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13 Stoffwechsel der Aminosäuren


Klaus-Heinrich Röhm

13.1 Stoffwechsel des Stickstoffs – 428


13.1.1 Stickstoffkreislauf in der Natur – 428
13.1.2 Ammonium-Assimilation – 428
13.1.3 Stickstoffausscheidung – 429
13.1.4 Funktionen der Aminosäuren im Organismus – 429

13.2 Stickstoffhaushalt des Menschen – 430


13.2.1 Stickstoffhomöostase – 430
13.2.2 Stickstoffbilanz – 431

13.3 Reaktionen und Enzyme im Aminosäurestoffwechsel – 432


13.3.1 Stoffwechsel der α-Aminogruppe – 432
13.3.2 Transaminierungen – 433
13.3.3 Desaminierung – 434
13.3.4 Weitere Reaktionen – 436

13.4 Übersicht über den menschlichen Aminosäurestoffwechsel – 438


13.4.1 Aminosäurebedarf des Menschen – 438
13.4.2 Stoffwechsel der nicht essentiellen Aminosäuren im Überblick – 439
13.4.3 Abbau der essentiellen Aminosäuren im Überblick – 439
13.4.4 Subzelluläre Lokalisation des Aminosäureabbaus – 442
13.4.5 Biosynthese der essentiellen Aminosäuren im Überblick – 442

13.5 Aminosäurestoffwechsel der Organe – 444


13.5.1 Überblick – 444
13.5.2 Aminosäurestoffwechsel der Leber – 445
13.5.3 Aminosäurestoffwechsel des Darms – 451
13.5.4 Aminosäurestoffwechsel der Nieren – 451
13.5.5 Aminosäurestoffwechsel der Muskulatur – 453
13.5.6 Aminosäurestoffwechsel des Zentralnervensystems – 453

13.6 Stoffwechsel einzelner Aminosäuren – 454


13.6.1 Alanin, die sauren Aminosäuren und deren Amide – 454
13.6.2 Serin, Glycin und Threonin – 457
13.6.3 Prolin, Ornithin und Arginin – 459
13.6.4 Schwefelhaltige Aminosäuren – 462
13.6.5 Verzweigtkettige Aminosäuren – 466
13.6.6 Aromatische Aminosäuren – 468
13.6.7 Histidin und Lysin – 473

Literatur – 476
428 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

> > Einleitung

Die Aminosäuren dienen nicht nur als Bausteine zur Synthese von Proteinen, sondern erfüllen im Stoffwechsel weitere Aufgaben:
4 Für einige Gewebe stellen sie bevorzugte Substrate zur ATP-Produktion dar
4 Sie sind die wichtigsten Vorstufen zur Neubildung von Glucose
4 Sie liefern chemische Gruppen zur Biosynthese von Purinen, Pyrimidinen, Phospholipiden und vielen weiteren Biomolekülen
4 Sie wirken selbst als Signalstoffe oder dienen als Vorstufen für solche Moleküle

Wegen der großen Zahl der Aminosäuren und ihrer sehr unterschiedlichen Struktur sind die Stoffwechselwege zu ihrem Auf-,
Ab- und Umbau weniger übersichtlich als dies z.B. bei Kohlenhydraten der Fall ist. Trotzdem zeigen auch die Wege des Amino-
säurestoffwechsels viele Gemeinsamkeiten.

13.1 Stoffwechsel des Stickstoffs

13.1.1 Stickstoffkreislauf in der Natur

Stickstoff ist ein Hauptbestandteil von Proteinen, Nucleo-


tiden und anderen Biomolekülen und damit ein unent-
behrliches Makroelement. Als N2-Molekül steht Stickstoff
in der Erdatmosphäre in fast unbegrenzten Mengen zur
Verfügung, kann in dieser Form aber nur von wenigen
Lebewesen genutzt werden. Der Stickstoffkreislauf in der
Natur ist in . Abb. 13.1 in vereinfachter Form dargestellt.
! Nur Mikroorganismen können elementaren Stickstoff
nutzen.

Die Fähigkeit zur Stickstoff-Fixierung – d.h. zur Reduk-


tion von N2 zu NH4+ – ist auf einige Bakterien beschränkt,
die häufig in Symbiose mit Pflanzen leben. N2-fixierende
Organismen stellen einen großen Teil der für die Landwirt-
schaft wichtigen Ammoniumsalze bereit und sind deshalb
ökologisch sehr wichtig.
Für Pflanzen und bestimmte Bakterien stellen Nitrate . Abb. 13.1. Stickstoffkreislauf. (Einzelheiten 7 Text)
(NO3–) und Nitrite (NO2–) alternative Stickstoffquellen dar,
13 die ebenfalls zu Ammoniak (NH3) reduziert werden müs-
sen, bevor sie in organische Moleküle eingebaut werden (NH4+) vor. Im Zellinneren wo der pH-Wert zwischen
können (Nitratreduktion, Ammonifizierung). 6,0 und 7,1 liegt, ist dieser Prozentsatz sogar noch höher.
Andere Bakterien oxidieren NH3 zu Nitrat und wan- Das Protonierungsgleichgewicht zwischen NH3 und der
deln dieses weiter in N2 um. Diese Prozesse (Nitrifizierung konjugierten Säure NH4+ ist mit dem CO2/ Hydrogencar-
und Denitrifizierung) entziehen der Biosphäre leicht nutz- bonat-System (7 Kap. 28.1.7) gekoppelt, d.h.
baren Stickstoff.
! Unter physiologischen Bedingungen liegt Ammoniak
zu 99% protoniert vor.
In der Literatur wird häufig vereinfachend von »Ammoniak«
NH3 und NH4+. Im tierischen Stoffwechsel kommt Stick- gesprochen, auch wenn das physiologische Gleichgewichts-
stoff fast ausschließlich auf der Oxidationsstufe von Am- gemisch von 99% NH4+ und 1% NH3 gemeint ist. Hier wird
moniak (NH3) vor (eine der wenigen Ausnahmen ist NO, die Bezeichnung »Ammoniak« nur dann verwendet, wenn
7 Kap. 13.6.3). Tiere können Stickstoff nur in Form von es tatsächlich um die freie Base NH3 geht.
Ammoniumionen verwerten und sind deshalb auf die
Anwesenheit vorgefertigter Aminosäuren in ihrer Nahrung
angewiesen (7 Kap. 13.4.1). 13.1.2 Ammonium-Assimilation
Ammoniak ist eine mittelstarke Base mit einem pKa-
Wert von 9.2. Beim pH-Wert des Blutes (7,40) liegen dem- ! Pflanzen und Bakterien fixieren Ammoniumionen in
nach etwa 98,5% des Ammoniaks als Ammonium-Ionen Form der Aminosäure Glutamat.
13.1 · Stoffwechsel des Stickstoffs
429 13

Ammonium-Assimilation. Prozesse, bei denen Ammonium- 13.1.3 Stickstoffausscheidung


ionen in organischer Bindung fixiert werden, bezeichnet
! Landlebende Tiere wandeln NH4+ in weniger giftige
man als »Ammonium-Assimilation«. In Bakterien und
Ausscheidungsprodukte um.
Pflanzen ist der wichtigste Assimilationsweg die Bildung
der Aminosäure Glutamat aus D-Ketoglutarat und NH4+. Ausscheidungsformen. Die Art und Weise, wie Tiere Stick-
Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: stoff ausscheiden, ist sehr unterschiedlich und wird vor al-
4 die reduktive Aminierung von D-Ketoglutarat und lem von ihrer Lebensweise bestimmt. Fische und andere was-
4 den GS/GOGAT-Weg serlebende Tiere geben NH4+ über Haut oder die Kiemen
direkt ins Wasser ab. Diese ammonotelische Form der Ex-
Bei hohem NH4+-Angebot dominiert die Glutamat-De- kretion steht landlebenden Tieren nicht zur Verfügung. Sie
hydrogenase (GLDH, 7 Kap. 13.3.3), die Glutamat durch integrieren NH4+ in weniger toxische Verbindungen, wie
NAD(P)H-abhängige reduktive Aminierung von D-Keto- Harnstoff, Harnsäure, Guanin oder Kreatinin und geben
glutarat erzeugt diese Substanzen über Nieren oder Kloaken nach außen ab.
Die Bildung von Harnsäure (die so genannte uricote-
lische Form der Ausscheidung) wird u.a. von Vögeln und
Reptilien genutzt. Sie ist besonders wassersparend, weil
die schwer lösliche Harnsäure in fester Form abgegeben
Bei niedrigen Ammoniumkonzentrationen wird vor- werden kann. Deshalb können uricotelische Tiere auch in
wiegend der GS/GOGAT-Weg beschritten. Dabei aminiert extrem trockenen Umgebungen überleben.
zunächst die Glutamin-Synthetase (GS) in einer ATP-ab- Die ureotelische Form (d.h. die Ausscheidung von
hängigen Reaktion Glutamat zu Glutamin, das daraufhin Harnstoff mit dem Urin) ist zwangsläufig mit beträcht-
von der Glutamatsynthase (GOGAT) mit einem weiteren lichen Wasserverlusten verbunden. Deshalb kann es vor-
Molekül D-Ketoglutarat zu zwei Molekülen Glutamat kommen, dass sich während der Individualentwicklung
umgesetzt wird (das für Reaktion 2 notwendige Glutamat die Art der Stickstoffausscheidung ändert. So verwandeln
wird also regeneriert). Netto entsteht im GS/GOGAT-Weg- sich ammonotelische Kaulquappen in ureotelische Frösche.
wie bei der GLDH-Reaktion – Glutamat aus D-Ketoglutarat Auch beim Menschen entwickelt sich die Fähigkeit zur
und NH4+, mit dem Unterschied dass zusätzlich ATP ver- Harnstoffbildung erst kurz vor der Geburt.
braucht wird.

13.1.4 Funktionen der Aminosäuren


im Organismus

Aminosäuren haben im Organismus eine Vielzahl von


Funktionen, die in . Tabelle 13.1 in einer Übersicht zusam-
mengestellt sind. Aminosäuren oder von ihnen abgeleitete
Verbindungen dienen u.a.
4 als Substrate des Energiestoffwechsels. So decken
z.B. Leukozyten und die Enterozyten des Darms ihren
Die GOGAT kommt nur in Mikroorganismen und Pflan- hohen ATP-Bedarf überwiegend durch die Oxidation
zen vor, während Tiere diesen Weg nicht nutzen können. von Aminosäuren (7 Kap. 13.5.3)
Auch die Stickstoffassimilation über die GLDH-Reaktion 4 als Bausteine von Biomolekülen, z.B. Peptiden, Pro-
(Reaktion 1) spielt im Stoffwechsel der Säugetieren quan- teinen und Lipiden
titativ kaum eine Rolle, weil der KM-Wert der GLDH für 4 als Vorläufer von Monosacchariden z.B. in der Gluco-
NH3 relativ hoch ist und der NH4+-Spiegel im Organismus neogenese
ständig sehr niedrig gehalten wird (7 Kap. 13.5.2). Säuge- 4 als Vorstufen für die Synthese von Nucleotiden,
tiere benötigen deshalb in ihrer Nahrung vorgefertigte Aminozuckern und Porphyrinen
Aminogruppen in Form von Proteinen und Aminosäuren. 4 als Transportmoleküle für Aminogruppen
Die der Nahrung entnommenen Aminosäuren werden ent- 4 als Signalstoffe und Neurotransmitter bzw. als Vor-
weder in eigene Proteine eingebaut oder in D-Ketosäuren läufer solcher Substanzen
und NH4+ zerlegt. Während D-Ketosäuren wertvolle Meta- 4 als Antioxidantien oder Vorläufer für diese
bolite darstellen, ist NH4+ toxisch und wird deshalb zum 4 als Regulatoren des Säure/Basenhaushalts
größten Teil ausgeschieden.
Die Tabelle nennt für jede dieser Funktionen Beispiele.
430 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Tabelle 13.1. Stoffwechselbedeutung der Aminosäuren im Überblick


Funktion Organ(e) Produkt(e) Vorläufer
Energiestoffwechsel Darm ATP Glu, Gln, Asp
Muskel, Niere, Leber Kreatin Gly, Arg, Met
Intermediär- und alle Proteine proteinogene Aminosäuren
Baustoffwechsel Nucleotide Gln, Gly, Asp
Phospho- und Sphingolipide Ser
Aminozucker Gln
Leber, Niere Glucose v.a. Gln, Ala, Asp
Stickstofftransport Blut Gln, Ala andere Aminosäuren
Signalübertragung Hormondrüsen Hormone
Peptide proteinogene Aminosäuren
Katecholamine Tyr
Jodthyronine Tyr
Gehirn Neurotransmitter
Peptide proteinogene Aminosäuren
Aminosäuren Glu, Gly
biogene Amine Glu, Tyr,Trp
Gefäßsystem NO Arg
Oxidationsschutz viele Glutathion Glu, Cys, Gly
Muskulatur Taurin Cys
Säure/Basen-Haushalt Niere, Leber NH3, H+ Glu, Gln
verändert nach Reeds, 2000

13.2 Stickstoffhaushalt des Menschen In den Industriestaaten der westlichen Welt liegt die
tägliche Proteinzufuhr bei mindestens 100 g. Zu diesen
In höheren Organismen sind Aufnahme und Ausscheidung Nahrungsproteinen kommen 70 g Protein hinzu, die mit
stickstoffhaltiger Substanzen genau geregelt. Dies gilt ins- den Verdauungssäften in den Darm sezerniert werden
besondere für den Aminostickstoff von Aminosäuren, Pep- oder aus abgeschilferten Darmmukosazellen stammen. Die
tiden und Proteinen. Die Steuerung von Proteinaufbau und Darmschleimhaut gehört zu den wenigen Geweben des er-
-abbau ist so präzise, dass bei Erwachsenen die so genannte wachsenen Organismus, die ihre Zellen ständig erneuern
fettfreie Körpermasse (lean body mass) über Jahrzehnte müssen.
hinweg in engen Grenzen konstant bleibt, obwohl die Pro- Die Pools an freien Aminosäuren in den Geweben und
13 teinaufnahme zeitlich und mengenmäßig in weiten Gren- im Blut machen zusammen 70–100 g aus. Sie stehen in
zen schwankt. ständigem Austausch mit den Körperproteinen.

Regulation. Komplexe Mechanismen sorgen dafür, dass in


13.2.1 Stickstoffhomöostase unterschiedlichen Stoffwechselsituationen (Resorptions-
und Postresorptionsphase, Hunger) die Geschwindigkeiten
! Die Stickstoffhomöostase wird vor allem über den
Aminosäureabbau geregelt.

Der Körper eines Erwachsenen enthält etwa 10 kg Protein,


von denen etwa 2,5 kg auf das inerte Kollagen entfallen.
Da die meisten anderen Proteine relativ kurzlebig sind
(7 Kap. 9.3), werden täglich 250–300 g Protein ab- und
etwa die gleiche Menge wieder aufgebaut. Besonders inten-
siv ist die Proteinsynthese in der Muskulatur (bis zu 100 g/
Tag), in der Leber (etwa 50 g/Tag, davon entfallen allein
12 g auf Albumin) sowie in Immunzellen, die u.a. Anti-
. Abb. 13.2. Stickstoffhaushalt des Menschen. Beim Aminosäure-
körper bilden. Auch die Neusynthese von Hämoglobin im pool des Erwachsenen halten sich die Zuflüsse und Abflüsse die
Knochenmark macht mit etwa 8 g/Tag einen erheblichen Waage. Die Werte sind auf einen Erwachsenen von 70 kg Körper-
Teil der Gesamtsynthese aus (. Abb. 13.2). gewicht bezogen
13.2 · Stickstoffhaushalt des Menschen
431 13

von Proteinsynthese sowie von Protein- und Aminosäure- . Abb. 13.3 zeigt die Ergebnisse eines typischen Bilanz-
abbau und Stickstoffausscheidung den jeweiligen Erforder- experiments. Bei proteinfreier Ernährung war die Stick-
nissen angepasst werden. stoffbilanz der Versuchsperson negativ (es wurde mehr N
Da Menge und Qualität der Proteinzufuhr von den ausgeschieden als aufgenommen). Mit zunehmendem Pro-
physiologischen Regulationssystemen des Körpers nicht zu teingehalt der Nahrung wurde die Bilanz positiver und war
beeinflussen sind, sind es vor allem der Abbau und die im vorliegenden Fall bei einer Zufuhr von 200 mg N/kg
Ausscheidung von Aminosäuren, die zum Ausgleich der Körpergewicht und Tag – d.h. von etwa 1 g Protein/(kg d)
Stickstoffbilanz herangezogen werden. Weniger wichtige – ausgeglichen. Unter diesen Bedingungen wurde die N-Zu-
Angriffspunkte sind die Biosynthese und der Abbau kör- fuhr von den obligatorischen Verlusten von 50 mg N/(kg d)
pereigener Proteine. und den Verlusten durch Aminosäureabbau und Harn-
stoffausscheidung (150 mg N/kg d) gerade kompensiert.
Stickstoffverluste. Die Ausscheidung von Stickstoff erfolgt Für normal ernährte Erwachsene ist eine ausgeglichene
vor allem in Form von Harnstoff über den Urin (etwa Stickstoffbilanz typisch. Eine positive Bilanz findet man vor
85%) und in den Faeces (10–15%). Kleinere Mengen von allem bei Kindern im Wachstum oder bei Personen, die
Stickstoff (<5%) gehen auch mit dem Schweiß, abgeschil- unter dem Einfluss anaboler Hormone stehen. Eine negative
ferten Hautzellen, ausgefallenen Haaren und mit anderen Bilanz, d.h. Nettoverluste an Stickstoff, beobachtet man
Körpersekreten verloren. Die ausgeschiedene Menge an im Hunger und als Begleiterscheinung verschiedener Er-
Harnstoff spiegelt vor allem die aufgenommene Protein- krankungen. So treten nach Verletzungen oder größeren
menge wider. Operationen so genannte hyperkatabole Zustände auf bei
denen Stresshormone den Proteinabbau stark stimulieren.
Auch die bei Tumorpatienten häufig auftretende Kachexie
13.2.2 Stickstoffbilanz kann zu einer stark negativen Stickstoffbilanz führen.

! Die Stickstoffbilanz von Erwachsenen ist normalerwei- Infobox


se ausgeglichen. Bei ausgeglichener Stickstoffbilanz kann man die pro
Tag aufgenommene Proteinmenge grob aus dem Harn-
Bilanzmessungen. Als Stickstoffbilanz bezeichnet man die stoffgehalt des 24 h-Urins abschätzen. Der Stickstoffge-
Differenz zwischen den pro Tag aufgenommenen und ab- halt von Proteinen liegt bei etwa 16%, der von Harnstoff
gegebenen Stickstoffmengen. Um sie experimentell zu be- bei 47%. Näherungsweise gilt deshalb
stimmen, verabreicht man Versuchspersonen anfangs eine
proteinarme Diät und erhöht dann im Laufe der Zeit die aufgenommene Proteinmenge in g =
Proteinzufuhr. Dabei werden täglich die Stickstoffverluste ausgeschiedene Harnstoffmenge in g · 3
gemessen und mit der aufgenommen Proteinmenge in Be-
ziehung gesetzt.
! Die optimale Proteinzufuhr hängt von vielen Faktoren
Eine genaue Bestimmung der Stickstoffbilanz stößt auf
ab.
erhebliche methodische Schwierigkeiten, z.B. lassen sich
die N-Verluste über den Darm und die Haut schlecht quan- Proteinbedarf des Menschen. Für die täglich notwendige
tifizieren. Zudem wird die Bilanz von vielen Faktoren be- Proteinzufuhr lassen sich keine allgemein gültigen Werte
einflusst, u.a. vom Alter, von der körperlichen Aktivität, angeben. Die optimale Menge hängt u.a. vom Alter, vom
vom Ernährungszustand und von der Menge und Qualität körperlichen Zustand und vor allem von der Qualität des
der zusätzlich aufgenommenen Nahrungsstoffe. Proteins ab (7 Kap. 21.5.1). Für Erwachsene wird (je nach

. Abb. 13.3. Stickstoffbilanz. Im darge-


stellten Beispiel war bei gemischter Kost
die Bilanz bei einer täglichen Zufuhr von
200 mg Stickstoff pro kg Körpergewicht
ausgeglichen
432 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

biologischer Wertigkeit des Proteins) eine tägliche Auf- gruppen dieser Transaminierungsprodukte werden – je
nahme von 0,5–1 g Protein/kg Körpergewicht empfohlen, nach Stoffwechsellage – wieder für Biosynthesen verwendet
für Kinder bis zum 6. Lebensjahr liegt die Menge – bezogen oder zur Ausscheidung in Harnstoff eingebaut. Die drei ge-
auf das Körpergewicht – etwa doppelt so hoch. Wie bereits nannten Aminosäuren bieten sich dafür an, weil der Stoff-
erwähnt, ist eine minimale Proteinaufnahme von 20–30 g wechsel ihre Kohlenstoffskelette in Form der entsprechen-
Protein/Tag erforderlich, um die obligatorischen Stickstoff- den D-Ketosäuren ständig produziert.
verluste von 30–50 mg N/(kg · d) auszugleichen. Weitere
Einzelheiten 7 Kapitel 21.5.1. Rolle von Glutamat. Eine Schlüsselstellung im Stoffwechsel
der Aminosäuren nimmt Glutamat (D-Aminoglutarat) ein,
das sozusagen die »Drehscheibe« dieses Stoffwechselseg-
13.3 Reaktionen und Enzyme ments darstellt.
im Aminosäurestoffwechsel Wie . Abb. 13.4 zeigt
4 lassen sich Ammoniumionen durch Bildung von Glu-
Kohlenstoff wird im Intermediärstoffwechsel überwiegend tamin aus Glutamat (Reaktion (1)) oder durch Aminie-
durch katabole Stoffwechselwege zu CO2 oxidiert und in rung von D-Ketoglutarat zu Glutamat (Reaktion (4))
dieser Form ausgeschieden. Dabei fallen Reduktionsäqui- in organischer Bindung fixieren
valente an, die zur Bildung energiereicher Triphosphate 4 können die Reaktionen (2) und (4) durch Desaminie-
genutzt werden. rung von Glutamin bzw. Glutamat auch Ammoniak
Zwar ließen sich auf diese Weise auch Stickstoffverbin- freisetzen
dungen oxidieren, jedoch wären die dabei anfallenden Pro- 4 kann die Aminogruppe von Glutamat durch Trans-
dukte (Stickoxide unterschiedlicher Oxidationsstufen und aminierung auf diverse D-Ketosäuren übertragen wer-
die entsprechenden Säuren) so toxisch, dass tierische Zellen den, wobei weitere Aminosäuren gebildet werden (Re-
von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen. Stattdes- aktion (3))
sen setzen sie organisch gebundenen Stickstoff in Form von 4 Umgekehrt kann aus den entsprechenden Aminosäu-
Ammoniumionen (NH4+) frei und scheiden diese direkt ren durch die gleiche reversible Reaktion auch Glu-
oder nach Einbau in weniger giftige Verbindungen aus. tamat entstehen. Zusammen genommen bezeichnet
man die Reaktionen (3) und (4) auch als Transdesami-
nierung
13.3.1 Stoffwechsel der α-Aminogruppe 4 kann die Aminogruppe von Glutamat durch reversible
Transaminierung unter Bildung von Aspartat auf die
! Aminogruppen werden durch Transaminierung über- D-Ketosäure Oxalacetat übertragen werden (Reaktion
tragen oder durch Desaminierung freigesetzt. (5))
4 ist das aus Glutamat gebildete Glutamin ein wichtiger
Desaminierung und Transaminierung. Der Aminostick- Stickstoffdonator bei Biosynthesen (Reaktion (7)).
stoff der verschiedenen Aminosäuren wird beim Abbau Auch Aspartat kann diese Rolle spielen, wobei Fumarat
13 entweder als NH4+ abgespalten (Desaminierung) oder entsteht (Reaktionen (6) und (8)). Zusammen mit der
durch Transaminierung in andere Aminosäuren (vor allem Regeneration von Aspartat aus Fumarat bilden Reak-
Alanin, Aspartat oder Glutamat) eingebaut. Die Amino- tionen (6) und (8) den so genannten Aspartatzyklus

