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Klima
(6,081 words)
1. Allgemeines
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Ohne Zweifel zählt die Entschlüsselung des K. und seiner
1. Allgemeines
Entwicklung zu den zentralen Themen unserer Zeit.
Neben den derzeit bes. drängenden Fragen der 2. Begri fsklärungen
zukünftigen K.-Entwicklung [4] belegt auch der Blick in 3. Merkmale der
die Vergangenheit markante Veränderungen und lässt bes. europäischen Klimaregionen
wichtige Rückschlüsse auf die natürliche Variabilität zu. 4. Quellen der Klimadaten
Im Verlauf der Nz. fanden weltweit gleich mehrfach und ihre Auswertung:
signi kante K.-Wechsel statt. Diese lassen sich stark Überblick
generalisiert in drei Phasen untergliedern: eine erste 5. Von der
Phase milderer Verhältnisse zu Anfang des 16. Jh.s, eine Wetterwahrnehmung zur
zweite, kühlere Periode – die sog. Kleine Eiszeit – und Instrumentenmessung
eine dritte ab dem Ende des 18. Jh.s, in der sich der 6. Klimasimulationen und -
allmähliche Übergang eines weitgehend natürlichen, modellierungen: Die
solar gesteuerten K. zum modernen, von menschlichen Nutzung natürlicher Archive
Emissionen veränderten Treibhaus-K. vollzog (s. u. 7.). 7. Die
Jahrestemperaturentwicklung
Rüdiger Glaser ab 1450
8. Klimaextreme und
2. Begri fsklärungen Hochwasser
9. Fazit
Die auch umgangssprachlich verwendeten Begri fe
Wetter, Witterung und K. sind klimatologisch eindeutig
de niert: Unter Wetter versteht man den
augenblicklichen Zustand der Atmosphäre. Im Begri f Witterung spiegelt sich der allgemeine
Charakter des Wetterablaufs über eine längere Beobachtungszeit – in der Regel wenige Tage bis
mehrere Monate – wider (vgl. Umschreibungen wie „milde Frühjahrswitterung”); er ist damit
bereits durch einen mittleren vorherrschenden Grundcharakter über einen längeren Zeitraum
bestimmt. Demgegenüber bezieht sich der Ausdruck K. auf den mittleren Zustand und
gewöhnlichen Verlauf der Witterung über einen längeren Zeitraum. Dieser zentrale Begri f der
/
klassischen Mittelwertsklimatologie baut auf sog. Normalperioden von mindestens 30 Jahren
auf. Der Klimatologe Wladimir Köppen vermerkte bereits Anfang des 20. Jh.s: „Die Witterung
ändert sich, während das K. bleibt.”
Die Betrachtung klimatischer Elemente über die Zeit lässt verschiedene Fluktuationen
erkennen: Abweichungen von Einzeldaten von einem de nierten „Normalwert” bzw. Trend
nennt man Anomalien. Sind diese sehr stark, in der Regel um das Zwei- oder Dreifache der
Standardabweichung oder eines anderen Kriteriums, heißen sie Klimaextreme. K.-Schwankung
bedeutet, dass die betrachtete Größe nach einer bestimmten Zeit wieder zum Ausgangswert
zurückkehrt. Wenn eine gleichförmige Rhythmik erkennbar ist, spricht man von Zyklen (etwa
bei Sonnen eckenzyklen). Setzt sich der betrachtete Wert langfristig und einseitig gerichtet im
Sinne eines Trends signi kant vom Vergleichswert einer Normalperiode ab, ist von K.-
Änderung die Rede.
Rüdiger Glaser
Nach Norden nehmen die Temperaturen infolge des zonalen Wandels ab. Während Dänemark
und Südschweden noch im Bereich der gemäßigten K.-Zone liegen, gelten für weite Bereiche
Skandinaviens bereits kalte Verhältnisse. Mit weiterer Annäherung an den Pol macht sich ein
zunehmender Kontrast zwischen den Tageslängen in Sommer und Winter bemerkbar. Boreale
(nördliche), von wenigen Nadelholzarten geprägte Wälder und strauchartige Tundren in den
höheren und weit im Norden gelegenen Gebieten sind Ausdruck dieses K.
