf Spanisch vor. Das war eines seiner musste für ihn spielen! Meine Mutter und ich haben und Pädagogin. Damals war ich zwölf Jahre alt.
mein Vater eine Klasse an der Musikhochschule Lieblingsbücher. hin und her gestritten, und am Ende habe ich ge- Boulanger wohnte im sechsten Stock in der Rue
unterrichtete und ich sechs Konzerte gab. Darüber Im Sommer 1954 lernte ich in Salzburg den wonnen. Als ich allerdings im Hotel ankam, waren Ballu 36 in Paris. Sie empfing uns höflich und fragte
war ich sehr glücklich, ich liebte es, aufzutreten. Dirigenten Wilhelm Furtwängler kennen, der einen Rubinstein und seine Familie am Morgen zu einem mich, ob ich bereit sei zu spielen. Als ich dies be-

E
nde des Jahres kehrten wir nach Rom
zurück und fuhren von dort aus mit dem
Schiff nach Haifa. Als wir in Israel an-
kamen, hatten meine Großeltern bereits
eine Wohnung eingerichtet, in der wir
leben würden. Sie sprachen Spanisch und Jiddisch,
ich sprach nur Spanisch und ein paar kindliche
Worte Deutsch, die ich in Österreich aufgeschnappt
hatte. Der Direktor der Schule, in die ich gehen soll-
te, erklärte meinen Eltern, dass es für mich unmög-
lich sein würde, dem Unterricht auf Hebräisch zu
folgen. Also erhielt ich nachmittags Privatunterricht
in Hebräisch, und nach und nach begann ich in der
Schule mehr zu verstehen.
Es war eine sehr aufregende Zeit; ein neues
Zuhause, ein neues Land mit enormer Bedeutung
für eine jüdische Familie. Abgesehen vom etwas
mühsamen Erlernen der Sprache habe ich das Leben
sehr genossen, ich fand auch rasch Freunde. Nach
einem Konzert im Museum von Tel Aviv im Januar
1953 lud mich das Israel Philharmonic Orchestra
ein. Und wer kam zu diesem Konzert? David Ben-
der nachhaltigsten Einflüsse auf mein gesamtes
musikalisches Lebens ausübte. Ich weiß leider nicht
mehr, wie dieses Treffen zustande kam. Natürlich
wusste ich schon als Kind, wer Furtwängler war. Ich
hatte ihn 1950 in Buenos Aires mit der Matthäus-
Passion gehört. Wie gesagt, ich liebte es, Klavier zu
spielen. Ich hätte für jeden gespielt, sogar für den
Hotelkellner. Aber für Furtwängler! Er war extrem
nett zu mir und bat mich, alles zu spielen, was mir
so einfiel. Er testete auch mein Gehör. Dabei war
die Verständigung mit ihm alles andere als einfach:
Ich sprach kein Deutsch, er sprach kein Spanisch
und nur sehr wenig Englisch. Aber es gab einen
Übersetzer, und so erzählte ich ihm, dass ich ihn in
Buenos Aires gehört hatte. Er lud mich dann ein,
mit den Berliner Philharmonikern zu spielen. Mein
Vater sagte ihm, dass dies zweifellos das größte
Kompliment sei, das er mir machen könne, bat ihn
aber um Verständnis dafür, dass es für uns als jüdi-
sche Familie aus Argentinien, die gerade erst in Is-
rael Fuß gefasst hatte, zu früh war, nur neun Jahre
nach dem Krieg nach Deutschland zu fahren. Furt-
wängler hat das verstanden, und er bat seine Sekre-
Ausflug nach Galiläa aufgebrochen und noch nicht
wieder von dort zurückgekehrt. Ich setzte mich hin
und wartete. Ich konnte es nicht verstehen. Weder
konnte ich mir vorstellen, dass Rubinstein es nicht
ernst gemeint hatte, als er sagte, dass er mich spielen
hören wolle, noch, dass er mich vergessen hatte.
Dann endlich, gegen 20 Uhr, betrat er mit seiner
Familie – seiner Frau und den beiden Kindern – die
Lobby. Er entdeckte mich, und ich sah in seinem
Gesicht einen Ausdruck des Schmerzes darüber, dass
er diesen armen kleinen Jungen tatsächlich vergessen
hatte. Er entschuldigte sich ausführlich. Dann mus-
terte er mich und sagte: »Sie sehen nicht gut aus.«
Ich erzählte ihm, dass ich Fieber hatte, und er fand,
ich hätte nicht kommen sollen. Aber ich sagte ihm,
dass ich ihn sehen müsse, dass ich für ihn spielen
müsse. Also gingen wir nach oben in seine Suite,
und ich spielte etwa eine Stunde lang, Schubert,
Liszt und Brahms. Als ich fertig war, gegen 21.30
Uhr, sagte er mir, ich könne noch nicht nach Hause
gehen, ich müsse mit ihm und seiner Familie zu
Abend essen. Ich war sehr glücklich und fühlte mich
beschwingt. Er war der Meinung, dass ich sehr gut
jahte, sagte sie meinem Vater, immer noch höflich,
dass er draußen bleiben müsse. Ich habe ihr dann
das Italienische Konzert von Bach vorgespielt, das
weiß ich noch. Als wir wieder herauskamen, richtete
sie einige lobende Worte an meine Eltern und sagte,
es sei ihr eine Ehre, mich zu unterrichten. Einein-
halb Jahre habe ich bei ihr studiert, sie nahm keinen
Pfennig für den Unterricht. Mein Vater wollte von
Anfang an, dass ich andere Lehrer neben ihm hatte,
als Sicherheit gewissermaßen. Er selbst trug ja kei-
nen Titel und war besorgt, dass dies vielleicht nicht
ausreichen würde. Etwa zur gleichen Zeit, als wir
nach Paris zogen, drängte er Carlo Zecchi an der
Accademia Santa Cecilia, mich in seine Klasse auf-
zunehmen. Und so fuhr ich alle drei Wochen mit
meiner Mutter mit dem Zug von Paris nach Rom.
Zecchi nannte mich »Danielino« und ließ mich
immer als Letzten spielen. Die anderen Studenten
waren viel älter als ich und sehr nett zu mir. Ich war
ein glückliches Kind, ein glücklicher Teenager, mit
einer unstillbaren Neugier und dem Gefühl reiner
Freude, wann immer ich Musik machte. Dieses Ge-
fühl hat mich nie verlassen.

Gurion! Ein Onkel von mir war Mitglied der sozia-
listischen Partei Mapai und hatte Verbindungen zur
Regierung, er arrangierte Ben-Gurions Kommen.
Ich traf Israels ersten Ministerpräsidenten nach dem
Konzert, und er war sehr glücklich. Meinem Vater
sagte er, wir müssten unseren Familiennamen än-
dern, vom jüdischen Barenboim zum hebräischen
Agassi – beide Namen bedeuten »Birnbaum«, aus
Fotos: Andrea Gjestvang/NYT/Redux/laif; privat; Mauritius; imago (v. l.)
tärin, alle seine Kollegen, die sich damals in Salz-
burg aufhielten, anzurufen, damit sie sich Zeit
nähmen, mich anzuhören. Ich weiß noch, dass es
mich schon als kleines Kind verwirrte, dass man
zwar in Österreich, wo auch Deutsch gesprochen
wurde, sein durfte, nicht aber in Deutschland.
Mein Vater konnte das nicht wirklich erklären, und
so blieb es für mich – wie für viele andere auch – ein
gespielt hatte, und freute sich über meine Entwick-
lung. Ich ging mit ihm, seiner Frau und den Kin-
dern nach unten ins Restaurant. Er sah, dass ich
immer noch Fieber hatte, und empfahl mir, einen
Wodka zu trinken. Also gab er mir meinen ersten
Wodka. Und nach dem Essen gab er mir eine
Havanna-Zigarre Montecristo No. 3. Er sagte, ich
solle sie rauchen, denn mit dem Wodka und der
W
enn ich mich jetzt, kurz vor mei-
nem 80. Geburtstag, an diese frü-
hen Jahre erinnere, erscheinen sie
mir als normal und außergewöhn-
lich zugleich. Ich fühlte mich da-
mals nicht so jung, wie ich war, genauso wenig wie
ich mich heute so alt fühle, wie ich bin. Im Nach-

dem Jiddischen. Ben-Gurion meinte, wir bräuchten
einen modernen hebräischen Namen, der den Staat
Israel widerspiegele. Auch er hatte seinen Namen
geändert. Mein Vater lehnte höflich ab, aber Ben-
Gurion fand Gefallen an mir. Die Schule, die ich
besuchte, lag um die Ecke seines Wohnhauses, und
er bot mir an, in seinem Haus zu üben. Sein Sekre-
tär Schimon Peres öffnete mir immer die Tür, wenn
ich zum Üben kam. Ich war dazu erzogen worden,
sehr höflich zu sein, und dankte Ben-Gurion aus-
giebig dafür, dass ich das Klavier in seinem Haus
benutzen durfte. Außerdem fragte ich ihn, ob ich
etwas für ihn tun könne. Ja, antwortete er, und dass
er gerne las, auch in Sprachen, die er nicht so gut
beherrschte. Und so las ich David Ben-Gurion
manchmal nach dem Üben Passagen aus Cervantes’
cht so alt, wie er ist
sehr unklares Thema.
Wenn Furtwängler der Dirigent war, der mich
am meisten von allen beeinflusst und geprägt hat, so
war es unter den Pianisten Artur Rubinstein. Er
kannte meine Eltern aus Buenos Aires, kam oft zu
Besuch, und ich spielte für ihn. Als wir in Israel leb-
ten, kam Rubinstein nach Tel Aviv, um dort aufzu-
treten. Natürlich ging ich zu einer Probe, er freute
sich sehr, mich zu sehen, und sagte, ich solle am
Donnerstag um 17 Uhr in sein Hotel kommen, um
für ihn zu spielen. Er wollte sehen, wie es mir geht.
Am Donnerstagmorgen wachte ich mit hohem Fie-
ber auf, und meine Mutter sagte, dass ich nicht in
die Schule gehen könne und natürlich auch nicht zu
Rubinstein. Nicht zur Schule zu gehen, fand ich in
Ordnung, aber Rubinstein musste ich sehen, ich
Zigarre würde es mir bis zum nächsten Tag wieder
gut gehen. Als ich nach Hause kam, war es ein Uhr
nachts. Ich hatte meine Eltern nicht angerufen. Sie
waren zutiefst besorgt, was sich nicht gerade änder-
te, als sie bemerkten, dass ich nach Wodka und Zi-
garren roch. Und mein Vater fragte: »Wo zum Teufel
warst du?« Ich sagte: »Bei Artur Rubinstein.« Es war
ein bisschen schwierig für sie, das zu glauben. Aber
so habe ich mit dem Rauchen angefangen (wenn
auch nicht mit dem Wodkatrinken!!), und seitdem
habe ich eigentlich nie wieder aufgehört.
Auch Igor Markevitch war in vielerlei Hinsicht
prägend für mich. Er hat nicht nur den Dirigenten
in mir »entdeckt«, als ich noch ein Kind war, er hat
meine Familie auch mit Nadia Boulanger bekannt
gemacht, der legendären Komponistin, Pianistin
hinein verstehe ich, wie ungewöhnlich meine Kind-
heitserlebnisse allen anderen erscheinen müssen. Für
mich sind sie einfach mein Leben. Durch ihre Liebe,
Fürsorge und Weisheit haben mir meine Eltern ein
Grundgefühl des Vertrauens und der Zuversicht ver-
mittelt, das mich durch mein ganzes Leben und
meine Karriere getragen hat: Ich wuchs zu einem
jungen Mann heran, der allein reiste und auftrat, ich
begann, mir einen Namen als Dirigent zu machen,
und ich konnte tatsächlich beides sein – Dirigent
und Pianist. Musik war mir immer Freude, nie
Pflicht. Ich musste mich lediglich an ein paar Regeln
und Rituale halten – zum Beispiel vor dem Konzert
gegen 18 Uhr duschen. Musik ist kein Beruf, sie ist
eine Lebenseinstellung. So habe ich mein ganzes
Leben gelebt: in der und durch die Musik.
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DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022 FEUILLETON 59

Literatur

Die Sachbuch-Bestenliste für November Beim Tischgespräch

musste jeder die
Verkehrsregeln einhalten
Carolin Amlinger/ Ob Corona-Proteste oder die Debatten um den Klimawandel: Anhand zahl-

1
Oliver Nachtwey: reicher Fallstudien charakterisieren die Sozialwissenschaftler Carolin Amlin-
Gekränkte Freiheit ger und Oliver Nachtwey einen neuen Typus Widerstandskämpfer, die liber-
Suhrkamp, tären Autoritären. Woher kommt diese widersprüchlich wirkende Sozialfigur?
(–) 480 S., 28,– € Und inwiefern bedroht ihr Freiheitsbegriff die Demokratie? 51 Punkte

Ed Yong: Tiere nehmen die Welt anders wahr als Menschen: Käfer werden vom Feuer Jochen Schmidts berührender Roman über eine

2
Die erstaunlichen Sinne angezogen, Schildkröten spüren Magnetfelder auf, Fische kommunizieren über
der Tiere elektrische Botschaften im Wasser. Doch Licht- und Lärmverschmutzung Kindheitsidylle im Osten VON ELKE SCHMITTER
A. d. Engl. v. S. Vogel; überfordern die tierischen Sinne. Ed Yong beschreibt die Wahrnehmungen der
(7) Kunstmann, 528 S., 34,– € Tiere – und die Schäden, die wir ihnen zufügen. 49 Punkte
Die grünste Aue fürs autobiografische Erzählen ist gemeinsamen Tisch. »An guten Abenden redeten in
seit je die Kindheit; umso mehr, wenn diese glück- Schmogrow alle auf polyphone, wie von unsicht-
Helmut Lethen: Als Jesus auf die Erde zurückkehrt, wird er vom Großinquisitor zum Tode

3
lich war. Wer lange Zeit früh schlafen gehen durfte, barer Hand arrangierte Weise durcheinander, Herr
Der Sommer des verurteilt: Unzählige Male ist auf die Figur von Fjodor Dostojewski Bezug mit einem Kuss verabschiedet, sehnt sich gern und Tatziet verglich das Tischgespräch mit dem Straßen-
Großinquisitors genommen worden – auf schwarzen Messen des Fin de Siècle, bei Max Weber produktiv zurück. In Jochen Schmidt hat dieses verkehr, alle müßten die Verkehrsregeln einhalten
Rowohlt Berlin, und Carl Schmitt, immer als Personifizierung des Bösen. Ein aufregender Ritt Genre einen deutschen Meister gefunden. Nicht nur und an den Kreuzungen warten, nur seine Frau sei
(9) 240 S., 24,– € durch die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. 38 Punkte wegen der liebenden Präzision, mit welcher der 1970 die Feuerwehr und dürfe gleich durch.«
in Ostberlin Geborene all die verschwundenen Es ist keine Überraschung, aber doch so kunstvoll
Meron Mendel/ Antisemitismus und Rassismus sind menschenfeindliche Ideologien. Diejeni- Dinge vergegenwärtigt, die einmal das Bühnenbild wie berührend in Schmidtsche Satzgirlanden

4
Saba-Nur Cheema/ gen, die sich dagegen engagieren, können trotzdem oft nicht miteinander, das der Seligkeit bestückten. Sondern vor allem wegen gebracht, dass der Ort des Kinderglücks am Ende
Sina Arnold (Hrsg.): zeigte die Documenta-Debatte. Forscherinnen und Aktivisten beider Lager der Balance von Idylle und Ironie, die seine Erinne- kaum noch zu erkennen ist. Aus dem verwunsche-
Frenemies suchen nach den Ursprüngen des Konflikts – und geben Antworten auf »naive rungsprosa (drei Romane und etliche kürzere Texte) nen Dorf, gleich am Oderufer gelegen, wurde in den
(–) Verbrecher Verlag, 350 S., 20,– € Fragen« wie: Sind Juden und Jüdinnen »weiß«? 33 Punkte hält: Kurz bevor die Andacht in den Kitsch umschla- Jahrzehnten seit der Wende ein Schaubild banaler
gen könnte, wechselt der Autor verlässlich ins Herbe, Wohlstandshässlichkeit: Fertighäuser, geteerte Zu-
in Witz oder Reflexion, und die Selbstachtung des fahrten und Grillplatzangeberei statt gepflegter
Omri Boehm: Der Universalismus hat ein Imageproblem, manchen gilt er sogar als kolonia-

5
Lesers ist gerettet. Obstgärten, frei laufender Hühner und nachbar-
Radikaler Universalismus listisch. Der israelische Philosoph Omri Boehm ist dagegen überzeugt: Eine Beinahe wäre die Rührung über auch das eigene, schaftlicher Lebendigkeit. Diese Erfahrung ist traurig
A. d. Engl. v. Michael Adrian; gerechtere Zukunft ist nur mit universellem Denken möglich. Ein Plädoyer für durchschnittlich triviale Leben, die in Erwägungen genug, die wahre Enttäuschung, im buchstäblichen
Propyläen, eine Neuinterpretation von Immanuel Kants Philosophie, um die fest- über die Seifenspender der Vergangenheit, über Sinne, ist aber eine historische. Für das Ferienkind
(2) 176 S., 22,– € gefahrenen Identitätsdebatten der Gegenwart hinter uns zu lassen. 31 Punkte verschollene Geräusche und Gerüche, Flüche und war es schlicht aufregend, dass man überall Kriegs-
Gemüsesorten ein allzu gemütliches Zuhause findet, spuren fand, »die manchmal, wie im Fall unserer
Jürgen Kaube/ Arm gegen Reich, Ost gegen West, Impfwillige gegen Impfgegner – die Spal- peinlich geworden, da wirft der Autor sich und sein Wehrmachts-Kochgeschirre, in den Haushalt inte-

6
André Kieserling: tung der Gesellschaft wird oft behauptet. Ist sie aber wirklich das Merkmal Publikum jählings in bourdieusche Höhen. »Selbst griert worden waren (andere benutzten mit Blüm-
Die gespaltene unserer Zeit? Jürgen Kaube und André Kieserling dekonstruieren die beliebte die Reifen«, konstatiert sein Ich-Erzähler angesichts chen bemalte Glasminen als Puddingschüssel und
Gesellschaft Floskel – und erklären, wann Unterschiede tatsächlich zu einem gesellschaft- eines Autos im systemübergreifenden Ferienort an Gasmaskenfilter als Sieb). Der Krieg war weit genug
(–) Rowohlt, 288 S., 24,– € lichen Problem werden. 28 Punkte der Oder, »hatten für uns eine Aura, denn in ihnen entfernt, um mich selbst nicht zu bedrohen, aber
befand sich Westluft.« doch so präsent, daß er auch auf mein Leben eine
Es ist der junge Richard Sparka, der hier spricht, Art schmückenden Schicksalsschatten warf.« Nun
Kira Vinke: Die Klimaforscherin Kira Vinke traf weltweit Menschen, deren Existenz durch

6
ein typischer Schmidtscher Held in seiner wohligen lässt der Rückkehrer auf seiner sentimental journey all
Sturmnomaden Dürren, Stürme und den steigenden Meeresspiegel bedroht ist. Sicher ist: Die Melancholie, seiner hochmütigen Schüchternheit das an sich heran, dass die Helden und Hüterinnen
dtv, 320 S., 23,– € Migration wird durch die Klimakrise zunehmen. Welche rechtlichen und po- und seinem vergrübelten Humor. Schmidt-Lesern ist seiner Kindheit eben auch Mitläufer, Kriegsver-
litischen Maßnahmen sind künftig nötig, um den »Sturmnomaden« ein Leben er in Zuckersand als junger Berliner Vater zum ersten brecher, Kriegsversehrte, Vergewaltigte waren. Und
(–) in Würde zu ermöglichen? 28 Punkte Mal begegnet. Nun hat er sich aufgemacht zu einer Menschen, die in Häusern lebten, aus denen andere
Reise in die Vergangenheit, die dem endgültigen vertrieben worden waren.
W. E. B. Du Bois: 1936 reiste der afroamerikanische Soziologe und Bürgerrechtler W. E. B. Du Abschied gewidmet ist: Die Pension seiner Kindheit Schon der Titel des Romans lässt sich als Warnung

8
»Along the color line« Bois nach Deutschland. In Bierlokalen oder bei den Olympischen Spielen in im (fiktiven) Dorf Schmogrow an der polnischen verstehen. »Ausdauernd« und »winterhart« – wie das
A. d. Engl. v. J. von Koppenfels; Berlin erkundete er das Leben in der Diktatur. Während er selbst kaum Dis- Grenze ist nicht mehr, die Gastgeber sind verstorben. Lexikon weiß – ist die Staude Phlox; ihre Blüten sind
C. H. Beck, kriminierung erfuhr, entsetzte ihn die Grausamkeit gegenüber den Juden. Ein letzter Ortstermin mit der Lebensgefährtin und hauchzart und bedienen farblich das Pastell. Doch
(–) 168 S., 20,– € Jetzt erscheinen seine Reportagen erstmals auf Deutsch. 27 Punkte den beiden Kindern im Vorschulalter soll das frühe phlox bedeutet »Flamme« im Altgriechischen, und
Paradies des pater familias heraufbeschwören. die Brände der kriegerischen Vorzeit sind in Schmo-
Denn für den kleinen Richard war dieses Dorf, grow dem aufmerksamen Auge noch präsent: hier
Ulrike Herrmann: Der Kapitalismus brachte viel Gutes hervor, Wohlstand, Gleichberechtigung,

9
zumal die Pension des Ehepaares Tatziet, ein alljähr- ein verwildertes Grundstück ohne Haus, dort die
Das Ende des ein längeres Leben. Doch zeigt der Klimawandel: Ewiges Wachstum kann es liches fragloses Glück. Aus der getakteten urbanen Ruinen eines mehrfach umgewidmeten Gemein-
Kapitalismus ohne dramatische Konsequenzen nicht geben. Die Wirtschaftsjournalistin Ostberliner Existenz ging es in ein soziales wie physi- schaftsgebäudes; Vergangenheit, die nicht vergeht.
Kiepenheuer & Witsch, Ulrike Herrmann legt den Exit-Plan vor: hin zu einer Kreislaufwirtschaft, die sches Abenteuer, krumm und lustig, improvisiert Das Allgemeine steht in den Geschichtsbüchern, zu
(–) 352 S., 24,– € nur so viel verbraucht, wie sich recyceln lässt. 24 Punkte und überraschend, fordernd und entspannend zu- begreifen ist es im Besonderen. Und es ist der je-
gleich. Die Gastgeber waren gebildete Leute; der weils Einzelne, der seine Abmischung aus Grauen
Francis Fukuyama: 1989 verkündete der Politologe Francis Fukuyama das »Ende der Geschichte«. Mann ein Tüftler, Bastler und geborener Pädagoge, und Gemütlichkeit zu seiner deutschen Lebens-
Mehr als 30 Jahre später ist die Welt eine andere: Corona-Beschränkungen, die Frau so mütterlich wie großzügig, dabei zwanglos erzählung macht.

10
Der Liberalismus und
seine Feinde Russlands Expansionspolitik und aggressive Identitätsdebatten – der Liberalis- integrativ: Vom dreijährigen Knaben, der stolz die Aus der Danksagung lässt sich schließen, dass der
Hoffmann und Campe, mus wird von links wie rechts infrage gestellt. Ein Plädoyer für die Wiederent- ohnehin sesshaften Enten hütete, über die Schul- Autor mit vielen Zeitzeugen über »ihr Schmogrow«
(–) 224 S., 25,– € deckung der wahren liberalen Tugenden. 21 Punkte kinder, die mit den Hochbetagten gemeinsam die sprach. So entstand ein Panorama-Roman, dessen
Beeren ernteten, bis hin zu den Erwachsenen, die sprachliche Souveränität geradezu berauschend ist.
anspruchsvoller beschäftigt wurden – im Hause Tat- Dass die aber sich ihres Gegenstandes nicht bemäch-
Susan Neiman/ 2021 veröffentlichte der Genozidforscher A. Dirk Moses eine polemische ziet erfuhr ein jedes Urlaubsmenschenkind ebenjene tigt, dass Unruhe, Ratlosigkeit, Schrecken und
Kritik am Paradigma der Singularität des Holocausts. Es war der Beginn einer

10
Michael Wildt (Hrsg.): Kombination von Sinn und Sinnlichkeit, welche im Rührung unbewältigt, unüberwältigt bleiben – das
Historiker streiten Debatte über das Verhältnis der Kolonialverbrechen zum Massenmord der Alltag so bitter selten war. ist die eigentliche Kunst. Aus Jochen Schmidt, dem
Propyläen, Nazis. Ein Überblick über diesen Historikerstreit 2.0, mit Beiträgen von Auch Westgäste, Onkel und Tanten, reisten an, poetischen Archivar eines einzelnen Lebens, ist mit
(–) 368 S., 26,– € Autoren wie Eva Menasse, Per Leo oder Jan Philipp Reemtsma. 21 Punkte ließen sich bestaunen und staunten zurück am Phlox ein großer historischer Autor geworden.