. Abb. 13.4. Zentrale Rolle von Glu-


tamat im Aminosäurestoffwechsel.
(Einzelheiten 7 Text)
13.3 · Reaktionen und Enzyme im Aminosäurestoffwechsel
433 13

. Tabelle 13.2. Von Pyridoxalphosphat abhängige Reaktionen


Reaktion Enzym(e) Beispiel 7 Abb.
Reaktionen am α-C-Atom
Transaminierung Aminotransferasen Glutamat + Pyruvat  α -Ketoglutarat + Alanin 13.6
Decarboxylierung Decarboxylasen Ornithin → Putrescin + CO2 13.26
Racemisierung Racemasen L-Alanin  D-Alanin –
Elimierung Serin/Threonin-Hydroxymethyltransferase Serin + THF  Glycin + N5 , N10 -Methylen-THF 13.23
Reaktionen am β-C-Atom
Substitution Tryptophansynthase Serin + Indol o Tryptophan –
α,β-Eliminierung Serindehydratase Serin o Pyruvat + NH3 13.8
Cystathionin-β-Lyase Cystathionin o Homocystein + Pyruvat + NH3 13.28
Reaktionen am γ-C-Atom
Substitution Cystathionin-γ-Synthase Succinylhomoserin + Cystein o Cystathionin –
Eliminierung Cystathionin-γ-Lyase Cystathionin o Cystein + α-Ketobutyrat 13.28

4 stellt Glutamat die Vorstufe für die Aminosäuren Prolin sen und vielen weiteren Enzymen des Aminosäurestoff-
und Arginin dar bzw. entsteht bei deren Abbau sowie wechsels vorkommt.
beim Abbau von Histidin (7 Kap. 13.6.3, 13.6.7)
! Pyridoxalphosphat ist das wichtigste Coenzym im
Stoffwechsel von Aminosäuren.
13.3.2 Transaminierungen Pyridoxalphosphat (PALP, 7 Kap. 23.3.5) ist ein ungewöhn-
lich vielseitiges Coenzym, das zahlreiche Umsetzungen im
! An Transaminierungsreaktionen sind zwei Aminosäuren Aminosäurestoffwechsel unterstützt. PALP-abhängige Re-
und zwei D-Ketosäuren beteiligt. aktionen finden nicht nur am D-C-Atom statt, sondern
können auch die E- und J-Atome in der Seitenkette be-
Aminotransferasen. Transaminierungsreaktionen werden treffen. Wichtige Beispiele sind in . Tab. 13.2 zusammen-
von Aminotransferasen (Transaminasen) katalysiert (En- gestellt.
zymklasse 2.6.1). Diese Enzyme übertragen die Amino-
gruppe einer Aminosäure auf eine D-Ketosäure, wobei eine Wirkungsweise. In Abwesenheit von Substraten ist die
neue Aminosäure entsteht und von der ursprünglichen Aldehydgruppe des Pyridoxalphosphats in der Regel als
Aminosäure eine D-Ketosäure zurückbleibt. Aldimin (»Schiff-Base«) covalent an einen Lysinrest des
Enzyms gebunden. Zu Beginn der Reaktion verdrängt die
D-Aminogruppe der zuerst gebundenen Aminosäure den
Lysinrest und bildet mit dem Coenzym selbst ein Aldimin
(. Abb. 13.5, links).
Eines der beiden Aminosäure/D-Ketosäure- Paare wird in Aus diesem Zwischenprodukt lässt sich der Wasserstoff
der Regel von Glutamat/D-Ketoglutarat gebildet. So kata- am D-C-Atom leicht als Proton abspalten, weil die zurück-
lysiert z.B. die Aspartat-Aminotransferase (ASAT, vgl. bleibende negative Ladung in der chinoiden Form des
13.6.1) die Reaktion Coenzyms delokalisiert werden kann (. Abb. 13.5, rechts).
In anderen Worten: Die Deprotonierung ist begünstigt,
weil das gebildete Anion mesomeriestabilisiert ist. Dabei
wirkt der Pyridinring von PALP als »Elektronenfalle«.
und die Alanin- Aminotransferase (ALAT) die Reaktion Tatsächlich verlaufen fast alle der in . Tabelle 13.2. ge-
nannten Reaktionen über ein derartiges chinoides Zwi-
schenprodukt. Welcher Reaktionsweg von dort aus ein-
geschlagen wird, hängt von den Aminosäureresten des
Nicht nur D-Aminogruppen können transaminiert werden, Enzyms ab, die mit der chinoiden Form in Wechselwir-
sondern auch Aminogruppen in Seitenketten (7 z.B. . Abb. kung treten.
13.24). Während der Reaktion wird die zu transferierende
Aminogruppe vom enzymgebundenem Coenzym Pyrid- ! Bei Transaminierungen tritt als covalentes Zwischen-
oxalphosphat übernommen, das in allen Aminotransfera- produkt Pyridoxaminphosphat auf.
434 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Abb. 13.5. Die chinoide Form von Pyridoxalphosphat als gemeinsames Intermediat PALP-abhängiger Reaktionen

Mechanismus der Transaminierung. Der Ablauf einer en- 13.3.3 Desaminierung


zymkatalysierten Transaminierung ist in . Abb. 13.6 im
Einzelnen dargestellt. Zunächst bildet sich aus dem Aldi- ! Desaminierungsreaktionen setzen NH4+ aus Aminosäu-
min 1 die schon erwähnte chinoide Form 1 (oben Mitte), ren frei.
die in das entsprechende Ketimin umgelagert wird. Die
C = N-Doppelbindung dieses Zwischenprodukts lässt sich Desaminierung. Als Desaminierungen bezeichnet man Re-
hydrolytisch spalten, wobei die Ketosäure 1 freigesetzt wird. aktionen, bei denen die Aminogruppe einer Aminosäure
Zurück bleibt Pyridoxaminphosphat, in dem die Amino- als Ammoniumion (NH4+) freigesetzt wird. Nach ihrem
gruppe der ehemaligen Aminosäure 1 covalent an das Reaktionsmechanismus lassen sich mehrere Fälle unter-
Coenzym gebunden ist. scheiden (. Abb. 13.7):
Der zweite Teil der Reaktion (unten) ist die exakte Um- 4 die oxidative oder dehydrierende Desaminierung
kehrung des bisher beschriebenen Ablaufs: Die Ketosäure betrifft beim Menschen nur Glutamat, das durch die
2 bildet mit Pyridoxaminphosphat ein Ketimin, das nach Glutamat-Dehydrogenase (GLDH) in NH4+, D-Keto-
Umlagerung zur chinoiden Form zum Aldimin 2 proto- glutarat und NADH + H+ zerlegt wird (. Abb. 13.7a).
niert wird. Dieses setzt schließlich die Aminosäure 2 frei, In Mikroorganismen können auf diese Weise auch
an deren Stelle wieder der Lysinrest des Enzyms tritt. Alanin und Leucin abgebaut werden
Aktives Zentrum. Wichtige funktionelle Gruppen 4 bei der hydrolytischen Desaminierung wird NH4+
PALP-abhängiger Enzyme sind basische Aminosäurereste durch Hydrolyse der Amidgruppen von Glutamin oder
(in . Abb. 13.6 mit -E abgekürzt), die das aus der D-Posi- Asparagin freigesetzt (. Abb. 13.7b)
tion des Aldimins abgespaltene Proton binden. Weitere 4 durch eliminierende Desaminierung werden im
Aminosäurereste fixieren den positiv geladenen Pyridi- menschlichen Stoffwechsel nur Serin, Threonin (. Abb.
13 nium-Stickstoff und die Phosphatgruppe des Coenzyms 13.7c) und Histidin abgebaut. In Pflanzen und Mikro-
sowie die Carboxylatgruppen der gebundenen Amino- organismen gibt es weitere Ammoniak-Lyasen, z.B. die
bzw. Ketosäuren. Im Inset der . Abb. 13.6 ist die Lage dieser Aspartase, die Aspartat in Fumarat und NH4+ zerlegt.
Reste am Beispiel der Aldiminform einer Aspartat-Amino- Beim Menschen kann Aspartat indirekt über den so
transferase dargestellt (funktionell wichtige Aminosäure- genannten Purinnucleotidzyklus desaminiert werden
reste des Enzyms sind grün gefärbt, H-Atome der Über- (7 Kap. 19.2)
sichtlichkeit halber weggelassen). In der gezeigten Ami- 4 bei der O2-abhängigen oxidativen Desaminierung
notransferase hat Lysin 258 eine Doppelfunktion: In werden biogene Amine wie Katecholamine (7 Kap. 26.3)
Abwesenheit der Substrate verknüpft es das Coenzym oder Histamin (7 Kap. 13.6.5) in Aldehyde umgewan-
PALP covalent mit dem Apoenzym; zusätzlich übernimmt delt
es während der Katalyse die Rolle der Base –E. Das Co-
! Die dehydrierende Desaminierung von Glutamat ver-
enzym ist u.a. durch elektrostatische Wechselwirkungen
läuft über ein Imin-Zwischenprodukt.
mit Asp-222 und Arg-266 sowie über eine Wasserstoff-
brücke mit Asn-194 verbunden. Die beiden Carboxylat- Die von der mitochondrialen Glutamat-Dehydrogenase
gruppen des covalent mit PALP verknüpften Aspartat- (GLDH) katalysierte dehydrierende Desaminierung von
Restes sind durch elektrostatische Wechselwirkungen mit Glutamat ist ein wichtiger Schritt beim Abbau von Amino-
Arginin-Resten fixiert, von denen nur einer (Arg-386) dar- säuren.
gestellt ist.
13.3 · Reaktionen und Enzyme im Aminosäurestoffwechsel
435 13

. Abb. 13.6. Mechanismus der Transaminierung. Im Inset ist ein Teil des aktiven Zentrums der Aspartat-Aminotransferase dargestellt.
(Einzelheiten 7 Text)

Mechanismus der GLDH. Die GLDH-Reaktion läuft in ! Auch die eliminierende Desaminierung von Serin be-
zwei Schritten ab (. Abb. 13.7a). Zunächst wird Glutamat nötigt PALP.
an der D-Aminogruppe zum entsprechenden Imin (D-Imi-
noglutarat) oxidiert das – ähnlich wie das Ketimin bei Wie bereits erwähnt werden im menschlichen Organismus
Transaminierungsreaktionen – hydrolyseempfindlich ist nur wenige Aminosäuren durch Eliminierung desaminiert.
und im zweiten Schritt unter Wasseraufnahme in NH4+ und Zu ihnen gehören Histidin, Serin und Threonin.
D-Ketoglutarat gespalten wird.
Über die Regulation der GLDH-Aktivität und die Be- Mechanismus der Serin/Threonin-Dehydratase. Wie schon
deutung des Enzyms im Stoffwechsel der Leber informiert ihr Name andeutet, setzt diese PALP-abhängige Dehydra-
Abschnitt 13.6.1. tase bei der Desaminierung ihrer Substrate Ammonium-
436 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Abb. 13.7. Desaminierungsformen

ionen nicht direkt frei, sondern spaltet zunächst durch hydrolytische Spaltung dann den entsprechenden Aldehyd
D,E-Eliminierung ein Wassermolekül ab (. Abb. 13.8). und NH4+ ergibt. Die gebildeten Aldehyde können durch
Die Rolle des Pyridoxalphosphats ähnelt derjenigen Dehydrierung zu Carbonsäuren und anschließende E-Oxi-
in Aminotransferasen, d.h. auch hier entstehen der Reihe dation weiter verstoffwechselt werden.
nach ein Aldimin, eine chinoide Form und ein Ketimin, aus
dem durch Abspaltung von Aminoacrylat freies Coenzym Pathobiochemie.
regeneriert wird. Aminoacrylat ist instabil und zerfällt
! Hemmstoffe der Monoaminoxidase werden zur Be-
nach spontaner Umlagerung in D-Iminopropionat durch
13 Hydrolyse in Pyruvat und NH4+.
handlung neurologischer und psychischer Erkrankun-
gen eingesetzt.
Die Desaminierung von Histidin durch die Histidase
(. Abb. 13.36) folgt einem anderen Mechanismus und be- Die Monoaminoxidase (MAO), ein integrales Flavoenzym
nötigt kein PALP. der äußeren Mitochondrienmembran, oxidiert u.a. Neu-
rotransmitter wie Serotonin, Noradrenalin und Dopa-
min (7 Kap. 26.3) und inaktiviert sie dadurch. Die Hem-
13.3.4 Weitere Reaktionen mung der Monoaminoxidase führt zu erhöhten Konzen-
trationen der betreffenden Transmitter im Gehirn und
! Durch PALP-abhängige Decarboxylierung von Amino- hat deshalb einen günstigen Einfluss auf depressive Zu-
säuren entstehen biogene Amine. stände und andere Erkrankungen des Zentralnerven-
systems.
Decarboxylierung. Fast alle Aminosäuren lassen sich durch MAO kommt in zwei Isoformen (MAO-A und
Pyridoxalphosphat-abhängige Enzyme zu Aminen (so MAO-B) mit etwas unterschiedlicher Substratspezifität vor.
genannten »biogenen Aminen«) decarboxylieren, die als Inhibitoren der Monoaminoxidase werden in selektive und
Gewebshormone, Neurotransmitter oder Bestandteile von nicht-selektive Wirkstoffe unterteilt. Selektive MAO-A-
Coenzymen wirken (. Tabelle 13.3). Inhibitoren haben eine vorwiegend antidepressive Wir-
Der Abbau der biogenen Amine wird – je nachdem, ob kung. Gegen MAO-B gerichtete Wirkstoffe werden dage-
das Amin eine oder zwei Aminogruppen enthält – durch gen in erster Linie zur Behandlung der Parkinsonschen
Mono- bzw. Diaminoxidasen katalysiert. Auch diese Erkrankung eingesetzt. Nicht-selektive irreversible MAO-
Enzyme oxidieren die Amine zunächst zu Iminen, deren Inhibitoren hemmen beide Isoenzyme.
13.3 · Reaktionen und Enzyme im Aminosäurestoffwechsel
437 13

. Abb. 13.8. Reaktionsmechanismus der Serin/Threonin-Dehydratase

Inhibitoren der MAO gelten als gut wirksam, sind 4 D-Aminooxidasen sind in den Peroxisomen (7 Kap.
jedoch nicht frei von unerwünschten Nebenwirkungen. 6.2.10) lokalisiert und benutzen FAD als Coenzym
So müssen z.B. Patienten, die nicht-selektive irreversible 4 L-Aminooxidasen finden sich im endoplasmatischen
MAO-Hemmer einnehmen, eine streng tyraminarme Diät Retikulum und arbeiten mit FMN
einhalten. Das in Käse und Nüssen enthaltene Tyramin
kann bei gleichzeitiger Einnahme der genannten Inhibito- Die bei der Reaktion reduzierten Coenzyme werden durch
ren zu einem gefährlichen Blutdruckanstieg führen. molekularen Sauerstoff reoxidiert. Das dabei gebildete
H2O2 wird in den Peroxisomen durch Katalase zu ½ O2
Abbau durch Aminosäureoxidasen. In Leber- und Nieren und H2O entgiftet.
gibt es weitere Enzyme, die Aminosäuren irreversibel des-
aminieren. Diese Aminosäureoxidasen, die nicht mit den
Mono- und Diaminoxidasen verwechselt werden dürfen,
greifen entweder die proteinogenen L-Aminosäuren oder
die ungewöhnlichen D-Aminosäuren an:
438 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Tabelle 13.3. Pyridoxalphosphat-abhängige Decarboxylierungen von Aminosäuren (Auswahl)


Aminosäuren Amin Bedeutung
Aspartat (in Mikroorganismen) β-Alanin Bestandteil von Coenzym A
Glutamat γ-Aminobutyrat Überträgerstoff im ZNS
Ornithin Putrescin Vorstufe der Polyamine
Lysin Cadaverin Produkt von Mikroorganismen im Darm
Arginin Agmatin Möglicherweise Überträgerstoff im ZNS
Cystein (in Mikroorganismen) Cysteamin Bestandteil von Coenzym A
Methionin (als S-Adenosylmethionin) Decarboxyliertes S-Adenosylmethio- Propylamindonator bei der Polyaminbiosynthese
nin (»Methamin«)
Serin Ethanolamin Phospholipidbiosynthese
Histidin Histamin Gewebehormon
Tyrosin Tyramin Produkt von Mikroorganismen im Darm
3,4-Dihydroxyphenylalanin 3,4-Dihydroxyphenylethylamin Überträgerstoff im ZNS; Vorstufe bei der Katecholamin-
(Dopamin) biosynthese
Tryptophan Tryptamin Produkt von Mikroorganismen im Darm und von
Leber- und Nierenzellen
5-Hydroxytryptophan 5-Hydroxytryptamin Gewebshormon

13.4 Übersicht über den mensch- gestuft, deren Fehlen in der Nahrung zu einer negativen
lichen Aminosäurestoffwechsel Stickstoffbilanz (7 Kap. 13.2.2) und verzögertem Wachstum
führte. In jüngerer Zeit werden auch mit stabilen Isotopen
13.4.1 Aminosäurebedarf des Menschen (13C, 15N) markierte Aminosäuren eingesetzt, deren Schick-
sal im Körper sich gut verfolgen lässt.
! Der Mensch kann fast die Hälfte der proteinogenen
Aminosäuren nicht mehr synthetisieren. Essentielle Aminosäuren. Einigkeit besteht darüber, dass
8 proteinogene Aminosäuren absolut essentiell sind (. Ta-
Die Fähigkeit zur Eigensynthese vieler proteinogener Ami- belle 13.4). Neben Lysin sind dies alle verzweigtkettigen
nosäuren ging frühen Vorläufern der heutigen Tiere schon Aminosäuren (Val, Leu, Ile, Thr), die aromatischen Amino-
vor Millionen von Jahren verloren. Da sich diese Vorläufer säuren Phenylalanin und Tryptophan sowie Methionin.
von den reichlich vorhandenen Pflanzen oder anderen Tie- Von diesen Aminosäuren benötigen Erwachsene pro kg
13 ren ernähren konnten, waren die Reaktionen der Amino- Körpergewicht täglich zwischen 5 und 40 mg (. Tabel-
säurebiosynthese für ihren Stoffwechsel eine unnötige Be- le 13.4, auch hierzu können die Angaben verschiedener
lastung. Mutationen, die durch Inaktivierung eines oder Autoren erheblich voneinander abweichen). Die Tabelle
mehrerer Enzyme zum Verlust eines Biosynthesewegs führ- nennt zudem die chemischen Ursachen für den essentiellen
ten, bedeuteten deshalb einen Selektionsvorteil, der umso Charakter der jeweiligen Aminosäure (»Grund«), d.h. die
größer war, je mehr Aminosäuren durch diesen Enzym- chemische Komponente, die im tierischen Stoffwechsel
mangel nicht mehr synthetisiert werden konnten. nicht de novo gebildet werden kann. Über die ernährungs-
Bakterien und Pflanzen, denen vorgefertigte Amino- physiologische Bedeutung der essentiellen Aminosäuren
säuren überhaupt nicht oder nicht in ausreichenden Men- orientiert 7 Kapitel 21.
gen zugänglich sind, können auf eine komplette Ausstat- Ob Histidin für Erwachsene essentiell ist oder nicht, ist
tung mit Enzymen zur Synthese der proteinogenen Amino- immer noch umstritten, u.a. weil im Körper ein großer
säuren bis heute nicht verzichten. Histidinpool existiert, der dafür sorgt, dass bei histidin-
freier Kost Mangelerscheinungen erst sehr spät auftreten.
! Bei Aminosäuren ist »essentiell oder nicht« eine Frage
Bis heute fehlen jedenfalls Befunde, die eindeutig belegen,
der Definition.
dass der menschliche Organismus Histidin in größeren
Bis heute gibt es in der Literatur Kontroversen über Zahl Mengen synthetisieren kann. Für Säuglinge ist Histidin mit
und Art der für den Menschen essentiellen Aminosäuren. Sicherheit essentiell.
Die klassischen Untersuchungen zum Aminosäurebedarf
des Menschen wurden an gesunden Erwachsenen durchge- Bedingt essentielle Aminosäuren. Eine weitere Gruppe
führt. Als essentiell wurden diejenigen Aminosäuren ein- von 6–7 Aminosäuren sind nur deshalb nicht essentiell,
13.4 · Übersicht über den menschlichen Aminosäurestoffwechsel
439 13

. Tabelle 13.4. Aminosäurebedarf des Menschen


Nicht essentiell Bedingt essentiell Vorstufe Essentiell Bedarf b) Grund
(mg/kg d)
Alanin Asparagin Aspartat Histidina) 20 Imidazolring
Aspartat Arginin Glutamat Isoleucin 18 Verzweigung
Glutamat Cystein Serin Leucin 25 Verzweigung
Serin Glutamin Glutamat Lysin 22 primäres Amin
Glycin Serin Methionin 24 sekundäres Thiol
Prolin Glutamat Phenylalanin 25 Aromat
Tyrosin Phenylalanin Threonin 13 Verzweigung
Tryptophan 6 Indolring
Valin 18 Verzweigung
a) b)
siehe Text nach J. Millward (1997) J. Nutr. 127, 1842–1846.

