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Lektion 4: Leserbriefe schreiben

Was ist ein Leserbrief?


Ein Leserbrief ist ein Kommentar zu einem Artikel oder einem Thema, das in einer Zeitung, Zeitschrift,
online oder offline, behandelt wurde. Im Leserbrief vertreten Sie Ihre Meinung.

Wozu ein Leserbrief? Warum wird er von uns verlangt?


Ein Leserbrief ist, gestanden, inzwischen ein veraltetes Format. In den letzten Jahren haben Publikationen
wie Tagesblätter oder Wochenzeitungen an Popularität unter jungen Menschen stark abgenommen, da die
meisten ihre Nachrichten aus dem Internet beziehen – das ist auch nachvollziehbar. Warum wird aber von
Ihnen verlangt, Leserbriefe zu schreiben?
Historisch waren Leserbriefe ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Diskurses – die LeserInnen
beteiligten sich durch Ihre Kommentare am öffentlichen Austausch, da auch einige besonders kritische
oder gute Leserbriefe in Zeitungen veröffentlicht wurden, oder weil sich die JournalistInnen in ihren
Artikeln auf Kommentare aus Leserbriefen bezogen. So bekamen LeserInnen durch Leserbriefbeiträge
neue Impulse und Einsicheten zu einem Thema und konnten sehen, dass nicht nur die Meinung der
Redaktion einer Zetung die einzig mögliche oder die einzig korrekte Meinung sein kann. Heute haben wir
die Leserbriefe durch Reddit und andere Foren, oder durch die Kommentarfunktion bei verschiedenen
Social Media, ersetzt – etwas anders ausgedrückt, ist der Leserbrief also der Großonkel von Facebook-
Kommentaren.1
Ein Leserbrief war und die neuen Kommentarformate sind daher wichtige Teile einer gesunden
Diskussionskultur. Also sehen Sie das so – der Leserbrief ist eine Übung für Sie und Ihre
Meinungsentwicklung und Meinungsäußerung.
Leserbrief als Textsorte
Der Leserbrief ist – anders als ein Essay – immer eine direkte Antwort oder Reaktion auf einen
Zeitungsartikel, den der Verfasser des Leserbriefes gelesen hat. Der Verfasser äußert seine Meinung in
Bezug auf den Zeitungartikel: Er kann den Inhalt des Artikels kommentieren, korrigieren oder ergänzen,
er kann Elemente kritisieren oder richtigstellen. Grundsätzlich – der Leserbrief ist eine kritische
Meinungsäußerung zu einem Thema oder Punkt aus dem Zeitungsartikel.
Struktur eines Leserbriefs
Ein Leserbrief besteht aus vier Teilen: 1. Anrede, 2. Einleitung mit Bezug zum Artikel und Thema, 3.
Hauptteil mit Argumentation, 4. Zusammenfassende Schlussfolgerung und Grußwort
Für einen gelungenen Leserbrief, folgen Sie einigen der folgenden Vorschläge.
1. Anrede
In der Anrede adressieren Sie die Redaktion der Zeitung und geben das Verfassungsdatum Ihres Briefes.
Hier verwenden Sie übliche Anschreibeformen für formelle Briefe:

1
Wer neugierig ist, kann auf Wikipedia weiter zu Lesebriefen lesen: https://www.shorturl.at/djsuA
Max Mustermann
Musterstraße 6
11000 Belgrad

An die
Redaktion des Standards
Vordere Zollamtsstraße 13
1030 Wien
Belgrad, den 10.10.2020

Kommentar zu „Männer und Frauen – harmloses Flirten oder sexuelle


Belästigung“ vom 09.10.2020

Sehr geehrter Herr Schuster, /


Sehr geehrte Frau Dr. Lehmann, /
Sehr geehrte Redaktion des „Standards“, /

ich möchte den Artikel ...

Anmerkung zum Studierendenfavorit „Sehr geehrte Damen und Herren“

In Schulen wird unterrichtet, dass beim unbekannten Empfänger „Sehr geehrte Damen und Herren“
geschrieben werden soll. Dies stimmt durchaus, z. B. bei Bewerbungen für Stipendien oder bei formellen
öffentlichen Briefen, die an alle LeserInnen gerichtet sind.
Bei dem Leserbrief ist aber der Empfänger bekannt – es ist ein bestimmter Redakteur oder die Redaktion an
sich. Darum ist es zu empfehlen, dass „Sehr geehrte Damen und Herren“ mit einer drei möglichen Anreden
aus dem Beispieltext (s. oben) zu ersetzen.
2. Einleitung – was gehört hier?
Hier brauchen Sie drei Sätze:
1. Bezug zum Zeitungsartikel (Titel, Datum, AutorIn) erstellen
2. Kontextualisierung oder Zusammenfassung des Zeitungsartikels
3. Ihre Schreibabsicht

Sehr geehrte Redaktion des „Standards“,

ich möchte den Artikel „Männer nicht unter Generalverdacht stellen“ vom 9.
Oktober loben. Die Autorin Katharina Braun hat das umstrittene Thema der
Sexualbelästigung aufgegriffen, was besonders in Anbetracht der neulichen
Zwischenfälle wichtig ist. Trotzdem bin ich der Einsicht, dass die Verfasserin mit
einigen Argumenten zu weit gegangen ist.