Jedes Jury-Mitglied der Sachbuch-Bestenliste vergibt monatlich an vier Sachbücher je einmal 15, 10, 6 und 3 Punkte.
Jochen Schmidt: Phlox.
Die Jury: René Aguigah (Deutschlandfunk Kultur), Peter Arens (ZDF), Susanne Billig (Deutschlandfunk Kultur), Ralph Bollmann (FAS),
Stefan Brauburger (ZDF), Alexander Cammann (DIE ZEIT), Gregor Dotzauer (Der Tagesspiegel), Heike Faller (DIE ZEIT), Daniel Fiedler (ZDF), Roman;
Jenny Friedrich-Freksa (Kulturaustausch), Manuel J. Hartung (ZEIT-Stiftung), Thorsten Jantschek (Deutschlandfunk Kultur), Kim Kindermann C. H. Beck, München 2022;
(Deutschlandfunk), Inge Kutter (DIE ZEIT), Hannah Lühmann (Die Welt), Tania Martini (taz), Susanne Mayer (DIE ZEIT), Peter Neumann (DIE ZEIT), 479 Seiten, 25,– €
Catherine Newmark (Deutschlandfunk Kultur), Jutta Person (freie Literaturkritikerin), Bettina von Pfeil (ZDF), Jens-Christian Rabe (Süddeutsche Zeitung),
Christian Rabhansl (Deutschlandfunk Kultur), Anne Reidt (ZDF), Anna Riek (ZDF), Stephan Schlak (Zeitschrift für Ideengeschichte),
Hilal Sezgin (freie Autorin), Catrin Stövesand (Deutschlandfunk), Elisabeth von Thadden (DIE ZEIT)

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Packend wie ein Thriller –

der Beginn der Demokratie
in Deutschland
»Mit glühender Passion und voll ungeheurem Wissen
erzählt Jörg Bong, wie 1848 all das begann,
was wir heute für modern halten.« Gebunden
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Florian Illies
© akg-images
60 FEUILLETON 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

Literatur

Stur
In einer Vorbemerkung zu ihrem neuen
Roman erklärt Anna Kim, dass ihr die
Geschichte, die sie hier erzählt, ge-
schenkt worden sei, sie beruhe auf einer
Das Bekenntnis und die Wortwahl war. Hier lebten fast nur Weiße, die reflexion und Ereignisabfolge, mit sach-
der Vorbemerkung weisen auf einen mit Menschen anderer Hautfarbe am dienlichen Informationen und einigen
entsprechend korrekten sozialen Um- liebsten nichts zu tun haben wollten. Stimmungsbildern. Was auch immer
gang hin, der zur Vorsicht aufruft, zum Irgendwann gelang es, den kleinen geschah und geschieht, es wird in indi-

auf Spur wahren Begebenheit. Und der Umstand,

ein Geschenk in Händen zu halten, das
von der Kindheit eines Menschen han-
delt, habe sie zu einem verantwortungs-
vollen und respektvollen Umgang mit
Anna Kims dieser Gabe aufgefordert.
Das Bekenntnis als solches und die
allzu respektvoller Wortwahl machen stutzig. Offensicht-
lich kann die Geschichte, um die es
Roman über eine gehen wird, nur an zwei Krücken lau-
Außenseiterkindheit fen, über deren Einsatz man nachdenkt,
wenn man sich im Laufe der Erzählung
VON EBERHARD RATHGEB bei dem Wunsch erwischt, es wäre gut
gewesen, die Autorin hätte größere er-
zählerische Energie eingesetzt, als sie
hier zeigt. Die eine Krücke, die Anna
Kim der Geschichte unter den Arm
schiebt, heißt Realität, als müsste sie
nichts erfinden und könnte einfach
berichten. Die andere heißt Verant-
wortung und Respekt, als ließe sich die
Gefühlsdürre der Distanz rechtfertigen.
tastenden Erkunden in einem Gelände
voller Fehlerquellen und Fallstricke,
falscher Wörter, falscher Gesten und
falscher Annahmen, die beleidigen,
disqualifizieren und verletzen. Die
Folgen dieses Regelwerks der achtsamen
Kommunikation muss die Erzählweise
einer Geschichte austragen, die sich
rasch zusammenfassen lässt: In den
Fünfzigerjahren überließ in einer
Kleinstadt in Wisconsin eine junge,
alleinstehende Frau ihr Baby dem So-
zialdienst, der sich darauf erfolglos auf
die Suche nach dem Vater machte, von
dem die Mutter nur den Vornamen zu
kennen schien. Das mit jedem Tag
prägnanter werdende Aussehen des
Kindes schürte nach den damals gängi-
gen Kriterien rassistischer Menschen-
begutachtung die Befürchtung, dass
der Vater zu einer Bevölkerungsgruppe
gehörte, die im Ort kaum vertreten
Jungen in einer Familie unterzubrin-
gen, die ihn adoptierte. Die verant-
wortliche Sozialarbeiterin stammte aus
Österreich. In den Dreißigern war sie
dort im Zuge ihrer Ausbildung mit der
üblichen rassistischen Anthropologie
in Kontakt gekommen.
Die Autorin ahnt, wovon sie
schreibt, wenn sie die Geschichte eines
Pflegekindes rekapituliert, dessen Lebens-
lauf von seiner Hautfarbe geprägt wird.
Sie selbst ist das Kind einer südkoreani-
schen Mutter und eines österreichischen
Vaters, kam 1979 nach Deutschland
und ging später mit den Eltern nach
Österreich weiter. Sie lebt und schreibt
heute in Wien.
Erzählt wird die Geschichte auf
zwei Ebenen in mehreren großen Blö-
cken, zum einen mithilfe von Doku-
menten und zum anderen in einem
Gemisch aus Lagebeschreibung, Kurz-
rekte Gespräche oder Berichte aufgelöst.
Die Geschichte, die im Fall einer leben-
digen Darstellung nur unter der Hand
hätte exemplarisch werden können, ge-
rät zu einem Exempel, das im Archiv
des Rassismus untergeht. Obwohl bei
diesen Ereignissen gerade Gefühle, und
nicht nur Vorurteile, eine Rolle spielten,
übernimmt das Berichtswesen einer res-
pektvollen und verantwortungsvollen
globalen Betroffenheit sofort das Steuer
und fährt, beide Hände ins Lenkrad ge-
krampft, stur auf Spur.
Aus dieser erzählerischen Einbahn-
straße helfen die reibungslosen Be-
schreibungen von verschneiten Win- Anna Kim:
tertagen nicht heraus. Wisconsin, Geschichte eines Kindes.
Fünfzigerjahre? In diesem Roman be- Roman;
gegnet man in seiner ausgebremsten Suhrkamp Verlag,
Erzählweise nur einer vom Grau des Berlin 2022;
vermischten Lebens überwältigten Ge- 220 S., 23,– €,
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Tel. 07191/894477, Petrus-Jacobi-Weg 5, Di-Fr 17-19, Sa/So u. 31. 10. 14-19 Uhr
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www.berlinischegalerie.de, Alte Jakobstr. 124–128, 10969 Berlin, Mo, Mi-So 10-18
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STAATSOPER: Sa 18:00 DAS RHEINGOLD!/!So 16:00 DIE WALKÜRE!/!Di, Fr 19:30
TOSCA!/!Mi 19:00 IL TROVATORE!/!Do 16:00 SIEGFRIED!/!ALTER ORCHESTER-
PROBENSAAL: Sa, Mo, Mi, Fr 19:30 LA PICCOLA CUBANA,
www.staatsoper-berlin.de, Tel. 030 20 35 45 55, tickets@staatsoper-berlin.de,
10117 Berlin, Unter den Linden 7
BIELEFELD
Kunstforum Hermann Stenner
02.10.2022 bis 26.02.2023: Alexander Camaro: Die Welt des Scheins
www.kunstforum-hermann-stenner.de, Tel. 0521 800660-0,
info@kunstforum-hermann-stenner.de, Obernstr. 48, Bielefeld, Mi-Fr 14-18, Sa, So,
Feiertag 11-18
BIETIGHEIM BISSINGEN
Städtische Galerie, http://galerie.bietigheim-bissingen.de
29.10.2022 bis 06.02.2023: „Avantgarde in den Niederlanden – Die expressio-
nistische Künstlergruppe »De Ploeg«“
Hauptstr. 60-64, T. 07142/74483, Di-Fr 14-18, Do-20,Sa/So/Feier 11-18
BOCHUM
Situation Kunst (für Max Imdahl) / Museum unter Tage
23.10.2022 bis 10.04.2023: Adolf Luther - Licht. Werk und Sammlung
www.situation-kunst.de, Mi-Fr 14-18, Sa, So, Feiertag 12-18
BONN
Bundeskunsthalle
bis 05.02.2023: DIE OPER IST TOT – ES LEBE DIE OPER!
www.bundeskunsthalle.de
KUNSTMUSEUM BONN
ab 08.05.2022: Raum für phantasievolle Aktionen Neupräsentation Sammlung
bis 22.01.2023: Max Ernst und die Natur als Erfindung
bis 08.01.2023: Ausgezeichnet #6 Benjamin Houlihan
Stipendiat:innen der Stiftung Kunstfonds
www.kunstmuseum-bonn.de, Tel. 0228/776260, H.-K.-Allee 2, Di-So 11-18, Mi-21
BREMEN
Kunsthalle Bremen
bis 30.10.2022: Kunstpreis der Böttcherstraße in Bremen 2022
bis 06.11.2022: Manns-Bilder. Der männliche Akt auf Papier
bis 13.11.2022: Remix. Einblicke in die Sammlung zeitgenössischer Kunst
DARMSTADT
Hessisches Landesmuseum Darmstadt
bis 08.01.2023: Walter Schels. Fotografien
bis 15.01.2023: Remember Venice! Bernardo Bellotto zeichnet
www.hlmd.de, Friedensplatz 1, Di, Do, Fr 10-18, Sa, So, Feiert. 10-17, Mi 10-20 Uhr
DORTMUND
Dortmunder U - Zentrum für Kunst und Kreativität
bis 15.01.2023: Neun Sonnen, Eintritt frei
bis 15.01.2023: Body & Soul Denken, Fühlen, Zähneputzen, Eintritt frei
bis 29.01.2023: Fiona Banner aka The Vanity Press: Pranayama Typhoon Soft
Parts Wing Flap Fin, Eintritt frei
www.dortmunder-u.de, Tel. +49 (0) 231.50-24723, info@dortmunder-u.de, Leo-
nie-Reygers-Terrasse, 44137 Dortmund, Di, Mi 11-18, Do, Fr 11-20, Sa, So, Feiertag
11-18 Uhr
Konzerthaus Dortmund
Sa 20:00 Liederabend Julian Prégardien Schubert – Lieder und Balladen!/!So
18:00 Kroke Jiddische Folklore trifft auf Jazz- und Klassik-Elemente.!/!Mo 19:00
Junge Wilde – Cristina Gómez Godoy Werke von Mozart, Britten u. a. für Oboe
und Streichquartett!/!Do 20:00 Novus String Quartet Werke von Beethoven,
Smetana u. a., www.konzerthaus-dortmund.de, Tel. +49 231 – 22 696 200
HIGHLIGHT
DRESDEN
STAATLICHE KUNSTSAMMLUNGEN DRESDEN
Schloss Hubertusburg, Hubertusburger Str., 04779 Wermsdorf, Do-So 10-17 Uhr
bis 31.10.2022: Raumschiff Hubertusburg. Traumschloss im Wandel
Schloss Hartenfels, Schlossstr. 27 , 04860 Torgau, Di-So 10-18 Uhr
bis 31.10.2022: Der Kurfürst als Gärtner. Nützliches und Kurioses aus der sächsi-
schen Hofgärtnerei
Völkerkundemuseum Herrnhut, Goethestr. 1, 02747 Herrnhut. Di-So 9 – 17 Uhr
bis 27.11.2022: Aufbruch. Netz. Erinnerung. - 300 Jahre Herrnhut
Semperbau am Zwinger, Theaterplatz 1, Di-So 10 - 18 Uhr
bis 16.04.2023: Reise ins Jenseits. Ägyptische Grabkunst aus der Dresdner
Skulpturensammlung
Tel. 0351-49142000, Besuchen Sie uns auch online: www.skd.museum
DUISBURG
MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst
28.10.2022 bis 05.03.2023: MARTIN ASSIG Retrospektive
www.museum-kueppersmuehle.de, Tel. +49 (0)203 301948 -11,
office@museum-kueppersmuehle.de, Philosophenweg 55, 47051 Duisburg, Mi 14-
18, Do-So, Feiertag 11-18, Jeden Sonntag um 15 Uhr öffentliche Führung
DÜSSELDORF
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Präsentation der ständigen Sammlung
bis 22.01.2023: K20 & K21: Reinhard Mucha
ab 29.10.2022: K20: Mondrian. Evolution
Tel. 0211.8381-204, K20, Grabbeplatz 5 – K21, Ständehausstr. 1, Düsseldorf, Di-Fr
10-18, Sa, So, Feiertag 11-18 Uhr
EMDEN
Kunsthalle Emden
25.06. bis 31.10.2022: MYTHOS WALD Das Flüstern der Blätter
bis 31.10.2022: SARAH VAN SONSBEECK The State of Things
www.kunsthalle-emden.de, Tel. +49 (0)4921 97 50 50, Emden, Di-Fr, Sa, So, Feier-
tag, jeder 1. Di/Monat 10-21 Uhr langer Kunstabend
ESSEN
Museum Folkwang
bis 30.10.2022: 6 ½ WOCHEN. Asortymentna Kimnata – What is depicted here?
bis 11.12.2022: IMAGE CAPITAL. Estelle Blaschke & Armin Linke
bis 08.01.2023: EXPRESSIONISTEN AM FOLKWANG. Entdeckt – Verfemt – Ge-
feiert
www.museum-folkwang.de, Tel. 0201-8845-444, Museumsplatz 1, 45128 Essen, Di,
Mi, Sa, So, feiertags 10-18, Do, Fr, 10-20 Uhr. Eintritt frei in die Sammlung
Archäologisches Museum Frankfurt
bis 30.10.2022: Kelten in Hessen?
archaeologisches-museum-frankfurt.de, Tel. +496921235896, Karmelitergasse 1,
60311 Frankfurt am Main, Mi 10-20, Do-So 10-18, Mo, Di geschl.
DEUTSCHES ARCHITEKTURMUSEUM
Schön hier. Architektur auf dem Land bis 27. November 2022, das DAM
zu Gast im Freilichtmuseum Hessenpark, Neu-Anspach (www.hessenpark.de)
Liebieghaus Skulpturensammlung
bis 08.01.2023: SPLENDID WHITE. Die Elfenbein-Sammlung Reiner Winkler im
Liebieghaus
www.liebieghaus.de, Tel. 069-605098-200, Schaumainkai 71, Di, Mi 12-18, Do-So
10-18 Uhr
MUSEUM MMK FÜR MODERNE KUNST
bis 30.10.2022: TOWER MMK: Stéphane Mandelbaum
mmk.art
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT
bis 08.01.2023: GAURI GILL. ACTS OF RESISTANCE AND REPAIR
04.11.2022 bis 19.02.2023: CHAGALL. WELT IN AUFRUHR
www.schirn.de, Tel. 069/2998820, Römerberg, Di-So 10-19, Mi, Do-22
Städel Museum
bis 22.01.2023: VOR DÜRER. Kupferstich wird Kunst
bis 19.02.2023: Michael Müller: Der geschenkte Tag. Kastor & Polydeukes
www.staedelmuseum.de, Tel. 069-605098-200, Schaumainkai 63, Di, Mi, Fr-So
10-18, Do 10-21 Uhr
FREIBURG IM BREISGAU
Städtische Museen Freiburg | www.freiburg.de/museen
Archäologisches Museum Colombischlössle, Rotteckring 5,
Untergang und Aufbruch - Frühmittelalter am südlichen Oberrhein
Augustinermuseum, Augustinerplatz,
bis 11.6.23 Freiburg und Kolonialismus: Gestern? Heute!
Museum für Neue Kunst, Marienstr. 10a,
ab 28.10.22 Phänomen Großmann trifft auf künstlerische Fotografie
Museum Natur und Mensch, Gerberau 32,
bis 22.1.23 Handle with care - Sensible Objekte der Ethnologischen Sammlung
FRIEDRICHSHAFEN
Zeppelin Museum Friedrichshafen
bis 06.11.2022: Beziehungsstatus: Offen. Kunst und Literatur am Bodensee
Tel. 07541-38010, Seestr. 22, Öffnungszeiten unter www.zeppelinmuseum.de
GELSENKIRCHEN
Musiktheater im Revier
Großes Haus: Sa 19:30 Drei Männer im Schnee!/!So 11:00 Musikbrunch!/!So 18:00
MiR Goes Film: Robin Hood meets Derrick!/!Mi 18:00 Premierenfieber: Die ver-
kaufte Braut!/!Kleines Haus: Sa 19:30 Premiere: Aurora!/!So 18:00, Fr 19:30
Leonce und Lena, Tel. 0209/4097200
HAGEN
Kunstquartier Hagen
bis 15.01.2023: Edward Bekkerman - Labyrinths of love. Malerei
bis 29.01.2023: Vasily Klyukin - Mind Space. Skulptur-Architektur-Installation
bis 12.03.2023: Hanns Friedrichs - Ich mache keine Mode, ich ziehe Frauen an
www.kunstquartier-hagen.de, Museumsplatz 1, 59095 Hagen
HALLE (SAALE)
Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)
bis 08.01.2023: Wege zur Burg der Moderne. 1911: Die Museumsgesellschaft
Friedemann-Bach-Platz 5, 06108 Halle (Saale), www.kunstmuseum-moritzburg.de
HAMBURG
Bucerius Kunst Forum
08.10.2022 bis 15.01.2023: DIE NEUEN BILDER DES AUGUSTUS
Macht und Medien im antiken Rom
www.buceriuskunstforum.de, Tel. 040 / 360996-0, info@buceriuskunstforum.de,
Alter Wall 12, Hamburg, tägl. 11-19, Do 11-21 Uhr, 24.12.2022 geschl.
Deichtorhallen Hamburg
bis 12.03.2023: In the Heart of Another Country. Sharjah Art Collection
bis 06.11.2022: The New Abnormal. Odesa Photo Days Festival
bis 06.11.2022: In der Sammlung Falckenberg (Harburg): Arbeitsstipendium für
bildende Kunst
www.deichtorhallen.de, Deichtorstr. 1-2, 20095 Hamburg, Di-So 11-18 Uhr, jeden 1.
Do im Monat 11-21 Uhr
HAMBURGER KUNSTHALLE
bis 15.01.2023: Atmen
bis 18.02.2024: Something new, something old, something desired
bis 31.12.2023: Making History. Hans Makart und die Salonmalerei des 19. Jh.
bis 31.12.2023: Impressionismus. Deutsch-französische Begegnungen
bis 31.10.2022: Viermalvier/Fourtimesfour
www.hamburger-kunsthalle.de, Tel. 040/428131200, Glockengießerwall 5, 20095
Hamburg, Di-So 10-18/Do 10-21 Uhr Reformationstag 31.10.geöffnet 10-18 Uhr
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
bis 20.08.2023: Made in China! Porzellan
bis 12.03.2023: Who‘s next? Obdachlosigkeit, Architektur und die Stadt
bis 26.02.2023: Die Sprache der Mode
bis 26.02.2023: audio-grafisch. 16 Entwürfe und ihre Entstehung
bis 31.10.2022: Mining Photography. Der ökol. Fußabdruck der Bildproduktion
www.mkg-hamburg.de, Steintorplatz, 20099 Hamburg, Di-So 10-18, Do 10-21 Uhr
Stiftung Historische Museen Hamburg - www.shmh.de
bis 20.11.2022: Museum f. Hamburg. Geschichte: Inspiration Geschichte
bis 15.07.2023: Altonaer Museum: Von hier nach dort
bis 30.10.2022: Deutsches Hafenmuseum: Die PEKING
bis 13.02.2023: Jenisch Haus: Chiffren einer Stadt
HANNOVER
Landesmuseum Hannover
bis 31.10.2022: „die erfindung der götter. steinzeit im norden“
www.landesmuseum-hannover.de, Tel. 0511 – 9807 686
KAISERSLAUTERN SAARBRÜCKEN

AUSSTELLUNG
Do., 10. November, 20 Uhr: Das Mandelring Quartett spielt Saarlandmuseum - Alte Sammlung
Werke von Schostakowitsch, Floros und Beethoven. Tickets von bis 29.01.2023: Zu Tisch! Die Kunst des guten Geschmacks.
10,50 - 26,50 € www.altesammlung.de, Schlossplatz 16, T.0681.9964-234, Di-So 10-18, Mi-20
Fruchthalle Kaiserslautern, Tel. 0631 365-2316, www.fruchthalle.de Saarlandmuseum - Moderne Galerie
KARLSRUHE bis 23.02.2023: Fabienne Verdier – Im Auge des Kosmos

HIGHLIGHT
bis 19.03.2023: Face à Face – Mudam Luxembourg/Moderne Galerie. Zwei
ZKM Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe
Sammlungen im Dialog
bis 30.10.2022: John Sanborn. Between Order and Entropy
www.modernegalerie.org, Bismarckstr. 11-15, T.0681.9964-234, Di-So 10-18, Mi-20
bis 06.11.2022: Katharina John. Talking Heads
bis 05.02.2023: Soun-Gui Kim: Lazy Clouds SCHWÄBISCH HALL
bis 05.02.2023: Marijke van Warmerdam. Then, now, and then
JOHANNITERKIRCHE
bis 16.04.2023: Walter Giers. Eletronic Art

Mondrian
Dauerausstellung: zkm_gameplay. the next level Ausstellungen Online: Dauerausstellung: Alte Meister in der Sammlung Würth
bis 30.08.2023: Spatial Affairs Worlding – A tér világlása Di-So 11-17 Uhr, Eintritt frei, www.kunst.wuerth.com
bis 30.08.2023: Drifting, Browsing. Cruising KUNSTHALLE WÜRTH
bis 30.09.2023: Jazmina Figueroa. Call Signs bis 26.02.2023: Sport, Spaß & Spiel in der Sammlung Würth
www.zkm.de, Tel. 0721/81000, Lorenzstr. 19, Mi-Fr 10-18, Do, Sa/So 11-18 Uhr Lange Str.35, täglich 10-18 Uhr, Eintritt frei, www.kunst.wuerth.com
KASSEL SIEGEN
Museumslandschaft Hessen Kassel - Parks, Schlösser, Museen Museum für Gegenwartskunst Siegen
Dauerausstellung: Wiedereröffnung: LÖWENBURG, Schloss Wilhelmshöhe - 11.03.2022 bis 26.02.2023: Florence Jung. MGKWalls und Sam
Gemäldegalerie Alte Meister, Neue Galerie - about: documenta 11.03.2022 bis 29.01.2023: Gemischtes Doppel:
www.museum-kassel.de, Di-So, Feiertag 10-17 Uhr Die Sammlung Lambrecht-Schadeberg
KIEL 21.10.2022 bis 05.03.2023: Studiolo: Francis Bacon. Im Spiegel der Fotografie
www.mgksiegen.de, Tel. (0271) 405 77 10, Unteres Schloss 1, 57072 Siegen
Kunsthalle zu Kiel
bis 05.03.2023: 1+1=3 Die Kunstwelten der Mary Bauermeister SPEYER
Dauerausstellung: Wildes, Wüstes, Wunderschönes. Natur im Fokus der Historisches Museum der Pfalz

Piet Mondrian, Komposition mit großer roter Fläche, Gelb, Schwarz, Grau und Blau (Detail), 1921,
Evolution
Sammlung bis 16.04.2023: Die Habsburger im Mittelalter. Aufstieg einer Dynastie
www.kunsthalle-kiel.de, Tel. 0431/8805756, info@kunsthalle-kiel.de, Düstern-
ab 20.09.2022: Neueröffnung Kreuz und Krone Dom- und Diözesanmuseum
brooker Weg 1, 24105 Kiel, Di, Do-So 10-18, Mi 10-20 Uhr

29. 10. 2022 —

www.museum.speyer.de, Tel. 06232-13250, info@museum.speyer.de, Domplatz,
KÖLN 67346 Speyer, Di-So, Feiertag 10-18 Uhr

