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Schlichte Komplexität

Text Kirsten Klingbeil Fotos Yohan Zerdoun

In Berlin sinkt die Zahl der verfügbaren, bezahlbaren Atelierräume Das konstruktiv als Industrie­
halle ausgeführte Studio

stetig. Das Architekturbüro Pasztori Simons hat für einen arrivier- wurde statt des sonst übli­
chen Wellblechs mit feinen,

ten Künstler in Mitte nun ein großzügiges Studio realisiert. Es bringt


nur sechs Zentimeter brei­
ten Faserzementschindeln

keine Abhilfe für das Problem, ist aber ein gelungenes Erstlings-
verkleidet. Sie bilden einen
Kontrast zu den großformati­
gen Fensteröffnungen und
werk. der klaren Formensprache.

An der Torstraße gelegen,


aber deutlich zurück­
versetzt im Blockinneren
Lageplan im Maßstab
1:2500

Alles an diesem Projekt klingt wie eine Ausnah­ Alles auf Anfang sehen. Seinen Namen hier nicht zu schreiben,
me: Zwei junge Architekten machen sich selbst­ zeugt aber auch von dem Vertrauen, das er den
ständig und realisieren mit ihrem ersten Projekt Die beiden Architekten Martin Pasztori und Jo­ jungen Architekten mit der Beauftragung ent­
ein Atelierhaus für einen renommierten Künst­ hann Simons haben an der Bauhaus Universi­- gegengebracht hat, was viel zu selten passiert,
ler, der jeden hätte beauftragen können und nie­ tät in Weimar studiert, gemeinsam ihre Diplom­ und davon, dass dieses Gebäude im Ergebnis
mand hätte abgelehnt. Und das auf einer letzten arbeit gemacht und anschließend in verschie­ für sich stehen kann.
Brachfläche an der Torstraße in Berlin-Mitte, wo denen Architekturbüros im Ausland gearbeitet – Am Tag der Besichtigung, ein kalter, grauer Ber­
es eigentlich längst keinen Baugrund mehr gibt. zuletzt bei Caruso St John in London und Die­ liner Spätherbsttag, trifft einen zunächst eine ge­
Wovon hier nichts steht: Die Planungsgeschich­ ner & Diener in Basel. Als Pasztori sich entschied, wisse Nüchternheit: eine simple graue Kiste mit
te für diesen auf den ersten Blick einfachen Bau, nach Berlin zurückzugehen, bekam er von sei­ immer gleichen Fensteröffnungen und schlichten
der nach Richtlinien des Industriebaus ausge­ nem damaligen Arbeitgeber das Angebot, ein be­ Industrietüren. Die Bäume stehen blattlos. Ein Plat­
führt wurde, zog sich über Jahre. Nach überwun­ reits begonnenes Projekt zu übernehmen. Doch tenbau flankiert den Stichweg zum Eingang, da
denen Widrigkeiten, behördlichen Verhandlun­ die Kosten des geerbten Studiogebäudes lassen er statt den Block zu schließen, in diesen hinein­
gen und nachbarschaftlichen Bedenken lag be­ es scheitern – und Pasztori Simons werden mit gedreht wurde. Der Grund dafür ist der unterhalb
reits eine Baugenehmigung für ein doppelt so der Planung eines nunmehr kleineren, aber im­ des Grundstücks verlaufende S-Bahn-Tunnel der
hohes Gebäude an dieser Stelle vor, das dann nie mer noch sehr großzügigen Ateliers beauftragt. Nord-Süd-Strecke, der auch für den Bau des Ate­
ausgeführt werden konnte. Und zu all dem, stell­- Ihr Bauherr möchte nicht genannt werden, auch liers eine Schwierigkeit darstellt: nur an wenigen
te sich das Grundstück für jegliche bauliche Akti­ wenn es fast unmöglich scheint, den Bau nicht Stellen kann der Baugrund belastet werden. Das
vität als schwierig heraus. im direkten Zusammenhang zu seinem Werk zu erklärt auch, wie in dieser prominenten Lage noch