weil sie aus anderen Aminosäuren synthetisiert werden 13.4.2 Stoffwechsel der nicht essentiellen
können, so z.B. Tyrosin aus Phenylalanin oder Cystein aus Aminosäuren im Überblick
Serin bzw. Methionin. Solche Aminosäuren bezeichnet
man als bedingt essentiell. Unter veränderten Stoffwech- Synthese und Abbau der nicht (oder bedingt) essentiellen
selbedingungen und bei raschem Wachstum können sie Aminosäuren sind eng mit dem Citratzyklus und seinen
durchaus essentiell werden. Für Säuglinge und Kleinkinder Eingangsreaktionen verknüpft. Lediglich Serin und Glycin
sind – streng genommen – nur Alanin, Aspartat, Glutamat entstehen aus einem Zwischenprodukt der Glycolyse. Die
und Serin nicht essentiell. meisten nicht essentiellen Aminosäuren werden zu den-
selben Verbindungen abgebaut, aus denen sie auch gebildet
Nicht essentielle Aminosäuren. Nicht essentiell im engeren wurden. Die entsprechenden Prozesse sind in . Abb. 13.9
Sinne sind Aminosäuren, die der Organismus aus leicht zu- im Vergleich dargestellt.
gänglichen Vorstufen und mit ausreichender Geschwindig-
keit selbst herstellen kann. So wäre der Mensch zwar in der Biosynthese (. Abb. 13.9a). Alanin, Aspartat und Glutamat
Lage, mehrere essentielle Aminosäuren aus den entspre- entstehen durch Transaminierung aus den entsprechen-
chenden D-Ketosäuren durch Transaminierung zu synthe- den D-Ketosäuren. Glutamat ist auch die Vorstufe von
tisieren, keine dieser Vorstufen ist jedoch normalerweise Glutamin (. Abb. 13.20) sowie von Arginin und Prolin
in der Nahrung enthalten oder als Zwischenprodukt des (. Abb. 13.24), während Aspartat zu Asparagin amidiert
Stoffwechsels zugänglich. Völlig von Grund auf – also ohne werden kann (. Abb. 13.20). Serin entsteht aus 3-Phospho-
Beteiligung anderer Aminosäuren – kann ohnehin nur glycerat (. Abb. 13.22) und dient als Vorstufe für Glycin
Glutamat gebildet werden (in der GLDH-Reaktion aus (. Abb. 13.22) und Cystein (. Abb. 13.27).
D-Ketoglutarat und NH4+).
Abbau (. Abb. 13.9b). Zum Abbau werden Alanin, Aspar-
! Pathobiochemie: In der Nahrung lassen sich D-Amino-
tat und Glutamat zu den entsprechenden D-Ketosäuren
säuren durch D-Ketosäuren ersetzen.
transaminiert. Prolin und Arginin werden in Glutamat
Die Tatsache, dass viele Ketosäuren die entsprechenden überführt, während Serin, Glycin und Cystein überwiegend
Aminosäuren in der Nahrung ersetzen können, wird thera- zu Pyruvat abgebaut werden (. Abb. 13.22 und 13.29).
peutisch bei Erkrankungen angewendet, bei denen die Be-
lastung des Organismus mit stickstoffhaltigen Substanzen
möglichst gering gehalten werden muss, weil die Entgiftung 13.4.3 Abbau der essentiellen Amino-
oder Ausscheidung dieser Stoffe gestört ist. Dazu gehören säuren im Überblick
4 das hepatische Koma und
4 das chronische Nierenversagen ! Der Abbau der essentiellen Aminosäuren liefert nur
fünf Endprodukte.
bei denen mit einer derartigen Diät beachtliche Erfolge
erzielt wurden. Abbau. Die Abbauwege der essentiellen Aminosäuren sind
komplizierter als die der nicht essentiellen (. Abb. 13.10),
aber auch sie ergeben eine kleine Zahl von Endprodukten,
440 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

die entweder dem Citratzyklus angehören oder mit ihm in


Verbindung stehen, nämlich
4 α-Ketoglutarat (aus Histidin)
4 Succinyl-CoA (aus Isoleucin und Valin)
4 Fumarat (aus Phenylalanin)
4 Pyruvat (aus Tryptophan) und
4 Acetyl-CoA (aus Phenylalanin, Leucin, Isoleucin und
Lysin)

Die meisten essentiellen Aminosäuren werden schon zu


Beginn des Abbaus transaminiert oder desaminiert, wobei
in der Regel D-Ketosäuren entstehen. Die D-Aminogrup-
pen von Methionin und Tryptophan enden dagegen als
Aminogruppen nicht essentieller Aminosäuren (Cystein
bzw. Alanin). Mit Ausnahme von Histidin, das über einen
besonderen Weg zu Glutamat abgebaut wird, werden die
Kohlenstoffskelette der neun essentiellen Aminosäuren
ganz oder teilweise in sechs D-Ketosäuren überführt
(. Abb. 13.10), und zwar in
(1) D-Ketobutyrat (Methionin, Threonin)
(2) D-Keto-E-methylvalerat (Isoleucin)
(3) D-Ketoisovalerat (Valin)
(4) Phenylpyruvat (Phenylalanin)
(5) D-Ketoisocapronat (Leucin) oder
(6) D-Aminoadipat (Lysin, Tryptophan)

. Abb. 13.9. Stoffwechsel der nicht


essentiellen Aminosäuren im Über-
blick. a Biosynthese b Abbau.
AM = Aminierung, DA = Desaminierung,
TA = Transaminierung, ■ = nicht näher
definiertes Zwischenprodukt

13
13.4 · Übersicht über den menschlichen Aminosäurestoffwechsel
441 13

. Abb. 13.10. Abbau der essentiellen Aminosäuren im Überblick. DA = Desaminierung, TA = Transaminierung. D-KS = D-Ketosäure. Die
Ziffern hinter den D-Ketosäuren werden im Text erläutert

In der Mehrzahl der Fälle schließt sich der Transaminie- Glucogene und ketogene Aminosäuren. Ein entschei-
rung eine dehydrierende Decarboxylierung der D-Keto- dendes Zwischenprodukt der Gluconeogenese ist mitochon-
säuren zu Coenzym A-Derivaten an wie sie aus dem Stoff- driales Oxalacetat (7 Kap. 11.3). Alle Metabolite, deren
wechsel von Pyruvat und D-Ketoglutarat bekannt ist. Um Kohlenstoffskelett ganz oder teilweise in Oxalacetat um-
dieses Abbauprinzip anschaulicher zu machen, sind in gebaut werden kann, sind deshalb auch Vorstufen der Glu-
. Abbildung 13.11 die entsprechenden Reaktionen, Subs- coneogenese. Wie die Abbildungen 13.9 und 13.10 zeigen,
trate und Produkte in einer Übersicht zusammengestellt. trifft dies für fast alle proteinogenen Aminosäuren zu. Die
Die einzige der aufgeführten D-Ketosäuren, die im mensch- einzigen Ausnahmen sind Leucin und Lysin, deren C-Ske-
lichen Stoffwechsel nicht oxidativ decarboxyliert wird, ist lette nur Acetyl-CoA liefern, dessen Acetylrest im Citrat-
Oxalacetat. Als Produkt würde Malonyl-CoA entstehen, zyklus zu CO2 oxidiert wird, bevor die Stufe des Oxalacetats
dessen Hydrolyseprodukt Malonat ein potenter Hemmstoff erreicht wird (7 Kap. 14.2).
der Succinat-Dehydrogenase ist. Leucin und Lysin sind rein ketogene Aminosäuren.
Auch beim Aminosäureabbau sind Multienzymkom- Die meisten anderen Aminosäuren (darunter alle nicht es-
plexe für die oxidative Decarboxylierung zuständig. So sentiellen) sind rein glucogen, während Threonin, Phenyl-
werden die aus dem Abbau von Valin, Leucin und Isoleucin alanin, Tyrosin und Tryptophan glucogene und ketogene
hervorgehenden D-Ketosäuren (2), (3) und (5) alle von Eigenschaften haben. Wie in 7 Kapitel 11 besprochen, bil-
einem so genannten Verzweigtketten-Dehydrogenase- den glucogene Aminosäuren die wichtigsten Vorstufen der
Komplex umgesetzt (7 Kap. 13.6.5). Gluconeogenese in Leber und Niere.
! Nur zwei proteinogene Aminosäuren können nicht zu
Glucose umgebaut werden.
442 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Abb. 13.11. Transaminierung und dehydrierende Decarboxy- als einzige der dargestellten D-Ketosäuren Oxalacetat nicht oxidativ
lierung im Aminosäureabbau. Im menschlichen Stoffwechsel wird decarboxyliert

13.4.4 Subzelluläre Lokalisation des Auch der Harnstoffzyklus (7 Kap. 13.5.2) ist zwischen
13 Aminosäureabbaus Cytosol und Mitochondrienmatrix aufgeteilt. Hier schafft
ein als ORNT1 bezeichneter Antiporter die Verbindung
! Der Aminosäurestoffwechsel ist zwischen Cytosol und zwischen beiden Kompartimenten. Er tauscht Ornithin
.
Mitochondrien aufgeteilt gegen Citrullin aus.

Subzelluläre Verteilung. Da die Endstrecke des Abbaus der


meisten D-Ketosäuren in der Mitochondrienmatrix lokali- 13.4.5 Biosynthese der essentiellen
siert ist, gibt es in der inneren Mitochondrienmembran eine Aminosäuren im Überblick
Reihe von Transportsystemen, die Aminosäuren oder die
aus ihnen hervorgegangenen D-Ketosäuren aus dem Cyto- ! In Mikroorganismen und Pflanzen werden die für den
sol in die mitochondriale Matrix transportieren (. Abb. Menschen essentiellen Aminosäuren gruppenweise
13.12). Von den Aminosäuren werden vor allem Gluta- gebildet.
mat und Glutamin in die Mitochondrien importiert.
Glutamat gelangt im Cotransport mit H+ oder als Teil des Ohne an dieser Stelle auf Einzelheiten einzugehen, wird
Malat-Shuttle (7 Kap. 15.1.1) im Austausch gegen Aspar- im Folgenden kurz das Prinzip der Biosynthese der essen-
tat in die mitochondriale Matrix. Die wichtigsten impor- tiellen Aminosäuren in Mikroorganismen und Pflanzen er-
tierten D-Ketosäuren sind Pyruvat, α-Ketobutyrat und läutert.
α-Aminoadipat, das durch den Oxodicarboxylatcarrier Die Kohlenstoffgerüste für die Biosynthesen dieser
(ODC) im Austausch gegen D-Ketoglutarat aufgenommen Aminosäuren entstammen dem Kohlenhydratstoffwechsel.
wird. Da anabole Wege stets reduktive Schritte enthalten, wird
13.4 · Übersicht über den menschlichen Aminosäurestoffwechsel
443 13

. Abb. 13.12. Verteilung des Aminosäureabbaus zwischen Cyto- IMM = innere Mitochondrienmembran, ODC = Oxodicarboxylatcarrier,
plasma und Mitochondrienmatrix. CP = Carbamylphosphat, ORNT1 = Ornithin-Citrullin-Antiporter

NADPH + H+ benötigt, das in Pflanzen vorwiegend durch 4 die Shikimat-Familie (Shikimisäure, eine D-Ketosäure
Photosynthese und im Mikroorganismus im Pentosephos- mit 7 C-Atomen, die aus Zwischenprodukten der
phatweg entsteht. Die Aminogruppen werden meist durch Glycolyse und des Pentosephosphatwegs entsteht, ist
Transaminierung von Glutamat übernommen, das von Vorstufe der aromatischen Aminosäuren Phenylalanin,
diesen Organismen durch die GLDH aus D-Ketoglutarat Tyrosin und Tryptophan)
gebildet werden kann (7 Kap. 13.1.2).
Alle diese Wege sind kompliziert und benötigen bis zu
Familien. Ausgangsmoleküle für die Biosynthese der es- 11 Enzyme. So sind für die Biosynthese
sentiellen Aminosäuren sind andere Aminosäuren bzw. 4 von Tryptophan 11
die entsprechenden D-Ketosäuren. Je nachdem, welche 4 von Phenylalanin und Tyrosin je 10
Carbonsäure die gemeinsame Vorstufe einer Gruppe von 4 von Lysin und Leucin je 9
Aminosäuren bildet, unterscheidet man drei Familien: 4 von Methionin 7 und
4 die Aspartat-Familie (aus Aspartat bzw. Oxalacetat 4 von Threonin, Valin und Isoleucin je 5
entstehen Lysin, Methionin, Threonin und Isoleucin)
4 die Pyruvat-Familie (Pyruvat ist die Vorstufe von Leu- Enzyme erforderlich. Bei den nichtessentiellen Aminosäu-
cin und Valin) und schließlich ren benötigt dagegen kein Syntheseweg mehr als 4 Enzyme
(. Abb. 13.9).
444 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Abb. 13.13. Aminosäurestoffwechsel der Organe


im Überblick. (Einzelheiten 7 Text)

13.5 Aminosäurestoffwechsel tamin (7 Kap. 13.5.3). Das Alanin im Plasma dient vorwie-
der Organe gend der Gluconeogenese in der Leber, während Glutamin
sowohl von der Leber als auch von Darm, Nieren, Gehirn
13.5.1 Überblick und Leukozyten aufgenommen und verstoffwechselt wird.
In der Leber werden die freigesetzten Ammoniumionen
! Im Blut wird Aminostickstoff vorwiegend in der Form zur Ausscheidung in Harnstoff eingebaut. Restmengen von
von Glutamin und Alanin transportiert. NH4+, die dem Harnstoffzyklus entgangen sind, werden
von perivenösen Hepatozyten abgefangen und in Form von
Im Aminosäurestoffwechsel der Tiere übernehmen die grö- Glutamin wieder ins Blut abgegeben (7 Kap. 13.5.2).
ßeren Organe besondere Aufgaben. Sie produzieren oder Die Nieren nutzen Glutamin in erster Linie zur Frei-
verstoffwechseln bestimmte Aminosäuren und geben die setzung von NH3, das sie zur Neutralisierung von saurem
Produkte ins Blut ab, um sie anderen Geweben zugänglich Urin einsetzen. Deshalb steigt der renale Glutaminver-
zu machen. Dabei ist sicher gestellt, dass nur geringe Men- brauch bei metabolischen Azidosen stark an (7 Kap. 13.5.4).
gen an Ammoniumionen (NH4+) entstehen, da diese stark Das im proximalen Tubulus durch »Transdesaminierung«
neurotoxisch wirken (7 Kap. 13.5.5). Als Transportmoleküle aus Glutamin gebildete D-Ketoglutarat wird zum größten
13 für Aminostickstoff im Blut dienen freie Aminosäuren, ins- Teil über Oxalacetat in die Gluconeogenese eingeschleust.
besondere Glutamin und Alanin, die mengenmäßig mehr Weitere Glutaminverbraucher sind die Enterozyten des
als 1/3 aller Aminosäuren im Plasma stellen (. Tabelle 13.5). Darms (7 Kap. 13.5.3) und die Lymphozyten, die Glutamin
Zentrales Organ des Aminosäurestoffwechsels ist – wie zur Energiegewinnung veratmen (7 Kap. 13.5) Das Gehirn
auch im Kohlenhydratstoffwechsel – die Leber. Sie ist verbraucht Glutamin vor allem zur Synthese der Neuro-
als einziges Organ in der Lage, aus Glutamin und Alanin transmitter Glutamat und GABA (7 Kap. 13.5.6).
Ammoniak (NH4+/NH3) freizusetzen und ihn zur Aus-
! Der Alaninzyklus stellt die Glucoseversorgung des
scheidung in den weit weniger giftigen Harnstoff umzu-
arbeitenden Muskels sicher.
wandeln. Auch die Niere setzt Ammoniak aus Glutamin
frei. Dieser Vorgang dient jedoch in erster Linie der pH- Cori- und Alaninzyklus. Das vom arbeitenden Muskel frei-
Regulation (7 Kap. 28.1.7). gesetzte Alanin stammt vorwiegend aus dem anaeroben
. Abb. 13.13 zeigt in vereinfachter Form die Beteili- Glucoseabbau. Da Pyruvat bei Sauerstoffmangel nicht wei-
gung der wichtigen Organe an Bildung und Verbrauch von terabgebaut werden kann, wird es unter diesen Bedin-
Glutamin und Alanin. Die größten Mengen beider Amino- gungen entweder zu Lactat reduziert oder zu Alanin trans-
säuren werden von der Muskulatur abgegeben. Sie ent- aminiert. Beide Produkte gelangen über den Blutkreislauf
stammen vor allem dem Proteinabbau oder dem Abbau zur Leber, wo sie durch die jeweiligen Umkehrreaktionen
verzweigtkettiger Aminosäuren (branched-chain amino wieder zu Glucose aufgebaut werden. Die so gebildete Gluco-
acids, BCAA, 7 Kap. 13.5.5). Auch die Lunge und das Fett- se wird ins Blut abgegeben und steht der Muskulatur erneut
gewebe bilden beträchtliche Mengen von Glutamin. Der zur Verfügung. Die geschilderten Kreisläufe sind im Falle des
Darm entlässt vor allem Alanin ins Blut, jedoch kaum Glu- Lactats als Corizyklus, beim Alanin als Alaninzyklus be-
13.5 · Aminosäurestoffwechsel der Organe
445 13

resorbierten (und dort nicht abgebauten) Aminosäuren


. Tabelle 13.5. Plasmaaminosäurekonzentrationen normaler Ver-
suchspersonen im postabsorptiven Zustand (n = 10). (Nach Felig P, von der Leber aufgenommen wird. Dort werden sie
Marliss E, Pozefsky T, Cahill GF 1970). Mittelwerte ± Standardab- 4 entweder zur Biosynthese von Plasmaproteinen und
weichung des Mittelwertes lebereigenen Proteinen verwendet oder
Aminosäure Konzentration [μmol/l] 4 unter NH4+-Abspaltung in D-Ketocarbonsäuren umge-
Alanin 344 ± 29 wandelt, die dann in Glucose überführt oder unter ATP-
Glycin 215 ± 8 Bildung zu Kohlendioxid und Wasser oxidiert werden
Valin 212 ± 8
Prolin 175 ± 13
Die freigesetzten Ammoniumionen können als Baustein
für die Biosynthese stickstoffhaltiger Substanzen dienen,
Lysin 164 ± 9
überschüssiges NH4+ wird in der Leber in Harnstoff umge-
Threonin 134 ± 10
wandelt, der mit dem Blut zu den Nieren transportiert und
Leucin 112 ± 4
dort in den Urin ausgeschieden wird. Außerdem fixiert die
Serin 109 ± 7 Leber NH4+ in Form von Glutamin, aus dem die Nieren
1/2-Cystin 92 ± 5 Ammoniak freisetzen und in den Urin abgeben können.
Histidin 73 ± 4
! Die toxischen Wirkungen von NH4+ schädigen vor allem
Arginin 69 ± 8
das ZNS.
Ornithinb 67 ± 9
Isoleucin 59 ± 2 Toxizität von NH4+. Im Blut ist die Konzentration von
Tyrosin 54 ± 4 NH3/NH4+ normalerweise sehr gering (15–60 μmol/l).
Taurina 51 ± 3 Eine deutliche Erhöhung dieses Wertes kann bei Mensch
Phenylalanin 49 ± 2
und Tier schwere cerebrale Schäden verursachen.
Mögliche Ursachen der Neurotoxizität von Ammoniak
Tryptophan 39 ± 6
werden im Abschnitt 13.5.6 diskutiert. Vorausgeschickt sei
Citrullinb 30 ± 3
nur, dass für die Toxizität von NH3 nicht in erster Linie
Methionin 24 ± 1
seine basischen Eigenschaften verantwortlich sind. Trotz-
α-Aminobutyrata 20 ± 2 dem spielt der NH3-Anteil im NH4+/NH3-Gleichgewicht
Aspartat < 20 für den Übergang von Ammoniak aus dem Blut in die
Glutamin 600–800 Gewebe eine wesentliche Rolle: Während NH3 in Lipiden
Glutamat 30– 70 (und damit auch in biologischen Membranen) gut löslich
a
Taurin entsteht im Stoffwechsel aus Cystein, α-Aminobutyrat ist, kann das geladene Ammoniumion Zellmembranen nur
durch Transaminierung aus α-Ketobutyrat (Threonin- und schlecht permeieren. Jede Alkalisierung des Blutes (Alka-
Methioninabbau) lose, 7 Kap. 29.2.2) führt zu einer Verschiebung des Gleich-
b
Nichtproteinogene Aminosäuren, die an der Harnstoffbio-
synthese teilnehmen
gewichts und damit zum vermehrten Auftreten von lipid-
löslichem NH3 in Blut und Liquor. So verdoppelt sich z.B.
bei einer pH-Erhöhung von 7.4 auf 7.7 der NH3-Anteil im
kannt. Natürlich leistet auch das von den Enterozyten des Gleichgewicht von 1.5% auf 3%.
Darms freigesetzte Alanin einen Beitrag zum Alaninzyklus. Zwar enthält auch Harnstoff, das Diamid der Kohlen-
säure, zwei Aminogruppen. Wie bei allen Säureamiden be-
sitzen diese Gruppen jedoch keine basischen Eigenschaften
13.5.2 Aminosäurestoffwechsel der Leber mehr, weil die freien Elektronenpaare der Stickstoffatome
im mesomeren Harnstoffmolekül delokalisiert sind. Harn-
Die Leber verfügt als einziges Organ über eine komplette stoff ist deshalb ein gut membrangängiges, neutrales Mole-
Enzymausstattung zum Abbau sämtlicher Aminosäuren. kül mit weit geringerer Toxizität als NH4+/NH3.
Zusätzlich enthält sie hohe Aktivitäten desaminierender
! Zur Entgiftung baut die Leber NH4+ in Carbamylphos-
Enzyme. Ebenfalls als einziges Organ ist die Leber in der
phat oder Glutamin ein.
Lage, die durch Desaminierung freigesetzten neurotoxi-
schen Ammoniumionen wirksam zu entgiften. Carbamylphosphat-Synthetase. In Abschnitt 13.3.1 wur-
den bereits zwei wichtige Reaktionstypen besprochen, die
! Die Leber hat auch im Aminosäurestoffwechsel eine
im tierischen Stoffwechsel für die Fixierung von NH4+ in
Pufferfunktion.
Frage kommen
Übersicht. Nach einer proteinreichen Mahlzeit kommt es 4 Die ATP-abhängige Aminierung von Glutamat oder
zu einem starken Anstieg der Aminosäurekonzentrationen Aspartat zu Glutamin bzw. Asparagin
im Pfortaderblut, nicht jedoch im Systemkreislauf. Das ist 4 Die reduktive Aminierung von D-Ketoglutarat zu Glu-
darauf zurückzuführen, dass der größte Teil der im Darm tamat durch die Glutamat-Dehydrogenase (GLDH)
446 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