Öl auf Leinwand, 59,5 × 59,5 cm, Kunstmuseum Den Haag

Museum Purrmann-Haus Speyer www.speyer.de/purrmann-haus

12. 2. 2023
Käthe Kollwitz Museum Köln
bis 13.11.2022: Der neue SIMPLICISSIMUS - Satire für die Bonner Republik 25.09.2022 bis 26.03.2023: Künstlerpaare der Moderne. Hans Purrmann und
www.kollwitz.de, Di-So, Feiertag 11-18 Uhr, Erster Do im Monat: 11-20 Uhr Mathilde Vollmoeller-Purrmann im Diskurs Do-So + Feiertag 11-18 Uhr
STUTTGART
tri-bühne
Sa 19:00 Wer hat Angst vor Bernie Madoff?!/!Mi-Fr 19:00 Romeo und Julia, Tel.
0711/2364610
ULM
Museum Ulm
bis 20.11.2022: Zum Glück! & Jost Münster - One Place At a Time
bis 15.01.2023: Franco Clivio - Manifolds
bis 22.01.2023: Urformen – Figürliche Eiszeitkunst Europas
bis 08.01.2023: Otl Aicher 100 Jahre 100 Plakate (im HfG-Archiv)
www.museumulm.de, Tel. +49(0)731-161 4330, info.museum@ulm.de, Marktplatz
9, 89071 Ulm, Di-So, Feiertag 11-17 Uhr
Stadthaus Ulm
Düsseldorf bis 15.01.2023: Peter Bialobrzeski: URBANE RÄUME, Eintritt frei
https://stadthaus.ulm.de, Mo-Mi, Fr, Sa 10-18, Do 10-20, So, Feiertag 11-18 Uhr
VÖLKLINGEN
WELTKULTURERBE VÖLKLINGER HÜTTE
CHRISTIAN BOLTANSKI – Die Zwangsarbeiter | Erinnerungen - Zwei Dauerin-
stallationen
MÖNCHENGLADBACH OLDENBURG bis 06.11.2022: UrbanArt Biennale
11.12.2022 bis 03.09.2023: JULIAN ROSEFELDT. WHEN WE ARE GONE
Museum Abteiberg www.voelklinger-huette.org, Besucherservice/Buchungen: T. 06898/9100100
oldenburg-tourismus.de
ab 23.06.2022: SAMMLUNG/ARCHIV ANDERSCH WUPPERTAL
Feldversuch #2: Brecht – Filliou Skulpturenpark Waldfrieden / Cragg Foundation
bis 01.01.2023: Anish Kapoor, Skulpturen
www.museum-abteiberg.de, Abteistraße 27/Johannes-Cladders-Platz
Oldenburg bis 06.11.2022: Bettina Pousttchi, Fluidity House
bis 01.01.2023: Andreas Schmitten, Skulpturen
MÜNCHEN Aktuelle Ausstellungen skulpturenpark-waldfrieden.de, Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal
Kölnisches Stadtmuseum WÜRZBURG
Ausstellungsort: Maritim Hotel Köln, Heumarkt 20, 50667 Köln Kunsthalle München
bis 12.02.2023: 50 JAHRE HÖHNER 26.08.2022 bis 15.01.2023: JR: Chronicles tägl. 10–20 Uhr, 21.9., 19.10. und 16.11. Museum im Kulturspeicher
Museen der Stadt Köln: bis 15.01.2023: KONKRET GLOBAL!
Infos zu Ausstellungen und Veranstaltungen unter: bis 22 Uhr, 089/22 44 12, www.kunsthalle-muc.de, Theatinerstr. 8, München www.kulturspeicher.de, Tel. 0931/32225-0, Fax -18,
www.museen.koeln museum.kulturspeicher@stadt.wuerzburg.de, Oskar-Laredo-Platz 1, 97080 Würz-
Literaturhaus München
Museum Ludwig Köln burg, Di 13-18, Mi 11-18, Do 11-19 Uhr, Fr-So 11-18 Uhr
bis 30.11.2024: Schultze Projects #3 - Minerva Cuevas 19.05. bis 30.10.2022: NIKOLAUS HEIDELBACH: ORIGINALE
bis 06.11.2022: Raghubir Singh. Kolkata
bis 22.01.2023: Grüne Moderne. Die neue Sicht auf Pflanzen literaturhaus-muenchen.de, Tel. 089-291934-0, info@literaturhaus-muenchen.de, LIECHTENSTEIN
bis 05.02.2023: HIER & JETZT im Museum Ludwig. Antikoloniale Eingriffe
Salvatorplatz 1, tägl. 11-18 Uhr Landesmuseum für Kunst und
Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln, Di-So 10-18 Uhr, 1. Do im Monat 10-22 Uhr
Museum für Angewandte Kunst Köln (MAKK) Museum Villa Stuck
Kulturgeschichte Oldenburg VADUZ
bis 26.03.2023: Susanna Taras. Blumen, Flowers, Fleurs Schloss | bis 22.1.2023
An der Rechtschule, 50667 Köln, Di-So 10-18 Uhr, 1. Do im Monat 10-22 Uhr Sonderausstellungen: bis 15.1.23: A Big Announcement. Bernd Kuchenbeiser
Museum für Ostasiatische Kunst
Grands Boulevards –
zeigt Bücher und Schallplatten
bis 31.03.2023: Handelsgut Global. Exportporzellan aus China und Japan Plakatkunst des Jugendstils
bis 10.04.2023: HORIZONTE. Qiu Shihua | Leiko Ikemura | Kimsooja | Evelyn
Wappenbriefe
bis 19.3.2023: Dayanita Singh. Dancing with my Camera landesmuseum-ol.de
Taocheng Wang | Yu Duan
Universitätsstr. 100, 50674 Köln, Di-So 11-17 Uhr, 1. Do im Monat 11-22 Uhr Dauerausstellung: Künstlervilla und Historische Räume von Franz von Stuck
Rautenstrauch-Joest-Museum Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg | bis 5.2.2023
für Europa
www.villastuck.de, Die-So 11-18 Uhr, 1. Freitag im Monat 11-22 Uhr
bis 08.01.2023: I MISS YOU! Über das Vermissen, Zurückgeben und Erinnern Mumien – Geheimnisse des Lebens | naturundmensch.de
Cäcilienstr. 29-33, 50667 Köln, Di-So 10-18, Do 10-20, 1. Do im Monat 10-22 Uhr Münchner Stadtmuseum
Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud
bis 08.01.2023: Nachts. Clubkultur in München
bis 16.04.2023: Die Karlsruher Passion. Ganz • Schön • Heftig Edith-Russ-Haus für Medienkunst | bis 8.1.2023
bis 23.04.2023: Sensation des Sehens. Die Sammlung Nekes: Vol. 1 Barock bis 31.12.2022: München 72. Olympische Spurensuche
bis 15.01.2023: Bann und Befreiung – Vom Lesen und Schreiben. Kuratiert von Black Dogs and Red Forests – Carolina Caycedo, Jim Jasper
Hanns Zischler bis 08.01.2023: München 72. Mode, Menschen und Musik Lumbera, Bojan Mrđenović, Hira Nabi, Esther Neumann bis 8.01.2023
28.10.2022 bis 26.02.2023: Susanna. Bilder einer Frau vom Mittelalter bis Me- www.landesmuseum.li
Too
bis 05.03.2023: Radio Free Europe. Stimmen aus München im Kalten Krieg edith-russ-haus.de
Obenmarspforten, 50667 Köln, Di-So 10-18, 1. + 3. Do im Monat 10-22 Uhr www.muenchner-stadtmuseum.de, St.-Jakobs-Pl., T. 089/23322370, Di-So 10-18
KONSTANZ NS-Dokumentationszentrum München Oldenburg kennenlernen? Alle Infos zu Museen,
Rosgartenmuseum Ausstellungen und vielen weiteren Angeboten unter ÖSTERREICH
Dauerausstellung: München und der Nationalsozialismus Wechselausstellung
25.06.2022 bis 08.01.2023: Konstanz im Nationalsozialismus. 1933 bis 1945.
Die neue Dauerausstellung
0441 – 36 16 13 66 und oldenburg-tourismus.de.
TO BE SEEN. queer lives 1900-1950 Max-Mannheimer-Platz 1, 80333 München,
www.rosgartenmuseum.de, Tel. 07531/90022245, Rosgartenstraße 3-5, Konstanz, WIEN
Di, Fr 10-18, Sa, So, Feiertag 10-17 Tel. 089-2336700, Di-So 10-19 Uhr, Di-So 10-19 Uhr, www.nsdoku.de Leopold Museum
KREFELD Dauerausstellung: WIEN 1900. Aufbruch in die Moderne
MÜNSTER bis 06.02.2023: HAGENBUND. Von der gemäßigten zur radikalen Moderne
Kunstmuseum Krefeld 14.10.2022 bis 27.02.2023: TILLA DURIEUX. Eine Jahrhundertzeugin und ihre
Kaiser Wilhelm Museum, Joseph-Beuys-Platz 1, Di–Do, So 11–17, Fr–Sa 11–18 LWL-Museum für Kunst und Kultur Rollen
ab 25.11.2022: On Air. Der Klang des Materials in der Kunst der 1950er bis
bis 04.12.2022: Wolfgang Heimbach. Ein deutscher Barockmaler an europäi- Besuchen Sie unser digitales Museum auf unserer Website und unseren Social
1970er Jahre
oldenburg-tourismus.de Media Kanälen!
bis 05.02.2023: Shannon Bool trifft Otto Eckmann, Sammlungssatellit #8
schen Höfen leopoldmuseum.org, Museumsplatz 1, 1070 Wien, Mo, Mi-So, Feiertag 10-18 Uhr
ab 02.04.2022: Robert Stadler, K+ Café im KWM, Sammlungssatellit #7
ab 05.06.2020: Sammlung in Bewegung - 15 Räume 15 Geschichten bis 05.02.2023: Barbarossa. Die Kunst der Herrschaft mumok- Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien
Haus Lange, Wilhelmshofallee 91–97, Di–Do, So 11–17, Fr–Sa 11–18 bis 26.02.2023: Das Tier in Dir. Kreaturen in (und außerhalb) der mumok
bis 26.02.2023: Maison Sonia. Sonia Delaunay und das Atelier Simultané www.lwl-museum-kunst-kultur.de, Tel. Tel. 0251/5907-201, Domplatz 10, Di-So 10- Sammlung
Haus Esters, Wilhelmshofallee 91–97, Di–Do, So 11–17, Fr–Sa 11–18 bis 05.02.2023: Emília Rigová. Nane Oda Lavutaris / Who Will Play for Me?
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bis 26.02.2023: Andrea Zittel. Personal Patterns bis 29.01.2023: Changes
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www.kunsthallerostock.de, Tel. 0381-3817000, kunsthalle@rostock.de, Hamburger Anbieter: Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Buceriusstraße, Hamburg
Oberhausen, Di-So, Feiertag 11-18 Str. 40, 18069 Rostock, Di-So 11-18 Uhr, 31.10.2022 geöffnet

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62
V O R S I C H T,
Z A P F SÄU L E !
Yves Ravey zeigt im schmalen Roman »Die Abfindung«, wie gut der
Mikrokosmos Tankstelle für das Verbrechen taugt VON FLORIAN EICHEL
Wie gern man einst – vor explodierenden Prei-
sen und wachsender Emissionsscham – getankt
hat! In schwarz-weißer Versunkenheit erinnern
Filme wie Die Drei von der Tankstelle (1930)
oder Es geschah am hellichten Tag (1958) an eine
Zeit, in der die eigene Motorisierung noch
Freiheit verhieß und Tankstellen als Treffpunkte
einer mobilitätsbegeisterten Gesellschaft dien-
ten. Von dieser Euphorie ist nicht viel übrig
geblieben, wie Yves Raveys Krimi Die Abfin-
dung zeigt. Der schlanke Roman spielt fast
ausschließlich in einer Tankstelle, die herunter-
gekommen und insolvent ist. Ihre Zapfsäulen
bleiben die gesamte Handlung über ungenutzt,
die angeschlossene Bar ruht verwaist, und auch
die Ehe der beiden Besitzer Jean und Remedios,
die im Hinterzimmer der Tankstelle wohnen,
ist in die Brüche gegangen. Keine guten Voraus-
setzungen also für ein Idyll. Fantastische für
einen Mord.
Motive bieten sich Jean genug; aus seiner
Perspektive wird die Handlung geschildert.
Gleich zwei Männer drohen ihn zu berauben:
Der örtliche Handelsrichter Walden will die
Tankstelle nach abgewickeltem Insolvenz-
verfahren selbst übernehmen, und Jeans
ehemaliger Mechaniker Usman schickt sich
an, mit Remedios durchzubrennen. Lange
kann das nicht gut gehen – und tatsächlich ist
das Unglück schnell geschehen. Nach nur
hundert Seiten klappt man das Buch wieder
zu; unterdessen ist die Tankstelle samt Wal-
dens Plänen in Flammen aufgegangen und
Usmans verkohlter Leichnam längst abtrans-
portiert. Jeans Widersacherin, die Versiche-
rungsdetektivin Hunter, bringt die Rasanz des
Falls auf den Punkt: »Brandgeschichten sind
komplizierter, als man meint, die Leute bilden
sich etwas ein, dann genügt ein Funke, und
alles fliegt in die Luft.«
Dass dieser Funkenflug trotz seiner kurzen
Dauer nicht naheliegend simpel anmutet, be-
Gründungsverleger:
Gerd Bucerius (1906–1995)
Herausgeberrat:
Prof. Jutta Allmendinger, Dr. Nicola Leibinger- Kammüller, Otto/Johanna Schoener (stellv.), Anant Agarwala, Dr. Harro
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Leserbriefe: Dr. Christof Siemes (verantwortlich),
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Geschichte: Christian Staas (verantwortlich)
weist eindrucksvoll das Können des Autors.
Yves Ravey, der jüngst zum zweiten Mal für den
Prix Goncourt nominiert wurde, den renom-
miertesten französischen Literaturpreis, ist mit
über 20 Romanen eine feste Größe in der
Krimiwelt jenseits des Rheins; in Deutschland
hingegen kennt man ihn kaum. Die Abfindung
ist erst der dritte Roman, der für deutsche Leser
übertragen wurde.
Angesichts dieser Unbekanntheit Raveys
sollte eine Übersetzung also ein erfreulicher
Anlass sein. Doch die Übersetzer Holger Fock
und Sabine Müller, beide vielfach ausgewiesen,
haben leider nur suboptimale Arbeit geleistet.
Die Irritation beginnt beim Titel, der im
Original Adultère lautet, was so viel wie »Ehe-
bruch« bedeutet. Die womöglich vom Verlag
gewollte Änderung in »Abfindung« erzeugt bei
diesem so dicht komponierten Roman eine
empfindliche Veränderung der Erwartungs-
haltung. Wichtiger noch: Allzu direkt wurden
jene Relativsatzanhäufungen übernommen, die
dem literarischen Französisch häufig zu eigen
sind, ohne sie jedoch an die deutschen Sprach-
gewohnheiten anzupassen. Resultat ist ein
Text, der zu oft stockt, wenn er auf eine Klimax
zufließen sollte.
Dennoch kann man als Leser nicht anders,
als die hundert Seiten in einem Rutsch zu
verschlingen. Das spricht für Ravey – und für
das mythische Potenzial der Tankstelle, die als
Faszinationsort offenbar doch noch nicht ganz
ausgedient hat.
Yves Ravey:
Die Abfindung.
Roman; a. d. Franz. v.
Holger Fock u. Sabine Müller;
Liebeskind, München 2022;
112 S., 20,– €,
als E-Book 14,99 €
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Verbrechen: Stephan Lebert (Reporter), Daniel Müller
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Henning Sußebach
Autoren: Antonia Baum, Georg Blume, Klaus Brinkbäumer, Kerstin
Bund, Christoph Dieckmann, Christoph Drösser, Ronald Düker, Heike
FEUILLETON 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
Krimi-Spezial
Geballte Fäuste,
allzu menschliche Polizisten
Ian Rankin hat aus dem Nachlass des großen schottischen Krimiautors
William McIlvanneys »Das Dunkle bleibt« vervollständigt VON TOBIAS GOHLIS
Droht auch Der Mord an dem Glasgower Anwalt Bobby Figur von William McIlvanney (1936 bis Am Ende des ausgesprochen verwickelten
hier bald Carter verlangt von der Polizei besonderes 2015), der 1977 unter gleichem Titel den Falls hat Laidlaw zwischen all den drohenden
eine Explosion? Fingerspitzengefühl. Sein Leichnam ist im modernen schottischen Kriminalroman be- Gangsterfehden und geballten Fäusten nicht
Revier von John Rhodes aufgefunden worden, gründet hat. Sir Ian Rankin, noch von Queen nur eine völlig unerwartete, aber schlüssige
dem Rivalen von Carters Boss Colvin, einem Elizabeth jüngst mit dem Order of the British Lösung für Bobby Carters schmähliches Ende
unzivilisierten Schläger, der den Mord als Empire ausgezeichnet (so geht man im Land gefunden. Laidlaw, heißt es in Das Dunkle
Anschlag auf sein Territorium betrachtet. Conan Doyles mit Kriminalschriftstellern bleibt, »ist ein Unikat in einer Welt der
So setzt der Chef der Crime Squad einen um), bekennt, ohne das Vorbild Laidlaw hätte Massenproduktion. Kein Polizist, der zufällig
besonderen Mann auf den Fall an: Detective er seinen weltberühmten Inspektor Rebus auch Mensch ist. Er ist ein Mensch, der zu-
Constable Jack Laidlaw. Der gilt als schlau, nicht erfunden. Jetzt hat er ein im Nachlass fällig auch Polizist ist, und die Bürde schleppt
hat sich aber vor allem Feinde im Polizeicorps seines Mentors gefundenes Manuskript ver- er überall mit sich herum.«
gemacht, weil er eigene Wege geht und mit vollständigt. McIlvanneys Witwe, die ihm den Dieses Lob gilt erst recht für die drei
seiner Verachtung dämlicher Kollegen nicht Job angetragen hat, ist begeistert, wie es dem anderen von McIlvanney verfassten Laidlaw-
hinter dem Berg hält. 24 Jahre Jüngeren in Das Dunkle bleibt gelun- Romane, die in der ungemein lebendigen
Laidlaw hat Ehefrau und drei kleine gen ist, die Atmosphäre der Siebzigerjahre und Übersetzung Conny Löschs im Kunstmann
Kinder, verzieht sich jedoch im Burleigh den Stil seines Vorbilds einzufangen. Verlag neu veröffentlicht worden sind. Mein
Hotel zu seiner Geliebten, wenn er an einem Der Roman wurde noch von McIlvanney Tipp: Lesen Sie alle! Den Roman Laidlaw von
Fall dran ist. Im Unterschied zu seinem Intim- als Prequel zu seinem Erstling Laidlaw von 1977, Die Suche nach Tony Veitch von 1983
gegner DI Milligan kennt sich Laidlaw mit 1977 konzipiert. 1972 ist der titelgebende und Fremde Treue von 1991.
Gangs aus, ist vertraut mit ihren Machtver- Detective 38, Polizist aus einer Arbeiter-
hältnissen, Revieren und Geschäften. Kurz, er familie, ein Intellektueller (er liest Kierkegaard
verfügt über die nötige street credibility, um und Platon), dabei Anti-Akademiker und William McIlvanney/
einem Bandenkrieg zuvorkommen zu kön- Mann der Straße mit eigenem innerem Kom-
Ian Rankin:
nen. Auf den ersten Blick ist dies also eine pass. Ihm ist das Gesetz schnuppe, auch wenn Das Dunkle bleibt.
traditionelle Geschichte aus dem längst da- er es befolgen muss. Als Polizist, der wie ein A. d. Engl. v. Conny Lösch;
hingeschiedenen Glasgower Gangstermilieu. privater Ermittler seinen eigenen Pfad der Antje Kunstmann Verlag,
Aber Das Dunkle bleibt ist von zwei Titanen Gerechtigkeit sucht, steht Laidlaw am Anfang München 2022; 288 S.,
der Kriminalliteratur verfasst. Laidlaw ist eine einer langen literarischen Reihe. 25,– €, als E-Book 19,99 €
Zurück in die Zukunft
1947 beschäftigte sich Dorothy B. Hughes in ihrem Krimi »Ein einsamer Ort«
mit Männlichkeitsbildern. 75 Jahre später trifft sie damit den Zeitgeist VON EVA SAGER
Der Krimi in den Vierzigerjahren ist voller Män- Nachkriegswelt, der er sich unendlich über- aufbrausende Liebe aber nicht erwidern will
ner. Sie morden, sie kombinieren, sie decken auf. legen fühlt und die er gleichzeitig fürchtet. und damit seinen Zorn auf sich lenkt. Am
Den Frauen bleibt da nur noch das Sterben. Bei All das entlädt sich in seinem unbändigen Schluss ist es genau dieses Duo, Sylvia und
Dorothy B. Hughes’ Buch Ein einsamer Ort ist Frauenhass. »Sie waren alle gleich. Betrü- Laurel, das Dix wirklich durchschaut. Wahr-
das anders. Mit diesem erschreckend zeitlosen gerinnen, Lügnerinnen, Huren. Selbst die scheinlich gerade weil sie das tun, was Dix an
Kriminalroman wurde sie zu einer – vielfach Frommen warteten nur auf die Gelegenheit, Frauen so verabscheut – sie fragen nach, sind
vergessenen – Pionierin des amerikanischen zu betrügen, zu lügen, herumzuhuren. Sie neugierig und tratschen. Das macht das Ende
Noirs. Schon 1947 verwirft sie die festgefahrenen hatten es ihm bewiesen, wieder und immer umso zufriedenstellender, prognostiziert Dix
Geschlechterrollen des Genres, das mit einem wieder. Anständige Frauen gab es nicht.« doch noch selbstsicher, niemals werde ihm ein
besonders pessimistischen und gewalttätigen Jeden Monat sucht sich Dix daher ein Fehler unterlaufen.
Blick auf die Welt seine Akteure und deren neues weibliches Opfer, vergewaltigt und er- Ein einsamer Ort ist ein Kriminalroman,
Entwicklung in den Mittelpunkt stellt. Die würgt es. Hughes macht Dix zu einer perso- der auch 75 Jahre nach seiner Veröffent-
Darstellung ihres Hauptcharakters, Dix Steele, nifizierten Form von toxischer Männlichkeit, lichung, oder vielleicht besonders jetzt, funk-
prägte die Figur des Serienmörders für die kom- in einer Zeit, die für dieses Verhaltensmuster tioniert. Es ist der nüchterne Stil, der Klischees
Foto: Christian Werner (aus dem Buch »Die Raststätte«, Hanser Verlag)
menden Jahrzehnte. noch gar keine Begrifflichkeit kennt. Während und Konventionen trotzt und das Buch bis
Dix, ein ehemaliger Kampfpilot, hat sich die Polizei im Dunkeln tappt, nähert sich Dix zur letzten Seite spannend bleiben lässt. Kein
unter dem Vorwand, ein Buch zu schreiben, seinem ehemaligen Freund aus Kriegstagen, feministisches Feuerwerk, das möchte Ein ein-
nach Los Angeles abgesetzt und führt dort Brub, an. Brub ist mittlerweile Ermittler in samer Ort auch nicht sein, aber dennoch ein
mit der spärlichen finanziellen Unterstützung der Mordkommission des L.A. Police Depart- kleiner wohltuender Lichtblick aus einer ver-
seines Onkels ein eigenbrötlerisches Leben. ment und versucht, den anhaltenden Frauen- gangenen Zeit, in der sonst vor allem Männer
Er vermisst die Aufgeregtheit und Rohheit morden ein Ende zu setzen. Dix genießt das ermitteln durften.
des Krieges und verachtet das bürgerliche Risiko, das mit der Freundschaft zu Brub
Leben mit all seinen Zwängen, das nun statt- verbunden ist, wähnt sich in seiner naiven
dessen seinen Alltag dominiert. Hughes ver- Überheblichkeit in Sicherheit, genießt es so- Dorothy B. Hughes:
steht es, gesellschaftliche Phänomene und die gar, mit der Polizei zu wetteifern. Nur Brubs Ein einsamer Ort.
individuelle Psyche in ein präzises Verhältnis Frau, Sylvia, ist ihm ein Dorn im Auge. Ihr Kriminalroman; a. d. Engl.
zu setzen. Sie erzählt die Geschichte aus Dix´ scharfer Verstand und ihre neugierigen Fragen v. Gregor Runge; Atrium
Perspektive, einem Kriegsveteranen, der sich bereiten ihm Sorgen. Und dann ist da noch Verlag, Hamburg 2022;
ohne seinen Kampfjet seiner Freiheit und Laurel, seine wunderschöne Nachbarin, in die 256 S., 22,– €,
seiner Männlichkeit beraubt sieht, in einer er sich Hals über Kopf verliebt, die seine als E-Book 17,99 €
Faller, Ulrich Greiner, Jana Hensel, Dr. Gunter Hofmann, Jens Jessen,
Rüdiger Jungbluth, Dr. Navid Kermani, Alard von Kittlitz, Angela
Mittelost-Redaktion: Lea Frehse, Rue Liban, Gemayzeh,
Beirut, E-Mail: lea.frehse@zeit.de
Rebekka Wiese Wochenende: Maris Hubschmid (Leitung), Viktoria
Morasch, Friederike Oertel, Michael Schock, Lars Spannagel ZEIT-LESERSERVICE
Köckritz, Dr. Wolfgang Lechner, Georg Löwisch, Ursula März, Pekinger Redaktion: Xifan Yang, Guangming Plaza 1501, ZEIT Campus Online: Amna Franzke (verantw. Online), Martina Kix
Dr. Susanne Mayer, Anna von Münchhausen, Gero von Randow, Liangmaqiao Rd 42, Chaoyang, Beijing (verantw. Print), Laura Binder, Berit Dießelkämper, Christoph Farkas
Roberto Saviano, Christian Schmidt-Häuer, Jana Simon, E-Mail: xifan.yang@zeit.de (P), Katharina Meyer zu Eppendorf (P), Nina Piatscheck (P), Cathrin Leserbriefe
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Moskauer Redaktion: Michael Thumann, Jakob Pontius, Caroline Rosales, Sara Tomšić, Fiona Weber-Steinhaus, Magazine und Neue Geschäftsfelder: Sandra Kreft
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DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022 FEUILLETON 63

Krimi-Spezial

Der Journalist
Ulrich Wickert war
viele Jahre ARD-
Korrespondent in
New York und Paris,
bevor er von 1991 bis
2006 die »Tagesthemen«
moderierte. Er hat
zahlreiche Sachbücher
geschrieben, seit 2003
auch die erfolgreiche
Jacques-Ricou-Krimireihe.
Am 2. Dezember feiert
er seinen 80. Geburtstag.
Das Foto zeigt ihn 1991
bei einem Café au Lait
Foto: Wolfgang Kühn/dpa

in einer Pariser Bar

» PA R I S I S T E I N S U M P F«
Ulrich Wickert hat seinen siebten Jacques-Ricou-Krimi geschrieben. Ein Gespräch mit dem Journalisten über die französische Leidenschaft
für Essen und Affären, seine literarischen Vorbilder und den größten Fehler in den Sherlock-Holmes-Romanen