/
Als eigene K.-Region muss der Mittelmeerraum aufgefasst werden (Mediterrane Welt). Er wird
gemeinhin als subtropisches Winterregengebiet klassi ziert. Herausragendes Kennzeichen ist
der Niederschlagskontrast mit feuchtem, kühlerem Winter und heißem sowie von geringen bis
ausbleibenden Niederschlägen gekennzeichnetem Sommer. Als Folge dieser K.-Prägung ndet
die Hartlaubvegetation Verbreitung. Des Weiteren besteht ein Kontrast zwischen dem etwas
ausgeglicheneren westl. und dem östl. Mittelmeerraum. Der nordafrikan. Saum und die
Küstenregionen des Nahen Ostens werden dieser mediterranen K.-Zone zugerechnet. Südl.
davon erfolgt ein rascher Übergang in das Wüsten-K. der Sahara und in die trockenen Regionen
der Arab. Halbinsel.
Zusammenfassend ist der zonale (d. h. der mit der geographischen Breite einhergehende, auf
Unterschieden des Strahlungshaushaltes basierende) Gradient deutlich zu erkennen, der sich
in einer Temperaturabnahme nach Norden und in einem zunehmenden Tag-Nacht-Gegensatz
bemerkbar macht. Mit der Entfernung vom Meer verliert sich der maritime Ein uss; die
Niederschläge nehmen ab, die Temperaturgegensätze hingegen zu. Damit steigt nach Osten die
Kontinentalität.
Als eigene K.-Regionen müssen die Hoch-Gebirge ( Alpen, Pyrenäen, Karpatenbogen) oder
auch die höheren Mittelgebirge verstanden werden. Erstere sind durch eine markante
Höhenstufung gekennzeichnet, die sich u. a. in der verschiedenen Ausprägung der Vegetation
sowie – im Falle der Hochgebirge – dem Erreichen der Frostschutz- und Gletscherregionen
bemerkbar macht.
In grober Annäherung lassen sich diese K.-Regionen auch mit landwirtschaftlichen Regionen
in Beziehung setzen. In den feuchten, thermisch aber ausgeglichenen Regionen dominiert
heute Grünlandwirtschaft und Viehhaltung, in den etwas trockeneren Gebieten tritt der
Getreideanbau stärker in den Vordergrund, während die mediterranen Bereiche durch Obst-
und Strauchkulturen geprägt sind. Dieser Wahrnehmung liegt die Erkenntnis zugrunde, dass
die verschiedenen Anbauprodukte, aber auch Nutztiere bestimmten Temperatur- und
Feuchteansprüchen folgen.
Wie sich bereits jetzt im Rahmen des Treibhaus-K. bestimmte Veränderungen hinsichtlich der
Anbauprodukte und Anbauregionen ergeben, so kann auch für wesentliche Phasen der Nz. von
einem klimatischen Ein uss auf die Struktur der Landwirtschaft ausgegangen werden, der aber
im einzelnen Fall regionalisiert, wenn nicht sogar lokalisiert werden muss. Neben den
klimatischen Gegebenheiten di ferenzierten v. a. die Boden-Verhältnisse das Anbaumuster
ebenso wie agrarsoziale Bedingtheiten und Besitzverhältnisse, aber auch die Verfügbarkeit von
Landtechnik, Anbaumethoden (Bodenbearbeitung) und Kapital [54]; [18].
Rüdiger Glaser
/
Eine längerfristige Bewertung des K.-Wandels kann zunächst auf der Grundlage
standardisierter, amtlicher Instrumentenzeitreihen erfolgen, die in aller Regel aber nur bis in
die Mitte des 19. Jh.s zurückreichen. Weiterführende Rückschreibungen basieren auf den
frühen, nicht-standardisierten Instrumentenaufzeichnungen, wie sie vereinzelt und mit vielen
Unterbrechungen bis ins 17. Jh. zurück vorliegen (s. u. 5.; vgl. Wetterbeobachtung) [59]. Wegen
ihrer räumlichen und zeitlichen Lücken lässt sich jedoch für Mitteleuropa kein überregionales
und zeitlich homogenes Muster ableiten. Kontinuierliche K.-Reihen, die den gesamten Verlauf
seit der Frühen Nz. abdecken, wurden seit den 1970er Jahren von der Histor. Klimatologie
mittels hermeneutischer (auf der Interpretation schriftlicher Quellen beruhender) Ansätze
entwickelt [47]; [48]; [54]; [56]; [14]; [16]; [28]. Diesen K.-Rekonstruktionen können K.-
Simulationen und K.-Modellierungen gegenübergestellt werden, die auf naturwiss. Verfahren
au auen (s. u. 6.) [26].