13
. Abb. 13.14. Reaktionen des Harnstoffzyklus. ORNT1 = Ornithin-Citrullin-Antiport. (Einzelheiten 7 Text)

Die dritte – und quantitativ wichtigste – Reaktion ist die GLDH daher nicht wesentlich zur NH4+-Fixierung bei-
Eingangsreaktion des Harnstoffzyklus, nämlich tragen.
4 die ATP-abhängigeVerknüpfung von NH4+ und HCO3–
zu Carbamylphosphat, katalysiert durch die mito- Mechanismus. Die CPS-I-Reaktion verläuft in drei Teil-
chondriale Carbamylphosphat-Synthetase I (CPS-I; schritten, wobei zwei Moleküle ATP zu ADP und Pi ge-
. Abb. 13.14, Reaktion (1)) spalten werden. Im ersten Schritt entsteht ein gemischtes
Anhydrid aus Kohlensäure und Phosphorsäure, danach
Die CPS-I macht in der Matrix der Lebermitochondri- wird der Phosphatrest dieses Intermediats durch NH4+ sub-
en etwa 20% aller Proteine aus. Die hohe Konzentra- stituiert, bevor im dritten Schritt das gebildete Carbamat
tion des Enzyms und sein niedriger Km-Wert für NH4+ durch das zweite ATP zu Carbamylphosphat phosphory-
(etwa 0,2 mmol/l) sind wesentlich für die Effizienz der liert wird. Die Aktivität der CPS-I ist von der Anwesenheit
Ammoniakfixierung in der Leber verantwortlich. Die von N-Acetylglutamat abhängig, das als allosterischer
ebenfalls mitochondrial lokalisierte Glutamat-Dehydro- Aktivator der CPS-I fungiert (7 u.).
genase hat einen viel höheren KM-Wert als die CPS-I
(etwa 3 mmol/l) und wird zudem durch ATP/GTP ge- ! Der Harnstoffzyklus ist zwischen Cytosol und Mito-
hemmt. Unter physiologischen Bedingungen dürfte die chondrien verteilt.
13.5 · Aminosäurestoffwechsel der Organe
447 13

Reaktionen des Harnstoffzyklus. Im Carbamylphosphat der Elektroneutralität stets auch äquimolare Mengen an
ist – auf den Stickstoff bezogen – bereits die Hälfte des spä- HCO3– liefert.
teren Harnstoffmoleküls enthalten. Zur weiteren Umset-
! Der Harnstoffzyklus wird über das Aminosäureangebot
zung überträgt zunächst die Ornithin-Carbamyltrans-
reguliert.
ferase die Carbamylgruppe (H2N-CO-) auf die nicht-
proteinogene Aminosäure Ornithin (. Abb. 13.14, Reaktion Regulation. Da die Harnstoffbildung im Wesentlichen dazu
(2)), wobei das ebenfalls nicht-proteinogene Citrullin ent- dient, die Ammonium-Konzentration in den Körperflüs-
steht. Dieses muss zunächst ins Cytosol transportiert wer- sigkeiten niedrig zu halten, unterliegt nur die CPS-I (das
den, bevor es weiter umgesetzt werden kann. Das entspre- einzige NH4+-fixierende und zudem das geschwindigkeits-
chende Transportsystem in der inneren Mitochondrien- bestimmende Enzym des Zyklus) einer besonderen Regu-
membran, ORNT1, ist ein Antiporter, der Citrullin gegen lation.
Ornithin austauscht.
Im nächsten Schritt wird die zweite Aminogruppe des N-Acetylglutamat. In Abwesenheit von N-Acetylglutamat
späteren Harnstoffmoleküls eingeführt. Diese Zweischritt- ist die CPS-1 praktisch inaktiv, während sie in Gegenwart
reaktion ist das bekannteste Beispiel für den so genannten ausreichender Mengen dieser Verbindung in einer Art
Aspartatzyklus. Darunter versteht man Reaktionen, in de- »Alles-oder-Nichts«-Reaktion voll aktiv wird. Die Bildung
nen Aspartat seine D-Aminogruppe abgibt, um als Fumarat von N-Acetylglutamat aus Acetyl-CoA und Glutamat
aus der Reaktion hervorzugehen (. Abb. 13.4, Reaktion (8)). wird in den Mitochondrien durch eine besondere Synthase
Formal ließe sich das gebildete Fumarat über Malat und katalysiert (. Abb. 13.15, Reaktion (10)), die durch Arginin
Oxalacetat wieder zu Aspartat regenerieren (daher »-zy- aktiviert wird. Auch ein hohes Angebot des Substrats
klus«). Im Rahmen des Aminosäureabbaus in der Leber Glutamat erhöht die Aktivität der Acetylglutamat-Syn-
nimmt der größte Teil des Fumarats allerdings einen an- thase. Es hat daher den Anschein, dass nicht der Ammoniak-
deren Weg (7 u.). spiegel sondern das Aminosäureangebot im Hepatozyten
Die Kondensation von Citrullin mit Aspartat zu Argi- die Harnstoffbildung steuert. Dies ist auch sinnvoll, da der
ninosuccinat durch die Argininosuccinat-Synthase NH4+-Spiegel nicht zu sehr ansteigen darf.
(Reaktion (3)) benötigt ebenfalls zwei energiereiche Bin- Langfristig werden bei hohem Aminosäureangebot,
dungen, weil ATP zu AMP und Pyrophosphat (PPi) gespal- sowie im Hunger und in hyperkatabolen Zuständen mit
ten wird. Dies bietet den Vorteil, dass durch nachfolgende gesteigerter Proteolyse die Enzyme des Harnstoffzyklus
enzymatische Hydrolyse des Pyrophosphats das Gleich- sowie die N-Acetylglutamat-Synthase und ORNT1 über
gewicht der Reaktion weiter in Richtung der Produkte ver- eine Aktivierung der Transkription vermehrt gebildet. Ver-
schoben werden kann. antwortlich für diese Induktionsprozesse sind vor allem die
Im nächsten Schritt spaltet die Argininosuccinat- Hormone Glucagon und Cortisol.
Lyase (Reaktion (4)) Fumarat ab, und das proteinogene
! Der Harnstoffzyklus ist eng mit der Gluconeogenese
Arginin bleibt zurück, in dem der spätere Harnstoff nun
verknüpft.
einen Teil der Guanidogruppe bildet. Die Arginase (Re-
aktion (5)) setzt schließlich aus Arginin hydrolytisch Iso- Herkunft von NH4+ und Aspartat. Die für die Bildung von
harnstoff frei, der sich spontan zu Harnstoff umlagert. Als Carbamylphosphat benötigten Ammoniumionen gelangen
zweites Produkt entsteht Ornithin, das über ORNT1 ins entweder als solche in die Mitochondrien oder sie werden
Mitochondrium zurückkehrt, um an einer weiteren Runde dort durch die mitochondriale Glutaminase aus Glutamin
des Zyklus teilzunehmen. freigesetzt (. Abb. 13.15, Reaktion (6)).
Woher das in Reaktion (3) in den Zyklus eingeführte
Bilanz. Die Synthese von Harnstoff ist energieaufwendig: Aspartat stammt, ist weniger leicht zu beantworten. Wie
Für jedes Harnstoffmolekül wird das Äquivalent von 4 Mo- bereits erwähnt, sind die Aspartatspiegel im Blut gering,
lekülen ATP verbraucht. Die Gesamtbilanz ist: während andererseits neben Glutamin erhebliche Mengen
an Alanin zur Verfügung stehen. Im unteren Teil von
. Abb. 13.15 ist ein Weg zur Umwandlung von Alanin
in Aspartat dargestellt, der mit den heute verfügbaren Da-
ten in Einklang steht: Zunächst wandelt die cytosolische
Neben der Entgiftung von NH4+ sorgt der Harnstoffzyklus Alanin-Aminotransferase (Reaktion (7)), die in Hepato-
dafür, dass das bei der Oxidation von Aminosäuren an- zyten in hoher Aktivität vorkommt, Alanin und D-Keto-
fallende Hydrogencarbonat (HCO3–) verbraucht wird und glutarat in Glutamat und Pyruvat um. Beide Produkte
fängt damit größere Verschiebungen im Säure-Basen- gelangen in die Mitochondrienmatrix (Glutamat durch
Haushalt ab. Beim Aminosäureabbau entsteht HCO3–, weil den Glutamat/Aspartat Antiporter und Pyruvat im Co-
die Oxidation der negativ geladenen Carboxylatgruppen transport mit H+). Dort wird das importierte Glutamat
von D-Ketosäuren zu ungeladenem CO2 aus Gründen durch die Aspartat-Aminotransferase zu Aspartat trans-
448 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Abb. 13.15. Stellung des Harnstoffzyklus im Aminosäurestoff- Aminotransferase; 10 = N-Acetylglutamatsynthase. ORNT1 = Ornithin-
wechsel. Enzyme 1–5: . Abb. 13.14. Weitere Enzyme: 6 = Glutaminase; Citrullin-Antiporter. (Einzelheiten 7 Text)
7 = Alanin-Aminotransferase; 8 = Pyruvatcarboxylase; 9 = Aspartat-

aminiert (Reaktion (9)). Das dazu notwendige Oxalacetat dieser Zeit überhaupt bilden und verbrauchen kann. Man
kann in der Mitochondrienmatrix durch die Pyruvat- nimmt deshalb an, dass mehr als die Hälfte der aus dem
carboxylase (Reaktion (8)) aus Pyruvat gebildet werden, Aminosäureabbau stammenden Kohlenstoffskelette über
13 ohne die Funktion des Citrazyklus zu beeinträchtigen. Fumarat, Malat und Oxalacetat in die Gluconeogenese
Schließlich werden die Produkte von Reaktion (9) (Aspar- eingeschleust werden (. Abb. 13.15). Dies geschieht wohl-
tat und D-Ketoglutarat) über entsprechende Transportsys- gemerkt nicht nur bei Glucosemangel, sondern gerade in
teme wieder ins Cytosol exportiert, wo sie den Reaktionen der Resorptionsphase, um die Oxidationskapazität der
(3) und (7) erneut zur Verfügung stehen. Leber nicht zu überfordern. Die gebildete Glucose wird
Dass der Aspartat-Glutamat-Austausch für den Harn- dann wie üblich zur Glycogenbildung oder zur Versorgung
stoffzyklus eine wesentliche Rolle spielt, wird u.a. daran anderer Organe eingesetzt.
deutlich, dass Defekte dieses auch als Citrin bezeichneten
! Perivenöse Hepatozyten fixieren Rest-Ammoniak in
Transporters zu Störungen der NH4+-Entgiftung führen
Form von Glutamin.
können (. Tabelle 13.6).
Zonierung. Genauere Untersuchungen zur Verteilung der
Schicksal des Fumarats. Obwohl das in Reaktion 4 an- Enzyme des Aminosäureabbaus in der Leber zeigten, dass
fallende Fumarat durch Reaktionen des Aspartatzyklus auch in dieser Hinsicht nicht alle Hepatozyten äquivalent
(. Abb. 13.4) wieder in Aspartat umgewandelt werden sind (. Abb. 13.16). Die periportalen Hepatozyten im
könnte, ist fraglich, ob diese Reaktionsfolge in der Leber äußeren Bereich der Leberläppchen enthalten Glutaminase
in größerem Umfang stattfindet. Auch energetische Über- und die Enzyme des Harnstoffzyklus in hohen Aktivitäten.
legungen sprechen gegen einen solchen Mechanismus. So Sie entgiften die im Pfortaderblut vorhandenen Ammo-
lässt sich berechnen, dass bei der vollständigen Oxidation niumionen und bauen hierzu einen großen Teil des mit
der Tagesmenge von 100 g Aminosäuren zu CO2 und H2O den arteriellen Zuflüssen in die Leber gelangenden Gluta-
in der Leber weit mehr ATP anfallen würde, als diese in mins ab.
13.5 · Aminosäurestoffwechsel der Organe
449 13

. Abb. 13.16. Zonierung des NH4+-Stoffwechsels im Leberläppchen. Enzyme 1–6: s. Abb. 13.15. Enzym 11 = Glutamin-Synthetase. (Einzel-
heiten 7 Text)

Eine dünne Schicht von Hepatozyten rund um die ohnehin notwendig, da sonst ein ATP-verbrauchender
Zentralvene, die perivenösen Hepatozyten , sind darauf »sinnloser Zyklus« entstehen würde.
spezialisiert, mit Hilfe der cytosolischen Glutamin-Syn-
! Pathobiochemie: Angeborene Defekte des Harnstoff-
thetase restlichen Ammoniak, der den periportalen Zel-
zyklus sind relativ häufig.
len entgangen ist, in organischer Bindung zu fixieren
und wieder in Form von Glutamin freizusetzen. Im Ge- Hyperammoniämien. Da der Harnstoffzyklus während
gensatz zur Glutamat-Dehydrogenase hat die Glutamin- der Embryonalentwicklung noch nicht benötigt wird, ma-
Synthetase einen relativ günstigen KM-Wert für NH4+ (etwa chen sich angeborene Defekte in diesem Bereich bis zur
1 mmol/l) und wird nicht durch ATP gehemmt. Das zur Geburt kaum bemerkbar. Sie gehören deshalb zu den häu-
Fixierung notwendige Glutamat wird von den perivenö- figeren erblichen Stoffwechselerkrankungen (etwa 1 Fall
sen Hepatozyten wahrscheinlich aus Arginin erzeugt, das unter 30 000 Lebendgeburten).
von den Nieren synthetisiert und ins Blut abgegeben wird Schon in den ersten Lebenstagen führen homozygo-
(7 Kap. 13.5.4). te Defekte von Komponenten des Harnstoffzyklus zu
Vom oben beschriebenen Vorgang einmal abgesehen, massiven Hyperammoniämien mit Spitzenwerten von
ist die räumlich getrennte Expression von Glutaminase und 2000 μmol/l NH4+ und mehr, die auf Grund von Gehirn-
Glutamin-Synthetase in unterschiedlichen Hepatozyten schädigungen letal enden können, wenn sie nicht recht-
450 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

z.B. auch auf eine Azidose zurückgehen. Ist eine Azidose


. Tabelle 13.6. Angeborene Störungen des Harnstoffzyklus
auszuschließen, müssen zur Sicherung der Diagnose un-
Krankheit Betroffenes Gen/ Bemerkungen
bedingt die Plasmaspiegel wichtiger Zyklusmetabolite
Enzym
(NH4+, Citrullin, Argininosuccinat) bestimmt werden. Wie
Hyperammoni- CPS1 2q35 NH3, Glutamat n
bei Enzymdefekten üblich, stauen sich auch bei Störungen
ämie Typ I
Carbamylphosphat- Citrullin, Arginin p im Harnstoffzyklus Substrate der betroffenen Enzyme an.
Synthetase I (CPS-I)
So kann z.B. bei der Citrullinämie I, bei der die Arginino-
Therapie: Arginin, Ben- succinat-Synthase defekt ist, der Citrullinspiegel im Serum
zoat, Phenylacetat
von 50 μmol/l auf über 1000 μmol/l ansteigen, während
Hyperammoni- OTC Xp21.1 Häufigste Form, sich beim Fehlen der Argininosuccinat-Lyase neben
ämie Typ II Ornithincarbamyl- X-chromosmal vererbt
kleineren Mengen von Argininosuccinat (es kann über die
Transferase NH3, Glutamat, Orotat n
Citrullin, Arginin p Nieren ausgeschieden werden) auch Citrullin ansammelt.
Beim Ausfall der Ornithin-Carbamyltransferase sind die
Citrullinämie ASS 9q34 NH3 n Citrullin n
Typ I Argininosuccinat- (bis >1000 μM) Spiegel beider Metabolite unverändert, dafür taucht im
Synthase Therapie: Arginin, Ben- Blut und im Urin die Pyrimidinvorstufe Orotat auf. Da
zoat, Phenylacetat Carbamylphosphat in diesem Fall nicht mehr zur Synthese
Argininosucci- 7cen-q11.2 NH3 n Citrullin n von Citrullin dienen kann, wird es im Cytosol zur Synthese
naturie Argininosuccinat- (100–300 μM), von Pyrimidinbasen verwendet (7 Kap. 19). Bei Defekten
Lyase Argininosuccinat n des Eingangsenzyms Carbamylphosphat-Synthetase-I
Therapie: Arginin, Ben-
treten außer einer starken Hyperammoniämie keine
zoat
anderen Metabolitveränderungen auf. Auch der seltene
Hyperarginin- 6q23 Selten
Arginase-Mangel fällt eher durch neurologische Symp-
ämie Arginase NH3 n Arginin n
Therapie: Arginin-
tome auf.
und proteinarme Diät
! Zur Therapie von Harnstoffzyklusdefekten werden
N-Acetylgluta- 17q21.31 NH3 n alternative Wege der Stickstoffausscheidung genutzt.
matsyntheta- N-Acetylglutamat- Therapie: Carbamyl-
semangel Synthetase glutamat zur Aktivie- Therapie. Zur Behandlung der akuten Phasen von Störun-
rung der CPS-I gen der Harnstoffbildung gibt es mehrere Ansätze, die meist
Citrullinämie – »late onset« gleichzeitig verfolgt werden
Typ II »Citrin« (Glutamat- NH3 n Citrullin n 4 die rasche Erniedrigung des NH4+-Spiegels im Blut
Aspartat-Antiporter) Arginin p durch Hämodialyse
4 die Verabreichung einer möglichst stickstoffarmen,
dafür aber fett- und kohlenhydratreichen Diät
zeitig erkannt und behandelt werden. Heterozygote Träger 4 die Substitution fehlender Metabolite (v.a. in Form von
zeigen in der Regel keine oder nur geringfügige Symptome, Arginin) und
13 da die verbliebene Aktivität von 50% für eine wirksame 4 die Gabe von Substanzen, die zusätzliche Wege zur
Entgiftung ausreicht. Patienten mit Restaktivitäten unter Stickstoffausscheidung eröffnen (7 u.)
50% sind während der Neugeborenenphase weitgehend
symptomfrei, erkranken aber oft in der Jugend oder im Langfristig geht es darum, die neurologischen Folgen der
frühen Erwachsenenalter (late onset). Zu den typischen Hyperammoniämie zu mildern.
Spätfolgen von Zyklusdefekten gehören Entwicklungs- Zur Substitution der fehlenden Metabolite verabreicht
störungen und Minderungen der Intelligenz. Unter Stress man in der Regel Arginin, das nicht nur Ornithin bilden
können auch immer wieder Schübe von Hyperammoni- sondern auch als Proteinbaustein dienen kann. Um dem
ämie auftreten. Organismus zusätzlichen Stickstoff zu entziehen, gibt man
außerdem Substanzen, die in der Leber mit Glycin oder
Molekulare Ursachen. Wichtige Defekte des Harnstoff- Glutamin konjugiert werden können. Beide Aminosäuren
zyklus, ihre Ursachen und ihre Auswirkungen sind in . Ta- werden in freier Form in der Niere rückresorbiert, als
belle 13.6 zusammengestellt. Nicht nur Enzyme des Zyklus Konjugate jedoch mit dem Urin ausgeschieden. Wirksame
können betroffen sein, sondern auch die Synthese des Konjugationspartner sind Benzoesäure, die mit Glycin
Aktivators N-Acetylglutamat und Transportsysteme, die Hippursäure liefert (7 Kap. 28.2.2) und Phenylacetat, das
Vor- und Zwischenstufen des Zyklus durch die innere mit Glutamin zu Phenylacetylglutamin konjugiert wird.
Mitochondrienmembran schleusen. Sie werden über Wochen in relativ hohen Dosen von 300–
Bei Neugeborenen sind die ersten Symptome einer 500 mg/kg/d verabreicht. Gaben von Phenylbutyrat, das
gestörten NH4+-Entgiftung (Lethargie, Appetitlosigkeit, durch E-Oxidation zu Phenylacetat abgebaut wird, haben
Erbrechen, Krämpfe) wenig charakteristisch und könnten die gleiche Wirkung.
13.5 · Aminosäurestoffwechsel der Organe
451 13

. Abb. 13.17. Aminosäurestoffwechsel der Enterozyten. Enzyme: transferase; 4 = Ornithintranscarbamylase; 5 = Carbamylphosphat-


1 = Glutaminase; 2 = Alanin-Aminotransferase; 3 = Aspartat-Amino- Synthetase. (Einzelheiten 7 Text)

Auch Defekte der N-Acetylglutamat-Synthetase können satz zur Energiegewinnung genutzt. Nützlich ist die aufge-
die Ursache von Hyperammoniämien sein. Hier können nommene Glucose dagegen als Vorstufe zur Bildung von
Gaben von Carbamylglutamat helfen, das wie N-Acetyl- Pyruvat, das überwiegend zu Alanin transaminiert wird. In
glutamat die CPS-I aktiviert, im Gegensatz zu diesem aber dieser Form verlässt der größte Teil des Stickstoffs der abge-
in den Hepatozyten nicht enzymatisch abgebaut wird. bauten Aminosäuren die Darmschleimhaut (. Abb. 13.17).
Eine Heilung von Defekten des Harnstoffzyklus ist Etwa ¼ des in der Leber gebildeten Harnstoffs gelangt
zurzeit nur durch eine Lebertransplantation (in Zukunft nicht in den Urin sondern durch Diffusion aus dem Blut
vielleicht auch durch Gentherapie) möglich. ins Darmlumen. Dort wird er durch die Urease der Darm-
bakterien zu einem großen Teil wieder in NH4+ und HCO3–
gespalten. Die Enterozyten können diese Produkte wieder
13.5.3 Aminosäurestoffwechsel des Darms in organischer Bindung fixieren, indem sie mit Hilfe der
CPS-I Citrullin bilden. Das dazu notwendige Ornithin
Auch die Enterozyten des Dünndarms betreiben einen sehr wird aus Glutamat hergestellt (. Abb. 13.24). Vom Darm
aktiven Aminosäurestoffwechsel. produziertes Citrullin wird nicht von der Leber aufgenom-
men sondern dient vor allem der renalen Argininsynthese
! Enterozyten decken ihren Energiebedarf vor allem
(7 Kap. 13.5.4).
durch Oxidation der sauren Aminosäuren.