DIE ZEIT: Herr Wickert, Ihre Kriminalromane
spielen in Frankreich – und es wird in ihnen stän-
dig gegessen. Im einfachen Bistro oder im Edel-
restaurant von Alain Ducasse, immer Foie gras,
Côte de bœuf, Saint-Jacques-Muscheln mit Trüf-
feln, Champagner und Calvados. Schmeckt das
nicht nach zu viel Pariser Klischee?
Ulrich Wickert: Überhaupt nicht, das ist vollkom-
men realistisch. Vieles läuft in Frankreich beruflich
über persönliche Kontakte – und die kommen bei
einem guten Essen in Gang oder werden dabei be-
kräftigt. Der Kontakt in Frankreich lebt einfach
vom Essen, das habe ich immer so wahrgenommen.
ZEIT: Soeben ist Ihr siebter Kriminalroman ver-
öffentlicht worden: Die Schatten von Paris erzählt
von einem neuen Fall Ihres Helden, des Unter-
suchungsrichters Jacques Ricou. 2003 erschien der
erste Band Ihrer Reihe. Wie sind Sie eigentlich als
Fernsehjournalist und Sachbuchautor ausgerechnet
auf das Krimigenre gekommen?
Wickert: Ich wollte schon immer Krimis schreiben,
seit ich Anfang der Sechzigerjahre als Student in
Amerika war und begeistert Raymond Chandler
und Ross Macdonald gelesen habe. Ich trug den
Plan ein Journalistenleben lang mit mir herum,
man hat ja so Träume. Und irgendwann hatte ich
dann auch genug Sachbücher geschrieben, also
sagte ich mir: Jetzt probierst du endlich mal einen
Krimi. Mein damaliger Verleger war entsetzt ...
ZEIT: Und der Krimi sollte von Anfang an in
Frankreich spielen? Sie waren vor Ihrer Zeit als
Mr. Tagesthemen viele Jahre dort ARD-Korres-
pondent.
Wickert: Idee und Stoff beruhten auf realen
französischen Vorfällen. Aber vor allem gibt es
dort einen speziellen Beruf, der anders als ein
Kommissar oder Privatdetektiv originell war für
eine Krimihauptfigur: den Untersuchungsrichter.
Er ist unabhängig, anders als ein deutscher Staats-
anwalt, nicht an Weisungen gebunden und hat
ziemliche Macht, kann zum Beispiel alles durch-
suchen lassen. So jemand wurde dann Jacques
Ricou.
ZEIT: Die Deutschen lieben ja das französische
Flair in Krimis, bei Ihnen oder auch bei den Breta-
gne-Krimis von Jean-Luc Bannalec. Was sagen
denn Ihre Freunde jenseits des Rheins zu Ihren
Büchern?
Wickert: Eine typische Reaktion von ihnen: »Du
kennst Frankreich wirklich sehr gut.« Leider wer-
den sie nicht übersetzt, ein französisches Publikum
will sich sein Land hinsichtlich der Verbrechen
nicht ausgerechnet von einem Deutschen erzählen
lassen. Ich bin mit Roland Dumas befreundet, dem
ehemaligen Außenminister unter Präsident Mitter-
rand. Er ist gerade 100 Jahre alt geworden, und
ihm schicke ich regelmäßig meine Bücher, weil er
immer fragt, ob er drin vorkommt – was tatsäch-
lich passiert, beschwert hat er sich noch nie. Er hat
mir schon Hinweise gegeben für meine zu lösenden
Fälle, diese beruhen ja bei mir oft auf realen
Vorkommnissen, jedenfalls als Ausgangsbasis oder
zumindest für das Kolorit meiner Ricou-Bücher.
ZEIT: Apropos Kolorit: Sie leben in Hamburg –
hätten Sie auch einen Hamburg-Krimi schreiben
können?
Wickert: Ach, wissen Sie: Auch im Verbrechen
sind die Deutschen eher nur Mittelmaß. Gesell-
schaftlich ist Frankreich eine viel reizvollere Bühne.
Ex-Präsident Nicolas Sarkozy läuft mit einer Fuß-
fessel herum – Christian Wulff oder Roman
Herzog mit Fußfessel? Unvorstellbar! Es läuft
gerade noch ein Verfahren gegen Ex-Premier
Balladur, Sarkozys Innenminister sitzt im Gefäng-
nis. Chirac ist verurteilt worden, zweieinhalb Jahre
auf Bewährung nach seiner zweiten Amtszeit, die
Geldstrafe hat seine Partei bezahlt.
ZEIT: Die Pariser Gesellschaft in Ihren Romanen
ist sehr eng miteinander: Journalistinnen, Kommis-
sare, Minister, Beamte, man trifft sich in Bistros,
geht etwas trinken oder miteinander ins Bett –
übertreiben Sie da nicht doch?
Wickert: Paris ist ein Sumpf. Jeder kennt wirklich
jeden. Und zwischen 17 und 19 Uhr hat man
traditionell schnell mal ein Techtelmechtel, wie es
so heißt.
ZEIT: Jacques Ricou ist in dieser Hinsicht lebhaft,
seine Freundin, die Journalistin Margaux, aber ge-
nauso. Ist das wieder ein spezielles Paris-Klischee?
Wickert: Alles höchst realistisch. Es ist schon sehr
speziell französisch, der Umgang mit privater
und öffentlicher Moral dort, das hat sich nicht
großartig verändert, allen Skandalen zum Trotz.
Die gesellschaftlichen Normen sind doch etwas
anders als in Deutschland. Schauen Sie sich Präsi-
dent Sarkozy an, der das Topmodel Carla Bruni
heiratet – was wäre hierzulande los gewesen!
Oder Präsident Hollande, der auf dem Motor-
roller zu seiner Geliebten braust, einer Schau-
spielerin. Chiracs Chauffeur hat berichtet, wo
der Präsident in der Nacht von Lady Dis Tod war
– nicht bei seiner Frau. Die Mutter von Mitter-
rands unehelicher Tochter hat tausend Seiten
Liebesbriefe von ihm veröffentlicht. Macron ist
die große Ausnahme. Nur Charles de Gaulle war
ähnlich gestrickt.
ZEIT: Verändert sich nicht gerade das Verhältnis
von Justiz und Politik in Paris? Ist Ihr mutiger
Jacques Ricou hierfür ein Prototyp?
Wickert: Also, sie arbeiten dort immer noch 20
Jahre alte Fälle auf. Es geht unglaublich langsam.
Und Macrons Chef des Élysée hat ein Verfahren
am Hals, der Justizminister ebenso. Er hatte einen
Finanzminister, der keine Steuern bezahlt hatte
und dazu sagte, er hasse die Bürokratie; er musste
aber zurücktreten. Vielleicht verändert sich etwas,
aber es dauert – der Stoff geht mir also nicht aus.
ZEIT: Jacques Ricous neuer Fall ist wieder einmal
sehr gegenwärtig – MeToo und Corona, die beruf-
liche Revolution durch Videokonferenzen spielt
eine große Rolle.
Wickert: Es soll bei mir immer möglichst aktuell
zugehen. Und ich recherchiere für meine Bücher
auch intensiv. Als ich vor einem Jahr mit meiner
Frau in Paris war, sind wir extra nach Belleville ge-
fahren, ein wichtiger Schauplatz für mein Buch –
ich wollte genau schauen, wie sich das Viertel ver-
ändert hat. Die Straßenzüge im Roman, die La-
denschilder, sie stimmen genau mit der Realität
überein – ich bin den Weg, der dort vorkommt,
abgelaufen. Die Kleinigkeiten müssen stimmen.
ZEIT: Haben Sie Vorbilder als Krimiautor?
Wickert: Raymond Chandler ist für mich immer
noch der Allergrößte. Von den heutigen finde ich
James Ellroys Bücher faszinierend – natürlich viel
brutaler, aber auch voll realem Leben, voller gesell-
schaftlicher Konflikte. Reine Familiendramen
würden mich heute langweilen.
ZEIT: Was schätzen Sie an Chandler?
Wickert: Er schildert nicht nur die Suche nach dem
Verbrecher, sondern bei ihm ist immer auch das
Leben, der ganze Typ wichtig. Sein Detektiv Philip
Marlowe ist für mich der James Bond der Kriminal-
literatur: immer cool, auch wenn nicht immer
gleich alles glattläuft, auch nicht mit den Frauen.
Manchmal wird auf ihn eben geschossen. Und das
Leben in Kalifornien wird großartig eingefangen
bei Chandler. The Big Sleep, The Lady in the Lake,
The Little Sister ... einfach toll! Humphrey Bogart
hat Marlowe ja genial im Film verkörpert.
ZEIT: Welche Krimiautoren werden Ihrer Mei-
nung nach zu wenig beachtet?
Wickert: Sie müssen unbedingt Lawrence Block
lesen, der Amerikaner ist hierzulande unglaub-
licherweise noch immer viel zu unbekannt. Er ist
sehr new-yorkerisch und fasziniert mich seit mei-
ner Zeit als Korrespondent dort in den Achtziger-
jahren. Er hat mehrere Reihen vorgelegt, schreibt
unglaublich viel. Einer seiner Hauptfiguren, dem
Ex-Polizisten Matthew Scudder, der auch mal
Alkoholiker war, habe ich für mein Schreiben viel
zu verdanken.
ZEIT: Der Germanist Richard Alewyn hat in den
Sechzigerjahren die These aufgestellt, dass der
Kriminalroman den Aufklärungsprozess allego-
risiert: Es gibt das Verbrechen, das Dunkle, aber
dann bringt der Kommissar jedes Mal aufs Neue
die Welt wieder in Ordnung. Letztlich eine
Gattung, die beruhigen soll. Finden Sie nicht
auch?
Wickert: Interessant, dass Sie auf Alewyn zu spre-
chen kommen. Den habe ich als Student in Bonn
kennengelernt. Sie können sich vorstellen, dass er
es als jüdischer Emigrant, der nach Deutschland
zurückgekehrt war, schwer hatte. Nun, natürlich
braucht jeder richtige Krimi die Aufklärung. Aber
ich glaube, die Gattung verträgt es, wenn trotzdem
eine Irritation übrig bleibt, ein kleiner Schmerz,
das unruhige Gefühl, dass wir vielleicht nicht im-
mer ans Ziel kommen mit unserer Aufklärungs-
arbeit. Zumindest versuche ich so etwas in meinen
Krimis.
ZEIT: Warum hatten Sie eine Pause von sieben
Jahren mit Ihren Krimis eingelegt?
Wickert: Ich musste ja so viele andere Sachen
schreiben – unter anderem ein Kinderbuch mit
meinen beiden Kindern. Ich arbeite eigentlich
immer sehr gerne an mehreren Projekten gleich-
zeitig.
ZEIT: Aber die Lust am Schreiben von Kriminal-
literatur hat nach dieser Wegstrecke nicht auf-
gehört?
Wickert: Nein, nein, überhaupt nicht! Mir ist ja
immer wieder etwas eingefallen, ich bin immer
wieder auf lohnende französische Vorfälle gesto-
ßen – das wird weitergehen.
ZEIT: Und wann lassen Sie Jacques Ricou sterben?
Wickert: Niemals! Man darf solche Figuren nie
sterben lassen. Das war der größte Fehler von
Arthur Conan Doyle, als er das mit Sherlock
Holmes machte – und ihn dann auf Druck der
Fans wiederauferstehen lassen musste. Das wird
mir nicht passieren.
Das Gespräch führten
Alexander Cammann und Adam Soboczynski
Ulrich Wickert:
Die Schatten von Paris.
Ein Fall für Jacques Ricou;
Piper Verlag, München 2022;
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112031_ANZ_371x132_X4_ONP26 1 21.10.22 14:07

64
Der Berliner Rabbiner Walter Homolka äußert sich erstmals zu Vorwürfen des Machtmissbrauchs und der Vertuschung von sexueller Belästigung. Hat er
ein Klima der Angst erzeugt? Und was wird aus seinen Verdiensten um das liberale Judentum in Deutschland? GESPRÄCH: EVELYN FINGER, FOTO: GENE GLOVER
DIE ZEIT: Herr Homolka, Sie sind in einer un-
freiwilligen Auszeit. Seit Mai lassen Sie mehrere
hohe Ämter innerhalb der jüdischen Gemeinschaft
ruhen, unter anderem als Rektor des Abraham
Geiger Kollegs in Potsdam und als Vorsitzender
des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerks in Berlin.
Was machen Sie momentan?
Walter Homolka: Ich bin im Freisemester. Aber Sie
können sich vorstellen, dass die Aufklärung der
zahlreichen Vorwürfe gegen mich die meiste Zeit
in Anspruch nimmt. Ich bin vor allem damit
beschäftigt, unwahren Beschuldigungen des
Machtmissbrauchs und der sexualisierten Belästi-
gung vehement entgegenzutreten – und sie auch
verbieten zu lassen.
ZEIT: Sie sind einer der bekanntesten jüdischen
Intellektuellen in Deutschland. Dank Ihrer Initia-
tive gibt es seit 1999 wieder eine Rabbinerausbil-
dung in Deutschland. Wie geht es Ihnen damit,
von Ihren Ämtern befreit zu sein?
Homolka: Ich weiß meine Aufgaben in guten
Händen, auch die Ehrenämter, und das beruhigt.
Es ist ja nicht so, dass ohne mich nichts ginge.
Wenn nun nicht mehr alles auf meinen Schultern
lastet, empfinde ich das auch als Befreiung.
ZEIT: Sie empfinden es nicht als Demütigung?
Homolka: Natürlich bin ich empört über die 15
Seiten schlecht oder gar nicht belegter Vorwürfe
gegen meine Person, die ein Professorenkollege
aufgelistet und im Januar als Beschwerde an die
Universität Potsdam gerichtet hat. Außerdem hielt
Professor Jonathan Schorsch es offenbar für gut,
mit den Vorwürfen gleich auch an die Öffentlich-
keit zu gehen. Ein Journalist der Welt dichtete mir
sogar sexuelle Belästigung an. Dagegen habe ich
mehrere einstweilige Verfügungen erwirkt. Dieser
Vorwurf darf nicht mehr erhoben werden.
ZEIT: Dennoch wurde er jetzt von der Universität
Potsdam geprüft. In einer unabhängigen Untersu-
chung, deren Ergebnis gestern veröffentlicht
wurde, heißt es: »Aus den Befragungen haben sich
keine Anhaltspunkte ergeben, dass Herr Professor
Homolka selbst an einer sexuellen Belästigung
Studierender beteiligt war.« Das Fazit dazu lautet:
»Nicht nachweislich bestätigt haben sich Vorwürfe
der Duldung sexuell belästigenden Verhaltens sei-
tens seines Lebenspartners.« Sind Sie erleichtert?
Homolka: Nein. Erstens ging es in dieser Studie
hauptsächlich um andere Themen, insbesondere
meine Amtsführung. Zweitens bin ich kein Ver-
tuscher und kein Belästiger, das war also klar. Aber
bei solchen schwerwiegenden Vorwürfen gilt, auch
wenn sie durch eine Studie entkräftet werden: Es
bleibt etwas hängen. Sie ohne Beweise öffentlich
zu verbreiten, das war Rufmord.
ZEIT: In der Studie stellt sich das aber anders dar.
Sie werden nicht als Opfer eines Skandals be-
schrieben, sondern am Ende steht das harte Urteil:
Gegen Sie hätten sich »bislang die Vorwürfe des
Machtmissbrauchs durch Ämterhäufung, durch
Schaffung problematischer Studien- und Arbeits-
verhältnisse und durch Karriereeingriffe bestätigt«.
Homolka: Ja, ich war Chef und hatte Macht.
Doch Machtgebrauch ist nicht schon Machtmiss-
brauch. Und über Karrieren habe niemals ich
allein entschieden, das waren stets Gremien. Deren
Strukturen waren vielleicht nicht ideal und sind
nun zu erneuern. Doch mich wundert, dass sich
jahrzehntelang niemand daran störte, dass ich
viele, meist arbeitsintensive Ämter bekleidete. Das
Fazit der Studienmacher erstaunt mich wirklich,
denn zuvor erklären sie zu meinen Gunsten:
»Diese Anhäufung von einflussreichen Ämtern
(und öffentlichen Ehrungen) wird man als solche
nicht schon als Machtmissbrauch zu bewerten
haben.« Und: »Hinter einer Ämterhäufung steckt
nicht notwendigerweise eine böse Absicht.« In
meinem Fall sei sie dadurch erklärbar, »dass Herr
Professor Homolka in der entsprechenden Fach-
öffentlichkeit als Hauptvertreter des liberalen
Judentums in Deutschland gilt und sich wie kein
anderer für dessen Neuaufbau in Deutschland
engagiert hat«. Lesen Sie es nach!
ZEIT: Das haben wir getan. Da steht zum Beispiel,
»dass es ein Klima der Angst gab« und Studierende
Furcht hatten, Ihnen zu widersprechen. Können
Sie das nachvollziehen?
Homolka: Ja, denn Versagensängste lassen sich nie
ganz ausräumen. Nein, denn ich schätze das offene
Wort. Mir muss keiner nach dem Mund reden.
Für Angst gab es also keinen rationalen Grund.
Man erfährt in der Studie auch nicht, wie viele
Studierende in welcher Sache zu Wort kamen.
Waren es die vielen, die unproblematisch durchs
Studium gingen? Oder die wenigen, die Schwie-
rigkeiten mit den Anforderungen hatten?
ZEIT: Ihnen wird vorgeworfen, Sie hätten die Ver-
längerung von Arbeitsverhältnissen von loyalem
Verhalten abhängig gemacht. Stimmt das?
Homolka: Das ist nicht richtig. Richtig ist, dass ich
von Mitarbeitern Loyalität erwarte.
ZEIT: Es ist Monate her, dass Vorwürfe gegen Sie
aufkamen. Sind Sie sich einer Schuld bewusst?
Homolka: Wenn Sie die Vorwürfe der sexualisier-
ten Belästigung, der Vertuschung, des Machtmiss-
GLAUBEN & ZWEIFELN
»Das war Rufmord«
Rabbiner Walter Homolka
Der Professor Der Beschuldigte
Sein Vater war katholisch, seine Mutter Seit dem 6. Mai lässt er seine Ämter
evangelisch. Mit 17 trat er zum ruhen, auch den Vorsitz der »Union
Judentum über. Heute lehrt er progressiver Juden in Deutschland«.
Jüdische Religionsphilosophie der Ihm wurden Machtmissbrauch und
Neuzeit und gehört der Allgemeinen Vertuschung vorgeworfen, die zuerst in
Rabbinerkonferenz Deutschland an. der »Welt« öffentlich wurden.
brauchs und der Bereicherung meinen: Nein! det hat. Wahr ist, es gab den Clip. Ich erfuhr da-
Trotzdem gibt mir die Vehemenz der Kritik zu von aber erst, als der Student, ein verheirateter
denken. Da ist ein Konflikt, der mit mir zu tun Familienvater, den Vorfall beim Kolleg und bei der
hat, und der muss gelöst werden. Polizei anzeigte. Deren Ermittlungen wurden
ZEIT: Was ist mit »emotionalen Ausbrüchen« und wegen Geringfügigkeit eingestellt. Eine interne
Anbrüllen. Stimmt das? Untersuchung des Kollegs dagegen endete mit der
Homolka: In 20 Jahren als Hochschullehrer in Abmahnung meines Ehemannes. Das reichte dem
Potsdam ist mir dieser Vorwurf nie gemacht wor- vorhin schon erwähnten Professor Schorsch jedoch
den. Ich bin impulsiv und für die Sache engagiert. nicht, wie er in einer Institutssitzung erklärte. We-
Aber ich brülle niemanden an. nig später reichte er sein Papier mit Beschuldigun-
ZEIT: Und was meint die Universitätskommission gen gegen mich bei der Uni ein, und das entwi-
mit »Karriereeingriffen«? ckelte eine Eigendynamik. Ich empfinde das
Homolka: Ich denke, da geht es um vier Studieren- Ganze als Kampagne, um mir zu schaden.
de, die am Abraham Geiger Kolleg nicht zur ZEIT: Sie und Ihr Partner sind also die Opfer?
Ordination zugelassen wurden. Wir haben in Homolka: Nein! Was mein Partner getan hat, war
einem Fall eine Relegation vorgenommen, natür- grundfalsch. Deshalb hatte es personalrechtliche
lich im Gremium. Der Mann hat seinen Abschluss Konsequenzen. Dass er nun seine Anstellung ver-
dann an einer anderen Ausbildungeinrichtung loren hat, wäre ihm nicht passiert ohne mich:
gemacht. Es gab zwei weitere Wechsel, auch in Meine Person wird skandalisiert.
diesen Fällen wurde die Ausbildung anderswo ZEIT: Wenn es alles eine Skandalisierung ist, wieso
beendet. Die Zulassung eines Rabbiners oder einer haben Sie dann zu den Vorwürfen aus dem
Rabbinerin ist kein Selbstläufer. Schorsch-Papier schriftlich Stellung genommen?
ZEIT: Wie erklären Sie sich die Häufung all dieser Homolka: Weil ich sie widerlegen möchte. Und
Vorwürfe? Immerhin werden sie von der Univer- weil ich mich verantwortlich fühle für den Ruf des
sität, vom Abraham Geiger Kolleg und von der Kollegs, seiner Studierenden, Absolventen und
Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger geprüft. Mitarbeiter.
Homolka: Alle Vorwürfe gehen letztlich auf einen ZEIT: Sie waren bislang auch Vorsitzender der
ersten zurück: Ich hätte vertuscht, dass mein Union progressiver Juden. Hatte ein junger Rabbi-
Lebenspartner, der auch am Kolleg arbeitete, einen ner eigentlich Jobchancen in Deutschland, wenn
pornografisches Clip an einen Studenten versen- er mit Ihnen nicht on good terms war?
Walter Homolka, 58, vergangene Woche in einem Park in Berlin. Dem Fotografen beantwortete
er freimütig Fragen zu dem seit Jahresbeginn schwelenden Skandal um seine Person
Die Prüfer
Die Beschuldigungen werden nun von
drei Experten-Gremien geprüft: von
je einer Kommission der Universität
Potsdam und des Abraham Geiger
Kollegs sowie von der Kölner
Anwaltskanzlei Gercke Wollschläger.
Homolka: Das ist eine böse Unterstellung. Erstens
entscheiden die Gemeinden selbst, welche Rabbi-
ner sie wollen. Zweitens ist es ein Vorzug unseres
Kollegs, dass wir allen unseren Absolventen eine
Jobperspektive bieten, ihnen aktiv bei der Suche
helfen – auch im Ausland. Ich fördere gern. Und
ich bedaure es wirklich, wenn Studierende mich
als einschüchternd empfunden haben. Im Nach-
hinein denke ich, ich hätte mir mehr Zeit für sie
nehmen sollen. Durch Gremienarbeit und Fund-
raising war ich oft unterwegs.
ZEIT: Können Sie Kritik ertragen?
Homolka: Es ist nicht die Frage, ob ich das kann,
sondern ich muss. Es gehört zur Tradition des
Judentums, dass dauernd Kritik geübt wird und
man Hierarchien infrage stellt. Im liberalen Juden-
tum, das ich vertrete und auch lehre, ist die Freiheit
des Denkens grundlegend. Da sagt nie nur einer,
wo es langgeht. Als Chef ist es mir oft egal, wie
etwas läuft, Hauptsache, es läuft! Allerdings sage
ich den Leuten meine Meinung. Vielleicht war ich
da zu rüde. Man muss als Rabbiner auch aufpas-
sen, dass man das Wohlwollen der Leute behält.
ZEIT: Und wie haben Sie es sich nun verscherzt?
Homolka: Ich hatte den aus den USA stammen-
den Professor Schorsch, der die Beschwerden ge-
gen mich zusammengetragen hat, kritisiert, weil er
selten vor Ort in Deutschland war, obwohl er hier
seinen Lehrauftrag hat. Das fruchtete zwar nicht,
wurde mir aber anscheinend übelgenommen.
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
ZEIT: Haben Sie Herrn Schorsch für seine
Behauptungen, die Sie ja alle bestreiten, belangt?
Homolka: Bislang nicht. Wir werden jetzt rechtli-
che Schritte gegen den Urheber prüfen.
ZEIT: Wurden Sie zu allen Vorwürfen, die durch
die Potsdamer Studie öffentlich werden, angehört?
Homolka: Ich bin auf die Vorwürfe aus dem
Beschwerdepapier von Schorsch schriftlich einge-
gangen und wurde danach einmal von der Kom-
mission der Universität befragt. Mit dem Fazit
ihrer Studie wurde ich erst am Dienstag, also am
Tag vor der Veröffentlichung der Studie konfron-
tiert. Geärgert hat mich, dass der Zentralrat der
Juden in Deutschland schon im Mai erklärte, wel-
che Konsequenzen man ziehen wolle, sollten sich
die Beschuldigungen bewahrheiten. Ich empfand
das als Attacke konservativer Kreise auf das liberale
Judentum. Und ich habe mich gefragt, ob es eini-
gen gelegen kam, dass ich plötzlich als machtgieri-
ger und sinistrer Mensch dastand. Mir wurde sogar
angekreidet, dass ich Konvertit bin, ja es wurde vor
einer »Arisierung« des deutschen Judentums
gewarnt. Absurd! Als liberaler Jude glaube ich, dass
man geistliche Leitungsämter übernehmen darf,
egal ob Mann oder Frau, hetero- oder homosexu-
ell, Jude von Geburt oder aus Überzeugung.
ZEIT: Nun hat auch der Zentralrat eine eigene
Studie in Auftrag gegeben, um die Vorwürfe gegen
Sie zu erforschen. Inwiefern ist er dazu berechtigt?
Homolka: Keine der Institutionen, die ich leite,
untersteht dem Zentralrat. Meine Mitarbeit an
dessen Studie kann deshalb nur freiwillig sein.
ZEIT: Die Studie wird von der Kölner Kanzlei
Gercke Wollschläger erstellt, die auch für das Erz-
bistum Köln gearbeitet hat. Nach Informationen
der ZEIT ist im Fragenkatalog der Kanzlei von
»sexualisierter Belästigung und/oder Gewalt« die
Rede, von Machtmissbrauch und Diskriminie-
rung. Haben Sie sexuelle Gewalt ausgeübt?
Homolka: Selbstverständlich nicht. Und die Richt-
linien zum Schutz vor Diskriminierung am
Arbeitsplatz an der School of Jewish Theology habe
ich als Geschäftsführender Direktor eingeführt.
ZEIT: Trotzdem könnten Sie dagegen verstoßen
haben. Gercke listet mehrere drastische Beispiele
auf. So sollen sie gegenüber einem Studenten eine
sexistische rassistische Bemerkung gemacht haben.
Homolka: Ich kann mich absolut nicht erinnern,
so etwas gesagt zu haben! Da steht auch, ich hätte
zur Gleichstellungsbeauftragten gesagt: Wenn ich
Sie sehe, kommt mir das Kotzen. – Das ist doch
völlig unglaubwürdig. So etwas hätte eine Gleich-
stellungsbeauftragte nicht auf sich beruhen lassen.
ZEIT: Da steht auch, Sie hätten Vertrauen und
Gehorsam eingefordert, »kraft Ihres Amtes«.
Homolka: Ich erwarte von Mitarbeitern, dass sie
vertrauensvoll zusammenwirken. Dabei überschrei-
te ich keine ethischen oder rechtlichen Grenzen.
ZEIT: Erschreckt Sie nicht die Schärfe der Fragen
im Gercke-Papier?
Homolka: Sie klingen für mich auf Deutsch nicht
schärfer als die ursprünglich auf Englisch formu-
lierten Vorwürfe von Professor Schorsch.
ZEIT: Haben Sie, wie es im Papier heißt, einen
Bewerber aus Rachsucht abgelehnt?
Homolka: Unsinn. Es gab zwei gleichermaßen
geeignete Bewerber, und wir haben der Frau den
Vorzug gegeben. Dabei haben wir uns an die
Regelung der Universität gehalten, dass bei gleicher
Eignung Frauen zu bevorzugen sind. Im Klartext:
Weder bevorzuge noch benachteilige ich Frauen,
sondern ich halte es für selbstverständlich, den
Anteil weiblicher Lehrkräfte an der Universität
erhöhen zu helfen – wenn die Qualifikation stimmt.
ZEIT: Haben Sie einen Rabbinatskandidaten
bedroht, ihn zu outen?
Homolka: Das ist eine besonders perfide Unter-
stellung. Der junge Mann, um den es hier wohl
geht, war homosexuell, und das wusste jeder. Da
gab es nichts zu outen. – Dass ich immer wieder
meine Unschuld beweisen muss, das ist schon eine
Umkehrung des Rechtsstaatsprinzips.
ZEIT: Wie geht es für Sie nun weiter?
Homolka: Es gibt kein Zurück in die Zeit vor den
Beschuldigungen. Der Reputationsschaden, auch
im Ausland, ist da. Mir ist klar: Wenn man etwas
schafft im Leben, dann hat man auch Neider.
Mich schmerzt jedoch der homophobe Touch des
ganzen Skandals. Aber ich möchte jetzt einen Weg
in die Zukunft finden.
ZEIT: Und wie?
Homolka: Zunächst soll ich meinen Dienst an der
Uni wieder aufnehmen. Am 7. Mai hatte ich mich
auf eigenen Wunsch freistellen lassen. Am 25. Ok-
tober, also am Dienstagabend, informierte mich der
Potsdamer Universitätspräsident, dass diese Frei-
stellung beendet sei und ich meine Dienstpflichten
wieder aufzunehmen habe. Gleichzeitig bekam ich
den Bericht der Untersuchungskommission.
ZEIT: Wie geht es Ihnen damit?
Homolka: Im Augenblick bin ich noch voll kon-
zentriert dabei, den Vorwürfen entgegenzutreten.
Das erfordert meine ganze Kraft. Fragen Sie mich
noch mal nach meiner seelischen Verfassung,
wenn alles vorbei ist.
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

ENTDECKEN

Wann wird man je versteh’n?