Die Histor. Klimatologie nutzt die zahlreichen klimatischen Hinweise, die in schriftlichen
Quellen enthalten sind. Neben allgemeinen Aussagen zu Temperatur, Niederschlag, Wind und
Zustand des Himmels nden sich darin häu g Angaben zu Wetter- und K.-Extremen wie
Hochwassern, Gewittern und Stürmen sowie den klimatischen Auswirkungen auf die
Agrarproduktion und die Phänologie (Beobachtung und Registrierung von primär
klimagesteuerten Naturphänomenen und biologischen Ereignissen wie Blüte, Ernte, Laubfall
etc.).
Die seit der Frühen Nz. verbreitet geführten Wettertagebücher können als Belege für eine
systematische Beschäftigung mit dem K. eingestuft werden und sind für die Wetteranalyse bes.
wertvolle Grundbausteine. Kommerziellen Interessen dienten Flugschriften, die in dramatisch
ausgeführten Bildern und wortgewaltigen Beschreibungen u. a. (meist katastrophale)
Witterungsphänomene thematisierten (vgl. Abb. 1). Ab dem 17. Jh. kamen frühe
Instrumentenmessungen hinzu, die aber noch nicht standardisiert waren und damit schwer
interpretierbar bleiben [19] (Messung und Quanti zierung).
Als bes. hilfreich erweisen sich hierbei die in den Quellen oft enthaltenen impaktbezogenen
Beschreibungen. Ergebnis dieses Verfahrensschrittes sind sog. gewichtete Indizes, die bereits
als semi-quantitative Zeitreihen angesehen werden können. Ab dem Jahr 1500 liegen für
Mitteleuropa für alle Monate sowohl thermische als auch hygrische (den Niederschlag
betre fende) Indizes in einer siebenstu gen Skala vor. Mit Hilfe von Transferfunktionen lassen
sich diese semi-quantitativen Zeitreihen in Schätzwerte für Niederschlags- und
Temperaturwerte umrechnen. Ergebnis sind Jahres- und saisonale Temperatur- und
Niederschlagsreihen z. B. für Deutschland, die Schweiz und Tschechien [14]; sie können durch
Ableitungen zu den Eisverhältnissen der westl. Ostsee [45] sowie zahllose regionale
Einzelstudien [24]; [53] ergänzt werden.
Ferner konnten aus den europaweit verfügbaren Zeitreihen bodennahe Druckdatenfelder und
500 hPa-Druckdatenfelder ab 1500 zunächst mit jahreszeitlicher, ab 1659 mit monatlicher
Au ösung rekonstruiert werden. Der räumliche Bezugsrahmen liegt bei 35–70 Grad Nord und
-25 Grad bis +30 Grad geographischer Länge, womit etwa der Raum von den Azoren bis über
Island im Westen sowie Murmansk und Zypern im Osten abgedeckt ist. Aus diesen
Druckdatenfeldern lassen sich die synoptischen Zirkulationsverhältnisse rekonstruieren [51];
[39].
Rüdiger Glaser
Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass in der Nz. eine Vielzahl von Modellen zur
Erklärung des Klimas zur Verfügung stand, die oft auch gleichzeitig herangezogen wurden (
Klimalehren).
/
Bes. prägend v. a. für die breite Masse war die religiös bezogene Wahrnehmung eines "von Gott
gegebenen" K. (Volksfrömmigkeit). Bittgottesdienste um Regen oder Wasserpredigten nach
schweren Hochwassern, in denen menschliches Fehlverhalten als Ursache angeprangert wurde,
waren bis in das 19. Jh. hinein weit verbreitet. Daneben hielt sich eine Art mythologischer
Volksglaube, der stellenweise in german.-keltischen Vorstellungen fußte. Weit verbreitet waren
auch aus der Konstellation der Planeten abgeleitete astrometeorologische Prognosen, oft in
Form sog. Wetterregeln (Prognostik). Eine Besonderheit stellen die Bauernregeln dar: In den oft
in Versform gehaltenen Wettersprüchlein spiegelte sich auch das empirische Erfahrungswissen
der Anwender wider; so wurden etwa bestimmte phänologische Phasen und Lostage benannt,
zu denen Arbeiten auf dem Feld zu verrichten waren. Z. T. gehen diese Sprüche auf antike
Vorstellungen zurück oder lehnen sich an die astrometeorologischen Prognostika an [44].