Die Zellen der Darmschleimhaut haben wegen der zahl-


reichen dort ablaufenden aktiven Transportprozesse einen 13.5.4 Aminosäurestoffwechsel der Nieren
hohen Bedarf an ATP. Sie decken ihn überwiegend durch
den oxidativen Abbau von Glutamin, Glutamat und As- Die Nieren beteiligen sich am Aminosäurestoffwechsel des
partat (. Abb. 13.17). Diese Aminosäuren werden dem Gesamtorganismus durch die Synthese von Arginin aus
Blut fast vollständig entnommen und auch die aus dem Citrullin sowie von Serin aus Glutamin und Glycin. Zusätz-
Darm resorbierten Mengen der drei Aminosäuren errei- lich sind sie in der Lage, zur Neutralisierung von saurem
chen den Systemkreislauf nur zu einem geringen Teil. Urin den beim Aminosäureabbau gebildeten Ammoniak in
Glutamin wird nach Desaminierung zu Glutamat über das Tubuluslumen abzugeben und beteiligen sich auf diese
D-Ketoglutarat und den Citratzyklus abgebaut und so zur Weise maßgeblich an der Regulation des Säure-Basenhaus-
ATP-Synthese genutzt. Aspartat nimmt nach Transami- halts (. Abb. 13.18). Das Kohlenstoffskelett des Glutamins
nierung zu Oxalacetat denselben Weg. Auch einige der es- wird zur Gluconeogenese genutzt, die nicht nur in der Le-
sentiellen Aminosäuren wie Threonin, Leucin, Lysin und ber sondern auch in den Tubuluszellen der Niere ablaufen
Phenylalanin werden von Enterozyten verstoffwechselt. kann (7 Kap. 11.3).
! Die Darmschleimhaut produziert Alanin und fixiert ! Extrahepatisch gebildetes Arginin stammt überwie-
NH4+ in Form von Citrullin. gend aus den Nieren.

Von der Glucose, die mit dem Blut oder durch Resorption Leberzellen enthalten wegen des dort lokalisierten Harn-
die Enterozyten erreicht, wird nur ein geringer Prozent- stoffzyklus eine sehr hohe Arginase-Aktivität und geben
452 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Abb. 13.18. Aminosäurestoff-


wechsel der Nieren. Enzyme: 1 = Glu-
taminase; 2 = Glutamatdehydrogenase;
3 = PEP-Carboxykinase. (Einzelheiten
7 Text)

deshalb kaum Arginin ins Blut ab. Das Arginin, das extra- Sekretion der Nieren beitragen. Die Glycinspaltung liefert
hepatisch zur Proteinbiosynthese und zur Bildung von NO außerdem N5,N10-Methylen-THF, das zur Umwandlung
und Polyaminen benötigt wird (7 Kap. 13.6.3) stammt über- von Glycin in Serin benötigt wird. Eine alternative Vorstufe
wiegend aus den Nieren. Zur Synthese nehmen sie das vor für Serin ist 3-Phosphoglycerat, ein Intermediat der Glu-
allem im Darmepithel gebildete Citrullin auf und bauen coneogenese, das aus dem Abbau des Glutamins stammt
es durch zwei Enzyme des Harnstoffzyklus über Arginino- (7 Kap. 13.6.2).
succinat in Arginin um. Die täglich von den Nieren synthe- Bei normalem Säure-Basen-Status extrahieren die
13 tisierte Argininmenge von 2–4 g entspricht etwa derjeni- Nieren kaum Glutamin aus dem Plasma, und auch das
gen, die im gleichen Zeitraum durch Abbau von Nahrungs- aus dem Tubuluslumen rückresorbierte Glutamin gelangt
proteinen freigesetzt wird. Strikten Fleischfressern fehlen fast vollständig wieder zurück ins Blut. Beim Eintritt
die Enzyme zur intestinalen Synthese von Citrullin. Für sie einer metabolischen Azidose (7 Kap. 28.8.6) ändert sich
ist Arginin deshalb eine essentielle Aminosäure. dies schlagartig: Durch verstärkte Freisetzung von Glu-
tamin (vor allem aus der Muskulatur) steigt der Plasma-
! Die renale Freisetzung von NH3 aus Glutamin dient der
spiegel innerhalb weniger Stunden um bis zu 100%, und
Kompensation metabolischer Azidosen.
die Nieren beginnen, dem Blut erhebliche Mengen Glu-
Nieren und Säure-Basenhaushalt. Beim Vorliegen einer tamin zu entnehmen. Bei chronischen Azidosen kann
metabolischen Azidose setzen die Nieren durch Desami- die renale Aufnahme auf mehr als 1/3 der Gesamtmenge
nierung von Glutamin und Glutamat verstärkt NH3 frei ansteigen. Dann wird auch die Synthese von Glutamin
und geben es zum größten Teil in den Urin ab. Dort dient in der Leber (7 Kap. 13.5.2) gesteigert und der Verbrauch
es der Abpufferung von H+-Ionen, die bei Azidosen über von Glutamin durch die Enterozyten (7 Kap. 13.5.3) redu-
den H+/Na+-Antiport und andere Wege in großen Mengen ziert.
ausgeschieden werden, um den gestörten Säure-Basen-
! Zur Steigerung der renalen NH4+-Freisetzung werden
Status auszugleichen. Die gleichzeitige NH3-Ausscheidung
Glutaminase, GLDH und PEPCK induziert.
verhindert eine Übersäuerung des Urins und fördert damit
die H+-Sekretion (7 Kap. 28.8). Regulation. Um die Kapazität der Niere zur NH3-Ausschei-
Auch der Abbau von Glycin durch das »Glycin spal- dung zu steigern, werden bei Azidosen pH-abhängig nicht
tende System« (. Abb. 13.22 Reaktion (6)) kann zur NH3- nur die beiden Desaminasen Glutaminase und Glutamat-
13.5 · Aminosäurestoffwechsel der Organe
453 13

Dehydrogenase (. Abb. 13.18, Reaktionen (1) und (2)) aus verzweigtkettigen Aminosäuren (BCAA: Valin, Leu-
induziert, sondern auch die PEP-Carboxykinase, ein cin, Isoleucin), auf deren Abbau die Muskulatur speziali-
Schlüsselenzym der Gluconeogenese (Reaktion (3)). Dies siert ist (. Abb. 13.19). Die Glutaminsynthese wird u.a.
ist sinnvoll, weil das durch die zweifache Desaminierung durch Glucocorticoide reguliert, die die Glutamin-Synthe-
gebildete D-Ketoglutarat vor allem der Gluconeogenese tase induzieren. Andererseits beschleunigen hohe Glu-
dient. Auch der bereits erwähnte Na+/H+-Antiporter wird taminkonzentrationen den proteolytischen Abbau des Glu-
bei Azidosen verstärkt exprimiert. tamin-Synthetase-Proteins und verhindern so die über-
Die für diese pH-abhängige Induktion verantwortli- schießende Bildung von Glutamin.
chen Signaltransduktionswege sind noch nicht vollständig Der Abbau von Valin und Isoleucin liefert u.a. Suc-
aufgeklärt, es scheint jedoch, dass die gesteigerte Synthese cinyl-CoA, dessen anaplerotische (den Citratzyklus auffül-
beider Desaminasen auf der längeren Lebensdauer der lende) Wirkung sicherstellt, dass genügend D-Ketoglutarat
entsprechenden mRNAs beruht. In diesen mRNAs fand für die Transaminierung der verzweigtkettigen Aminosäu-
man aus 8 Nucleotiden bestehende »pH-response elements«. ren zur Verfügung steht (. Abb. 13.19).
Unter azidotischen Bedingungen synthetisiert das Tubu- Die Synthese von Alanin im Muskel und die Rolle des
lusepithel spezielle Proteine, die an diese Elemente bin- Alaninzyklus wird in Abschnitt 13.5.1 besprochen.
den und dadurch die mRNAs vor Abbau schützen. Im
Gegensatz dazu beruht die Induktion der PEPCK auf
der Phosphorylierung bestimmter Transkriptionfaktoren, 13.5.6 Aminosäurestoffwechsel
die durch Rekrutierung weiterer Faktoren die Transkrip- des Zentralnervensystems
tion des PEPCK-Gens verstärken. An beiden Prozessen
scheint die MAPK-Kaskade (7 Kap. 25.4.3) beteiligt zu ! Im ZNS dienen Aminosäuren als Vorstufen von Neuro-
sein, der eigentliche pH-Sensor ist noch nicht identifi- transmittern.
ziert.
Aminosäuren als Neurotransmitter. Im Vergleich zu ande-
ren Organen ist der Aminosäurestoffwechsel des Gehirns
13.5.5 Aminosäurestoffwechsel quantitativ unbedeutend. Seine Relevanz beruht vor allem
der Muskulatur auf der Tatsache, dass einige Aminosäuren (Glu, Gln, Gly,
Tyr, Trp) entweder selbst als Neurotransmitter (Glu, Gly)
! Die Muskulatur ist der wichtigste Glutaminproduzent. oder als Vorstufen von Transmittern dienen (Tyr, Trp). Die
Blut-Hirn-Schranke trennt deshalb den Aminosäurepool
Glutamin- und Alanin-Biosynthese. Die Muskulatur liefert des Blutplasmas weitgehend von dem des zentralen Ner-
mehr als die Hälfte des im Blut zirkulierenden Glutamins vensystems.
und ist damit der wichtigste Glutaminproduzent (der Rest Besonders wichtig ist auch im Gehirn der Stoffwechsel
stammt überwiegend aus Lungen und Fettgewebe). Ein von Glutamin und Glutamat. Glutamin wird v.a. in Glia-
großer Teil des im Muskel gebildeten Glutamins stammt zellen synthetisiert und von diesen an Neuronen weiter-
gegeben, die daraus Glutamat oder J-Aminobuttersäure
(GABA) herstellen. Beide Transmitter werden nach der
Ausschüttung rückresorbiert und wieder in Glutamin um-
gewandelt. Diese Zusammenhänge werden in 7 Kapitel 31
ausführlich dargestellt.
Eine durch O2-Mangel ausgelöste überschießende
Ausschüttung von Glutamat ist einer der wichtigsten
Faktoren bei der Pathogenese cerebraler Ischämien.
! Pathobiochemie: Die Ursachen der Neurotoxizität von
Ammoniak sind noch nicht völlig geklärt.

Ammoniakvergiftung. Wie in Abschnitt 13.5.2 besprochen,


fixieren höhere Tiere Ammoniak durch Bildung von Harn-
stoff, Glutamin oder anderer Verbindungen. In den Kör-
perflüssigkeiten des Menschen wird der Spiegel an freiem
Ammoniak durch diese Reaktionen normalerweise bei
Werten unter 35 μmol/l gehalten. Ein starker NH4+-Anstieg
. Abb. 13.19. Aminosäurestoffwechsel der Muskulatur. Enzyme: im Blut, wie er bei Leberversagen, als Folge von erblichen
1 = Verzweigtketten-Aminotransferase; 2 = Alanin-Aminotransferase; Störungen der Harnstoffsynthese (7 Kap. 13.5.2) oder beim
3 = Glutamin-Synthetase. (Einzelheiten 7 Text) Einatmen von gasförmigem Ammoniak auftritt, kann das
454 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

Gehirn in kurzer Zeit irreversibel schädigen. Typische 13.6.1 Alanin, die sauren Aminosäuren
Symptome einer Ammoniakvergiftung sind und deren Amide
4 ein Flattertremor der Hände
4 eine verwaschene Sprache Die Aminosäuren dieser Gruppe zeichnen sich dadurch
4 Sehstörungen aus, dass sie sich durch eine oder höchstens zwei Reaktio-
4 Verwirrung und nen in D-Ketosäuren überführen lassen, die als Vorstufen
4 in schweren Fällen Koma und Tod oder Zwischenprodukte des Citratzyklus im Zwischen-
stoffwechsel von zentraler Bedeutung sind. Entsprechend
Im Gehirn sind vor allem die Astrozyten betroffen, die als vielfältig sind auch die physiologischen Funktionen dieser
Zellen der Makroglia u.a. für die Verstoffwechselung von Aminosäuren (. Tabelle 13.7).
NH4+-Ionen verantwortlich sind. Trotz intensiver Bemü-
hungen sind die Ursachen für die Neurotoxizität von Am- Stoffwechselbedeutung. Alanin ist neben Glutamin das
moniumionen noch nicht geklärt. Diskutiert werden u.a. wichtigste Transportmolekül für Aminostickstoff im Blut
Stoffwechselveränderungen als Folge des zu hohen Ange- (7 Kap. 13.5.1) und ein bedeutendes Substrat der Gluco-
bots an NH3 bzw. NH4+: neogenese in der Leber. Aspartat, Glutamat und das von
4 Eine Verarmung der Zellen an Glutamat und/oder Glutamat abgeleitete GABA wirken im Gehirn als Neuro-
D-Ketoglutarat auf Grund einer verstärkten Glutamin- transmitter, wobei die beiden letztgenannten aus Glutamin
synthese gebildet werden (7 Kap. 31.1.1). Im Stoffwechsel beteiligen
4 Ein ATP-Mangel durch Stimulation der Na+/K+-ATPase sich Aspartat, Glutamat und Glutamin als NH2-Donoren
oder Hemmung der Atmungskette an zahlreichen Reaktionen. Aspartat und Glutamat fungie-
4 Änderungen des intramitochondrialen Redoxzustands ren außerdem als Ausgangssubstanzen für die Biosynthese
der wasserstoffübertragenden Coenzyme und weiterer Aminosäuren (. Abb. 13.9).
4 die gesteigerte Permeabilität der inneren Mitochon-
! Alanin, Aspartat und Glutamat lassen sich durch Ami-
drienmembran (ein so genannter mitochondrialer Per-
notransferasen ineinander überführen.
meabilitätsübergang, mitochondrial permeability transi-
tion, MPT), gefolgt vom Anschwellen der Mitochondrien Biosynthese und Abbau. Alanin, Aspartat und Glutamat
und oxidativem Stress stehen über zwei ubiquitär vorkommende Transaminie-
rungsreaktionen miteinander im Gleichgewicht (7 Kap.
Nach anderen Vorstellungen ist in erster Linie die Signal- 13.3.2 und . Abb. 13.20).
weiterleitung im ZNS betroffen, z.B. durch Sowohl die Aspartat-Aminotransferase (in der Klinik
4 Störungen der Transmitterbiosynthese mit »ASAT«, »AST«, oder »GOT« abgekürzt) wie auch
4 Interferenz der NH4+-Ionen mit der Funktion der die Alanin-Aminotransferase (»ALAT«, »ALT«, »GPT«)
ähnlich großen K+-Ionen und damit Beeinträchtigun- kommen als cytosolische und mitochondriale Isoenzyme
gen der Erregungsleitung oder vor. Wichtig ist dies u.a. für den Transport von Reduktions-
4 Störungen von Signaltransduktionswegen, vor allem äquivalenten über den Malat-Shuttle, an dem die beiden
13 solcher, die von NMDA-Rezeptoren (7 Kap. 31.3.2) aus- ASAT-Isoenzyme beteiligt sind. Während die ASAT in
gehen den meisten Geweben vertreten ist, findet sich die ALAT
vorwiegend in der Leber, wo sie im Rahmen des Alanin-
Am wahrscheinlichsten ist, dass alle diese Vorgänge (und zyklus (7 Kap. 13.5.1) eine besondere Rolle spielt.
weitere noch unbekannte Effekte) zur Neurotoxizität von
! Pathobiochemie: Enzyme des Glutamatstoffwechsels
Ammoniak und Ammoniumionen beitragen.
in der klinischen Diagnostik.

Serumenzymdiagnostik. ASAT und ALAT gehören zu


13.6 Stoffwechsel einzelner den Enzymen, deren Übertritt ins Blut diagnostische Hin-
Aminosäuren weise auf Gewebeschädigungen liefern kann. Zusammen mit
der Glutamat-Dehydrogenase (GLDH) und der γ-Glu-
Im Folgenden werden wichtige Wege des menschlichen tamyltransferase (J-GT, 7 Kap. 13.6.4) sind beide Amino-
Aminosäurestoffwechsels im Detail besprochen. Die ein- transferasen vor allem zur Erkennung und Differential-
zelnen Aminosäuren sind dabei zu Gruppen zusammen- diagnose von Lebererkrankungen nützlich. Mit Ausnahme
gefasst, deren Einteilung an Wechselbeziehungen im Stoff- der ASAT, die auch im Herzen und in der Skelettmusku-
wechsel orientiert ist. Bei essentiellen Aminosäuren werden latur in hohen Aktivitäten vorkommt, sind die erwähnten
nur die Abbauwege berücksichtigt. Enzyme weitgehend leberspezifisch. Zur weiteren Differen-
zierung der Befunde kann man das Verhältnis der Serum-
aktivitäten von ASAT und ALAT (den de-Ritis-Quotienten)
heranziehen. Bei leichteren Leberzellschäden ist der Quo-
13.6 · Stoffwechsel einzelner Aminosäuren
455 13

. Tabelle 13.7. Stoffwechselbedeutung von Alanin, der sauren Aminosäuren und ihrer Amide
Aminosäure Produkt Funktion als/bei in/im siehe
Alanin NH2-Transport (Alaninzyklus) Blut Kap. 13.5.1, 16.2.3
o Pyruvat Gluconeogenesevorstufe Leber Kap. 11.3
o Selenocystein Vorstufe Kap. 9.1.5
Aspartat Neurotransmitter Gehirn
o Oxalacetat Gluconeogenesevorstufe Leber Kap. 11.3, 13.3.1
o Argininosuccinat NH2-Donor (Harnstoffzyklus) Leber Kap. 13.5.2
o Carbamylaspartat NH2-Donor (Pyrimidinsynthese) Kap. 19.1.2
o AICAR NH2-Donor (Purinsynthese) Kap. 19.1.1
o Adenylosuccinat NH2-Donor (Nucleotidsynthese) Kap. 19.1.1
o Asparagin Vorstufe
o Lysin, Methionin, Vorstufe Pflanzen,
o Threonin Mikrorganismen
o E-Alanin Vorstufe Mikrorganismen
Glutamat Neurotransmitter Gehirn Kap. 31.3.2
o J-Aminobutyrat Neurotransmitter-Vorstufe Gehirn Kap. 31.3.4
o andere Aminosäuren NH2-Donor (Transaminierung) Kap. 13.6.1
o NH4+/NH3 Vorstufe (Desaminierung) Leber, Niere Kap. 13.3.3
o D-Ketoglutarat Gluconeogenesevorstufe Leber, Niere Kap. 28.1.9, 13.3.1
o Glutamin, Prolin, Ornithin, Arginin Vorstufe Kap. 13.6.3
o N-Acetylglutamat Vorstufe Leber Kap. 13.5.2
Asparagin Stickstoffspeicher Pflanzen
o Aspartat Gluconeogenesevorstufe Kap. 13.4.2, 13.6.1
Glutamin NH2-Transport Blut Kap. 13.5.1
o Glutamat Gluconeogenesevorstufe Leber, Niere Kap. 13.5.4
o Glutathion Vorstufe Kap. 13.6.4
o Asparagin NH2-Donor Kap. 13.3.3
o Glucosamin-6-P NH2-Donor (Aminozuckersynthese) Kap. 17.2.2
o Carbamylphosphat NH2-Donor (Pyrimidinsynthese) Kap. 19.1.2
o Phosphoribosylamin NH2-Donor (Purinsynthese) Kap. 19.1.1
o Formylglycinamidin-Ribonucleotid NH2-Donor (Purinsynthese) Kap. 19.1.1
o GMP NH2-Donor (Nucleotidsynthese) Kap. 19.1.1
o NAD+ NH2-Donor (NAD+-Synthese) Kap. 23.3.4
o Glutaminkonjugate Biotransformation (Phase II) Leber Kap. 33.3.1

tient in der Regel < 1 weil die vorwiegend cytosolisch loka- Glutamin und Asparagin. Wie in Abschnitt 13.5.2 be-
lisierte hepatische ALAT leichter ins Blut übertritt als die sprochen, ist neben der CPS-1-Reaktion die Bildung von
hauptsächlich mitochondrial lokalisierte ASAT-Aktivität. Glutamin aus Glutamat die zweite wichtige Reaktion zur
Bei schweren Leberschäden mit Zerfall der Mitochondrien NH4+-Fixierung. Katalysiert wird sie durch die Glutamin-
und ganz besonders bei Myokardinfarkten und schweren Synthetase, die die J-Carboxylgruppe von Glutamat ATP-
Muskeltraumen dominiert die ASAT, sodass der Quotient abhängig amidiert. Als Zwischenprodukt tritt enzym-
auf Werte bis über 2 ansteigen kann. gebundenes J-Glutamylphosphat auf. Im menschlichen
Organismus läuft die Glutaminsynthese vor allem in der
! Die Amide Glutamin und Asparagin werden ATP-ab- Muskulatur, in den Lungen und im Fettgewebe ab. Die
hängig gebildet und durch Hydrolasen abgebaut. Umkehrreaktion wird durch die mitochondriale phosphat-
456 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Abb. 13.20. Stoffwechsel von Alanin, der sauren Aminosäuren und ihrer Amide. (Einzelheiten 7 Text)

abhängige Glutaminase katalysiert, die aus Glutamin senkt die Asparaginkonzentration im Blut so weit, dass
durch hydrolytische Desaminierung wieder NH4+ freisetzt die Proliferation der Blasten massiv gehemmt wird. Ein
(. Abb. 13.20). schwerwiegender Nachteil der Asparaginasetherapie sind
Ähnlich wie Glutamat und Glutamin werden auch immunologische Reaktionen gegen das bakterielle Protein,
Aspartat und Asparagin ineinander umgewandelt. Im Ge- die allergische Reaktionen auslösen und das verabreichte
gensatz zur Glutamin-Synthetase verwendet die Aspara- Enzym unwirksam machen können.
13 gin-Synthetase allerdings als NH2-Donor nicht NH4+ son-
! Die menschliche GLDH unterliegt einer komplexen
dern Glutamin. Da Asparagin – anders als Glutamin – nicht
Regulation.
dem Stickstofftransport dient, sind die Blutspiegel von
Asparagin und Aspartat und die Aktivitäten von Aspara- Wie unter 7 Kap. 13.3.3 besprochen, sind Desaminierungen
gin-Synthetase und Asparaginase im tierischen Organis- beim Abbau von Aminosäuren die Ausnahme. Die wich-
mus vergleichsweise niedrig. tigste Reaktion dieser Art ist die dehydrierende Desami-
nierung von Glutamat, die nicht nur NH4+ freisetzt, son-
! Pathobiochemie: Mikrobielle Asparaginasen werden
dern mit NAD(P)H+H+ und D-Ketoglutarat zwei weitere
zur Behandlung von Leukämien eingesetzt.
Produkte bildet, die zur mitochondrialen ATP-Synthese
Zu den wenigen Enzymen, die einen festen Platz in der beitragen.
Therapie von Tumorerkrankungen gefunden haben, gehö-
ren bakterielle Asparaginasen, die zusammen mit anderen Regulation der GLDH. Die menschliche GLDH ist in der
Cytostatika seit über 30 Jahren erfolgreich gegen die akute Mitochondrienmatrix lokalisiert und besteht aus 6 iden-
lymphatische Leukämie (ALL) eingesetzt werden. Die tischen Untereinheiten. Sie kommt in allen Geweben vor,
Wirkung der Asparaginasen (heute wird klinisch nur noch die weitaus höchsten Aktivitäten finden sich jedoch in
ein Enzym aus Escherichia coli eingesetzt) beruht auf der der Leber (. Abb. 13.21). Obwohl das Gleichgewicht
Tatsache, dass die für ALL verantwortlichen transformier- der GLDH-Reaktion auf der Seite der Glutamatbildung
ten Leukozytenvorläufer (Blasten) kaum Asparagin-Syn- liegt, dominiert in der Leber unter physiologischen Be-
thetase-Aktivität enthalten und deshalb auf die Zufuhr von dingungen wahrscheinlich die Desaminierungsreaktion
Asparagin angewiesen sind. Die Gabe von Asparaginase weil
13.6 · Stoffwechsel einzelner Aminosäuren
457 13