Foto: Alexandra Polina für DIE ZEIT

»Ich komme aus dem Krieg und bin am Ende meines Lebens wieder im Krieg gelandet«, sagt der Liedermacher
Wolf Biermann. Ein Gespräch über Pazifismus und seine Grenzen VON GEORG LÖWISCH UND ANDREAS ÖHLER
66
»Melancholie ist der Überlebenskampf, den ein kluges
Herz wagen muss: Der Widerspruch zwischen begründeter
Verzweiflung und begründeter Hoffnung«
Donnerstagmittag zu Hause bei Wolf Biermann
in Hamburg-Altona, er geht schnell noch raus in
den Garten, einen Apfel pflücken. Man schaut
sich solange im Wohnzimmer um, dessen Ein-
richtung aus dem Leben des Dichters besteht: die
Kisten, in denen die DDR ihm sein Hab und
Gut hinterherschickte, nachdem sie ihn 1976
ausgebürgert hatte, was einen Skandal auslöste.
Das Foto seines Vaters Dagobert, Jude und Kom-
munist, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde.
Ein Flügel, Gitarren, ein Spielzeugbagger seiner
Enkelin. Bilder vom Liedermacher selbst, auf
denen er mal ernst dreinblickt, mal glücklich
tanzt. Auf einem Fensterbrett zwei Skulpturen,
der einen hat er eine Tarnjacke angezogen und
einen Stahlhelm aufgesetzt. Früher wurden seine
Lieder auf Ostermärschen gesungen, 1991 brach
er endgültig mit der Friedensbewegung, als er für
den Irakkrieg eintrat. Krieg und Frieden, daran
hat Biermann, 85 Jahre alt, sich in Liedern und
Gedichten abgearbeitet wie wenige, ihretwegen
sind wir hier. Er serviert uns den Apfel – »ganz
alte Sorte« – in Schnitze zerteilt auf einem
Brettchen. Es kann losgehen.
DIE ZEIT: Herr Biermann, können Sie uns
sagen, wo die Blumen sind?
Wolf Biermann: Die blühen blutig in der Ukrai-
ne. Daher kommt wohl das Original, das der
Folksänger Pete Seeger in die amerikanische
Sprache gezottelt hat.
ZEIT: Pete Seeger erzählte, er sei zu dem Anti-
kriegslied Where Have All the Flowers Gone in
den Fünfzigerjahren von einem Kosakenlied
inspiriert worden, das er in dem sowjetischen
Roman Der stille Don gelesen hatte: Kosaken
sangen es in Südrussland und der Ukraine.
Biermann: Russisch oder ukrainisch, wie auch
immer. Es ist ein weltweiter Friedensschlager
geworden. Im Grunde sehr schlicht. Es teilt uns
nur mit, dass Frieden schöner ist als Krieg.
ZEIT: In dem Song wird auch die Frage formu-
liert: »Wann wird man je versteh’n?« Haben Sie
eine Antwort?
Biermann: Ich hätte ganz andere Fragen. Wer
führt da Krieg gegen wen? Und warum? Dann
reicht eben so eine allgemeine Aussage, dass
man Frieden schöner findet als Krieg, nicht
mehr aus.
ZEIT: Ist diese Aussage nicht wichtig?
Biermann: Ja, aber sie ist nicht hinreichend.
Diese Auseinandersetzung führte ich bereits mit
der Friedensbewegung nach 1976. Ich kam aus
einer Diktatur und hatte einen anderen Frieden
im Sinn als die linksalternativen Friedens-
kämpfer hier im Westen. In der Bundesrepublik
sangen junge Leute mein Lied Soldat, Soldat in
grauer Norm und dachten, dass da auch nichts
anderes steht, als dass Frieden besser ist als Krieg.
ZEIT: Ist es kein pazifistisches Lied?
Biermann: Nein, nie gewesen. Beim genauen
Hinhören ist klar, dass ich einen Widerhaken in
diese Friedensfreudigkeit eingefügt habe. Ich
singe nämlich nicht nach den ersten beiden
Zeilen: »Soldat, Soldat in grauer Norm / Soldat,
Soldat in Uniform / ... / Soldaten sind sich alle
gleich, lebendig und als Leich«, sondern: »seh’n
sich alle gleich«. Wesen und Erscheinung sind
eben nicht identisch.
Er intoniert das Lied nur kurz. Die Gitarre lehnt
neben seinem Sessel, manchmal spielt er während
des Gesprächs auf den Saiten.
ZEIT: Was unterscheidet Soldat von Soldat?
Biermann: Alle Soldaten sind zum Töten aus-
gebildet. Das heißt aber noch lange nicht, dass
alle Soldaten Mörder sind. Es gibt Soldaten, die
gezwungen werden zu morden, die missbraucht
werden und selbst Opfer sind. Es gibt verschie-
dene Töter unter den Soldaten, man kann sie
nicht alle gleich bewerten. Und die Frage ist
natürlich, wofür kämpft ein Soldat? Für Frei-
heit und Menschenrechte, für die Demokratie
oder für eine Diktatur?
ZEIT: Sie selbst waren nie Soldat, oder?
Biermann: 1962 lebte ich schon neun Jahre lang
in der DDR und kriegte eine Aufforderung zur
Musterung für die Nationale Volksarmee. Ich
überlegte, ob ich hingehen soll. Ein Pazifist war
ich nie. Ich hatte aber gar keine Lust auf Uni-
form.
ZEIT: Warum nicht?
Biermann: Weil ich lieber nackt im Bett mit
meiner Flamme fliegen wollte und mit unserem
Berichtigung
In der Ausgabe 38 vom 15. September ging es an dieser Stelle um die wachsende Zahl von Hunden in Deutschland und die
Probleme, die sie mit sich bringen. Dabei wurde auch von einer Hightech-Methode berichtet, mit der die Stadt Tel Aviv
gegen unliebsame Hinterlassenschaften vorgehe: »Dort sind alle Hunde in einer DNA-Datenbank eingetragen, liegengelassener
Kot auf der Straße wird per Stuhlprobe zum Täter zurückverfolgt.« Tatsächlich handelt es sich lediglich um ein Vorhaben, die
Verordnung der Stadtverwaltung aus dem Sommer 2021 wurde noch nicht umgesetzt. Wir bedauern den Fehler.
Söhnchen friedlich spielen. Also ging ich zu
Hanns Eisler und bat ihn um Rat.
ZEIT: Sie fragten den Komponisten der DDR-
Nationalhymne, ob Sie sich vorm Armee-
dienst drücken sollen?
Biermann: Ich bewunderte ihn und traute
ihm. Der Eisler überlegte eine Weile und sagte
dann mit subversivem Lächeln: »Gehen Sie
hin, schaden kann’s nicht. Sie lernen dort im-
merhin schießen, und auf wen Sie schießen,
das wird sich später noch zeigen.«
ZEIT: Es gibt ein Lied aus dem Jahr 1960,
darin raten Sie einem jungen Menschen, den
Militärdienst zu leisten. Wie passt das zu-
sammen?
Biermann: Im Grunde habe ich mein eigenes
Problem mir zurechtgedichtelt und zersun-
gen.
Wolf Biermann im Jahr 1976 ...
Jetzt singt er die Zeilen. Er dehnt manche Wörter,
als wollte er sich selbst parodieren.
Biermann: »Mein Junge, du fragst mich, / ob du
zu den Soldaten gehen sollst. / Selbst die dich
darum baten, / würden’s dir nicht raten.« Also
ein Lied gegen das Soldat-Werden. »Mein Jun-
ge, du fragst mich, / ob Panzerfahren schwer ist.
/ Du rollst durch Menschen und Saaten, / dazu
ist schwer zu raten.« Um aber noch die real-
sozialistische Kurve zu kriegen, verkroch ich
mich schlau in die letzte Strophe: »Mein Junge,
es gibt Herrn, / die rüsten für den Krieg / gegen
die Arbeiterstaaten, / drum kann ich dir nur ra-
ten, / geh zu unseren Soldaten.« Und fügte dann
allerdings hinzu: »Wenigstens drei Wochen, ver-
flucht!« Ich wollte frech sein und war feige. Der
Anfänger Biermann war ja noch nicht verboten.
ZEIT: Wie stehen Sie heute zu Ihrem politischen
Eiertanz?
Biermann: Dieses Liedchen ist kein Ruhmes-
blatt. Ich habe es in mein Buch Alle Lieder hi-
neingenommen, obwohl ich es zum Kotzen
finde. Weil ich will, dass Leute, wenn sie meine
Drachentöter-Gedichte und Rebellen-Lieder
lesen, sehen: Der Biermann wollte sich auch
mal mit schmalem Hintern durchmogeln. Aber
durchs Feuer führt eben keine Furt.
ZEIT: Wie ist es ausgegangen mit Ihrer Mus-
terung?
Biermann: Ich wurde wegen meines Asthmas,
das ich seit den Luftkriegsoperationen der Royal
Air Force hatte, als wehruntauglich eingestuft.
ZEIT: Wie war als Jugendlicher Ihre Haltung
zum Krieg?
Biermann: Als ich in Hamburg auf die Ober-
schule ging, ein Knabe, etwa im Alter der
Menschheitsretterin Greta Thunberg, kam ich
ENTDECKEN
auf dem Nachhauseweg an einem Laden mit
Schreibwaren und Spielzeug vorbei. In der
Schaufensterauslage sah ich Panzer, Kanonen
und Soldaten aus Bakelit. Ich ging rein und
habe den Mann hinterm Ladentisch aggressiv
darüber belehrt, dass er nicht fünf Jahre nach
dem Krieg, der so viel Unheil angerichtet hat,
Kriegsspielzeug verkaufen darf. Eine Art pseudo-
kommunisten-pazifistelnder Autismus.
ZEIT: Wie hat der Mann reagiert?
Biermann: Er hat mir aufs freche Maul gehauen.
ZEIT: Oh.
Biermann: Damit die Lektion nachhaltig wirkt,
hat er mich am Kragen gepackt und mit einem
Arschtritt aus dem Laden befördert.
ZEIT: Sie kannten den Krieg damals schon.
Biermann: In der Gomorrha-Bombennacht 1943,
als Hamburg brannte, packte mich meine Mut-
... und 2022, fotografiert anlässlich dieses Gesprächs
ter wie einen Rucksack auf den Rücken und
rettete mich durch den Nordkanal aus dem In-
ferno. Mehr als 30.000 Menschen starben.
Schon damals hat meine Mutter mir kindlich
genug verklart, dass diese Flugzeuge unsere Ret-
tung sind, unsre Freunde: »Sie sind gekommen,
um uns zu befreien von den bösen, bösen Nazis,
die deinen lieben, lieben Papa totgemacht ha-
ben.« Mein Vater, der Kommunist, der Jude,
war grad im Februar 1943 in Auschwitz ermor-
det worden.
ZEIT: Wissen Sie noch, wie Krieg klingt?
Biermann: Die Stille der Kinder im Gebrüll des
Feuers wunderte mich. Kein einziges Kind hat
geschrien und geweint, gejammert und geklagt.
Ich staune, dass mir das als Sechsjährigem in
solchem Chaos überhaupt auffiel. Heute ver-
mute ich: Wenn der Schrecken so gigantisch ist,
spüren die Menschenkinder: Es hat keinen
Zweck mehr, zu schreien, es wäre nur eine Ver-
geudung von Energie.
ZEIT: Und wie roch der Krieg?
Biermann: Wir saßen mit den Bewohnern im
Keller in der Schwabenstraße 50 A in Hammer-
brook. Über uns brannte das Haus, und die
Glut kroch schon am Holzgeländer die Keller-
treppe runter. Zwei Männer brachen einen
Durchgang zum Nebenhaus auf. Alle krochen
durch dieses Loch. Ich blieb allein mit meiner
Mutter dort und drückte mein Gesicht in ihren
warmen Kleiderstoff. Aber dann rannten wir
den anderen hinterher. Der Krieg roch nach
Mama.
ZEIT: Was geht in Ihnen vor, wenn Sie jetzt die
Bilder aus der Ukraine sehen von den aus-
gebrannten Gebäuden?
Biermann: Dann denke ich das, was ich gerade
in einem neuen Sonett geschrieben habe.
27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44
Er schiebt uns den Ausdruck des Gedichts auf Sie ist der Überlebenskampf, den ein kluges
dem Teetischchen herüber: Herz wagen muss: der Widerspruch zwischen
begründeter Verzweiflung und begründeter
Kriegselegie im 86. Jahr Hoffnung.
’s ist Krieg! – nun schließt mein Lebenskreis
Sich höllenwärts. Noch lach ich, mach An dem Tag des Gesprächs wird gemeldet, dass in
Mein Ding. Dir schweige ich. Und sing der Stadt Krywyj Rih im Süden der Ukraine ein
Trotz alledem mein Lied. Es flieht Kraftwerk durch einen russischen Angriff beschädigt
Mein guter Stern in fern’re Ferne, wurde, der Strom ist weg. Das ukrainische Militär
Verkroch sich in ein schwarzes Loch. teilt mit, in der Region Cherson seien 40 russische
Hab mehr als nur genug gesehn: Soldaten getötet worden. In Altona leuchtet die
Dein Lächeln sah ich leuchten. Doch Herbstsonne ins Wohnzimmer. Es ist eigentlich selt-
Die Elbe fließt hier bei Övelgönne sam, dass hier drei Leute sitzen und die Schmerzen
Als könne sie auch ewig stille stehn. besprechen, die ein Krieg woanders auslöst. Bei
Sah Sonnen aufgehn, falsche Sterne Biermann kommt der Horror von 1943 zurück.
Sah Scardanelli überm Neckarfluß Aber das Gefühl, dass dieses Woanders nicht so weit
Schenk mir, mein Weib, ein’ Seelenkuss weg ist, hat er nicht allein.
Ich, der Lebendigste, leb nicht mehr gerne.
ZEIT: Sind Sie ein kriegerischer Mensch?
Biermann: Ja, streitbar. Aber ich bin zugleich
sanfter als andere Leute.
ZEIT: Und in Ihren Texten?
Biermann: Es ist meine chronische Berufskrank-
heit. In einer Bilanzballade zum 80. Jahr habe
ich geschrieben: »Sah manchen armen geprügel-
ten Hund / Kaputtgeschlagen, begraben / Und
ach! viele gingen an Schlägen zugrund / Die sie
leider nicht ausgeteilt haben.« Als ich dieses Lied
vor sechs Jahren schrieb, las ich es Angela Mer-
kel vor. Und bei der Stelle mit dem geprügelten
Hund, der sich leider zu wenig gewehrt hat,
leuchtete ihr Gesicht auf. Mich freute es, dass so
ein Christenkind einen wunderbar unchrist-
lichen Gedanken akzeptiert.
Mit Merkel verbindet ihn eine Freundschaft.
Über sie länger sprechen möchte Biermann nicht.
Fotos: Brigitte Friedrich/laif; Alexandra Polina für DIE ZEIT (r.)
ZEIT: Wie kann der Krieg in der Ukraine
enden?
Biermann: Oh ja, das muss er, und das wird er.
Aber man kann nur einen Krieg beenden, den
man führt. Wenn die Alliierten den Weltkrieg
gegen die Heil-Hitler-Deutschen nicht geführt
und auch gewonnen hätten, würden wir hier
nicht an einem Tisch sitzen und uns über Kriege
unterhalten können.
ZEIT: Im Juni haben rund 20 Prominente in
einem offenen Brief einen Waffenstillstand ge-
fordert sowie eine Strategie zur raschen Beendi-
gung des Krieges. Unter ihnen waren auch
Harald Welzer und Richard David Precht, die
in jüngster Zeit sehr hörbar waren.
Biermann: Diese falschen Pazifisten halte ich
für Secondhand-Kriegsverbrecher.
ZEIT: Die beiden Autoren plädieren doch ledig-
lich dafür, alles zu versuchen, dass der Krieg
ZEIT: Das klingt nach Abschied. aufhört.
Biermann: Für mich schließt sich ein Lebens- Biermann: Ja. Ich hab die Friedensglocken
kreis. Ich komme aus dem Krieg und bin am läuten hören. Und die selbstbesoffene Sahra
Ende meines Lebens wieder im Krieg gelandet. Wagenknecht treibt die Idiotie noch weiter,
ZEIT: Der Krieg tobt nicht hier in Ihrem indem sie behauptet, manche Milieus seien
Wohnzimmer in Hamburg-Altona. kriegsbesoffen. Auch mit wohlmeinenden Frie-
Biermann: Dass er tausend Kilometer weiter densofferten verschafft man sich nur eine Ver-
östlich stattfindet von hier, tut nichts zur Sache. schnaufpause auf Kosten eines viel größeren
Wir alle erleben ihn jeden Abend in der Glotze. Elends. Das ist zu kurz gedacht und zu lang
Der Deutschlandfunk schüttet jeden Morgen gefühlt.
das frische Menschenblut aus aller Welt über ZEIT: Auch Gewaltlosigkeit kann enorme Kraft
uns aus. Auch ich wohne auf diesem kleinen entfalten.
und wüsten Planeten Erde und nicht nur in Biermann: Gewiss. Aber ist es Ihnen schon mal
meinem großen Zimmer im schönen Altona. aufgefallen, dass es noch niemals einen Krieg
ZEIT: Viele Menschen pegeln ihre tägliche zwischen zwei Demokratien gab? Das ist viel-
Dosis von Nachrichten herunter. Sie befürchten, leicht das Beste, was sogar für eine schwache, für
abzustumpfen oder traurig zu werden. eine kränkliche Demokratie spricht. Deutsch-
Biermann: Sie sind es schon. Das ist Seelen- land muss die Ukraine gegen Putins Dritter-
Faulheit sich selbst gegenüber. Einer wie ich Weltkriegs-Wahn auch mit Waffen unterstüt-
darf das erst recht nicht. Ich muss doch Gedich- zen. Dieser Krieg gegen Putin ist ein Freiheits-
te schreiben ... muss so viel wie möglich sehen, krieg auch für unsere Freiheit. Uns kostet er nur
hören und tiefer begreifen. Geld und Nerven ... Das Wort Freiheitskrieg
ZEIT: Eigentlich zieht sich das apokalyptische hat übrigens Heinrich Heine erfunden. Darum
Motiv, dass die Menschheit sich selbst vernich- liebe ich sein Gedicht Enfant perdu. Heine lebte
tet, durch Ihr Werk. in der Zeit der Freiheitskriege gegen Napoleon.
Biermann: Gelegentlich nutzte ich diese düste- Er hatte die Fantasie, das Modewort in den
ren Bilder mehr als moralischen Kunstgriff zur Singular zu setzen: Der Freiheitskrieg unter der
Warnung. Das ist wohl mein chronischer Menschheit tobt schon seit der Steinzeit.
Zweckpessimismus. Aber die Wahrscheinlich- ZEIT: Wir begannen mit der Frage »Sag mir,
keit nimmt zu, dass die Menschheit sich aus- wo die Blumen sind« ...
rottet mithilfe der Atombomben. Der Ukraine- Biermann: Ach, die Blumen sind nur eine nette
Krieg ist nur noch eine kleine Stufe davor. Metapher, das wissen Sie selbst. Die Blumen
ZEIT: Sie packt wirklich die Angst? wehen im Sommerwind. Manchmal steckt ein
Biermann: Was Wunder! Ich musste gelegent- mutiges Mädchen einem Soldaten eine Rose in
lich etwas mutiger sein als die meisten und bin den Gewehrlauf, damit er nicht auf sein eigenes
zugleich verzweifelter als andere. In diesem Wi- Volk schießt. Aber am Ende verwelken auch die
derspruch lebe ich mein Leben. Poeten-philoso- schönsten Menschenblumen auf dem Mist-
phisch nennt man diese Haltung Melancholie. haufen der Weltgeschichte.