Kontextualisierung bedeutet, dass das Hauptthema, die Haupttese oder die Pointe des Zeitungsartikels in
einem Satz wiedergegeben wird. Sie dürfen den Zeitungsartikel auch in aktuelle Geschehen verorten
(z. B. wird im Beispieltext oben erwähnt, dass das Thema „besonders in Anbetracht der neulichen
Zwischenfälle“ sehr wichtig ist.)
Die Schreibabsicht signalisiert den LeserInnen, was im Hauptteil geschrieben wird, ob es ein Lob, eine
Kritik, ein Kommentar oder eine Ergänzung sein wird.
Es müssen aber nicht zwangsläufig drei Sätze sein. Sie können die drei Sätze auch in komplexere Sätze
kombinieren, z. B.
 Ihr Beitrag [“Titel”] vom [Datum] zum Thema … berührt mich sehr. Auch ich habe ähnliche
Erfahrungen gemacht, denn …
 In Ihrem Artikel [“Titel”] vom [Datum] schreiben Sie, dass … Dazu möchte ich
sagen/hinzufügen/…
 Mit Interesse habe ich Ihren Artikel [“Titel”] vom (Datum) in Ihrer Zeitung gelesen und frage
mich …
 In seinem/ihrem Beitrag [“Titel”] vom [Datum] schreibt [AutorIn], dass …
 Ihr Artikel [“Titel”] vom [Datum] erscheint mir inhaltlich wichtig, schon alleine deshalb, weil …
 Sie schreiben in Ihrem Artikel [“Titel”] vom [Datum], dass … Dazu möchte ich Ihnen Folgendes
mitteilen: …
 Endlich war in Ihrer Zeitung zu lesen, was ich mir schon immer gedacht habe : denn im Artikel
[“Titel”] vom [Datum] schreibt der/die AutorIn …
Diese Formulierungen sind nur Vorschläge – Sie können sie auch weiter kombinieren oder anders
schreiben. Ihrer Kreativität und Ausdrucksfähigkeit sind keine Grenzen gesetzt, suchen Sie ruhig nach
Formulierungen, die zu Ihnen und Ihrer Sprech-/Denkweise passen. Sehen Sie das PDF-Dokument
„Leserbriefe – Mustervorlagen“ im Moodle nach weiteren Verfassungsmöglichkeiten, oder schauen Sie
auch im Internet nach!
3. Hauptteil – kurz und bündig argumentieren
Den Hauptteil eröffnen Sie mit einem Satz zu Ihrer Haltung zum Zeitungsartikel allgemein. Sie können
der allgeminen Aussage des Artikels zustimmen oder auch ihr widersprechen. (Im Beispiel einigt sich die
Verfasserin des Leserbriefes mit der Autorin des Zeitungsartikels.)

[...] Trotzdem bin ich der Einsicht, dass die Verfasserin mit einigen Argumenten zu weit
gegangen ist.
Es ist keine Frage, dass sexuelle Übergriffe schwere Verbrechen sind und entsprechend
bestraft werden sollen.

Danach greifen Sie Hauptteil nur einen Punkt aus dem Zeitungsartikel auf, den Sie dann loben,
kommentieren, kritisieren oder ergänzen. In der Prüfung wird von Ihnen verlangt, zwei Argumente mit
jeweils ein bis zwei Belegen zu schreiben.

