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Mehrdeutigkeit und

Homonymie

Vorlesung № 3
Plan
1.Polysemie des Wortes und seine semantische Struktur
2. Klassifikation von Wortbedeutungen
3. Begriff und Wesen der Homonymie
4. Klassifikation von Homonymen
5.Wege der Entstehung von Homonymen
6. Mittel der Differenzierung von Homonymen
Begriffsbestimmung
Mehrdeutigkeit (Polysemie)
ist die Fähigkeit eines Wortes (einer Wortform), mehrere
miteinander zusammenhängende Bedeutungen zu haben
(I.G. Olschanski, A.E. Gusewa).

Erscheinung bei einem lexikalischen Element, das mehrere


Bedeutungen bzw. Lesarten aufweist, die untereinander noch
ähnlich sein sollen (Lutzeier)
Begriffsbestimmung
Die kürzeste Definition von Polysemie: eine Form für mehrere Funktionen (Heupel, 1978).

gut – 1. Stelle im Notenskala, 2. Einschätzung einer Leistung, 3. Einschätzung eines


Verhaltens.
Ball, m 1. kugelförmiges luftgefülltes Spielzeug
2. eine große Tanzveranstaltung.

Schlange (1)ein Kriechtier (nichtbildhafte Bdtg.)


(2)eine Reihe von Menschen (bildhafte Bdtg.)

 
drei Richtungen in der Polysemieauffassung
drei Richtungen in der Polysemieauffassung
drei Richtungen in der Polysemieauffassung
Klassifikation der Typen der Polysemie
Da die Wortbedeutungen eines polysemantischen Wortes hierarchisch
nicht gleichwertig sein können, so unterliegen sie einer Klassifikation. Es
bestehen mehrere Klassifikationen von Wortbedeutungen. Die meisten
Klassifikationen beruhen auf dichatomischem Prinzip (Dichatomie -
Zweistellung), d.h. die Wortbedeutungen werden einander als
Oppositionen gegenübergestellt: (1) primäre und sekundäre Bedeutungen;
(2) Haupt- und Nebenbedeutungen; (3) konkrete und abstrakte; (4)
allgemeine und terminologische; (5) gerade und übertragene; (6) bildhafte
und nichtbildhafte; (7) motivierte und unmotivierte; (8) archaische und
neologische Bedeutungen; stilistisch neutrale und stilistisch gefärbte; (9)
sprachbezogene und redebezogene Bedeutungen.
Klassifikation der Typen der Polysemie
• (1) Je nachdem, ob die Wortbedeutung die ursprüngliche Bedeutung
ist, d.h. mit dem Entstehen des Wortes aufkam; oder sich erst im
Verlaufe der Sprachgeschichte herausgebildet hatte, unterscheidet man
primäre bzw. etymologische oder Grundbedeutungen einerseits und
sekundäre bzw. abgeleitete Bedeutungen andereseits, z.B.
 
• lesen - sammeln (prim. Bdtg. > wahrsagen (sek. Bdtg.) das
Geschriebene wahrnehmen.
Klassifikation der Typen der Polysemie
(2) Je nach dem semantischen Wert der Wortbedeutung in der
semantischen Struktur des Wortes, d.h. ob die Wortbedeutung den
semantischen Wert des Wortes bildet oder auf seiner semantischen
Peripherie liegt, unterscheidet man Hauptbedeutungen und
Nebenbedeutungen. Z.B.
• 
• grün (1) Farbbezeichnung
• jung, unerfahren (Nebenbedeutung)
Klassifikation der Typen der Polysemie
(3) Sendung(1) ein Gegenstand, durch einen Menschen übergeben
(konkrete Bdtg.)
(2) ein Prozess, Übermittlung der Signale (abstr. Bdtg.)
 
(4) Fahne (1) ein Stück Tuch mit Symbolik (allgemeinsprachliche
Bdtg)
(2) ein Korrekturbogen «коректурний відбиток»
(terminologische Bdtg)
 
Klassifikation der Typen der Polysemie

• (7) Birne (1) eine Obstart (unmotivirte Bdtg,)


(2) eine elektrische Lampe ( motivierte Bdtg.)
 