Die Vorstellung, dass die Desaminierung von Glutamat zu


D-Ketoglutarat der ATP-Synthese dient, wird durch die
Symptome der seltenen Hyperininsulinämischen Hypo-
glykämie des Kindesalters (HHI) gestützt. Bei dieser erb-
lichen Stoffwechselerkrankung ist die Regulation der In-
sulinausschüttung aus den E-Zellen des Pankreas gestört
(7 Kap. 26.1.3). Als eine der möglichen Ursachen wurden
Mutationen im Glutamat-Dehydrogenase-Gen identifiziert,
die das Enzym gegen die allosterische Hemmung durch
ATP und GTP unempfindlich und dadurch aktiver ma-
chen. In der Folge kommt es nicht nur zu einer (in der
Regel milden) Hyperammoniämie (mit Blutspiegeln um
. Abb. 13.21. Aktivitäten der Glutamatdehydrogenase (GLDH) 100 μmol/l), sondern auch zu einer Hypoglykämie. Of-
in menschlichen Organen. (nach Schmidt E, Schmidt FW 1969) fenbar führt die höhere GLDH-Aktivität zur Erhöhung
des ATP-Spiegels in den E-Zellen und damit zur verstärk-
ten Insulinausschüttung. Die bei der HHI beobachtete
4 der KM-Wert der GLDH für Ammoniak mit etwa Hyperammoniämie resultiert nicht allein aus der gesteiger-
3 mmol/l relativ hoch ist, während die NH4+-Konzen- ten NH4+-Freisetzung durch die höhere GLDH-Aktivität,
tration in Hepatozyten durch Glutamin-Synthetase und sondern indirekt auch aus der verminderten Synthese von
CPS I sehr niedrig gehalten wird (7 Kap. 13.5.2) N-Acetylglutamat als Folge geringerer Glutamatkonzen-
4 ATP und GTP die GLDH allosterisch hemmen, wäh- trationen in der Mitochondrienmatrix. Dies senkt die
rend ADP und Leucin das Enzym aktivieren Aktivität der CPS-1 und damit die Fähigkeit der Leber zur
NH4+-Fixierung.
Die Tatsache, dass die GLDH-Aktivität durch den Ener-
giestatus der Zelle (d.h. vom ATP/ADP-Verhältnis) kon-
trolliert wird, legt nahe, dass die Reaktion nicht in erster 13.6.2 Serin, Glycin und Threonin
Linie der Freisetzung oder Fixierung von NH4+ dient, son-
dern der Bereitstellung von Vorstufen für die ATP-Bildung Zusammen mit den metabolisch eng verwandten Amino-
(d.h. D-Ketoglutarat und NADH+H+). säuren Serin und Glycin wird auch das essentielle Threonin
besprochen, weil dessen wichtigster Abbauweg durch ein
! Pathobiochemie: Mutationen der GLDH können eine Enzym eingeleitet wird, das auch beim Abbau von Serin die
Hyperinsulinämie auslösen. entscheidende Rolle spielt.

. Tabelle 13.8. Stoffwechselbedeutung von Glycin, Serin und Threonin


Aminosäure Produkt Funktion als/bei in/im siehe
Glycin Neurotransmitter Gehirn Kap. 31.3.4
o Serin Gluconeogenesevorstufe Leber Kap. 13.6.2
o N5,N10-CH2-THF C1-Donor Kap. 23.3.8
o Guanidinoacetat Kreatinvorstufe Niere Kap. 16.2.2
o Glutathion Vorstufe Kap. 13.6.4
o G-Aminolaevulinat Häm-Vorstufe Kap. 20.1.2
o Glycinamid-Ribonucleotid Purin-Vorstufe Kap. 19.1.1
o Glycocholsäure Gallensäurebaustein Leber Kap. 32.1.4
o Glycinkonjugate Biotransformation (Phase II) Leber Kap. 33.3.1
Serin o Pyruvat Gluconeogenesevorstufe Leber Kap. 13.6.2
o Cystein Vorstufe Kap. 13.6.4
o Glycin Vorstufe Kap. 13.6.2
o Phosphatidylserin Phospholipidbaustein Kap. 18.1.1
o Ethanolamin Vorstufe Kap. 18.1.1
Threonin o Succinyl-CoA Gluconeogenesevorstufe Leber Kap. 13.6.2
458 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

Stoffwechselbedeutung. Unter den drei Aminosäuren Enzym aus 4 unterschiedlichen Komponenten, von denen
dieser Gruppe ist Glycin die vielseitigste. Es wirkt als hem- eine einen Liponamid-«Arm« trägt wie er auch in D-Keto-
mender Transmitter im Zentralnervensystem und dient säuredehydrogenasen zu finden ist (7 Kap. 14.2).
als Vorstufe oder Baustein wichtiger Biomoleküle (. Tabel-
le 13.8). Der Abbau von Serin und Glycin versorgt außer- Biosynthese von Glycin. Die GCS-abhängige Bildung von
dem den C1-Pool mit N5,N10-Methylen-THF (7 u.). Serin aus Glycin ist vermutlich im Mitochondrium lokali-
siert. Die Bildung von Glycin aus Serin wird dagegen durch
! Glycin und Serin lassen sich leicht ineinander umwandeln.
ein cytosolisches SHMT-Isoenzym katalysiert. Es liefert
Biosynthese von Serin. Der wichtigste Weg zum Serin außerdem N5,N10-Methylen-THF, das im Cytosol u.a. zur
geht von 3-Phosphoglycerat aus, einem Zwischenprodukt Bildung von dTMP aus UMP und zur Remethylierung von
von Glycolyse und Gluconeogenese (. Abb. 13.22, Reak- Homocystein (7 Kap. 13.6.4) benötigt wird.
tionen (1), (2) und (3)). Nach Oxidation der D-OH-
! Serin und Threonin werden über mehrere Wege abge-
Gruppe zur Ketogruppe wird die D-Aminogruppe durch
baut.
Transaminierung eingeführt. Die Hydrolyse der Phos-
phorsäureesterbindung in 3-Stellung schließt die Syn- Abbau. Wie oben besprochen, wird Glycin durch das GCS
these ab. gespalten und/oder in Serin umgewandelt. Zum Abbau von
Alternativ dazu kann Serin durch die PALP-abhängige Serin gibt es mehrere Möglichkeiten:
Serin-Hydroxymethyltransferase (SHMT) aus Glycin 4 die direkte Desaminierung zu Pyruvat (. Abb. 13.22,
gebildet werden(. Abb. 13.22, Reaktion (5)). Die dazu Reaktion (4))
notwendige Hydroxymethylgruppe stammt aus N5,N10- 4 die Transaminierung zu Hydroxypyruvat (. Abb. 13.22,
Methylen-THF, das beim Abbau eines weiteren Glycin- Reaktion (9))
moleküls zu CO2 und NH4+ entsteht. Für die letztere Reak- 4 den durch die SHMT katalysierten Abbau zu Glycin
tion ist das so genannte »Glycin spaltende System« (GCS, (. Abb. 13.22, Reaktion (5)) und
. Abb. 13.22, Reaktion (6)) verantwortlich, ein komplexes 4 die Umwandlung in Cystein (. Abb. 13.27)

13

. Abb. 13.22. Stoffwechsel von Serin, Threonin und Glycin. Dehydratase; 5 = Serin-Hydroxymethyltransferase; 6 = Glycin spal-
Enzyme: 1 = Phosphoglycerat-Dehydrogenase; 2 = Phosphoserin- tendes System; 7 = Threonin-Dehydrogenase; 8 = D-Amino-E-keto-
Transaminase; 3 = Phosphoserin-Phosphatase; 4, 4’ = Serin/Threonin- butyrat-CoA Ligase. (Einzelheiten 7 Text)
13.6 · Stoffwechsel einzelner Aminosäuren
459 13

Die eliminierende Desaminierung von Serin zu Pyruvat


durch die Serindehydratase (. Abb. 13.22, Reaktion (4))
wird in Abschnitt 13.3.3 im Einzelnen dargestellt. Alter-
nativ dazu wandelt eine kurz als Serin-Pyruvat-Trans-
aminase (SPT) bezeichnete Aminotransferase Serin und
Pyruvat in Alanin und Hydroxypyruvat um, das über wei-
tere Zwischenstufen (nicht dargestellt) in Glyoxylat oder in
Pyruvat übergehen kann. Welcher dieser beiden Wege zum
Serinabbau dominiert, hängt vom Organismus und vom
untersuchten Organ ab.
Threonin wird im menschlichen Organismus zu einem
geringen Anteil zu D-Amino-E-ketobutyrat dehydriert und
anschließend zu Acetyl-CoA und Glycin zerlegt (. Abb.
13.22, Reaktionen (7) und (8)). Der überwiegende Teil wird
jedoch zu D-Ketobutyrat desaminiert (. Abb. 13.22, Re-
aktion (4c)). Verantwortlich für diese Reaktion ist dieselbe
Lyase, die auch Serin desaminiert und deshalb statt Serin-
dehydratase zutreffender als Serin/Threonindehydratase
bezeichnet werden sollte. Das gebildete D-Ketobutyrat
wird zunächst oxidativ zu Propionyl-CoA decarboxyliert . Abb. 13.23. Stoffwechsel von Propionyl-CoA. Enzyme: 1 = Pro-
(. Abb. 13.11). Die anschließende dreistufige Umwand- pionyl-CoA-Carboxlase; 2 = Methylmalonyl-CoA-Epimerase; 3 = Methyl-
malonyl-CoA-Mutase. (Einzelheiten 7 Text)
lung von Propionyl-CoA in Succinyl-CoA stellt den An-
schluss an den Citratzyklus her und wird als gemeinsame
Endstrecke von mehreren katabolen Wegen genutzt
(. Abb. 13.23). Diese sind 13.6.3 Prolin, Ornithin und Arginin
4 die Abbauwege der Aminosäuren Threonin, Methio-
nin, Isoleucin, und Valin Die Aminosäuren dieser Gruppe bilden zusammen mit
4 der Abbau ungeradzahliger Fettsäuren und Glutamin die Glutamatfamilie. Alle können aus Glutamat
4 der Abbau von Thymin synthetisiert und durch Umkehrung der Syntheseschritte
wieder zu Glutamat abgebaut werden.
Zunächst wird Propionyl-CoA zu D-Methylmalonyl-CoA
carboxyliert (. Abb. 13.23, Reaktion (1)), das nach Iso- Stoffwechselbedeutung. Die zyklische Aminosäure Prolin
merisierung zum L-Epimeren (. Abb. 13.23, Reaktion (2)) ist vor allem als Proteinbestandteil und als Vorstufe
durch eine Coenzym-B12-abhängige Isomerase in Succinyl- von posttranslational gebildetem Hydroxyprolin wichtig
CoA umgelagert wird. Diese Methylmalonyl-CoA-Mutase (7 Kap. 24.2.1). Ornithin und Arginin sind Intermediate
(. Abb. 13.23, Reaktion (3)) ist neben der Methionin- im Harnstoffzyklus. Arginin dient außerdem als Vorstufe
Synthase (7 Kap. 13.6.4), das einzige menschliche Enzym, für Stickstoffmonoxid (NO) und Kreatin, während Or-
das ein Cobalamid als Coenzym benötigt (7 Kap. 23.3.9). nithin die Muttersubstanz der so genannten Polyamine ist
(. Tabelle 13.9).
! Pathobiochemie: Störungen des Propionyl-CoA-Stoff-
wechsels. ! Glutamat, Arginin und Prolin lassen sich leicht ineinan-
der überführen.
Propionacidämie Patienten mit einem Defekt der Propio-
nyl-CoA-Carboxylase (. Abb. 13.23, Reaktion (1)) weisen Biosynthese und Abbau. Die Stoffwechselschritte, die
hohe Plasmaspiegel von Propionsäure auf, die durch Hy- Ornithin bzw. Arginin und Prolin mit Glutamat verknüp-
drolyse von Propionyl-CoA entsteht. Zu den therapeuti- fen, sind weitgehend reversibel und dienen deshalb so-
schen Maßnahmen zählen eine Beschränkung der Protein- wohl der Biosynthese wie auch dem Abbau der betreffen-
zufuhr und die Beseitigung der durch Propionsäure be- den Aminosäuren. Gemeinsame Zwischenprodukte beider
dingten metabolischen Azidose. Wege sind Glutamat-γ-semialdehyd bzw. dessen unter
Methylmalonacidämie und -urie Genetische Defekte Wasserabspaltung gebildete zyklische Form Δ1-Pyrrolin-
der Methylmalonyl-CoA-Mutase (. Abb. 13.23, Reaktion carboxylat.
(2)) führen zum Anstieg von Methylmalonat im Plasma Während der freie Semialdehyd über eine Transaminie-
und zur Ausscheidung in den Urin. Da Vitamin B12-Mangel rungsreaktion mit Ornithin in Beziehung steht (. Abb. 13.24,
ähnliche Auswirkungen hat, ist die Methylmalonat-Kon- Reaktion 2), lassen sich '1-Pyrrolincarboxylat und Glu-
zentration im Plasma ein Kriterium zur Bewertung der tamat durch eine Dehydrogenase ineinander überführen
Versorgung mit diesem Vitamin. (. Abb. 13.24, Reaktion (1)). Eine weitere Dehydrogenase
460 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Abb. 13.24. Stoffwechsel von Prolin, Ornithin und Arginin. Enzyme: 1 = Pyrrolincarboxylat-Dehydrogenase; 2 = Ornithin-Transaminase;
3 = Pyrrolincarboxylat-Reduktase. (Einzelheiten 7 Text)

(. Abb. 13.24, Reaktion (3)) katalysiert die Gleichgewichts- ! Der Mediator Stickstoffmonoxid (NO) wird aus Arginin
einstellung zwischen '1-Pyrrolincarboxylat und Prolin. Ar- gebildet.
ginin kann deshalb sowohl zu Glutamat als auch zu Prolin
abgebaut werden. Ein weiterer (nicht im Detail dargestell- NO-Synthese. Stickstoffmonoxid (NO) ist ein kurzlebiges
ter) Abbauweg des Arginins führt über das biogene Amin Radikal mit Signalfunktion (7 Kap. 25.9.1). Es reguliert u.a.
Agmatin und das Polyamin Putrescin (7 u.) zum Succinat. die Blutgefäßweite, wirkt als Neurotransmitter und be-
Die Biosynthese von Arginin findet überwiegend einflusst das Immunsystem sowie die Hämostase. Wegen
extrahepatisch statt, weil in der Leber keine größeren Ar- seiner begrenzten Lebensdauer muss NO in der Nähe des
gininmengen aus dem Harnstoffzyklus abgezweigt werden jeweiligen Wirkorts gebildet werden. Das dafür verantwort-
können. Die Argininsynthese teilen sich die Enterozyten liche Enzym, die NO-Synthase (NOS), kommt in mehreren
des Darms (Umwandlung von Glutamat in Citrullin, . Abb. Formen vor: Konstitutiv gebildet werden das neuronale
13.17) und die Niere (Citrullin in Arginin, . Abb. 13.18). (nNOS) und das endotheliale Isoenzym (eNOS). Beide
13 Das extrahepatisch gebildete Arginin wird u.a. zur Synthese werden durch Ca2+- Calmodulin aktiviert, während die so
von Kreatin und NO sowie zur Bereitstellung von Glutamat genannte induzierbare NOS (iNOS) durch diverse Stimuli
in perivenösen Hepatozyten genutzt. calciumunabhängig induziert wird.

. Tabelle 13.9. Stoffwechselbedeutung von Prolin, Ornithin und Arginin


Aminosäure Produkt Funktion als/bei in/im siehe
Prolin o Glutamat Gluconeogenesevorstufe Leber Kap. 13.6.3
o Hydroxyprolin Vorstufe Kap. 24.2.1
Ornithin o Glutamat Gluconeogenesevorstufe Leber
o Citrullin Harnstoffzyklusintermediat Leber Kap. 13.5.2
o Putrescin Polyaminvorstufe Kap. 13.6.3
Arginin o Glutamat Gluconeogenesevorstufe Leber Kap. 13.6.3
o Harnstoff Harnstoffzyklusintermediat Leber Kap. 13.5.2
o Guanidinoacetat Kreatinvorstufe Niere Kap. 16.2.2
o NO Vorstufe Kap. 13.6.3
o Agmatin Vorstufe Kap. 13.6.3
13.6 · Stoffwechsel einzelner Aminosäuren
461 13

. Abb. 13.25. Umwandlungsreaktionen von Arginin. Enzyme: thase; 6 = Adenosylmethionin-Decarboxylase; 7 = Spermin-Synthase;


1 = Glycinamidinotransferase; 2 = Guanidinoacetat-Transmethylase; SAH = S-Adenosylhomocystein. Zu Reaktion ③ 7 auch Abb. 13.26.
3 = NO-Synthase; 4 = Ornithin-Decarboxylase; 5 = Spermidin-Syn- (Einzelheiten 7 Text)

Mechanismus. Die Biosynthese von NO aus Arginin ist ein enthält eine Hämgruppe sowie als weiteren Cofaktor Tetra-
komplizierter, noch nicht völlig verstandener Prozess, der hydrobiopterin (BH4) (. Abb. 13.32). Die C-terminale Re-
zwei Oxidationsschritte vom Monooxygenasetyp umfasst. duktasedomäne, die im Falle von nNOS und eNOS auch
Als enzymgebundenes Intermediat tritt Nω-Hydroxyargi- den Aktivator Ca2+-Calmodulin bindet, überträgt Reduk-
nin auf (. Abb. 13.25, Reaktion (3)). Die N-terminale Oxy- tionsäquivalente von NADPH+H+ über FAD und FMN
genasedomäne der NO-Synthese (NOS) (. Abb. 13.26) zum Oxygenasezentrum.
462 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

13.6.4 Schwefelhaltige Aminosäuren

Stoffwechselbedeutung. Der Stoffwechsel der schwefel-


haltigen Aminosäuren Cystein und Methionin ist eng ver-
zahnt. Cystein gehört zu den bedingt essentiellen Amino-
säuren, weil seine SH-Gruppe aus dem Abbauweg des es-
sentiellen Methionins stammt. Methionin ist gleichzeitig
Vorstufe für S-Adenosylmethionin, das wichtigste me-
thylierende Coenzym im Stoffwechsel (7 u.). Aus Cystein
entstehen u.a. die nichtproteinogene Aminosäure Taurin,
das nicht-enzymatisch oder posttranslational gebildete
Disulfid Zystin und das als Antioxidans wirksame Tripep-
. Abb. 13.26. Struktur der NO-Synthase. (Einzelheiten 7 Text)
tid Glutathion (. Tabelle 13.10).