Exemplarisch kann auf Leonhard Reynmans Wetterbüchlein Vo[n] warer erkantnusz des weters
verwiesen werden, das zuerst 1505 gedruckt wurde. Es enthält in einzelnen Kapiteln
verschiedene Wetterzeichen und aus der Astrometeorologie abgeleitete Regeln. Das Büchlein
beinhaltet auch antike Wettersprüche, z. T. in Reime gefasst. Es wurde vielfach aufgelegt und
fand schließlich Aufnahme in das weit verbreitete engl. Volksbuch des Godfridus, The Boke of
Knowledge of Thynges (London, 1530). Auch der bis heute immer wieder aufgelegte sog.
Hundertjährige Kalender ist in diesen Kontext einzuordnen. Er basiert auf Beobachtungen des
Abtes Mauritius Knauer aus dem fränk. Kloster Langheim zu den Jahren 1652–1658, die dieser
in Beziehung zu den Planeten setzte, denen er die Steuerung des K., aber auch aller
Lebensumstände wie des P anzenwachstums zuschrieb (eine für einen Abt recht
ungewöhnliche Au fassung). In zahlreichen Fortschreibungen und Neukombinationen erfuhr
dieses Werk bis ins 19. Jh. unzählige Au agen [27]. Davon zu unterscheiden sind die
Wetterchroniken, in denen eigene Beobachtungen festgehalten wurden und die als verlässliche
Quelle für die K.-Rekonstruktion dienen (s. u. 5.2.).
Neben diesen weit verbreiteten Vorstellungswelten war die Heranziehung antiken Wissens, das
insbes. in den Werken des Aristoteles und in der Naturgeschichte Plinius' d. Ä. tradiert war,
gängige Praxis. Die Meteorologica des Aristoteles blieben bis in die Nz. das Standardwerk der
Meteorologie.
Einen grundlegend neuen Impuls erfuhr die Wetter- und K.-Erkenntnis mit dem Au ommen
der Messinstrumentarien Anfang des 17. Jh.s in Italien (vgl. Wissenschaftliche Instrumente).
Einschlägige Entwürfe und erste Experimente stammen von Leonardo da Vinci und Galileo
Galilei, dem auch die ersten Luftthermoskope (Vorläufer des Thermometers) zugeschrieben
werden. Erste regelmäßige Temperaturmessungen gehen auf das Wirken der Florentiner
Akademie 1657–1667 zurück. Instrumente zur Wettererfassung fanden schließlich im 17. Jh. u. a.
durch Francis Bacon (ab 1620) oder den Jesuiten Jean Leurechon in der wiss. Szene Europas
Verbreitung. Die noch heute gebräuchliche Skala stammt von Gabriel Daniel Fahrenheit, der
im frühen 18. Jh. in Amsterdam als Instrumentenmacher tätig war. Ein verlässlicher Barometer
zur Messung des Luftdrucks wurde bereits in den 1630er und 1640er Jahren entwickelt.
Hygrometer (Luftfeuchtigkeitsmesser) und Regenmesser wurden schon früher eingesetzt; so
erwähnte schon Leonardo einen Schwammhygrometer.
Eine weitere noch verfügbare Quelle bieten die Aufzeichnungen Friedrich Ho fmanns aus Halle
für das Jahr 1700 [43]. Besondere Erwähnung verdienen die Beobachtungen und Messungen
der Astronomenfamilie Kirch in Guben (Brandenburg) für 1697 und in Berlin von 1700 bis 1714,
die mit Unterbrechungen bis 1774 fortgeführt wurden. Diese Daten sind zur Neuberechnung
der Berliner Reihe 1730–1750 genutzt worden [50]. Ergänzt werden die heute noch grei aren
Instrumentenmessungen durch eine Reihe, die David Algöwer 1710–1720 in Ulm erstellte.