Francesco Giammarco
entdeckt: Fremdbetreuung
Eigentlich schön, wenn sich das eigene Kind so gut mit allen möglichen Leuten versteht. Oder?
D
ie Kita-Eingewöhnung
ist eine Zeit des Schmer-
zes. Vielen Menschen
fällt es schwer, ihr Kind
wegzugeben. Mir nicht.
Für mich ist es, als würde ich ein Paket
zur Post bringen. Was einerseits daran
liegt, dass mein Kind ungefähr so viel
Widerstand leistet wie ein DHL-Päck-
chen. Und andererseits daran, dass ich
einfach noch nie ein Problem damit
hatte, es aus der Hand zu geben: Eine
fremde Spielplatz-Mutter will es hal-
ten, weil es süßer ist als ihre eigenen
Kinder? Gerne! Der überengagierte
Kellner hebt es einfach aus seinem
Stühlchen, damit wir in Ruhe essen
können? Wir kommen wieder! Es ist
nicht so, dass ich mein Kind nicht
selbst gerne trage. Aber ich habe auch
nichts dagegen, wenn jemand anderes
es tut. So spare ich Kraft, bis ich wie-
der dran bin. Care-Arbeit ist nämlich
auch Arbeit. Und ich arbeite smart,
nicht hart.
Außerdem kommt man so gut ins
Gespräch. Als das Kind vier Monate
alt war, saßen wir im Familienbereich
eines ICEs, da blieb der Zug auf der
Strecke stehen. Per Durchsage verkün-
dete der Zugchef: »Wir haben etwas
überfahren, wir wissen nur nicht, was.
Es kann dauern, bis es weitergeht.«
Während die anderen Eltern versuch-
ten, ihren Kindern zu erklären, was der
Mann im Lautsprecher meinte, be-
schloss ich, mit dem Kleinen ins Bord-
restaurant zu gehen. Dort war die
Stimmung ausgelassen, alle unterhiel-
Hier entdecken jede Woche im Wechsel: Francesco Giammarco, Alard von Kittlitz und Anna Mayr
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ZEIT-Sonderedition »Design 04«
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ten sich, aus einem Smartphone kam
laute Musik, zwei Frauen spielten
Monopoly. »Der Weißwein ist aus«,
klagten sie und prosteten mir mit den
letzten Gläsern zu.
Die Leute waren begeistert von mei-
nem Baby, alle tranken und erzählten
von ihren Familien, und als ein Öster-
reicher beim dritten Weißbier sagte, er
hätte so gerne noch ein viertes Kind, nur
seine Frau, die müsse er noch überzeu-
gen, da waren sich alle im Restaurant
einig, was zu tun sei: Ich gab ihm das
Kind auf den Arm und machte ein Foto,
das er an seine Frau schickte. Zurück auf
meinem Sitzplatz, schlief ich zufrieden
ein, stolz auf mein Kind, schon so jung
einen Beitrag zur Zeugung neuen
Lebens geleistet zu haben.
Als ich erwachte, fuhr der Zug
wieder, und meine Frau fragte mich:
»Warum kannten die zwei betrunke-
nen Frauen, die gerade durch den
Wagen getaumelt sind, den Namen
unseres Sohnes?«
Ich finde nicht, dass man die Liebe
zu seinem Kind ständig zur Schau stellen
muss. Die meisten Menschen sehen das
anders. Als es mit sieben Monaten das
erste Mal flog, begrüßte uns ein freund-
licher Flugbegleiter mit den Worten:
»Sie drei gehören bestimmt zusammen.«
Ich seufzte, zeigte auf das Baby und
sagte: »Na ja, jetzt komme ich aus der
Sache nicht mehr raus.«
Nicht nur lachte der Mann nicht.
Es war, als machte die Enttäuschung
auf seinem Gesicht ein Geräusch. Wie
ein Orchester, das abrupt aufhört zu
AUS D E R MAN U FAK TU R OT TO H UT T
w w w . s h o p . z e i t . d e /o t t o h u t t
ENTDECKEN 67
RICHTIG GUTE LEUTE
spielen, und man meint, die Stille
hören zu können. Den Rest des Flugs
würdigte er mich keines Blickes.
In solchen Momenten bekomme
ich doch Zweifel. Oder wie neulich,
als ich wieder im ICE unterwegs war
und ins Bordbistro ging, um ein Bier
zu trinken. Als die Frau hinter der
Theke meinen Sohn sah, leuchteten
ihre Augen. Und auch er streckte die
Arme nach ihr aus. Ich tauschte also
Bier gegen Baby. Die nächste Stunde
spielte es in der Küche des ICEs. Als
ein Mitarbeiter dazukam und es
lachend den »neuen Kollegen« nannte,
Foto: Lorraine Hellwig für DIE ZEIT
schlug ich vor: »Lassen Sie ihn doch
Ihre Schicht übernehmen. Und das
Gehalt, da machen wir 50/50.«
Der Mann sah mich mitleidig an:
»Wir machen 70/30, immerhin ist es
Ihr Kind.« Dann ging er, offenkundig
angewidert, dass ich nicht nur mein
Kind verkaufen wollte, sondern auch
noch zu einem so niedrigen Preis. In
diesen Augenblicken werde ich un-
sicher, ob es mir etwas zu leicht fällt,
mein Kind wegzugeben. Vielleicht In dieser Woche freuen wir uns über: Jovana Reisinger
liebe ich es doch nicht genug?
»Ich habe auch ein Baby zu Hause«,
sagte die Mitarbeiterin im Bistro, immer Meine Familie hat einen klassischen Absturz hingelegt: Von Bevor wir die Grundsicherung erhalten haben, hat mein
noch mit meinem Kind auf dem Arm, der Mittel- sind wir in die Unterschicht gefallen. Ich bin mit Vater in hoher Position als Koch gearbeitet. Manchmal hat er
»es ist aber älter.« Sie holte ihr Telefon Hartz IV aufgewachsen. Meine Herkunft habe ich lange ver- Kaviar und Austern mitgebracht. Traditionell essen wir Austern
hervor, und in ihren Augen sah man heimlicht. Ich habe nicht darüber gesprochen, weil ich als an Weihnachten – aber erst seitdem es sie im Discounter gibt.
wieder dieses Leuchten. Dann zeigte sie Künstlerin, Filmemacherin und Schriftstellerin bekannt werden Das ist eine Art Demokratisierung von Luxusgütern. Jeder kann
mir das Foto eines ziemlich erwachsen wollte – nicht als Kind aus der Unterschicht. Es gibt romanti- sie sich leisten. Wie Schönheitsoperationen. Niemand muss
wirkenden Teenager-Mädchens. sierende Ansätze, dass man leiden muss, um wahre, aufrichtige mehr hässlich sein. Zugleich bedeutet das, dass man sich Trends
»Süß«, sagte ich, schnappte mir Kunst zu machen. Ich wollte nicht die Klassensprecherin sein, ergeben, Luxusgüter konsumieren muss. Es ist wie ein Verspre-
mein Kind und sah zu, dass ich so die von ihren prekären Verhältnissen spricht und der zwar chen von Zugehörigkeit. Auch wenn es nicht erfüllt wird, sind
schnell wie möglich verschwand. zugehört, aber die nicht ernst genommen wird. Austern für mich bis heute mit dieser Bedeutung aufgeladen.
Jovana Reisinger, 33, ist Künstlerin, Filmemacherin und Schriftstellerin in München. Protokoll: Stefanie Witterauf
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68 ENTDECKEN 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

R
iesenfreude: Wir dür- FILM MEINES LEBENS, FOLGE 12 währt (übrigens fast immer geduldig, voll, natürlich! Sofort!« Weil er nicht
fen heute mit Fatih liebevoll) Einblick. Und so schweben einschätzen könne, wie willkommen,
Akin den Film seines seine Filme auf ganz wundervolle wie sicher er als Besucher in dem Land
Lebens gucken gehen. Weise zwischen Traum und Wirklich- wäre, ist Akin seit 2015 nicht mehr in
Es wissen natürlich keit, Fantasie und Angst, Annahme der Türkei gewesen. Aber besonders die
alle Bescheid: Gegen und Abwehr, in sehr deutschen Dicho- Bilder aus Istanbul beschäftigen ihn. Er
die Wand, Auf der an- tomien also. murmelt immer mit, was man sieht,
deren Seite, Tschick, Aus dem Nichts. Auch Rheingold, sein großartiger beinahe so, als wolle er sich beweisen,
Grimme-Preis. Goldener Bär. Bestes neuer Film, ist wieder einer, in dem Fatih dass er sich immer noch auskennt: »Das
Drehbuch in Cannes. Golden Globe. Akin den Alteingesesseneren die Heimat ist Tophane ... Da das Marmara-Ho-
Große Filme, große Preise, großes aus der Sicht von Neuerdazugekom- tel ... Dahinten ist der Gezi-Park ...«
Kino. menen zeigt. Der Film erzählt die voll- Beim Anblick von Şener Şen sagt
Wir treffen Akin in Hamburg- kommen irre Biografie des kurdischen Akin irgendwann: »Der hat so ein
Ottensen, unweit des Bahnhofs Altona, Intellektuellensohns Giwar Hajabi, der geiles Gesicht. Der sieht aus wie mein
in seinem Kiez also, hier kam er zur in den Achtzigerjahren vor Krieg und Vater.« Kurze Pause. »Mein Vater ist
Welt, hier wurde er groß, hier lebt er bis Verfolgung aus dem Iran flieht, um gestorben während der Dreharbeiten
heute. Akin wartet schon vor dem Back- Bonner Asylantenkind zu werden, Gym- zu Rheingold.« Nicht ganz leicht, jetzt
steinensemble, in dem sich die Zeise- nasiast, Drogendealer, Musikproduzent, hier im Kino angemessen das Beileid
Kinos befinden, die dichten Augen- außerdem Räuber und endlich berühmt: zum Ausdruck zu bringen. Akin sagt,
brauen noch versteckt hinter einer als Gangster-Rapper Xatar. »Ein absolut er habe Rheingold zeitweise »im Auto-
Sonnenbrille, die langen schwarzen außergewöhnliches Leben«, sagt Akin pilot« gemacht. »Ich war ja auch der
Haare hinter die Ohren gelegt. Er duzt voller Anerkennung. verantwortliche Produzent. Da kann
sehr selbstverständlich. Unmittelbarer Kurze Nerd-Frage, während er sich man nicht sagen: Schluss jetzt. Es war
Eindruck: keine großen Allüren. Bei- jetzt auf einem roten Samtsessel in der eine seltsame Zeit. Aber das Drehen hat
nahe schade, viele von seinem Kaliber dritten Reihe mittig niederlässt, nahe gutgetan.«
haben wir ja nicht in diesem Land. vor der kleinen Leinwand des ebenso Zwei-, dreimal im Kino gibt Akin
Es ist gerade mal zwölf Uhr, skanda- kleinen, herrlich in die Jahre gekom- schon vor der Szene Bescheid, dass gleich
löse Zeit natürlich eigentlich, um ins menen Kinos: Wie kommt das eigent- was besonders Gutes kommen wird.
Kino zu gehen. Klar, sagt Akin auf dem lich, dass in so vielen Akin-Filmen »Die speech jetzt, ey, die ist so roman-
Weg zum Saal, habe er gelitten bei der Kurden eine wichtige Rolle spielen? tisch«, so was sagt er zum Beispiel, bevor
Auswahl: Der Film seines Lebens, wel- »Wenn du Minderheit bist in Deutsch- der Böse, Berfo, keinerlei Reue über den
cher sollte das schon sein? Es gebe so land, so als Kanak« – Akin spricht das Verrat an Baran zeigt, stattdessen voller
viele Filme, die für ihn wirklich wichtig schwierige Wort Känäk aus, englische, Stolz sagt: Den besten Freund ans Messer
gewesen seien, die er wirklich liebe: distanzierende Intonation –, »dann hast zu liefern für die Liebe, ist das etwa kein
Christiane F., Das Boot, Scarface. Am du automatisch Sympathien mit allen Zeichen echter Leidenschaft? Liebst du

Foto: Linda Rosa Saal; ddp (u.)

Ende sei die Wahl eher tagesformbe- Minderheiten auf der ganzen Welt.« sie so sehr wie ich?
dingt auf Eskiya gefallen. Je zuvor davon Der Protagonist in Eskiya ist übri- Akin erinnern die archetypischen
gehört? Der Reporter muss den Kopf gens auch Kurde. Die Handlung geht Konflikte in Eskiya an den magischen
schütteln. In der Türkei, erklärt Akin, in etwa so: Nach dreißig Jahren im Realismus; und hey, sind seine eigenen
sei Yavuz Turguls 1996 erschienener Knast kommt der graue Räuberhaupt- Filme das nicht auch so ein bisschen,
Film ein großer Hit gewesen. mann Baran (Şener Şen, »der beste magischer Realismus? In dem Sinne
Eskiya, sagt Akin, habe das einge- Schauspieler ever«, so Akin) zurück in zumindest, dass die Realität – Schmerz,
schlafene türkische Kino wieder auf- die Freiheit. Aus Südostanatolien reist Liebe, Verlust, Gewalt, Sehnsucht – in
geweckt – und ihm selbst, Fatih Akin, er nach Istanbul, in eine neue, voll- ihnen so verdichtet, so überhöht wird,
eine neue Welt eröffnet. »Durch den kommen veränderte Marktwirtschafts- dass das bisweilen nachgerade Unwirk-

»Die speech, ey, die

Film erst habe ich begriffen, dass es Türkei, um wie ein Wolf im Schafspelz, liche der Wirklichkeit zum Vorschein
eine lebendige türkische Filmkultur von allen Großstädtern als harmloses kommt?
gibt. Und erst durch die Filme habe altes Landei verkannt, auf die rach- »Ich bin mehr auf Realismus als auf
ich überhaupt die Türkei kennenge- süchtige Suche zu gehen nach seinem magisch«, sagt Akin und zögert kurz,

ist so romantisch«
lernt. Davor war das eigentlich bloß Jugendfreund Berfo. Der nämlich hat nickt dann aber doch. »Da geht die
das Land meiner Eltern. Eskiya hatte Baran damals verpfiffen. Warum? We- Reise schon hin. Dass ich mehr Magie
dann auch großen Einfluss auf Kurz gen eines Mädchens natürlich: Keje. in den Realismus reinbekomme. Oft
und schmerzlos.« Berfo ist inzwischen ein steinreicher traue ich mich noch nicht. Ich bin halt
Kurz und schmerzlos: Fatih Akins Istanbuler Geschäftsmann, Keje lebt auch hier sozialisiert.« Das leuchtet
1998 erschienenes, gefeiertes Spiel- bei ihm, hat ihn aber nie zurückgeliebt, leider ein. Dass Hier-sozialisiert-Werden
filmdebüt. Ein Gangsterfilm über sondern immer nur auf den Tag gewar- eher keine Magie produziert.
Migrantenkinder, ein bisschen aber Ein Gangsterfilm, ein Heimatfilm: Von dem Klassiker tet, an dem Baran wiederkommt, um Womit das alte Superwort Migration
auch eine neue Art Heimatfilm. Vor sie zu befreien. Fatalerweise begegnet doch wieder im Raum steht. Wollen,
Akin war es keinem deutschen Re- »Eskiya« lernte Fatih Akin viel über die Türkei – und für Baran auf seiner Suche nach Berfo und müssen wir darüber eigentlich wirklich
gisseur gelungen, so eindrucksvoll aus seine eigene Regiearbeit VON ALARD VON KITTLITZ Keje dem Kleinkriminellen Cumali noch mal reden? Akin ist ein deutscher
den sogenannten Parallelgesellschaf- (gespielt von Uğur Yücel, der auch in Regisseur. Tschick und Der goldene Hand-
ten Deutschlands zu erzählen. Bis Akins Rheingold auftritt). Am Ende schuh waren auch keine Filme über Ein-
heute, dieses Eindrucks kann man sich muss Baran nicht nur Berfo killen, wanderung. Beim abschließenden Spa-
nicht ganz erwehren, ist das hiesige sondern auch noch die halbe Unterwelt ziergang durch Ottensen – gefühlt im-
Bildungsbürgertum für Akins Filme von Istanbul mit ins Grab nehmen. mer nur zehn Schritte, bevor Akin von
doppelt dankbar. Weil sie erstens Wir sehen den Film auf Akins priva- irgendeinem Bekannten angesprochen
dermaßen gut sind und daher wie ein ter DVD, grobkörnig und nicht ganz wird, kurz schnacken muss, einer Frem-
Beweis wirken, dass die sogenannte formatfüllend auf die Kinoleinwand den helfen, weil deren Einkaufstüte
Integration von Migrantenkindern geworfen, wir unterhalten uns nebenbei, gerissen ist – erinnern wir Akin daran,
wie Akin nicht bloß gelingen kann, die Voraussetzungen sind nicht ideal. dass es ihn eine Weile wahnsinnig nerv-
sondern auch bereichert. Das ist ja die Trotzdem entwickelt Eskiya mit seinen te, wenn er in Interviews auf das Thema
deutsche Idee von »Integration«: nicht ganzen verschiedenen Motiven – Stadt angesprochen wurde. »Inzwischen wehr
bloß die Arbeitskraft mitbringen, versus Land, unerfüllte Liebe, Bruder- ich mich nicht mehr. Das ist halt auch
sondern das ganze Land schöner, le- zwist, Schicksalsergebenheit – eine irre mein main-Thema. Einwanderung.«
benswerter machen. Wucht, die Akin, er sieht den Film zum Plötzlich dann ein Blitzen in den
Zweitens berichtet Akin oft genug x-ten Mal und doch wieder hingerissen, Augen. »In Eskiya geht der ja auch vom
aus Milieus, in denen das Ankommen als »Shakespeare« identifiziert. Land in die Stadt. Das ist eigentlich
in Deutschland nicht sehr glücklich Ob er eigentlich Fernweh kriege bei auch so eine Art Migrationsfilm! Und
abzulaufen scheint, wegen des deut- diesen Bildern, zum Beispiel jetzt von weil er mich beeinflusst hat, jetzt auch
schen Rassismus, wegen der harten den staubigen Straßen des südostana- Teil des deutschen Filmerbes.« Er freut
Biografien der Geflohenen. In diese tolischen Urfa in der Dämmerung, mit sich. In der Internet Movie Database
Milieus traut man sich aus der stuck- »Ich bin mehr auf Realismus als auf magisch«: Der Regisseur der Steppe im Hintergrund und all den ist Eskiya übrigens mit 8,1 von 10
verzierten Altbau-Beletage oft nicht Fatih Akin (oben); sein Lieblingsschauspieler Șener Șen als Tagelöhnern, die vor den Stadtmauern Sternen bewertet. Das ist die Liga von
persönlich hinabzusteigen; Akin ge- Gangster über den Dächern Istanbuls im Film »Eskiya« auf irgendwas Besseres warten? »Ja Kill Bill und No Country for Old Men.

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112032_ANZ_371x132_X4_ONP26 1 24.10.22 16:42

DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022
W IE GU T IST K ATA R?
Dem Emirat gehört ein belgischer Fußballverein, dort sollten seine Spieler in WM-Form kommen. Aber nicht alles ist planbar
D
as belgische Städtchen
Eupen, umarmt von
den grünen Hügeln der
Ardennen: zwischen
Barockhäuschen eine
Warteschlange vor der
Boucherie, Pilzsaison auf Seite eins der
Lokalzeitung, freundliche Arbeiter, die
den gelben Gullydeckeln ein noch leuch-
tenderes Gelb verpassen. Und die übrigen
20.000 Einwohner Eupens treiben sicher
auch Rechtschaffenes. Es kann gar nicht
anders sein, wo doch der Duft von Kar-
toffelpüree die Luft aufzuweichen scheint
und sich die Kirchenglocken ins Stadt-
geschehen einläuten, so wie Muezzinrufe
in Doha. Ja, Doha. Was uns zur eigent-
lichen Frage führt: Liebes Eupen, wie gut
ist die katarische Fußballnationalmann-
schaft? Nein, das ist nicht abwegig. Hier
in der ostbelgischen Provinz, die traditio-
nell Deutsch spricht, weiß man das besser
als sonst wo auf der Welt.
Vor zehn Jahren kaufte das Emirat
Katar den örtlichen Fußballclub KAS
Eupen, kurz für Königlich Allgemeine
Sportvereinigung. Als Retter in dunkelster
Stunde, nachdem windige Finanziers aus
Italien und Deutschland den Traditions-
verein hoch verschuldet zum Sterben zu-
rückgelassen hatten. Es gibt Geschichten
hiesiger Bäcker, die dem Verein damals
wegen unbezahlter 100 Euro hinterher-
rennen mussten. Alle Verbindlichkeiten
(man spricht von etwa fünf Millionen
Euro, vielleicht auch zwanzig) übernahm
Katar, genauer: die Aspire Zone Founda-
tion. Die ist wiederum der Überbau der
Aspire Academy: eines hochmodernen,
staatlichen Sportzentrums in Doha, wo die
begabtesten Athleten des Emirats gefördert
werden, 2004 für eine Milliarde US-Dollar
errichtet. Rechtzeitig, um bis zur Fußball-
WM, die am 20. November beginnt, ein
Team aufzubauen, das sich vor der Welt-
öffentlichkeit nicht blamieren soll.
Bis dahin hatte man das Land als un-
sportlichen Wüstenzwerg verlacht. Was
wissen Scheichs schon von Fußball, wenn
sie doch Bier hassen! In Eupen sollten die
Kataris europäische Fußballerfahrung
sammeln. Viele Absolventen der Aspire
Academy wurden zur KAS geschickt, sie-
ben aktuelle Nationalspieler Katars kickten
im Eupener Kehrwegstadion. Insgesamt
kennen mehr als 30 Fußballer aus dem
Emirat den Duft ostbelgischen Kartoffel-
pürees. Parallel finanzierte Katar eine
zweite Aspire Academy im Senegal, wofür
man 600.000 afrikanische Nachwuchs-
spieler jährlich sichtete, von denen zwanzig
den Sprung zur Academy schaffen. Etliche
dieser Talente dirigierte Katar ebenfalls
nach Eupen. Ein gigantomanischer Auf-
wand. Wofür, wenn nicht um die edelsten
Juwele einzubürgern und bei der Heim-
WM zu brillieren?
Warten auf den großen Moment: Teddy Alloh, Boris Lambert, Gary Magnée und Jérôme Déom (von links) von der KAS Eupen
Angenommen, dem Emirat geht es
tatsächlich nur um die WM – wie gut wird
Katar danach zu Eupen sein? Zieht man
das Geld einfach ab aus dem Verein, der
seit bald sieben Jahren in der Division 1A
spielt, der höchsten Liga des Landes? Und
hundert Mitarbeiter beschäftigt sowie
etliche lokale Unternehmen mit Aufträgen
versorgt, also einen nicht unerheblichen
Wirtschaftsfaktor der Region darstellt.
Eupen, eine Miniatur der Epoche, da sich
auch Deutschland entscheiden muss, von
welchem autoritären Partner man sich am
ehesten abhängig macht. China, Saudi-
Arabien, Katar? Siemens, VW, Deutsche
Bank: Sogar wenn sie wollten – könnten
sie die WM ihres fernen Miteigentümers
boykottieren? Aber vielleicht sehen die
Eupener das ja alles ganz anders. Vielleicht
handelt es sich dort einfach um eine un-
gewöhnliche, aber geglückte Partnerschaft,
die den Menschen begeisternden Fußball
gibt. Fragen wir sie, wie gut Katar ist.
Das Stadion der AS – das K, vom
belgischen Königshaus zum 50-jährigen
Bestehen des Vereins verliehen, spricht hier
keiner mit – steht am Ende einer mit Ein-
familienhäusern gesäumten Straße. »Dein
Verein, deine Region«, prangt über den
Rängen mit 8500 Plätzen. Das Vereins-
gebäude, unprätentiös aus grauen Ziegeln
gebaut, könnte ebenso gut ein Einkaufs-
zentrum sein. Oder eine Schulturnhalle.
Nichts deutet auf ausufernde arabische
Geldströme hin. Höchstens noch die KAS-
Lounge, respektive der Business Club, an
deren Eingang Qatar Airways wirbt.
Auf dem Kunstrasen legt sich gerade
Isaac Nuhu herrlich den Ball vor, gegen
die Laufrichtung des verdutzten Gegen-
spielers. Nuhu kam von der Academy im
Senegal, die letztes Jahr bereits geschlos-
sen wurde, er ist in Ghana geboren wor-
den. Und inzwischen auch Europas Top-
Clubs aufgefallen, es heißt, Marseille
habe ein Angebot abgegeben. Vielleicht
ist Nuhu auch bald ghanaischer WM-
Teilnehmer. Wobei in Ghanas Fußball-
Blogs die Befürchtung zu lesen ist, dass
Katar seinen Zögling noch blitz-
einbürgern könnte. Auch deshalb wäre es
spannend, mit Nuhu zu sprechen. Das
genehmigt die AS nur leider nicht. Nuhu
lässt auf der rechten Seite drei Verteidiger
stehen, flankt hochpräzise an den langen
Pfosten, Kopfball, Tor! Der Keeper
schlägt den Ball weg, dieser landet in
einem Stachelstrauch und verliert
schrumpfend Luft. Ein »Brilliant Super«-
Modell der Marke Select war das, Zusatz-
kosten für das Emirat: 144,95 Euro.
»Ein herrlicher Treffer, nicht wahr?«,
fragt Christoph Henkel. Der Vorstand des
Vereins ist 58 Jahre alt und wurde 2012
vom 1. FC Köln geholt, wo er die Jugend-
arbeit leitete. Sorgen um die KAS Eupen
nach der WM wischt er lachend weg: »Das
ENTDECKEN
sind alles wunderbare Geschichten. Aber
Quatsch.« Ja, sein Auftrag sei es, einen Ver-
ein für die Talente der Academy zu struk-
turieren, natürlich profitiere auch Katars
Nationalteam davon. Dem Henkel allen
Erfolg wünscht und durchaus zutraut, die
Vorrunde zu überstehen. »Das würde mich
freuen. Immerhin haben die Jungs – ich
kenne ja einige von ihnen, tolle und emo-
tionale Menschen – die Asienmeisterschaft
gewonnen!« Ein Verfallsdatum für die Part-
nerschaft markiere das Turnier nicht. Im
Gegenteil, man wolle noch intensiver
zusammenarbeiten. Intensiver? Aber aus
Katar kamen doch seit gut zwei Jahren
keine Spieler mehr – das komplette Natio-
nalteam spielt mittlerweile in Clubs der
höchsten katarischen Liga –, außer Chal-
pan Abdullah Abdulnasir, kürzlich zur U21
der AS gestoßen. Was hat das Emirat nach
der WM noch von Eupen? Von dem gan-
zen sportpolitischen Engagement? Henkel
spricht von Image, Vernetzung, sport-
wissenschaftlichem Fortschritt, einer Per-
spektive für junge Spieler. Nicht von Geld.
»Wir sind hier ganz weit davon ent-
fernt, Profit zu machen. Jeder Unterneh-
Der Keeper haut den Ball weg.
Kostet das Emirat: 144,95 Euro
mer, der sich die bisherigen Ausgaben
ansieht, würde abwinken.«
Geht es Katar letztlich um Respekt?
»Da kann ich nur spekulieren. Das
müssen Sie Katar fragen. Wir erleben
unsere Partner als absolut professionell
und zuverlässig und sind dankbar dafür,
in Ruhe arbeiten zu dürfen.«
Und die Sache mit dem katarischen
Einbürgerungs-Appetit falle definitiv unter
Quatsch. Okay, wenn es so unsinnig ist,
warum dürfen wir dann nicht mit Herrn
Nuhu sprechen? »Wir lassen unsere Spieler
grundsätzlich nicht so kurz vor dem Spiel-
tag Interviews geben. Schauen Sie, ich bin
jetzt fünf Jahre lang mit dieser Frage kon-
frontiert worden. Und habe immer gesagt:
Nein, von den afrikanischen Spielern hier
wird keiner für Katar spielen. Glaubt aber
niemand. Mir tun die Kataris da ein wenig
leid. Die haben gar keine Chance in der
öffentlichen Meinung.« Fast unnötig zu
erwähnen, dass Henkel einen Boykott der
WM für die falsche Antwort hält »auf die
Fragen in Katar«, wie er sich ausdrückt.
Am Nachmittag trainiert die U21.
Chalpan Abdullah Abdulnasir ist ein auf-
fallend dünner junger Mann. Nach dem
Training steht er verloren neben dem Feld,
fast selbst wie ein Torgestell wirkend. Bis
ein Kollege auf ihn zugeht, ihn abklatscht,
Tipps zur Ballannahme gibt und Abdul-
nasir anschließend zum Auto mitnimmt.
Vorbei an einer Garage, wo ein älterer Herr
werkelt, inmitten von Leibchen, Luft-
pumpen und Stadionschildern.
»Ich bin hier das Mädchen für alles«,
sagt Herbert Emontspool, 75 Jahre alt, AS-
Urgestein. Alle Altersklassen von der
Jugend bis zu den Profis hat er bei der AS
durchlaufen. »Die letzten zehn Jahre
brachten nur Gutes für den Verein«, bilan-
ziert er. Aber einen Tipp abgeben, wie gut
die katarische Mannschaft spielen wird,
mag Emontspool dennoch nicht. Alles
zum Thema Katar bitte nur mit der Ver-
einsführung. Emontspool nimmt den
Reporter dann mit runter in die Stadt, zur
Fankneipe Columbus. Die Sonne geht all-
mählich unter, vielleicht steigt doch noch
das Vertrauen: Glauben Sie denn, dass
Katar nach der WM hierbleibt? »Die
nächsten zwei Jahre sicher. Da gibt’s Ver-
träge. Und dann, dann bin ich 77, da
gehen einen Finanzpläne nichts mehr an.«
Das Columbus ist mit weinrot-
goldenen Wänden und nautischem
Dekor ein Hybrid aus Varietétheater
und U-Boot und nur durch ein kleines
Metallschild mit Vereinslogo in der Ecke
als Fankneipe markiert. Fußball läuft
keiner, obwohl Euro-League-Spieltag
ist. Ein Bürschchen schleicht alle zwan-
zig Minuten für ein kleines Pils zum
Tresen, immer höflicher nach dem
nächsten Glas fragend, damit keiner
merkt, wie stramm er ist. Worüber alle
herzlich lachen. Ein verprellter Fan der
AS schimpft bald ebenso beherzt: »Der
Verein sagt mich nix mehr! Da ist nicht
ein Eupener, der noch wat zu sagen hat!«
Aber in welchem halbwegs überregio-
nalen Club ist das anders? Schwingt da
nicht ein Doppelstandard gegenüber den
Scheichs mit? Den bisher ja sehr stabil
stützenden Scheichs, die regelmäßig ihre
Rohdiamanten schicken? »Nee! Das
VON DMITRIJ KAPITELMAN
Prinzip is doch total jescheitert. Die waren
alle zu schlecht! Außer der Afif. Aber auf-
gestellt wurden se trotzdem!« Akram Afif
schoss in seinen Spielzeiten bei der AS von
2015 bis 2016 in 26 Begegnungen acht
Tore; heute stürmt der katarische National-
spieler für den heimischen al-Sadd SC. Die
Augen des Mannes röten sich regelrecht bei
der Rede. »Schauen Se, da kommen junge
Männer aus einem anderen, konservativen
Land. Haben plötzlich 14.000 Euro im
Monat. Hier drüben, überm Haus, hat ein
katarischer Spieler jewohnt, jeden Abend
ließ der sich drei, vier professionelle Frauen
aus Lüttich kommen. Das war eigentlich
ein ganz Lieber, immer in muslimischer
Kleidung, ging brav beten. Ein anderer hat
Partys gefeiert, die konntest du in Aachen
hören, da musste die Polizeistaffel kom-
men, verstehste? Aber wenn der Scheich
kommt, jibt es für alle nur Wasser?!«
Nicht alle Eupener sind so vehement
gegen Katars Konzept. Ein Mann, der sich
Popow der Clown nennt und einen gelb-
grauen Schnurrbart trägt – eine ganze
Autobiografie ersetzt dieser Schnurrbart –,
lobt: »Die Kataris sind das Beste, was
Eupen hätte haben können, he! Das sind
Profis. Falls die verschwinden, werden die
richtig gute Strukturen liegen lassen. Und
andere Sponsoren kommen.« Katar sei das
Viertelfinale sicher, weil das immer so mit
dem Gastgeber gedeichselt werde. »Wegen
die Geld!« Dann raucht Popow der Clown
weiter Kette an der Minigolf-Anlage.
Marion Haak-Hendricks betreibt das
Eupener Reptilienparadies. Sie sagt, sie
habe zwei Kunden von der AS (einer
habe einen Gecko, der zweite brauche
regelmäßig Spinnenfutter). »Beides bel-
gische Jungs«, sagt sie und beschwert
sich: »Warum spielen überhaupt so we-
nige Belgier in der Mannschaft?« Auch
das gehört zur Stimmung hier. Bei der
WM will sie nur die belgischen Spiele
schauen. Aber Katar komplett boykot-
tieren? Nach dem ganzen Geld, das man
kassiert hat? »Wo fangen wir mit der
Moral an, wo hören wir auf?«
Mit diesen Ermessungen im Ohr
kommt einem ausgerechnet Abdulnasir
entgegen, der jüngste Zugang aus Doha.
Abseits des Platzes wirkt er noch dünner
in seinem Trainingsanzug. Vielleicht
liegt es auch daran, dass sein Leistungs-
körper sich frierend zusammenzieht. Die
Handballen ineinandergepresst, wenn er
sie nicht gerade braucht, um die laufende
Nase abzuwischen. Dennoch bleibt er
stehen, lächelt und sagt freundlich: »Na-
türlich können wir uns unterhalten.«
Mit elf kam er an die Akademie in
Doha, verbrachte dort seine gesamte
Jugend: »Von den Jungs, die mit mir
gescoutet wurden, blieben vielleicht zwei
bis zum achtzehnten Geburtstag. Die
anderen waren nicht gut genug und
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Foto: Lukas Staab für DIE ZEIT; Illustration: Shutterstock
mussten gehen.« Ganz schön hart. »Ja,
aber so ist Fußball.« Abdulnasir bibbert.
Ein Mädchen im kurzärmligen AS-Tri-
kot stolziert vorbei. Katars Chancen? »Ich
hoffe, wir können das Viertelfinale errei-
chen. Und träume davon, eines Tages für
mein Land zu spielen.« Dann müssen die
ganzen Vorwürfe doch schmerzen. »Ich
verfolge die Nachrichten nicht so sehr.
Aber die Leute haben ein Recht auf ihre
persönliche Meinung.« Und seine per-
sönliche Meinung? »Ich habe keine Mei-
nung.« Und wenn er doch eine hätte?
»Die Leute sollten nach Katar kommen
und sehen, wie es wirklich ist. Wir sind
ein sehr gastfreundliches Land.« Dann
entschuldigt sich Abdulnasir, das Dinner
wartet. Und man schaut dem jungen
Mann hinterher, wie er sich einsam über
den Marktplatz Eupens kämpft, bereits
im Oktober frierend.
Am nächsten Tag kommt er wieder
mit demselben Teamkameraden zum
U21-Training. Die Truppe wird in vier
Teams aufgeteilt. Alle 60 Sekunden
ertönt eine Sirene, dann wird durchge-
wechselt. Abdulnasir fällt kaum auf, sein
Team liegt bald 0 : 5 hinten. Nach einer
Sirene schlägt er frustriert mit den
Armen gegen seine Oberschenkel. Dann
aber eine Riesenchance, allein vor dem
Tor, zwei Meter vielleicht, Abdulnasir
semmelt drüber. »Be available«, sei ver-
fügbar, ruft der Trainer. Was eine
gewisse Ironie birgt, wenn das halbe
Leben bisher an den Fußball verfügt
wurde. Beim anschließenden Abstoß
bewegt sich Abdulnasir so geschickt mit,
dass er angeschossen wird, der Ball prallt
von seinem Schenkel auf die lange Ecke
zu, dann eben ein Glückstreffer – aber
nicht mal der ist ihm vergönnt: Pfosten.
Für die Profis wird es beim Heimspiel
nicht viel besser laufen. Gegner ist Gent.
Auf die Tribünen treibt es gerade mal
2044 Fans. Allerdings konkurriert man
an diesem Sonntag auch mit dem Ernte-
dankumzug, die schönsten Traktoren
paradieren geschmückt durch die Stadt.
Herr Emontspool lädt ein, sich neben
ihn zu setzen. Verärgert deutet er zum
relativ leeren Gästeblock: »Die respek-
tieren uns nicht in der Liga, wegen Katar.
Aber wir zahlen doch auch keine höheren
Spielergehälter.«
Ein Genter schießt so weit über die
Gästetribüne, dass der Ball unwieder-
bringlich in einen Eupener Vorgarten
fliegt. Wieder 144,95 Euro für das Emi-
rat. Dann dominiert Gent aber. Isaac
Nuhu sitzt auf der Bank. Erst in der
68. Minute wird er eingewechselt, beim
trostlosen Stand von 0 : 4. Von da an
avanciert der Mann aus Ghana, Senegal,
Katar und Eupen zum auffälligsten
Spieler der AS. Nuhu ist in bestechen-
der WM-Form.
70
E
Es ist verblüffend einfach, einen Achttau-
sender nicht zu besteigen. Das ist die gute
Nachricht. Man kann das auf die schnelle
Weise erledigen, indem man sich sagt, wie
gefährlich das ist und wie absurd kostspielig,
und ziemlich anstrengend klingt es oben-
drein, aber dann bleibt immer ein schales
Gefühl zurück, ein präventives Versagen,
also empfiehlt es sich, in die Offensive zu
gehen und es vor sich selbst als großmutige
Entscheidung auszugeben, keinen Acht-
tausender zu besteigen. In Gottes Namen
verzichtet man halt drauf. Verzicht steht
ohnehin hoch im Kurs. Es geht um Mäßi-
gung, ums Drosseln, und so ein Achttau-
sender ist alles Mögliche, aber sicher nicht
gedrosselt. Er gehört in eine andere Zeit, in
die Ära des Kettenrauchens, der Sprüh-
sahne, der absoluten Mehrheiten, all dieses
Überzogenen, Verschwenderischen. Es ist
der schiere Wahnsinn, was man damals für
hohe Berge gebaut hat! Und dann ist man
auch noch draufgeklettert! Aber nein, Leute,
nicht mit mir! Das muss man sich nur laut
genug sagen, und zack, schon ist der Acht-
tausender nicht bestiegen. Man hat Zeit,
etwas anderes zu tun. Das ist die schlechte
Nachricht.
Denn ein wirklicher Achttausender ist
leicht zu ignorieren, beim Prinzip Acht-
tausender fällt das viel schwerer. Dem Reiz
der Extreme, der Logik des Wachstums ver-
fällt man auch dann, wenn man versucht,
genau das zu vermeiden. Dann versucht
man, im tinyest house weit und breit zu
wohnen, und unterbietet einander kom-
petitiv beim Drosseln der Raumtemperatur.
Das liegt wahrscheinlich an der körpereige-
nen Chemie, am Dopamin und Endorphin,
an all den Belohnungen, die das Gehirn
spendiert, wenn wir eine Herausforderung
meistern. Gegen so viel Doping hat es die
Genügsamkeit natürlich schwer. Und wenn
man nicht aufpasst, fängt man an, als Ersatz
für den Achttausender verzweifelt nach dem
kleinsten Berg der Welt zu suchen, aber weil
zumindest in Deutschland »Berg« kein klar
definierter Begriff ist, gibt es immer noch
einen kleineren, und das kann nicht die
Lösung sein. Der Ersatz für einen Acht-
tausender ist nicht der Marianengraben. Der
Ersatz für den Achttausender ist ein Acht-
hunderter. Und den will ich jetzt. Ich will
meine Genügsamkeit dort testen. Ein Acht-
hunderter ist ein gemäßigtes Ziel, und ich
will dort eine angemessen mittelgute Zeit
haben, ein schwaches Lächeln statt eines
lauten Lachens, zufriedenes Nicken statt
Jubelpose, und ich will dennoch nichts ver-
missen. »Think medium sized!«, schreibe ich
als Mantra auf den Badspiegel. »Just do it – a
little bit!« – »Normal ist das neue Normal.«
Dann fühle ich mich zwar nicht bereit, aber
halbwegs, und das darf reichen.
Meine Wahl fällt auf den Höchsten. So
heißt der Berg tatsächlich. Er ist 838 Meter
hoch und sein Name daher eine charmant
schamlose Lüge. Zwar wird der Höchsten
tatsächlich von nichts in seiner Umgebung
überragt, aber das trifft schließlich auch auf
einen Maulwurfshügel zu, wenn man die
Umgebung nur eng genug definiert.
Die Gegend, in der der Höchsten am
höchsten ist, heißt Linzgau. Eine schwach
besiedelte Gegend im südlichen Baden-
Württemberg, die sich gegen weitaus be-
kanntere Nachbarn behaupten muss. Die
Hügel und Berge des Linzgaus gehören
nicht mehr zum Allgäu, und die angeberi-
schen Alpen sind auch noch ein gutes Stück
entfernt, auf der anderen Seite des Boden-
sees warten sie geduldig darauf, dass sich
der Zeitgeist wieder ändert.
Die erste Nacht verbringe ich noch im
Tal, das Biohotel Mohren in Limpach ist
mein Basislager, und wenn ich schon Grund
hätte, mich zu entspannen, wäre das ein her-
vorragender Ort dafür. Aber ich habe ja
noch nichts geleistet, und auch morgen wird
sich die Anstrengung in Grenzen halten, da
kann ich jede Restanspannung gut gebrau-
chen. Also verlasse ich den Spa-Bereich
wieder, schlendere ein wenig durch den Ort
und suche alle Richtungen nach dem Gip-
fel ab, aber der Höchsten lugt nirgendwo
Mein erster Achthunderter
Höher, schneller, weiter, das ist vorbei, jetzt gilt: Mäßigung. Statt einen Achttausender zu
bezwingen, versucht sich TILMAN RAMMSTEDT also an einer kleineren Expedition
Vom, nun ja, »Gipfel« des Höchsten lassen sich in der Ferne die prahlerischen Alpen erahnen
hervor. So viel Dramatik würde auch gar
nicht ins Bild passen. Aus einer grotesk
niedlichen Kirche bimmelt es, vereinzelte
Menschen grüßen mich freundlich; wie so
oft in Baden-Württemberg wirkt es, als
lauere hinter jeder heilen Fassade eine noch
heilere Welt.
Am nächsten Morgen ziehe ich mir
dann aber beherzt meine Wanderschuhe
an. Um ein klares Zeichen zu setzen. Das
hier soll schließlich kein Spaziergang
werden, sondern ein richtiger Marsch,
geradewegs ins gehobene Mittelfeld.
Für den Aufstieg habe ich mir den
»Premiumwanderweg Bergtour Höchsten«
ausgesucht. Auf der Website wird er als
»schwer« bezeichnet, und natürlich sollte
ich mich über diese scheinbare Heraus-
forderung nicht freuen. Das wäre ja sofort
wieder das alte Muster, das »no pain, no
gain«-Theorem. Dabei bezieht sich die Be-
wertung wohl eher auf die Gesamtdauer (als
Rundweg gute fünf Stunden) als auf die
Hier ein Waldfleckchen, da ein Bauernhof, dort der spätsommerliche Vogelbeerbaum: Der Linzgau, wie man ihn auf dem »Premiumwanderweg Bergtour Höchsten« erlebt
REISE
Beschaffenheit des Terrains. Für heute steht
für mich aber nur der Aufstieg auf dem
Programm, knappe drei Stunden und fast
durchgehend ausgebaut. Kein Wunder, man
kann auch einfach mit dem Auto auf den
Gipfel fahren. Da ist der Mount Everest im
Vergleich eine Servicewüste.
Der Aufstieg beginnt, wie es sich für
einen Aufstieg gehört: bergauf. Zumindest
das erste Stück, dann geht dem Weg schon
die Puste aus, und er wechselt in die Waa-
gerechte. Klar: Ein Achthunderter darf
nicht sein ganzes Pulver auf einmal ver-
schießen. Links und rechts ist generische
Landschaft hingekleckst. Hier ein Maisfeld,
da eine Streuobstwiese, dort ein Fleckchen
Mischwald. Dazwischen Bauernhoffauna,
Schafe, Hühner, äußerst schwarze Kühe, ein
paar nachdenkliche Pferde. Auf fast jedem
Dach Solarzellen, kein Hof ohne Biosiegel,
alles wie aus dem Bilderbuch, aber halt wie
aus einem dieser Wartezimmer-Vorschul-
kinderbücher, die man schon während des
Vorlesens vergisst. Der Blick bleibt nirgend-
wo hängen, und ich merke, dass ich viel zu
schnell laufe. Nicht weil ich alles möglichst
schnell hinter mich bringen möchte, son-
dern um mir, wenn die Umgebung schon
nicht dafür sorgt, zumindest durch die
Anstrengung ein paar Endorphine zu ergau-
nern. Verschämt verlangsame ich meinen
Gang und konzentriere mich darauf, das
alles hier zu genießen. Die Landschaft,
meine Wanderung, das ganze Unaufgereg-
te. Und es ist doch auch ausgesprochen
hübsch. Leuchtender Spätsommer, die Kas-
tanien zunehmend ungehalten, vereinzelte
Krähen haben schon mit der Apfelernte
begonnen. Und dann konzentriere ich mich
darauf, auch ja konzentriert zu bleiben. Und
dann konzentriere ich mich darauf, mich
nicht zu sehr aufs Konzentrieren zu kon-
zentrieren. Und dann merke ich, dass ich
schon wieder nichts mehr richtig um mich
herum wahrnehme. Der Linzgau ist nichts
für Genügsamkeits-Anfänger.
Fotos: Ines Janas für DIE ZEIT
Nach und nach verschwindet aber das
Liebliche. Die Höfe sind nicht mehr ganz
so perfekt in Schuss, statt Biosiegel steht am
Wegesrand immer öfter ein hölzerner Jesus
oder seine Mutter, und beide bieten mir an,
meine Last für mich zu tragen. Aber da ist
keine Last. Da ist ein wenig Freude und ein
wenig Langeweile, da ist ein wenig Leichtig-
keit und ein wenig Unschlüssigkeit, ein
wenig Grübeln, ein wenig Leere und ein
wenig Appetit, aber auf nichts Bestimmtes,
denn so ist es, wenn man sich dem Extremen
verweigert. Es ist unklar und etwas beige,
und es flackert. Das gilt es auszuhalten. Das
gilt es sogar schön zu finden, nicht sehr
schön natürlich, sondern nur ein wenig.
Es hilft, dass es jetzt eindeutig bergauf
geht. Immer mehr Waldstücke, in denen
die Sonne ihre Lieblingsbäume anstrahlt,
ein spektakulär unanbiederndes Ferien-
heim, vor dem Teenager schaukelnd auf ihre
Handys schauen, dann wird es noch einmal
steiler, ich höre meinen Atem, ich spüre
BADEN-
Stuttgart
WÜRTTEMBERG
Höchsten
Bodensee
meine Beine, auch das hilft. Immer kurz vor
einem Ziel ist alles am eindeutigsten, selbst
vor recht kleinen Zielen. Da ist sogar ein
wenig Euphorie. Und vielleicht ist die Ge-
nügsamkeit gar nicht so schwierig, denke
ich. Man muss sie nur ernst genug nehmen.
Und sich viel mehr Ziele setzen, aber nicht
immer neue, immer größere, sondern vor
allem Ziele, die ohnehin auf dem Weg
liegen. Und dann bin ich oben.
Wobei »oben« auf einem Achthunderter
kein besonders klarer Punkt ist. Vor mir
erstreckt sich eine Ebene mit einzelnen
Wohnhäusern, einem leer stehenden Kran-
kenhaus, einer Kapelle und dem Hotel, in
dem ich die Nacht verbringen werde. Es ist
zwar kein Wochenende, aber sonnig genug
für zahlreiche Ausflügler, die offenbar alle
das Auto genommen haben, denn da ist
auch ein gut gefüllter Parkplatz und da-
hinter sogar eine breite Kreisstraße. Ich bin
am Ziel, aber alles droht sofort wieder zu
zerfransen. Und dann entdecke ich zum
Glück die kleine Aussichtsplattform. Ein
Pavillon, der noch einmal ein paar Stufen
über allem anderen steht, der höchste
Punkt des Höchsten. Erst dort werde ich
meinen ersten Achthunderter bezwungen
haben. Obwohl man Achthunderter wahr-
scheinlich nicht bezwingt, das klingt viel
zu konfrontativ. Erst dort werde ich mich
mit meinem Achthunderter gütlich geei-
nigt haben. Ein versöhnlicher Abschluss des
wirklich Machbaren. Und ich will trotzdem
stolz sein, weil ich es doch ernst nehmen
möchte, weil es doch ein Ziel war, weil die
Genügsamkeit doch genügen soll, auch
ohne Endorphinrausch.
Ich steige angemessen ehrfürchtig die
Stufen zum Pavillon hinauf. Und eigent-
lich brauche ich keine Aussicht zur Be-
lohnung. Aber wo sie schon einmal da ist,
nehme ich sie trotzdem. Der Blick reicht
weit, über den ganzen Linzgau, bis zu den
Alpen. Dicht gedrängt verschanzen sie
sich hinterm Bodensee, manche schon
mit Wintermütze. Nicht drohend, nicht
einladend, noch nicht einmal majestä-
tisch, sie wirken eher schüchtern, als ob
sie neugierig zu mir hinüberschauen wür-
den und nicht umgekehrt. Und so soll es
doch auch sein. Ich vermisse nichts. Ich
bin auf der eindeutig richtigen Seite.
Und dann bemerke ich leider die metal-
lenen Reliefs rund um die Plattform. Präzi-
se sind dort die von hier sichtbaren Berge
nachgebildet, und drüber stehen auf einer
Schiene ihre Namen, Titlis, Hasenstock,
Krönten, Gross Schärhorn, Finsteraarhorn.
Und dazu ihre jeweiligen Höhen, 3240
Meter, 2729 Meter, 3108 Meter, 3296
Meter, 4274 Meter. Mein mühsamer Stolz
ist verschwunden. Auf einmal scheint wie-
der klar, wer hier auf wen hinabblickt. Auf
einmal sind da wieder die nackten Zahlen.
Und Zahlen gibt es nur, um vergleichen zu
können. Und es ist leider auch ganz klar,
wer den Vergleich hier verliert. Ich bin
wütend auf den Höchsten, dass er sich so
unterwürfig auf diesen Vergleich einlässt,
dass er sogar ganz ohne Not selbst plakativ
darauf hinweist, mitnichten der Höchste
zu sein, nicht einmal ansatzweise. Dass er
einen auf seinem Gipfel nicht einmal kurz
in Ruhe lässt, sondern sofort darauf hin-
weist, wie wenig man doch erreicht hat. So
soll es nicht enden. Es soll bitte nicht so
enden, ich drehe mich um, weg von den
Alpen, aber da ist kein Ausblick mehr, nur
noch irgendwelche Häuser, irgendwelche
Bäume, Gestrüpp, was es halt alles immer
so gibt, und dann fällt es mir zum Glück
noch ein: Ich habe einen Fehler gemacht,
einen entscheidenden Fehler. Ich bin auf
dem allerhöchsten Punkt des Höchsten,
und hier kann es doch wirklich nicht enden,
das wäre doch wieder das Extrem, das wäre
doch wieder das Ungemäßigte, das wäre
doch eindeutig falsch. Ich steige die Stufen
wieder hinab, laufe die Auffahrt hinunter,
bis es reicht. Dann bin ich endlich da. Am
Ziel. Und kurz ist alles wieder gut. Nicht
sehr gut, aber ein wenig.
!www.zeit.de/vorgelesen
DIE ZEIT N o 44 27. Oktober 2022
H
Halten die mich für den großen Houdini?
Das Ding wirkt wie gemacht für den legen-
dären Entfesselungskünstler, der sich in
Metallsärge sperren ließ. Wenngleich: Diese
Behausung hier ist entschieden lustiger.
Sie erinnert an ein Comic-U-Boot, aus dem
gleich Donald Duck klettern könnte.
Oder eine größenwahnsinnige Kidney-
bohne. Oder eine Spitzmaus auf Steroiden.
In Wahrheit hatte ihr Schöpfer eine fette
Robbe im Sinn – er taufte sein Werk auf
Schwedisch »Val Ross«. Um mich von ihm
verschlucken zu lassen, bin ich nach Rotter-
dam gereist. Aber eins nach dem anderen.
Als ich im Süden des Stadtteils Delfs-
haven an einer vierspurigen Uferstraße
aus der Straßenbahn steige, ist von den
architektonischen Kühnheiten Rotter-
dams, des »Manhattan an der Maas«,
nicht mehr viel zu sehen. Lagerhäuser
und Hafenbecken machen Wege zu Sack-
gassen, Frauen im Jogginganzug rauchen
neben ihren kackenden Hunden. Ein
terrain vague wie aus dem Wimmelbuch.
Und hier gibt es einen Campingplatz?
Den gibt es. Allerdings ist die Culture
Campsite kein gewöhnliches Zeltlager.
Ich finde sie eingeklemmt zwischen auf-
gegebenen Gewerbebauten, in die in-
zwischen Kreative mit ihren Werkstätten
und Büros eingezogen sind. Wie viele
andere Areale wurde das asphaltierte
Gelände frei, weil sich Europas größter
Hafen bis zu 40 Kilometer weit nach
Westen verschob. Während auf den
innenstadtnahen Grundstücken Archi-
tekten von Weltruhm bauten, verwirk-
lichten hier 2019 eine Handvoll Künst-
ler und Designer eine Ausstellung mit
bizarren Objekten, in denen man über-
nachten kann. Ein Probelauf als Cam-
pingplatz kam so gut an, dass man von
neun auf zwölf Schlafkapseln aufstockte
und eine feste Einrichtung daraus
machte. Von Mai bis Ende September
hat sie Saison.
Thijs Masthoff ist einer der Gründer.
Mit einem Bier in der Hand empfängt er
mich vor einem Pavillon, in dem eine
Gemeinschaftsküche und Sitzgelegenhei-
ten untergebracht sind. Während wir
reden, klingelt immer wieder sein Handy,
und er erklärt mit einer Geduld aus Elfen-
bein, dass das hier kein Zeltplatz sei. Nein,
auch keiner für Wohnmobile. Dann zeigt
er mir seine architektonische Freakshow.
Die Exponate stehen dicht beieinander,
haben aber einen mit Grünzeug markier-
ten Privatraum um sich. Das gilt für den
knopfäugig dreinblickenden Ex-Liefer-
wagen »Sweet Potato« mit Vordach und
Terrasse ebenso wie für den alkovengemüt-
lichen Müllcontainer »Trash Inn« oder
»Rotterdams kleinsten Wolkenkratzer«,
»High Rise«, den man aus Mastabschnit-
ten eines Turmdrehkrans gebastelt hat.
Alle Unterkünfte wirken so, als seien
sie schon immer Teil dieser Industrie-
brache gewesen. Das mag daran liegen,
dass sie Geschöpfe des Upcyclings sind,
bei dem Ausrangiertes ein zweites Leben
erhält. Zum Beispiel der »Sleeping Pod«,
eins von zwei Domizilen, die Thijs selbst
beigesteuert hat – die anderen stammen
aus der Hand diverser Künstler, die über
das ganze Land verstreut sind. Er steht auf
Stelzen und hat eine Ziehharmonikaleiter,
die in einen Kopf mit Taucherbrille zu
führen scheint. Die Kabine setzt sich aus
zwei Kälberhütten zusammen, die Thijs
seitlich angeordnet und mit Fenstern ver-
sehen hat. »So entsteht etwas völlig Neues,
und keiner kommt drauf, dass hier alles
streng genommen Abfall ist«, sagt Thijs.
Und er hat recht. Die immobilen Seifen-
kisten wirken, als streckten sie ihren
Urbildern vergnügt die Zunge heraus.
Später rekele ich mich in einem
Acapulco-Stuhl vor meinem Walross, das
früher ein Tierfuttersilo war. Genauso wie
das schreigelbe »Lemon Loft« ein Stück
weiter. Nur steht das nicht waag-, sondern
senkrecht und sieht deswegen schon wieder
völlig anders aus. Ich verfolge die Möwen-
manöver über mir und hebe die Craft-Bier-
Flasche, wenn andere Gäste vorbeikommen.
Wir begegnen uns mit einem wissenden
Lächeln, als teilten wir ein Geheimnis in
diesem Nachhaltigkeitsarkadien. Mein Bier
aus der Honesty Bar ist das perfekte Getränk
dafür. Es wird mit Austernpilzen gebraut,
die gleich nebenan in einem Schuppen auf
Kaffeesatz wachsen – ein Start-up sammelt
die Überreste in Rotterdamer Cafés ein und
ist gerade dabei, das Konzept zu vertreiben.
Hinweis der Redaktion: Bei unseren Recherchen nutzen wir gelegentlich die Unterstützung
von Fremdenverkehrsämtern, Tourismusagenturen, Veranstaltern, Fluglinien oder Hotelunternehmen.
Dies hat keinen Einfluss auf den Inhalt der Berichterstattung.
REISE 71
Thijs Masthoff baut dafür die Container,
in denen die Pilze gedeihen.
Nach und nach meine ich, dass sich
Mensch und Behausung ähneln wie
Hund und Herrchen. Da ist der Schwei-
zer, dessen lange Beine so gut zum giraf-
fenhohen »Lemon Loft« passen. Da sind
die Engländer mit eigener Teekanne im
Kunstbutzenhausen
Auf der Culture Campsite in Rotterdam kann man in bizarren Objekten übernachten.
WOLF ALEXANDER HANISCH nimmt zwei Tage Urlaub von der Realität
getrimmten Minigarten des »Little Pea«,
die so snobby sprechen, als würden sie
dafür bezahlt, ein verarmtes Aristokraten-
paar zu spielen. Da ist der Niederländer
mit dem Luis-Trenker-Gesicht, der die
Außenleiter des »High Rise« ständig
rauf- und runterkraxelt, als wär’s ein
Klettersteig. Und da bin ich, der mitt-
lerweile spürt, wie eine walrosshafte
Trägheit von ihm Besitz ergreift.
Ich klappe die Frontluke auf und ge-
lange wie durch ein Tiermaul auf das
Queen-Size-Bett mit fluffiger Decke und
Leinenbezug. Zwei Fenster sorgen für ge-
nügend Luft, von der befürchteten Klaus-
trophobie keine Spur. Vielmehr fühle ich
mich embryogleich geborgen. Prompt
kommt Regen auf und trommelt einen ein-
lullenden Rhythmus auf meine Röhren-
Fotos: Sander Coers für DIE ZEIT
butze. Ich schlafe in Rekordzeit ein und
träume davon, einer der Verrückten zu sein,
die sich in einem Fass die Niagarafälle
hinabstürzen. Bevor ich unten aufschlagen
kann, kommen Möwen und tragen mich
wieder nach oben. Irgendwann mischt sich
das Hexengelächter der realen Möwen in
meinen Traum, und ich wache auf.
Beim Kaffee vor dem Pavillon erfreue Im »Val Ross« hat so mancher wilde Träume; rechts der Vorgarten der »Little Pea«
ich mich an den vielen Pflanzenkübeln mit
anarchistisch wucherndem Gestrüpp. Sie
könnten in einem Ton-Steine-Scherben-
Song vorkommen. Hummelgeschwader
brummen, der ganze Platz döst und prangt
zugleich. Ich habe allerdings vergessen,
Frühstück einzukaufen. Dafür überquere
ich einen toten Arm der Maas und lande
im historischen Delfshaven, in einer der
wenigen Ecken Rotterdams, die im Mai
1940 nicht von der deutschen Luftwaffe in
Schutt und Asche gebombt wurden. Es
gibt Treppengiebel, Grachten und sogar
eine Windmühle. Fehlen nur noch
semmelblonde Niederländer in Holzpan-
tinen. Tatsächlich aber dominieren Kopf-
tuch und Kaftan – der Migrationsanteil
von Delfshaven liegt bei 72 Prozent. Voller ANZEIGE
Vorfreude trage ich köstliche Mezze,
Falafel und Couscous nach Hause.
Vor meiner zweiten Nacht nehme ich
ein Bad in einem Zuber, der mit Holz
in einem abenteuerlichen Do-it-yourself-
Ofen beheizt wird. Es riecht nach würzi-
gem Rauch; wenn ich die Augen schlie-
ße, fühle ich mich wie ein Eremit in Ka-
nada. Öffne ich sie, bin ich das Camp-
maskottchen – der Bottich steht gleich
am Eingang, durch den nicht nur Gäste
kommen, sondern auch hin und wieder
Reisegruppen, die uns bestaunen wie
eine Alienkolonie; der Platz ist und bleibt
ein öffentlicher Ort.
Mein neues Zuhause für diese Nacht
heißt »Des Res«. Es hat die Größe einer
Heimsauna, ist aber im Vergleich zum
»Val Ross« ein Palast. Es gibt sogar einen
Tisch und einen Stuhl in diesem Holz-
kubus mit einer Front aus bunten Poly-
esterharz-Blöcken, die bei der Produkti-
on von Designermöbeln übrig geblieben
waren. Wenn das »High Rise« der
kleinste Wolkenkratzer Rotterdams ist, AIDA SPARWOCHEN
dann ist dies hier seine kleinste Kathe-
drale: Das Tageslicht lässt die Harzfassa-
de leuchten wie das Fenster von Ger-
hard Richter im Kölner Dom.
Am nächsten Morgen frühstücke ich
vor meiner Privatkirche, lächele wieder 14 Tage Karibik
1.799 € * p. P.
dieses Komplizenlächeln und bestaune
die alles überragenden Schwimmkräne
im Rheindelta. Wie eine Parade von Sau- ab
riern gleiten sie hinter einer Halle völlig
lautlos vorüber. Es ist der Moment, in inkl. Flug und AIDA Reisegutschein**
dem mir klar wird, warum ich mich hier bei Buchung bis 14.11.2022
so wohlfühle. Während in den meisten
Idyllen Mitteleuropas schon die nächste
Autobahn, der nächste Windpark, das
nächste Industriegebiet um die Ecke lau-
ern, gehört solcher Zivilisationsplunder
hier einfach dazu. Das Camp ist ein Zau-
bergarten, in dem man Ferien von der
Realität macht – dennoch wird sie nicht
verleugnet. Vor dem Auschecken lehne
ich mich ein letztes Mal genüsslich zu-
rück. Und frage mich, ob ich hier nicht
selbst ein wenig upgecycelt worden bin.
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Anspruch gibt es hier auch eine
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tenbergbahn und im Sessellift
nach oben (der Panoramablick ist
großartig), gönnt sich vielleicht
noch eine kleine Stärkung – und
saust sechseinhalb Kilometer hi-
nunter ins Tal. Wer noch etwas
rasanter unterwegs sein möchte,
wandert vom Parkplatz Pfron-
ten-Kappeln zur Hündeleskopf-
hütte. Das dauert in der Regel
Mal genussvoll, mal
rasant unterwegs
ungefähr eine Dreiviertelstunde
(und wird mit köstlichen Kas-
spatzen belohnt). Danach geht
man noch weiter bis zur Kappeler
Alm und steigt von dort in die
Naturrodelbahn Edelsberg ein.
Die Fahrt ins Tal ist schwungvoll,
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bis Game of Thrones. Perfekter Start- das Casa de la Memoria an. Sevilla ist 44-01
Entspanntes Sightseeing
punkt zum Sightseeing ist die Plaza de Um zehn Tipps für einen Tag richtig zu
nicht nur eine typisch spanische Stadt,
España. Schon die Größe dieses im es ist auch die heißeste – im Wortsinn
genießen, kann man sich auch gerne
mehr Zeit lassen, Sevilla lohnt sich! Zur Kataloge einfach online bestellen:
20. Jahrhundert erbauten Platzes ist über- perfekten Planung geben die Blogger
ein touristischer Hot Spot. Man freut
wältigend. Nicht weit entfernt liegt der zu allen Tipps praktische Hinweise wie sich über Plätze unter Bäumen oder die 5 www.zeit.de/kataloge
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Nordlichter und Wale in Winterzeit am
Nordnorwegen entdecken schönen Niederrhein
EIN BEITRAG DER EIN BEITRAG DES
NORWAY PROTRAVEL GMBH LANDHOTELS VOSHÖVEL
Schneebedeckte Fjorde, erhol- Verbringen Sie eine gemütliche
same Ruhe und tanzende Nord- Auszeit im Landhotel Voshö-
lichter sind typisch für den Winter vel, einem familiengeführten
Mit der in Nordnorwegen. Auf der Reise 4****S-Haus mit 75 stilvollen Zim-
Skigymnastik »Nordlichter und Wale« erleben mern und Suiten. Der preisgekrönte
startet man spätes-
Gäste den facettenreichen Win-
ter in der Provinz Finnmark, vor
Livingroom SPA mit 3 Pools, 5 Sau-
nen und 2 Dampfbädern, groß-
• 2 Übernachtungen
noch klein, dann ist die leichte, tens drei Monate vor deren Küste sich im Winter zahl-
reiche Schwertwale tummeln.
zügigen Ruheräumen und einem
hauseigenen SPA-Kino laden zur
• 1 Rhassoulbad zu Zweit//30 Min
200 Meter lange Bahn am Ski- • Verpflegung im Rahmen der
zentrum Pfronten ideal, um erste dem Skiurlaub. Das Neben einer spannenden Walbe- vollkommenden Erholung ein. Die Voshövel-Kulinarik
• Eintritt in den Livingroom SPA
obachtungstour stehen abwechs- Die 6-tägige Reise »Nord- Voshövel-Kulinarik besteht aus ei-
Rodelfahrten auszuprobieren.
Schlittenspaß für die ganze
Training optimiert lungsreiche Winter aktivitäten, lichter und Wale« wird vom nem Frühstücksbuffet mit haus-
• Wellnesstasche für Ihren
Aufenthalt
28.10.2022 bis 23.01.2023
Familie gibt es auch bei Nacht – das Körpergefühl, w ie eine Husk y-Safari oder angeboten und ist bereits gemachten Backwaren aus der ei- Ab 425 Euro/p.P./DZ; Reisezeit-
zum Beispiel am Spitzingsee in einer Schneeschuhwanderung, ab 1.510,- Euro pro Person genen Bio-Bäckerei, einem Light raum 30.06."–"18.12.2022; Mög-
Oberbayern: Vom Parkplatz am
sorgt für mehr Kraft, auf dem Programm. Einen Teil im Doppelzimmer buchbar. Lunch im Bademantel und Abendes- liche Anreise zwischen sonntags
und mittwochs, ausgenommen
Spitzingsattel wandert man bis Beweglichkeit und der Reise verbringen Gäste auf
der Insel Uløya, nördlich der
sen in einem der 3 neuen Restaurants.
Am Abend haben Sie dann die Wahl
gesetzl. Feiertage NRW.
zur Oberen Firstalm (der Berg- KONTAKT
gasthof hat bis 22 Uhr geöffnet). Ausdauer und stärkt Stadt Tromsø. Die Unterkunft Norway ProTravel GmbH zwischen einem eleganten Menü in
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Landhotel Voshövel
bietet den perfekten Ausgangs- Theodorstraße 41 a der Lindenstube, rustikal & regional Am Voshövel 1
Die zweieinhalb Kilometer lange die entsprechenden punkt für Nordlichttouren und
22761 Hamburg
in der Wirtschaft oder einem sich 46514 Schermbeck
Strecke startet hinter der Hütte Tel: (040) 28 66 87 170 Telefon (02856) 914 00
und gilt als Klassiker unter den Muskelpartien. einen einzigartigen Blick auf info@norwayprotravel.de ständig neu erfindenden Küchen- post@landhotel.de
romantischen Mondscheinrodel- den Fjord.  www.norwayprotravel.de konzept im Pop-Up Restaurant.  www.landhotel.de
bahnen: Hier zeigen Lichterket-
ten, wo es langgeht. Die Strecke
besitzt weder steile Abschnitte
noch gefährliche Kurven und ist
ideal für Familien mit Kindern
Lake Lifestyle – die Magie des Jahresendes im Süden
– und für alle, die genussvoll ro- wärmenden Schein schmeckt die Piazzetta und das Restaurant
deln möchten. ein Glas schweren Rot weins die Gäste. Und von Oktober bis
Wen es im Winterurlaub nach aus dem hauseigenen Weingut Januar wird Wellness hier noch
Norden zieht, kann zum Beispiel besonders gut. schöner: Am hoteleigenen Pri-
in Norwegen mit einem Husky- Es ist dieses unbeschwerte vatstrand lässt man in der neuen
oder Pferdeschlitten die Gegend Lebensgefühl, das die Gäste am Saunahütte jeglichen Ballast los
erkunden, lernen, wie Eisfischen SEELEITEN so lieben. Wenn die und genießt dabei den Blick auf
geht, oder nächtliche Lagerfeuer- umsäumenden Weinberge ihr den Kalterer See. Wenn draußen
romantik erleben. Fast an der schönstes Winterkleid überwer- schon längst der Winter Einzug
Fotos: © Klaus Peterlin
nördlichsten Spitze des Landes, fen, zieht man sich nur zu gern gehalten hat, spürt man im SEE-
nicht weit von Tromsø, liegt die in die wohlige, warmherzige LEITEN noch dem süßen und
Lyngenhalbinsel – eine atem- Atmosphäre des 2022 fast kom- leichten Geschmack des Sommers
beraubend schöne Landschaft, plett umgebauten 5-Sterne-Hotels nach. Rückzug in seiner leben-
vor deren Küste man mit etwas zurück. Highlights gibt es hier digsten Form.
Glück Wale beobachten kann. Ein viele. Der neue Indoor-Outdoor Urlaub im SEELEITEN bedeu- Durch die verlängerte Saison
wenig Glück gehört auch dazu, EIN BEITRAG DES Willkommen im Lake Spa Hotel Infinitypool mit Panoramablick, tet, den Südtiroler Süden in allen von März bis Januar währt das
LAKE SPA HOTEL SEELEITEN Gefühl südlicher Leichtig-
um in frostiger Dunkelheit das SEELEITEN. Die beiden letzten in dem man schwerelos treibend seinen Facetten zu erleben.
keit jetzt noch länger. Das
Nordlicht, die Aurora Borealis, Monate des Jahrs entfalten am das Spiel der Sonnenstrahlen auf Schlösser, Museen und Kirchen. SEELEITEN erwartet Sie mit
am Himmel tanzen zu sehen. Die Ausgelassen. Fesselnd. Inspi- Kalterer See ihren besonderen, dem ruhigen See beobachtet. Der Schillernde Weihnachtsmärkte belebendem Genuss und zeit-
großartige Natur Nordnorwegens rierend. Hier ist es leicht, sich entschleunigten Zauber. Das Adults-only-Spa-Bereich »Sen- und der Duft von frisch über losem Erleben.
bietet dazu die perfekte Kulisse.  dem lebensfrohen Rhythmus Laub fällt federleicht zu Boden. sea«, der die Sinne betört. Der dem Feuer gekochten Glühwein. KONTAKT
des Südtiroler Südens hinzu- Eiskristalle glitzern auf dem Fitnessbereich mit seinem freien Bozen, Trient und Verona liegen Lake Spa Hotel SEELEITEN
geben. Unbeschwertheit und erdigen Boden. Die mild-kühle Blick über die winterlichen Wein- so nah. All das wartet darauf, Weinstraße 30
39052 Kaltern am See
Lebendigkeit in allen Facetten. Luftbrise erweckt die Lebens- berge. Lichtdurchflutet und ein- erkundet und erspürt zu werden.
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74 ENTDECKEN 27. Oktober 2022 DIE ZEIT N o 44