• (8) Brigade (1) ein Truppenverband «загальновійськове об’єднання»
(archaische Bdtg.)
(2) ein Arbeiterkollektiv (neologische Bdtg.)
 
• (9) Fremdarbeiter(1) ein Arbeiter aus dem Ausland (stil. neutrale Bdtg.)
(2) ein Dieb, d.h. wer in fremden Taschen arbeitet
Klassifikation der Typen der Polysemie
Polysemie klassifiziert man nach ihrer Richtung, nach dem
Typ der Bedeutungsübergänge vom Semem zum Semem.
Nach dem Typ der Bedeutungsübergänge von Semem zu
Semem unterschedet man:
radiale Polysemie
kettenartige Polysemie
kombinierte Polysemie
Klassifikation der Typen der Polysemie
Bei radialer Polysemie sind alle übertragenen, alle Nebenbedeutungen
semantisch von der Hauptbedeutung abgeleitet.
Vgl: Pferd – 1. Reit- und Zugtier, 2. Turngerät (von 1. abgeleitet), 3.
Schachfigur, Springer (von 1. abgeleitet).
Kettenartige Mehrdeutigkeit entfaltet sich wie eine Kette: jedes
folgende Glied ist semantisch, vom Inhalt her mit dem
vorhergehenden Glied unmittelbar verknüpft. Z.B. Film m – 1. dünne
Schicht auf einer Flüssigkeit – Ölfilm, 2. Bildstreifen für fotographische
Aufnahme, 3. Lichtspielstück, Filmwerk, 4. übertr. Filmkunst,
Filmbranche.
Klassifikation der Typen der Polysemie
Kombinierte Polysemie, die häufiger vorkommt, verbindet die beiden vorherige
Typen.
Der Fuchs – 1. Raubtier, 2. Fell von diesem Fuchs, 3. Pelz aus dem Fell, 4. listiger
Mensch, 5.rothaariger Mensch, 6. Pferd, 7. Schmetterling, 8. Verbindungsstudent,
9.Kanal zwischen Feuerung und Schornstein. 10. Goldmütze.

Er ist ein richtiger Fuchs.


Er reitet den Fuchs.
Dort fliegt ein Fuchs.
Der Student ist ein krasser Fuchs.
Begriff und Wesen der Homonymie
Homonym griech. homos = „gleich“, onyma = „Name“
Homonyme sind Wörter mit gleicher
lautlicher Form und völlig verschiedenen (als
semantisch unabhängig anzusehenden)
Bedeutungen (Inhalten).
Klassifikation der Homonyme
• Es ist angenommen, die Homonymie im Deutschen in drei Gruppen
einzuteilen: in lexikalische, lexikalisch- grammatische und grammatische.
1.Unter den lexikalischen Homonymen versteht man solche Wörter mit
unterschiedlicher Bedeutung, die lexikalisch in allen ihren Formen
zusammenfallen, also vollständige Homonyme sind.
Messe – (1) eine kirchliche Feier;
(2) ein großer Jahrmarkt, der an diesem kirchlichen Tag abgehalten
wurde.
Ball- (1) runder Körper (Gummikugel zum Spielen);
(2) Tanzfest ( im 17. Jh. aus dem frz. „bal“ entlehnt“
Klassifikation der Homonyme
2. Unter den lexikalisch- grammatischen Homonymen werden solche
Wörter verstanden, die lautlich nicht in allen Formen zusammenfallen
und sogar verschiedenen Wortarten angehören können, z.B.:
die Kiefer- die Kiefern (Nadelbaum)
der Kiefer- die Kiefer (Schädelknochen – «кістки черепа»)
hängen – hing – gehangen
hängen – hängte – gehängt
während – Präp., Konj.
laut – Adj., Adv., Präp.
Klassifikation der Homonyme
• 3. unter den grammatischen Homonymen versteht man solche
grammatischen Formen ein und desselben Wortes, die gleich lauten, aber
verschiedene grammatische Bedeutungen haben. Man bezeichnet sie auch
mit dem Terminus „Homoformen“, z.B.:
wir spielen – sie spielen
er kauft- ihr kauft- kauft!
ich fahre- er fahre- (Konjunktiv I)