Die ersten Messnetze wurden Ende des 18. Jh.s auf der Basis vergleichbarer Daten erstellt. Der
Experimentator der Royal Society, Robert Hooke, entwarf jedoch schon in den 1660er Jahren
Instruktionen zur Wetterbeobachtung. 1778 forderte der Karlsruher Gymnasialprofessor Lorenz
Böckmann die Einrichtung eines Beobachtungsnetzes von 16 badischen Stationen; aus
Geldmangel wurden die Ergebnisse jedoch nie verö fentlicht. Die Verbreitung der Instrumente
und ihre Anwendung sowie die damit einhergehenden empirischen Ansätze blieben allerdings
für lange Zeit nur einem kleinen Kreis von Wissenschaftlern zugänglich [44].
Erst mit der Au lärung setzte sich schließlich ab dem 18. Jh. ein naturwissenschaftlicheres
Witterungs- und Wetterbild durch. Die Verbreitung der Instrumententechnik war dafür eine
entscheidende Grundlage. Wetterbeobachtungen wurden zunehmend staatlich organisiert und
v. a. standardisiert, wodurch verlässliche Messungen zur Verfügung standen. Beispiele sind das
Preuß. Meteorologische Institut (Berlin) 1847, die Centralstation Stuttgart (1854), die
Centralstation Karlsruhe (1868), die Centralstation München (1878), die Forstmeteorologischen
Stationen Elsass-Lothringen (1874), die Schweizer Meteorologische Zentralanstalt (1864) und die
Dt. Meteorologische Gesellschaft (1883). Der erste Internationale Meteorologenkongress fand
1873 in Wien statt. Ab Ende des 19. Jh.s spielte schließlich die Verbreitung von Messnetzen eine
große Rolle, die auf standardisierten und damit vergleichbaren Messungen beruhten.
Rüdiger Glaser
Neben den K.-Zeitreihen auf der Basis chronikalischer Aufzeichnungen wurden in jüngster Zeit
K.-Simulationen vorgelegt, die auf natürlichen Archiven beruhen. Für Mitteleuropa liegen zwei
K.-Simulationen mit dem globalen K.-Modell ECHO-G vor, die das letzte Millennium abdecken.
Das Modell wurde mit Abschätzungen des externen Treibhausantriebes (Konzentrationen von
CO2 = Kohlendioxid und CH4 = Methan), solarer Einstrahlung und Vulkanismus gerechnet. In
den Simulationen sind verschiedene K.-Perioden wie die Kleine Eiszeit deutlich zu erkennen.
Zwei weitere Simulationen erstrecken sich auf die Periode von 1750 bis heute. Letztlich
basieren diese Simulationen und Modelle auf Daten aus Naturarchiven, etwa auf
Isotopenmessungen an Eisbohrkernen und Korallen oder auch auf Dendrodaten (Jahresringe
von Bäumen) [26]. In sog. Multiproxy-Ansätzen werden diese verschiedenen Datentypen
häu g über große Distanzen interpoliert.
Diese Arten der K.-Simulation sind in der naturwiss. ausgerichteten scienti c community weit
verbreitet und genießen hohe Akzeptanz bis in politische Gremien hinein. Gründe für eine
solch hohe Autorität mögen darin liegen, dass „naturwiss.” Daten als „harte Fakten" gelten und
/
von renommierten Institutionen vorgetragen werden.
Demgegenüber liegt der besondere Vorteil des hermeneutischen Forschungszweiges (s. o. 5.)
darin, dass die Aussagen auf direkten und unmittelbaren Beobachtungen zu Wetter und
Witterungsgeschehen beruhen, welche zeitlich und räumlich höher aufgelöst sind (d. h. dichter
dokumentiert sind) und meist eindeutig datiert werden können. Für Mitteleuropa ist die
Datenlage derart ertragreich, dass unstrittig eine der verlässlichsten Proxy-Informationen
vorliegt. Darüber hinaus bietet der hermeneutische Ansatz die Möglichkeit einer
Rekonstruktion von K.-Extremen wie Stürmen oder Überschwemmungen (s. u. 8.). Zudem
lassen sich damit auch die K.-Folgen und die Interaktion bzw. Reaktion der Gesellschaften (die
human impacts und human dimension) ergründen, was zum besseren Verständnis der Mensch-
Umwelt-Relation beiträgt. Direkte Vergleiche zwischen den hermeneutischen und den
naturwiss. Daten zeigen zudem hohe Übereinstimmungen, so dass beide Verfahrenswege
herangezogen werden können [33].