Was mein
Du siehst aus, Leben reicher
wie ich mich fühle macht
WIE ES WIRKLICH IST

Ein Rudelboss und großer Jäger von Frisbees: So war der Spanische Wasserhund unserer Fotografin. Hier ist Flinn, damals 14 Jahre alt, kurz vor seinem Tod im Februar 2022 zu sehen. Foto: Julia Christe
Die kleine Spinne, die Nacht für Nacht ihr Netz

... beim Joggen in der linken oberen Ecke unseres niedrigen

Altbau-Hinterausgangs neu spinnt (denn jeden
Morgen bleibt der Erste, der das Haus verlässt,
überfallen zu werden mit dem Kopf daran hängen).
Inzwischen hat sie sich aber angepasst: Sie macht

E
ihre Netze jetzt vorsorglich etwas kleiner.
s war ein traumhafter Sommernach- Sacha Lürken, München
mittag. Wie so oft war ich viele Kilo-
meter durch Wälder und über Wiesen Mein Mann, der – noch im Bademantel – zwei,
gelaufen, ohne einem Menschen zu be- drei Nüsse vor dem Küchenfenster deponiert,
gegnen. Jetzt joggte ich das letzte Stück zurück damit die Eichhörnchen auch gut versorgt sind.
zur Stadt auf einem am Wochenende beliebten Chantal Piallat, Berlin
Spazierweg. In dem Moment war aber niemand
außer mir unterwegs. Kürzlich habe ich in der Nähe meiner neuen
Plötzlich nahm mich von hinten jemand in Wohnung einen Walnussbaum entdeckt. Niemand
den Schwitzkasten. Ich zog die Kopfhörer raus schien sich um die Nüsse zu kümmern, also begann
und wollte mich umdrehen, weil ich dachte, dass ich, sie aufzusammeln. Nun habe ich überall in
mich ein Kumpel erschreckt, der oft auf der- der Wohnung ZEIT-Seiten ausgebreitet, um all
selben Strecke laufen geht. Da merkte ich, dass die Nüsse zu trocknen. Sie werden auch täglich
der Griff fester wurde – und auf einmal fuchtelte gewendet. Nur das Beste für meine Walnüsse.
eine Knarre neben meinem Kopf herum. In einem früheren Leben muss ich wohl ein Eich-
Ich brauchte einen Moment, um zu realisie- hörnchen gewesen sein. Anders lässt sich das gar
ren, was geschah. Zum Glück fiel ich nicht in nicht erklären.
Schockstarre, sondern wehrte mich dann gleich. Veronika Zangl, Salzburg
Eine gefühlte Ewigkeit rangen wir miteinander,
tatsächlich war es vielleicht eine halbe Minute. Wenn ich (Jahrgang 1941) am Morgen das possier-
Er sagte kein Wort, ich hatte nur sein ekliges liche Eichhörnchen beobachte, wie es im Garten
Schnaufen im Ohr. Wir rutschten die Böschung seine Wintervorräte anlegt, und mich bei der Frage
hinab, er wollte mich hinter ein Gebüsch ziehen. ertappe, ob es diese wohl wiederfinden wird oder
Einmal konnte ich mich kurz umdrehen und ob auch Eichhörnchen im Alter vergesslich werden.
sein Gesicht sehen. Raimund Herz, Darmstadt
Endlich kam eine Joggerin angelaufen – er ließ
von mir ab, rannte weg. Ich schrie hinterher: »Ver- Ein schöner Herbsttag. Ich streune mit den Kindern
piss dich, du Arschloch!« In den Minuten danach über eine Wiese voller Hexenringe (ringförmige
stand ich unter Schock und ließ mich nur langsam Myzelien unter der Grasnarbe, an deren Oberfläche
von der anderen Joggerin davon überzeugen, zur dann Champignons oder auch Knollenblätterpilze
Polizei zu gehen. Denn, sagte ich erst, es sei ja sprießen) und bedauere meine mangelnden Pilz-
eigentlich nichts passiert. kenntnisse. Da taucht vor uns ein Mann auf, ein
Wir joggten gemeinsam zur Wache. Dort musste richtiger Waldschrat, der zielsicher auf eine der
ich vor laufender Kamera eine Aussage machen und Pilz-Formationen zusteuert und zu ernten beginnt.
Täter und Waffe bestmöglich beschreiben. Dann Ich manövriere mich in seine Nähe und werde
fuhr ich mit einer Streife zum Tatort, um die genaue wie erhofft in ein fundiertes Sammlergespräch
Stelle zu zeigen, bevor ich endlich heimgebracht verwickelt. Am Ende schenkt er uns sogar seine
wurde. Nach ein paar Tagen wurde ich noch einmal Beute und verschwindet lachend mit den Worten:
eingeladen, um den Täter für ein Phantombild zu »Vielen Dank für Ihr Vertrauen!«
beschreiben. Es dauerte sieben Stunden und war Am Abend – die Kinder schlafen schon – stehe ich
das Schlimmste, was ich je tun musste – immer unschlüssig in der Küche herum. Dann packt es
wieder dieses Gesicht vor meine Augen holen. Das Folge 333 mich. Ich schreibe meiner Nachbarin eine kurze
Bild erschien später in der Zeitung, es wurde aber Nachricht und hinterlasse einen Pilz für die Spuren-
niemand gefasst. sicherung. Den Rest brate ich mit Butter, Salz und
In den Wochen danach habe ich versucht, das Pfeffer an ... und was soll ich sagen: köstlich!
Geschehene zu verdrängen. Erschüttert haben mich Alice Claßen, Würzburg
manche Reaktionen aus dem engsten Umfeld: ZEITSPRUNG WORTSCHATZ
Warum gehst du auch allein joggen – und dann Beim Steinmetz nebenan betrachte ich die Grab-
noch mit Musik? Man gab mir zumindest eine steine. Ein Nachbarsjunge gesellt sich zu mir,
Mitschuld. Das hat mich so wütend gemacht.
Irgendwann habe ich mir professionelle Unter-
Zurück in der Zuflucht Chansonettenzwirn deutet auf einen schönen Malachit und meint:
»Der wäre doch was für dich, Ulli!«
stützung gesucht. Wie meine Therapeutin vorher- Ulrich Imming, Stuttgart
sagte, wurde der Überfall zu einem Teil meines Jüngst las ich an dieser Stelle den
Lebens. Er liegt inzwischen zehn Jahre zurück, doch Ausdruck »Sekerheitsnadelmarie« Halloween. Die Kinder aus der Nachbarschaft
fast täglich denke ich daran. Geholfen hat mir auch als Bezeichnung für eine Frau, die wandern verkleidet von Haus zu Haus. Es sind
ein Selbstverteidigungskurs – das empfehle ich Schäden an ihrer Kleidung nur so viele, dass unsere Vorräte darüber zur Neige
allen. Man lernt dabei, sich nicht einschüchtern zu gehen. Eine kleine Hexe beruhigt mich: »Wir
lassen, Wut auszudrücken, laut zu werden.
mit Sicherheitsnadeln statt mit nehmen auch Gemüse!«
Beim Joggen drehe ich mich bis heute immer Nadel und Faden behebt. Bei uns Anke Kelber, Karlsruhe
Illustration: Eva Revolver für DIE ZEIT; kl. Fotos: privat

wieder um. Trotzdem lasse ich es mir von nie- in der Familie wird ein ähnlicher
mandem nehmen, weiterhin laufen zu gehen – Ausdruck weitergegeben, denn
allein und mit Musik. meine Großmutter (Jahrgang 1885) Machen Sie mit!
Die Autorin möchte anonym bleiben.
pflegte die Sicherheitsnadeln Schreiben Sie uns, was Ihr Leben reicher macht,
teilen Sie Ihre »Wortschätze« und »Zeitsprünge« mit uns.
Sie lebt in Nordrhein-Westfalen Während des Krieges wurde meine Familie von Düsseldorf aus nach Chansonettenzwirn zu nennen,
Beiträge bitte an leser@zeit.de oder an
Jachenau in Oberbayern evakuiert. Dort entstand 1942 die Aufnahme wissend, dass Bühnenmädchen keine Redaktion DIE ZEIT, »Z-Leserseite«, 20079 Hamburg
links. Knapp acht Jahrzehnte später sitze ich, etwas zusammengeklappt, Zeit zum Nähen hatten, sich aber zu
an derselben Stelle, gegenüber vom Gasthof zur Jachenau, der auch helfen wissen mussten, wenn bei
Wenn Sie in unserer Rubrik »Wie es wirklich ist« Die Redaktion behält sich Auswahl, Kürzung und redaktionelle Bearbeitung
berichten möchten, damals schon existierte. Das war ein Foto wert! einem Auftritt etwas entzweiging. Ihrer Beiträge vor. Mit der Einsendung geben Sie Ihr Einverständnis,
Ihren Beitrag in der ZEIT, in der ZEIT-App, in sozialen Netzwerken oder
melden Sie sich bei uns: wirklich@zeit.de Gabriele Kohl, Mainz Sibylle Fischer, Witten in einem ZEIT-der-Leser-Sammelwerk zu veröffentlichen

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Ob in der Corona-Pandemie, beim Alkohol- und Zigarettenkonsum, bei
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