• An die Homonyme schließen sich noch zwei Erscheinungen an, die mit
den Termini „Homographe“ und „ Homophone“ bezeichnet werden
Klassifikation der Homonyme
• Unter den Homographen versteht man gleich geschriebene, aber verschiede bedeutende Wörter,
z. B.
• steinreich – reich an Steinen «кам'янистий»;
• steinreich – sehr reich.
• der Tenor (-) – Sinn, Haltung, Einstellung «зміст, текст (документа)»
• der Tenor (Tenöre) – männliche Stimme «тенор (голос і співак)»
 
• Homophone sind dagegen Wörter, die verschieden geschrieben aber gleich gesprochen werden,
z.B.:
• die Seite страница – die Saite «струна»;
• die Weise (n) «образ, спосіб» – die Waise (n) сирота
• der Leib (er) тіло, тулуб – das Laib e буханець (хліба); круг (сиру).
Wege der Entstehung von Homonymen
Im Deutschen entstehen Homonyme hauptsächlich auf zwei Wegen:
 
1. durch den Zerfall der Polysemie (durch die Bedeutungsdivergenz);
2. durch zufälligen Zusammenfall der Lautgestalt verschiedener Wörter
(durch konvergierende Lautentwicklung)
Wege der Entstehung von Homonymen
1. Aus der Sprach- und Kulturgeschichte kommt ein aufschlussreiches
Beispiel. Die heutigen Homonyme das Schild (Pl. -er) – «вивіска» und
der Schild ( Pl. -e) „щит“ sind etymologisch verwandt, da sie früher
ein mehrdeutiges Wort bildeten. Der Schild des Ritters war zugleich
sein Emblem, darauf war ja sein Wappen „герб“ abgebildet. Die
Bezeichnung des Ritterschildes wurde auf das Aushängeschild des
Handwerkers (beim Schuster – ein Schuh, beim Bäcker – eine
Semmel) übertragen. Mit der Zeit ging die semantische Verbindung der
beiden Sememe (Wörter) verloren, so entstanden selbständige
Homonyme- Wörter mit verschiedenen grammatischen Formen.
Wege der Entstehung von Homonymen
Infolge des Zerfalls der Polysemie entstanden viele Homonyme:
 
die Feder (перо) – die Feder (пружина)
der Hahn (петух) – (Wasser)hahn (водопровідний кран)
der Zug (процесія, протяг, риса) – der Zug (поїзд)
lesen (читать) – lesen (збирати)
die Mutter (мати) – die (Schrauben)mutter (гайка)
Wege der Entstehung von Homonymen
Infolge phonetischer Prozesse entwickeln sich zu Homonymen Wörter verschiedenen Ursprungs:
 
der Ball> ahd. Balla – мяч; der Ball > franz. le bal – (бал)
die Bremse > brummen (овід) die Bremse> mhd. pramen (drücken) .
kosten> lat. gustare – (пробувати на смак)
kosten> lat. constare – (коштувати
 Etymologisch nicht verwandt sind die folgenden Homonyme:
  der Alp (домовой; кошмар) – die Alp (гірське пасовище)
der Harz (Гарц – горы) – das Harz (смола)
der Heide (язычник) – die Heide (пустир, вересковий степ)
die Mark (марка – денежная единица) – das Mark (кістковий мозок)
der Tau (роса) – das Tau (канат)
Wege der Entstehung von Homonymen
Im Gegensatz zur Polysemie, die sich nach regulären Prinzipien und
Modellen richtet, vollzieht sich die Homonymieentwicklung spontan
und zufällig. Es gibt Meinung: Homonymie sei eine unregelmäßige,
unstrukturierte Abart von Polysemie. Die Homonymie wird von einigen
Sprachforschern als negative Erscheinung (S. Ullmann) betrachtet, die
sogar Verständigung behindern kann. Aber Kommunikationsprobleme
werden ohne weiteres im zureichenden Kontext, im
Redezusammenhang gelöst. Bei Homonymie wie bei Polysemie erfolgt
die Monosemierung auf gleiche Weise.
Mittel der Differenzierung von Homonymen