Rüdiger Glaser
Im Vergleich zum Temperaturgang des 20. Jh.s verliefen die Temperaturen im nzl. Mitteleuropa
zunächst auf einem überdurchschnittlichen Niveau, wobei mehrfach kurzfristige
Fluktuationen auftraten. Ab etwa 1550 el die Jahrestemperatur deutlich ab und verlief um bis
zu 1 °C unter dem Vergleichswert der gesamten Periode. Diese Phase, die (von gelegentlichen
Schwankungen unterbrochen) zunächst bis um 1770 andauerte, kann als Kernphase der
Kleinen Eiszeit angesehen werden – ein Trend, der sich auch in den verschiedenen
Jahreszeiten deutlich niederschlug.
Allerdings vollzog sich ab 1700 eine durchgehende Temperaturerwärmung, die zunächst bis
1800 anhielt. Sie betrug in diesem Zeitraum 1 °C – ein erheblicher Wert, der etwa dem
Temperaturanstieg ab 1900 entspricht. Das 19. Jh. war durch mehrere mittelfristige
Schwankungen gekennzeichnet: Kurz nach 1800, um 1850 und am Ende des 19. Jh.s sind
deutliche Minima auszumachen, die sich auch in markanten Gletschervorstößen
dokumentierten. Gemeinhin wird die kalte Phase um 1850 als das Ende der Kleinen Eiszeit
angesehen (vgl. Abb. 2). Ab 1900 setzten sich die positiven Temperaturen wieder durch, ein bis
heute anhaltender Trend (mit exponentiellem Temperaturanstieg ab 1970).
Rüdiger Glaser
8.1. Allgemein
Das klimatische Geschehen Mitteleuropas wies in der Nz. neben den lang- und mittelfristigen
Änderungen immer wieder auch Einzelereignisse, sog. Anomalien und Extreme, auf (Dürre;
Überschwemmung; Sturm ut; Naturkatastrophen). Als Beispiele können die Dürre von 1540,
die Hochwasser von 1595 und 1682, die Weihnachts ut von 1717 oder der Tornado von 1764
genannt werden [28].
/
V. a. zu Hochwassern hat die Histor. Klimatologie eine beachtliche Fülle von Befunden
vorgelegt, die auf einem breiten Methodenspektrum au auen, wie in zahlreichen
Sonderbänden namhafter Fachzeitschriften und jüngsten Sammelbänden zum Ausdruck
kommt [61]. Zu vielen Flussgebieten Mitteleuropas liegen nicht nur Einzelbetrachtungen,
sondern lange Zeitreihen vor [32]; [57]. Erste Ansätze zeigen den nutzbringenden Einsatz
histor. Analysen für das moderne Hochwassermanagement [17].
8.2. Hochwasserchronologien
Für die heutige Interpretation der histor. Schriftquellen sind die Hinweise auf die
Hochwasserfolgen sowie die sozialen und ökonomischen Auswirkungen bes. ergiebige
Ansatzpunkte. Alle schadenbringenden Hochwasser setzten einen administrativen Apparat in
Gang, dessen Entschlüsselung Informationen über die Schäden und damit auch über die
Intensität des Hochwassers gibt. In den Rats-Protokollen sind die Beschlüsse niedergelegt, mit
denen man auf die Hochwasserschäden reagierte; Akten der Steuer-Behörden und der
Bauämter ergänzen diese Angaben, so dass ein vielschichtiges Bild von
„Katastrophenwahrnehmung”, „Katastrophenmanagement” und „Vulnerabilität” entworfen
werden kann [57]. Basierend auf derartigen Informationen zur sozialen Dimension sowie zu
geomorphologischen Folgewirkungen von Überschwemmungen konnte ein Schema zur
Intensitätsklassi zierung histor. Hochwasser entworfen werden, das ähnlich wie die
Indizierung thermischer Angaben (s. o. 4.) zur Erstellung semiquantitativer Zeitreihen
herangezogen werden kann (vgl. Abb. 3).
Rüdiger Glaser
Abb. 7: Hochwassermarken in
Eibelstadt am Main (mit
Bibliography Tabelle).
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Glaser, Rüdiger, “Klima”, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den
Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Copyright © J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH
2005–2012. Consulted online on 14 May 2020 <http://dx-doi-org.uaccess.univie.ac.at/10.1163/2352-0248_edn_COM_293513>
First published online: 2019