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Architekten
Pasztori Simons, Berlin;
Martin Pasztori
und Johann Simons

Bauherr
privat

Die komplette Halle mit etwa


900 Quadratmetern ist als
offener Werkraum errichtet.
Ein Feld aus einzelnen flä­
chigen Leuchten schafft Ta­
geslichtqualität im Innen­
raum. Rechts: Die Tür zu den
Büros – Spolie einer Aus­
stellung

eine Brache zu finden war. Um hier ein möglichst ebenheiten in der Textur ergeben. Ein kleiner Trick, per sind in einem Raster von der Decke abge­ Mit einem schmaleren zwei­
geschossigen Ortbeton­
großzügiges Studio zu schaffen, entschieden der für das Erscheinungsbild bedeutend war: hängt und belichten das etwa 900 Quadratmeter
kern schließt die freitragen­
sich die Architekten für eine Stahlrahmenkon­ Statt der farbbeschichteten Vorderseite wurde große Atelier. Ein Rückzugsort für konzentrier­ de Halle an den Bestand
struktion, die den Tunnel über eine Länge von die Rückseite nach vorne gedreht und mit ei­ tes Schaffen. Das leise Rattern der kreuzenden an. Hier sind einige Neben­
etwa 20 Metern wie eine Brücke überspannt und nem transparenten, eigens für das Projekt ent­ S-Bahnen unter einem ist gleichzeitig die ein­- räume untergebracht.
Schnitt und Grundriss im
zudem elastisch gelagert ist. So lässt sich die wickelten UV-Schutz behandelt. Unweigerlich zi­-ge Störung und einzige Möglichkeit der Veror­ Maßstab 1 :750
Schwingungsübertragung der im Vier- bis Fünf­ entstehen Assoziation zu Graupappe. tung. Der Hallenbau schließt mit einem Ortbe­
minutentakt kreuzenden Bahnen verhindern. Die kleinteilige Gestaltung der Fassade wird tonkern im Osten an ein Bestandsgebäude an.
gebrochen von den großen, immer gleichen Fens­ Auf der eingezogenen Galerie sind Büros einge­
Maßstabssprung terformaten mit 4,50 Metern Breite und 3,10 Me­ richtet, darunter stehen ein paar Regale als La­
tern Höhe. Die klaren Aluminiumrahmen sitzen gerplatz. Hier befindet sich ein zweiter Eingang,
Doch je näher man an den Bau herantritt, desto knapp unter dem First und am Boden. Das Spiel über den man die Büroräume direkt erreicht.

Ein Rückzugsort. Das leise schärfer offenbart sich ein feines Schindelwerk
aus sechs Zentimeter breiten kleinen Schuppen,
mit den unterschiedlichen Maßstäben lässt die
Halle von außen kleiner wirken und auch ihre
Kostengünstig (was auch immer das in dieser
Lage und für diese Größe heißen mag) war eine
Rattern der kreuzenden mit dem die komplette Fassadenhaut versehen Nutzung wird nicht sofort ersichtlich. Vorgabe an die Architekten, die den Planungspro­
S-Bahnen ist die einzige wurde – und an dessen Raster sich alle Maße des Nach dem Eintritt steht man direkt im zehn zess begleitet hat – aber wie man im Ergebnis
Gebäudes ausrichten. In Handarbeit wurden die Meter hohen Werkraum. Die Fenster, aus de- sieht, nie den Kosten einer präzisen Detaillierung
Störung und einzige Mög- vier Millimeter dünnen Faserzementschindeln an nen man hinausschauen könnte, sind mit Vor­ oder des gestalterischen Gesamtkonzepts ge­
lichkeit der Verortung. die Wände genagelt, wodurch sich kleine Un­ hängen versehen. Große, flächige Leuchtkör­ opfert wurde.

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