! Polyamine regulieren Zellproliferation und Apoptose. Abbau von Methionin. Der Abbauweg des Methionins
(. Abb. 13.27) durchläuft zunächst Teile des so genannten
Polyamine. Putrescin, Spermidin und Spermin (. Abb. Methioninzyklus (7 u.) wobei die S-Methylgruppe ent-
13.25) sind di-, tri- bzw. tetravalente organische Kationen, fernt wird. Das dabei gebildete Homocystein wird im
die in tierischen Zellen in millimolaren Konzentrationen nächsten Schritt durch die PALP-abhängige Cystathionin-
vorkommen und für den normalen Ablauf der Zellprolife- E-Synthase auf Serin übertragen wobei Cystathionin ent-
ration notwendig sind. Ihre Wirkung beruht auf ihren steht. Dessen Spaltung durch die ebenfalls PALP-abhängige
amphipathischen Eigenschaften: Während die Methylen- Cystathionin-J-Lyase (. Tabelle 13.2) liefert Cystein und
gruppen (-CH2-) hydrophobe Wechselwirkungen eingehen α-Ketobutyrat (»Transsulfurierung«). Menschliche Föten
können, interagieren die positiv geladenen N-Atome mit und Frühgeborene besitzen noch keine ausreichende Cys-
negativen Ladungen, z.B. den Phosphatresten der DNA. tathionin-J-Lyase-Aktivität. Für sie gehört Cystein deshalb
Auf Grund dieser Eigenschaften sind die Polyamine in der zu den essentiellen Aminosäuren.
Lage, DNA-Protein- und Protein-Proteinwechselwirkungen Das aus Methionin gebildete D-Ketobutyrat wird zu
zu modifizieren und dadurch in die Regulation von Zell- Succinyl-CoA abgebaut (. Abb. 13.23) oder in peripheren
zyklus und Apoptose einzugreifen (7 Kap. 7.1.5). Geweben, denen die D-Ketobutyrat-Dehydrogenase fehlt,
zunächst zu D-Aminobutyrat transaminiert, das in der
Biosynthese. Die Synthese der Polyamine geht von Or- Leber weiter verstoffwechselt wird.
nithin aus, das von der Ornithindecarboxylase (ODC)
! Der Methioninzyklus liefert aktivierte CH3-Gruppen für
(. Abb. 13.25, Reaktion (4)) zu Putrescin (1,4-Diamino-
Methylierungsreaktionen.
butan) decarboxyliert wird. Mit Halbwertszeiten von weni-
gen Stunden ist die ODC eines der kurzlebigsten zellulären S-Adenosylmethionin. Der Methioninzyklus (. Abb. 13.28)
13 Proteine. An den beiden nachfolgenden Reaktionen, der ist ein geschlossener Kreislauf, in dessen Verlauf zunächst
Umwandlung von Putrescin in Spermidin und von Sper- aus Methionin das Coenzym S-Adenosylmethionin (SAM,
midin in Spermin ist ein ungewöhnlicher Cofaktor betei- AdoMet) gebildet wird, der wichtigste Cofaktor bei Methy-
ligt, nämlich decarboxyliertes S-Adenosylmethionin, das lierungsreaktionen an Stickstoff- und Sauerstoffatomen. Bis
als Donor für 3-Aminopropylreste fungiert. heute wurden mehr als 40 SAM-abhängige Methyltransfe-
Über Synthese und Funktion von Kreatin informiert rasen identifiziert. Wichtige Beispiele sind in . Tabelle 13.11
7 Kap. 30.5. zusammengestellt. Nach Decarboxylierung von S-Adeno-

. Tabelle 13.10. Stoffwechselbedeutung von Cystein und Methionin

Aminosäure Produkt Funktion als/bei in/im siehe


Cystein o Pyruvat Gluconeogenesevorstufe Leber Kap. 13.6.4
o Taurin Vorstufe Kap. 13.6.4
o Cystin Vorstufe Kap. 13.6.4
o Glutathion Vorstufe Kap. 13.6.4
Methionin o Succinyl-CoA Gluconeogenesevorstufe Leber
o Cystein Vorstufe Kap. 13.6.4
o S-Adenosylmethionin Vorstufe, CH3-Donor Kap. 13.6.3, 13.6.4
13.6 · Stoffwechsel einzelner Aminosäuren
463 13

. Abb. 13.27. Abbau von Methionin. (Einzelheiten 7 Text)

sylmethionin kann auch der entstehende Aminopropylrest


. Tabelle 13.11. Verbindungen, deren Methylgruppe von
für Biosynthesen verwendet werden (. Abb. 13.25). Die S-Adenosylmethionin stammt (Auswahl)
meisten Enzyme des Methioninstoffwechsels sind auch in
Ausgangssubstanz Methyliertes Produkt
extrahepatischen Geweben zu finden, da Methylgruppen
Methylierung von Mikromolekülen
für Methylierungen überall benötigt werden.
Ethanolamin Cholin (dreifache Methylierung)
Guanidinoacetat Creatin
Transmethylierung. Zur Bildung von S-Adenosylmethio-
nin wird durch eine Transferase der Adenosylrest von ATP N-Acetylserotonin N-Acetyl-5-methoxyserotonin
(Melatonin)
auf das Schwefelatom von Methionin übertragen (. Abb.
Noradreanlin Adrenalin
13.28, Reaktion (1)). Die CH3-Gruppe gelangt dadurch auf
hohes chemisches Potential und kann leicht auf andere Pharmaka Methylierte Pharmaka

Moleküle übertragen werden (»Transmethylierung«). Au- Methylierung von Makromolekülen


ßerdem werden anorganisches Phosphat und Pyrophosphat Basen der DNA und RNA Methylierte Basen
(im Nucleinsäurenverband)
frei. Da letzteres noch durch eine Pyrophosphatase gespal-
ten wird, »kostet« die Methioninaktivierung zwei energie- Histidin 3-(oder τ-)Methylhistidin
(im Proteinverband)
reiche Bindungen.
464 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Abb. 13.28. Methioninzyklus. Enzyme: 1 = Methionin-Adenosyl- cysteinhydrolase; 4 = Methioninsynthase; 5 = Methylen-THF-Reduk-


transferase; 2 = diverse Methyltransferasen; 3 = Adenosyl-Homo- tase; 6 = Betain-Homocystein-Transmethylase. (Einzelheiten 7 Text)

Bei Transmethylierungen geht SAM in S-Adenosylho- Die Methionin-Synthase ist neben der Methylmalonyl-
mocystein über (. Abb. 13.28 Reaktion (2)), das im nächs- CoA-Mutase (. Abb. 13.23) das einzige Vitamin B12-ab-
ten Schritt hydrolytisch in Adenosin und das im Vergleich hängige Enzym im tierischen Stoffwechsel.
zu Cystein um eine CH2-Gruppe verlängerte Homocystein
13 ! Pathobiochemie: Erhöhte Homocystein-Spiegel sind
gespalten wird (. Abb. 13.28, Reaktion (3)). Adenosin wird
ein Risikofaktor für cardiovaskuläre Erkrankungen und
über mehrere Schritte wieder zu ATP rephosphoryliert und
M. Alzheimer.
steht dann erneut für die Methioninaktivierung zur Ver-
fügung. Homozystinurie. Homocystein findet sich im Plasma nor-
Remethylierung Homocystein wird entweder in Me- malerweise in Konzentrationen um 10 μmol/l. Es liegt dort
thionin zurückverwandelt (»remethyliert«) oder durch hauptsächlich in Form des Disulfids Homozystin oder ge-
Transsulfurierung (7 o.) weiter abgebaut. Zur Remethylie- bunden an Albumin vor. Schon geringfügige Erhöhungen
rung von Homocystein gibt es zwei Möglichkeiten der Homozystinkonzentration im Blut führen zu Schäden
4 Die Methionin-Synthase (. Abb. 13.28, Reaktion (4)) an den Gefäßendothelien und dadurch zu einem deutlich
enthält als Cofaktor Methylcobalamin (B12-Coen- höheren Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Auch
zym). Primärer CH3-Donor ist N5-Methyltetrahydro- das Risiko, an der Alzheimer’schen Krankheit zu erkran-
folat (5-CH3-THF), das durch die Methylen-THF- ken, ist signifikant erhöht.
Reduktase (MTHFR, . Abb. 13.28, Reaktion (5)) unter Neben einem Mangel der Vitamine, die für die Re-
NADPH-Verbrauch aus N5,N10-Methylen-THF her- methylierung oder Transsulfurierung von Homocystein
gestellt wird benötigt werden (Folsäure, B6 oder B12), kann eine Homo-
4 Die Betain-Homocysteinmethylase (. Abb. 13.28, zystinurie auch auf einen autosomal-rezessiv vererbten De-
Reaktion (6)) bezieht die Methylgruppe von Betain fekt der Cystathionin-E-synthase zurückgehen. Die Me-
(N-Trimethylglycin), das dabei in Dimethylglycin über- thionin-Synthase oder das Hilfsenzym Methylen-THF-
geht Reduktase (7 o.) können ebenfalls betroffen sein. In allen
Fällen staut sich Homozystin im Blut und in den Geweben
13.6 · Stoffwechsel einzelner Aminosäuren
465 13

. Abb. 13.29. Abbau von Cystein.


(Einzelheiten 7 Text)

an und verursacht bei homozygoten Formen schwere Endo- Blut gering sind (. Tab. 13.5), kann es intrazellulär Kon-
thelschäden, die schon im frühen Alter zu Gefäßverschlüs- zentrationen bis 50 mmol/l erreichen. In Muskulatur,
sen und damit zu Myokardinfarkten und Gehirnschlägen Gehirn und Leukozyten ist es sogar die häufigste Amino-
(Apoplexien) führen können. Cystein, das beim Menschen säure.
zu den bedingt essentiellen Aminosäuren zählt, wird durch In den Zellen entfaltet Taurin vor allem cytoprotektive
diese Enzymdefekte absolut essentiell. Verantwortlich für Wirkungen. Unter anderem wirkt es als Osmolyt und puf-
die Endothelschädigung bei Homozystinämie ist wahr- fert die Auswirkungen osmotischer Schwankungen der
scheinlich die Bildung des äußerst zytotoxischen Metabo- Körperflüssigkeiten ab. Taurin schützt außerdem vor oxi-
liten Homocysteinthiolacton. dativen Zellschäden, hemmt Entzündungsreaktionen und
Die Therapie der Homozystinurie besteht in einer Diät, aktiviert bestimmte Immunzellen. Diese noch nicht voll
die wenig Methionin enthält dafür aber mit Cystein und verstandenen Wirkungen werden teilweise durch Taurin-
Vitaminen angereichert ist. chloramin vermittelt, das bei der Reaktion von Taurin mit
hypochloriger Säure entsteht. Schon länger bekannt ist die
! Cystein wird über mehrere Wege zu Pyruvat abgebaut. Rolle des Taurins als Baustein konjugierter Gallensäuren
(7 Kap. 32.1.4).
Cysteinabbau. Zum Abbau von Cystein gibt es mehrere
Wege (. Abb. 13.29). Im menschlichen Stoffwechsel vor- ! Glutathion (GSH) ist das wichtigste intrazelluläre Anti-
herrschend ist die O2-abhängige Oxidation zu Cystein- oxidans.
sulfinat, das durch die ubiquitär vorhandene Aspartat-
Aminotransferase (7 Kap. 13.6.1) unter Bildung von Glu- Cystin. Wie alle Thiole wird Cystein durch Luftsauerstoff
tamat zu Sulfinylpyruvat transaminiert wird. Dieses und andere Oxidationsmittel rasch zum Disulfid Cystin
Intermediat zerfällt schließlich in Pyruvat und Sulfit oxidiert. In Proteinen stellen Disulfidbrücken aus zwei ver-
(SO32–), das durch Oxidation mit Hilfe der Sulfitoxidase in knüpften Cysteinresten die einzigen konformationssta-
Sulfat (SO42–) übergeht. Cystein lässt sich außerdem durch bilisierenden Wechselwirkungen covalenter Art dar. Cystin
die Abspaltung von Hydrogensulfid (HS-) über Amino- kann auf nichtenzymatischem Wege durch Disulfidaus-
acrylat in Pyruvat überführen (vgl. . Abb. 13.7). tausch wieder zu Cystein reduziert werden, es gibt aber
auch Enzyme, die es in NH4+, Pyruvat und Thiocystein zer-
! In vielen Geweben gehört Taurin zu den häufigsten
legen (. Abb. 13.30, Reaktion (5)). Das letztere zerfällt
Aminosäuren.
spontan zu Cystein und H2S.
Taurinsynthese. Im menschlichen Stoffwechsel wird et-
wa 1/3 des Cysteins zu Taurin abgebaut. Diese nichtpro- Glutathion. Das cysteinhaltige Tripeptid Glutathion (GSH,
teinogene Aminosäure (eine E-Aminosulfonsäure) wird J-Glu-Cys-Gly) ist mit intrazellulären Konzentrationen
durch Decarboxylierung und nachfolgende Oxidation zwischen 0,5 und 10 mmol/l das wichtigste Antioxidans
der Sulfinatgruppe aus Cysteinsulfinat gebildet (. Abb. des menschlichen Organismus. Seine Funktion beruht auf
13.29). Während die Konzentrationen von Taurin im der stark reduzierenden Wirkung der Thiolgruppe, die
466 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Abb. 13.30. Umwandlungs-


reaktionen von Cystein. Enzyme:
1 = Glutamylcystein-Synthetase;
2 = Glutathionsynthetase; 3 =
J-Glutamyltransferase; 4 = Amino-
peptidase N; 5 = Cystathionin-
J-Lyase. (Einzelheiten 7 Text)

leicht mit freien Radikalen und reaktiven Sauerstoffspezies ist Leucin eine Vorstufe für Ketonkörper und Fettsäuren.
(reactive oxygen species, ROS) reagiert. Dabei entsteht das Die BCAA-Konzentration im Plasma stellt vermutlich ein
Glutathion-Disulfid GSSG, das in einer NADPH-abhängi- globales Signal für den Ernährungszustand des Organismus
gen Reaktion wieder zu GSH reduziert werden kann (7 Kap. dar. Sicher ist, dass Leucin zusammen mit Glucose die In-
15.3). Das Redoxpaar GSSG/ 2 GSH sorgt für das stark re- sulinausschüttung aus dem Pankreas fördert (7 Kap. 26.1.3)
duktive Milieu im Inneren der Zellen und bestimmt ihre und offenbar auch in andere Signaltransduktionswege ein-
antioxidative Kapazität. Außerdem dient GSH als Bestand- greift. Im Einzelnen sind diese Effekte noch nicht geklärt.
teil von Leukotrienen (7 Kap. 12.4.2), als Konjugations-
! Die Abbauwege für Valin, Leucin und Isoleucin zeigen
partner bei Biotransformationen in der Leber (7 Kap. 33.3),
viele Gemeinsamkeiten.
und unterstützt den Aminosäuretransport (7 u.).
Die ATP-abhängige Synthese von GSH aus Glutamat, Abbauwege. In . Abb. 13.31 sind die Abbauwege von Va-
Cystein und Glycin wird durch zwei cytosolische Synthe- lin, Isoleucin und Leucin in einer Übersicht dargestellt. Die
tasen katalysiert. Zunächst verknüpft die γ-Glutamyl- einleitenden Schritte sind in allen drei Fällen die gleichen,
13 cystein-Synthetase (. Abb. 13.30, Reaktion (1)) die J-Car- nämlich
boxylgruppe von Glutamat mit der D-Aminogruppe von 4 eine Transaminierung (katalysiert durch ein- und
Cystein (Isopeptidbindung), dann wird durch die GSH- dasselbe Enzym für alle drei Aminosäuren) gefolgt
Synthetase (Reaktion (2)) der Glycinrest angefügt. Die von der
in . Abb. 13.30 dargestellten Reaktionen (3) und (4) sind 4 oxidativen (dehydrierenden) Decarboxylierung der
Teile des γ-Glutamylzyklus, über den Aminosäuren in die gebildeten D-Ketosäuren zu Acyl-CoA-Derivaten
Zellen aufgenommen werden können.
Auch für diese zweite Reaktion gibt es nur ein Enzym-
system, den so genannten Verzweigtketten-Dehydro-
13.6.5 Verzweigtkettige Aminosäuren genase-Komplex. In Aufbau und Reaktionsmechanismus
ähnelt die Verzweigtketten-Dehydrogenase den Pyruvat-
Die verzweigten aliphatischen Aminosäuren Valin, Leucin dehydrogenase- bzw. D-Ketoglutaratdehydrogenase-Kom-
und Isoleucin (branched-chain amino acids, BCAA) sind für plexen (7 Kap. 14.2). Die Bezeichnungen der dabei ge-
den Menschen essentiell. Ihre Abbauwege zeigen Überein- bildeten Acyl-CoA-Derivate finden sich in . Abb. 13.11. Es
stimmungen und werden deshalb gemeinsam besprochen. folgen
4 die FAD-abhängige Reduktion der jeweiligen Acyl-
Stoffwechselbedeutung. Wie in Abschnitt 13.5.5 bespro- CoA-Verbindungen zu Enoyl-CoA-Derivaten und
chen, werden die BCAA vor allem von der Muskulatur ver- 4 die Hydratisierung der Enoyl-CoA’s zu Alkoholen (im
stoffwechselt und tragen so zur Versorgung anderer Gewe- Abbauweg von Leucin ist zuvor noch eine Carboxylie-
be mit Alanin und Glutamin bei. Als ketogene Aminosäure rung eingeschoben)
13.6 · Stoffwechsel einzelner Aminosäuren
467 13

. Abb. 13.31. Abbau der verzweigtkettigen Aminosäuren. Roter Balken Enzymdefekt bei der Ahornsirupkrankheit. (Einzelheiten 7 Text)
468 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Tabelle 13.12. Stoffwechselbedeutung der aromatischen Aminosäuren


Aminosäure Produkt Funktion als/bei in/im siehe
Phenylalanin o Tyrosin Gluconeogenesevorstufe Leber Kap. 13.6.6
o Tyrosin Lipidvorstufe Kap. 13.6.6
Tyrosin o Fumarat Gluconeogenesevorstufe Leber
o Acetacetat Lipidvorstufe
o DOPA Melaninvorstufe Kap. 13.6.6
o DOPA Katecholaminvorstufe
o 3-Iodotyrosin Hormonvorstufe (T3, T4) Kap. 27.2.4
Tryptophan o Gluconeogenesevorstufe Leber Kap. 13.6.6
o Acetyl-CoA Lipidvorstufe Kap. 13.6.6
o Chinolinat NAD+-Vorstufe Kap. 13.6.6
o 5-Hydroxytryptophan Vorstufe für Serotonin und Melatonin Kap. 32.3.6
DOPA = Dihydroxyphenylalanin

Von hier an unterscheidet sich der Valinabbau deutlich Atemnot und Cyanose) und eine Azidose auf, die meist
von dem der beiden anderen Aminosäuren. In drei Schrit- schon in den ersten Lebenswochen zum Tode führen.
ten wird das Intermediat 3-Hydroxyisobutyryl-CoA zu
Propionyl-CoA abgebaut.
Beim Abbau von Leucin und Isoleucin folgt auf die 13.6.6 Aromatische Aminosäuren
Hydratisierung die Abspaltung von Acetyl-CoA (C-C-
Spaltung), wobei im Falle des Isoleucins das hydratisierte Stoffwechselbedeutung. Tyrosin und Tryptophan sind
Enoyl-CoA vorher noch oxidiert wird. Zurück bleiben Vorstufen für eine Reihe wichtiger Signalstoffe (. Tabel-
Propionyl-CoA (aus Valin und Isoleucin) bzw. Acetacetat le 13.12). Dazu gehören die von Tyrosin abgeleiteten Kate-
(aus Leucin). Da Leucin nur Acetyl-CoA und Acetat liefert cholamine Dopamin, Noradrenalin und Adrenalin, die
ist es neben Lysin die einzige rein ketogene Aminosäure. als Neurotransmitter bzw. Hormone wirken. Tyrosin ist
Die weitere Umwandlung von Propionyl-CoA in Suc- zudem Vorstufe der braunen oder roten Melanine, die in
cinyl-CoA ist in . Abb. 13.23 im Einzelnen dargestellt. Haut und Haaren abgelagert werden und vor den Auswir-
kungen von UV-Strahlung schützen. Aus Tryptophan ent-
! Pathobiochemie: Verzweigtkettenkrankheit (»Ahorn- steht Serotonin und Melatonin, welches den circadianen
sirupkrankheit«). Rhythmus reguliert. In begrenzten Mengen kann aus Tryp-
13 tophan auch der Nicotinamidring von NAD(P)+ syntheti-
Bei dieser Störung liegt ein Defekt der oxidativen Decar- siert werden.
boxylierung der drei aus BCAA gebildeten D-Ketosäuren
! Tyrosin entsteht durch Hydroxylierung von Phenyl-
vor. Da die Verzweigtketten-Dehydrogenase aus drei Kom-
alanin.
ponenten besteht, können Mutationen in allen drei Genen
zu Aktivitätsänderungen des Multienzymkomplexes füh- Phenylalanin-Hydroxylase. Da der menschliche Stoffwech-
ren. Entsprechend stark ist die molekulare Heterogenität sel (mit Ausnahme des aromatischen Rings der Östrogene,
der Erkrankung. 7 Kap. 27.6.2) keine aromatischen Ringsysteme aufbauen
Eine frühe Diagnose ist äußerst wichtig. Erste Hinweise kann, sind Tryptophan und Phenylalanin essentielle Ami-
gibt der seltsame Geruch von Urin und Schweiß, der an den nosäuren. Im Gegensatz dazu ist Tyrosin nur bedingt essen-
Sirup des amerikanischen Zuckerahorns oder – bei uns tiell, weil es unter normalen Stoffwechselbedingungen in
besser bekannt – an Maggi-Würze erinnert. Neben den drei ausreichenden Mengen aus Phenylalanin gebildet werden
Aminosäuren werden auch die entsprechenden D-Keto- kann. Die Tyrosinbildung verbraucht normalerweise etwa
säuren und die durch Hydrierung entstehenden D-Hydro- ¾ des mit der Nahrung aufgenommenen Phenylalanins,
xysäuren vermehrt im Urin ausgeschieden. Außerdem der Rest wird zum größten Teil in Proteine eingebaut.
tritt im Plasma und Urin die ungewöhnliche Aminosäure Für die Tyrosinsynthese verantwortlich ist die Phenyl-
L-Alloisoleucin auf. alanin-Hydroxylase (PAH, . Abb. 13.32, Reaktion (1)),
Falls nicht sofort mit einer Diät begonnen wird, die arm eine hauptsächlich in der Leber vorkommende, eisenhal-
an (aber nicht frei von) Valin, Leucin und Isoleucin ist, tre- tige Monooxygenase, die molekularen Sauerstoff (O2) und
ten schwere zentralnervöse Schädigungen (verbunden mit als Cofaktor 5,6,7,8-Tetrahydrobiopterin (BH4) benötigt.
13.6 · Stoffwechsel einzelner Aminosäuren
469 13

. Abb. 13.32. Umwandlungsreaktionen des Phenylalanins. (Einzelheiten 7 Text)

Das Gen für die PAH liegt auf Chromosom 12. Während ! Pathobiochemie: Die Phenylketonurie ist die häufigste
die mRNA 2,4 kb lang ist, weist das PAH-Gen eine Länge genetisch bedingte Störung des Aminosäurestoff-
von über 90 kbp auf. Der für das Enzymprotein codierende wechsels.
Bereich ist auf 13 Exons verteilt (. Abb. 13.33). Die Phenyl-
alanin-Hydroxylase gewinnt ihre volle Aktivität erst nach Phenylketonurie. Defekte der Phenylalanin-Hydroxylase
der Geburt, in der Leber menschlicher Feten sind nur ge- stellen die häufigste genetische Anomalie des Aminosäu-
ringe Mengen nachweisbar. renstoffwechsels dar. Allein in Deutschland werden jährlich
etwa 100 Kinder mit homozygoter Phenylketonurie ge-
Reaktionsmechanismus. Wie bei allen Monooxygenasen boren (1 Fall auf 10 000 Neugeborene). Die Häufigkeit he-
baut die PAH eines der beiden Sauerstoffatome von O2 un- terozygoter Träger in der Bevölkerung beträgt etwa 1:50.
ter Bildung von p-Hydroxyphenylalanin (Tyrosin) in das Auf Grund der fehlenden Phenylalanin-Hydroxylase-Akti-
Substrat Phenylalanin ein. Das zweite O-Atom erscheint vität wird Phenylalanin nicht mehr oder nur noch langsam
zunächst als Hydroxylgruppe im Biopterincofaktor bevor in Tyrosin überführt und häuft sich deshalb in den Zel-
es als Wassermolekül freigesetzt wird. Der oxidierte Cofak- len und im Blut an. Die Plasmakonzentration des Phenyl-
tor, das so genannte chinoide Biopterin, wird schließlich alanins, die normalerweise bei 50–100 μmol/l (1–2 mg/dl)
wieder zu BH4 reduziert. Die beiden regenerierenden Re- liegt, kann bei den Patienten auf das 50-Fache erhöht sein.
aktionen werden durch spezielle Hilfsenzyme (Reaktionen Durch den Defekt der Phenylalanin-Hydroxylase wird
(2) und (3)) katalysiert. Tyrosin zur essentiellen Aminosäure. Da der vorherrschende
470 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

. Abb. 13.33. Mutationen im Phenylalaninhydroxylase-Gen. Oben sind die in Europa häufigsten Mutationen dargestellt, unten eine Aus-
wahl aus den fast 500 bekannten Polymorphismen