Polysemie ist wesentlich für die Lexikographie. Im


Bedeutungswörterbuch haben Homonyme einen anderen Status als
Polysemanten, sie sind mit besonderer Kennzeichnung (mit römischen
Ziffern) versehen. Die Angaben stimmen nicht überein, es gibt mehrere
Streit- und Übergangsfälle. Das WDG (das Wörterbuch der deutschen
Gegenwartssprache) zeichnet sich durch eine höhere Anzahl von
Homonymen aus, verglichen mit dem Wörterbuch von E. Agrikola
„Wörter und Wendungen“, wo Homonyme oft als polyseme Wörter
behandelt werden (Absatz, Feder, Flügel, lesen, Schloss).
Mittel der Differenzierung von Homonymen
• Nach Meinung von Olschanskij soll man davon ausgehen, dass
Homonymie und Polysemie den synchronen Zustand der Sprache
charakterisieren, es wäre ein Irrtum, Synchronie und Diachronie zu
verwechseln. Entscheidend ist die Meinung der meisten
Sprachforscher: die Sememe eines Wortes von gestern werden heute
als Homonyme aufgefasst (z.B. der Zug als „Eisenbahnzug“)
• Um Homonyme auseinander zu halten, stehen der Sprache die
folgenden Mittel zur Verfügung.
Mittel der Differenzierung von Homonymen
1.Die orthographischen Mittel, verschiedene Schreibweise (so entstehen
Homophone – verschiedenes Schriftbild bei gleicher Aussprache):
das Lied (пісня) – das (Augen)lid (віко)
das Mahl (їжа, обід) – das Mal (пляма, знак, раз)
die Miene (вираз обличчя) – die Mine (воєн. міна)
der Mohr (мавр) – das Moor (болото)
der Wal (кит) – die Wahl (вибори)
Mittel der Differenzierung von Homonymen
•2. Die morphlogischen Mittel
2.1 Differenzierung des grammatischen Geschlechts
der Heide (язичник) – die Heide (пустир)
der Kunde (клієнт) – die Kunde (новина)
der Laster (грузовик) – das Laster (вада)
der Verdienst (заробіток) – das Verdienst (заслуга)
•2.2. Differenzierung der Pluralbildung
die Bank – die Banken
die Bank – die Bänke
der Bauer (фермер) – die Bauern (селянин)
das, der Bauer (клітка для птахів) – Bauer
der Ton (звук,тон) – Töne
der Ton (глина) – Tone
Mittel der Differenzierung von Homonymen
2.3. beides: das grammatische Geschlecht und die Pluralbildung
der Alp – die Alpe (жахіття)
die Alp – Alpen (горн. луг)
der Band – Bände (том)
das Band – Bande (пути, зв’язки)
Mittel der Differenzierung von Homonymen
Homonyme umfassen eine beträchtliche Anzahl von Wörtern, sie bilden
also eine bedeutende semantische Gruppe, die ihre charakteristischen
Merkmale hat und sich klassifizieren lässt; es ist aber nicht immer
leicht, die Grenzen zwischen Polysemie und Homonymie zu bestimmen,
besonders in dem Fall, wo Homonyme durch den Zerfall der
Mehrdeutigkeit entstanden sind, aber das gehört schon zum Thema
spezieller Untersuchungen. Die Unterscheidung zwischen Polysemie
und Homonymie ist von großer Bedeutung für die Lexikographie, wo
entschieden wird, welche Erscheinungen als Homonyme betrachtet
werden.

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