Es ist keine Frage, dass sexuelle Übergriffe schwere Verbrechen sind und
entsprechend bestraft werden sollen. Die Verfasserin behauptet jedoch an einer Stelle,
dass sich Männer von „freizügig gekleideten Frauen“ sexuell angereizt fühlen
können, weswegen dann „Frauen sich nicht wundern sollen, wenn was passiert“.
Natürlich steht fest, dass Männer Triebe haben und Kleidung effektiv anreizend sein
kann. Es ist allerdings unsinnig zu behaupten, dass die freizügige Kleidung der
Frauen jegliches Verhalten der Männer rechtfertigt. Genauso wie ein Mann ganz
locker ohne Oberteil auf der Straße im Sommer laufen kann, ohne dabei damit
rechnen zu müssen, dass „was passieren“ kann, sollte sich jede Frau so kleiden
dürfen, wie sie will. Jeder vernünftige Mensch muss Herr seiner Triebe sein
können. Wenn man Hunger und kein Geld dabei hat, stiehlt man nicht sofort im
Supermarkt. Genauso ist die locker gekleidete, attraktive Figur einer Frau kein Grund
für sexuelle Belästigung, noch kann das jegliches Handeln rechtfertigen.
Die Belege dienen dazu, Ihre Argumente zu stärken. Die Belege können Fakten sein, die Sie selber
kennen oder im Zeitungsartikel gelesen haben, es können aber auch Beispiele, Vergleiche oder
Erklärungen sein, die Ihre Argumente dem Leser näher bringen.

Anmerkung zum Studierendenfavorit „Meiner Meinung nach“

In der Schule wurden Phrasen wie „m. M. n.“ oder „meines Erachtens“/„m. E. n.“ gelernt. Diese sind auch
gängig und korrekt, aber da Sie nun Deutsch auf einem höheren Niveau erlernen und einüben sollen, fordern
wir von Ihnen, dass sie auch andere Ausdrucksformen ausprobieren. Im Beispiel wird auf „m. M. n.“
komplett verzichtet – stattdessen hat die Verfasserin noch einen Satz der Zustimmung zur Autorin eingebaut,
um dann einen Kontrast mit „allerdings“ aufzubauen, um so ihren Widerspruch zu äußern.
4. Schluß- und Grußwort
Um Ihren Brief abzuschließen, schreiben Sie als Schlußwort einen Satz, in dem Sie eine prägnante
eigene Aussage, ein Fazit, eine Schlußfogerung, die sich us Ihren Argumenten ableitet, oder eine
Zusammenfassung Ihrer Kritik ausdrücken.

[...] noch kann das jegliches Handeln rechtfertigen. Das Problem ist nicht die Kleidung -
wer nicht vernünftig genug ist, seine eigenen Triebe unter Kontrolle zu halten, der stellt
für andere eine Gefahr dar und braucht psychlogische Hilfe.

Mit freundlichen Grüßen


Marie Mustermann

Falls Sie sich weniger kritisch zum Text äußern wollen, als dies der Fall im Beispielbrief ist, haben Sie
auch folgende Möglichkeiten:
 Herzlichen Dank dafür, dass
 Ich freue mich auf weitere interessante Artikel ...
Nach dem Schlußwort schreiben Sie dann Ihr Grußwort.
Sie können auch das Schluß und Grußwort kombinieren, wie z. B.:
 In der Hoffnung, dass es noch weitere Darstelungen / Berichte / Artikel / Kommentare zu diesem
Thema geben wird, grüße ich die Redaktion / den Autor / die Autorin / ...

Genaues zur Klausur

In der Klausur bekommen Sie einen kurzen Schreibanlass (z. B. „Vorschlag zum
Antidiskriminierungsfach an der Uni Passau“), zu dem Sie dann einen Leserbrief schreiben. Hier
suchen Sie einen Punkt aus, der Ihnen zum Thema des Schreibanlasses problematisch erscheint,
und kritisieren ihn.

Formalia: Times New Roman 12pt, 1.5 Zeilenabstand, Blocksatz

↓ Ganz wichtig zum Schluss

Verboten sind folgende Wörter und Wendungen: Benutzen Sie stattdessen folgende Ausdrücke:
interessant / spannend  berührend / überraschend / attraktiv...

wichtig bedeutsam / von großer Bedeutung /


wesentlich / etw. (Dat.) wird große
Bedeutung beigemessen / unabdingbar...
Ich habe eine kritische Meinung dazu. Das bezweifle ich sehr, weil...
Trotzdem meine ich, dass...
Um welche Gruppe von Leuten handelt es
Menschen / Leute
sich? Z. B. Studierende, Befürworter,
Gegner, Gesellschaft...

Ich freue mich auf weitere


interessante Artikel. Deshalb schlage ich vor...
Wie schön wäre es, wenn...

Benutzt auch das Thesaurus (https://www.openthesaurus.de/synonyme/) und findet entsprechende


Synonyme.
Sie dürfen kreativ sein! Ja, der Leserbrief ist im Unterricht eine Übung und Prüfungsform – dies bedeutet
aber nicht, dass Sie sich quälen müssen! Finden Sie Ihre Stimme und Ihren Stil, haben Sie Spaß mit
Stilformen, suchen Sie im Internet nach weiteren Redemitteln, die Ihnen gefallen. Der Sinn ist, dass sie
Lernen – und man lernt am besten mit etwas Spaß. 

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