Abbauweg über Tyrosin ausfällt, wird Phenylalanin bei den den Phenylalanin-Hydroxylase-Allele weisen unterschied-
Patienten über alternative Stoffwechselwege abgebaut, die liche Mutationen auf.
bei Gesunden wegen ihrer geringen Aktivität kaum ins Ge- Bei einzelnen Patienten erklären die beobachteten
wicht fallen (. Abb. 13.32): Genotypen die individuelle Ausprägung der Krankheit.
4 Durch Transaminierung entsteht aus Phenylalanin die Manche Individuen weisen überhaupt keine Enzymakti-
D-Ketosäure Phenylpyruvat, deren Auftreten in Blut vität mehr auf, andere besitzen noch Restaktivitäten bis
und Urin der Krankheit ihren Namen verliehen hat zu etwa 30%. Unterschiede in der Verteilung und Häufig-
4 Das gebildete Phenylpyruvat wird entweder zu Phenyl- keit der Mutationen sprechen für verschiedene geogra-
lactat reduziert oder durch dehydrierende Decarboxy- phische und ethnische Ursprünge der Phenylketonurie. In
lierung in Phenylacetyl-CoA überführt, das nach Kon- Europa herrschen fünf Mutationen vor: die Substitution
jugation mit Glutamin als Phenylacetylglutamin im von Arginin durch Glutamin in den Positionen 158 oder
Urin nachgewiesen werden kann 261 (R158Q bzw. R261Q), die Substitution R408W sowie
4 Ein Teil des Phenylalanins wird außerdem zu Phenyl- Mutationen in den Introns 10 und 12 (Int10nt546 bzw.
ethylamin decarboxyliert und anschließend zu Phenyl- Int12nt1). Die letztere Mutation führt – ähnlich wie bei
acetat dehydriert und desaminiert E-Thalassämien – zu einer abnormen mRNA-Prozessie-
rung (7 Kap. 8.3). Bei Orientalen dominiert dagegen die
Symptome. Die schwerwiegendsten Symptome der un- Substitution R243Q.
13 behandelten Krankheit sind eine geistige Retardierung bis
! Die frühzeitige Diagnose der Phenylketonurie durch
hin zum Schwachsinn und progressiv verlaufende neuro-
Reihenuntersuchungen erlaubt eine wirkungsvolle
logische Ausfälle. Die biochemischen Ursachen sind noch
Behandlung.
nicht abschließend geklärt. Diskutiert werden u.a.
4 Eine durch Phenylalanin bedingte Hemmung des Diagnose. An Phenylketonurie erkrankte Säuglinge werden
Transports anderer Aminosäuren durch die Blut-Hirn- ohne erkennbare Störungen geboren. Erst durch die Tren-
Schranke und daraus resultierende Störungen der Pro- nung vom mütterlichen Stoffwechsel und nach der ersten
teinbiosynthese im Gehirn Nahrungszufuhr kommt es zum drastischen Anstieg des
4 Defekte in der Biosynthese der Neurotransmitter Dopa- Phenylalaninspiegels.
min, Noradrenalin und Serotonin und Da eine phenylalaninarme Diät die Entwicklung des
4 Störungen der Myelinisierung bzw. Demyelinisierung Schwachsinns bei den Patienten verhindern kann, ist eine
von Nervenfasern durch Phenylalaninmetabolite frühzeitige Diagnose unerlässlich. Reihenuntersuchungen
zur Erkennung der Phenylketonurie werden in der Regel
! Mindestens 500 verschiedene Mutationen im Phenyl-
zwischen dem 4. und 6. Lebenstag durchgeführt. Inzwi-
alanin-Hydroxylase-Gen können eine Phenylketonurie
schen werden diese statt mit dem klassischen mikrobiolo-
auslösen.
gischen Phenylalaninnachweis durch den Guthrie-Test mit
Durch molekularbiologische Analysen des Phenylalanin- Hilfe der Tandem-Massenspektrometrie durchgeführt.
Hydroxylase-Gens von Patienten wurden bisher fast 500 Dies hat den Vorteil, mit einer Messung ein ganzes Spek-
verschiedenen Mutationen identifiziert (. Abb. 13.33). Die trum von Störungen des Aminosäure- und Fettstoffwech-
meisten Patienten sind gemischt heterozygot, d.h. die bei- sels diagnostizieren zu können. Phenylalaninkonzentratio-
13.6 · Stoffwechsel einzelner Aminosäuren
471 13

. Abb. 13.34. Abbau von Tyrosin. (Einzelheiten 7 Text)

nen über 240 μmol/l (3,5 mg/dl) gelten als verdächtig und 13.34). Der aromatische Ring des gebildeten p-Hydroxy-
ziehen weitere Untersuchungen nach sich. phenylpyuvats wird dann in zwei aufeinander folgenden
oxidativen Schritten aufgespalten. Diese Schritte werden
Therapie. Die Therapie, die mindestens 10 Jahre lang durch Dioxygenasen katalysiert, d.h. Enzyme, die (im Ge-
durchgeführt werden muss, besteht in einer speziellen gensatz zu den Monooxygenasen) beide Sauerstoffatome
phenylalaninarmen, aber nicht phenylalaninfreien Diät eines O2-Moleküls in ihre Substrate einbauen. Im ersten
(Phenylalanin ist eine essentielle Aminosäure). Da der Schritt, an dem Ascorbinsäure (Vitamin C) als Cofaktor
Phenylalaninanteil natürlicher Proteine mit 4–5% relativ beteiligt ist, wird die Ringspaltung vorbereitet: ein- und
hoch ist, wird der Proteinbedarf der Patienten durch spe- dasselbe Enzym decarboxyliert und hydroxyliert p-Hydro-
zielle – im Handel erhältliche – Produkte gedeckt, denen xyphenylpyruvat und verschiebt die Seitenkette innerhalb
das Phenylalanin weitgehend entzogen wurde. Die sonstige des Moleküls. Dann spaltet eine zweite Dioxygenase das
Nahrung sollte möglichst proteinfrei sein. Mit einer solchen gebildete (immer noch aromatische) Homogentisat unter
Kost gelingt es in den meisten Fällen, die Blutphenylalanin- Bildung von Maleylacetacetat. Nach Isomerisierung des
spiegel dauerhaft unter 500 μmol/l (10 mg/dl) zu halten cis-konfigurierten Maleylacetacetats in die trans-Verbin-
und damit die Folgen der Phenylketonurie zu verhindern. dung Fumarylacetacetat setzt eine abschließende hydro-
lytische Spaltung die Endprodukte, den Ketonkörper Ace-
! Die aromatischen Ringe von Tyrosin und Tryptophan
tacetat und die Gluconeogenesevorstufe Fumarat, frei.
werden durch Dioxygenasen aufgespalten.
Tyrosin (und natürlich auch seine Vorstufe Phenylalanin)
Tyrosinabbau. Wie bei vielen anderen Aminosäuren auch, gehören deshalb zu den Aminosäuren, die gleichzeitig glu-
leitet eine Transaminierung den Tyrosinabbau ein (. Abb. cogen und ketogen sind.
472 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

13

. Abb. 13.35. Abbau von Tryptophan. (Einzelheiten 7 Text)

Tryptophanabbau. Im Menschen wird Tryptophan fast bevor die schon erwähnte Abspaltung von Alanin erfolgt.
ausschließlich über den so genannten Kynureninweg abge- Der aromatische Sechsring des Reaktionsprodukts 3-Hy-
baut. Im Gegensatz zu den anderen Abbauwegen enthält er droxyanthranilat wird durch eine zweite Dioxygenase in
keinen Transaminierungs- oder Desaminierungsschritt, Acroleyl-β-aminofumarat gespalten, das schließlich über
weil der aliphatische Teil des Tryptophanmoleküls während eine Reihe weiterer Reaktionen D-Ketoadipat liefert, wie es
des Abbaus in unveränderter Form als Alanin freigesetzt auch beim Abbau von Lysin entsteht. Der weitere Abbau
wird (. Abb. 13.35). verläuft über Glutaryl-CoA (. Abb. 13.11) und Acetacetyl-
In der Leber beginnt der Tryptophanabbau mit der CoA zu Acetyl-CoA.
oxidativen Spaltung des Pyrrolanteils des fünfgliedrigen
! Pathobiochemie: Bei Pyridoxinmangel werden Kynuren-
Indolrings durch die Tryptophan-Dioxygenase. Das Pro-
säure und Xanthurensäure gebildet.
dukt der Reaktion, N-Formylkynurenin, wird zunächst zu
Kynurenin deformyliert und dann im Ring hydroxyliert,
13.6 · Stoffwechsel einzelner Aminosäuren
473 13

Bei Mangel an Vitamin B6 (Pyridoxin) weicht der Trypto- verarmung in den Tumorzellen beruht. Hinzu kommt, dass
phanabbau auf einen sonst nicht benutzten Weg aus, der einige Tryptophanmetabolite, z.B. 3-Hydroxykynurenin,
auch in einer Reihe extrahepatischer Gewebe (v.a. den zytotoxische Wirkung haben.
Nieren) abläuft. Sinkt die Kynureninase-Aktivität wegen Ein zweiter Prozess, bei dem die Indolamin-2,3-Dioxy-
des Fehlens von Pyridoxalphosphat stark ab, stauen sich genase eine Rolle zu spielen scheint, ist die T-Zell-Aktivie-
Kynurenin und 3-Hydroxykynurenin an und zyklisieren rung durch Antigen präsentierende Zellen (7 Kap. 34.3.3).
nach Transaminierung durch eine vom PALP-Mangel we- Die lange rätselhafte Tatsache, dass das Immunsystem der
niger betroffene Kynurenin-Aminotransferase spontan zu Mutter während einer Schwangerschaft den Fötus toleriert,
Kynurensäure bzw. Xanthurensäure (. Abb. 13.35). Diese beruht zumindest teilweise darauf, dass über die Aktivie-
Reaktionen bilden die Grundlage eines klinischen Funk- rung der Indolamin-2,3-Dioxygenase die Proliferation und
tionstests, bei dem zum Nachweis einer B6-Hypovitaminose Reaktivität der mütterlichen T-Zellen herabgesetzt ist. Tat-
die Xanthurensäure-Ausscheidung im Urin nach oraler sächlich ließ sich zeigen, dass Indolamin-2,3-Dioxygenase-
Tryptophangabe bestimmt wird. Hemmstoffe wie 1-Methyltryptophan zur Abstoßung des
Fötus führen können.
! Tryptophan ist Provitamin für die Nicotinsäuresynthese.
Schließlich beeinflussen Tryptophanmetabolite auch
NAD+-Synthese. Von Acroleyl-β-aminofumarat zweigt die Funktion des Nervensystems. So interagieren Chinolin-
der Biosyntheseweg der Nicotinsäure ab (. Abb. 13.35). säure (als Agonist) und Kynurensäure (als Antagonist) mit
Die Isomerisierung zum cis-Isomeren und dessen nicht Glutamatrezeptoren vom NMDA-Typ. Man schreibt diesen
enzymatische Kondensation führen zum Pyridinderivat Verbindungen deshalb eine Rolle bei der Pathogenese ver-
Chinolinsäure (Pyridin-2,3-dicarbonsäure), das nach Ver- schiedener neurologischer Erkrankungen zu.
knüpfung mit Phosphoribosylpyrophosphat (PRPP) und
Decarboxylierung die NAD+-Vorstufe Nicotinsäuremono-
nucleotid (NMN) liefert. 13.6.7 Histidin und Lysin
Angesichts dieses Stoffwechselwegs kann man Nicotin-
säure nur bedingt zu den Vitaminen zählen. Der Mensch Die essentiellen Aminosäuren Lysin und Histidin werden
benötigt etwa 4 mmol Tryptophan in der Nahrung, um über besondere Wege abgebaut, die keine Beziehungen zu-
0,1 mmol Nicotinsäure zu ersetzen. Die empfohlene tägli- einander und zu den Abbauwegen der anderen Amino-
che Tryptophanzufuhr reicht im Allgemeinen zur Deckung säuren erkennen lassen.
des Nicotinsäurebedarfs aus. Nahrungsbedingte Mangel-
zustände wie die Pellagra (7 Kap. 23.3.4) sind deshalb eher Stoffwechselbedeutung. N-Trimethyllysin ist die Vorstufe
als Kombinationen aus Protein-(d.h. Tryptophan-) und des Acylcarriers Carnitin (7 Kap. 12.2.1). Posttranslational
Vitaminmangel zu betrachten. gebildetes 5-Hydroxylysin ist neben Hydroxyprolin ein
typischer Baustein von Kollagen (7 Kap. 24.2). Da Hydro-
! Pathobiochemie: Tryptophan und seine Metabo-
xylysin – ebenso wie Hydroxyprolin – für die Kollagen-
lite beeinflussen Zellproliferation, Immunantwort
biosynthese nicht wiederverwendet werden kann, wird es
und Transmitterfunktionen im Zentralnerven-
entweder unverändert im Urin ausgeschieden oder über
system.
D-Aminoadipat abgebaut. Das Aktin aller Muskelfasern
Die physiologische Bedeutung von Tryptophan beruht und das Myosin der weißen Fasern enthält die unge-
nicht nur auf seiner Eigenschaft als Vorstufe für Serotonin wöhnliche Aminosäure 3-Methylhistidin (S-Methylhis-
und Melatonin – auch die Aminosäure selbst und die beim tidin) (7 Kap. 30.2.2), die ebenfalls posttranslational gebil-
Abbau entstehenden Metabolite haben wichtige physiologi- det und nach dem Abbau der Muskelproteine nicht reutili-
sche Wirkungen. Schon lange ist bekannt, dass hohe intra- siert wird. Die mit dem Urin ausgeschiedene Menge von
zelluläre Tryptophan-Konzentrationen die Proteinsynthese 3-Methylhistidin dient deshalb als Indikator für den Pro-
und die Zellproliferation stimulieren. Umgekehrt wirkt teinumsatz in der Muskulatur.
eine Verarmung der Zellen an Tryptophan cytostatisch –
! Histamin ist ein vielseitiger Mediator zellulärer Funk-
ein Effekt, der auch im Organismus von Bedeutung zu sein
tionen.
scheint.
Während die Tryptophan-Dioxygenase auf die Leber Biosynthese und Abbau. Die PALP-abhängige Decarboxy-
beschränkt und für die Regulation des Tryptophanspiegels lierung von Histidin führt zum biogenen Amin Histamin.
im Plasma verantwortlich ist, exprimieren periphere Gewe- Für diese Decarboxylierung gibt es zwei Enzyme:
be ein zweites Enzym mit ähnlicher Wirkungsspezifität, die 4 die in Gehirn, Nieren und Leber vorkommende aro-
so genannte Indolamin-2,3-Dioxygenase (IDO). Man geht matische L-Aminosäuredecarboxylase hat ein breites
heute davon aus, dass die cytostatische Wirkung von Inter- Substratspektrum (Phenylalanin, Tyrosin, 3,4-Dihy-
feron-J ganz oder teilweise auf einer Aktivierung der In- droxyphenylalanin (DOPA), Tryptophan, 5-Hydroxy-
dolamin-2,3-Dioxygenase und nachfolgender Tryptophan- tryptophan) während
474 Kapitel 13 · Stoffwechsel der Aminosäuren

13

. Abb. 13.36. Abbau von Histidin. (Einzelheiten 7 Text)

4 die Histidin-Decarboxylase (in Mastzellen, basophilen Die Aktivitäten aller Enzyme des Histamin-Aufbaus und
Granulozyten, den ECL-Zellen der Magenmukosa und -Abbaus werden durch mehrere Hormone und Cytokine
weiteren Geweben) für Histidin spezifisch ist kontrolliert.

Der Abbau von Histamin kann ebenfalls zwei Wege neh- Funktionen. Histamin ist ein Mediator mit vielen Wirkun-
men: gen. Über H1-Rezeptoren führt es zur Kontraktion der
4 die oxidative Desaminierung durch die kupferhaltige glatten Muskulatur im Respirations- und Gastrointestinal-
Diaminoxidase (Histaminase) ergibt den entsprechen- trakt. In Gefäßendothelzellen fördert es dagegen die Frei-
den Aldehyd, dessen Dehydrierung durch Aldehyd- setzung von NO (. Abb. 13.25), welches sekundär die
Dehydrogenase Imidazolacetat liefert (. Abb. 13.36) Relaxation glatter Muskelzellen und damit eine Gefäßer-
oder weiterung verursacht. Auf den Belegzellen der Magen-
4 durch N-Methylierung des Imidazolrings und anschlie- schleimhaut bindet Histamin an G-Protein-gekoppelte H2-
ßende Oxidation des Produkts zu N(W)-Methylimida- Rezeptoren und stimuliert so die Freisetzung von Magen-
zolacetat (nicht gezeigt) säure (7 Kap. 32.1.2). Die Funktionen der Rezeptoren vom
13.6 · Stoffwechsel einzelner Aminosäuren
475 13

. Abb. 13.37. Abbau von Lysin. Im Inset ist der Mechanismus der Saccharopin-Dehydrogenase im Detail dargestellt. (Einzelheiten 7 Text)

Typ H3 und H4 sind noch wenig untersucht. Histamin- Bei Patienten mit einem Folsäuremangel ist die Abspal-
antagonisten (Antihistaminika) werden zur Behandlung tung der Formiminogruppe gestört. Ein derartiger Mangel
von allergischen Reaktionen und Magengeschwüren ein- lässt sich deshalb durch Bestimmung von Formiminoglu-
gesetzt. tamat im Urin nach Histidingabe diagnostizieren (Histidin-
belastungstest).
! Histidin wird zu Glutamat abgebaut.
! Der Lysinabbau beginnt mit einer besonderen Trans-
Histidinabbau. Beim Histidinabbau (. Abb. 13.36) wird
aminierung.
zunächst die D-Aminogruppe durch eliminierende Des-
aminierung als Ammoniumion freigesetzt. Im Gegensatz Lysin kann über verschiedene Wege abgebaut werden. Im
zur Serin/Threonindehydratase (. Abb. 13.22) benötigt die menschlichen Stoffwechsel ist der Saccharopin-Weg
dafür verantwortliche Lyase (Histidase) kein Pyridoxal- (. Abb. 13.37) vorherrschend.
phosphat. Im nächsten Schritt wird das gebildete Urocanat
zu Imidazolonpropionat hydratisiert, dessen Amidbindung ε-Transaminierung. Die einleitende Reaktion des Saccharo-
hydrolytisch gespalten werden kann. Die Formiminogrup- pinweges entspricht im Ergebnis einer Transaminierung,
pe des Zwischenprodukts »Figlu« wird von Tetrahydrofol- nimmt aber einen völlig anderen Verlauf. Das verant-
säure (THF, 7 Kap. 23.3.8) übernommen und Glutamat wortliche Enzym, die Saccharopin-Dehydrogenase (eine
bleibt zurück. Das gebildete Formimino-THF wird schließ- neuere Bezeichnung ist Aminoadipat-Semialdehyd-Syn-
lich durch eine Desaminase in das Folsäurederivat N5,N10- thase) findet sich in hoher Konzentration in der Leber und
Methenyl-THF überführt. in geringeren Mengen auch in anderen Geweben.
476 Literatur

Zunächst wird die H-Aminogruppe des Lysins unter Ein weiterer (hier nicht im Einzelnen dargestellter) Ab-
Wasserabspaltung mit der Ketogruppe von D-Ketoglutarat bauweg des Lysins führt über L-Pipecolinsäure, die sich
kondensiert (. Abb. 13.37, Inset). Durch Hydrierung ebenfalls D-Aminoadipat-G-semialdehyd überführen lässt.
dieser Schiffschen Base entsteht eine Zwischenverbin-
dung namens Saccharopin. Durch eine NAD+-abhängige Regulation. Ein erhöhter Proteingehalt der Nahrung be-
Oxidation wird die Stickstoff-Kohlenstoff-Doppelbin- wirkt eine Steigerung der Lysinoxidation. Dabei wird der
dung vom D-C-Atom des ehemaligen D-Ketoglutarats zum Abbau wahrscheinlich durch das einleitende Enzym (die
H-C-Atom des Lysinanteils hin verschoben. Die hydro- Saccharopin-Dehydrogenase), und den Lysintransport vom
lytische Spaltung dieser neu gebildeten C = N-Bindung Cytoplasma in das Mitochondrium reguliert, da die intra-
lässt schließlich D-Aminoadipat-G-semialdehyd und Glu- mitochondriale Lysinkonzentration wesentlich geringer ist
tamat entstehen. als die des Cytoplasmas.
Zusammengenommen bewirken Synthese und Spal-
tung von Saccharopin die irreversible Transaminierung
der H-Aminogruppe des Lysins. Warum diese Reaktions- Literatur
folge in der Evolution einer einfachen Transaminierung
Brosnan JT (2003) Interorgan amino acid transport and its regulation.
vorgezogen wurde ist unklar, zumal im Peptidverband
J Nutr 133:2068S–2072S
(Kollagen, 7 Kap. 24.2) die direkte Desaminierung von Lysin Jungas RL, Halperin ML, Brosnan JT (1992) Quantitative analysis of
möglich ist. amino acid oxidation and related gluconeogenesis in humans.
Physiol Rev 72:419–448
Weiterer Abbau. Der entstandene Semialdehyd wird – wie Katagiri M, Nakamura M (2003) Reappraisal of the 20th-century version
of amino acid metabolism. Biochem Biophys Res Commun 312:
bei Semialdehyden üblich – zunächst zur Dicarbonsäure
205–208
dehydriert und anschließend zu α-Ketoadipat (einem Ho- Reeds PJ (2000) Dispensable and indispensable amino acids for humans.
mologen von D-Ketoglutarat) transaminiert. Als D-Keto- J Nutr 130:1835S–1840S
carbonsäure kann D-Ketoadipat durch dehydrierende De- Taylor L, Curthoys NP (2004) Glutamine Metabolism. Role in Acid-Base
carboxylierung (. Abb. 13.11) in Glutaryl-CoA überführt Balance. Biochem Mol Biol Education (BAMBED) 32:291–304
Waterlow JC (1999) The mysteries of nitrogen balance. Nutrition
werden, das nach einer weiteren decarboxylierenden Dehy-
Research Reviews, 12:25–54
drierung Crotonyl-CoA liefert. Als Intermediat der E-Oxi- Watford (2003) The urea cycle: teaching intermediary metabolism in
dation lässt sich diese Verbindung auf dem üblichen Weg zu a physiological setting. Biochem Mol Biol Education (BAMBED)
Acetyl-CoA abbauen. Da Acetyl-CoA das einzige Reak- 31:289–297
tionsprodukt darstellt, ist Lysin – wie auch Leucin – eine
Links im Netz
rein ketogene Aminosäure.
7 www.lehrbuch-medizin.de/biochemie

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